Heiße Stunden der Erfüllung

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Unwiderstehlich sexy ist Hollys neuer Nachbar Rafe Paradise: groß, breitschultrig und mit einem hinreißenden Lachen. Sie fühlen sich auf den ersten Blick so stark zueinander hingezogen, dass die Atmosphäre zwischen ihnen geradezu vor Erotik knistert. Rafes erste Küsse erwidert Holly stürmisch -eine leidenschaftliche Affäre beginnt. Für beide sind die heißen Liebesstunden die ganz große Erfüllung, bis Rafes Bruder für Probleme sorgt! Seine abfälligen Bemerkungen über Holly säen so starkes Misstrauen in Rafe, dass er einen folgenschweren Fehler begeht ...


  • Erscheinungstag 01.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717827
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Holly, das ist doch wohl nicht dein Ernst! Ausgerechnet da willst du hinziehen?“ Entgeistert sah Brenna Worth ihre Freundin an.

„Oh, nein! Jetzt fängst du auch noch damit an.“ Holly lachte nervös. „Seit Wochen muss ich mich wegen dieser Entscheidung vor meiner Familie rechtfertigen. Von dir hätte ich mir mehr Verständnis erhofft. Kannst du dich nicht einfach für mich freuen, Brenna? Es ist eine einmalige Gelegenheit. Als einzige Psychiaterin in der großen Widmark-Gemeinschaftspraxis brauche ich nicht mühsam um das Vertrauen der Patienten zu werben, wie man das als Anfänger normalerweise muss. Man hat mich bereits gebeten, ehrenamtlich bei der Teens At Risk Force mitzumachen, die sich um gefährdete Jugendliche kümmert, und eine der Highschools als Schulpsychologin zu beraten.“

„Zusätzlich zu deinem eigentlichen Job? Wird das nicht ein bisschen viel?“

„Dadurch kann ich die Leute und ihre Probleme kennenlernen und gleichzeitig mit Kindern arbeiten. Du weißt doch, wie sehr mich das interessiert.“

„Teenager mit Problemen sind keine Kinder, sondern eine Gefahr. Denen geht man besser aus dem Weg.“ Brenna war nicht zu überzeugen. „Schade, dass du nicht hierher zurückkommst, Holly. Es wäre so toll, wenn wir wieder in derselben Gegend leben würden. Warum musst du ausgerechnet nach South Dakota gehen?“

„Vorsicht, Brenna. Jetzt hörst du dich schon beinahe wie meine Mutter an. Als ich ihr erzählte, dass ich nach Sioux Falls ziehe, meinte sie: ‚Wenn du irgendwo hin willst, weit entfernt und mit permanent schlechtem Wetter, wäre Alaska besser gewesen. Da gibt es wenigstens einen Überschuss an heiratsfähigen Männern.‘“

„Und das war natürlich gleich Wasser auf der Mühle deiner Tante …“ Brenna kannte Hollys Familie nur zu gut.

„Klar. Tante Hedy stieg sofort darauf ein.“

Brenna seufzte. „Die geben wohl nie auf?“

„Nein. Erst wenn ich entweder verheiratet oder tot bin. Ich habe schon fünf Exemplare von The Rules. Gebunden.“ Holly holte die fünf Exemplare des Ratgebers für weibliche Singles aus dem Regal.

