Heißes Dinner mit dem Millionär

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"Mehr?" Finn betrachtet die bezaubernde Tamlyn gebannt. Ihre Lippen hatten seine Finger zart berührt, als sie einen Leckerbissen kostete - und heiße Wellen durch seinen Körper gejagt. Ganz klar: Dieses Dinner konnte ihn in Teufels Küche bringen! Denn Tamlyn ist den weiten Weg nach Neuseeland gekommen, um ihre totgeglaubte Mutter zu finden - und der Selfmade-Millionär ist derjenige, der deren Spuren heimlich verwischt. Wird Tamlyn ihm verzeihen, wenn sie die Wahrheit erfährt? Für eine Nacht will Finn die quälenden Fragen fortschieben, denn die Schöne flüstert: "Mehr …"


  • Erscheinungstag 17.11.2015
  • Bandnummer 1898
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721527
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Was soll das heißen, du kündigst? Es sind nur noch viereinhalb Wochen bis Weihnachten! Wir haben mit all den Gästen so viel um die Ohren, dass wir kaum noch ein und aus wissen. Lass uns noch einmal darüber reden. Wenn du nicht zufrieden bist, finden wir eine andere Aufgabe für dich.“

Tamsyn seufzte innerlich. Eine andere Aufgabe. Klar, das ist die Lösung all meiner Probleme, dachte sie ironisch. Aber sie konnte ihrem Bruder Ethan keinen Vorwurf machen, wenn er versuchte, alles für sie in Ordnung zu bringen. Das tat er schließlich schon ihr ganzes Leben lang. Aber diese Situation konnte auch er nicht retten. Deshalb war sie ja weggefahren.

Sie hatte schon lange von Ferien geträumt. Die Arbeit auf dem Familienanwesen The Masters, einem Weingut mit luxuriösen Feriencottages bei Adelaide in Südaustralien, befriedigte sie nicht mehr. Sie fühlte sich ruhelos, als gehörte sie nicht mehr wirklich dazu – bei der Arbeit, zu Hause, in der Familie, sogar in ihrer Beziehung.

Das Debakel gestern Abend hatte ihr bewiesen, wie recht sie hatte.

„Ethan, ich kann jetzt nicht darüber reden. Ich bin in Neuseeland.“

„In Neuseeland? Ich dachte, du bist bei Trent in Adelaide?“

Ethan klang völlig fassungslos. Tamsyn griff das Steuer ihres Mietwagens fester und zählte stumm bis zehn, damit ihr Bruder sich beruhigen konnte, bevor sie antwortete: „Ich habe die Verlobung gelöst.“

Kurz herrschte Schweigen.

„Du hast was getan?“, fragte Ethan dann, als traute er seinen Ohren nicht.

„Es ist eine lange Geschichte.“ Sie schluckte gegen den Schmerz an, der sich mittlerweile zu einem beharrlichen dumpfen Pochen in ihrer Brust abgeschwächt hatte.

„Ich höre.“

„Jetzt nicht, Ethan. Ich … Ich kann nicht.“ Ihr versagte die Stimme, und Tränen strömten ihr plötzlich über die Wangen.

„Dem zeig ich’s“, schwor Ethan, ganz der große Bruder und Beschützer.

„Nein, lass es. Er ist es nicht wert.“

Sie hörte Ethans tiefem Seufzer seine ganze Besorgnis und Enttäuschung an. „Wann kommst du zurück?“

„Ich … Ich weiß es nicht. Das ist noch in der Schwebe.“ Sie glaubte nicht, dass es ein guter Zeitpunkt war, um ihm zu sagen, dass sie nur ein Ticket für den Hinflug gekauft hatte.

„Na, wenigstens hast du deinen Assistenten so gut eingewiesen, dass er im Notfall einspringen kann. Ist Zac auf dem neuesten Stand?“

Obwohl sie wusste, dass er sie nicht sehen konnte, schüttelte Tamsyn den Kopf und biss sich auf die Lippen.

