Glut unter dem Eis

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Gütiger Himmel, was ist nur mit ihr los? Als Königin von Monrova hat Jade gelernt, niemals Gefühle zu zeigen! Doch kaum steht sie dem sexy Unternehmer Alvaro Byrne gegenüber, vergisst sie ihre strenge Erziehung. Glutheiße Lust auf diesen Mann mit dem dunklen Haar und dem arroganten Lächeln durchschießt sie! Jade weiß: Er hält sie für ihre Zwillingsschwester, mit der sie für zwei Wochen die Rolle getauscht hat, weil sie ein letztes Mal das freie Leben in New York genießen will. Danach erwartet sie eine Vernunftehe in ihrem Königreich …


  • Erscheinungstag 19.10.2021
  • Bandnummer 2515
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507059
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Da Sie es bisher nicht für nötig gehalten haben, auf Ihre Nachrichten zu antworten, brauchen Sie jetzt auch nicht mehr zurückzukommen.

Jade Monroyale erschauderte, als ihr die strenge Männerstimme erneut in den Ohren klang. In den Kleidern von gestern, die nach der langen Reise längst nicht mehr frisch waren, ging sie über den Bürgersteig in Manhattan und zog dabei ihren kleinen Koffer hinter sich her. Zu dieser frühen Stunde waren schon erstaunlich viele Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Es war so kalt, dass ihre Finger und Zehen taub wurden. Sie hätte zu gern heiß geduscht, aber seit sie vor einer Stunde diese Nachricht gehört hatte, wusste sie, dass sie keine Zeit zu verlieren hatte. Sie musste schleunigst ins Büro und die Dinge ins Reine bringen.

Vergessen Sie’s.

Die Stimme hatte einen Unterton mühsam unterdrückten Ärgers, sie klang autoritär und wenig kompromissbereit. Jade kannte solche Männer gut – ungeduldig, herablassend, arrogant. Aber in den Worten lag auch eine Leidenschaft, die sie stärker alarmierte als die Anschuldigungen.

Mit der U-Bahn zu fahren, war eine neue Erfahrung gewesen. Sie hatte die Fahrkarte ihrer Schwester mehrfach falsch herum durch das Gerät gezogen. Dabei sollte so etwas eigentlich jeder können. Aber als Königin eines kleinen, wohlhabenden europäischen Landes hatte Jade Monroyale bisher nie Bargeld oder Kreditkarten gebraucht. Ihr Vater hatte das für unnötig gehalten. Sie war „besonders“ und hatte eine „wichtige Verpflichtung“. Er hatte mit Argusaugen darüber gewacht, dass sie das niemals vergaß. Aber im Moment war ihre Verpflichtung eine andere. Ihre Zwillingsschwester brauchte ihre Hilfe.

Juno? Hier ist Alvaro Byrne.

Seine Nachricht war als letzte eingegangen. Kollegen und ihre unmittelbare Vorgesetzte hatten schon vorher versucht, sie zu kontaktieren, aber der Geschäftsführer Alvaro Byrne hatte sich erst gerade eben gemeldet.

Juno, kaum zwei Minuten jünger als Jade, hatte mehr als zehn Jahre in New York gelebt. Durch die traumatische Scheidung ihrer Eltern waren die Zwillingsschwestern getrennt worden. Nun war Jade zum ersten Mal in der Lage, Juno zu helfen. Sie würde nicht zulassen, dass Juno ihren Job verlor, nur weil sie die Anrufe nicht hatte entgegennehmen können. Juno ahnte nicht, dass ihr Job in Gefahr war, und Jade war froh darüber. Wenn Jade es richtig anstellte, würde sie es nie erfahren. Sie musste nur dafür sorgen, dass sie Junos Rolle perfekt spielte.

Dieser Zwillingsstreich war verrückt – umso mehr, da sie sich seit zehn Jahren nicht gesehen hatten und wenig übereinander wussten. Aber es war das Risiko wert. Juno brauchte dringend Zeit in Monrova. Und Jade … Jade würde frei sein. Wenigstens für ein paar Wochen.