„Mom hat den Titel sofort gekauft, als er herauskam. Dann erfreuten mich Tante Hedy und Tante Honoria mit je einem Exemplar. Am selben Tag kamen Päckchen von meinen Cousinen Hillary und Heather. Und jetzt versucht meine Schwester auch noch herauszufinden, ob ich das Buch wirklich gelesen habe. Die ganze Familie scheint fest davon überzeugt zu sein, dass ich ohne ihre Hilfe nie einen Mann finden werde.“

„Na ja, besonders feinfühlig war deine Familie ja noch nie, Holly.“

„Nicht, wenn es um Männer und Ehe geht. Du kannst gern ein Exemplar haben, Bren.“ Holly musste lachen. „Schließlich bist du ja auch noch Single. Wer weiß, vielleicht findest du doch den einen oder anderen nützlichen Hinweis, falls du dich entscheiden solltest …“

„Hör bloß auf!“ Brenna hob entsetzt die Hände, als seien die Bücher ansteckend. „Bei meinem Beruf habe ich gar keine Zeit, auf Männerfang zu gehen.“

„Meine Familie würde eine solche Einstellung als Blasphemie bezeichnen oder von Geisteskrankheit sprechen.“ Holly wurde plötzlich ernst. „Verstehst du jetzt, warum ich nicht wieder nach Hause zurückkehren kann, Bren? Ich hänge wirklich an meiner Familie, aber ich weiß nur zu genau, was auf mich zukäme, wenn ich wieder hierher ziehe.“

Brenna wusste genau, worauf Holly anspielte. „Deine Mutter, deine Schwester, deine Tanten und auch deine Cousinen würden dich ständig verkuppeln wollen.“

„Ja. Und dafür wäre ihnen fast jeder unverheiratete Mann recht, ob ein 22-jähriger Computerfreak oder ein 62-jähriger Witwer mit eigenem Maklerbüro und zwei Töchtern, die älter sind als ich.“

‚Ein Herz schert sich nicht um das Alter‘, hatte Tante Hedy neulich fröhlich gemeint, als sie Holly mit dem Makler bekannt machte, der bereits fünffacher Großvater war.

‚Ein junger Mann braucht die liebevolle Führung einer älteren Frau‘, sagte Tante Honoria, als sie Holly mit einem Studenten zusammenzubringen wollte, der nur Videospiele im Kopf hatte und wie ein zurückgebliebener Sechzehnjähriger wirkte.

‚Deine Tanten lieben dich. Sie wollen nur dein Bestes und wissen, dass eine Frau ohne Mann nicht glücklich werden kann‘, hatte Hollys Mutter Helene ihre beiden Schwestern in Schutz genommen.

Über die Einstellung ihrer Mutter wunderte sich Holly nicht weiter. Denn auch Helene Casale hatte nichts unversucht gelassen, um ihre Tochter an den Mann zu bringen. Da war der Besitzer der Tierhandlung, der sich nur über Tropenfische und Schlangen unterhalten konnte. Und der Anwalt, der die Fahrer der Krankenwagen bestach, um als erster am Unfallort sein und den Verletzten seine Visitenkarte geben zu können. Er hatte sich auf Schadenersatzklagen spezialisiert, ein grässlicher Typ.

Auch Hollys ältere Schwester Hope und ihre Cousinen Hillary, Heather und Hayley, allesamt verheiratet, hatten sich größte Mühe gegeben, Holly unter die Haube zu bringen. Einige der Männer waren durchaus annehmbar, andere völlig verklemmt und verzweifelt auf der Suche nach einer Frau.

Bisher aber hatte sich aus diesen Begegnungen allenfalls eine Art Freundschaft entwickelt, von Liebe keine Spur.

Die Frauen der Familie befürchteten mittlerweile, dass Holly trotz ihrer vielen männlichen Freunde nie heiraten, geschweige denn Kinder haben würde. Hillary und Heather hatten bereits je eine Tochter, und Hope und Hayley setzten alles daran, schwanger zu werden.

„Ich vermute, deine Situation ist nicht gerade einfacher geworden, seit die kleine Heidi verlobt ist und mitten in den Hochzeitsvorbereitungen steckt“, meinte Brenna mitfühlend.

Heidi war Hollys jüngste Cousine, gerade zwanzig und seit Kurzem verlobt.

