Heiratsantrag in der Karibik

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Wie kann Kostas es wagen, ihr bis in die Karibik zu folgen? Prinzessin Stella ist empört. Sie wird dem arroganten König niemals ihr Jawort geben, basta! Denn er ist nicht nur ihr größter Feind, der charismatische Herrscher hat ihr schon einmal das Herz gebrochen …


  • Erscheinungstag 11.02.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739423
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

So schmeckt also die Freiheit.

Prinzessin Styliani Constantinides oder Stella, wie sie seit ihrer Geburt genannt wurde, führte einen tropischen Cocktail auf Rum-Basis an die Lippen und trank einen Schluck. Genüsslich nahm sie den Kontrast von bitteren und süßen Aromen wahr, bevor sich der Alkohol seinen feurigen Weg in den Magen bahnte und dort ein wohliges Gefühl verbreitete.

Es war die perfekte Kombination für diesen Moment, in dem sie in der kleinen Bar ihrer Freundin Jessie an der Westküste von Barbados saß, weit weg von ihrem Zuhause in Akathinia, und über ihre Zukunft nachdachte.

Süß in Anbetracht ihres Burnouts nach über hundert öffentlichen Auftritten im letzten Jahr, die sie zusätzlich zu ihrer Arbeit als Vorsitzende von zwei internationalen Agenturen für Jugendarbeit geleistet hatte. Bitter, weil ihr Bruder Nik ihr vorgeworfen hatte, vor dem eigentlichen Problem davonzulaufen.

Sie fühlte sich, als wäre es gestern gewesen, dass sie ihre Ausbildung in der Schweiz abgebrochen hatte, um einen Monat in Paris zu verbringen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, das streng reglementierte Studium nehme ihr die Luft zum Atmen. Als würden die vielen Opfer, die sie seit damals gebracht hatte, nichts bedeuten …

„Wie schmeckt der?“

Der testosteronschwangere Barkeeper mit den Dreadlocks legte die Unterarme auf die graue Marmortheke und zog eine dichte dunkle Augenbraue hoch.

„Perfekt.“ Das Lächeln, das sie ihm schenkte, war das erste echte seit Monaten. Er hob den Daumen, dann wandte er sich ab, um einen weiteren Gast zu bedienen.

Entspannt umschloss sie das tulpenförmige Glas mit beiden Händen und betrachtete die feurige Farbgebung des Cocktails. Sie war anderer Meinung als ihr Bruder, der König. Sie rannte nicht weg, sondern zog lediglich eine klare Grenze. Ihren Kindheitstraum mochte sie für ihr Land aufgegeben und die Freiheit geopfert haben, die ihr so wichtig war wie die Luft zum Atmen, doch der neueste Befehl ihres Bruders ging entschieden zu weit.

Sie würde es nicht tun.

Tief atmete sie aus. Und als sie die salzige Seeluft einsog, fühlte sie, wie die Anspannung von ihr abfiel, wie ihr Kopf frei wurde und sich die Enge in ihrer Brust löste.

Wann hatte sie das letzte Mal das Gefühl gehabt, atmen zu können? Dass nichts ihr Leben auf den Kopf stellen könnte? Als wäre der Irrsinn, der sie in dieses karibische Paradies gebracht hatte, einfach ein ärgerliches Schreckgespenst gewesen, das sie mit einem unter falschem Namen gekauften Flugticket und der lebenslangen Übung, Bodyguards zu entkommen, vertreiben konnte?

Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Es war ein unwiderstehliches Spiel gewesen. Fast so lustig wie die, die sie und Nik früher mit den Palastbediensteten gespielt hatten. Unter dem Vorwand, zu einem heimlichen Rendezvous zu wollen, obwohl ein Mann im Moment das Letzte war, was sie in ihrem Leben gebrauchen wollte, hatte sie ihren Exbodyguard Darius dazu gebracht, sie allein aus dem Palast gehen zu lassen. Der Mann war rot geworden und hatte zugestimmt, ihr Verschwinden zu „übersehen“. In einem Harvard-T-Shirt und mit Sonnenbrille an Bord eines Linienflugzeugs zu gehen und die Flucht von der paradiesischen Mittelmeerinsel anzutreten, die sie ihr Zuhause nannte, war noch einfacher gewesen.

