Harter Cowboy, weiches Herz

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Wie hilft man jemandem, der jede Hilfe ablehnt? Vor dieser Herausforderung steht Wellnesscoach Sierra auf der Ranch von Dallas Hawkes. Seine Familie hat die Expertin heimlich engagiert, damit sie dem verletzten Rodeo-Cowboy hilft, sein Karriere-Aus zu verkraften. Als Rancharbeiterin getarnt, stellt sich Sierra besonders ungeschickt an, um dem harten Cowboy näherzukommen. Schon bald geht die Entspannungstherapie weit über Massagen hinaus … Doch wie wird Dallas reagieren, wenn Sierras Tarnung auffliegt?


  • Erscheinungstag 04.07.2023
  • Bandnummer 2296
  • ISBN / Artikelnummer 9783751515672
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dallas Hawkes ging über den knochentrockenen Pferdekorral der Hawkes Cattle Ranch. Bei jedem Schritt wirbelten kleine Staubwolken auf. Als ein stechender Schmerz durch seine rechte Schulter fuhr, zuckte er zusammen. Der Schmerz war nichts Neues, aber mittlerweile war er wesentlich ungeduldiger, was diese Verletzung anging, als noch vor drei Wochen, als er nach Colorado zurückgekommen war.

Er biss die Zähne fest zusammen und fluchte nur innerlich, denn er wollte seinen Rotschimmel, Jayden, nicht verschrecken. Das Tier stand bereits gesattelt am Zaun und sah Dallas aus dunklen Augen neugierig entgegen. Ohne langsamer zu werden, öffnete Dallas seine Hemdstasche, holte die Pillendose daraus hervor und warf eine Tablette ein. Eigentlich hätte er lieber gleich zwei genommen; das war letzte Woche noch die vorgeschriebene Dosis gewesen. Aber er würde ganz sicher nicht in die Schmerzmittel-Falle tappen. Mittlerweile sollte er vier Mal am Tag nur noch eine Tablette nehmen, und er war fest entschlossen, die Dosis ab Montag sogar noch weiter zu reduzieren.

Er klopfte Jayden fest auf die Schulter. Dann hob er das gebräunte Gesicht zur Mittagssonne, richtete sich den Stetson und atmete tief durch. Er hatte schon so manche Verletzung überstanden. Die hier war auch nicht viel schlimmer. Es fühlte sich bloß so an, weil er gerade mitten in der Genesung steckte. Noch ein paar Wochen, vielleicht ein Monat, dann wäre der stechende Schmerz abgestumpft. Bald wäre diese Wunde nichts als eine ferne Erinnerung, genau wie all seine bisherigen Knochenbrüche und Kratzer.

Er nahm die Zügel in die Hand und wappnete sich fürs Aufsitzen. Egal wie sehr es auch schmerzen mochte, er war fest entschlossen, heute zu reiten. Er brauchte die Arbeit, um seine Gedanken zu sortieren. Und er vermisste das Reiten, vermisste die Stärke des Tiers unter ihm und das Band, das durch die wortlose Kommunikation zwischen ihnen geknüpft wurde. Doch am allermeisten vermisste er den Nervenkitzel des Rodeos. Die anderen waren mittlerweile sicher in Tulsa, beim Kälberfangen oder Rinderringen. So früh am Tag wurde noch nicht ohne Sattel geritten.

Jayden trat auf der Stelle und erinnerte Dallas daran, dass er nur das Unvermeidliche hinauszögerte.

„Kommst du jetzt?“, rief Dallas’ älterer Bruder Austin vom Stall aus.

„Schon unterwegs.“ Er legte eine Hand auf das Sattelhorn und steckte den linken Stiefel in den Steigbügel. Dann schwang er sich nach oben und atmete scharf ein. Verdammt, tat das weh.

Zum Glück wartete Jayden geduldig ab, bis Dallas richtig im Sattel saß. Als er soweit war, legte er sich die Zügel über die Handflächen und bedeutete Jayden, im Schritt zu gehen. Er spürte jede einzelne Bewegung; hoffentlich wirkte die Tablette bald.

„Bist du sicher, dass du hierfür fit genug bist?“, fragte Austin, als Dallas näherkam. Er runzelte unter seinem Stetson die Stirn.

„Was, bist du jetzt meine Krankenschwester?“, fragte Dallas schroff.