„Arme Mom. Sie tat mir so leid, als Heidi beim letzten Familientreffen ihre Verlobung bekannt gab.“ Holly hatte Mühe, ernst zu bleiben. „Mom tat ganz erfreut, aber dann ging sie ziemlich schnell. Später behauptete sie, das Essen sei ihr nicht bekommen, aber alle wussten, was ihr auf den Magen geschlagen war.“

„Dass ihre jüngere Tochter ihr Examen mit Auszeichnung bestanden und auch die Fachausbildung glänzend absolviert hat, zählt anscheinend überhaupt nichts.“ Brennas blaue Augen blitzten zornig.

„Nein. Für sie zählt nur, dass ich neunundzwanzig bin und immer noch keinen Mann vorweisen kann.“

„Meine Güte, Holly, das macht mich so wütend!“

„Beruhige dich. Als Psychiaterin gebe ich dir den guten Rat, deinen Zorn in ein positives Gefühl umzuwandeln. Zum Beispiel in die Vorfreude auf einen Besuch bei mir. Sowie ich mich eingerichtet habe, musst du nach Sioux Falls kommen. Das musst du mir versprechen, Bren.“

„Versprochen.“ Brenna lächelte die Freundin an. „Aber zu lange darf ich wohl nicht warten, denn wird es dort nicht schon bald Winter? So etwa Anfang September?“

„South Dakota liegt doch nicht am Polarkreis. Außerdem kann es hier in Michigan im Winter auch sehr ungemütlich sein.“

„Du brauchst deine Wahl nicht zu verteidigen. Ich glaube, dass du da sehr gut hinpasst. Sioux Falls kann sich jedenfalls freuen, dass du kommst. Ich hoffe …“, Brenna zwinkerte der Freundin zu, „dass du dort den Mann deiner Träume findest. Stell dir nur vor, wie dich dann deine entzückten Verwandten mit Büchern zum Thema Hochzeitsplanung überschütten werden!“

Es klopfte und Helene Casale trat ein. „Wie kommst du mit dem Packen voran, Holly?“, fragte sie und schaute auf die Koffer auf dem Bett, die bisher kaum zur Hälfte gefüllt waren.

„Danke, gut, Mom.“

„Und vergiss nicht, auch das hier einzupacken. Du kannst nie wissen, ob du es nicht mal brauchen kannst.“ Helene Casale legte ein Exemplar von The Rules in den Koffer und gab auch Brenna ein Buch. „Du kannst auch eins haben, mein Kind. Die Autoren garantieren praktisch einen Heiratsantrag, wenn man sich nach ihren Anweisungen richtet.“

Holly sah die Freundin an, und Brenna verstand, was dieser Blick sagen wollte. Nach Sioux Falls zu gehen und damit der Familie zu entkommen war eindeutig die richtige Entscheidung gewesen.

Mit zwei Stunden Verspätung landete das Flugzeug in Sioux Falls.

Rafe Paradise sah zum wiederholten Mal auf die Uhr.

„Davon geht es auch nicht schneller“, sagte die zierliche blonde Frau neben ihm. „Sie haben doch eben erst nachgesehen, wie spät es ist. Sehnen Sie sich so sehr danach, nach Hause zu kommen?“

„Nein, eigentlich nicht.“ Rafe sah sie an und zwang sich zu einem Lächeln. Davon konnte wirklich nicht die Rede sein. Aber er hatte keine Lust, der hübschen Frau neben ihm zu erklären, warum.

Während des Fluges hatte sie mit ihm geflirtet und hatte auch bereits Verschiedenes herausbekommen. Sie wusste, dass er nicht verheiratet war, als Anwalt arbeitete, in Sioux Falls wohnte und keine feste Freundin hatte. Bereitwillig hatte Rafe ihre sehr direkten Fragen beantwortet, selbst aber keine gestellt. Das hatte die hübsche Blonde aber nicht daran gehindert, von sich zu erzählen.