Weil sie die einzige Erbin war, die ihr Vater anerkannt hatte, waren sie zu Lebzeiten des Königs nie das Risiko eingegangen, zusammen in einen Unfall verwickelt zu werden. Darum war sie nie mit ihrem Vater verreist. Jades Leben hatte enge Grenzen gehabt. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich auf die Rolle vorbereitet, die sie später ausfüllen sollte. Sie hatte Sprachen, Geschichte, Geografie, Politik und Diplomatie studiert, tadellose Manieren erworben und vor allem gelernt, sich immer zu beherrschen. Niemals Angst, Schmerz oder Ärger zu zeigen – denn ihrem Vater zufolge mussten Monarchen in der Öffentlichkeit ungerührt bleiben. Immer und überall.

Das war eine ziemliche Ironie, nachdem die Trennung ihrer Eltern so hässlich und bitter gewesen war, dass Jade und Juno im Alter von acht Jahren voneinander getrennt worden waren. Jade war als Erstgeborene bei ihrem Vater geblieben, um als künftige Königin erzogen zu werden. Juno dagegen war mit ihrer Mutter in die USA geschickt worden. Diese Entscheidung hatte Jade ihren Eltern bis heute nicht verziehen. Man hatte ihr verboten, ihre Mutter zu sehen. Und ihr autoritärer Vater hatte den liberaleren Erziehungsstil ihrer Mutter missbilligt, genau wie den Ungehorsam, den Juno furchtlos unter Beweis gestellt hatte, wenn sie in den Ferien zu kurzen Besuchen gekommen war. In dem Sommer, als sie sechzehn geworden waren, war Juno vor der Strenge ihres Vaters geflohen und seitdem nie wieder in Monrova gewesen.

Ich verlange von meinen Angestellten, dass sie im Team arbeiten und sich kollegial verhalten.

Alvaro Byrnes harsche Worte ließen Jade abrupt stehen bleiben. Juno hatte schon genug unter der Unnachgiebigkeit eines Mannes gelitten. Jade würde nicht zulassen, dass das wieder passierte. Schon gar nicht wegen etwas so Banalem. Niemand war so loyal wie Juno, aber dieser Mistkerl hatte ihr nicht einmal die Chance gegeben, sich zu erklären.

In der Vergangenheit war es Jades einziger Akt der Rebellion gewesen, weiterhin Kontakt zu Juno zu halten, obwohl ihr Vater das nicht gewollt hatte. Einen Monat vor ihrem achtzehnten Geburtstag war ihre Mutter gestorben und hatte Juno ganz allein zurückgelassen. Man hatte Jade verboten, zur Beerdigung zu fahren. Juno wiederum hatte deutlich gemacht, dass sie nicht zurück nach Monrova wollte. Jade hatte gelernt, die Internetsperren zu umgehen, die sie davon abgehalten hatten, ihrer Schwester in den sozialen Netzwerken zu folgen. Die beiden Schwestern hatten über Videoanrufe telefoniert, wann immer es möglich war. Juno hatte sie mit den Geschichten unterhalten, die über die „Rebel Princess“ in New York umgingen.

Aber selbst, als ihr Vater vor einem Jahr gestorben war, war Juno nicht zurückgekommen. Und obwohl das wehtat, hatte Jade verstanden, dass manche Dinge einfach zu schmerzhaft waren, um sie zu vergessen … oder zumindest dauerte es sehr lange. Junos Überraschungsbesuch in Monrova am Wochenende war wunderbar gewesen. Und ihr Vorschlag, drei Wochen die Rollen zu tauschen?

Das war verrückt. Aber Juno brauchte Zeit in ihrer Heimat – Zeit, um ihr Erbe und das Leben, das man ihr verwehrt hatte, kennenzulernen.

Auf Jades Seite war es auch ein bisschen egoistisch. Ein bisschen Zeit für sich zu haben und wie ein „normaler“ Mensch zu leben. Ein paar Freiheiten zu genießen, die nur eine Stadt wie New York zu bieten hatte, ganz besonders zu Weihnachten. Die Chance, für eine kurze Zeit ein anderes Leben zu führen, war beinahe unwiderstehlich.

Warum haben Sie alle Anrufe einfach ignoriert?

