Hals über Kopf

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Als Lucy sich Hals über Kopf in eine stürmische Affäre mit Woody Pembrooke stürzt, glaubt sie, dass es nur um Sex geht. Sie wagt nicht, an eine feste Bindung zu denken, denn mit Männern hatte sie bisher nicht viel Glück. Doch Woodys hinreißende Liebe reißt Stück für Stück die Mauer ein, die Lucy um ihr Herz gebaut hat …


  • Erscheinungstag 18.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758257
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Willkommen zu Hause, Lucy Caldwell.

Na ja, ihr Zuhause war es eigentlich nicht, oder doch nur vorübergehend. Lucy hielt ihren Minibus an und sah zu dem fremden Haus hinüber. Mit seiner rustikalen Mischung aus Balken und Stein und den vielen Ecken und Winkeln war es ein sehr sympathisches Haus, fand sie. Und es war schön, keine Frage. Aber es war nicht ihr Haus. Es war nur eine Übergangslösung.

„Mom, steig endlich aus.“

Lucy schreckte auf und lächelte ihren achtjährigen Sohn an. „Entschuldige. Ich habe ein bisschen geträumt. Also, dann komm. Mal sehen, was uns hier erwartet.“

Sie öffnete ihre Tür und stieg aus. Cain rutschte über die Sitzbank und folgte ihr.

„Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass du eine eigene Tür hast?“, erinnerte Lucy ihn zum bestimmt hundertsten Mal.

Cain trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Ich muss mal.“

Lucy strich ihm eine braune Locke aus der Stirn. „Ja, ich weiß. Fünf Minuten wirst du es doch wohl noch aushalten.“

„Aber ich muss jetzt gleich!“, quengelte Cain.

An seinem Herumzappeln merkte Lucy, dass es wirklich höchste Zeit war. „Es hilft nichts. Wir müssen erst ins Haus.“ Sie ließ ihre Sachen im Wagen, nahm Cain an der Hand und zog ihn hinter sich her zur Tür.

Es wird ein wunderbarer Sommer werden, redete sie sich ein, um sich Mut zu machen. Schließlich hatte sie alles ganz genau durchdacht und geplant. Es war die ideale Lösung.

Sie klingelte und wartete. Nichts rührte sich. Sie klingelte noch einmal. Und ein drittes Mal. Offenbar war niemand zu Hause.

„Mom, ich muss aber ganz nötig.“ Verzweiflung klang aus Cains Stimme.

Ein Unheil drohte. Bei all ihrem Pläneschmieden hatte sie übersehen, dass kleine Jungen manchmal ganz dringend „mussten“ und nicht konnten, weil niemand ihnen die Tür aufmachte.

„Warum bist du denn nicht bei Tante Hannah aufs Klo gegangen?“

„Da musste ich ja noch nicht.“

Vielleicht verstanden andere Leute ja die komplizierten Mechanismen einer Jungenblase, ihr würden sie für immer ein Geheimnis bleiben.

Lucy drückte Cains Hand, öffnete das Fliegengitter und klopfte. Vielleicht war die Klingel kaputt.

„Mom!“ Cain wand sich neben ihr.

Sie hämmerte an die Tür. „Ich kann dir auch nicht helfen! Was soll ich denn tun, wenn niemand da ist?“

Cain hüpfte hektisch auf und ab. Er war hochrot im Gesicht. Zu Hannah konnten sie nicht mehr zurückfahren, soviel war sicher. Da half nur eines.

„Geh hinter den großen Busch da drüben. Da sieht dich keiner.“

„Ich darf echt in den Busch pinkeln? Cool.“ Damit raste Cain los.

Lucy warf die Gittertür zu. Na, wunderbar. Das bedeutete eindeutig einen Rückschlag für ihre Erziehung.

Als sie sich entschlossen hatte, hierher zu kommen, hatte sie es noch für eine geniale Idee gehalten, für eine Chance, noch einmal ein neues Leben anzufangen. Und jetzt war dieses neue Leben auf einen Minibus reduziert, und ihr Kind pinkelte in einem fremden Garten an einen Busch. Es war fast acht Uhr abends, und in Woodrow Pembrookes Haus herrschte Friedhofsstille.

