Glaub wieder an die Liebe

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Diesem Mann muss geholfen werden, findet Temperamentsbündel Maggie. Dass Ryan Devaney sie kühl abblitzen lässt, entmutigt sie nicht. Es wäre ja gelacht, wenn sie ihm nicht beweisen kann, wie wunderschön das Leben, wie großartig die Liebe sein kann! Und wenn Maggie sich etwas in den Kopf setzt, dann erreicht sie es auch. Zumindest bis jetzt …


  • Erscheinungstag 29.03.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776824
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ryan Devaney hasste Feiertage. Nicht nur, dass sie ihm einen schlechten Umsatz bescherten. Die wenigen Gäste, die an Feiertagen den Weg in seinen Pub in Boston fanden, waren für gewöhnlich genauso deprimiert wie er. An diesen Tagen plärrte die Jukebox nur die schwermütigsten Lieder, was ihn sicher zu Tränen gerührt hätte, wenn er sich die Heulerei nicht schon vor langer Zeit ein für alle Mal abgewöhnt hätte. Thanksgiving war bei Weitem der schlimmste von allen Feiertagen. All die bittersüßen Erinnerungen … Und es sah nicht danach aus, als ob sich das ausgerechnet in diesem Jahr ändern sollte.

Die klare Winterluft roch nach Schnee. In der Küche des Pubs stand der Koch und buk ein paar Dutzend Kürbiskuchen, von denen Ryan einen Teil in die Obdachlosenunterkunft bringen würde. Der andere Teil sollte den Gästen serviert werden, die am nächsten Tag in seinem Pub eine einsame Mahlzeit zu sich nehmen wollten. Ryan konnte sich dunkel daran erinnern, dass ihm der Duft aus der Küche früher einmal glückliche Augenblicke beschert hatte, aber das gehörte längst zur Vergangenheit. Seit mehr als zwanzig Jahren gab es in seinem Leben nichts mehr, wofür er dankbar zu sein hätte.

Kaum schoss ihm dieser Gedanke durch den Kopf, als er auch schon innehielt. Pater Francis – der Pfarrer, der es offenbar als seine persönliche Mission betrachtete, Ryans Seele zu retten – würde ihm gehörig die Leviten lesen, sollten solche Seufzer jemals an sein Ohr dringen. Die Kirche des Pfarrers lag nur ein paar Häuserblocks von dem Pub entfernt, und seine Gemeinde profitierte beträchtlich von Ryans Großzügigkeit. Pater Francis hielt wenig von Ryans Neigung, an Feiertagen regelmäßig in Selbstmitleid zu versinken.

„Du hast ein Dach über dem Kopf. Du hast Geld in der Tasche und eine warme Mahlzeit im Bauch“, hatte Pater Francis ihn schon mehr als einmal gerügt. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Dein Geschäft blüht und gedeiht. Und du hast Kunden, die sich auf dich verlassen. Es hängt von dir ab, ob unzählige andere Menschen ein Dach über dem Kopf haben und etwas zu essen bekommen oder nicht. Und sie wissen es noch nicht mal. Wie kannst du da behaupten, dein Leben wäre trostlos? Ich schäme mich für dich, Ryan Devaney. Ich schäme mich zutiefst.“

Es war fast so, als hätte Ryans Grübelei den Pfarrer herbeibeschworen, denn plötzlich rutschte Pater Francis auf einen leeren Hocker an der vollen Bar. Wie gewöhnlich musterte er Ryan aufmerksam. „Wieder mal völlig in Gedanken versunken, was?“

Der missbilligende Unterton ließ Ryan innerlich zusammenzucken. Trotzdem freute er sich, dass er in der Stimme des weißhaarigen Mannes immer noch einen leisen Akzent hören konnte, der die irische Herkunft des Geistlichen verriet. „Was für ein kalter, frostiger Winterabend“, meinte Ryan irritiert. „Was kann ich für dich tun?“

„Eine Tasse Irish Coffee wäre schön, wenn’s nicht zu viele Umstände macht. Der Wind peitscht ziemlich scharf um die Ecken, und meine müden, alten Knochen vertragen das nicht mehr so gut wie früher.“