Er erfuhr, dass sie Lorna Larson hieß, in Minneapolis lebte und in der Telekommunikationsbranche arbeitete und geschäftlich häufig nach Sioux Falls musste.

Rafe hatte geschwiegen und sie erzählen lassen. Ihm war nicht nach einem Flirt zumute gewesen, dem gewissen Lächeln, den bedeutsamen Blicken, dem Austausch persönlicher Informationen. Denn er wusste, dass Lornas Interesse an ihm dahinschwinden würde, sobald sie von seiner persönlichen Situation erfuhr.

Dass ihm das im Grunde vollkommen gleichgültig war, beunruhigte ihn. Sein Interesse an Sex war auf den Nullpunkt gesunken, er vermisste noch nicht einmal eine Frau in seinem Leben. Ein wirkliches Privatleben existierte für ihn nicht mehr, seit er letztes Jahr seine beiden jüngeren Halbschwestern „geerbt“ hatte, um es freundlich auszudrücken. Seitdem brachte er weder die Zeit noch die Energie auf, sich auf das andere Geschlecht einzulassen.

Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte – auf jeden Fall bevor Camryn und Kaylin bei ihm eingezogen waren. Und auch bevor sein kleiner Bruder Trent und dessen Bruder Tony es sich bei ihm häuslich einrichteten und schließlich ganz zu ihm übersiedelten.

Das Flugzeug war gelandet. Lorna Larson drückte ihm schnell ihre Visitenkarte in die Hand und holte dann ihr Handgepäck aus dem Fach über den Sitzen. „Auf der Rückseite habe ich Adresse und Telefonnummer des Hotels notiert, in dem ich immer absteige. Rufen Sie mich doch einfach mal an, dann können wir uns auf einen Drink oder so treffen.“ Ihr Lächeln war vielversprechend, und es war eindeutig, dass sie sich von ihrem Aufenthalt in Sioux Falls einiges erhoffte.

Rafe murmelte etwas, lächelte kurz und steckte die Karte ein. Er würde sich ganz sicher nicht melden. Normalerweise war er fix und fertig, wenn er die Kids einigermaßen zur Ruhe gebracht hatte, vor allem, wenn er über Nacht weg gewesen war. Wahrscheinlich hatten sie während seiner Abwesenheit schon wieder alles Mögliche angestellt. Glücklicherweise hatte sein Freund Joe Stone von der Polizei versprochen, hin und wieder bei Rafe vorbeizufahren, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war.

Rafe erinnerte sich noch sehr genau an das Chaos bei der Rückkehr von der ersten Geschäftsreise nach Einzug der Kids. Er war naiv davon ausgegangen, dass alles so weiterlaufen würde wie sonst. Stattdessen hatten sie alles auf den Kopf gestellt, hatten Dauerpartys gefeiert und das Haus in einen unbeschreiblichen Zustand versetzt.

Kein Wunder, dass er schon im Sinne einer Überlebensstrategie seine ganze Aufmerksamkeit auf die Kinder richten musste und alles andere aus seinen Gedanken strich. Kaum hatte er das Flugzeug verlassen, hatte er die blonde Lorna bereits vergessen. Er holte seinen Wagen vom Parkplatz, und während der Fahrt nach Hause überfiel ihn wieder dieses starke Verlangen, weiter und immer weiter gen Westen bis an die Pazifikküste zu fahren. Aber sein Verantwortungsbewusstsein war viel zu groß, als dass er diesem Wunsch nach Freiheit nachgegeben hätte.

„Wir kriegen neue Nachbarn, und das ist cool. Vielleicht mit Kindern für unsere Schul’. Wir spielen Fußball und …“ Der zehnjährige Trent hielt mitten in der Komposition eines neuen Rapsongs inne und sah die sechzehnjährige Kaylin an. „Was reimt sich auf Fußball?“ Er bewegte sich weiter im Raprhythmus und schlug dabei mit zwei Linealen auf den Couchtisch. Im Takt selbstverständlich.