„Tam?“

„Nein. Ich habe ihn gefeuert.“

„Du hast …“ Ethan verstummte. Offenbar zählte er zwei und zwei zusammen und kam überraschend schnell zum richtigen Schluss. Ungläubig fragte er: „Zac und Trent?“

„Ja“, stieß sie mit zugeschnürter Kehle hervor.

„Kommst du zurecht? Ich fahre gleich zu dir. Sag mir einfach, wo du bist.“

„Nein, das ist nicht nötig. Ich erhole mich schon … früher oder später. Ich muss nur …“ Sie holte zitternd Luft.

Sie fand nicht die richtigen Worte, um auszudrücken, was sie wirklich brauchte. Aber sie wollte, dass ihr Bruder sie verstand. „Ich muss eine Weile allein sein und gründlich über alles nachdenken. Es tut mir leid, dass ich einfach so verschwunden bin. Du kennst ja das Passwort zu meinem Computer. Alle Buchungen stehen auch noch einmal auf dem Terminkalender an der Wand. Wenn es hart auf hart kommt, könnt ihr mich gern anrufen.“

„Wir kümmern uns schon um alles. Mach dir keine Sorgen.“

Die feste Überzeugung in der Stimme ihres großen Bruders zu hören, war fast so tröstlich, als wenn er neben ihr im Wagen gesessen hätte.

„Danke, Ethan.“

„Kein Problem. Aber, Tam? Wer kümmert sich um dich?“

„Ich“, sagte sie fest.

„Ich finde wirklich, dass du nach Hause kommen solltest.“

„Nein, ich weiß, was ich tun muss.“ Dieses Detail musste sie ihm verraten, obwohl sie wusste, dass er nicht erfreut sein würde. „Ich suche sie, Ethan.“

Erst schwieg er, dann seufzte ihr Bruder auf. „Bist du sicher, dass jetzt der beste Zeitpunkt ist, um nach unserer Mutter zu suchen?“

Sie hatten erst vor ein paar Monaten erfahren, dass ihre tot geglaubte Mutter am Leben war und in Neuseeland wohnte. Der Schock steckte Tamsyn noch immer in den Knochen. Zu hören, dass ihr Vater sie bis zu seinem Tod belogen und der Rest der Familie seine Lüge mitgetragen hatte, war schon schlimm genug gewesen. Aber die Erkenntnis, dass ihre Mutter nie versucht hatte, Kontakt zu Ethan und ihr aufzunehmen, hatte Tamsyns gesamtes Selbstbild ins Wanken gebracht.

Sie verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Ein besserer Zeitpunkt als jetzt fällt dir doch auch nicht ein, oder?“

„Oh doch. Du bist gekränkt und verletzlich. Ich will nicht, dass du noch einmal enttäuscht wirst. Komm nach Hause. Lass mich einen Privatdetektiv auf sie ansetzen, damit du vorher weißt, worauf du dich einlässt.“

Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie Ethan die Stirn runzelte und die Lippen besorgt zu einer schmalen Linie zusammenpresste. „Ich will es allein schaffen. Ich muss. Ich bin nicht mehr weit von der Adresse entfernt, die du mir vor ein paar Monaten gegeben hast. Ich lege jetzt besser auf“, sagte sie nach einem Blick auf den GPS-Bildschirm.

„Du willst einfach ohne Vorwarnung da auftauchen?“

„Warum nicht?“

„Sei vernünftig, Tam. Du kannst dich nicht einfach aus heiterem Himmel als die lange verlorene Tochter vorstellen.“

„Ich bin nicht verloren. Sie wusste die ganze Zeit über, wo wir waren. Sie ist diejenige, die gegangen und nicht zurückgekehrt ist.“

Tamsyn konnte nicht verhindern, dass der Schmerz in ihren Worten durchklang. Ein Schmerz, der sich mit so viel Groll, Zorn und Kummer vermischte, dass sie kaum eine Nacht durchgeschlafen hatte, seit sie wusste, dass es die Frau, die sie sich immer ausgemalt hatte, gar nicht gab. Die Mutter, von der sie geträumt hatte, die sie zu sehr geliebt hatte, um sie jemals im Stich zu lassen, existierte nicht.

