Heißes Herz und kalte Rache

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Nachdem Cameron jahrelang untergetaucht war, hat sie sich endlich eine neue Existenz aufgebaut. Da wird der Gangsterboss Destina, den einst die Aussage ihres Vaters hinter Gitter brachte, aus der Haft entlassen. Zwar fürchtet sie Destinas Rache. Aber Cameron will sich auf keinen Fall wieder ins Zeugenschutzprogramm unter Jordan Ransoms Obhut begeben. Denn der attraktive U.S. Marshal braucht sie nur anzusehen, und schon wird ihr heiß vor Verlangen. Doch Cameron weiß auch, dass es ohne Jordans Schutz nur eine Frage der Zeit ist, bis Destinas Killer sie aufspüren. Und lieber verliert sie ihr Herz, als ihr Leben…


  • Erscheinungstag 08.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753979
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Denver, Colorado

Der Mann lag im Sterben.

J.C. musste hilflos mit ansehen, wie das Leben aus ihm entwich. Was immer er auch versuchte, nichts und niemand konnte dem Mann jetzt noch helfen.

Mein Fehler.

Jordan Christopher Ransom, Deputy US-Marshall. Es war sein Auftrag gewesen, seine Pflicht, das Leben dieses Mannes zu schützen, seinen Tod zu verhindern.

Ransom verzog bei diesem Gedanken voller Bitterkeit das Gesicht. Während er auf dem kalten Boden saß, mit James McKenzie in den Armen, verfluchte er sich selbst dafür, dass er bestimmte Dinge nicht rechtzeitig herausgefunden hatte, dass er nicht schneller hierhergekommen war, dass er nicht fähig gewesen war, das zu verhindern, was sich an diesem Januartag in der düsteren Gasse abgespielt hatte.

Das Geräusch des Windes nahm er nicht wahr, er vernahm nur die schreckliche Stille, die stets einer Gewalttat folgt, wenn die Revolverschüsse verklungen sind, das Klappern eiliger Schritte, die Schreie.

Auch seine eigenen.

Jetzt lag James reglos da, den Blick flehend auf J.C. gerichtet, während er langsam verblutete. J.C. merkte, wie sich sein Magen schmerzhaft zusammenkrampfte, als er versuchte, den Finger tiefer in das Loch in James’ Nacken zu drücken und so vielleicht die Blutung aufzuhalten. Dabei war er sich die ganze Zeit über der Sinnlosigkeit seiner Bemühungen bewusst. Eine zerfetzte Hauptschlagader konnte man so ganz gewiss nicht stoppen.

Es war eine tödliche Wunde.

Verursacht von einem kaltblütigen Bastard, der seine Rache wollte.

Und der schließlich sein Ziel erreicht hatte. So sah es wenigstens aus.

J.C. biss die Zähne so fest zusammen, dass es schmerzte. In der Dunkelheit hörte er das Heulen der Sirenen, das schnell näher kam. Er hatte ein paar Minuten zuvor mit seinem Mobiltelefon Hilfe angefordert.

„Sie sind gleich da“, sagte er zu McKenzie und gab sich verzweifelt Mühe, überzeugend zu klingen. „Wir werden Sie gleich in Sicherheit bringen.“

Sein Job. Und er hatte versagt.

McKenzie öffnete den Mund – und schloss ihn sofort wieder, als ob der Versuch zu sprechen zu viel für ihn sei.

„Nicht anstrengen“, murmelte J.C.

Sein eigenes Herz klopfte zum Zerspringen. Er spürte das Gewicht der Pistole im Schulterhalfter, die ihm jetzt nichts mehr nützte. Sie waren allein. Der feige Mörder war verschwunden.

J.C. legte den Arm fester um James McKenzie. Das Letzte, was dieser in seinem Leben fühlen würde, war diese tröstende Umarmung. Und egal, ob J.C. jemals geglaubt hatte, dass James McKenzie unschuldig war, oder nicht, er wollte ihm in seinen letzten Minuten diesen Trost geben.

Es war das Mindeste, was er noch tun konnte.

Meinetwegen liegst du hier in einer Blutlache.

McKenzie zupfte fast unmerklich am Revers von Ransoms Jacke, stieß ganz leise einige Worte hervor.