„Auf Fußball reimt sich nichts. Du musst dir etwas anderes ausdenken. Vielleicht Skaten? Darauf reimt sich Feten, beten, säten …“

„Sehr schlau!“ Trent streckte Kaylin die Zunge heraus. „Was soll ich denn damit anfangen?“

„Seid still!“ Die siebzehnjährige Camryn lag auf dem Sofa und presste sich einen Eisbeutel auf die Stirn. „Das halte ich nicht aus. Trent, hör endlich auf mit dem Gehämmere. Ich fühle mich, als würde mir jemand bei jedem Beat einen glühenden Nagel in den Kopf schlagen.“

„Du sollst doch Lion zu mir sagen“, verlangte der Kleine. „Hast du gestern wieder gesoffen?“

„Das werde ich dir gerade sagen. Damit du Rafe gleich wieder alles brühwarm erzählen kannst, du kleine Petze.“ Camryn stöhnte leise auf. „Kaylin, sei ein Schatz und hol mir ein paar Kopfschmerztabletten. Und eine Cola. Und frisches Eis.“

„Wird gemacht.“ Kaylin verschwand in der Küche.

„Kaylin ist doch nicht deine Sklavin!“, tönte Trent. „Sklaverei ist verboten.“

„Mord auch“, meinte Camryn düster. „Aber wenn du nicht gleich den Mund hältst, kann ich für nichts garantieren.“

Trent lachte nur und trommelte einen schnelleren Rhythmus.

„Ich habe dich gewarnt.“ Camryn nahm den Eisbeutel von der Stirn und warf ihn nach Trent. Aber statt des Jungen traf sie den übergewichtigen Mischlingshund, der auf dem Teppich döste. Er sprang auf und fing an zu bellen.

„Der arme Hotdog!“ Trent versuchte den Hund zu trösten, aber der schnappte nach seiner Hand. „Was hat er denn gegen mich?“

„Er hat nichts gegen dich, er ist nur sauer, weil er so aus dem Schlaf gerissen wurde. Außerdem wäre er lieber wieder in Las Vegas. Kein Wunder. Wer würde nicht lieber in Las Vegas als in Sioux Falls leben?“

„Ich nicht!“, sagte Trent sofort. „Ich finde Sioux Falls super.“

„Weil du und dein kleiner Bruder nichts anderes kennt. Ihr habt immer hier gewohnt.“ Camryn stieß einen langen Seufzer aus, hob dann den Kopf und sah sich um. „Wo ist er überhaupt? Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen.“

„Er hat bei den Steens übernachtet. Sie wollen heute in den Zoo gehen. Wollen wir nicht auch gehen?“ Dann fiel ihm etwas anderes ein. „Weißt du was, Camryn? Ich werde bestimmt mal ein berühmter Fußballer.“ Er strahlte. „Dann kaufe ich mir ein großes Haus in Las Vegas, und wir können da alle zusammen leben, ich und du und Kaylin und Tony und Rafe und Hotdog. Und meine Mom, wenn sie will.“

„Und wie ist es mit Flint? Und mit Eva?“ Camryn setzte sich auf und spülte die Pillen, die Kaylin ihr gebracht hatte, mit Cola herunter. „Ziehen sie auch bei uns ein?“

„Nein.“ Trent schüttelte energisch den Kopf. „Flint bleibt bestimmt hier, und Eva …“

„… würde nicht mit uns leben wollen, nicht mal für Geld“, vollendete Camryn seinen Satz. „Die hasst uns viel zu sehr.“

„Warum eigentlich?“ Trent sah das junge Mädchen ratlos an. „Ich finde das schade.“

„Keine Ahnung.“ Kaylin zuckte mit den Schultern. „So was gibt es eben.“

Als Rafe Paradise wenige Minuten später ins Wohnzimmer trat, fand er die drei bei ihrer Lieblingsbeschäftigung vor. Camryn hatte offenbar Cola und Erdbeereis zum Frühstück. Kaylin hatte sich mit Hotdog in Rafes großen gemütlichen Sessel zusammengerollt und streichelte den großen dicken sabbernden Hund, der seine Haare überall hinterließ. Und der kleine Trent lag bäuchlings auf dem Teppich und sah sich irgendetwas im Fernsehen an, das ganz offensichtlich nicht für kleine Jungs gedacht war, denn es wurde geschossen und gebombt.