„Mom!“, rief Cain. „Ich bin fertig.“

„Großartig“, lobte Lucy ihn mit einem Lächeln. „Komm, wir fahren zu Tante Hannah zurück.“

„Aber ich dachte, wir wohnen jetzt hier.“

„Nachdem im Moment niemand zu Hause zu sein scheint, ist das nicht möglich. Also übernachten wir bei Tante Hannah.“ Lucy nahm Cains Hand. „Oder willst du die ganze Nacht hier stehen bleiben?“

„Ich will aber nicht zurückfahren! Du hast gesagt, dass wir hier bleiben! Und ich will …“

Cain unterbrach sich, als er den Caravan entdeckte, der in die Auffahrt einbog und hinter Lucys Wagen anhielt. Lucy folgte seinem Blick. „Ach du Schande.“

Aus dem Caravan drang ohrenbetäubender Lärm. Aber er kam nicht vom Motor oder einem anderen Teil des Wagens, sondern von dessen Besatzung. Das Geschrei, wäre es aus einem Gerät gekommen, hätte jeden Lautsprecher gesprengt. Offensichtlich hielt sich eine ganze Armee von Kindern in dem Caravan auf. Laute, wilde, tobende Kinder. Aber nicht sie waren es, die Lucy die Sprache verschlugen, sondern der Mann, der dem Wagen entstieg.

„Der ist aber groß.“ Cain war sichtlich beeindruckt.

Der Mann war aber nicht nur groß, sondern zugleich kräftig und muskulös, wenn auch schlank. Mit dem struppigen Bart und dem dunklen wirren Haar erinnerte er stark an einen gemütlichen Bären.

Eine düstere Vorahnung ergriff Lucy. Dieser Mann konnte gefährlich werden, das spürte sie.

„Miss Caldwell?“, fragte er mit einer aufregend dunklen und rauen Stimme, die das Bärenhafte seiner Erscheinung noch unterstrich. Wenn Bären sprechen könnten, würden sie bestimmt klingen wie dieser Mann.

„Einfach nur Lucy, Mr. Pembrooke“, verbesserte sie ihn und konnte nur hoffen, dass er ihr die Nervosität nicht anhörte. „Die Förmlichkeiten habe ich hinter mir gelassen. Deshalb einfach nur Lucy.“

Hier gab es keine Miss Caldwell, stellvertretende Leiterin der Marketingabteilung von Sky International. Es gab nur noch die gute alte Lucy, zukünftige Dompteurin einer Horde von angeblichen Ungeheuern. Sie betrachtete die vier Kinder, die aus dem Wagen purzelten und hinter ihrem Vater Aufstellung nahmen.

„Diese Förmlichkeiten, die Sie gerade hinter sich gelassen haben, haben für mich nie eine Rolle gespielt“, gab Woodrow Pembrooke zurück. „Ich bin einfach nur Woody.“

Lucy studierte die Kinder. Die beiden größeren Jungen waren so dunkel wie ihr Vater. Das Mädchen hatte helleres, sandfarbenes Haar, in das die Sommersonne helle Strähnen gebleicht hatte. Hannah hatte ihr erzählt, dass sie Lynda zunächst auch für einen Jungen gehalten hatte, aber trotz der kurzen Haare hätte sie selbst sich nicht täuschen lassen. Dieses kleine Mädchen mit dem Aussehen eines Lausbuben würde einmal eine Schönheit werden! Der Kleinste der Truppe hatte Lyndas Haarfarbe.

