Hazienda der Orchideen

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Was macht ihr Ex-Geliebter auf einer exotischen Plantage im Dschungel? Entgeistert starrt Gina den unwiderstehlichen Herzensbrecher an, der sie statt ihres Auftraggebers in der märchenhaften Villa Verde begrüßt. Hat Felipe sie hier in eine raffinierte Liebesfalle gelockt?


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757649
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Du kannst da nicht hinfahren!“ hatte Isobel Soames ausgerufen. „Auf keinen Fall. Ich verbiete es dir, Gina!“

Gina würde die Worte wohl nie vergessen. Sie waren die Vorboten einer Entdeckung gewesen, die Ginas Leben für immer verändern sollte.

Zwei Schocks innerhalb von wenigen Monaten, dachte Gina und schaute aus dem Fenster des Hotel Tropicana im Herzen von Caracas, ohne etwas wahrzunehmen. Selbst jetzt hätte sie nicht sagen können, was sie tiefer getroffen hatte: dass Felipe sie verlassen hatte oder dass der Mann, den sie bis zu ihrem sechsundzwanzigsten Lebensjahr „Daddy“ genannt hatte, in Wirklichkeit gar nicht ihr Vater war.

„Der Flug ist schon gebucht, Mutter“, hatte Gina steif erwidert. „Ich habe diesen Auftrag angenommen und werde ihn auch ausführen.“

„Du wirst noch genug Aufträge bekommen. Du bist sehr begabt. Die Leute reißen sich um dich. Ich möchte nicht, dass du nach Venezuela fliegst!“

Ungläubig hatte Gina zugesehen, wie ihre Mutter erregt im Wohnzimmer von Whitegates auf und ab ging. Wie jedes zweite Wochenende war Gina aus London nach Surrey gefahren, um zwei friedvolle Tage in ihrem Elternhaus zu verbringen und mit ihrer Mutter über Kunst und Künstler zu reden. Doch kaum hatte Gina erwähnt, dass sie einen Ölbaron in Venezuela porträtieren sollte, war es mit dem Frieden vorbei gewesen.

Es war das erste Mal, dass ihre Mutter sich ihr in den Weg stellte. Bisher war Isobel Soames immer stolz darauf gewesen, dass Gina ihre künstlerische Begabung geerbt hatte, auch wenn Gina letztlich einen anderen Beruf gewählt hatte. Isobel war eine begehrte und erfolgreiche Innenarchitektin, während Gina sich auf das Malen von Porträts spezialisiert hatte. Menschen interessierten sie mehr als die Dinge, mit denen sie sich umgaben.

„Südamerika ist doch nicht aus der Welt!“, protestierte Gina.

„Darum geht es nicht!“, fuhr ihre Mutter auf und schlang die Arme um sich. Plötzlich schien sie in sich zusammenzusinken, und als sie sich zu Gina umdrehte, wirkte Isobel um Jahre gealtert. Dabei war sie noch immer schön. Ihren klassischen, ebenmäßigen Gesichtszügen konnte die Zeit wenig anhaben, und niemand hätte geahnt, dass das seidige dunkle Haar, das sie streng zurückgekämmt und hochgesteckt trug, inzwischen gefärbt war, weil es an den Schläfen zu ergrauen begann. Aber der Ausdruck der braunen Augen hatte sich geändert. Isobels sonst so ruhiger, klarer Blick wirkte getrübt.

„Ich habe nichts gegen das Land, Gina“, sagte sie leise und mit schmerzerfüllter Stimme, „nur gegen deinen Auftraggeber.“

„Meinen Auftraggeber? Agustin Delgado de Navas? Er ist einer der reichsten Männer in Südamerika! Was kannst du denn gegen ihn haben?“, hatte Gina völlig verblüfft gefragt.

Sie erinnerte sich noch genau, was für ein schreckliches, spannungsgeladenes Schweigen der Frage gefolgt war. Gina hatte deutlich gespürt, wie ihre Mutter zu entscheiden versuchte, was sie ihr erzählen sollte und was nicht.