Doch sie hatte viele Fragen und redete sich ein, stark genug zu sein, sich den Antworten zu stellen. Sie musste es sein, um wieder nach vorn schauen zu können, denn alles, woran sie bisher geglaubt hatte, fußte anscheinend auf Lügen.

Trents Verrat war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Sie wusste plötzlich nicht mehr, wer sie war, aber sie war bereit, es herauszufinden.

Ethans Stimme riss sie aus ihren Gedanken: „Tu mir einen Gefallen“, sagte er. „Such dir ein Motel und schlaf eine Nacht drüber, bevor du etwas tust, das du vielleicht bereust. Wir können uns morgen früh unterhalten.“

„Ich halte dich auf dem Laufenden“, antwortete Tamsyn, ohne auf seine Bitte einzugehen. „Ich ruf dich in ein paar Tagen an.“

Sie legte auf, bevor Ethan noch etwas sagen konnte. Die körperlose Stimme des GPS-Geräts kündigte an, dass sie in fünfhundert Metern abbiegen musste. Tamsyn wurde flau im Magen. Sie würde jetzt etwas tun, das völlig untypisch für sie war, denn normalerweise war sie jemand, der immer alles bis in alle Einzelheiten plante.

Vorsichtig bog sie in die von eindrucksvollen Mauern gesäumte Einfahrt ein, hielt an und schloss für einen Moment die Augen. Jetzt war es so weit: Gleich würde sie ihrer Mutter gegenüberstehen. Zum letzten Mal hatte sie sie gesehen, als sie drei Jahre alt gewesen war. Ein Schauer durchlief sie, und ihr Adrenalinspiegel stieg.

Die letzten vierundzwanzig Stunden waren eine Achterbahnfahrt der Gefühle gewesen: Ihr war abwechselnd schwindlig vor Vorfreude und übel vor Aufregung gewesen.

Sie öffnete die Augen und nahm den Fuß von der Bremse. Das Auto rumpelte wieder los; die Einfahrt führte einen Hügel hinauf.

Rechts und links vom Weg wuchsen Weinreben in schnurgeraden Reihen. Die Blätter waren üppig und grün, und Tamsyn sah erste Fruchtansätze an den Ranken. Mit ihrem Expertenblick kam sie zu dem Schluss, dass dem Weinberg eine Rekordernte bevorstand.

Die Einfahrt schlängelte sich weiter den steilen Hügel hinauf. Nach einer besonders engen Serpentine sah sie plötzlich das Haus vor sich liegen. Das ausgedehnte zweistöckige Gebäude aus Stein und Zedernholz beherrschte die Hügelkuppe.

Tamsyn presste die Lippen zusammen und dachte zynisch, dass es wohl kein Geldmangel gewesen war, der ihre Mutter davon abgehalten hatte, mit ihren Kindern in Kontakt zu treten. Hatte Ellen Masters das Geld, das ihr Mann ihr seit über zwanzig Jahren immer wieder gezahlt hatte, in diesem Anwesen angelegt?

Dieser Zynismus half ihr, den Mut aufzubringen, um aus dem Auto zu steigen und zur Haustür zu gehen. Jetzt oder nie. Sie holte tief Luft, griff nach dem eisernen Türklopfer, hob ihn hoch und ließ ihn schwungvoll fallen. Kurz darauf hörte sie Schritte im Hausinnern. Ihr Magen zog sich zusammen, und ihre Entschlossenheit verflog.

Was zum Teufel tat sie bloß hier?

Finn Gallagher öffnete die Haustür und musste sich zwingen, stehen zu bleiben und nicht erstaunt einen Schritt rückwärts zu machen. Er erkannte die Frau, die vor ihm stand, auf Anhieb. Es war Ellens Tochter.

Also hatte die kleine Prinzessin aus Australien endlich beschlossen, zu Besuch zu kommen. Zu spät, dachte Finn. Viel zu spät.