„Cameron …“ Dann ein letzter tiefer Atemzug, ein weiterer Name. „Ven …“

Ihr Name traf J.C. wie ein harter Schlag, wie die Kugeln, die wegen seines eigenen Versagens James McKenzie getroffen hatten. Einen Moment war J.C. tatsächlich verwundert, dass es nicht sein Blut war, das auf den Boden floss.

Er war mit McKenzie in all den Jahren nie wirklich vertraut geworden. Sogar der Name „McKenzie“, sein richtiger Name neben all den Decknamen, die er aus Sicherheitsgründen hatte benutzen müssen, sagte J.C. wenig legte prüfend zwei Finger auf McKenzies Halsschlagader. Er fühlte nichts mehr.

James’ Herz hatte aufgehört zu schlagen. Camerons Vater war tot. J.C. befiel ein Gefühl der Furcht.

Der Körper von James McKenzie lag schlaff und schwer in seinen Armen. Alles, was der Tote hinterlassen hatte, waren eine Tochter und die wenigen letzten Worte.

Die Streifenwagen und der Notarzt stoppten mit kreischenden Bremsen am Eingang der schmalen Gasse. J.C. bewegte sich nicht.

Das alles ist noch nicht vorbei, dachte er. Und die Worte hallten in seinem Inneren wider.

1. KAPITEL

New York City

Ihr Vater war jetzt seit ungefähr einem Jahr tot, Venuto Destina vor einer Woche aus dem Gefängnis entlassen worden. Und Cameron McKenzie war immer noch unruhig und fühlte sich verfolgt.

In ihrem Nacken verspürte sie ein Prickeln. Und das Gefühl, das ihr nur zu vertraut war, war wieder da. Ich werde verfolgt. Sie brachte es nicht fertig, diese Angewohnheit, die sie ihr Leben lang begleitet hatte, abzuschütteln. Jetzt schaute sie misstrauisch die dunkle Straße hinter sich entlang, aber die Schritte, die sie zu hören geglaubt hatte, waren verstummt.

Niemand war zu sehen.

Sie war erleichtert. Ihr Adrenalinspiegel sank wieder, und ihr Herzschlag normalisierte sich. Sie arbeitete oft bis spät in die Nacht. Wie sonst hätte ihr kleines Service-Unternehmen „Ihr Küchenchef – jederzeit, überall“, funktionieren können? Cameron kochte für berühmte Leute. Der Verdienst war nicht schlecht, aber die Arbeitszeit lang. Danach allein über dunkle Straßen nach Hause zu gehen kostete sie jedes Mal Überwindung.

Sie beeilte sich, zu ihrem Apartment zu kommen, die Arme eng um die Schultern in dem zu dünnen Mantel geschlungen, aber die Kälte breitete sich unaufhaltsam in ihrem Körper aus. Nur noch ein paar Straßen, wenige hundert Meter, sagte sie sich. Dann war sie in Sicherheit.

Cameron versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen.

Sie wusste, dass niemand sie verfolgte. Lediglich die bedrückende Erinnerung an ihr früheres Leben lastete auf ihr. Warum weigerte sie sich, den Bus oder ein Taxi für den Weg zu ihrem Apartment zu nehmen? Sie zwang sich fast jede Nacht zu diesen Fußmärschen, um ihren Verfolgungswahn, ihre seit frühester Jugend aufgebauten Zwangsvorstellungen, in den Griff zu bekommen, zu überwinden.

„Ich werde ein normales Leben führen“, sagte sie laut. Auch ohne ihren Vater.

Ihr Vater! Sie vermisste ihn, oh, wie sehr sie ihn vermisste.

Aber gerade er hätte nicht gewollt, dass sie sich feige hinter verschlossenen Türen versteckte.

Sie ging weiter. Gleich würde sie nach Hause kommen, sich eine Tasse heiße Schokolade machen, ihre Post durchsehen …

Danach hatte sie sich jahrelang gesehnt, jetzt konnte sie so leben.

Sie nahm ihren Schlüssel aus der Handtasche, umklammerte ihn wie eine Waffe, jederzeit bereit, sie gegen einen Angreifer einzusetzen, und beeilte sich, in die erleuchtete Eingangshalle ihres vielstöckigen Apartmenthauses zu kommen. Dort war bereits die Weihnachtsdekoration aufgebaut, und ein großer Weihnachtsbaum stand mitten in der Halle. Normalerweise hätte dieser Anblick ihr Freude bereitet.