„Für dich ist mir keine Mühe zu viel“, gab Ryan ehrlich zurück. So sehr er sich auch manchmal über den Pater ärgerte, er verdankte ihm sein Leben. Pater Francis hatte ihn aus tiefer Verzweiflung gerissen und ihm so manchen Ärger vom Hals gehalten. Er hatte ihm den Weg geebnet, der ihn schließlich hierher geführt hatte. In sein eigenes Geschäft anstatt in die Gefängniszelle. „Warum sitzt du nicht gemütlich vor dem Kaminfeuer?“

„Ich war unterwegs zum Obdachlosenheim. Heute Abend ist eine neue Familie eingetroffen. Kannst du dir etwas Schlimmeres vorstellen, als ausgerechnet am Abend vor Thanksgiving zum ersten Mal in eine Obdachlosenunterkunft eingeliefert zu werden? Jede Familie brät einen Truthahn, backt Kürbiskuchen und dankt für die Gaben, die der Herr im Himmel ihnen zuteilwerden ließ.“

Ryan warf ihm einen scharfen Blick zu. Es lag genau siebzehn Jahre zurück, dass Pater Francis ihn am Abend vor Thanksgiving nach St. Mary’s geholt hatte. Hungrig, verängstigt und mutterseelenallein. Damals war er fünfzehn Jahre alt gewesen und hatte einen unbändigen Hass auf die ganze Welt. Um ein Haar hätte man ihn wegen eines Raubüberfalls auf einen kleinen Supermarkt festgenommen, aber Pater Francis war es gelungen, die Polizisten auf dem Revier sowie den tobenden Ladenbesitzer gnädig zu stimmen.

„Nein. Ich kann mir nichts Traurigeres vorstellen“, bestätigte er kurz angebunden. „Niemand weiß das besser als du. Was willst du von mir?“

Der Pfarrer lächelte verschmitzt und zwinkerte ihm zu. „Nichts Besonderes. Sprichst du morgen mit ihnen? Deine Geschichte ermutigt eine Menge Leute in der Nachbarschaft. Wenn ihnen zu Ohren kommt, was du unter schwierigsten Umständen auf die Beine gestellt hast, werden sie wieder Hoffnung schöpfen.“

„Wahrscheinlich erwartest du, dass ich wenigstens einem von ihnen Arbeit geben kann“, fügte Ryan resigniert hinzu.

„Einem … oder beiden. Soweit ich gehört habe, ist die Mutter eine ausgezeichnete Köchin. Hast du mir nicht erzählt, dass ihr in der Küche knapp besetzt seid?“, fragte Pater Francis unschuldig. Hastig fuhr er fort, bevor Ryan ihm ins Wort fallen konnte. „Und da jetzt die Feiertage und die Ferien vor der Tür stehen, wirst du alle Hände voll zu tun haben mit den Leuten, die nach dem Einkaufen bei dir einkehren, um sich ein bisschen aufzuwärmen. Ein paar Firmen hier in der Gegend würden ihre Weihnachtsfeier bestimmt gern in deinem Pub abhalten, stimmt’s? Vielleicht könntest du einen zusätzlichen Kellner ganz gut gebrauchen, wenigstens über Weihnachten und Silvester.“

„Kein Problem, einen Kellner extra einzustellen. Und die Frau, kann sie Corned Beef zubereiten? Kohlsuppe? Irish Stew? Kann sie Brot backen?“, fragte Ryan.

