Heiße Nacht - nichts passiert?

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Abby sieht umwerfend sexy aus, als sie auf Highheels in die Bar gestöckelt kommt. Sofort fällt sie Cal Ketchum auf, der erst kürzlich nach Clangton gezogen ist. Klar, dass er mir ihr flirtet! Noch bevor der Abend um ist, landet Abby beschwipst in seinem Bett - wo sie am nächsten Morgen erschrocken erwacht ...


  • Erscheinungstag 30.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754709
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich hab dir gleich gesagt, dass sie so was nicht kann.“

„Stimmt, und ich habe dir widersprochen.“

Abby Stanton verzog das Gesicht, als sie ihre beiden Schwestern ansah. Sie meinte, vier Frauen vor sich zu sehen. Nur wenn sie sich konzentrierte, sah sie nicht doppelt.

Was war das für ein Zeug, das sie ihr zu trinken gegeben hatten? Sie erinnerte sich nur noch daran, dass Emily und Bree darüber diskutiert hatten, dass sie einen Drink bestellen wollten, der zum Thema des Abends passte: Abby Stanton als Vamp. Der Name Kamikaze war gefallen. Und Slippery Nipples. Vielleicht hatte sie einen davon getrunken. Vielleicht sogar beide.

Ja, sie musste wohl beide probiert haben, denn der Abend kam ihr allmählich wie ein Selbstmordkommando vor. Und wenn sie zur Theke schaute und den Blick eines bestimmten Cowboys auffing, ging ihre Fantasie mit ihr durch.

„Ein Vamp würde ihm in den Po kneifen, wenn er vorbeigeht“, stachelte Bree sie wegen des besagten Cowboys an. „Genau. Wenn du beweisen willst, dass du wild wie ein Vamp sein kannst, dann kneifst du ihn in den Po.“

Ein Vamp. War es nicht schon genug, dass sie in einer Bar saß und so viel getrunken hatte, dass sie nicht mehr geradeaus sehen konnte? Das war doch ziemlich hemmungslos für eine Frau, die aus dem verschlafenen Clangton, Colorado, stammte, einer nicht gerade großen Stadt mit einem ausgesprochen ländlichen Umland.

„Ich glaube, er hätte gar nichts dagegen, Abby“, ermutigte Emily sie weiter. „Er sieht ständig zu dir herüber und beobachtet dich.“

„Wer ist er?“, fragte Abby, als würde davon ihre Entscheidung abhängen, ob sie auf den Vorschlag einging oder nicht.

Bei einer Einwohnerzahl von 2032 konnte man nicht davon sprechen, dass in Clangton jeder jeden kannte. Aber Abby, Bree und Emily waren hier geboren und aufgewachsen. Und sie betrieben die Three Sisters Bakery im Stadtzentrum. Warum also sollten sie nicht jeden mit Namen kennen?

Es war kein Kunststück, ein neues Gesicht sofort zu entdecken. Vor allem, wenn dieses Gesicht von da Vinci entworfen sein könnte. Ebenmäßige, männliche Züge. Eine gerade, schmale Nase. Ein markantes Kinn, und Wangen, die sich perfekt einfügten.

„Das ist Cal Ketchum“, beantwortete Bree Abbys Frage. „Er hat die alte Peterson-Farm gekauft. Ich habe dir doch schon von ihm erzählt. Er war mit Cissy Carlisles Cousin in Denver befreundet … der Cousin, der die Frauen rotieren lässt wie andere Leute ihre Reifen. Dieser Cousin hat den Kontakt zwischen Cal Ketchum und Cissy hergestellt. So konnte sie endlich ihre Makler-Lizenz einsetzen und ihm die Farm verkaufen.“

An dieser Stelle nahm Emily den Faden auf. „Cal Ketchum ist ein paarmal mit Cissy ausgegangen. Sie mochte ihn wirklich gern. Irgendwann hat sie ihm beiläufig erzählt, dass sie mal heiraten will … gar nicht unbedingt ihn, nur so allgemein. Daraufhin hat er ihr erklärt, er sei nicht der Richtige für sie. Er hätte nicht die Absicht zu heiraten. Cissy meint, er ist ein noch größerer Weiberheld als ihr Cousin. Ein echter Sammler-Typ, der nicht heiraten will, weil ihn das zu sehr einschränken würde.