„Er ist dein Vater“, hatte Isobel endlich tonlos erklärt.

Es war ein grausamer Schlag für Gina gewesen. Sie hatte in den letzten Monaten auch so schon genug durchgemacht. Und dann noch das …

„Er ist dein Vater … dein Vater …“ Noch jetzt hallten die Worte in ihr wider, obwohl seit jenem Tag mehrere Wochen vergangen waren und sie um die halbe Welt gereist war.

Langsam kehrte Gina dem Fenster den Rücken zu, ging zur Bar des Hotelzimmers und goss sich etwas Kaltes zu trinken ein. Dann schob sie die Glastür auf und trat auf den Balkon hinaus.

Zunächst verschlug die Hitze Gina fast den Atem, doch schon nach wenigen Augenblicken hatte sie sich daran gewöhnt. Müde ließ sie sich in einen Korbsessel sinken und schloss die Augen, ohne auf das Dröhnen des Verkehrs in den Straßen zehn Stockwerke unter ihr zu achten.

Gegen den Willen ihrer Mutter war Gina nach Caracas geflogen, und jetzt wartete sie auf den Mann, der sie auf der letzten Etappe ihrer Reise begleiten sollte. Nur noch ein kurzer Flug im Privatflugzeug über die Berge jenseits von Caracas zur Ebene von Loma de Grande und zur Villa Verde, dann würde Gina ihrem Vater gegenüberstehen.

„Versprich mir, dass du ihm nicht erzählst, wer du bist“, hatte Isobel gedrängt, nachdem ihr klar geworden war, dass sie Gina nicht von ihrem Plan abbringen konnte.

„Wer bin ich denn? Eine Soames, eine Villiers oder eine de Navas?“, hatte Gina bitter gefragt. „Fast sechsundzwanzig Jahre lang habe ich gedacht, ich sei eine Soames, und jetzt stellt sich heraus, dass mein Vater ein Ölbaron aus Lateinamerika ist …“

„Du bist eine Soames“, hatte Isobel bestimmt erklärt. „Vergiss das nie. Peter hat dich adoptiert und wie seine eigene Tochter geliebt.“

„Trotzdem war er nicht mein leiblicher Vater“, erwiderte Gina heiser. „Wie konntest du mich nur so belügen?“

Sie biss sich auf die Lippe und sah Isobel mit tränenfeuchten Augen an. Dann wurde Gina bewusst, was dieses Gespräch für Isobel bedeutete und wie sehr die Worte sie verletzt haben mussten.

„Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Es war ein solcher Schock für mich … Ich kann es kaum glauben. Erzähl mir mehr darüber, Mutter. Ich möchte alles wissen.“

Schweigend hörte sie zu, während ihre Mutter berichtete. Am meisten erschreckte Gina, wie sehr die Geschichte ihrer Mutter ihrer eigenen ähnelte. Sie unterschieden sich nur in einem: Agustin hatte seine Geliebte erst verlassen, als sie ein Kind von ihm erwartete. Das hatte er allerdings nicht gewusst. Dagegen war Gina von Felipe nur eins geblieben: ein gebrochenes Herz.

Isobel beschönigte nichts, und ihre Worte berührten Gina so tief, dass ihr bald die Tränen über die Wangen liefen. Wie merkwürdig, dass sie sich in den gleichen Typ Mann verliebt hatte wie ihre Mutter!

„Hättest du mir das auch erzählt, wenn Daddy noch am Leben wäre?“, fragte Gina endlich leise. Peter Soames war gestorben, als Gina siebzehn war. Sie hatte lange um ihn getrauert, und nichts, was sie soeben erfahren hatte, konnte ihre Liebe für ihn schmälern. Er war ihr ein wundervoller Vater gewesen.