Der Pfarrer fühlte sich sichtlich unwohl. „Wär’s nicht langsam mal Zeit für ein bisschen Abwechslung?“ Er zog die hellgrün eingeschweißte Speisekarte vom Tresen und tippte mit dem Zeigefinger auf die Vorspeisen. Es waren immer noch dieselben wie damals am St. Patrick’s Day vor neun Jahren. Sogar die Tagesgerichte hatten sich nicht verändert. „Reichlich langweilig, findest du nicht?“

„Wir sind hier in einem irischen Pub“, erinnerte Ryan ihn trocken. „Und meine Gäste möchten sich gern darauf verlassen, dass sie Fish and Chips am Freitag und Irish Stew am Samstag bekommen.“

„Wer weiß, vielleicht haben es die Leute auch satt, dass du ihnen immer das Gleiche auftischst. Versuch’s doch mal mit ein paar feurigen Gewürzen. Das bringt Abwechslung in deine langweilige Speisekarte.“

Feurige Gewürze? Entsetzt musterte Ryan die Gesichtszüge des Pfarrers. „Also, was genau kann diese Frau kochen?“

„Ihre Enchiladas sollen sensationell sein“, meinte Francis begeistert.

Ryan runzelte die Stirn. „Halt. Was genau soll das heißen? Du verlangst, dass ich jemanden einstelle, der in einem irischen Pub mexikanische Gerichte kocht?“

Unwillkürlich schauderte er, als er sich vorstellte, wie sein irischer Koch die Neuigkeit wohl aufnehmen würde. Rory O’Malley würde einen Monat lang lautstark mit Töpfen und Pfannen hantieren, wenn er nicht sogar auf der Stelle kündigte. Rory mit seinem breiten irischen Akzent und seinem dicken Wanst, den er seiner Schwäche für Bier zu verdanken hatte. Ganz gewiss hatte er ein weiches Herz, aber wenn er richtig in Fahrt war, dann wütete er schlimmer als ein temperamentvoller französischer Küchenchef. Trotzdem verlief die Arbeit in der Küche reibungslos, seit Rory dort das Kommando übernommen hatte. Und deshalb hielt Ryan sich am liebsten außerhalb der Reichweite seines Küchenchefs auf und vermied alles, was ihn hätte beleidigen können.

Pater Francis gab sich aufgeregt. „Dein Restaurant wird in aller Munde sein, Ryan“, versprach er. „Als bestes Beispiel für das friedliche Zusammenleben verschiedener Völker und Kulturen.“

„Spar dir deine salbungsvollen Worte“, murmelte Ryan in sich hinein. „Schick sie übermorgen zu mir. Hoffentlich lässt sie sich schnell einarbeiten. Und in meinem Pub werden keine Tacos serviert, Ende der Diskussion. Spricht sie wenigstens Englisch?“

„Ganz ordentlich“, meinte Pater Francis mit undurchdringlicher Miene.

Ryan stöhnte verzweifelt auf. „Eigentlich sollte ich es dir überlassen, Rory die Sache beizubringen“, murmelte er.

„Rory ist ein feiner Kerl. Ein irischer Landsmann. Außerdem ist er selbst erst vor Kurzem eingewandert“, erklärte Pater Francis zuversichtlich. „Ich bin sicher, dass er einverstanden sein wird. Und er wird es zu schätzen wissen, dass man seine Küche in der Presse loben wird.“

„Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass er die Neuigkeit nicht ganz so positiv aufnimmt, wie du es vorhersagst, dann wünsche ich dir, dass du dich in der Küche schnell zurechtfindest, Pater. Es hängt immer noch eine Schürze am Haken, auf die dein Name gestickt ist.“

„Dann lass uns beten, dass es gar nicht erst so weit kommt“, entgegnete Pater Francis und runzelte besorgt die Stirn. „Wenn ich Mrs Malloy im Pfarrhaus und Rory nicht hätte, dann müsste ich glatt vor Hunger sterben“, bemerkte er mit einem Seufzer.

Sein Blick fiel auf den Eingang des Pubs. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. „Schau doch mal, mein Junge, wer da hereingeschneit kommt. Wenn das kein heilsamer Anblick für meine trüben Augen ist. Siehst du, deine gute Tat wird umgehend belohnt!“

Ryan drehte sich ebenfalls zur Tür. Es stimmte, der Anblick, der sich ihm bot, war wirklich bezaubernd. Eine Frau, die so wunderschön war wie sie, konnte jeden Mann im Bruchteil einer Sekunde aus seiner schlechten Laune reißen. Mit großen Augen versuchte sie, im Halbdunkel des Pubs etwas zu erkennen. Die blasse, zarte Haut war durch den scharfen Wind gerötet, und das dichte kastanienbraune Haar fiel ihr nachlässig über die Schultern. Ihre schlanken Beine steckten in Jeans und hohen Lederstiefeln, bestens geeignet, die wildesten erotischen Fantasien in einem Mann zu entfachen. Lustvoll stöhnte Ryan auf.