„Großartig. Und ihr wollt, dass ich ihn zwicke, damit er glaubt, ich möchte gern als nächste auf seiner Hitliste stehen?“

„Ein Vamp würde es tun. Und sei es nur, weil dieser Cowboy den strammsten Po weit und breit hat“, schwärmte Emily, was gar nicht zu ihrer konservativen Art passte. „Wahrscheinlich wirst du dir eingestehen müssen, dass du eben kein Vamp bist.“

Und damit würde Abby dann auch zugeben, dass Bill Snodgrass die Wahrheit gesagt hatte, als er ihre Verlobung löste. Er hatte ihr nämlich vorgeworfen, dass sie zu schüchtern war, zu still, zu eintönig. Eben provinziell und langweilig.

Okay, dass sie langweilig war, hatte er nicht gesagt. Zumindest hatte er das Wort nicht benutzt. Aber es war genau das, was er meinte. Und deswegen wollte Abby heute Abend beweisen, dass sie forsch, unterhaltsam, weltoffen und spontan sein konnte. Wenigstens sich selber wollte sie dies beweisen. Bill Snodgrass war Vergangenheit.

Bree reckte den Kopf zur Theke und winkte Cal Ketchum an ihren Tisch. „Er kommt. Ich fädele die Sache für dich ein.“

Als Abby aufblickte, steuerte der große, muskulöse Cowboy auf ihren Tisch zu. Die ganze Zeit ruhten seine Augen auf ihr, obwohl es doch ihre Schwester war, die ihn herangewinkt hatte.

Oh, und was für Augen! Ein unglaubliches Blau, so klar wie ein Bergsee an einem Sommermorgen. Sein Blick schien sich mit einer Hitze in sie hineinzubohren, die sie förmlich dahinschmelzen ließ.

„Ladies“, begrüßte er sie, ohne den Blick von Abby abzuwenden. Seine Stimme wirkte wie ein weiterer Drink. Ein heißer Mix aus dunklem Whisky, warmem Honig und einer Spur Limone als Würze.

Abby war froh, dass er auf der anderen Seite des Tisches zwischen Bree und Emily stehen blieb. Außer Reichweite, so dass sie den Vorschlag ihrer Schwestern nicht in die Tat umsetzen konnte. So verlockend es ihr auch erschien.

„Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte er.

„Wir wollten nur wissen, ob Sie der sind, für den wir Sie halten“, erwiderte Abby hocherfreut, überfreundlich, laut und gar nicht in ihrer gewohnten Art.

Trotzdem erntete sie dafür ein jungenhaftes Lächeln, das ihre Zehen kribbeln ließ.

„Was glauben Sie denn, wer ich bin?“, fragte er amüsiert.

„Cal Ketchum“, sagte Bree wie in einer Quizz-Show, in der es darum geht, am schnellsten zu antworten.

Er schaute Bree kurz an und wandte sich dann wieder Abby zu. „Der bin ich.“ Offenbar wartete er darauf, dass sie sich ebenfalls vorstellten. Als sie es nicht taten, fragte er: „Feiern Sie irgendetwas?“

„Die Freiheit!“, erklärte Abby zu energisch, als dass es wahr sein konnte. Genauso energisch hob sie ihr Glas. Mit dem Erfolg, dass ein Teil des Inhalts auf den Tisch schwappte.

Auf die Gefahr hin, ihr Image als Vamp zu ruinieren, wischte sie mit einer Serviette zuerst ihr Glas von außen trocken. Anschließend wischte sie sorgfältig die kleine Lache auf dem Tisch auf.

Als sie fertig war, sah sie Cal an. Seine Lippen waren geschmeidig und die Mundwinkel zeigten, auch wenn er nicht lächelte, nach oben. Aber jetzt lächelte er. Ein kleines, wissendes Lächeln, das bei ihr den Eindruck erweckte, er könne in sie hineinschauen.