Der Vorwurf in Alvaro Byrnes Stimme hatte Jade getroffen. Anscheinend hieß „normales“ Leben, dass sie sich erst einmal mit Junos wütendem Chef auseinandersetzen musste. Sie war entschlossen, die Situation zu entschärfen. Pflichtgefühl und Verantwortung bedeuteten ihr alles, und im Moment war sie für Junos Ruf verantwortlich.

Bei ihrer Rückkehr lag eine noch größere Herausforderung vor Jade. Sie würde alles für ihr Land tun – selbst einen Mann heiraten, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte. Seit seinem Tod hatten ihre Berater darauf beharrt, diese Ehe sei immer noch die beste Option für ihr Land und für sie selbst. Wenn das so war, würde sie es natürlich tun. Aber Juno war schockiert gewesen, dass Jade überhaupt in Erwägung zog, König Leonardo von Severene zu heiraten – den Monarchen des Nachbarlands. Sie wollte ihrer Schwester die Gelegenheit geben, alles in Ruhe zu durchdenken. Die Beharrlichkeit und der Enthusiasmus ihrer Zwillingsschwester hatten Jade schließlich überzeugt, sich auf den Rollentausch einzulassen.

Juno hatte auch gesagt, dass Jade nicht zur Arbeit gehen müsste, sondern in der Woche, bevor das Büro in der Weihnachtszeit schloss, von zu Hause aus arbeiten konnte. Als Jade am Flughafen in New York gelandet war und Junos Telefon angestellt hatte, hatte es allerdings unablässig gepiepst. Und die letzte Sprachnachricht – vom Geschäftsführer persönlich – setzte Jade unter Zugzwang.

Hier ist Alvaro Byrne.

Er war der Geschäftsführer eines Firmenkonglomerats, das mit einer Reihe populärer Apps gestartet war, expandiert hatte und inzwischen auch im Immobilien- und Finanzhandel aktiv war. Juno arbeitete in der PR-Abteilung und betrieb Marketing über die sozialen Netzwerke – besonders für die ursprüngliche Fitness-App, Byrne IT. Sie hatte beiläufig erwähnt, dass es Probleme gegeben habe. Aber nachdem Jade die Nachrichten abgehört hatte, wusste sie, dass es schlimmer war, als Juno geahnt hatte.

Auf der Fahrt vom Flughafen hatte sie versucht, mehr über das Büro und ihre Kollegen in Erfahrung zu bringen, aber kaum Informationen gefunden. Also hatte sie den zunehmend dringlichen Sprachnachrichten zugehört und sich die Namen aller Anrufer eingeprägt. Dann hatte sie ihr Haar zu einem Knoten aufgesteckt, um zu verbergen, dass es länger und glatter war als Junos. Ihre schlichte schwarze Hose und das weiße Hemd gingen hoffentlich als ordentliche Arbeitskleidung durch. Wenn es ihr gelang, die ganze Angelegenheit schnell zu bereinigen, konnte sie weg sein, bevor die anderen zur Arbeit kamen.

Am Byrne HQ, dem Firmenhauptsitz in Tribec, starrte sie durch die Glasfenster in die hell erleuchtete Vorhalle des umfunktionierten Industriegebäudes und durchwühlte Junos Taschen, um die Karte zu finden. Zu ihrer Erleichterung klickte das Schloss, als sie sie durch den Scanner zog. Also hatte Juno noch Zutritt zum Gebäude.

Sie las die Schilder und wagte sich tiefer in den Irrgarten. Ihr blieb keine Wahl, sie musste die Sache in Ordnung bringen, damit alles gut war, wenn Juno zurückkehrte. Der Job war ihrer Schwester wichtig. Sie hatte einen normalen Job und ein bisschen Anonymität gewollt – abseits ihres Daseins als „Rebel Princess“.

Die zwei Minuten, die die Zwillingsschwestern trennten, waren Schicksal. Jade hasste es bis heute, dass Juno förmlich aus Monrova verbannt worden war. Zwar war die Entscheidung ihres Vaters das Resultat einer tiefen Verletztheit gewesen, aber das machte es nicht besser. Und Jade hatte zu viel Angst gehabt, um sich ihrem Vater zu widersetzen. Zu viel Angst, er würde sie zurückweisen, wenn sie ihm wehtat oder ihn im Stich ließ wie ihre Mutter. Jahrelang hatte sie versucht, die perfekte Tochter zu sein. Die perfekte Prinzessin. Jetzt hatte sie die Chance, sich als Schwester zu beweisen.