„Junge, wo bleiben deine Manieren?“, schimpfte Pater Francis. „Sie ist ein zahlender Gast und offensichtlich zum ersten Mal in deinem Pub. Geh hin, und begrüße sie.“

Warum nur muss der alte Kerl sich immer in alles einmischen? dachte Ryan, warf dem Pater einen säuerlichen Blick zu und durchquerte den überfüllten Pub. „Kann ich Ihnen helfen, Miss?“

„Das wage ich zu bezweifeln“, entgegnete sie grimmig. „Ich bezweifle sogar, dass die Heiligen Drei Könige persönlich mir helfen könnten.“

„Wie wär’s, wenn Sie es einen Barkeeper und einen alten Priester mal versuchen lassen?“, meinte Ryan lachend. „Würde das reichen? Oder sind Sie hier mit jemandem verabredet? Mit den meisten Stammgästen bin ich persönlich bekannt.“

„Nein, ich bin nicht verabredet. Aber wenn Sie mich jemandem vorstellen würden, der einen Autoreifen reparieren kann?“, bat sie verzweifelt. „Im Umkreis von zehn Meilen habe ich jede Werkstatt angerufen. Keine Einzige bietet einen Vor-Ort-Pannenservice an. Und alle erzählen mir wichtigtuerisch, dass morgen Thanksgiving ist. Als ob ich das nicht selbst wüsste. Mein Auto ist vollgeladen mit Lebensmitteln, und ich habe absolut keine Lust, sie verderben zu lassen, nur weil ich hier in einem Nest gelandet bin. Natürlich wird alles zu Eisblöcken gefroren sein, wenn ich nach Hause komme, aber …“

Geflissentlich unterdrückte Ryan ein Lachen. „Haben Sie keinen Ersatzreifen?“

Wenn Blicke töten könnten, hätte Ryan auf der Stelle tot umfallen müssen. „Natürlich habe ich einen Ersatzreifen. Können Sie sich nicht vorstellen, dass ich ihn längst ausprobiert habe? Ich bin doch nicht komplett bescheuert.“

„Was ist denn dann das Problem?“

„Er hat auch einen Platten. Was zum Teufel ist das blöde Ding wert, wenn es ausgerechnet dann einen Platten hat, wenn man es am dringendsten braucht?“

Ryan verzichtete darauf, sie daran zu erinnern, dass man den Ersatzreifen von Zeit zu Zeit überprüfen sollte. Der kluge Tipp kam ganz offensichtlich zu spät, und sie schien nicht in der Stimmung, sich überflüssige Ratschläge anzuhören.

„Wie wär’s damit?“, begann Ryan. „Sie setzen sich erst mal zu Pater Francis. Ich gebe Ihnen was zu trinken, damit Sie sich ein bisschen aufwärmen können. Und dann besprechen wir, wie wir Ihr Problem am besten lösen können.“

„Ich will meine Zeit nicht damit verschwenden, hier tatenlos herumzuhocken.“ Entschuldigend schaute sie Pater Francis an. „Es tut mir leid, Pater, aber ich sollte schon seit Stunden zu Hause bei meinen Eltern sein. Wahrscheinlich werden sie langsam wahnsinnig vor Sorge.“

„Haben Sie …“

„Natürlich habe ich angerufen“, unterbrach sie den Pfarrer. „Meine Eltern wissen Bescheid, aber Sie kennen sie nicht. Beide werden verrückt sein vor Sorge, bis ich persönlich zur Tür hereinspaziere. Sie sorgen sich immer, ganz egal, ob es eine große Sache ist oder eine kleine. Insgeheim glauben sie wahrscheinlich, dass sie mit der Geburtsurkunde ihrer Kinder das Recht erworben haben, sich lebenslang Sorgen um sie zu machen.“

Mit wahnsinnigen Eltern hatte Ryan genug Erfahrung. Seine eigenen hatten sich nicht einen Pfifferling um ihn und seine Brüder gekümmert. Als er neun Jahre alt gewesen war, hatten sie die drei ältesten Brüder der staatlichen Fürsorge überlassen und waren mit den zweijährigen Zwillingen verschwunden. Wenn es überhaupt eine Erklärung dafür gab, warum sie ihre Söhne so kaltherzig behandelt hatten, hatten sie es dennoch nicht für nötig gehalten, sie Ryan und seinen Brüdern mitzuteilen.

Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie es gewesen war, als er den damals siebenjährigen Sean zum letzten Mal gesehen hatte. Sean hatte sich beinahe die Augen aus dem Kopf geweint, als er von einer Sozialarbeiterin weggeführt wurde. Michael war zwei Jahre jünger und schien tapferer zu sein … aber vielleicht hatte er mit seinen fünf Jahren ganz einfach nicht begriffen, was ihnen gerade angetan wurde. Niemals hatten die Brüder einander oder ihre Eltern wieder gesehen.

„Du schließt den Pub ungefähr in einer Stunde, nicht wahr, Ryan?“, fragte Pater Francis und riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Seine Augen glitzerten. „Vielleicht kannst du die junge Lady nach Hause bringen.“

„Wirklich? Könnten Sie das? Ich weiß, es ist aufdringlich, und bestimmt haben Sie Ihre eigenen Pläne für Thanksgiving, aber ich bin echt am Rande der Verzweiflung.“

„Warum nehmen Sie nicht ein Taxi? Ich rufe gerne eines für Sie, und dann sind Sie in kürzester Zeit zu Hause.“

„Schon versucht“, hielt sie dagegen. „Aber es ist ein weiter Weg, und die meisten Fahrer sind wegen des Feiertags bei ihren Familien. Es sind nicht viele Leute unterwegs. Beide Taxiunternehmen, die ich angerufen habe, konnten nichts für mich tun.“

„Aber Sie kennen mich doch überhaupt nicht“, wandte Ryan ein. „Sie wissen doch bestimmt, dass Sie sich niemals zu einem Fremden ins Auto setzen dürfen?“

Pater Francis lachte auf. „Auf das Wort eines Priesters wird sie sich wohl verlassen können. Und ich bescheinige dir, dass du kein Wässerchen trüben kannst. Du bist der perfekte Gentleman. Übrigens, Ryan Devaney, das hier ist …“ Erwartungsvoll schaute er die junge Frau an.

„Maggie O’Brien“, stellte sie sich vor.

Ein strahlendes Lächeln machte sich auf dem Gesicht des Priesters breit. „Irischer Stammbaum, nicht wahr? Ryan, du kannst nicht ernsthaft mit dem Gedanken spielen, eine Irin im Stich zu lassen.“

Bestimmt hat sie dort noch weniger Zeit verbracht als ich, dachte er. Es war eine echte Kunst, einen irischen Pub erfolgreich zu führen, und er hatte sich eine Weile auf der smaragdgrünen Insel aufgehalten, um genau das zu lernen. Aber Maggies Tonfall klang ganz danach, als sei sie in Boston aufgewachsen.

„Wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, dass Miss O’Brien und ich amerikanische Landsleute sind“, bemerkte er trocken.

„Aber es fließt Blut irischer Vorfahren in deinen Adern“, beharrte der Priester. „Und ein wahrhafter Ire vergisst niemals seine Wurzeln.“

„Wie dem auch sei“, erwiderte Ryan resigniert, weil ihm längst klar war, dass er sich zum zweiten Mal an diesem Abend in das Unausweichliche fügen musste. „Miss O’Brien, ich würde mich freuen, Sie nach Hause fahren zu dürfen, wenn Sie warten können, bis ich den Pub in einer Stunde schließe. Inzwischen gebe ich Ihnen gern den Schlüssel zu meinem Wagen. Sie können Ihre Lebensmittel aus Ihrem Wagen in meinen laden.“ Er warf dem Priester einen eindringlichen Blick zu. „Pater Francis freut sich, wenn er Ihnen helfen kann, nicht wahr, Pater?“

„Es ist mir ein Vergnügen“, bestätigte Pater Francis und sprang so eilfertig auf die Füße wie seit zehn Jahren nicht mehr.