Die Bilder, die er von ihr im Laufe der Jahre gesehen hatte, wurden ihr nicht gerecht. Allerdings hatte er das Gefühl, dass dies heute nicht ihr bester Tag war. Er musterte ihr zerzaustes dunkelbraunes Haar, die blasse Haut und die dunklen Ringe unter ihren weit auseinanderstehenden braunen Augen. Augen, die ihn sehr an ihre Mutter erinnerten. Ellen Masters und ihr Lebensgefährte Lorenzo hatten ihn bei sich aufgenommen, als er seine Eltern verloren hatte.

Er konzentrierte sich wieder auf die Frau vor sich. Ihre Kleidung war zerknittert, aber modisch und schmiegte sich auf eine Art an ihren Körper, die seinen Blick automatisch auf ihren Blusenausschnitt und die verlockenden Rundungen lenkte. Ihr Rock lag eng an ihren Hüften und schlanken Oberschenkeln an und endete unmittelbar oberhalb der Knie. Nicht lang genug, um hausbacken zu wirken, und nicht kurz genug, um gewagt zu sein. Trotzdem wirkte es irgendwie verführerisch.

All das zeugte nur davon, wie verwöhnt diese Frau aufgewachsen war. Verbittert dachte Finn daran, wie sich Ellen Masters abgerackert hatte, um sich ein anständiges Leben leisten zu können. Die Familie Masters kümmerte sich anscheinend gut umeinander – aber nur, solange man nicht aus der Reihe tanzte.

Er hob den Blick wieder zu Tamsyns Gesicht und sah, dass ihre vollen Lippen leicht zitterten, bevor sie ein nervöses Lächeln aufsetzte.

„H…hallo. Ich wollte fragen, ob Ellen Masters hier lebt“, sagte sie.

Ihre Stimme klang gepresst, und im Sonnenlicht des Spätnachmittags entdeckte Finn verräterische Tränenspuren. Entschlossen drängte er die aufsteigende Neugier zurück. „Und Sie sind …“, fragte er, obwohl er die Antwort kannte.

„Oh, tut mir leid.“ Sie streckte ihm eine zierliche Hand entgegen. „Ich bin Tamsyn Masters. Ich suche meine Mutter, Ellen Masters.“

Finn ergriff ihre kühle Hand und bemerkte, wie zerbrechlich ihre Finger wirkten. Er kämpfte gegen seinen Beschützerinstinkt an. Mit Tamsyn Masters stimmte irgendetwas nicht, aber er rief sich ins Gedächtnis, dass das nicht sein Problem war.

Er musste sie nur von Ellen fernhalten.

„Hier wohnt keine Ellen Masters“, antwortete Finn und ließ Tamsyns Hand los. „Erwartet Ihre Mutter Sie?“

Tamsyn sah beschämt drein. „Nein, ich wollte sie überraschen.“

Sie hatte sich also keine Gedanken gemacht, ob ihre Mutter sie überhaupt sehen wollte. Oder ob Ellen dazu in der Lage sein würde. Wie typisch, dachte Finn ärgerlich. Solche Leute kannte er nur zu gut: verwöhnt und überzeugt, dass die Welt sich nur um ihr Vergnügen drehte. Leute wie Briana, seine Ex. Schön, scheinbar mitfühlend, in ein Leben voller Möglichkeiten hineingeboren, aber bei Licht besehen so gierig und berechnend wie der Bösewicht Fagin in Charles Dickens’ Oliver Twist.

„Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Adresse haben?“, fragte er mühsam beherrscht.

Tamsyn griff in ihre Handtasche, zog ein Stück Papier daraus hervor und las die Adresse ab. „Das stimmt doch, nicht wahr?“

„Ja, das ist meine Adresse, aber es gibt hier keine Ellen Masters. Sie haben sich vergeblich herbemüht.“

Die junge Frau sank in sich zusammen. In ihren Augen standen plötzlich Tränen, und ihre zarten Gesichtszüge erstarrten zu einer Maske der Trauer. Wieder regte sich in Finn das Bedürfnis, sie zu beschützen. Spontan verspürte er den Drang, ihr von der versteckt gelegenen Einfahrt am Fuße des Hügels zu erzählen, die zu dem Cottage führte, in dem Ellen und Lorenzo fünfundzwanzig Jahre lang gelebt hatten. Er unterdrückte den Impuls.