Jade nahm den Fahrstuhl in den sechsten Stock, dankbar, dass alles beschildert war. Sie kam in einen großen, offenen Raum mit mehreren Gruppen von Schreibtischen, einer Sitzecke und einzelnen, mit Glaswänden abgetrennten Büros. Woher sollte sie wissen, welches Junos Schreibtisch war? Jade blieb stehen und schaute sich um. Dann entdeckte sie einen riesigen, pinken Kaffeebecher, auf dem „Princess“ stand. Jade lächelte. Das war typisch für Juno, der es nicht an Selbstbewusstsein mangelte. Sie rollte ihren Koffer zum Schreibtisch, zog den Mantel aus, hängte ihn über den Stuhl und stellte den Computer an. Sie musste nur online gehen und ein paar Nachrichten und E-Mails schreiben, dann konnte sie wieder verschwinden.

„Was glauben Sie eigentlich, was Sie hier tun?“

Jade zuckte zusammen, als hinter ihr die mittlerweile vertraute Stimme erklang. Sie schwang auf dem Stuhl herum, holte tief Atem – und erstickte beinahe.

„Oh!“ Sie schluckte.

Das Erste, was sie bemerkte? Haut. Das Zweite? Muskeln. Das Dritte? Wut. Sein ganzer Körper bebte vor Zorn. Und das alles aus nächster Nähe, während er über ihr aufragte.

Unerwartet fühlte sich Jade, als würde sie von innen verbrennen. Pure sexuelle Energie durchflutete sie.

Der Mann vor ihr war glänzend und heiß – wortwörtlich. Sie konnte geradezu den Dampf von seinem Körper aufsteigen sehen. Warum war sein Oberkörper nackt? Verspätet löste sie den Blick von seiner Brust und schaute hoch, an seinen breiten Schultern vorbei zu seinem scharf geschnittenen Kiefer, dem grimmig zusammengepressten Mund und dem lodernden Ärger in seinen bernsteinfarbenen Augen.

„Juno, richtig?“, fragte er. „Sie müssen gehen.“

Das hier war wahrlich nicht der richtige Ort für so viel nackte Haut. Nur deshalb reagierte sie so unangemessen. Sie war nicht an halbnackte Männer gewöhnt. Weder im Büro noch anderswo.

„Sie sind …“ Jade schluckte. Ihr Hals war trocken.

„Immer noch nicht sicher, was Sie hier wollen“, schnappte er.

Ich könnte das Gleiche über ihn sagen, oder? Es war noch sehr früh, und er war halbnackt, in einer engen schwarzen Turnhose und Turnschuhen.

Alvaro Byrne.

Groß, dunkel, wild. Sein Haar war ein klein wenig zu lang, und gerade strich er es sich ungeduldig mit einer Hand aus der Stirn.

„Warum sind Sie hier?“, fragte er. „Haben Sie meine Nachricht nicht bekommen?“

„Ich …“

„Gehen Sie. Jetzt.“

Ernsthaft? Er wollte ihr nicht einmal zuhören? „Nein, ich bin hier, um …“

„Warum bewegen Sie sich nicht?“

„Warum hören Sie mir nicht zu?“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. Das betonte seinen Bizeps nur noch mehr.

Jade, die gelernt hatte, in der Öffentlichkeit in jeder Situation die Kontrolle zu behalten, war komplett abgelenkt. Zum ersten Mal in ihrem Leben schaltete ihr Verstand ab, und ihr fehlten die Worte.

„Sie …“ Das war nicht gut. Sie holte tief Atem und setzte neu an. „Sie müssen mir eine Chance geben.“

„Sie hatten Ihre Chance. Die letzten achtundvierzig Stunden haben Sie auf keine Nachricht und keinen Anruf reagiert. Und jetzt kommen Sie hier herein und tun so …“

Jade verspannte sich. Hatte sie sich etwa bereits verraten?