Rafe wusste nicht, um wen er sich zuerst kümmern sollte. Da Trent sofort aufsprang und strahlend auf ihn zukam, erwähnte Rafe das Fernsehprogramm vorläufig nicht, obwohl der Junge genau wusste, was er nicht sehen durfte. Kurz vor Rafe blieb er stehen und sah zu dem hoch gewachsenen Mann auf. Man sah ihm an, dass er Rafe am liebsten umarmt hätte, sich aber nicht traute. Und da auch Rafe in Sachen Körperkontakt ein bisschen gehemmt war, blieben beide voreinander stehen und lächelten sich an.

„Hallo, Rafe“, sagte Kaylin jetzt, „wie war dein Flug?“

Auch dass sie in seinem Sessel saß und den Hund auf dem Schoß hielt, erwähnte Rafe nicht. Der Hund durfte grundsätzlich nicht auf die Polstermöbel. Wahrscheinlich hatte diese verflixte Camryn Kaylin den Hund auf den Schoß gesetzt.

„Ja, hat alles gut geklappt.“

Er fixierte Camryn, die bisher noch nicht auf sein Kommen reagiert hatte. Sie goss Cola über ihr Erdbeereis. Und das zum Frühstück. Rafe schüttelte sich. „Was ist denn das für ein Frühstück?“, fragte er angeekelt.

„Was ich frühstücke, ist meine Sache“, gab Camryn patzig zurück.

„Das ist nicht gut für dich. Ich habe doch extra eingekauft, bevor ich nach Minneapolis geflogen bin. Der Kühlschrank ist doch voll. Eier und Orangensaft und …“

„Hör doch auf, Rafe.“ Camryn machte ein angewidertes Gesicht. „Da wird mir schon vom Zuhören schlecht.“

„Ich möchte gern Eier und Orangensaft, Rafe“, sagte Trent schnell. „Möglichst so, dass das Ei zwischen den Brotscheiben gebraten wird. Das macht meine Mom immer.“

Rafe sah ihn verständnislos an. Er hatte keine Ahnung, was Trent meinte.

„Ich weiß, wie sie das macht.“ Kaylin stand auf und ging in Richtung Küche. „Möchte sonst noch jemand etwas haben?“

„Nein, danke.“ Rafe war froh, dass Kaylin einsprang. Sie war meistens fröhlich und hilfsbereit, ganz das Gegenstück zu ihrer Schwester Camryn, die ein bisschen bösartig war. Doch obwohl das Zusammenleben mit Kaylin sehr viel einfacher war, hing sie wie ihre Schwester mit den falschen Cliquen herum.

Rafe spürte, wie seine Schläfen schmerzhaft zu pochen anfingen. „Sind die Mädchen gestern ausgegangen, Lion?“, fragte er Trent und benutzte dabei den derzeitigen Lieblingsnamen des Kleinen.

„Keine Ahnung“, antwortete Trent und sah ihn dabei nicht an. „Ich habe mit meinem Gameboy gespielt. Das ist das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe. Noch mal vielen Dank, Rafe.“

Rafe begriff, dass der Junge Kaylin und Camryn nicht verpetzen würde, wobei nicht klar war, ob das seine Entscheidung war oder die beiden ihn unter Druck gesetzt hatten. Vielleicht sollte er die Frage anders stellen. „Wann sind die beiden denn gestern Abend nach Hause gekommen, Lion?“

„Ich weiß nicht. Ich habe mit meinem Gameboy gespielt.“ Der Junge blieb eisern bei seiner Geschichte.