„Nein“, gab Isobel offen zu. „Peter hat dich gern gehabt, und du hast sehr an ihm gehangen. Warum hätte ich Unruhe zwischen euch stiften sollen? Ich konnte nach dir keine Kinder mehr bekommen – die Geburt war sehr schwer –, doch auch das hat Peter akzeptiert. Er hat mich geliebt.“

„Und du? Hast du ihn geliebt?“

Isobel seufzte. „Wir waren alte Freunde, und ich hatte ihn lieb, aber nicht wie …“

„Nicht wie meinen leiblichen Vater“, fragte Gina und warf zornig das lange schwarze Haar zurück. Seit ihre Mutter zu erzählen begonnen hatte, schwankte Ginas Stimmung ständig zwischen Trauer, Verständnis und Wut.

„Meine Liebe zu Agustin war etwas Besonderes, Gina“, hatte Isobel sanft erwidert. „So etwas widerfährt einem nur einmal im Leben. Der Tag, an dem er nach Südamerika zurückkehren musste, war der schlimmste meines Lebens. Agustin hat versprochen, mich bald nachzuholen, doch er hat es nicht getan.“

„Und du hast ihn einfach gehen lassen! Obwohl du schwanger warst! Warum hast du nicht um ihn gekämpft? Du hättest ihm wenigstens mitteilen müssen, dass du ein Kind von ihm erwartetest.“

Im Grunde hatte Gina ihre Mutter jedoch gut verstanden. Auch sie hatte nicht um Felipe gekämpft. Dazu war sie zu verwirrt und verletzt gewesen. Und zu stolz. Felipe war von einem Tag auf den anderen verschwunden, zusammen mit Bianca, seiner schönen Cousine. Eine Woche später hatte er eine Nachricht auf Ginas Anrufbeantworter gesprochen: eine Telefonnummer in New York, unter der Gina ihn erreichen konnte.

Natürlich hatte sie nicht angerufen. Nicht nachdem er sie mit einer anderen verlassen hatte, nicht aufgrund einer so knappen, sachlichen Mitteilung, in der nicht einmal andeutungsweise von Liebe oder Sehnsucht die Rede war. Gina hatte das Band wahrlich oft genug abgehört, in der Hoffnung, wenigstens in Felipes Tonfall einen Widerhall von Liebe oder auch nur Leidenschaft zu finden. Vergeblich.

In einem Punkt hat Mutter mehr Glück gehabt als ich, dachte Gina, während sie ins Hotelzimmer zurückkehrte, um zu duschen. Mutters Affäre mit Agustin hat ein halbes Jahr gedauert. Eine Ewigkeit verglichen mit der einen Woche, die Felipe und ich geteilt haben.

In sechs Monaten konnte eine tiefe, dauerhafte Verbindung zwischen zwei Menschen wachsen – auch wenn das Ginas Mutter nicht viel genützt hatte. Aber in einer Woche? Waren sieben Tage nicht viel zu kurz, um von wahrer Liebe zu sprechen?

Trotzdem glaubte Gina zu wissen, dass sie für immer an Felipe gebunden war. Ihr Leben war nie in geschützten Bahnen verlaufen, dafür hatte schon der Beruf ihrer Mutter gesorgt. Whitegates war ein Treffpunkt für Künstler und Kunstinteressierte gewesen, aber auch für die Freunde und Kollegen des Vaters, Dozenten von der Universität, Schriftsteller, Dichter und Philosophen.

Der Kontakt mit diesen Menschen hatte Ginas Horizont erweitert, und durch ihren Beruf hatte sie viel von der Welt gesehen. Seit ihrer ersten eigenen Ausstellung in der bekannten Galerie Portia in Paris hatte es keinen Mangel an Aufträgen gegeben. Obwohl ein boshafter Kritiker behauptet hatte, sie habe ihren Erfolg nur dem Einfluss ihrer Mutter zu verdanken, war Gina klug und erfahren genug, um zu wissen, dass sie wirklich begabt war. Leider schien sich ihre Klugheit auf berufliche Fragen zu beschränken. Was Felipe betraf, hatte Gina all ihre Lebenserfahrung nichts genutzt.