Tamsyn Masters war eine erwachsene Frau. Warum hatte sie ihre Mutter nicht früher besucht, als es Ellen vielleicht noch Freude gemacht hätte?

„Ich … Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Ich war anscheinend falsch informiert.“ Tamsyn griff in ihre Handtasche, zog eine übergroße Sonnenbrille daraus hervor und setzte sie auf, wohl um ihren gequälten Blick zu verbergen. Dabei fiel Finn der weiße Streifen am Ringfinger ihrer linken Hand auf. War die Verlobung, von der er vor über einem Jahr gelesen hatte, etwa in die Brüche gegangen? War das der Anstoß gewesen, den sie gebraucht hatte, um nach ihrer Mutter zu suchen?

Wie auch immer, es ging ihn nichts an.

„Kein Problem“, antwortete er und sah zu, wie sie zurück zu ihrem Auto ging.

Schon während sie losfuhr, griff er nach seinem Handy und tippte schnell eine Nummer ein. Der Anrufbeantworter sprang an, und er fluchte, als die körperlose Stimme ihn bat, eine Nachricht zu hinterlassen.

„Lorenzo, ruf mich zurück. Hier zu Hause gibt es Schwierigkeiten.“

Er steckte das Handy wieder ein und schloss die Tür. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er Tamsyn Masters nicht zum letzten Mal gesehen hatte.

Als Tamsyn den Weg, den sie gekommen war, wieder zurückfuhr, traf die Enttäuschung sie mit der Wucht einer Abrissbirne. Die Tränen, die sie im Gespräch mit dem Fremden noch zurückgehalten hatte, liefen ihr nun in Strömen über die Wangen. Sie schluchzte auf und versuchte, die Gefühle zu unterdrücken, die schon seit ihrem Aufbruch aus Adelaide in ihr brodelten.

Warum nur hatte sie geglaubt, dass alles ganz einfach sein würde? Sie hätte auf Ethan hören und sich erst mit dieser Sache beschäftigen sollen, wenn sie psychisch stabiler war. Sie hatte es aber jetzt getan: Sie war zu der Adresse gefahren, an die der Anwalt ihres Vaters all die Jahre lang die Schecks für ihre Mutter geschickt hatte – und es war die falsche gewesen.

Enttäuschung hinterließ einen bitteren Nachgeschmack – das stellte sie nun schon zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden fest. Es bewies ihr nur, dass es sich nicht lohnte, etwas zu tun, das ihr nicht ähnlich sah. Sie war sonst nie impulsiv, und jetzt wusste sie auch, warum: Es war sicherer. Man verzichtete damit zwar auf das erregende Gefühl, ein Risiko einzugehen, ersparte sich aber den Schmerz, den man ertragen musste, wenn etwas schiefging.

Sie dachte über den Mann nach, der ihr die Tür geöffnet hatte. Er war bestimmt über eins achtzig groß, sie hatte zu ihm aufschauen müssen. Sein Gesicht war markant: ein kantiges Kinn mit Dreitagebart, eine breite Stirn und gerade Augenbrauen, klare, schiefergraue Augen. Er hatte sehr charismatisch gewirkt. Wenn dieser Mann ein Zimmer betrat, wandten sich ihm sicher alle Blicke zu. Aber seinem Lächeln hatte die Wärme gefehlt.

Er hatte sie so seltsam angesehen, als ob …

Nein, das bildete sie sich nur ein. Er konnte sie nicht kennen, schließlich war sie ihm noch nie begegnet. Sie hätte sich bestimmt an ihn erinnert.

Die Sonne ging unter, und sie spürte die Erschöpfung in jedem Muskel ihres Körpers. Der anstrengende Tag und der Zeitunterschied forderten ihren Tribut. Sie musste ein Hotel finden, bevor sie noch vor Übermüdung in den nächsten Graben fuhr.

Tamsyn hielt am Straßenrand an und suchte mit dem GPS-Gerät nach Übernachtungsmöglichkeiten. Zum Glück gab es in der Nähe ein kleines Hotel. Sie rief dort an und war erleichtert, dass noch ein Zimmer frei war. Leider war es so teuer wie eine exklusive Übernachtung auf The Masters. Nachdem sie das Zimmer gebucht hatte, gab Tamsyn das Ziel ins GPS ein und folgte den Anweisungen, die sie zu einem pittoresken einstöckigen Gebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert lotsten.