„Guten Abend, Fred“, begrüßte sie den älteren Wachmann, der den Nachtdienst in der Halle versah, und ging zum Fahrstuhl hinüber.

„Ein kalter Abend“, erwiderte er, sichtlich froh, dass sein Platz in der gut geheizten Halle war.

Sie schüttelte sich leicht. „Ich bin froh, dass ich endlich zu Hause bin.“

„Das hier ist New York, nicht Arizona. Sie brauchen einen wärmeren Mantel.“

„Oder dickeres Blut“, meinte sie und stieg in den Fahrstuhl. Blut. Es musste viel Blut gewesen sein, als ihr Vater …

Cameron schaute auf die Stockwerksanzeige. Zwei … drei … vier … im achten Stock hielt der Fahrstuhl, die Türflügel glitten zur Seite. Cameron wusste, dass es irgendwie verrückt war, aber sie blieb stehen, hielt die Tür auf und schaute den Flur entlang. Wie schon unten auf der Straße, so war auch hier niemand zu sehen.

Mit dem Schlüssel immer noch fest in der Hand, hastete sie zu ihrer Wohnungstür. Ihre Füße versanken fast in dem dicken, flauschigen Teppichboden, mit dem der breite Flur ausgelegt war. Eigentlich konnte sie sich diese teure Adresse nicht leisten, doch fürs Geschäft gab es nichts Besseres. Image war alles.

Sie stand vor ihrer Tür und steckte den Schlüssel ins Schloss. Da, ein leichtes Geräusch hinter ihr. Der Schock traf sie körperlich wie ein Schlag. Ihr Herz begann heftig zu klopfen. Ich hatte recht. Verdammt, ich hatte recht. Bevor sie sich umdrehen konnte, fühlte sie jemanden hinter ihrem Rücken. Ein Mann, der nur wenige Zentimeter hinter ihr stand, eine große Hand, die sich über ihre mit dem Schlüssel legte. Sie nahm seinen Geruch wahr, dann hörte sie ihn sagen: „Ganz ruhig, keine Angst.“

Die Stimme des Mannes, tief und voll, warf sie unvermittelt zurück in alte Albträume. Der Geruch, sein unvergesslicher Duft nach Freiheit, Hitze und Natur – sie hatte gehofft, ihn niemals mehr zu spüren. Aber nicht einmal New York im kalten Winter konnte sie vor ihm beschützen.

Vielleicht, dachte Cameron, gab es für sie kein Entkommen.

Er sollte sie in Ruhe lassen. Und verschwinden. Sofort.

J.C. haderte innerlich mit sich selbst. Er wusste, dass es falsch war, eine Frau in einem mäßig beleuchteten Flur so unvermutet von hinten anzusprechen. Hätte er es auf ihrem Nachhauseweg tun sollen? Oder als sie in die Eingangshalle trat?

Offensichtlich gab es keine Gelegenheit, die besser geeignet gewesen wäre als eine andere.

Aber er musste mit Cameron sprechen. Es würde nicht leicht sein, ihr das zu sagen, was er für notwendig hielt.

Die zurückliegende Woche hatte alles verändert.

J.C. schwieg. Mit solchen Situationen fertig zu werden, hatte er in seinem Training nicht gelernt. Und er hatte schon genug Schaden angerichtet. Er dachte an James McKenzie. Seine Hand lag auf Camerons schmalem Handgelenk. Er spürte, wie ihr Puls raste.

Erneut stieg das Gefühl von Schuld in ihm hoch. Das war nichts Neues. Das ganze zurückliegende Jahr hatte er sich auf Büroarbeit, auf Routine konzentriert. Bei Einsätzen war er langsam und bedächtig vorgegangen, hatte jeden Schritt vorher sorgfältig geplant. Es hatte ihm nicht geholfen. Er konnte nachts kaum Schlaf finden und träumte von Tod und Zerstörung. Und von seinem unverzeihlichen, katastrophalen Versagen in der dunklen Gasse in Denver.

Cameron … Ven …

Dann wachte er jedes Mal schweißgebadet auf, von Albträumen geschüttelt.