„Als wäre nichts gewesen“, beendete er den Satz.

Eine Welle der Erleichterung durchflutete sie. Er hatte nicht sofort gemerkt, dass sie nicht Juno war.

„Achtundvierzig Stunden, Juno“, wiederholte er. „Warum sind Sie nicht ans Telefon gegangen?“

Es war das Beste, ehrlich zu antworten. So ehrlich, wie sie konnte. „Ich hatte keinen Empfang.“

„Das ist Ihre Entschuldigung?“ Er starrte sie ungläubig an. „Vielleicht hätten Sie dann bleiben sollen, wo Sie waren.“

„Jetzt bin ich hier.“

„Warum?“

„Was denken Sie?“

„Was können Sie jetzt noch tun, um die Sache besser zu machen?“

Jade hatte keine Ahnung. Noch nie zuvor war ihr jemand mit solcher Feindseligkeit begegnet.

Er runzelte die Stirn. „Es ist zu spät.“

Sie war müde vom Flug. Gestresst von der Anstrengung, zu lügen. Das hier war eine schlechte Idee gewesen. Das kleine Problem, das Juno erwähnt hatte, hatte sich anscheinend zu einer Katastrophe ausgewachsen. Aber dieser … dieser Mensch konnte doch nicht so unvernünftig sein. Und ihr Gehirn musste schleunigst wieder hochfahren. „Ich konnte nicht …“

„Ich gehe duschen und ziehe mir etwas an“, unterbrach er sie. „Wenn ich zurückkomme, sind Sie weg.“ Damit wandte er sich ab und ging, bevor sie auch nur blinzeln konnte.

Mit offenem Mund starrte Jade ihm hinterher. Glaubte er wirklich, er könne sie einfach so feuern? Dabei hatte er ihr noch nicht einmal eine Chance gegeben, alles zu erklären oder eine Lösung zu finden. Sie war noch nie einem so unvernünftigen Menschen begegnet.

Sie hatte sich übernommen, war dumm und impulsiv gewesen. Aber es ging um Juno, und sie wollte dafür sorgen, dass ihre Schwester ihren Job behielt.

Sie würde nicht aufgeben.

Alvaro ging durch das Büro zum Bad und stellte die Dusche auf kalt. Ein verzweifelter Versuch, die Kontrolle über seinen Körper wiederzugewinnen.

Diese Frau war hier hereinmarschiert – mit ihrem Rollkoffer im Schlepptau – und hatte sich verstohlen umgesehen. Er hatte sein Training fünf Minuten früher beendet und sie von seinem Büro aus beobachtet. Hatte sie lächeln sehen, als sie zu ihrem Schreibtisch gegangen war. Ein Lächeln purer Freude. Was fand sie so erheiternd?

Aber noch weitaus schlimmer war die intensive Hitze, die ihn bei ihrem Anblick durchflutet hatte. Es war der Ärger!

Leider nicht nur.

Dass sein Körper dermaßen auf sie reagierte, machte ihn nur noch wütender. Auf keinen Fall wollte er sich körperlich zu Juno Monroyale hingezogen fühlen. Er kannte sie kaum. Vor ein paar Wochen hatte seine Marketingmanagerin ihm vorgeschlagen, sie einzustellen. Da war Alvaro außer Landes gewesen, um einen wichtigen Deal abzuschließen, und auch seit seiner Rückkehr hatte er nicht viel Zeit im Büro verbracht.

Unglücklicherweise war die Prinzessin überaus attraktiv. Strahlende grüne Augen, zu einem Knoten aufgestecktes braunes Haar, das ihre Wangenknochen und die vollen Lippen betonte. Lippen, die er zu gern geküsst hätte.

Das war erschreckend. Noch nie hatte ihn so plötzlich pure, intensive Begierde ergriffen. Sie war eine Angestellte. Schlimmer noch, eine Angestellte, die einen elementaren Fehler begangen hatte.

Je schneller sie ging, desto besser.

Wütend starrte er die Wand der Dusche an, als könnte er Laserstrahlen aus den Augen schießen und damit die Frau treffen, die hoffentlich gerade ihren Koffer aus dem Büro rollte.