Lucy bekam verspätet mit, dass Woody mit ihr sprach. „Entschuldigen Sie, dass wir nicht da waren, um Sie gebührend zu empfangen. Wir hatten uns wirklich vorgenommen, ganz pünktlich zu sein, aber Robbie hatte offenbar etwas dagegen.“

„Ach?“

„Ja. Er hielt sich plötzlich für Evel Knievel. Sie kennen ihn vielleicht, das ist dieser Verrückte, der mit seinem Motorrad über Autos springt. Allerdings hatte Robbie zum Glück kein Motorrad, sondern nur sein Fahrrad.“

Lucy fiel jetzt erst auf, dass der zweite Junge einen eingebundenen Arm hatte. Aha. Eine Ahnung davon, was da offensichtlich passiert war, machte sich in ihr breit. „Und worüber ist er damit gesprungen? Hoffentlich nicht auch über Autos?“

„Nein, nur über seine Geschwister. Dummerweise streckte Shane den Arm heraus. Das wäre an sich noch nicht so schlimm gewesen, wenn Robbie die Rampe für den Absprung nicht verfehlt hätte.“

„Es wäre überhaupt nichts passiert, wenn dieser Blödian seine Arme auf die Brust gelegt hätte, wie ich es ihm aufgetragen habe. Aber er passt ja grundsätzlich nicht auf, wenn ich ihm etwas sage!“, erklärte Robbie erzürnt.

„Ich glaube, du hältst jetzt lieber den Mund“, empfahl Woody seinem ältesten Sohn und warf ihm einen Blick zu, der sogar Lucy einschüchterte.

Nur Robbie war nicht beeindruckt. „Es klingt alles viel schlimmer, wenn du es erzählst“, beschuldigte er seinen Vater. Dann sah er Lucy an. „Außerdem habe ich dafür gesorgt, dass die drei einen Helm aufsetzen. Ich natürlich auch.“

„Aha.“ Lucy wusste nicht recht, was sie dazu sagen sollte. „Gut.“

„Siehst du?“, triumphierte Robbie. „Sie versteht mich.“

Woody seufzte. „Vielleicht gehen wir erst einmal rein.“

Seine Sprösslinge rannten schon einmal voraus und zogen die Tür auf – ohne vorher aufzusperren.

„He, Kleiner“, rief Robbie Cain zu. „Komm schon.“

Cain setzte sich zögernd in Bewegung, nachdem er sich vergewissert hatte, dass seine Mutter nichts dagegen hatte.

Lucy nickte ihm aufmunternd zu und wünschte sich gleichzeitig, jemand würde auch ihr ein bisschen Mut machen. Sie sah zu Woody Pembrooke auf. So übermächtig er durch sein Äußeres auch wirkte, seine tiefe Stimme hatte eher etwas Beruhigendes. „Ich hatte vorsichtshalber die Tür für Sie offen gelassen, damit Sie nicht auf der Straße stehen, falls wir uns verspäten.“

Woodys Stimme war ausgesprochen angenehm, auch wenn sie wahrscheinlich sehr unheilvoll klingen konnte, wenn er wollte.

Wie er wohl ohne diesen Bart aussehen würde? Vermutlich ziemlich gut, denn er hatte ausgeprägte Züge und schöne Augen. Nicht dass es wichtig wäre. Schließlich war sie nicht auf der Suche nach einem Mann und hatte alles andere als Lust auf eine Beziehung. Sie hatte einen Sohn und musste sich Gedanken über ihre Zukunft machen, da blieb keine Zeit für etwas anderes.

Aber trotzdem konnte sie schließlich anerkennen, dass der Mann eine gewisse Anziehungskraft besaß.

„Sie hätten ruhig schon mal ins Haus gehen können“, meinte er jetzt.

Lucy zwang sich, ihre Gedanken von seinen körperlichen Vorzügen zu lösen. „Das wäre mir nie eingefallen. Wir wollten gerade zu Hannah zurückfahren.“

„Lucy, betrachten Sie dieses Haus als Ihres, solange Sie hier bei uns sind.“ Das klang nicht so, als glaubte ihr neuer Arbeitgeber an einen übermäßig langen Aufenthalt, schon gar nicht daran, dass sie den ganzen Sommer durchhalten würde. „Sie kommen und gehen, wie Sie wollen“, fügte er hinzu. „Wenn ich bei der Arbeit bin, erwarte ich natürlich, dass Sie die Kinder beaufsichtigen, aber wenn ich zu Hause bin, können Sie unternehmen, wozu Sie Lust haben.“

Normalerweise sah Lucys Alltag so aus, dass sie nach der Arbeit mit Cain in aller Ruhe zu Abend aß und dann mit ihm spielte oder ihm vorlas, bis sie ihn ins Bett brachte.