„Übrigens, Tony ist bei den Steens“, bemerkte Camryn spitz, ein Tonfall, den sie immer benutzte, wenn sie Schuldgefühle hervorrufen wollte. „Hast du ihn ganz und gar vergessen? Du hast noch gar nicht nach ihm gefragt.“

„Das hatte ich gerade vor“, verteidigte sich Rafe, der sofort ein schlechtes Gewissen bekam. Natürlich hatte er den Achtjährigen nicht vergessen, auch wenn er in den letzten fünf Minuten noch nicht an ihn gedacht hatte.

Er schaute den Jungen, dann die beiden Mädchen und zuletzt den Hund an, und plötzlich kam ihm die Situation seltsam unwirklich vor. Auch wenn das nun schon ein ganzes Jahr so ging, konnte er manchmal nicht glauben, dass diese vier Menschen und ein Hund tatsächlich bei ihm lebten. Und dass sich sein Leben als sorgloser Junggeselle so drastisch und unwiderruflich verändert hatte.

„Die neuen Nachbarn ziehen heute ein“, sagte Trent und ließ sich wieder auf den Fußboden fallen. „Hast du den Umzugswagen gesehen, Rafe?“

„Nein, da war kein Umzugswagen.“ Rafe bedauerte die armen Leute jetzt schon, die die andere Hälfte des Doppelhauses gekauft oder gemietet hatten. Das junge Paar, das vorher dort gewohnt hatte, war vor dem ständigen Krach der Kinder ans andere Ende der Stadt geflohen.

„Vielleicht kommt der Wagen ja gerade. Ich sehe mal eben nach.“ Trent sprang auf und rannte zur Haustür, riss sie auf und schmetterte sie wieder zu.

„Mein armer Kopf!“ Camryn rieb sich mit einer theatralischen Geste die Schläfen.

„Wo warst du gestern Abend, und wann bist du nach Hause gekommen?“ Rafe musste sich zu dieser Frage zwingen, denn im Grunde hasste er seine Rolle als Erziehungsberechtigter. Diese Aufgabe war ihm aufgezwungen worden, und er wusste, dass er sie nur unvollkommen erfüllte.

„Ich habe mit meinen Freunden Minigolf gespielt, und dann haben wir in einer Milchbar noch einen Shake getrunken. Zufrieden? Und zu Hause war ich auch rechtzeitig.“ Camryn lächelte wie ein unschuldiger Engel.

In den ersten Tagen nach ihrem Einzug hatte Rafe ihr noch vertraut und sich immer wieder hereinlegen lassen. Bis er begriff, dass Camryn nicht zu trauen war.

„Aber sicher“, sagte er leise. „Und Kaylin ist Klassenbeste und du die Nummer eins auf der Beliebtheitsskala.“

Beides war genauso absurd wie Camryns Behauptung mit der Milchbar. Kaylin hielt eine Vier für eine gute Note, und Camryn hatte mit ihrer intriganten Art den größten Teil ihrer Klasse gegen sich aufgebracht.

In diesem Augenblick kam Kaylin mit einem Tablett herein. „Wo ist Trent?“

„Wahrscheinlich geht er den neuen Nachbarn auf die Nerven.“ Camryn setzte sich auf. „Ich sterbe vor Hunger. Kann ich das Frühstück haben?“

„Das ist für Trent“, sagte Rafe.

„Ich mach ihm was, wenn er kommt“, warf Kaylin schnell ein. Sie reichte Camryn das Tablett und ließ sich dann in Rafes Sessel fallen. Hotdog rutschte bereitwillig zur Seite und fiel sogleich wieder in tiefen Schlaf.