Gina fönte sich das schwarze Haar trocken und setzte sich vor den Spiegel des Toilettentischs, um es zu kämmen. Seit der Trennung von Felipe hatte sie es wachsen lassen, sodass es ihr jetzt bis weit über die Schultern fiel. Es war dicht und glatt und glänzte seidig wie das Isobels.

Sonst hatten sie beide nicht viel gemeinsam. Ginas Gesichtszüge waren nicht von der klassischen Schönheit wie Isobels, sondern weicher, die Lippen voller und die großen braunen Augen heller. Gina hatte etwas Verletzliches an sich, das Isobel nicht besaß. Jedenfalls sahen sie sich nicht sehr ähnlich, wofür Gina dankbar war. Sie würde Agustin nicht an seine frühere Geliebte erinnern.

Nachdenklich betrachtete sie sich im Spiegel. War sie wirklich verletzlich? Wenn, dann hatte Felipe sie dazu gemacht. Früher war sie Männern gelassen und selbstbewusst gegenübergetreten. Bis sie bei der Eröffnung ihrer Londoner Ausstellung über die Köpfe der Gäste hinweg dem Blick von Felipe Santos begegnet war. Gina hatte das Gefühl gehabt, kopfüber in einen Abgrund zu stürzen. Dabei hatte sie nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt.

„Ich mag Ihre Bilder“, hatte Felipe erklärt, als er sich zu ihr durchgedrängt hatte. Der Blick seiner nachtdunklen Augen hielt sie gefangen, und alles andere um Gina herum hörte auf zu existieren.

„Danke“, erwiderte sie leise.

Er lächelte. „Soll ich uns beiden einen Gefallen tun und Sie von hier wegbringen? Ich möchte Sie lieben.“

Gina war nicht einmal überrascht. Mit diesen wenigen offenen Worten hatte Felipe ihr Leben verändert, und sie fand das damals richtig. Willig ließ sie es geschehen, dass er sie am Ellbogen fasste und in die kalte Winternacht hinausführte.

Felipe lud sie nicht erst zum Abendessen ein, um sie nachgiebig zu stimmen. Das war auch nicht nötig. Gina musste nicht erst mehr über ihn erfahren. Sie glaubte fest daran, dass sie richtig handelte und dass ihr etwas Aufregendes und sehr Schönes bevorstand.

Während der Taxifahrt hielt sie Felipes Hand und betrachtete ihn mit dem geübten Auge der Malerin. Er sah überwältigend gut aus: dunkle, tief liegende Augen, die auf spanische Vorfahren schließen ließen, eine vollkommen geformte Nase, ein kraftvoll und doch sinnlich wirkender Mund und dichtes, lockiges nachtschwarzes Haar; das förmlich zum Streicheln einlud.

Nur als das Taxi vor Felipes Haus in St. John’s Wood hielt, kamen Gina kurz Bedenken. Noch nie hatte sie sich einem Mann hingegeben, ohne einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden. Doch im nächsten Moment waren ihre Zweifel schon wieder verflogen wie Wolken im Sommerwind.

Sobald Felipe die Haustür hinter ihnen geschlossen hatte, nahm er Gina in die Arme und küsste sie warm und zärtlich. Noch war nichts von der wilden Leidenschaft zu spüren, mit der er sie lieben würde.

„Du bist das schönste Geschöpf, das mir je begegnet ist“, flüsterte er, die Lippen an ihrem Hals.

Gina lächelte. Das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Ihre Erregung wuchs.

Felipe führte Gina die Treppe hinauf und in sein luxuriös eingerichtetes Schlafzimmer. Wertvolle antike Möbel schufen eine warme Atmosphäre, weiche Teppiche bedeckten den Boden, und vor den Fenstern hingen Vorhänge aus Seide. Das riesige, mit einer bestickten blauen Seidendecke bedeckte Bett sah einladend weich aus. Der Raum war wie geschaffen für die Liebe.