Der einzige Wermutstropfen war die SMS von Nik. Sie hatte ihm die Nachricht geschickt, dass es ihr gut ging und dass sie Zeit zum Nachdenken brauchte. Seine schroffe, mahnende Antwort hatte sie dazu veranlasst, das Handy auszuschalten.

Ihr Bruder könnte sie natürlich finden, wenn er wollte. Doch sie wusste, dass er sie nicht suchen würde. Einst selbst ein Rebell, kannte Nik den Preis, den sie gezahlt hatte, um sich die Flügel stutzen zu lassen und ihre eigenen Interessen hintanzustellen. Auch für ihn war es ein großes Opfer gewesen, sein Leben in New York aufzugeben, um den Platz ihres Bruders Athamos als König einzunehmen, als dieser bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen war – ein trauriges Ereignis, das ganz Akathinia erschüttert hatte. Er würde ihr die Zeit geben, sich selbst zu finden.

„Möchten Sie die Speisekarte?“ Der Barkeeper hielt ihr eine entgegen.

„Gern.“ Keine Paparazzi lagen auf der Lauer, kein Darius beobachtete sie mit Argusaugen, niemand ahnte, wer die junge Frau in Jeans, T-Shirt und Sonnenbrille war. Da Jessie erst Zeit haben würde, wenn der abendliche Ansturm vorüber war, könnte sie genauso gut essen und den wunderschönen Sonnenuntergang von der Terrasse aus beobachten.

„Der Tintenfisch soll spektakulär sein.“

Die tiefe, raue Stimme kam von rechts – von dem Mann, der sich gerade auf den Barhocker neben ihrem setzte. Sie erstarrte, ihr stockte der Atem, und ihre Nackenhaare richteten sich auf, ein Gefühl von Unwirklichkeit überkam sie. Das kann nicht sein. Denn diese tiefe, erotische Stimme mit dem carnelianischen Akzent gehörte …

Neeeein! Jeder Muskel in ihrem Körper verspannte sich, ihr Herz begann zu stolpern, ihre Atmung setzte aus, als sie den erdigen, sinnlichen Duft des Mannes wahrnahm. Ihre Füße befahlen ihr – flehten: Renn weg. Doch sie war noch nie feige gewesen, deshalb blieb sie und sah den König von Carnelia an.

Groß und muskulös wie er war, ließ er den Barhocker, auf dem er saß, klein erscheinen. Schon seine Muskelkraft war fesselnd, furchterregend. Aber noch gefährlicher für eine Frau war, dass diese pure männliche Kraft in einer kultivierten Hülle steckte, was ihn immer von seinem grausamen Vater unterschieden hatte und was sie einst hatte glauben lassen, er wäre anders.

Mit einer Handbewegung machte Kostas Laskos den Barkeeper auf sich aufmerksam. Eine unnötige Geste, da ihn ohnehin jeder in der Bar anstarrte. Die Frauen wegen seines markanten, attraktiven Gesichts, das noch von seinem kurz geschnittenen schwarzen Haar betont wurde. Die Männer, weil jemand, der so gefährlich wirkte, sofort eingeschätzt werden musste.

„Den ältesten Mount Gay Rum, den Sie haben“, bestellte der König.

Diavole. Sie bekam ein beklommenes Gefühl in der Magengegend, eine Reaktion, die nur dieser Mann jemals in ihr hatte auslösen können. So atemberaubend er in seiner Galauniform ausgesehen hatte, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte – beim Ball in Akathinia am Unabhängigkeitstag –, so unwiderstehlich wirkte er in Jeans und dem Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln.