Er hoffte, dass sie es tat – in ihren Schuhen mit den hohen Absätzen, die in den verschneiten Straßen New Yorks absolut fehl am Platz waren. Das sagte doch alles, oder? Sie war nicht lebensfähig. Eine waschechte Prinzessin, die ihre Fehler nicht zugeben konnte. Sie hatte ihre Kollegen im Stich gelassen – wahrscheinlich in dem Glauben, dass jemand anderes für sie einspringen würde.

Alvaro wusste sehr gut, wie das funktionierte. Er kannte genügend Leute, die keine Verantwortung für ihre eigenen Fehler übernahmen. Seine „Familie“ war das perfekte Beispiel dafür.

Mitgefühl mit Ihrer königlichen Hoheit musste er nun wirklich nicht haben. Und ihm blieb wenig Zeit, die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Aber das würde er tun, denn es war sein Unternehmen, in das er Zeit und Mühe investiert hatte. Der wachsende Erfolg brachte es mit sich, dass er sich immer häufiger auf sein Team verlassen musste, aber im Grunde seines Herzens blieb er am liebsten unabhängig. Nur ungern bat er andere um Hilfe – und erwartete sie auch nicht von anderen, es sei denn, für sein Gegenüber sprang dabei etwas heraus.

Die Prinzessin hatte keine Ahnung vom Preis seines Erfolgs. Ob das an ihrem Status oder an bloßer Unachtsamkeit lag, war egal. Er wollte sie hier nicht haben.

Um ehrlich zu sein, ging es gar nicht so sehr um ihren Fehler – das unglückliche Posting –, sondern um das verlorene Vertrauen. Zumal er gerade mitten in den Verhandlungen für eine Übernahme steckte. Schlechte Publicity konnte er nicht brauchen.

Er stieg aus der Dusche, zog sich an und ging zurück ins Büro, um sicherzugehen, dass sie seine Anweisungen befolgt hatte und gegangen war.

Das war sie nicht.

Vor ihrem Schreibtisch blieb er stehen. Dort saß sie, den Blick auf den Bildschirm gerichtet.

„Warum sind Sie immer noch da?“

Sie hörte nicht auf zu tippen. „Weil ich einen Fehler korrigieren muss.“

„Der einzige Fehler ist, dass Sie noch nicht gegangen sind“, schnaubte er.

„Dann rufen Sie doch den Sicherheitsdienst. Ich gehe nicht.“ Sie schwang auf ihrem Stuhl herum und funkelte ihn wütend an.

Ach, wirklich? Angesichts ihres Widerstands flutete Adrenalin durch seinen Körper. „Ich brauche keine Sicherheitsleute, um Sie aus diesem Gebäude zu befördern. Ich kann Sie mit einer Hand hochheben.“

„Versuchen Sie es doch“, fauchte sie zurück.

Jade verlor nie die Beherrschung. Nie. Und doch hatte sie genau das gerade getan. Ihre Blicke trafen sich. Selten hatte sie sich so klein gefühlt wie auf diesem Stuhl, und selten hatte sie eine derartige Anspannung erfüllt.

„Das würde Ihnen gefallen, was?“, murmelte er.

„Ich gehe nicht, jedenfalls nicht freiwillig.“ Jade tat verächtlich, aber gleichzeitig erfasste sie eine Welle aus Verlangen. Sie wollte, dass er sie um die Taille fasste, auf die Füße zog und an sich presste, an seinen harten, muskulösen Körper. Wollte es mit einer Wildheit, dass sie ihm in die Augen sah und sich einen Moment lang einbildete, er wollte es auch.

Ihr Herz pochte wie wild, als sie sich stumm anschauten. In seiner schwarzen Anzughose und dem frischen weißen Hemd sah er noch gefährlicher und stärker aus als vorher. Aber Jade weigerte sich nachzugeben. Dabei hielt sie unwillkürlich den Atem an.

Er starrte sie noch immer an. Seine Augen waren warm – von einem honigfarbenen Bernsteinton. Seine Pupillen weiteten sich, während er sie ansah. Sie wollte darin ertrinken.