„Bis zum Hebewerk brauchen wir eine Stunde.“

„Ich weiß, wie weit es ist.“

„Ist schon ’ne Weile her, seit du das letzte Mal hier warst.“ Austin brachte seinen schwarz gefleckten Hengst Pepper auf Jaydens Höhe.

Dallas ignorierte den kritischen Tonfall seines Bruders und antwortete bemüht ruhig. „So lange nun auch wieder nicht.“

Austin lachte trocken. „Es waren fast zehn Jahre.“

„Ich habe nun mal lieber andere Dinge beigesteuert als meine Zeit und Arbeit.“ Die Rodeo-Wettkämpfe hatten Dallas die meiste Zeit des Jahres von Colorado ferngehalten. Schließlich heimste man mehr Gewinne ein, je mehr Wettkämpfe man bestritt. So hatte er sich regelmäßige Einnahmen gesichert. Den Großteil des Geldes schickte er nach Hause, um die Familienranch zu unterstützen. Unterwegs brauchte er nicht viel: nur Benzin, billige Motelzimmer, Fast Food und hin und wieder eine Flasche Bourbon.

Er rollte die Schulter; ein Glas Bourbon klang gar nicht schlecht.

„Niemand behauptet, du hättest nichts beigesteuert“, sagte Austin.

„Ja, genau“, erwiderte Dallas gedehnt.

„Du bist paranoid. Ich habe die Schecks gesehen, die du geschickt hast. Glaub mir, hier beschwert sich niemand.“

Das überraschte Dallas. Er hatte die Schecks eigentlich an seinen Vater Garrett geschickt. Woher wusste Austin davon?

Sein Bruder sprach weiter. „Ich wollte bloß sagen, dass es schon eine Weile her ist, seit du tatsächlich mal für längere Zeit hier warst.“

„Jetzt bin ich da.“ Dabei wünschte er, es wäre anders.

„Und es ist schön, dass du da bist.“

Dallas schnaubte laut – und bereute es sofort, als Jayden unter ihm tänzelte und seine Schulter damit noch mehr quälte.

„Du wärst vielleicht lieber woanders, aber du bist jetzt nun mal hier.“ Austin zeigte keinerlei Mitgefühl. „Das lässt sich nicht ändern, Brüderchen.“

„Immerhin hat Dad gute Laune.“ Dallas hatte es satt, über sich zu sprechen. Sein Vater drängte ihn schon seit Jahren, sein Leben als Rodeo-Reiter aufzugeben und sich auf der Ranch niederzulassen. Nur dass Dallas schon bei dem Gedanken rastlos wurde, das ganze Jahr in diesen beiden Tälern zu verbringen.

„Es geht nicht immer nur um Dad.“

„Wann geht es denn bitte nicht um ihn?“

Austin sah ihn von der Seite an. „Du musst echt dringend an deiner Einstellung arbeiten.“

„Ich muss vor allem …“ Dallas unterbrach sich. Er wollte vor allem, dass seine Schulter heilte, damit er wieder an Wettkämpfen teilnehmen konnte. Und selbst, wenn Rodeo nicht mehr infrage kam, wollte er doch irgendetwas anderes machen. Etwas Neues, etwas, das nicht … hier war, wo ihn Erinnerungen heimsuchten und er das Gefühl bekam, in die Vergangenheit zu reisen.

Ein schriller Pfiff ertönte, und beide Pferde hoben die Köpfe, die Ohren gespitzt. Oben auf dem Hügel wedelte Hardy Rawlings mit seinem Hut, ehe er in ihre Richtung galoppierte.

Austin brachte Pepper zum Traben, um dem langjährigen Rancharbeiter entgegenzureiten. Dallas hob automatisch die Fersen an, um bei Jayden das Gleiche zu tun, doch er hielt sich gerade noch rechtzeitig davon ab.

„Der Wind hat den Zaun zur Golden Ridge teilweise umgeweht“, rief Hardy, als er näher kam. Er brachte sein Pferd vor Austin zum Stehen, der Wallach tänzelte auf der Stelle. „Entlang der Weide unterhalb von Signal Peak.“

Austin ließ Pepper einen engen Kreis laufen, damit die Unruhe sich nicht auf ihn übertrug. „Wie schlimm ist es?“

„Schlimm genug. Ein Teil der Herde ist ausgebüxt und hat sich entlang des Bachs verteilt, bis hoch nach Woody Springs.“

„Na toll.“ Der Sommer war bisher furchtbar trocken; Wassermangel konnte den Tieren schnell zur Gefahr werden.