„Nun, ich hoffe, Sie amüsieren sich gut“, sagte er. Es klang etwas zweideutig und leicht verwirrt. Vielleicht wunderte er sich darüber, dass sie ihn an den Tisch geholt hatten und nun nichts anderes taten, als ihn anzustarren. „War das alles, was Sie von mir wollten?“, fragte er.

„So ziemlich“, erwiderte Bree.

„Okay, dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend.“ Er schien es ihnen nicht übel zu nehmen, dass sie ganz offensichtlich irgendein Spiel mit ihm spielten.

Anscheinend entdeckte er nun jemanden, den er kannte. Er ging um Bree herum und steuerte auf den Bereich hinter Abby zu.

Bree trat Abby auf den Fuß, um sie daran zu erinnern, dass nun ihre Chance gekommen war. Wenn sie wirklich den Mut eines Vamps besaß, zwickte sie diesen Mann in den Po.

Soll ich es tun, fragte sich Abby, während der gut aussehende Cowboy wie in Zeitlupe an ihr vorbeizugehen schien.

„Los!“, spornte Emily sie leise an.

Abby sah die Gesäßtaschen der engen Bluejeans, die einen strammen, nicht zu runden Po umhüllten, etwa auf Augenhöhe vorbeiziehen. Nahe genug. Sie musste nur die Hand ausstrecken. Und tatsächlich. Sie gab ihm einen zaghaften kleinen Klaps.

Er blieb wie angewurzelt stehen, drehte sich aber nur so weit um, dass er mit diesen tiefblauen Augen zu ihr hinabsehen konnte.

Abby wollte im Erdboden versinken.

Es dauerte einen Moment, bis ihrem alkoholisierten Gehirn eine Idee kam. „Eine Wanze!“, sagte sie und stampfte mit dem Fuß auf den Boden, als würde sie ein Insekt töten, das sie ihm von der Hose geklopft hatte. Das jedenfalls sollte er möglichst glauben.

„Eine Wanze?“, wiederholte er, während er ihr ungerührt weiter in die Augen sah.

„Ja. Auf Ihrer Hose. Womöglich hätte sie gebissen.“ Abby plapperte wie ein Kind, das eine Lüge ausschmückte, um sie glaubhafter zu machen. Aber sie spürte, dass ihr das Blut in die Wangen schoss und die Verlegenheitsröte sie verriet.

„Netter Versuch“, bemerkte er, während er ihr zunickte. Dann ging er weiter.

Was meinte er damit? Die Geschichte mit der Wanze auf seiner Hose als missglückte Ausrede? Oder fand er, dass der Klaps selbst nicht mehr als ein netter Versuch war?

Sicher war nur, dass sie sich schnell ablenken musste. Abby griff zu ihrem Glas und leerte es in einem Zug, als könnte der feurige Drink ihre Verlegenheit wegspülen. In einer völlig übertriebenen Geste der Genugtuung setzte sie das Glas auf den Tisch und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Na also.“

Bree und Emily lachten.

Nun kehrte ein Teil der echten Abby zurück, der ihnen eine Lektion erteilte. „Es war nicht sehr nett von euch, ihn an unseren Tisch zu holen und euch dann nicht mit ihm zu unterhalten. Ihr hättet wenigstens so tun können, als hättet ihr einen Grund, ihn herzuholen.“

„Wir hatten doch einen Grund. Du solltest ihn kneifen“, verteidigte sich Bree, die auch ziemlich angetrunken klang.

„Wie war es überhaupt?“, wollte Emily wissen. „Fühlt er sich so gut an, wie er aussieht?“

Abby stand schwankend auf und tat entrüstet. „Wir Vamps reden nicht darüber, wenn wir jemanden in den Po zwicken“, erklärte sie hochtrabend. Um weiteren Fragen zu entgehen, schob sie ihr leeres Glas in die Mitte des Tisches. „Bestellt mir noch einen Drink. Ich mache uns etwas Musik.“

Sie stand zum ersten Mal, seit sie im Clangton Saloon angekommen war, und stellte fest, dass irgendetwas die Kraft aus ihren Beinen genommen und ihren Gleichgewichtssinn beschädigt hatte. Um nicht doppelt zu sehen, riss sie angestrengt die Augen auf und konzentrierte sich darauf, geradeaus zu gehen.