„Lassen Sie mich wenigstens versuchen, die Sache in Ordnung zu bringen“, sagte sie schließlich heiser.

„Um dabei alles noch schlimmer zu machen?“

„Warum trauen Sie mir nicht zu, den Job zu erledigen, für den Sie mich eingestellt haben?“

„Sie haben schon bewiesen, dass Sie ihn nicht erledigen können.“

„Ein einziger Fehler ist das Todesurteil? Geben Sie Menschen keine zweite Chance? Das hier war kein Kapitalverbrechen, Alvaro. Es war nicht einmal illegal.“

Es war ein unbedeutender Fehler, und er reagierte vollkommen über.

„Es war ein Verstoß gegen den Datenschutz“, behauptete er.

„War es nicht“, widersprach sie mit fester Stimme. „In den Nutzungsbedingungen der App steht ausdrücklich, dass wir das Recht haben, die Daten zu veröffentlichen.“

Er kniff die Augen zusammen.

Ja, sie hatte die Fahrt in der U-Bahn dafür genutzt, alles nachzulesen. Und sie war gut darin, langweilige Verträge und Gesetzestexte zu verstehen.

„Es war nicht ideal, und die Klausel ist sicher verbesserungswürdig“, fuhr Jade fort. „Aber es war nicht illegal. Sie können die Nutzungsbedingungen ändern, um besser auf die Bedürfnisse Ihrer Kunden einzugehen.“

„Also wollen Sie keinen Fehler eingestehen?“, knurrte er.

„Ganz im Gegenteil.“ Sie richtete sich kerzengerade auf, auch wenn das sinnlos war, weil er immer noch deutlich größer war als sie. „Ich werde die volle Verantwortung übernehmen. Es war mein Fehler, und ich werde mich entschuldigen.“

Juno hatte auf einer ihrer Social-Media-Seiten eine falsche Grafik gepostet. Version eins, in der noch die Nutzerdaten standen, statt Version zwei, die anonymisiert war. Ein simpler Fehler, aber einige Benutzer hatten es bemerkt und dagegen protestiert. Dass nicht sofort eine offizielle Antwort gekommen war, hatte das Feuer zusätzlich geschürt und zu einer Onlinediskussion über das Recht auf Datenschutz geführt.

„Okay. Sie haben sich entschuldigt. Gehen Sie jetzt.“

„Nein.“ Sie wandte sich wieder dem Bildschirm zu.

„Was tun Sie?“

Sie hob den Blick nicht vom Bildschirm. „Ich habe doch gesagt, ich werde mich entschuldigen.“

„Das haben Sie gerade.“

„Nicht bei Ihnen.“

Alvaro stutzte. „Sie schicken eine Nachricht an das Team?“

„Das habe ich schon. Es tut mir wirklich leid, dass ich am Wochenende nicht erreichbar war, aber jetzt bin ich zurück. Und jetzt antworte ich auf die Beschwerden.“

„Wie bitte?“

„Jeder macht Fehler“, erklärte sie hitzig. „Und die meisten Menschen verdienen eine zweite Chance, richtig? Jedenfalls normalerweise.“ Sie warf ihm einen bezeichnenden Blick zu.

„Sie denken, mit einer Entschuldigung ist alles gut?“

„Ein Eingeständnis kann viel bewirken.“ Sie nickte.

„Geld auch“, fügte er zynisch hinzu.

„Dann erstatte ich den Betroffenen die Gebühren für einen Monat zurück. Sie können es von meinem Gehalt abziehen.“ Jade schluckte. Sie würde dafür finanziell geradestehen und Juno das Geld später überweisen. Die Gehaltseinbuße war es wert, wenn es half, ihrem wütenden Gegenüber ihren Wert zu beweisen.

„Sie sind bereit, selbst einzuspringen?“, fragte er überrascht.

Sie schaute direkt in seine wunderschönen Augen. „Ich werde tun, was immer nötig ist.“

„Angehörige von Adelshäusern sind nicht gerade bekannt dafür, Fehler einzugestehen“, bemerkte er beißend.