Kein Wunder, dass er schließlich vom Dienst freigestellt wurde.

Jetzt wurde ihm bewusst, dass es Cameron ähnlich ging wie ihm selbst. Sie stand erkennbar kurz davor, durchzudrehen. Und das war ebenfalls sein Fehler. Er fühlte wieder einmal, dass sein Interesse an ihr nicht nur beruflicher Natur war.

Die Berührung mit ihrer Hand, die er immer noch umklammert hielt, löste einen raschen Impuls von Begehren in ihm aus. Er musste sich selbst daran erinnern, warum er sie aufgesucht hatte. Der Duft ihres Haares und ihrer Haut, gemischt mit einer Spur eines scharfen Gewürzes – wahrscheinlich vom Kochen –, ließ sein Herz schneller schlagen. J.C. musste sich zwingen, sich nicht enger an sie anzulehnen, sie nicht zu berühren.

Diese Reaktion hatte sie schon immer bei ihm ausgelöst. Und mehr.

Kein Wunder, dass sie mich hasst, dachte J.C. mit Bedauern. Bestimmt hätte sie ihre Tür in der Nacht nicht für ihn geöffnet. Und jetzt standen sie hier in dem Flur des Apartmenthauses, und Cameron mit ihrem halblangen, dunklen Haar und ihren verkrampften Schultern schien kurz davor zu sein, ohnmächtig zu werden.

Vielleicht wurde sie das tatsächlich, wenn sie erst die schlechten Nachrichten hörte.

J.C. hatte nachgedacht. Er war jedes Detail in der Destina-Akte noch einmal durchgegangen und hatte seine Meinung schließlich geändert. Er glaubte jetzt, dass es nicht Destina war, der Rache genommen hatte. Und vielleicht hatte James McKenzie in seiner letzten Minute den Namen seiner Tochter nur als Abschiedsgruß ausgesprochen. In den Tagen seit Destinas Entlassung aus dem Gefängnis hatte jemand Nachforschungen angestellt, nicht über James’ Tod, sondern über das verschwundene Vermögen, das auch fünfundzwanzig Jahre nach dem damaligen Prozess nie gefunden worden war.

J.C. war überzeugt, dass Destina sich auf die Suche danach begeben würde.

„Lassen Sie uns hineingehen“, murmelte er, seine Wange nur Zentimeter entfernt von ihrem Ohr und ihrem weichen, seidigen Haar. Eine Sekunde lang zog vor Ransoms innerem Auge das Bild von Cameron vorbei, wie sie auf seinem Bett lag, das Haar über das Kopfkissen gebreitet. Aus ihren haselnussbraunen Augen würde sie ihn verlangend anschauen, ihr Lächeln würde ihn beinahe um den Verstand bringen, bevor er ihren Mund mit seinen Lippen bedeckte. Er würde die Hand über ihren perfekt geformten Körper gleiten lassen und sie leise stöhnen hören.

J.C. rief sich zur Ordnung. Wenn er jetzt nicht einen Schritt zurücktrat, würde sie in einer Sekunde bemerken, welche Wirkung sie auf ihn ausübte.

Cameron reagierte sofort. Sie riss ihre Hand mit dem Schlüssel los und drehte sich zu ihm um. Er blickte in ihre braunen Augen und entdeckte dort den Ausdruck von Abscheu, den er erwartet hatte. Sogar ihre Stimme klang verächtlich, wenn auch ein Unterton von Furcht darin mitschwang.

„J.C. Ransom, was, zur Hölle, haben Sie hier zu suchen?“

Jedes Mal, wenn Cameron in ihrem bisherigen Leben einen US-Marshall zu sehen bekommen hatte, war das gleichbedeutend mit Ärger gewesen.

Trotzdem konnte sie nicht vermeiden zu registrieren, dass J.C. Ransom ein überaus gut aussehender, beeindruckender Mann war.

Sie fühlte sich höchst alarmiert von der Vorstellung, ihn hereinzubitten.