Die geräumige Bar war im Stil eines alten Western Saloons eingerichtet, so dass sie ihrem Namen Ehre machte. Den Mittelpunkt bildete die Theke aus Nussbaumholz, die sich über die gesamte Längswand erstreckte. An der Wand hinter der Theke hing ein riesiger gerahmter Spiegel.

Es gab eine Tanzfläche und ein Meer von Tischen, die an diesem Samstagabend restlos besetzt waren. Abby manövrierte sich voll konzentriert durch die Menge, den Blick starr auf die grünen und gelber Lichter der Jukebox gerichtet. Diese befand sich direkt neben einem Rundbogen, der den Durchgang zu einem Nebenraum bildete. In diesem Raum standen vier Billardtische. Außerdem gab es eine Dartscheibe. An kleinen Tischen in den Nischen konnte man Schach spielen.

„Tut mir leid wegen dir und Bill, Abby“, sagte jemand, als sie an einem Tisch vorbeiging.

„Mir auch“, stimmte ein anderer zu. „Kopf hoch.“

Abby winkte nur kurz in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Sie fürchtete, die Balance zu verlieren, wenn sie versuchte irgendein Gesicht in der Menge auszumachen. Außerdem schenkte sie den Mitleidsbekundungen dieser Art ohnehin kaum noch Aufmerksamkeit.

Clangton war eine Kleinstadt, in der sich Neuigkeiten rasch herumsprachen. Seit Bill sich vor drei Wochen von ihr getrennt hatte, hörte sie so viele bedauernde Kommentare, dass sie sich allmählich fragte, ob die Leute sie jemals wieder anders begrüßen würden.

Die Auswahl in der Jukebox bestand hauptsächlich aus Country-and-Western-Songs mit dem Thema Herz und Schmerz. Nach einigem Suchen fand sie doch noch die wenigen unbeschwerten Liedchen. Bevor sie an den Tisch zurückkehrte, machte sie einen Abstecher zu den Toiletten.

Diese befanden sich am Ende eines schmalen Ganges, der neben der Theke abzweigte. Um dorthin zu gelangen, musste sie an der Stelle vorbeigehen, an dem der Mann, dem sie auf den Po geklopft hatte, den größten Teil des Abends gestanden hatte. Zum Glück war er jetzt nicht da.

Als sie sich auf der Toilette die Hände wusch, schaute sie unwillkürlich in den Spiegel. Sie musste zweimal hinsehen, denn sie sah völlig anders aus als sonst. Um wie ein richtiger Vamp auszusehen, hatte sie sich sorgfältig aufgestylt und ein ungewohntes Make-up aufgelegt. Sie hatte sich sogar extra neu eingekleidet.

Statt der bequemen Jeans und dem schlichten Top trug sie eine schwarze Hose, die eng wie eine Wurstpelle anlag und ihre Formen betonte. Der V-Ausschnitt ihres T-Shirts reichte bis in den Spalt zwischen ihren Brüsten hinein … in den künstlichen Spalt, der durch den neuen Push-up-BH entstand.

Bei dem Make-up hatte sie sich viel Mühe gegeben. Ein Lidschatten betonte ihre dunkelbraunen Augen. Sogar Eyeliner hatte sie aufgelegt. Und dann der Lippenstift. Nicht das zarte Rot des Lip-Gloss, den sie sonst trug. Nein, sie hatte etwas benutzt, das sich „Rosine“ nannte.

Die Krönung aber war ihre Frisur. Abby trug ihre langen, braunen Naturlocken normalerweise zusammengebunden. Als Zopf geflochten, als Pferdeschwanz oder zumindest mit Spangen zusammengesteckt. Für diesen besonderen Abend hatte sie es systematisch gesprayt und geknetet. Über Kopf und von allen Seiten hatte sie es bearbeitet, um möglichst viel Volumen hervorzuzaubern. Es war ihr gelungen. Eine wilde Lockenpracht umrahmte ihr Gesicht und fiel locker bis auf die Schultern.