Ohne Hast zog Felipe Gina das Kleid aus und streifte ihr die schwarze Spitzenwäsche ab. Zugleich flüsterte er Gina zu, wie schön er sie fand, wie sehr er ihre helle, glatte Haut und die runden, festen Brüste bewunderte.

„Von nun an werde ich dich jeden Tag meines Lebens lieben“, sagte er rau, „ob du bei mir bist oder nicht. Jeden Tag wirst du mir gehören, wenn nicht körperlich, dann in meiner Fantasie.“

Noch nie war Gina einem so faszinierenden, sinnlichen Mann begegnet. Stumm und bewundernd sah sie zu, wie er sich auch auszog. Sein Körper war vollkommen, die Haut glatt und sonnengebräunt. Feine dunkle Härchen bedeckten die Brust und liefen in einer schmalen Linie über den Bauch hinab zur Leistengegend. Gina sehnte sich danach, Felipe zu berühren, doch er ließ sie warten, bis genau der richtige Moment gekommen war.

Endlich streckte Felipe die Hände aus und zog Gina langsam in seine Arme und in seinen Bann, in eine berauschend sinnliche Welt, von der sie bis dahin nichts geahnt hatte. Er hob sie hoch, legte sie aufs Bett und begann, mit der Zunge ihren Körper zu erforschen.

Bald hatte Gina alles um sich vergessen. Sie glühte förmlich vor Leidenschaft, das Herz klopfte wie wild, und die Brüste schmerzten vor Verlangen. Der Körper gehorchte ihr nicht mehr. Felipe beherrschte sie völlig, und als er in sie eindrang, hatte sie das Gefühl, in Flammen zu stehen. Er stieß tief in Gina hinein und flüsterte immer wieder rau ihren Namen, wie eine Beschwörungsformel.

In jener ersten Nacht konnten sie nicht genug voneinander bekommen. Sie liebten sich bis zum Morgengrauen, schliefen eng aneinander geschmiegt und liebten sich wieder. Zwischendurch flüsterten sie sich Worte der Liebe zu oder lagen still beieinander und versuchten zu begreifen, was mit ihnen geschah. Spät am Vormittag standen sie auf, duschten, tranken starken, süßen türkischen Kaffee, unterhielten sich ruhig und liebten sich auf der weichen Ledercouch unten im Wohnzimmer.

Aus Stunden wurden Tage. Gina hatte längst alles vergessen, was ihr früher wichtig war, selbst ihre Arbeit. Sie und Felipe hatten sich in ihre Liebe eingesponnen wie in einen schützenden Kokon. Was in der Welt draußen vor sich ging, kümmerte sie nicht.

Bis eines Morgens Bianca ankam. Die schöne, reiche, zornige Bianca.

„Du solltest mich am Flughafen abholen!“, fuhr sie Felipe an, als er auf ihr Klingeln hin öffnete. „Bezahl das Taxi, ja?“, befahl sie und drängte sich an ihm vorbei ins Haus.

Vom Kopfende der eleganten Wendeltreppe aus hatte Gina alles beobachtet. Sie wagte sich kaum zu rühren. Erst als Felipe ihr zuwinkte, ging sie langsam und klopfenden Herzens nach unten und ließ sich vorstellen.

Bianca kam gerade aus New York. Sie war sehr schön, auf dieselbe exotische Art wie Felipe, und obwohl sie zwei Jahre jünger war als Gina, besaß sie das sichere Auftreten aller reichen, schönen, verwöhnten Frauen. Dass sie Felipes Cousine war, tröstete Gina nur wenig. Dazu war der Blick, den Bianca ihr schenkte, zu feindselig. Das konnte nicht nur daran liegen, dass Felipe Bianca nicht am Flughafen abgeholt hatte.