Seine langen Finger erregten ihre Aufmerksamkeit. Er hatte gefährliche Hände – Hände, die einem Mann ebenso leicht das Genick brechen konnten, wie sie ihr achtzehnjähriges Herz zerquetscht hatten. Hände, die angeblich so gekonnt verführten, dass Frauen bei ihm Schlange standen, was sie jedoch nicht bestätigen konnte, weil er sie auf grausamste Weise zurückgewiesen hatte.

Sie biss sich auf die Unterlippe, seine Wirkung auf sie spürte sie im ganzen Körper. Sein wunderbar sinnlicher Mund hatte sie geküsst, um sie zu trösten, nachdem ihr Traum zerstört worden war. Er hatte ihr gezeigt, wie wahre Leidenschaft aussehen konnte, dann war er gegangen und hatte sich über ihre Schwärmerei lustig gemacht.

Sie hasste ihn.

Mit unbewegter Miene beobachtete er sie, analysierte jede ihrer Reaktionen auf ihn. Also zwang sie sich, etwas zu sagen. „Solltest du nicht zu Hause sein und deinen Piratenstaat regieren, oder ist deinem Jet der Treibstoff ausgegangen?“

„Du weißt, warum ich hier bin.“

Ruckartig setzte sie das Glas ab. „Keine Sorge, du kannst tanken und dich auf den Weg machen. Ich habe Nik meine Antwort gegeben. Ich würde dich niemals heiraten, selbst dann nicht, wenn du hundert Milliarden Euro zahlen würdest.“

„Du hast abgelehnt, bevor du dir überhaupt angehört hast, was ich biete.“

Sie legte sich den Finger an den Mund. „Lass mich nachdenken … Hmm. Ein Barbar als Ehemann, ein Leben im Lager des Feindes, eine Verbindung mit einem Mann, der nicht einmal den Mut hatte, seinen Vater zu stoppen, als dieser versucht hat, Akathinia zu übernehmen? Nein, danke.“

Ein Muskel trat an seinem Kiefer hervor. „Pass auf, was du sagst, Stella. Du kennst nicht alle Fakten.“

„Du kommst anderthalb Jahre zu spät. Es interessiert mich nicht mehr.“ Sie rutschte von dem Barhocker. „Flieg nach Hause, Kostas.“

„Setz dich“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Tu mir den Gefallen, und hör mich an. Die Zeit für Trotzanfälle ist lange vorbei.“

Gäste drehten sich zu ihnen um und starrten sie an. Jessie, die gerade Stühle um einen Tisch stellte, blickte zu ihr herüber und machte große Augen, als sie den Mann neben Stella wahrnahm. Stella gab ihr ein Zeichen und setzte sich wieder, weil sie keine Szene machen und ihre Tarnung auffliegen lassen wollte. Nicht weil der König es befohlen hatte.

Kostas nagelte sie mit seinem Blick fest. „Iss mit mir zu Abend. Hör zu, was ich zu sagen habe. Wenn du das tust, verspreche ich dir, dass ich gehen und jede Entscheidung akzeptieren werde, die du triffst.“

Jede Entscheidung akzeptieren? War er immer so arrogant gewesen? Wie hatte sie jemals so blind verliebt sein können, dass sie sich zu einer totalen Idiotin gemacht hatte?

Ihr wurde heiß. „Kala“, sagte sie mit ihrer süßesten Stimme. „Du hast recht. Diese Unterhaltung ist längst überfällig. Bestell uns doch eine gute Flasche Bordeaux, such einen Tisch aus, und dann unterhalten wir uns beim Essen wie zwei zivilisierte Erwachsene.“

Erneut rutschte sie vom Hocker und rauschte an ihm vorbei in Richtung Damentoilette.

Kostas wusste, dass Stella nicht zurückkehren würde. Er kannte sie. Kannte sie seit der Kindheit, als die königlichen Familien von Akathinia und Carnelia sich oft bei offiziellen Anlässen begegnet waren, die die Saison am Mittelmeer auszeichneten. Seine Familie hatte großen Respekt genossen, als die Neigung seines Vaters zu einer diktatorischen Regentschaft noch nicht so stark ausgeprägt gewesen war.