Groß, schlank, breitschultrig und muskulös, ohne massig zu wirken, entsprach er dem Musterbild eines Marshalls. Sein von der Sonne gebleichtes Haar stimmte allerdings irgendwie nicht ganz mit diesem Bild überein. Lang, voll und in weichen Wellen schien es mehr zu einem Surferboy in Kalifornien zu passen. Aber der Griff der schweren Pistole, die unter seiner Jacke hervorlugte, ließ diesen Eindruck schnell vergehen, so wie die große metallene Dienstmarke an seinem Gürtel, die im Licht der Flurbeleuchtung glänzte.

Gerade, als Cameron dachte, sie habe die Situation unter Kontrolle, machte sie den Fehler, ihm in die Augen zu sehen.

Das hätte sie besser nicht getan. Dunkel, tiefgründig, fast nachtblau zeigten sie den Ausdruck von Entschlossenheit, den Cameron stets mit ihm identifiziert hatte. Der Blick, der viele Jahre lang bedeutet hatte, dass er sie an einen anderen Ort bringen würde, sie zwang, gerade gefundene neue Freunde und eine neue Umgebung wieder zu verlassen. Eine weitere Flucht in der Dunkelheit irgendwohin, wo es angeblich sicherer war. Warum hatte er solche Augen?

Ihr eigener Blick hatte für J.C. Ransom immer nur Ablehnung und Missfallen ausgedrückt, weil er ihre Freiheit einschränkte und ihr Leben ständig vor neue Zumutungen stellte. Mit Absicht hatte sie ihn so behandelt.

Niemals ließ sich Cameron etwas anderes anmerken als das, was sie wirklich preisgeben wollte. Das hatte sie bereits im frühen Kindesalter von drei Jahren gelernt.

Jetzt war sie achtundzwanzig. Kein Kind mehr, sondern eine Frau. Und sie sah die Welt aus einer anderen Perspektive. Die nachtblauen Augen von J.C. Ransom schienen einen anderen Ausdruck zu haben als sonst, nicht mehr verführerisch und entschlossen, sondern irgendwie … gehetzt. Ja, das war es.

„Wie ist es Ihnen ergangen?“ Eine andere Frage wollte ihr beim besten Willen nicht einfallen.

Ransom schaute auf ihre Lippen und sah, dass sich Cameron als Reaktion auf seinen Blick schnell mit der Zunge über die Oberlippe fuhr, eine Geste, bei der das Blau seiner Augen noch um eine Nuance dunkler wurde.

Dieser Blick von ihm war ebenfalls neu für Cameron.

Sie beeilte sich mit leicht zitternden Fingern, das Türschloss aufzuschließen. Vielleicht könnte sie schnell hineinschlüpfen und ihm die Tür vor der Nase zuschlagen.

Ihr Plan ging nicht auf. J.C. streckte einen Arm aus und schob mit einer Hand die Tür weiter auf. Er trat so dicht hinter ihr in das Apartment, dass sie die Hitze seines Körpers fühlen konnte. Waren es seine Schritte auf der Straße hinter ihr gewesen?

In der kleinen Eingangshalle ihres Apartments drehte sich Cameron rasch zu ihm um.

„Ich hoffe, Sie haben gute Gründe, mich dermaßen zu erschrecken?“

„Vielleicht setzen Sie sich besser.“

„Danke, ich stehe lieber.“ Da J.C. Ransom ein ganzes Stück größer war als sie, musste Cameron zu ihm aufschauen. Aber sie schaffte es, ihn kühl und entschlossen anzublicken. Sie hoffte nur, er würde nicht merken, dass ihr Herz wie wild pochte.

„Ich muss Ihnen etwas Wichtiges mitteilen.“

Sein Blick war kühl und geschäftlich geworden. So kannte sie ihn. Und so hatte sie ihn nie gemocht. Cameron warf ihren Mantel über einen Sessel im Wohnzimmer. Der Raum war nur spärlich möbliert. Aber es war ihre erste eigene Wohnung. Auch ein US-Marshall hatte kein Recht, in ihr Privatleben einzudringen. Er hatte auch kein Recht, sie mit seiner männlichen Ausstrahlung zu verunsichern. Aber seine Bemerkung hatte sie hellhörig gemacht.