„Willis ist bereits unterwegs, um noch mehr Helfer zu holen“, sagte Hardy und warf Dallas einen Blick zu, als dieser sich endlich zu ihnen gesellte.

„Ich begleite dich.“ Nun sah Austin ebenfalls zu Dallas. „Kommst du allein klar?“

Dallas runzelte die Stirn. Diesmal konnte er sich die sarkastische Antwort nicht verkneifen. „Wenn du mich gleich zurücklässt wie ein kleines Kind? Sicher doch.“

Austin hob die Augenbrauen. „Heißt das, du willst uns begleiten?“

Das wollte er definitiv. Die Tablette wirkte endlich und schenkte ihm das nötige Selbstbewusstsein. „Ja.“

Hardy sah ihn fragend an.

Kurz herrschte Schweigen, ehe Austin die Schultern zuckte. „Ganz wie du willst.“ Er wendete sein Pferd und ritt neben Hardy in hohem Tempo den Hügel hinauf.

Dallas brachte Jayden zum Traben, und der Schmerz in seiner Schulter verdoppelte sich. Schnell wechselte er in Galopp. Dabei wurde er weniger durchgeschüttelt, sodass die Schmerzen erträglicher waren. Er wusste nur zu gut, dass er später den Preis hierfür zahlen würde. Aber jetzt gerade, in diesem Moment, fühlte sich alles herrlich vertraut an. Was juckte es ihn, wie es ihm heute Abend oder morgen früh gehen würde? Für den Moment war er zurück im Sattel.

Unwirsch zerrte Sierra Armstrong an ihrem Verlobungsring. Ihr Finger war in der feuchten kalifornischen Juli-Hitze furchtbar angeschwollen. Sie stand ihrem Verlobten – falsch, ihrem Ex-Verlobten – gegenüber auf dem Gehweg der Innenstadt von Carmel, direkt vor Opuntia Lifestyles. Nur drei Blocks vom Strand entfernt, hier kamen immer jede Menge Touristen und Anwohner vorbei – und an einem Freitagnachmittag war es natürlich besonders voll.

Sie zog eine Grimasse. „Eventuell muss ich ihn behalten.“

Roger wurde ungeduldig. „Sierra.“

„Lass das.“ Sie zog weiter an dem Ring, auch wenn ihr Finger allmählich wehtat. Wahrscheinlich machte sie es gerade alles nur schlimmer. „Dieser Ring war ein Versprechen. Und du hast dieses Versprechen gebrochen, als du mich betrogen hast.“

„Du weißt ganz genau, dass das keine Absicht war.“

Ihre Wut erreichte ihren Höhepunkt. „Dann war es also ein Versehen? Ups, du bist gestolpert und dabei glatt ins Bett deiner Rezeptionistin gefallen?“

Roger knirschte mit den Zähnen.

Sie war nicht stolz auf ihren Ausbruch. Und auch nicht auf ihren nächsten Gedanken: Wie viel sie wohl für den Diamanten bekäme? Der Stein war nicht besonders groß, aber auch nicht gerade klein.

Seufzend gab sie auf. „Ich krieg ihn nicht ab.“

„Lass mich …“ Roger griff nach ihrer linken Hand.

Sie wich einen Schritt zurück. Er sollte sie nie wieder berühren. „Ich kann ihn später noch abstreifen.“ Wahrscheinlich hatte sie mehr Erfolg, sobald die Sonne untergegangen und die Luftfeuchtigkeit gesunken war.

Roger blähte die Nasenflügel, und sie sah ihm förmlich an, wie er misstrauisch wurde. Gut. Sollte er sich ruhig Sorgen machen, ob sie ihm den Ring tatsächlich zurückgab. Rein rechtlich betrachtet, dürfte sie ihn behalten – schließlich war er ein Geschenk.

„Bring ihn später bei mir vorbei“, sagte er. Eine Anweisung und zugleich eine Berufung auf sein Eigentumsrecht.