Er hatte miterlebt, wie Stella sich von einem unbestreitbar hübschen Teenager zu einer temperamentvollen jungen Frau entwickelte, die den größten Teil ihrer Zeit damit verbrachte, den Aufstand zu proben. Erst in den letzten Jahren war aus der rebellischen Prinzessin von Akathinia eine angesehene, weltweit agierende Wohltäterin geworden.

Und darüber war er froh. Es war ihre Willenskraft, die er immer respektiert hatte, ja, er hatte sich regelrecht davon angezogen gefühlt. Von ihrem starken Charakter. Dies war eine Eigenschaft, die er bei einer Ehefrau suchte, einer Frau, die außergewöhnliche Dinge mit ihm vollbringen könnte – die die Struktur einer Nation ändern könnte, die schwer gelitten hatte. Wenige hätten den Mut, die Herausforderung anzunehmen, die er ihr bieten wollte. Stella war er angeboren.

Er ließ sich einen Tisch am Rand der Terrasse geben, an dem sie in Ruhe sprechen könnten, und ging dann zu den Damentoiletten, wo er sich an die Wand lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt. Als Stella herauskam und direkt auf den Ausgang zusteuerte, räusperte er sich.

„Ich dachte, du brauchst vielleicht Hilfe bei der Suche nach unserem Tisch“, sagte er freundlich. „Ist ein Château Margaux okay?“

Sie machte große Augen, kniff sie dann zusammen, und ein ganzes Spektrum an Emotionen blitzte in ihrem Gesicht auf, als sie sich einen Plan B überlegte. „Wunderbar“, erwiderte sie und rauschte an ihm vorbei ins Restaurant.

Er folgte ihr amüsiert und genoss den Anblick ihres knackigen Pos in den engen Jeans. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so lebendig gefühlt hatte, so voller Lebenslust.

Galant führte er sie zu dem Tisch auf der Terrasse und rückte ihr den Stuhl zurecht. Sie setzte sich, und er berührte wie zufällig ihre Schultern, als er die Hände zurückzog, woraufhin die Prinzessin sichtbar zusammenzuckte. Ein Test. Zufrieden registrierte er das Ergebnis. Sie wünschte sicherlich, sie könnte ihn hassen, doch er wusste, dass es anders war.

Während der Kellner die Weinflasche entkorkte, widmete er der Frau, die ihm gegenübersaß, seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Ohne Make-up, die Haare zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden, waren die kühnen Gesichtszüge eine Herausforderung an sich. Nicht schön im klassischen Sinn, aber unvergesslich, insbesondere da sie mit eisblauen Augen und blondem Haar gepaart waren.

Jede andere Frau war irgendwann zu einer verschwommenen Kopie der vorherigen verblasst, doch Stella war einzigartig geblieben. Sie hatte er nie mit den anderen in einen Topf werfen können. Immerhin war sie die Frau, der er im Alter von dreiundzwanzig Jahren mit beeindruckender Selbstbeherrschung widerstanden hatte.

Der Kellner gab dem Wein Zeit zu atmen. Kostas verschränkte die Finger und packte gleich ein heißes Eisen an. „Tut mir leid wegen Athamos. Ich weiß, wie sehr du ihn geliebt hast und wie sehr ihr, du und deine Familie, um ihn trauert.“

„Tatsächlich?“ Sie reckte das Kinn und sah ihm in die unglaublich blauen Augen. „Ich glaube nicht, dass du unsere Trauer nachempfinden kannst, denn du lebst, Kostas, und Athamos ist tot.“

Volltreffer. Er schnappte nach Luft, doch er hatte es verdient. Seit der Nacht, in der Athamos gestorben war, wünschte er jeden wachen Moment, er könnte die Uhr zurückdrehen. Wünschte, er könnte Stellas Bruder, den früheren Kronprinzen von Akathinia, zu seiner Familie zurückbringen. Aber das konnte er nicht. Der Albtraum jener Nacht würde ihn für immer an seine Fehler erinnern. Alles, was er tun konnte, war, sich selbst zu verzeihen, und versuchen weiterzumachen, bevor er zugrunde ging. Und da sein Land alle Hoffnungen in ihn setzte, war das keine Option.