Im Schein der goldenen Abendsonne wirkte es warm und einladend. Genau das, was sie brauchte.

Finn ging in seinem Büro auf und ab, unfähig, sich wieder in die Pläne zu vertiefen, die auf dem Schreibtisch ausgebreitet lagen. Sie waren ohnehin zum Scheitern verurteilt, wenn er nicht das Wegerecht erwerben konnte. Er brauchte den Zugang zu dem Grundstück, das er für dieses besondere Projekt nutzen wollte. Ungeduldig fuhr er sich mit beiden Händen durchs kurze Haar.

Das Klingeln seines Handys war eine willkommene Ablenkung.

„Gallagher.“

„Finn, gibt es ein Problem?“

„Ich bin froh, dass du anrufst, Lorenzo.“ Finn setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl und wandte sich dem Fenster zu. Wie immer genoss er den Blick in die Landschaft, schaffte es aber nicht, seine Gedanken halbwegs zu ordnen. Tamsyns Besuch ging ihm nicht aus dem Kopf.

„Was ist los, mein Junge?“

Obwohl Lorenzo lange in Australien gelebt hatte und nun schon seit Jahrzehnten in Neuseeland wohnte, hörte man immer noch seinen italienischen Akzent.

„Sag mir erst, wie es Ellen geht.“

Lorenzo seufzte. „Nicht gut. Sie hat einen schlechten Tag.“

Als Ellen Anzeichen von Nieren- und Leberversagen gezeigt hatte, war sie in ein Krankenhaus in Wellington gekommen. Dort stand ihr die spezielle Pflege zur Verfügung, die ihre fortschreitende Demenz erforderte.

„Das tut mir leid.“

Er hörte geradezu, wie Lorenzo resigniert die Schultern zuckte. „So ist das eben. Ich habe Alexis gebeten, aus Italien zurückzukommen.“

„Geht es Ellen so schlecht?“

Alexis war Lorenzos und Ellens einziges gemeinsames Kind. Im Moment war sie zu Besuch bei Lorenzos Familie in der Toskana.

„Ellen hat aufgegeben. Wenn sie mich erkennt, ist es schon ein guter Tag, aber die werden immer seltener.“

Finn hörte ihm den Schmerz an.

Lorenzo holte tief Luft und fuhr fort: „Warum hast du vorhin angerufen?“

Finn kam lieber gleich auf den Punkt, statt um den heißen Brei herumzureden. „Tamsyn Masters ist heute hier aufgetaucht und wollte Ellen besuchen. Ich habe ihr gesagt, dass Ellen Masters nicht hier wohnt, und sie weggeschickt.“

Lorenzo lachte; es klang wie das Rascheln von Herbstlaub. „Aber du hast ihr nicht gesagt, wo Ellen Fabrini wohnt, nicht wahr?“

„Nein“, gestand Finn. Er hatte nicht direkt gelogen. Obwohl Lorenzo und Ellen nie geheiratet hatten, führte sie seinen Nachnamen, seit sie in Neuseeland lebte.

„Tamsyn ist aber noch nicht wieder in Australien, oder?“

Finn fragte sich, worauf Lorenzo hinauswollte. „Was meinst du?“

„Du weißt, dass ich nach allem, was die Masters meiner Ellen angetan haben, nichts mehr von der Sippschaft halte. Ich habe oft mit angesehen, wie Ellen weinend Briefe an diese Kinder geschrieben hat. Es hat ihr jedes Mal wieder das Herz gebrochen. Aber haben sie je versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen? Nein. Doch so sehr ich diese Leute zur Hölle wünsche, ich weiß, dass Ellen sie liebt. Wenn ihr Zustand sich stabilisiert, tut es ihr vielleicht gut, ihre Tochter zu sehen.“

„Du willst, dass ich Tamsyn Masters davon abhalte, abzureisen?“, fragte Finn ungläubig.