Als sie sich nun im Spiegel betrachtete, gefiel ihr diese Frisur immer noch. An das schrille Make-up allerdings konnte sie sich nicht gewöhnen. Es veränderte sie zu extrem.

Andererseits neigten unkonventionelle Frauen doch zu Extremen. Also, besser sie gewöhnte sich daran. Jedenfalls für heute Abend.

Eine der Frauen im Waschraum fragte nach der Uhrzeit.

„Halb zwölf“, kam die Antwort, die in Abbys Ohren widerhallte.

Wo wäre sie jetzt, wenn der Tag wie ursprünglich geplant verlaufen wäre?

Gedanken wie diesen hatte sie den ganzen Tag beiseitegeschoben. Nun drängten sie sich doch noch auf.

Auf jeden Fall hätte sie den Abend nicht in einem Saloon verbracht, so viel stand fest. Um diese Uhrzeit wären sie und Bill längst in Denver eingetroffen.

Im Fairmont Hotel.

In der Hochzeitssuite.

Im Bett der Hochzeitssuite …

Allerdings kam in dem Bild, das ihr jetzt durch den Kopf schoss, ihr Exverlobter nicht vor. Stattdessen sah sie diesen Cowboy vor sich, dem sie einen Klaps gegeben hatte. Er zog sein Hemd aus. Dann die enge Jeans. Groß und muskulös stand er vor ihr. Er begehrte sie. Er nahm sie in die Arme. Energisch, aber nicht zu fordernd. Er küsste sie. Er streichelte sie. Und dann nahm er sie wild und leidenschaftlich …

Plötzlich schien es unerträglich heiß im Waschraum zu sein.

Ich muss wirklich betrunken sein, dachte Abby, war sich aber nicht ganz sicher, denn bisher hatte sie in ihrem Leben höchstens mal einen kleinen Schwips von einem Glas Wein gehabt. Aber was sonst sollte sie für ihre wilden Fantasien verantwortlich machen?

Na und, sagte sie sich. Dann bin ich eben betrunken. Dies war die Nacht der neuen Erfahrungen. Wenn sie schon nicht in der Hochzeitssuite im Fairmont Hotel war, konnte sie wenigstens so tun, als würde es ihr nichts ausmachen. Ob das allerdings sinnvoll war, bezweifelte sie umso mehr, je stärker der Alkohol seine Wirkung tat. Die Drinks, die sie einen nach dem anderen heruntergestürzt hatte, benebelten ihren Verstand und ihre Sinne.

„Geh zurück an den Tisch, so lange du dich noch auf den Beinen halten kannst“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, als sie sich die Hände abtrocknete.

Sie wandte sich zur Tür. Plötzlich drehte sich alles um sie herum. Abby hielt sich für einen Moment am Waschbecken fest. Dann atmete sie tief durch, straffte die Schultern und machte sich auf den Weg.

Doch sie kam nur bis vor die Tür. Am Ende des Ganges stand an die Wand gelehnt ihr Cowboy und sah sie an, als hätte er auf sie gewartet.

Abbys Mund wurde plötzlich trocken, ihr Mut sank. Sie starrte ihn an, als wäre er eine Halluzination, die verschwindet, wenn man sich nur genügend konzentriert.

Er verschwand nicht. Er blieb in seiner ganzen Pracht dort stehen.

Ein Prachtstück war er in der Tat. Gut aussehend, sexy, mit einem Körper wie für die Sünde geschaffen. Und groß war er. Über einsneunzig, schätzte sie, je nachdem, wie viel die Absätze seiner schlangenledernen Cowboystiefel ausmachten.

Das weiße Hemd mit den Druckknöpfen hatte er in den Hosenbund gesteckt, was seine schmale Taille betonte. Die Ärmel waren bis zu den Bizeps aufgekrempelt. Er hatte kräftige Arme, die er vor der breiten Brust verschränkt hielt. Seine Hände waren unter die Achseln geschoben, nur die beiden Daumen lugten frech hervor. Und seine Schultern waren so breit, das Abby für einen Moment ein aufgeblähtes Segel vor sich zu sehen meinte.