Sie straffte die Schultern, sträubte sich automatisch gegen seinen Tonfall. Doch leider hatte Roger einen Punkt: Ihm gehörte die Wohnung. Sierra war erst vor drei Monaten bei ihm einzogen, als ihre frühere Mitbewohnerin einen neuen Job in L.A. angenommen hatte. Im Mietvertrag stand Rogers Name. Und darüber hinaus wurde die Miete von Opuntia Lifestyles gezahlt, der Firma, die ihm gehörte – und für die sie arbeitete. Innerhalb von nur fünfzehn Minuten war Sierra nicht nur Single und obdachlos, sondern auch noch arbeitslos geworden.

Sie schob sich den Riemen ihres Jutebeutels höher auf die Schulter, unsicher, was sie als Nächstes tun sollte. Ein Teil von ihr wäre gern davongestürmt und hätte nie zurückgeblickt. Ein anderer Teil wollte schnurstracks in die Wohnung marschieren und schnellstmöglich all ihre Sachen zusammenpacken.

„Ich werde um zehn zu Hause sein“, sagte Roger. „Wir gehen aus …“

„Wir?“ Das Wort brachte Sierra zum Stocken. „Sprich du und Diva?“

„Devin“, korrigierte er sie.

Unwillkürlich hatte Sierra die neue lebhafte Rezeptionistin vor Augen, mit ihren rosigen Wangen und dem mehrfarbigen Lidschatten. Ihr Lächeln war immer so strahlend, dass Sierra glatt darüber nachgedacht hatte, einen Termin beim Zahnarzt zu machen, um ihre Zähne aufhellen zu lassen.

„Du schlägst also vor, dass ich den Verlobungsring nach eurem Date vorbeibringe?“ Ob dieser Dreistigkeit war sie beinah sprachlos.

„Jetzt sei doch nicht so …“

„Doch, das bin ich.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Du solltest gehen, Roger.“

Perplex sah er zu seinem Geschäft. Ach ja. Sie war diejenige, die gehen sollte. Sie drehte sich auf dem Absatz um und stürmte davon … Wohin genau, wusste sie selbst nicht so recht. Aber eins wusste sie ganz sicher: Sie würde bestimmt nicht später brav ihren Ring bei ihm abliefern. Vielleicht würde sie nie wieder in die Wohnung zurückkehren.

Nur dass all ihre Kleider dort waren. Ihre Kosmetika. Sie hatte nicht viele Dinge mitgebracht, aber die Dinge, die ihr gehörten, wollte sie zurück. Zum Beispiel die hübschen Weingläser, die sie bei einem Glasbläser in Carmel gekauft hatte. Andererseits hatten sie mit diesen Gläsern auf ihre Verlobung angestoßen. Wollte sie sie wirklich behalten?

Die meisten ihrer Kosmetika waren halbleer, ihre Kleider preiswert und nicht mehr neu. Blieben nur noch die Kakteen auf der Fensterbank im Wohnzimmer. Aber die wären furchtbar umständlich zu transportieren …

Während sie gedanklich ihre Besitztümer in Rogers Wohnung auflistete, ging sie die Straße hinunter zum Strand. Die Liste war wahrlich nicht lang, aber gerade war sie ganz froh darüber.

Sie überquerte an einer Ampel die Straße, lief einen Pfad hinunter, über eine Wiese und hinunter zum Strand. Im Sand streifte sie die Sandalen ab. Das warme Gefühl an den Füßen war herrlich beruhigend.

Als ihr Handy in ihrem Beutel klingelte, blieb sie unter den Zypressen stehen. Eigentlich wollte sie gerade mit niemandem reden, aber vielleicht war es ein Klient. Und es wäre nicht fair, ihre Klienten hängen zu lassen.

Oder waren es Rogers Klienten? Laut Vertrag schloss Opuntia Lifestyles den Vertrag mit den Kunden. Als zugelassene Heilpraktikerin bot sie dort Wellness-Coaching für Leib und Seele sowie Massagetherapien an. Sie half den Menschen, die Verbindung zwischen körperlichem und geistigem Wohlbefinden besser zu verstehen und damit ihre Lebensqualität zu steigern.

Während sie in ihrem Beutel herumwühlte, dachte sie über ihre berufliche Zukunft nach. Als sie bei Opuntia anfing – damals, als ein Streit mit Roger noch unmöglich schien – hatte sie eine Wettbewerbsklausel unterzeichnet. Eine wahrlich schlechte Entscheidung. Dieses Jahr traf sie anscheinend nur schlechte Entscheidungen.