Er hielt ihrem kalten, verbitterten Blick stand. „Er war ebenso sehr Freund wie Rivale, das weißt du. Unsere Beziehung war sehr komplex. Ich übernehme die Verantwortung für den tragischen Unfall in jener Nacht, aber wir haben beide in das Rennen eingewilligt. Wir haben beide schlechte Entscheidungen getroffen.“

„Ja, aber du warst der Anführer. Ich habe die Geschichten über euch in der Flugschule gehört – sie sind legendär. Du hast ihn angestachelt, bis ihr beide nichts anderes mehr kanntet, als eure Besessenheit, zu gewinnen. Aber in jener Nacht ging es nicht darum, Punkte zu sammeln, ihr habt mit eurem Leben gespielt. Wie kann ich dir das jemals verzeihen?“

„Du musst es“, stieß er mühsam beherrscht hervor. „Verbitterung bringt nichts. Ich kann ihn nicht wieder lebendig machen, Stella. Ich würde es, wenn ich könnte. Du musst mir verzeihen, damit wir weitermachen können.“

„Dafür ist es zu spät. Was hattest du so Wichtiges zu tun, dass du nicht zu uns kommen und uns erklären konntest, was passiert ist? Was war so dringend, dass du gehen musstest, ohne uns aus unserem Elend zu befreien?“

„Ich hätte es tun sollen.“ Er schloss die Augen, suchte nach den richtigen Worten. „Was in jener Nacht passiert ist, hat mich erschüttert. Ich brauchte Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten. Um die Scherben aufzusammeln …“

„Und das war wichtiger als der wertvolle Frieden und die Demokratie, die du predigst.“ Sie feuerte die Worte regelrecht auf ihn ab. „Während du dich selbst gefunden hast, haben wir in Angst gelebt, dein Vater würde Akathinia wieder Catharian Islands angliedern. Warum hast du nicht eingegriffen?“

„Mein Vater war der König. Ich konnte ihn nicht vom Thron stürzen, sondern bloß versuchen, vernünftig mit ihm zu reden. Am Ende hat das aber nicht mehr funktioniert. Er litt zunehmend unter Demenz. Ich musste den richtigen Augenblick abwarten, um die Herrschaft zu übernehmen.“

„Deshalb hast du dich selbst ins Exil geschickt?“

„Ich bin nach Tibet gegangen.“

„Tibet?“ Ihre Augen wurden groß. „Du hast mit den Mönchen gelebt?“

„So ähnlich.“

Sie starrte ihn an, als suchte sie nach einem Hinweis, dass er scherzte. Als er nichts sagte, lehnte sie sich zurück, der Blick kalt. „Hat dir dein Aufenthalt dort die ersehnte Vergebung gebracht? Die Absolution? Vielleicht war es auch Frieden, wonach du gesucht hast. Weiß der Himmel, wir alle haben danach gesucht. Wir hatten nicht einmal eine Leiche, die wir begraben konnten.“

Er biss die Zähne zusammen. „Es reicht, Stella.“

„Sonst was? Ich bin nicht dein Untertan, Kostas. Du kannst nicht hierherkommen, den ersten Urlaub stören, den ich seit Jahren habe, und mich rumkommandieren, wie dein Vater es so gern getan hat. Du bewegst dich gerade auf ganz dünnem Eis.“

Er wusste es. „Sag mir, was ich tun soll.“

Der Kellner kam, um den Wein einzuschenken, und verschwand sofort wieder. Stella trank einen Schluck, dann nahm sie das Glas zwischen beide Hände, den Blick unverwandt auf Kostas gerichtet. „Was ist in jener Nacht passiert? Warum habt ihr das Rennen veranstaltet?“

Sein Herz pochte laut in seiner Brust. Jedes Detail, jede Sekunde jener Nacht hatten sich in sein Gedächtnis eingeprägt. Er hatte sich selbst versprochen, nie wieder darüber zu sprechen, doch wenn er es nicht tat, würde Stella ihn einfach sitzen lassen.