Schöne Haare hat er auch, stellte sie fest. Dichtes, dunkelbraunes Haar mit leichten Wellen. Und genau die richtige Länge. Eine Spur zu lang, um konservativ zu wirken, aber auch nicht so lang, dass es ungepflegt aussah. Es gab ihm eine verwegene Lässigkeit, ohne den Eindruck zu erwecken, er würde seinem Äußeren zu viel Aufmerksamkeit schenken.

Ob er überhaupt weiß, wie gut er aussieht, fragte sich Abby. Bestimmt. Sonst wäre er eine große Ausnahme.

Aber sie konnte keine Eitelkeit an ihm feststellen. Keine Arroganz. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass er sie faszinierte. Nein, er sah sie nur an, als würde er sie genauso abschätzen wie sie ihn. Vielleicht wartete er auch nur darauf, dass sie weiter ging.

Um sich nicht noch mehr von ihm fesseln zu lassen, wandte sie den Blick von seinem Gesicht ab, nur um festzustellen, dass sie nun seine Hüften und vor allem die breite, silberne Gürtelschnalle über dem Reißverschluss seiner Hose betrachtete.

Entsetzt schaute sie ihm wieder ins Gesicht und wies mit dem Daumen über ihre Schulter. „Toilette“, sagte sie, als würde dies alles erklären.

Seine o-so-sinnlichen Lippen formten sich zu einem Grinsen, das seine Grübchen vertiefte. „Ich weiß. Wie war es?“

Er spielte mit ihr. Das las sie in seinen funkelnden Augen. Und sie wünschte, sie hätte mit der neuen Hose und dem Make-up auch etwas Selbstbewusstsein eingekauft, dann hätte sie jetzt eine passende Antwort parat.

Aber leider, sie wurde rot. „Sauber“, fiel ihr als einzige Antwort ein. „Die Toiletten hier sind sauber. Wie in den meisten Lokalen in Clangton. Wenn man eins über Clangton sagen kann, dann, dass sie saubere Toiletten haben …“ Geplapper. Sie hielt inne.

Er runzelte die Stirn. „Sie haben mich an Ihren Tisch geholt, um mich nach meinem Namen zu fragen … und mir eine Wanze von der Hose geklopft“, sagte er, als hätte er ihr Spielchen durchschaut. „Aber Sie haben sich mir nicht vorgestellt.“

„Oh. Ich bin Abby. Abby Stanton.”

„Hallo Abby Abby Stanton.”

„Hallo“, sagte sie und kam sich wie ein Idiot vor. Zu allem Überfluss sagte sie nun auch noch: „Und auf Wiedersehen.“ Sie sammelte alle Kraft, um sich von der Toilettentür zu lösen. Es musste doch möglich sein, irgendwie an ihm vorbeizukommen.

Sie schaffte es bis zum Ende des Ganges. Dort blieb sie stehen. Der Cowboy blockierte den halben Gang. Und er schien den Weg nicht freigeben zu wollen.

Stattdessen sah er sie an. Er blickte direkt auf ihre perfekt geformte Nase.

„Entschuldigung“, sagte Abby. Sie versuchte, an ihm vorbeizusehen. Auf keinen Fall wollte sie ihm zeigen, dass sie aufgeregt war. Denn dass es zwischen ihnen knisterte, bildete sie sich womöglich nur ein.

Er blieb noch einen Moment so stehen, bevor er sich zur Seite drehte und mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. Ohne sie aus den Augen zu lassen, deutete er mit einer Kopfbewegung zu dem Tisch, an dem ihre Schwestern saßen.

„Sieht aus, als hätten Ihre Freundinnen noch mehr Freunde getroffen.“

Abby hätte niemandem erklären können, warum sie das Gefühl hatte, dass sein Blick auf ihrer Haut brannte. Es konnte sich also nur um eine alkoholbedingte Illusion handeln.