Endlich fand sie ihr Handy und sah auf den Bildschirm: McKinney Hawkes. Sie hatte schon seit Monaten nichts mehr von ihrer College-Freundin gehört, doch jetzt meldete sie sich genau im richtigen Moment.

Erleichtert ging sie ran. „McKinney“, sagte sie leicht außer Atem und setzte sich auf eine Bank. „Woher wusstest du es?“

„Keine Ahnung, wovon du redest“, erwiderte McKinney lachend. „Aber ich bin ganz Ohr.“

„Ich brauche gerade eine Freundin.“ Sierra legte ihre Sandalen und den Beutel auf die Bank neben sich und lehnte sich zurück, die nackten Füße vor sich ausgestreckt.

Sofort wurde McKinney ernst. „Warum? Was ist los?“

„Es geht einfach alles den Bach runter.“ Sierra konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme brach.

„Hey, hey. Fang noch mal von vorne an.“

Sierra blinzelte. Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen.

„Bist du krank?“, fragte McKinney in die Stille hinein. „Ist es ernst?“

„Nein.“ Sierra schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht.“

Erleichtert atmete McKinney aus. „Gott sei Dank.“

„Es ist Roger.“

„Das ist dein Freund, oder? Da hätte ich auch selbst drauf kommen können.“

Niedergeschlagen sah Sierra einem jungen Paar hinterher, das auf dem Radweg vor ihr vorbeifuhr. „Er war mein Verlobter“, sagte sie. „Betonung auf ‚war‘.“

„Du bist verlobt? Ich meine, ihr habt euch getrennt? Moment, was hat er angestellt?“

Ihr vorwurfsvoller Tonfall brachte Sierra zum Lächeln. Wie jede gute Freundin ging McKinney automatisch davon aus, dass er etwas falsch gemacht hatte.

„Er hat mich betrogen“, sagte Sierra verbittert. Die Tränen waren schon wieder versiegt. Sie weigerte sich, in Selbstmitleid zu baden. Einen Mann, der sie dermaßen enttäuschte, würde sie ganz sicher nicht vermissen.

„Großer Fehler“, sagte McKinney. „Riesig. Was hat er sich dabei gedacht? Er hatte dich offenbar nicht verdient. Und er wird ganz sicher nie eine Bessere als dich finden, der Idiot.“

„Danke.“

„Nichts zu danken. Ich sage nur, wie es ist.“

„Du hast ihn doch nie kennengelernt.“

„Das war auch gar nicht nötig. Ich weiß auch so, dass er dich nicht verdient hat. Wer betrügt denn bitte seine Verlobte? Nur absolute Mistkerle, sonst niemand. Ich hoffe, du hast den Ring behalten.“

Sierra sah hinunter auf ihren Finger, der noch angeschwollen war. „Er wollte ihn zurückhaben, aber bisher habe ich es nicht geschafft, ihn abzunehmen.“

„Ausgleichende Gerechtigkeit, würde ich sagen.“ McKinney hielt kurz inne. „Ist er irgendwas wert?“

„Ich werde ihn wohl kaum an einen Pfandleiher verschachern.“

„Doch, tu das“, sagte McKinney. „Schick Roger anschließend den Pfandschein, falls du dich sonst allzu schuldig fühlst. Wenn er ihn zurückhaben will, kann er ihn von Bruno oder Snake zurückkaufen.“

Trotz ihrer miesen Laune musste Sierra lächeln. „Bruno oder Snake?“

„Pfandleiher haben doch immer so geniale Spitznamen.“ McKinney klang munter und furchtlos, genau wie während der Zeit des Studiums. „Und sie berechnen immer einen heftigen Aufpreis. Wenn man sie auf seiner Seite braucht, sind es ziemlich gute Menschen.“

„Mit dir legt sich echt niemand an, oder?“

„Hey, irgendwie musste ich ja drei ältere Brüder überleben.“

„Du sagtest, deine Brüder wären alle super nett.“

„Das sind sie auch. Mittlerweile zumindest.“

„Du hast echt Glück.“ Erneut brach Sierra die Stimme. Gerade fühlte sie sich furchtbar einsam und war gleichzeitig neidisch. Sie hatte keine Geschwister. Und als ihre Mutter vor fünf Jahren starb, wohnte ihr Vater bereits in Florida, zusammen mit seiner neuen Familie.