„Miss O’Brien“, rief Ryan den beiden nach, während sie zum Ausgang eilten, „was auch immer Sie tun, hören Sie einfach nicht auf das, was er Ihnen von mir erzählt!“

„Ich preise dich nur in den höchsten Tönen“, gab Pater Francis entrüstet zurück. „Wenn ich meinen Lobgesang beendet habe, wird sie denken, dass du vom Vater im Himmel persönlich gesandt worden bist.“

„Genau das habe ich befürchtet“, gab Ryan zurück. Irgendwie beschlich ihn das ungute Gefühl, dass diese Maggie O’Brien von Minute zu Minute mehr zu der Auffassung kam, tatsächlich einem Heiligen begegnet zu sein.

„Ich bin nicht sicher, dass Mr Devaney glücklich ist, mich nach Hause zu fahren“, sagte Maggie zu Pater Francis, während sie die Lebensmittel von ihrem Wagen in Ryan Devaneys Fahrzeug umluden. Sie überlegte kurz, ob sie die Sachen im Kofferraum lassen sollte, aber es begann gerade zu schneien. Dicke, nasse Flocken rieselten herab, und wenn die Wettervorhersage recht behielt, würden die Straßen in kürzester Zeit unbefahrbar sein. Niemand konnte sagen, wie lange es dauern würde, bis sie ihren Wagen wieder erreichen würde.

„Kümmern Sie sich nicht um seine Worte“, meinte der Priester. „Ryan ist ein herzensguter Kerl, aber sein Leben verläuft immer im gleichen Trott. Außerdem arbeitet er zu viel und zu schwer. Ein unverhoffter Ausflug mit einer hübschen jungen Frau ist genau das Richtige für ihn.“

Was für eine interessante Neuigkeit, dachte Maggie und kam zu dem Schluss, dass der Priester sich möglicherweise als Heiratsvermittler versuchte. Aber warum? Insgeheim wunderte sie sich natürlich, dass ein Mann wie Ryan Devaney jemanden brauchte, der Kontakte zu Frauen für ihn herstellte. Mit seinen leuchtend blauen Augen, seinem dichten schwarzen Haar und dem Grübchen auf dem Kinn sah er wie ein irischer Schurke aus, dazu geboren, Frauen zu verführen. Maggie war nicht verborgen geblieben, dass im Pub mehr als eine Frau enttäuscht das Gesicht verzogen hatte, als er seine Aufmerksamkeit ausgerechnet ihr zugewandt hatte.

„Gibt es Ryans Pub schon lange?“, fragte sie Pater Francis.

„Am St. Patrick’s Day werden es genau neun Jahre“, erklärte er ihr.

Maggie war überrascht. Durch das abgewetzte Holz, die glänzenden Messingeinfassungen und die alten Reklameschilder für irischen Whiskey und irisches Bier sah der Pub aus, als würde er schon seit mehreren Generationen bewirtschaftet.

Der Pfarrer grinste sie an. „Aha. Ich sehe, Sie sind überrascht. Das würde Ryan gefallen. Er ist sechs Monate lang auf Schatzsuche in Irland gewesen, um dem Pub einen antiken Hauch zu verleihen. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, macht er keine halben Sachen.“ Aus den Augenwinkeln schaute er sie an. „Meiner Meinung nach gilt das auch dann, wenn er ein Auge auf eine Frau geworfen hat.“

Maggie hatte kaum mehr als eine Viertelstunde mit Ryan Devaney verbracht, trotzdem konnte sie nicht verhehlen, dass sie neugierig geworden war. „War er noch nie verheiratet?“

„Nein. Was für eine schlimme Geschichte“, sagte der Pater. „Er behauptet, dass er nicht an die Liebe glaubt.“