Aber der Lärm, der ihnen aus dem Haus entgegenschlug, ließ eine Ahnung in ihr dämmern, dass sie hier nicht sehr viele ruhige Abende zu erwarten hatte.

Robbie kam ihnen entgegen. „Dad, weißt du, was Cain getan hat?“

„Nein. Aber du wirst es mir sicher gleich mitteilen.“ Woody betrachtete seinen Sohn mit einem gewissen, aus der Erfahrung genährten Grimm.

„Er hat in deinen Hortensienbusch gepinkelt!“, berichtete Robbie triumphierend.

Sein Ton weckte in Lucy den Verdacht, dass es sich um ein größeres Vergehen handelte, das streng geahndet wurde.

Aber Woody sagte zunächst gar nichts, sondern wandte sich nur mit einem fragenden Blick an die Mutter des Übeltäters.

Lucy spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht kroch. „Es tut mir wirklich sehr leid. Aber wir wussten nicht, dass die Haustür offen war, und er musste doch so dringend, und …“

„Ehrlich!“ Cain kam seiner Mutter zu Hilfe. Er drängte sich ein wenig an sie. Ob er sie trösten wollte oder selbst Trost suchte, konnte Lucy nicht entscheiden. Sie legte ihm den Arm um die Schultern. Er hatte noch nie mit einem Mann zusammengelebt, und sie konnte nur hoffen, dass Woody ihn liebevoll und nicht zu streng behandeln würde.

„Bis zu Hannah zurück hätten wir es nicht mehr geschafft, und deshalb habe ich es ihm ausnahmsweise erlaubt. Es wird nicht wieder vorkommen. Aber Cain war gewissermaßen in einer Notlage.“

Ein Funken von Humor blitzte in Woodys grünen Augen auf. „Die Hortensie wird es überleben“, meinte er mit einem Hüsteln, das vermutlich ein Lachen verbergen sollte. „Robbie würde es natürlich begrüßen, wenn einmal jemand anderer den Sündenbock spielen müsste, um von sich abzulenken.“ Er wandte sich an seinen Ältesten. „Es hat leider nicht funktioniert, mein Sohn.“

„Ich weiß genau, was passieren wird“, warf Robbie ihm hitzig an den Kopf. „Der Neue darf wahrscheinlich alles. Er wird uns alle herumkommandieren und überall hinpinkeln, ohne dass irgendjemand ein Wort sagt. Aber wenn ich nur einmal mit dem Fahrrad ein ganz kleines bisschen …“

„Du wolltest über deine Geschwister springen!“

„Immer bin ich an allem schuld.“

„Eine wahre Tragödie“, gab sein Vater ihm recht. „Wie wäre es, wenn du Gute Nacht sagst und in dein Zimmer gehst?“, schlug er dann milde vor. Er ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass er seiner Forderung, falls nötig, auch größeren Nachdruck verleihen würde.

„Gute Nacht“, nuschelte Robbie maulend und verschwand die Treppe hinauf.

„So, jetzt haben Sie mein ältestes Prachtstück etwas ausführlicher kennengelernt. Der Nächste in der Reihe ist Shane.“

Shane wackelte mit seinem bandagierten Arm.

„Dann kommt Lynda.“ Lynda nickte nur ganz knapp.

„Und dann haben wir hier noch Brandon, unseren Benjamin.“ Der Kleine hatte sich hinter seinem Vater versteckt und ließ jetzt ein gedämpftes „Hallo“ hören.

„Und das hier ist Cain“, stellte Lucy vor und zog ihren kleinen Sohn etwas näher an sich heran. „Er freut sich schon sehr auf seine neuen Spielkameraden.“

Sie sah auf Cain hinunter. „Freuen“ war vielleicht nicht ganz das richtige Wort. „Fürchten“ traf seine Gefühle eher. Dabei waren gerade Woodys Kinder der Grund, warum sie diesen Job überhaupt angenommen hatte.