Felipe schien von der Spannung zwischen ihnen nichts zu spüren. Männer waren für solche Dinge oft blind, während jede Frau sie sofort bemerkte. Gina konnte Biancas Abneigung fast körperlich fühlen.

„Also deshalb hast du mich nicht abgeholt.“ Bianca sah Gina kalt von Kopf bis Fuß an, streifte den federleichten Kaschmirmantel ab und ließ ihn achtlos auf die Couch fallen. „Das hätte ich mir denken können. Und ich durfte eine Ewigkeit am Flughafen auf dich warten …“

„Ich habe es leider vergessen“, sagte Felipe besänftigend.

„Ach, zum Teufel mit dir! Ich brauche Schlaf. Ich bin völlig erschöpft. Weck mich nicht.“ Sie rauschte die Treppe hinauf und knallte die Tür des Gästezimmers hinter sich zu.

„Ich gehe wohl besser“, meinte Gina unbehaglich.

„Das kommt nicht infrage!“ Felipe umarmte sie.

„Nein, Felipe. Nicht solange …“

„Solange Bianca im Haus ist? Wieso bist du plötzlich so prüde?“

„Das bin ich doch gar nicht!“

„Dann vergiss sie.“

„So wie du vergessen hast, sie abzuholen?“

„Überrascht dich das etwa?“ Er lächelte sie an. „Seit ich dir begegnet bin, kann ich an nichts anderes mehr denken.“

Er küsste sie. Ginas Widerstand schmolz dahin, und sie blieb. Allerdings nicht mehr lange.

Den Abend verbrachten sie zu dritt. Felipe führte Gina und Bianca zum Essen aus, war lieb und charmant zu beiden und widmete jeder gleich viel Aufmerksamkeit. Nur ab und zu drückte er heimlich Ginas Hand.

Nach dem Essen kehrte Gina nicht mit ihnen zu Felipes Haus zurück, sondern bestand darauf, mit dem Taxi zu ihrer Atelierwohnung in Maida Vale zu fahren.

Felipe versuchte nicht, sie umzustimmen. „Ich rufe dich morgen früh an“, versprach er, als sie sich vor dem Restaurant verabschiedeten, und küsste sie zärtlich, fast als würde er für immer Abschied nehmen.

Am nächsten Morgen rief Felipe jedoch wie versprochen an und schickte Blumen. Später am Tag besuchte er sie im Atelier. Er sagte, er habe sie vermisst, und sie versuchte, nicht an Bianca zu denken.

Also zeigte Gina ihm das Bild, an dem sie gerade arbeitete, das Porträt eines reichen Industriellen.

„Er sieht langweilig und eingebildet aus“, meinte Felipe sachlich.

„Das ist er auch.“

Lachend zog Felipe sie an sich und küsste sie. „Habe ich dich gekränkt?“

„Überhaupt nicht. Ich male immer, was ich sehe.“

„Würdest du mich malen?“

„Niemals!“ Sie lächelte frech. „Ich porträtiere keine Raubkatzen.“

Felipes Fauchen brachte sie beide zum Lachen. Zwischen ihnen war alles wieder in Ordnung. Abends kochte Gina, und hinterher liebten sie sich bis tief in die Nacht hinein, als hätte es Bianca nie gegeben. Sie wurde mit keinem Wort von Gina erwähnt. Warum sollte sie ihr Glück mutwillig gefährden? Solange Felipe sie liebte, spielte nichts anderes eine Rolle …

Nach dieser Nacht hatte Gina ihn nicht wieder gesehen. Als er gegen Mittag gegangen war, hatte er Gina fest versprochen, sie anzurufen, doch der Anruf war nicht gekommen. Am nächsten Tag war sie nach St. John’s Wood gefahren, hatte vor Felipes Haus gehalten und zu den Fenstern hinaufgeschaut. Sie hatte sofort gespürt, dass das Haus menschenleer war. Felipe war fort – und Bianca mit ihm.

Nach einer Woche hatte er aus New York angerufen, aber da war es zu spät. Gina hatte genug durchgemacht.