„Ich komme nach Kalifornien“, sagte McKinney.

Sierra setzte sich auf. „Was?“

„Du brauchst mich. Zumindest, um dir die Hand zu halten, während du dich da irgendwie durchkämpfst. Ich kann morgen da sein.“

„Nein. Nein. Du kannst nicht einfach für mich alles stehen und liegen lassen.“ Auf keinen Fall würde Sierra zulassen, dass McKinney in ihr kleines Drama hineingezogen wurde.

Allmählich sank die Sonne in Richtung Pazifik, und Sierra dachte darüber nach, wo sie heute Nacht schlafen sollte. Ein preiswertes Motel wäre wohl die vernünftigste Wahl: ein Zimmer mit einer kleinen Küchenzeile, damit sie sich selbst versorgen konnte. Sie hatte zwar ein paar Ersparnisse, aber als Arbeitslose konnte sie es sich nicht leisten, mit Geld um sich zu werfen.

„Doch, klar kann ich das“, beharrte McKinney. „Es gibt jede Menge Direktflüge von Denver nach Kalifornien.“

„Nein.“

„Doch.“

„McKinney.“

„Was?“

„Ich … habe gerade keine Wohnung. Ich hätte noch nicht mal einen Schlafplatz für dich.“

Kurz herrschte Schweigen in der Leitung. „Er hat dich gezwungen auszuziehen?“

„Es ist seine Wohnung.“

„Mir doch egal.“

„Und seine Firma.“ Wieder überkam Sierra diese überwältigende Hoffnungslosigkeit. Die untergehende Sonne schien sie zu verspotten. „Einfach alles gehört ihm.“

„Wow. Wie bitte? Siehst du, genau deswegen wollte ich, dass du noch mal von vorne anfängst. Ich dachte, ihr wärt Kollegen.“

Sierra hatte ihre Geschäftsbeziehung nicht genau beschrieben. „Am Anfang habe ich mich nicht wohl damit gefühlt, mit dem Boss auszugehen.“

Erneut herrschte kurz Schweigen, ehe McKinney antwortete. „Dann komm her.“

Sierra runzelte die Stirn.

„Komm nach Jagged Creek“, sagte McKinney. „Nichts leichter als das. Du fliegst nach Denver, und dann nimmst du einen Bus nach Granby. Die fahren einmal die Stunde. Ich kann dich an der Haltestelle einsammeln. Sag mir einfach, wann du da bist.“

Das Angebot rührte Sierra zutiefst. Aber sie konnte McKinney auf keinen Fall solche Umstände machen, und ihrer Familie auf ihrer Ranch schon gar nicht.

Sie musste ihr Leben wieder in Ordnung bringen, sich auf die Suche nach einem neuen Job und einer neuen Wohnung machen. Da wäre es wohl kaum das Richtige, durchs halbe Land zu reisen, um sich vor ihren Problemen zu verstecken – so verlockend das auch klingen mochte.

„Ich kann nicht zu dir kommen“, sagte sie.

„Doch, klar kannst du das. Ich habe dir gerade erklärt, wie.“

„So meinte ich das …“

„Und wenn ich ehrlich bin, ist das der Grund, warum ich überhaupt anrufe.“ McKinneys Tonfall änderte sich plötzlich; mit einem Mal war sie ganz ernst. „Ich brauche deine Hilfe, Sierra.“

Nun war Sierra diejenige, die unruhig wurde. „Wieso? Was ist los?“

„Es ist mein Bruder Dallas, der zweitälteste. Er hat sich beim Rodeo verletzt.“

„Oh nein.“

„Er ist beim Wildpferdreiten unglücklich gestürzt“, sagte McKinney.

Sierra zog sich der Magen zusammen. „Wie schlimm ist es?“

„Er kommt wieder auf die Beine. Na ja, zumindest größtenteils, und zumindest körperlich. Aber seine Rodeo-Karriere ist mit ziemlicher Sicherheit vorbei. Und das macht ihn wütend. Gerade ist er auf fast alles wütend. Und er zieht sich mit jedem Tag mehr in sich selbst zurück, Sierra. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll.“

Sofort übernahm Sierras professionelle Seite die Kontrolle. „Wie verhält er sich?“

„Absolut alles treibt ihn zur Weißglut.“

„Ich kann gern einen Termin mit ihm vereinbaren.“ Sierra hatte schon mehrmals Fernberatungen per Videocall durchgeführt.