Hannah war eines Tages mit dem Vorschlag gekommen, die Kinder von Abels Partner und Freund Woody Pembrooke über den Sommer zu hüten, und sie hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt.

„Wahrscheinlich möchten Sie sich jetzt erst einmal mit Ihrer neuen Umgebung vertraut machen und sich ein bisschen wohnlich einrichten. Hannah hat Ihnen sicher erzählt, dass wir eine kleine Wohnung über der Garage haben. Sie ist ziemlich eng für zwei, fürchte ich, aber ich hoffe, Sie fühlen sich trotzdem wohl.“

„Ganz bestimmt“, versicherte Lucy ihm. „Es ist ja nicht für lange.“

„Ich helfe Ihnen beim Ausladen und Tragen.“

„Das brauchen Sie nicht. Wir haben nicht viel Gepäck dabei. Kümmern Sie sich lieber um Ihre Kinder.“

Woodrow Pembrooke beobachtete Lucy, während sie zwischen ihrem Auto und dem kleinen Apartment über der Garage hin- und herlief.

Er hatte für ihren kleinen Sohn ein zusätzliches Bett aufgestellt und mit einem Wandschirm abgetrennt. Es würde ziemlich eng werden für die beiden, und wenn er mehr Zeit gehabt hätte, hätte er sich auch eine andere Lösung einfallen lassen. Aber Hannah hatte ihn erst vor drei Tagen angerufen und gefragt, ob er zufällig gerade Hilfe im Haus und mit den Kindern brauchte.

Was für eine Frage! Natürlich war er wieder einmal auf der Suche nach einem Kindermädchen oder einer Haushaltshilfe. Das war er eigentlich ständig. Die letzte Dame hatte vor zwei Wochen die Flucht ergriffen, und er hatte immer noch keinen Ersatz gefunden. In der Zwischenzeit hatte er sich mehr schlecht als recht mit arbeitswilligen Teenagern aus der Nachbarschaft beholfen, die sich ein Taschengeld dazuverdienen wollten. Aber allmählich ging ihm der Nachschub aus.

Er kannte diese Lucy Caldwell nicht, die Hannah ihm angedient hatte, aber er war in einer verzweifelten Lage und konnte sich nicht leisten, ein so verlockendes Angebot auszuschlagen. Außerdem hatte Hannah sich für sie verbürgt, und das war ihm Empfehlung genug. Hannah liebte seine Kinder, auch wenn ihr Mann sie als „Monster“ oder „Ungeheuer“ zu bezeichnen pflegte. Wenn sie sagte, Lucy würde seinen Sprösslingen gut tun, dann glaubte er das unbesehen.

Woody lächelte. Seine Kinder waren zwar eine wilde Bande, aber sie waren in Ordnung. Sie hatten eine schwierige Zeit hinter sich, seit ihre Mutter sie – und ihn – von einem auf den anderen Tag verlassen hatte. Das verkraftete kein Kind so leicht, ganz gleich, wie alt es war.

Robbie wurde im August dreizehn, war also fast ein Teenager. Es war unglaublich, wie schnell die Zeit verging. Man sollte denken, dass man sich in all den Jahren an das Vatersein gewöhnte und in Erziehungsfragen sicherer wurde. Das Gegenteil war der Fall. Manchmal wusste er einfach nicht, was er tun sollte. Aber mit einem klassischen Kindermädchen, wie sie in Märchen oder Musicals vorkamen, war ihm wenig gedient. Er brauchte eine handfestere Person, denn seine Kinder konnten ganz schön anstrengend sein – zu anstrengend für die meisten Frauen.

Aber diese Lucy schien eine ziemlich zähe Person zu sein – und eigensinnig dazu. Vielleicht hielt sie es ja eine Weile hier aus, wenigstens so lange, bis er jemand Neuen gefunden hatte. Ab nächstem Jahr würden alle vier Kinder den ganzen Tag in der Schule sein, dann wurde es bestimmt einfacher. Schwieriger konnte es jedenfalls nicht mehr werden.