Am besten, ich beachte es nicht, entschied sie, während sie den Kopf in die Bar reckte und zu ihrem Tisch schaute. Tatsächlich hatten sich inzwischen fünf Leute zu Bree und Emily gesetzt.

„Das sind nicht meine Freunde“, ging sie auf seine Bemerkung ein. „Also … die fünf Neuen schon. Und die anderen beiden auch. Aber sie sind auch meine Schwestern.“

„Sieht so aus, als würden sie eine nette Party feiern.“

Durchaus. Alle am Tisch lachten lauthals und amüsierten sich köstlich.

„Möchten Sie hier weg?“

Eigentlich nicht, dachte Abby. Ganz und gar nicht. Der Abend stand unter dem Motto: Schluss mit der Vergangenheit. Emily und Bree hatten sich prächtig darauf eingestimmt. Was man von den anderen am Tisch nicht unbedingt erwarten konnte. Bestimmt überhäufen sie mich mit ihrem Mitleid, überlegte Abby. Damit wäre für sie die lustige Party dann vorbei.

„Mir scheint, Sie fühlen sich hier ein bisschen wie ein Fisch auf dem Trockenen“, unterbrach Cal ihre Spekulationen mit seiner tiefen, männlichen Stimme.

„Ich? Wieso? Ich bin eine Wilde vom Scheitel bis zur Sohle.“

„Tatsächlich.“ Er nickte Richtung Bartresen. „Lassen Sie sich denn auch einen Drink spendieren, wilde Lady?“

Es klang wie eine Herausforderung, ihre Behauptung unter Beweis zu stellen. Und dies war nicht der Abend, an dem Abby Herausforderungen ablehnte.

„Sicher. Warum nicht?“

„Was trinken Sie?“

„Keine Ahnung, wie das Zeug hieß“, sagte sie, während sie mit ihm an die Bar ging.

Er erkundigte sich beim Barkeeper, was an Abbys Tisch getrunken wurde, und bestellte einen dieser feurigen Drinks.

„Was bedeutet das eigentlich, eine Wilde?“, fragte Cal mit diesem amüsierten Grinsen, das sie schon kannte.

„Na, eben eine Teufelsfrau. Frei und unkonventionell. Einfach alles tun …“

„Aha …“, sagte er und zog das Wort in die Länge, als hätte er eine aufschlussreiche Information erhalten. Oder zweifelte er an ihren Worten?

Nur für alle Fälle setzte sie das Glas an die Lippen und leerte es in einem Zug.

Als sie ihn anschließend ansah, lächelte er amüsiert.

„Erzählen Sie mir ein bisschen von sich, Abby Abby Stanton. Frei? Wovon sind Sie frei?“

„Wieso?“

„Sie sagten, Sie würden Ihre Freiheit feiern.

„Ach ja, richtig. Freiheit im Allgemeinen.“

Er nickte, aber er glaubte ihr nicht. Das sah sie an seinen Augen. Große Augen. Sie könnte sich darin verlieren …

„Einfach alles zu tun“, bohrte er weiter.

Sie zuckte die Achseln.

„Zum Beispiel ausgehen, trinken und es sich gutgehen lassen“, spekulierte er.

„Stimmt.“

„Und? Geht es Ihnen gut?“

„Wunderbar“, erwiderte sie allzu vergnügt.

Er streckte den Arm aus und schob ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei berührte er kaum ihre Wange, aber es genügte, um ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen zu lassen.

„Wissen Sie, was ich glaube?“, sagte er leise, während er sich zu ihr herunterbeugte.

„Was glauben Sie?“

„Sie wollen es erzwingen. Aber es funktioniert so nicht. Sie müssen sich ein bisschen entspannen, wenn Sie es schaffen wollen.“

„Unsinn. Ich bin völlig locker.“ Dabei fiel ihr ein, dass sie ihm auf den Po geklopft hatte. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, trank sie den nächsten Drink aus, den der Barkeeper inzwischen serviert hatte.

Cal lachte. Auch wenn sie nicht wusste, worüber, sie fand dieses tiefe Lachen äußerst sympathisch.

„Sie sind wirklich toll, Abby Abby Stanton“, sagte er bewundernd.