Seine Stimme klang so übertrieben traurig, dass Maggie fast lachen musste. „Wie kommt denn das?“, fragte sie stattdessen. „Hat er so schlechte Erfahrungen gemacht?“

„Ja, aber nicht, wie Sie denken. Es liegt an seinen Eltern. Sie sind abgehauen und haben ihn im Stich gelassen, als er noch ein hilfloser kleiner Junge war.“

„Wie schrecklich!“ Augenblicklich empfand Maggie tiefes Mitleid, und sie vermutete, dass der gerissene alte Mann es genau darauf angelegt hatte. „Hat er sie denn niemals wieder gesehen?“

„Niemals. Er hat ein paar schlimme Jahre hinter sich. Doch wenn man davon absieht, ist ein prächtiger Kerl aus ihm geworden. Sie werden keinen besseren, zuverlässigeren Freund finden als Ryan Devaney.“

„Wie lange kennen Sie ihn schon?“

„Seit siebzehn Jahren.“

Eindringlich musterte Maggie sein Gesicht. „Irgendwie wittere ich hier eine interessante Geschichte.“

„Richtig. Aber ich denke, Ryan sollte sie Ihnen lieber selbst erzählen.“ Er fing ihren Blick auf. „Würden Sie einen Rat von einem Fremden abweisen?“

„Von Ihnen, Pater? Niemals.“

„Irgendwie ähnelt Ryan einem guten Wein. Man darf ihn nicht hinunterstürzen, wenn man ihn genießen will.“

Maggie lachte. „Pater, Ihr Rat kommt ein bisschen zu früh. Ich habe den Mann doch gerade erst kennengelernt. Er bringt mich nach Hause – aber nur, weil Sie ihn dazu gezwungen haben, wenn ich das hinzufügen darf. Ich glaube nicht, dass wir mehr daraus machen sollten“, erwiderte sie und folgte Pater Francis zurück in die Bar.

Ryan hatte alle Hände voll damit zu tun, die letzte Bestellung zu servieren, aber trotzdem standen plötzlich zwei Irish Coffee vor ihnen, ohne dass sie ein Wort hatten sagen müssen. Dankbar wärmte Maggie ihre eiskalten Finger an der heißen Tasse.

Schweigend saß Pater Francis neben ihr und nippte an seinem Kaffee. Anfangs war Maggie nicht in der Lage gewesen, sein Alter zu schätzen. Aber jetzt war seine Mimik weniger lebhaft, und die tiefen Falten in seinem Gesicht traten wesentlich deutlicher hervor. Vermutlich ist er weit über siebzig, dachte sie. Zu dieser späten Stunde jedenfalls waren die Spuren seines langen Lebens nicht zu übersehen.

Offensichtlich war es Ryan nicht entgangen, wie erschöpft der Priester aussah. Er legte die Schürze ab, murmelte der Kellnerin neben ihm etwas zu und händigte ihr ein Schlüsselbund aus.

„Wir können jetzt gehen“, sagte er und trat hinter der Bar hervor. „Maureen wird abschließen. Pater, ich fahre Sie auch schnell nach Hause. Es ist viel zu kalt, um zu Fuß zu gehen. Ganz besonders um diese Uhrzeit.“

„Unsinn“, protestierte der Geistliche. „Es sind ja nur ein paar Häuserblocks. Seit wann schaffe ich das nicht mehr? Hast du schon ein einziges Mal gehört, dass ich mich beklage? Ein kleiner Fußmarsch hält mich schließlich fit.“

„Und davon haben Sie tagsüber wahrhaftig genug, wenn der Wind nicht so scharf weht. Abgesehen davon liegt das Pfarrhaus an unserem Weg“, konterte Ryan, obwohl er keine Ahnung hatte, in welche Richtung er fahren musste, um Maggie nach Hause zu bringen.