Ach so, er hatte etwas gegen Erbadel und nicht gegen Juno im Besonderen? „Halten Sie uns alle für verwöhnt und anspruchsvoll?“

„Ich denke …“ Er hielt inne. Seine Worte waren leise, aber gefährlich. „Ich denke, Sie müssen sich beweisen, Prinzessin.“

Sie schaute ihn noch einen Moment lang an. „Also gut“, erwiderte sie und entschied sich zu bluffen. „Kein Problem.“

2. KAPITEL

Kein Problem, hatte sie gesagt.

Und das Schlimme war, sie hatte recht. Drei Stunden später betrachtete Alvaro die Prinzessin durch die Glaswände seines Büros. Sie wirkte blass und kam ihm dünner vor – aber bisher hatte er auch nicht sonderlich auf sie geachtet.

Es war kein Verstoß gegen den Datenschutz oder ihre Nutzungsbedingungen, hatte Juno gesagt und damit recht behalten. Aber vielleicht war ihr Vorschlag, die Bestimmungen zu überarbeiten, eine Überlegung wert.

Alvaro sah zu, wie ihre Nachrichten online erschienen. Sie antwortete auf jeden Kommentar und unterzeichnete stets mit „PJ“. Prinzessin Juno.

Es tut mir wirklich leid. Das war mein Fehler und hätte natürlich nicht passieren dürfen. Es sollte deine Entscheidung sein, mit wem du deine Daten teilen möchtest.

Zu seinem Erstaunen zeichnete sich die Veränderung vor seinen Augen ab. Kommentare erschienen – dann weitere Antworten als Reaktion auf ihre Worte. Jetzt schrieben ihr Leute, es sei keine große Sache gewesen. Alles in Ordnung.

Jedem unterläuft einmal ein Fehler, aber meiner hatte unmittelbare Auswirkungen auf dich. Danke, dass du meine Entschuldigung annimmst.

Sie schrieb einem weiteren betroffenen Kunden. Er schrieb prompt zurück, fragte, was ihre bevorzugte Trainingsmethode sei, und plauderte mit ihr wie mit einer alten Freundin.

Alvaro schaute auf, um Juno zu beobachten. Während sie tippte, lag die Andeutung eines Lächelns auf ihrem Gesicht. Er hatte seine Zweifel gehabt, ob es klug war, sie einzustellen, und vermutet, dass sein Personalbüro nur aus ihrem Prinzessinnen-Status Kapital schlagen wollte. Und dass auch Juno den Job nur für Geld machte. Vorher war sie so etwas Ähnliches wie eine Influencerin gewesen. Er hatte angenommen, sie hätte nur Produkte angepriesen, um Geld zu verdienen.

Aber vielleicht hatte er ihr damit unrecht getan, denn sie war ganz offensichtlich engagiert bei der Sache und schien den Austausch zu genießen. Sie arbeitete schnell, mit zwei Bildschirmen, auf denen sie unterschiedliche Seiten geöffnet hatte, um Kommentare so schnell wie möglich zu beantworten. Aber die Kommentare türmten sich. Bei einem von ihnen zuckte Alvaro instinktiv zusammen. Das war eine Beschimpfung – und eine widerliche noch dazu.

Er erhob sich, aber bevor er reagieren konnte, hatte Juno schon eine höfliche, aber deutliche Antwort gepostet. Jetzt wurde ihre Antwort mit Herzchen belohnt, und der ursprüngliche Kommentar ging in einer Flut von Sympathiebekundungen für die Prinzessin unter.

Alvaro ließ Junos Vorgesetzte Sophy und Juno in sein Büro kommen.

„Sophy, können Sie Juno helfen, die Kommentarspalte zu moderieren?“, fragte er kurz angebunden, als beide in der Tür erschienen. „Einiges davon sollte sie nicht zu sehen bekommen.“

Autor

Natalie Anderson
Natalie Anderson nahm die endgültigen Korrekturen ihres ersten Buches ans Bett gefesselt im Krankenhaus vor. Direkt nach einem Notfall-Kaiserschnitt, bei dem gesunde Zwillinge das Licht der Welt erblickten, brachte ihr ihr Ehemann die E-Mail von ihrem Redakteur. Dem Verleger gefielen ihre früheren Korrekturen und da es gerade einen Mangel an...
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