„Ja, natürlich. Schön, dass Sie es bemerkt haben.“ Ohne den Alkohol im Blut wäre ihr diese freche Antwort nicht eingefallen.

„Sicher. Es ist mir schon den ganzen Abend aufgefallen. Irgendwo unter dieser Kriegsbemalung könnte sich ein frischer Wind verbergen.“

Wie bitte?

„Keine Ahnung, aber ich könnte jetzt frische Luft gebrauchen.“ Ihr war plötzlich schwindlig, und ihre Zunge wurde immer schwerer.

„Kommen Sie, wir gehen nach draußen“, bot er an.

Aber wenn sie nur nach draußen ging, musste sie irgendwann wieder hereinkommen und sich zu Bree und Emily und den anderen an den Tisch setzen. Dazu hatte sie überhaupt keine Lust.

„Ich gehe lieber nach Hause“, erklärte sie im selben Moment, als sie die Entscheidung getroffen hatte.

Diesmal lachte er ironisch. „Honey, ich glaube nicht, dass Sie das schaffen.“

„Natürlich. Ich kenne den Weg.“

Er lachte noch einmal. „Ich habe eine bessere Idee. Wir sagen Ihren Schwestern Bescheid, dass Sie gehen, und ich fahre Sie nach Hause.

„Ich fahre nicht mit Fremden mit“, plapperte sie wie ein Kleinkind.

„Aber ich bin doch kein Fremder. Falls Sie es noch nicht wissen, aber Sie haben bestimmt schon davon gehört, ich habe mich in Clangton niedergelassen und ein Haus vor der Stadt gekauft. Dort werde ich bleiben, bis ich alt und grau bin.“ Er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: „Wenn ich mich also bei einem Clangtoner Schätzchen nicht anständig benehme, wäre es die Hölle hier für mich.“

„Allerdings. Aber wer hat gesagt, dass ich ein Schätzchen bin?“

Er lächelte nur. „Ich bringe Sie nach Hause.“

Sie dachte darüber nach.

Und auch noch über vieles andere. Zum Beispiel, dass er sie küssen könnte, anstatt ihr nur etwas ins Ohr zu flüstern. Wie würde es sich anfühlen, wenn diese kräftigen Hände ihr Gesicht umfassten? Ihre Schultern? Ihre Brüste …

„Sie sind doch kein Triebtäter, oder?“, fragte sie mit einem hoffnungsvollen Unterton, den sie nicht beabsichtigt hatte.

„Ich könnte vielleicht einer werden, wenn Sie es gern wollen“, erwiderte er lachend.

„Nein, schon gut. Es reicht, wenn Sie mich nach Hause fahren.“ Warum klang sie so enttäuscht? Daran waren nur die Drinks schuld.

„Sagen Sie Ihren Schwestern noch Bescheid“, erinnerte er sie.

„Wie, jetzt? Soll ich an den Tisch gehen und es ihnen sagen?“, fragte sie entsetzt.

„Sie können auch eine Notiz schreiben, wenn Ihnen das lieber ist.“

„Gute Idee.“

Er gab ihr eine Serviette und einen Kugelschreiber. Als sie schließlich mit Mühe einen halbwegs leserlichen Satz zustande gebracht hatte, bat er die Bedienung, die Nachricht an den Tisch zu bringen.

„Gehen wir.“ Er trat beiseite und folgte ihr durch die Menge.

Trotz größter Konzentration konnte Abby nicht mehr verhindern, dass sie schwankte. Aber sie hielt den Kopf hoch. Alle sollten sehen, dass sie die Bar mit dem schönsten Mann weit und breit verließ. Vielleicht hörten sie dann endlich auf, über ihre geplatzte Hochzeit zu reden.

Unglücklicherweise war sie so damit beschäftigt, den Kopf hochzuhalten, dass sie einen Stuhl übersah, der in den Gang ragte. Sie stolperte über das Stuhlbein, verlor die Balance und taumelte rückwärts gegen Cals harte Brust.

Die war wirklich hart. Wie ein Fels.

Autor

Victoria Pade

Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...

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