„Mir ist schlecht“, stöhnte Kaylin plötzlich. „Vielleicht hätte ich nicht diese ganzen Kekse essen sollen. Und die Gummibärchen.“

„Zum Frühstück?“ Rafe runzelte die Stirn.

„Immerhin habe ich Milch dazu getrunken. Milch ist doch gesund.“

„Beherrsch dich, oder mir wird auch gleich schlecht“, meinte Camryn, die trotzdem mit großem Appetit Trents Frühstück verzehrte.

Rafe wandte sich zur Tür. „Ich geh nach oben und pack meine Sachen aus.“ Er floh aus dem Zimmer.

2. KAPITEL

Gerade als Holly ihren schwer bepackten Wagen in der Einfahrt von Deer Trail Lane Nummer 101 parkte, kam durch den Vorgarten ein Junge auf sie zu gelaufen.

„Ich bin Lion“, verkündete er, während sie ächzend aus dem Auto stieg. „Ich wohne nebenan.“ Er wies mit dem Finger auf das Nebenhaus. „Die beiden Häuser sind miteinander verbunden. Wenn ich und mein Bruder an die Wand klopfen, können Sie uns ziemlich gut hören.“

Diese Tatsache schien ihn außerordentlich zu begeistern. Holly sah ihn leicht besorgt an.

„Ich und Tony, das ist mein Bruder, wir kennen nämlich das Morsealphabet.“ Trent strahlte Holly an. „Nicht nur SOS, sondern alle Buchstaben.“

„Da habt ihr sicher viel geübt“, sagte Holly freundlich.

„Ja. Wir bringen Ihnen das bei, und dann können wir uns immer Nachrichten schicken. Wie heißen Sie?“

„Holly.“ Sie lächelte etwas mühsam. Von der langen Fahrt war sie erschöpft, und die Vorstellung, dass die Trennwand zwischen den beiden Häusern zum Morsen benutzt wurde, munterte sie auch nicht gerade auf. Sie war hungrig und müde und außerdem sauer, weil sie heute noch nicht einziehen konnte. Als sie bei der Hausverwaltung ihre Schlüssel abgeholt hatte, wurde sie mit der Nachricht überrascht, dass mit dem Umzugswagen nicht vor morgen zu rechnen war.

„Wollen Sie mal meinen besten Schuss sehen?“, schrie Trent gerade, und bevor Holly protestieren konnte, setzte er einen Fußball mit einem gekonnten Schuss direkt in eins ihrer Parterrefenster.

„Mist!“, schimpfte er. „Warum geht Glas auch immer so leicht kaputt.“

Holly starrte fassungslos auf die zerbrochene Fensterscheibe. Dann seufzte sie leise und wandte sich zu dem Jungen um. „Du bist wirklich begabt, Lion, aber ich würde vorschlagen, dass du deinen besten Schuss lieber auf dem Fußballplatz übst.“

„Das sagt Rafe auch immer.“

„Trent, habe ich da nicht etwas klirren gehört?“, fragte eine tiefe Männerstimme, und Holly fuhr herum.

Ein großer schwarzhaariger Mann in Jeans und weißem T-Shirt kam auf sie zu.

„Oh … also, das ist Rafe.“ Trent trat dicht an Holly heran und zischte ihr zu: „Bitte, sagen Sie, dass Sie das waren!“

Doch bevor Holly antworten konnte, stand der große Mann vor ihr und musterte sie eingehend. „Herzlich willkommen“, sagte er, und sein Lächeln war schwer einzuordnen. „Ich bin Rafe Paradise.“

Paradise hieß der Mann? Seine Stimme klang nicht gerade wie eine Einladung ins Paradies.

Sie riss sich zusammen. „Angenehm. Ich bin Holly Casale. Aus Michigan.“

Autor

Barbara Boswell
Barbara Boswell war als Krankenschwester tätig, bis sie sich ganz der Kindererziehung widmete. Sie begann 1983 zu schreiben und veröffentlichte 22 Romane.
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