Ungeduldig sah Gina auf die Uhr. Eigentlich hätte Mike Anders längst hier sein müssen. Sie fühlte sich ruhelos und hätte gern etwas unternommen, doch es blieb ihr nichts übrig, als weiter zu warten.

Für eine Stadtbesichtigung ist es sowieso zu heiß, sagte sie sich. Und bestimmt wird Mike Anders nun bald eintreffen. Er war der Pilot ihres Vaters und sollte sie zur Villa Verde fliegen.

Gina presste die Lippen zusammen. Sie durfte Agustin de Navas nicht einmal in Gedanken „Vater“ nennen, für sie durfte er nichts als ein venezolanischer Ölbaron sein, der porträtiert werden wollte.

Endlich klingelte das Telefon, und der Hotelportier teilte ihr mit, dass Mr. Anders in der Halle sei. Gina hängte sich die Ledertasche, die Farben und Pinsel enthielt, über die Schulter, griff nach dem Koffer und ging den Korridor entlang zum Fahrstuhl.

Vor ihrer Abreise hatte Gina Agustin de Navas per Fax wissen lassen, was sie für die Arbeit außer den Farben und Pinseln brauchte: eine Staffelei und Leinwand. Welche Arbeitsbedingungen sie vorfinden würde, wusste Gina natürlich nicht. Ein richtiges Atelier mit gutem Licht wäre natürlich ideal gewesen, aber damit war kaum zu rechnen. Es war jedoch nicht das erste Mal, dass sie Kunden in deren Zuhause porträtierte. Sie würde schon zurechtkommen.

„Tut mir leid, dass Sie warten mussten, Miss Soames“, begrüßte Mike Anders, ein junger, sportlich wirkender blonder Amerikaner, sie an der Rezeption in der Halle.

„Bitte nennen Sie mich doch Gina!“

„Gern … Gina.“ Er lächelte. „Ich hatte viel zu tun, deshalb habe ich mich verspätet. Agustin de Navas musste gestern Nacht unerwartet nach Maracaibo. Dort hat es beim Beladen eines Tankers ein riesiges Leck gegeben. Der Chef wollte sich selbst darum kümmern. Ich habe ihn hingeflogen und bin erst heute Vormittag zurückgekommen.“

„Und er ist da geblieben?“, fragte Gina und verzog das Gesicht. Sie wollte so bald wie möglich mit dem Porträt anfangen, denn in England wartete bereits der nächste Auftrag auf sie.

„Ja. Er kommt erst zurück, wenn alles unter Kontrolle ist. He, nur keine Sorge, Sie werden sich auf der Ranch schon gut amüsieren.“ Lachend begleitete Mike sie zu einem Taxi und hielt ihr die Tür auf. „Da draußen gibt’s einen Swimmingpool, Pferde, Tennisplätze, Schießstände … einfach alles. Sagen Sie, wollen Sie wirklich den Boss malen? Das ist aber ein komischer Beruf für eine Frau.“

Gina war froh, nicht mehr allein zu sein. Mikes unbeschwertes Geplauder würde sie hoffentlich von ihren Sorgen ablenken. Trotzdem musste sie während der Fahrt zum Flughafen immer wieder an das denken, was vor ihr lag. Bestimmt hatte Agustin de Navas inzwischen längst Frau und Kinder. Das war einer der Gründe, weshalb Isobel nicht gewollt hatte, dass sie zu ihm fuhr.

„Es wird dich nur noch mehr verletzen, wenn du ihn mit seiner Familie siehst, Gina. Lass das Ganze auf sich beruhen. Das ist für alle am besten.“

Entschlossen hatte Gina den Kopf geschüttelt. „Mir kann so leicht nichts mehr wehtun, Mutter. Ich muss diesen Auftrag einfach annehmen. Agustin de Navas ist mein Vater, und ich möchte ihn kennenlernen. Verstehst du das nicht?“

Schließlich hatte Isobel es eingesehen und sie gehen lassen, wenn auch nur sehr widerwillig.