„Ja. Aber lass sie wenn möglich im Dunkeln darüber, wo Ellen sich aufhält. Wie es aussieht …“ Ihm versagte die Stimme.

„Ich verstehe“, sagte Finn tröstend.

Es machte ihn traurig, mitzuerleben, wie der Mann litt. Lorenzo war für ihn wie ein Vater gewesen, damals, nachdem sein leiblicher Vater gestorben war und seine Mutter einen psychischen Zusammenbruch erlitten hatte. Finn war erst zwölf gewesen. Ellen und Lorenzo, der Geschäftspartner seines Vaters, hatten ihn bei sich aufgenommen. Sie waren für ihn ein Fels in der Brandung gewesen, hatten ihn unerschütterlich unterstützt und den Grundbesitz seines Vaters umsichtig verwaltet. Finn verdankte ihnen alles.

„Ich kümmere mich darum. Mach dir keine Sorgen“, versicherte er Lorenzo, und sie beendeten das Gespräch.

Wie er sich darum kümmern sollte, war allerdings eine ganz andere Frage. Erst einmal musste er herausfinden, ob Tamsyn noch in der Nähe war. So erschöpft, wie sie vorhin ausgesehen hatte, bezweifelte er, dass sie noch weit gefahren war. Es kostete ihn nur wenige Anrufe, sie zu finden. Er war nicht überrascht, dass sie sich eines der teuersten Hotels der Gegend ausgesucht hatte.

Gut, nun wusste er also, wo sie war. Aber was sollte er jetzt tun?

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah nachdenklich aus dem Fenster.

Es dämmerte bereits, und der eindrucksvolle Gebirgszug der Kaikoura Ranges in der Ferne war kaum mehr zu erkennen. Stattdessen beherrschten die Weinberge rund ums Haus das Bild. Seine Weinberge. Sein Land. Sein Zuhause. Ein Zuhause, das er nicht mehr haben würde, wenn Lorenzo und Ellen nicht gewesen wären. Also was sollte er jetzt tun?

Alles, was menschenmöglich war, antwortete er sich selbst. Er würde sich sogar mit einer Frau anfreunden, die Ellen viel Leid zugefügt hatte.

In seiner Jugend hatte er dann und wann Geschichten über Ellens andere Kinder gehört. Sie hatte sie zurücklassen müssen, als ihre Ehe am Ende gewesen war. Schon damals hatte er ihr angesehen, wie sehr sie darunter gelitten hatte. Ellen hatte Trost im Alkohol gesucht, der schließlich ihre Krankheit ausgelöst hatte. Finn hatte sich oft gefragt, warum die Kinder sich nie bei ihrer Mutter gemeldet hatten, die sie aus tiefstem Herzen liebte.

Später hatte er im Internet recherchiert und herausgefunden, dass Ethan und Tamsyn Masters auf ihrem Weingut ein Leben im Luxus führten. Es hatte ihnen von klein auf nie an etwas gefehlt. Ihnen waren alle Möglichkeiten, etwas aus sich zu machen, auf dem Silbertablett präsentiert worden.

Finn nahm es Ellens anderer Familie übel, es so leicht gehabt zu haben. Ellen hatte mit so wenig auskommen müssen.

Sie hatte sich nur der Liebe des Mannes sicher sein können, für den sie ihre Kinder verlassen hatte. Er blieb bei ihr, auch als es ihr körperlich und geistig immer schlechter ging. Ellen war mittlerweile in einem so kritischen Zustand, dass Finn befürchtete, sie könnte vollends den Verstand verlieren, wenn es Tamsyn gelang, sie aufzuspüren.

Seine eigene Mutter war gestorben, als er sie nach ihrem Zusammenbruch endlich hatte besuchen dürfen. Sie hatte sich nie von der Begegnung erholt, die sie an ihr Versagen als Mutter erinnert hatte. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes eine psychische Erkrankung bekommen – und sich beim Anblick ihres Sohnes so dafür geschämt, dass es die Erkrankung noch verschlimmert hatte. Die Erinnerung daran tat Finn bis heute weh. Er schob sie mit aller Macht von sich.