Sie unterstützte Ryan sofort. „Pater, bitte. Ich täte nichts lieber, als einen Blick in Ihre Kirche zu werfen. Vielleicht komme ich dieser Tage mal zu einem Gottesdienst.“

Prompt erhellte sich der Gesichtsausdruck des Pfarrers. „Ein ausgezeichneter Gedanke. St. Mary’s ist eine wundervolle Gemeinde. Sie sind jederzeit willkommen.“

Ryan warf ihr einen dankbaren Blick zu und machte sich dann auf den Weg nach draußen. In der letzten halben Stunde war der Wind noch eisiger geworden. Maggie zitterte vor Kälte, obwohl sie einen warmen Mantel und einen dicken Schal trug.

„Gleich wird Ihnen warm werden“, versprach Ryan und schenkte ihr einen wärmenden Blick. „Wenn die Heizung erst in Gang kommt, bringt sie jeden Eisberg zum Schmelzen.“

„Ich weiß es wirklich zu schätzen, was Sie für mich tun“, wiederholte sie. „Ich weiß, dass ich mich Ihnen aufdränge.“

„Ryan freut sich, Ihnen helfen zu dürfen“, beharrte Pater Francis vom Rücksitz, als sie vor einem roten Sandsteinhaus anhielten, das direkt neben der Kirche stand. „Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Es war sehr nett, Sie kennenzulernen, Maggie O’Brien. St. Mary’s ist genau nebenan, wie Sie sehen können. Scheuen Sie sich nicht, die Kirche zu besichtigen.“

„Vielen Dank für Ihre Hilfe, Pater.“

„Was habe ich denn schon getan? Nichts, was nicht jeder andere Ire auch tun würde, wenn eine Lady in Schwierigkeiten gerät. Ein fröhliches Thanksgiving, Maggie.“

„Gute Nacht, Pater“, erwiderte Ryan mit fester Stimme. Er wartete, bis der Pfarrer langsam die Stufen der Treppe hinaufgestiegen und in seinem Haus verschwunden war. Dann wandte er sich an Maggie. „Es tut mir sehr leid“, sagte er. „In letzter Zeit beschäftigt Pater Francis sich vorzugsweise mit meinem Liebesleben. Er ist wild entschlossen, mich unter die Haube zu bringen und einen Haufen Babys zu meinen Füßen spielen zu sehen. Ich bitte um Entschuldigung, sollte er Sie in Verlegenheit gebracht haben.“

„Es ist doch wundervoll, dass er sich so rührend um Sie kümmert“, meinte Maggie ehrlich. „Offensichtlich bedeuten Sie ihm sehr viel.“

„Und umgekehrt“, gestand Ryan.

„Er hat mir erzählt, dass sie sich schon lange kennen“, fuhr sie fort und hoffte, dass sie ihn mit ihrer Bemerkung dazu brachte, die Geschichte zu erzählen, die der Pater nicht hatte preisgeben wollen.

„Schon sehr lange“, bestätigte Ryan und konzentrierte seinen Blick auf die Straße. Es war glatt geworden, und es schneite ununterbrochen.

Oder versuchte er nur, seine schmerzhafte Vergangenheit vor ihr zu verbergen? Maggie vermutete, dass sie damit ins Schwarze traf, aber sie erinnerte sich rechtzeitig an den Rat des Pfarrers, Ryan nicht zu drängen. Sie war von Natur aus ungeduldig und neugierig, und es fiel ihr schwer, sich zu beherrschen.

Sie schaute aus dem Fenster, als der Wagen plötzlich langsamer wurde und schließlich anhielt.

„Maggie?“

Sie drehte sich zu ihm hin und begegnete seinem Blick. „Ja?“, fragte sie ein wenig zu eifrig. Hatte er sich etwa doch entschlossen, ihr seine Geschichte zu erzählen?

„Eine lange Nacht liegt vor uns, wenn Sie mir nicht verraten wollen, in welche Richtung ich fahren soll“, bemerkte er lachend.

Autor

Sherryl Woods

Über 110 Romane wurden seit 1982 von Sherryl Woods veröffentlicht. Ihre ersten Liebesromane kamen unter den Pseudonymen Alexandra Kirk und Suzanne Sherrill auf den Markt, erst seit 1985 schreibt sie unter ihrem richtigen Namen Sherryl Woods. Neben Liebesromanen gibt es auch zwei Krimiserien über die fiktiven Personen Molly DeWitt sowie...

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