„Athamos und ich haben auf Carnelia eine Frau kennengelernt. Cassandra Liatos. Wir hegten beide Gefühle für sie. Sie war hin und her gerissen, mochte uns beide. Wir beschlossen, es mit einem Autorennen durch die Berge zu klären – der Gewinner sollte die Frau bekommen.“

Ihr fiel die Kinnlade hinunter. „Ihr hattet ein illegales Autorennen, und der Preis war eine Frau?“

Er kniff die Lippen zusammen. „Einer von uns musste weichen. Cassandra konnte sich nicht entscheiden, also haben wir es getan.“

„Sie war also nur eine Figur in dem Spiel zwischen zwei zukünftigen Königen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das passt nicht zu meinem Bruder. Er hat Frauen nicht wie Gegenstände behandelt. Was war nur los mit ihm?“

Er sah weg. „Es war keine gewöhnliche Nacht.“

„Nein, es war eine Todesnacht.“ Ihr rauer Ton ließ ihn wieder aufblicken. „Wo ist Cassandra jetzt? War sie nach Athamos’ Tod mit dir zusammen?“

„Nein. Es war … unmöglich, einfach weiterzumachen.“

Stella sah in den Sonnenuntergang am Horizont. Er merkte ihr an, wie hart sie um Beherrschung kämpfte. Als sie den Blick schließlich wieder auf ihn richtete, hatte sie sich fest im Griff.

„Bist du fertig? Hast du alles gesagt, was du sagen wolltest? Denn wenn du glaubst, ich würde dich heiraten, nachdem ich das gehört habe, Kostas, dann spinnst du komplett.“

Er beugte sich vor, legte die Unterarme auf den Tisch. „Es war ein Fehler. Ich habe einen Fehler gemacht, für den ich den Rest meines Lebens bezahlen werde. Was ich für uns vorschlage, ist eine Partnerschaft. Die Chance, den Frieden und die Demokratie im Ionischen Meer wiederherzustellen.“

„Ich soll dir helfen, nach allem, was du getan hast? Ich soll zulassen, dass du mich als Gallionsfigur benutzt, die du der Welt bei irgendwelchen PR-Aktionen vorführst, um Carnelias Glaubwürdigkeit wiederherzustellen?“

Ihre Feindseligkeit schockierte ihn. „Seit wann bist du so zynisch? So gnadenlos unversöhnlich? Wo ist die Frau, die alles für eine bessere Welt getan hätte?“

„Ich kämpfe für eine bessere Welt. Jeden Tag tue ich das mit meiner Arbeit. Du bist derjenige, der die Orientierung verloren hat. Du bist nicht mehr der Mann, den ich mal kannte. Der Mann, der geblieben wäre und seinen Vater aufs Schärfste bekämpft hätte.“

„Du hast recht“, sagte er barsch und fühlte tiefstes Bedauern. „Ich bin nicht mehr der Mann, der ich mal war. Ich bin Realist, kein Idealist. Nur so kann ich meinem Land aus der Misere helfen, in der es steckt.“

Sie betrachtete ihn über den Rand ihres Glases hinweg. „Und wie willst du das erreichen? Wie willst du Carnelia retten?“

„Mein Vater hat den Beliebtheitsgrad der Monarchie in ein historisches Tief geführt. Für den Herbst plane ich eine Wahl, um Carnelia in eine konstitutionelle Monarchie zu verwandeln. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Militärjunta, die meinen Vater unterstützt hat, vorher die Herrschaft übernimmt. Wenn du mich heiraten würdest und Akathinia und Carnelia damit eine symbolische Verbindung eingingen, dann wäre das ein starkes Zeichen für die Zukunft, die ich meinem Volk bieten kann, wenn es mir die Möglichkeit dazu gibt. Eine Vision von Frieden und Freiheit.“