„Nein. Nein. Darauf wird er sich nicht einlassen. Er ist nicht der Typ, der … sich selbst hilft. Wir können ihm nicht sagen, wer du bist oder was du tust. Dann macht er sofort dicht.“

Sierra musste ehrlich sein. „Dann weiß ich nicht, wie ich ihm helfen könnte.“ Klienten, die nicht bereit waren, sich zu öffnen, nach den Fallstricken ihres Lebens zu suchen und daran zu arbeiten, waren unbelehrbar. Kein Wellness-Coach der Welt konnte ihnen helfen.

„Rede einfach mit ihm. Komm auf die Ranch und rede mit ihm, ganz beiläufig. Wir können uns irgendeine Geschichte ausdenken, ihm sagen, du wärst eine neue Rancharbeiterin oder so.“

„Eine Rancharbeiterin?“ Sierra wusste absolut nichts über Ranches. Sie konnte nicht mal reiten.

„Du müsstest nicht hart arbeiten. Du könntest hier und da ein wenig Heu schaufeln, Ställe ausmisten, vielleicht ein wenig Gemüse ernten. Bitte, Sierra. Ich habe Angst um meine Familie.“

McKinneys flehender Tonfall traf Sierra ins Herz. Was hätte sie nicht alles gegeben, um eine Familie zu haben, der sie so nahestand. Und wenn sie sie hätte: Würde sie nicht alles tun, um sie zu beschützen?

„Das ist die perfekte Lösung“, sagte McKinney hoffnungsvoll. „So bekommst du ein wenig Zeit zum Nachdenken und zum Erholen. Und wir können uns treffen, ein wenig quatschen, Wein trinken und über deinen Ex herziehen. Das wäre sicher gut für dich. Und du würdest mir damit wirklich helfen.“

Sierra konnte nicht länger widerstehen. „Na gut“, sagte sie, während die Sonne am blassblauen Horizont im Meer versank. „Na gut, ich komme.“

2. KAPITEL

Dallas stützte sich mit der Hand an der Marmorwand seiner Dusche ab, während er das heiße Wasser auf seine Schulter prasseln ließ. Der Druck schmerzte, aber heute schmerzte einfach alles – selbst das Atmen.

Dabei hatte er nicht einmal sonderlich hart gearbeitet. Er war zur gewohnten Zeit aufgestanden, jedoch nicht wieder aufs Pferd gestiegen. Stattdessen hatte er sich nützlich gemacht, indem er mit dem Auto zu den Heufeldern im Tal fuhr, um dort das Bewässerungssystem zu überprüfen, das Wachstum des Weidegrases zu dokumentieren und den Feuchtigkeitsgrad der Erde zu bestätigen.

Austin zog in Erwägung, die Feuchtigkeits-Checks mithilfe von Sensoren und einer solarbetriebenen Satellitenverbindung zu automatisieren. Auf die Art ließe sich das bequem von zuhause aus erledigen. Aber welcher Cowboy wollte sich bitte den ganzen Tag über im Haus den Hintern plattsitzen?

Abgesehen davon war die Technik störungsanfällig. Auf einer Ranch ging nichts über die fachmännische – und vor allem persönliche – Einschätzung der Bedingungen vor Ort, sei es nun auf den Feldern oder bei den Tieren.

Aufgewärmt und sauber trat Dallas aus der großen gläsernen Duschkabine im Bad, das an sein Schlafzimmer grenzte. Er nahm ein frisches Handtuch aus dem Regal und rubbelte sich damit ungelenk über das kurze Haar, ehe er mit einer Hand den Rest seines Körpers abtrocknete. Morgen ginge es ihm sicher wieder besser. Verletzungen wie diese brauchten nun mal ihre Zeit, bis sie verheilt waren. Er musste nur geduldig bleiben. Irgendwie.

Mittlerweile war es fast sieben. Bald gab es Abendessen, für die Familie und vermutlich ein paar Gäste. Sein Vater Garrett betrachtete die gemeinsamen Mahlzeiten als perfekte Gelegenheit für informelle Ranch-Meetings. Es war immer wieder spannend zu sehen, wen Garrett lobte oder aber kritisierte.