Lucy Caldwell. Woody ließ den Namen auf sich wirken.

Sie war groß und schlank. Das war das Erste, was er registriert hatte. Gut, vielleicht hatte er zuallererst ihren hübschen Busen bemerkt, aber dann gleich ihre Größe. Sie hielt sich gut und ging nicht so gebückt wie so viele andere große Frauen. Aber natürlich war er größer als sie, ungefähr fünfzehn Zentimeter, schätzte er.

Jetzt war sie mit ihrem Koffer auf der Mitte der Treppe angelangt und hielt kurz inne, um mit einer kurzen Schüttelbewegung ihr langes braunes Haar aus dem Gesicht zu schleudern. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung. Für ihre eher schmale Statur war sie bemerkenswert kräftig.

Woody hatte ein gutes Gefühl. Möglicherweise blieb ihnen Lucy Caldwell doch ein wenig länger erhalten. Er hoffte es zumindest sehr, als er sie jetzt in der kleinen Wohnung über der Garage verschwinden sah.

Lucy ließ sich aufs Bett fallen. Sie war völlig erledigt.

Als Sky International in die Firma Edison Corporation übergegangen war, hatte sie eine glänzende Idee gehabt: Sie würde sich abfinden lassen und mit dem Geld selbstständig machen. Aber vorher würde sie die Ferien mit ihrem Sohn genießen, ohne Arbeit, ohne Schule, und einfach nur Zeit für ihn haben, einen ganzen Sommer lang.

Die Abfindung war ziemlich großzügig gewesen, und sie hatte auch etwas gespart. Aber trotzdem konnte sie es sich nicht leisten, mehrere Monate auf jedes Einkommen zu verzichten, wenn sie danach eine eigene kleine Firma auf die Beine stellen wollte. Sie musste also etwas dazuverdienen.

Dann hatte Hannah Harrington Kennedy, ihre ehemalige Pflegeschwester und jetzt beste Freundin, ihr vorgeschlagen, den Sommer über Woody Pembrookes Kinder zu hüten. Woody war der Geschäftspartner und langjährige Freund von Hannahs Mann Abel. Der Vorschlag war ihr wie gerufen gekommen. Es war die ideale Lösung. Cain würde andere Kinder zum Spielen haben, und sie selbst konnte bei ihm sein und gleichzeitig ihre Kasse aufbessern. Sogar eine Wohnung gehörte zu dem Job. Besser konnte sie es gar nicht treffen.

Sie hatte etliche Jahre Berufserfahrung, die sie jetzt nutzen wollte, um eine eigene kleine Wirtschaftsberatung aufzumachen. Wie das im Einzelnen aussehen würde, wollte sie sich in diesem Sommer überlegen. So schlimm konnte es schließlich nicht sein, vier Kinder zu versorgen. Immerhin hatte sie Cain auch allein aufgezogen, und er war ein ziemlich selbstständiges Kind geworden. Sie vermutete, dass Woodys Quartett auch nicht viel anders war.

„Cool“, ließ Cain sich vernehmen. „Wir wohnen in einer Garage.“

„Über einer Garage“, verbesserte ihn Lucy.

Das Apartment war wirklich winzig, aber es war alles da, was sie brauchten. Außerdem würden sie sich während des Tages ohnehin größtenteils im Haus aufhalten, also war die Enge kein Problem.

„Das mit der Garage muss ich unbedingt meinen Freunden erzählen. Vielleicht kann Mr. Pembrooke mein Bett neben sein Auto stellen! Das wäre supercool!“

„Ich fürchte, da wirst du Pech haben. Mr. Pembrooke würde es ja vielleicht sogar tun, aber unglücklicherweise erlaube ich es ihm nicht. Du wirst dich also damit abfinden müssen, hier oben bei mir zu schlafen, mein Freund.“ Ihr Sohn betrachtete diesen Sommer als großes Abenteuer, aber das hieß nicht, dass sie ihm jeden Unsinn durchgehen ließ.

„Oooch“, schmollte Cain.