Sie liebt ihn nach sechsundzwanzig Jahren immer noch, obwohl sie mit einem anderen Mann verheiratet gewesen war, dachte Gina, während Mike ihren Koffer und die Ledertasche ins Flugzeug lud.

Irgendwie verstand sie ihre Mutter.

2. KAPITEL

Der Flug über die wilden, einsamen Berge jenseits von Caracas war atemberaubend. Mike redete fast ununterbrochen, sodass Gina nicht viel Zeit zum Grübeln fand. Inzwischen war sie fast froh, dass sie Agustin de Navas nicht schon heute gegenübertreten musste.

Schließlich hatten sie die Berge hinter sich gelassen und flogen über eine weite grüne Ebene. Das Flugzeug verlor an Höhe.

„Da unten liegt die Villa!“ Mike klopfte gegen das linke Fenster. „Ganz schön groß, was?“

Gina nickte nur. Der Anblick verschlug ihr den Atem. Die Villa Verde war der Mittelpunkt einer riesigen Hazienda. Dicht neben dem Haus entdeckte Gina ein weiß getünchtes Gebäude, das wie eine Kirche aussah. Ein Swimmingpool glitzerte tiefblau zwischen Palmen und dunkelgrünen Zypressen. Ein Stück entfernt stand eine Gruppe kleiner Häuser.

Ob das alles Agustin de Navas gehörte? Die Häuser bildeten fast ein kleines Dorf. Vielleicht lebten da die Söhne und Töchter mit ihren Familien? Plötzlich wünschte Gina, sie hätte doch auf ihre Mutter gehört.

Mike bemerkte, wie besorgt sie zu den Häusern hinunterschaute, erriet den Grund aber natürlich nicht.

„Keine Angst“, sagte Mike lachend zu Gina, sobald sie gelandet waren, „Sie müssen nicht zu Fuß zur Villa gehen.“ Die Landebahn lag ein ganzes Stück von der Hazienda entfernt.

Gina lächelte. „Da bin ich aber froh.“ Als Mike die Tür aufschob, schlug ihnen die Hitze wie aus einem Backofen entgegen. „Hier ist es ja noch heißer als in Caracas!“

„Unmöglich. Heißer als in Caracas ist es nicht einmal in der Hölle“, scherzte Mike.

Neben dem Hangar stand ein offener Chevrolet für sie bereit. Mike schwang Ginas Koffer auf den Rücksitz. „Steigen Sie ein, dann sind wir im Handumdrehen da.“

Wenig später hielten sie am Fuß der breiten Steintreppe, die zum Eingang der Villa Verde hinaufführte. Gina stieg aus dem Wagen und betrachtete das zweistöckige, weiß getünchte Gebäude. Das Dach war mit alten, leuchtend grünen Ziegeln gedeckt, und die reich verzierten Fensterläden waren grün gestrichen. Auf Gina wirkte das Haus verlockend kühl, aber auch etwas beängstigend – oder lag das nur daran, dass sie sich vor den Menschen darin fürchtete?

Eine nicht sehr große, dunkelhaarige ältere Frau öffnete die schwere, eisenbeschlagene Tür und trat auf die Treppe heraus. Die Frau war ganz in Schwarz gekleidet, wie eine Witwe. Gina ging ihr entgegen.

„Ich freue mich, Sie zu sehen, Señorita Soames. Ich bin Maria.“ Lächelnd reichte die Frau Gina die Hand. „Sind Sie müde? Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer, dann essen Sie etwas und ruhen sich aus.“ Maria wandte sich Mike zu, der gerade Ginas Koffer in die riesige Eingangshalle trug. Die Sohlen seiner Turnschuhe quietschten auf den glänzenden Terrakottafliesen. „Christina wartet in der Küche. Sie vermisst dich.“

Autor

Natalie Fox
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