Tamsyn Masters – er durfte jetzt nur an sie denken. Er musste überlegen, wie er sie dazu bringen konnte, in der Gegend zu bleiben. Doch sie durfte die Wahrheit über Ellen nicht erfahren. Er dachte noch einmal darüber nach, was er über die junge Frau wusste, die heute bei ihm aufgetaucht war.

Sie war achtundzwanzig, fünf Jahre jünger als er, und mit irgendeinem aufstrebenden Anwalt aus Adelaide verlobt. Heute hatte sie keinen Verlobungsring getragen, aber das konnte alles und nichts heißen. Vielleicht hatte sie ihn abgenommen, um ihn reinigen oder ändern zu lassen. Womöglich hatte sie ihn auch nur beim Händewaschen abgestreift und vergessen, ihn wieder anzustecken.

Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Vielleicht konnte sie ja einen Tröster gebrauchen, einen kleinen Flirt, der sie verlocken würde, eine Weile im Marlborough District zu bleiben? Wenn sie so oberflächlich war, wie er annahm, dann würde es für sie bloß ein Spaß sein, ohne dass er verletzte Gefühle riskierte.

Für ihn wäre es eine Gelegenheit, sie im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass sie nichts über Ellen herausfand. Natürlich würde es einen gewissen Aufwand erfordern, aber er war überzeugt, der Aufgabe gewachsen zu sein.

Ein Kribbeln der Vorfreude durchlief ihn. Ja, er war eindeutig der Richtige dafür, und bei dieser Gelegenheit würde er so viel wie möglich über Tamsyn Masters herausbekommen.

2. KAPITEL

Als Tamsyn am nächsten Morgen durch den holzgetäfelten Flur des Hotels zum Speisesaal ging, fühlte sie sich immer noch müde, aber das leichte Abendessen, das heiße Bad und die Nacht in einem bequemen Bett hatten ihr gutgetan.

Sie war entschlossener denn je, das Beste aus ihrer Zeit hier zu machen. Ellen musste in der Gegend leben, denn keiner der Schecks, die sie immer noch erhielt, war je an den Absender zurückgegangen. Gestern war Tamsyn zu entmutigt gewesen, sich an diese wichtige Einzelheit zu erinnern. Ein Anruf bei Ethan würde genügen, um sich zu vergewissern, welche Adresse dem Anwalt ihres Vaters vorlag.

Aber zuerst stand nach dem Frühstück eine Fahrt nach Blenheim auf dem Programm, um etwas Kleidung und einen Koffer zu kaufen. Sie hatte Adelaide so überstürzt verlassen, dass sie in Neuseeland nur mit der Kleidung, die sie trug, und ihrer Handtasche angekommen war.

Vor allem konnte sie es nicht abwarten, die Unterwäsche loszuwerden, die sie ausgewählt hatte, um ihren Verlobten zu verführen. Obwohl sie sie jetzt schon zweimal ausgewaschen und wieder getragen hatte, würde sie erst richtig erleichtert sein, wenn sie sie in den Mülleimer geworfen hatte.

Die Dessous erinnerten sie nur daran, wie naiv sie gewesen war – und wie sehr die Menschen, denen sie vertraut hatte, sie enttäuscht hatten. Galle stieg ihr in die Kehle, als sie daran dachte, wie sie vorgestern geplant hatte, Trent mit einem romantischen Abend zu überraschen, der damit enden sollte, dass sie sich langsam und verführerisch aus dieser Wäsche schälte. Aber die Überraschung hatte sie selbst erlebt, als sie Trent mit jemand anderem im Bett ertappt hatte – mit ihrem Assistenten Zac.

Nachdem der erste Schock sich gelegt hatte, war sie sich so dumm vorgekommen. Welche Frau merkte denn nicht, dass ihr Verlobter schwul war? Schlimmer noch, dass er nur vorgehabt hatte, sie zu heiraten, um den Schein zu wahren? Er hatte weiter in der konservativen Anwaltskanzlei, für die er arbeitete, Karriere machen wollen.

Autor

Yvonne Lindsay

Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit...

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