In aller Ruhe zog Dallas sich an und kämmte sich das dunkle Haar. Sein kurzer Bart hätte eigentlich eine Rasur vertragen, aber das war mit der linken Hand nur schwer zu bewerkstelligen. Es konnte bis morgen warten. Im Moment stand er kurz vorm Verhungern, und von unten stieg bereits der köstliche Duft nach Rostbraten herauf.

Er ging die breite geschwungene Treppe hinunter ins Wohnzimmer, das nur durch eine Reihe hölzerner Säulen vom Esszimmer getrennt wurde. Der steinerne Kamin war zu dieser Jahreszeit kalt; selbst hier oben in den Bergen wurde es tagsüber sehr heiß. Sämtliche Fenster waren weit geöffnet, um ein wenig frische Luft hereinzulassen.

Der rechteckige Kirschholztisch war für sechs Personen gedeckt, doch bisher hatte noch niemand Platz genommen. Dallas’ Magen knurrte. Hoffentlich kamen die anderen bald.

„Das war’s eigentlich auch schon.“ Im Flur ertönte die fröhliche Stimme seiner Schwester McKinney. Immerhin eine Person weniger, auf die er warten musste. „Zumindest auf dieser Etage. Ich kann dich später noch oben herumführen. Da gibt es nicht so viel zu sehen.“ 

„Wir sind offenbar nicht mehr in Kansas.“ Die Stimme, die antwortete, war weiblich, sanft und wohlklingend wie das Rauschen der Blätter im Sommerwind. Und sie klang nicht, als stamme sie tatsächlich aus Kansas.

„Du findest dich hier bestimmt im Nu zurecht“, sagte McKinney.

„Ich hoffe es. Wow, das nenne ich mal eine Bar.“

Dallas konnte sich denken, wo die beiden standen. Und er hoffte wirklich sehr, dass sie nicht lange die hufeisenförmige Bar bewunderten, ehe sie ins Esszimmer kamen.

McKinney lachte leise. „Das ist ein Hobby meines Vaters, und es war auch das seines Vaters. Vielleicht war es sogar unser Urgroßvater, der damit angefangen hat. Da bin ich mir nicht sicher. Sie sammeln schon seit Jahren. Dad kauft nach wie vor jedes Mal viel zu viele Flaschen, limitierte Editionen. Und dann gibt es ein großes Tamtam, wenn er mal eine der interessanteren Flaschen öffnet.“

„Das sollte keine Kritik sein“, sagte die andere Frau.

„Oh, kritisiere uns, so viel du willst“, erwiderte McKinney leichtherzig. „Wir kommen schon damit klar.“

Erneut protestierte Dallas’ Magen, doch er spannte den Bauch an, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die Stimme der Fremden gefiel ihm. Er wollte wissen, was sie wohl als Nächstes sagen würde.

„Das klingt schon irgendwie prahlerisch.“

Da musste Dallas ihr zustimmen.

„Oh, das ist er nicht“, sagte McKinney. „Ich meine … zumindest bei anderen Dingen nicht. Was Wein angeht, kann er prahlen, das stimmt. Aber abgesehen davon ist er durch und durch Rancher. Und ein hart arbeitender noch dazu. Er ist ernst, vielleicht sogar ein wenig anspruchsvoll. Aber gleichzeitig äußerst gerecht.“

Angesichts dieser rosarot gefärbten Beschreibung runzelte Dallas die Stirn. Gerade, was den letzten Punkt betraf, hätte er ihr gern widersprochen. Aber es überraschte ihn nicht, dass McKinney ihren Vater verteidigte. Sie war schon immer sein Liebling gewesen.

Er verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere, damit er die beiden Frauen sehen konnte.

„Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, eine so tolle Familie zu haben“, sagte die Fremde aufrichtig.

Er konnte nicht einschätzen, woher sie stammte, aber eines stand fest: Sie war äußerst gut aussehend. Ihr langes honigblondes Haar fiel weich um ihr Gesicht, und sie hatte große, strahlendblaue Augen, eingerahmt von dichten Wimpern. Ihre vollen Lippen luden förmlich dazu ein, geküsst zu werden.

„Dallas.“ McKinney hatte ihn entdeckt und wirkte ungewöhnlich erfreut, ihn zu sehen.

Autor

Barbara Dunlop
Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
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