„Du wirst es überleben.“ Sie sollte ihn zum Duschen schicken, aber heute fehlte ihr die Energie für eine größere Auseinandersetzung. „Du könntest schon einmal deinen Schlafanzug anziehen. Es wird Zeit fürs Bett.“

„Ich will aber nicht vor dir ins Bett gehen.“

In dem kleinen Apartment gab es nur ein Schlafzimmer, das gerade genug Platz für die beiden Betten bot. Dazu kamen eine kleine Küche mit Essecke und ein winziges Bad. Lucy fühlte sich an das Baumhaus erinnert, das sie und Hannah gebaut hatten, als sie zwölf waren. Sie musste lächeln, als sie wieder daran dachte.

Sie sah ihren Sohn an. „Kommt nicht infrage. Also los, zieh dir den Schlafanzug an, aber dalli.“

„Aber ich bin schon acht! Und außerdem sind Ferien. Da kann ich viel länger aufbleiben.“

„Irrtum, Freundchen. Also, ab mit dir ins Bad.“

Cain setzte sich murrend in Bewegung und warf die Tür hinter sich zu.

„Sei froh, dass ich dir heute das Duschen erlasse!“, rief Lucy ihm nach.

Das hob seine Stimmung wieder. „Cool!“

Wieder ein Problem gelöst.

Zu dumm, dass sich nicht alle Probleme einfach durch den Verzicht auf eine Dusche bewältigen ließen.

2. KAPITEL

Es stank.

Lucy setzte sich mit einem Ruck auf und schnüffelte.

„Mom, du hast gefurzt!“ Cain saß im Bett, offenbar hoch erfreut über diesen Fauxpas seiner Mutter. Er kicherte.

„Das war ich nicht“, erwiderte Lucy empört. „Auf gar keinen Fall.“

„Aber ich war es auch nicht.“ Cain zog die Decke bis über die Nase. „Puh!“

„Wenn wir es alle beide nicht waren, wer oder was war es dann?“

Lucy stand auf und wanderte durch das kleine Apartment, um die Ursache des üblen Geruchs ausfindig zu machen. Sie schien im Schlafzimmer zu liegen, vor allem in einer Ecke. Aber da war nichts zu sehen.

„Ich werde in der Garage nachschauen. Vielleicht finde ich da etwas. Du kannst dich inzwischen schon einmal anziehen.“

Lucy schlüpfte in ihren Bademantel, lief die Treppe hinunter und ging in die Garage. Dort drehte sie sich einmal im Kreis, um sich zu orientieren, und konzentrierte sich dann auf den oberen Bereich. Aha. Der Geruch ging offenbar von diesem Regal aus. Je näher sie kam, desto stärker wurde er. Sie fand eine Trittleiter, kletterte hinauf und inspizierte das oberste Brett, nachdem sie auf den anderen nichts gefunden hatte.

„Igitt!“

Die Quelle des Übels war ein Karton mit einem Dutzend zerbrochener und fauler Eier.

Lucy hielt den Atem an, als sie ihre Beute vorsichtig die Leiter hinunter und ins Freie transportierte und zum Haus hinübermarschierte. Mangels freier Hände trat sie mit dem Fuß an die Hintertür, um sich bemerkbar zu machen.

Woody öffnete ihr in T-Shirt und Jogginghose.

„Sie kommen früh. Ich gehe immer erst um neun Uhr zur Arbeit.“

„Ja, ich weiß. Ich dachte nur, Sie wären vielleicht vorher so freundlich, Ihren Sprösslingen die Eier zurückzugeben.“

Woody kräuselte voller Abscheu die Nase. „Was ist das denn? Das riecht ja ekelhaft.“

Autor

Holly Jacobs
Seitdem Holly Jacobs 1997 ihr erstes Buch verkauft hat, ist die Anzahl an verkauften Manuskripten bis heute auf über 30 gestiegen. Ihre Romane erschienen auf Waldenbooks‘ Bestsellerliste und haben unzählige Preise, wie z.B. die „Holt Medaille“, das „Golden Quill“, das „Golden Leaf“ und den „Madcap Award“ bekommen.
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