Ungläubig sah sie ihn an. „Du bittest mich, dich zu heiraten, mich in das Lager des Feindes zu begeben, das jeden Moment von einer mächtigen Militärfraktion übernommen werden kann, und ein Land, eine Regierung, mit dir umzuwandeln?“

„Ja. Du hast den Mut, die Kraft und das Mitgefühl, um mir dabei zu helfen, Carnelia in die Zukunft zu führen, die es verdient.“

Ihre Augen funkelten. „Und was ist mit mir? Soll ich auf mein Glück verzichten? Soll ich aus einem Pflichtgefühl heraus einen Mann heiraten, den ich nicht ausstehen kann?“

Er schüttelte den Kopf. „Du hasst mich nicht, Stella. Du weißt, dass das gelogen ist. Außerdem wäre es nicht aus einem Pflichtgefühl heraus. Du könntest dir einen Traum erfüllen. Du hast mir mal erzählt, dass du Anwalt für Menschenrechte werden wolltest, um weitreichende Veränderungen zu erreichen. Als meine Königin könntest du das tun. Du würdest den Lauf der Geschichte ändern. Du würdest Menschen Glück bringen, die genug gelitten haben. Willst du wirklich sagen, dass es das nicht wert ist?“

Sie schürzte die Lippen. „Du spielst dein Ass aus, Kostas? Jetzt weiß ich, wie verzweifelt du bist.“

„Wir wissen beide, dass es nicht mein Ass ist, aber dass wir sehr gut zusammenpassen. Mehr als gut sogar.“

Sie wurde rot. „Das war vor zehn Jahren, und es war nur ein Kuss.“

„Aber was für einer. Er hat gereicht, dass du in durchsichtiger Wäsche in mein Bett gesprungen bist und bis ein Uhr morgens auf mich gewartet hast, während die Gäste auf der Party dachten, du wärst krank.“

„Ein toller Gentleman bist du, dass du das auf den Tisch bringst.“

„Nein“, entgegnete er sanft. „Das war ich, als ich dich rausgeworfen habe. Du warst Athamos’ kleine Schwester. Erst achtzehn Jahre alt. Ich war der Sohn eines Diktators. Dich zu küssen war dumm von mir, denn ich wusste doch, auf welchen Sockel du mich gestellt hattest. Ich habe versucht, es zu beenden, aber du hast ein Nein als Antwort nicht akzeptiert. Manchmal ist Grausamkeit Freundlichkeit in seiner rudimentärsten Form.“

Ihre saphirblauen Augen funkelten. „Dann hättest du mir den Mitleidskuss ersparen sollen.“

„Es war weit komplizierter zwischen uns, und das weißt du.“ Sie war am Boden zerstört gewesen, weil ihre Eltern ihr verboten hatten, wie ihr Bruder Nik an der Harvard Law School zu studieren. Damit hatte sich ihr größter Traum in Luft aufgelöst. Und er war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass es derart zwischen ihnen funken könnte.

„Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte mit dir geschlafen?“ Er hielt ihrem wütenden Blick stand.

„Nein. Du hast mir einen Gefallen getan. Und da wir jetzt festgestellt haben, dass du ein herzloser Kerl bist, den ich niemals heiraten würde, denke ich, es ist alles gesagt, was gesagt werden musste.“

Sie sprang auf, nahm ihre Tasche und schob den Stuhl zurück.

„Du brichst die Abmachung?“

„Die Abmachung war, dass ich dir zuhöre. Aber ich merke plötzlich, dass ich keinen Appetit mehr habe.“

Autor

Jennifer Hayward

Die preisgekrönte Autorin Jennifer Hayward ist ein Fan von Liebes- und Abenteuerromanen, seit sie heimlich die Heftromane ihrer Schwester gelesen hat.

Ihren ersten eigenen Liebesroman verfasste Jennifer mit neunzehn Jahren. Als das Manuskript von den Verlagen abgelehnt wurde und ihre Mutter ihr empfahl, zunächst mehr Lebenserfahrung zu sammeln, war sie...

Mehr erfahren