Sie wandte sich wieder zu ihm um. „Also, was gibt’s?“

„Es betrifft Ihren Vater.“

„O nein, ich hätte es wissen müssen.“ Cameron warf einen schnellen Blick hinüber zu dem Kaminsims, wo eine Urne aus Kupfer stand. Sie enthielt die Asche ihres Vaters. Sie ließ sich auf der Lehne des Sessels nieder, denn plötzlich fühlte sie sich sehr schwach auf den Beinen. „Sie haben doch früher nicht um die Dinge herumgeredet. Warum fangen Sie jetzt damit an?“

„Es tut mir leid, Cameron, aber ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Am besten, ich sage Ihnen ohne Beschönigung, was los ist.“ Er trat näher auf sie zu. Sie musste den Kopf heben, um ihn anzuschauen. „Sie wissen, dass Destina vor gut einer Woche aus dem Gefängnis entlassen wurde?“

„Ja, ich habe es in der Zeitung gelesen.“ Tatsächlich hatte sie tagelang die Nachrichtensendungen von CNN im Fernsehen verfolgt, begierig nach jeder Einzelheit, jedem Detail über Destina, das geeignet sein konnte, sie von ihrer Furcht zu befreien. Sie hatte einen kurzen Bericht gesehen, der seinen Sohn vor dem Gefängnistor zeigte und ihn selbst beim Verlassen des Gefängnisses. Etwas später hatte es noch Bilder von seinem Landsitz in Connecticut gegeben. „Viel wurde nicht darüber berichtet. Vor allem gab es keinerlei Informationen über die Gründe für die vorzeitige Entlassung.“

„Angeblich wurde er aufgrund seines Gesundheitszustandes früher entlassen.“ Mit einem bitteren Lachen ging J.C. Ransom zu dem zweiten Sessel und setzte sich. „Entlassung aus familiären Gründen. So lautet die offizielle Begründung.“

„Das bedeutet also, dass er krank ist?“

„Gewöhnlich heißt das, dass jemand nur noch kurze Zeit zu leben hat.“

„Mein Vater ist bereits tot. Destina hat ihn umgebracht. Er hat immer gesagt, dass er es tun wird.“

Ransom hob die Augenbrauen. „Es gibt keinen Beweis dafür, aber ich stimme Ihnen zu. Destina mag zu der Zeit noch im Gefängnis gewesen sein, aber sein Arm reichte weit. In seiner Organisation gab es schon eine Reihe Profikiller, als Ihr Vater gegen ihn aussagte.“

Die Erinnerung überwältigte Cameron. Ihre Stimme zitterte.

„Und Destina schwor Rache, weil das, was mein Vater sagte, die Wahrheit war.“

„Die Wahrheit brachte Destina hinter Gitter.“

Cameron seufzte. „Und nun ist er wieder draußen. Angeblich todkrank.“

„Entweder das – oder seine heutigen Anwälte sind cleverer als die damaligen. Seine Killer vielleicht auch. Alles, was ich weiß, ist, dass Ihr Vater in Denver starb und Sie hier in New York leben.“ J.C. zögerte, als ob er nicht alles sagen wollte. „Deshalb bin ich hier.“

Ihre Lippen wurden schmal. „Der US-Marshall als Retter?“

„Ich weiß, Sie mögen mich nicht, aber es ist notwendig, dass ich Ihnen etwas sage. James McKenzie war im Zeugenschutzprogramm. Das heißt, wir waren verantwortlich für ihn.“

„Sieht so aus, als ob Sie Ihren Job ausgesprochen lausig gemacht haben.“

Er fuhr betroffen zurück. Und Cameron ermahnte sich selbst, ihr Temperament stärker im Zaum zu halten. Ransom wusste, wie sie über das alles dachte, aber er war nicht mehr für sie verantwortlich. Insgesamt zweiundzwanzig Jahre unter den Bedingungen des Zeugenschutzes waren viele Jahre zu viel. Kein Wunder, dass sie immer noch auf ihrem Nachhauseweg geradezu zwanghaft über die Schulter zurückschaute, ob ihr wohl jemand folgte.

Er verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. „James war in Denver in Sicherheit.“

„Drei Jahre lang. Nachdem Sie mit der Neuigkeit zu uns nach Phoenix gekommen waren, dass wir mal wieder in eine andere Stadt ziehen müssten.“

„Weil Sie sich entschieden hatten, das Zeugenschutzprogramm zu verlassen. Nachdem Ihr Bruder bereits weggegangen war, konnten wir nicht riskieren, dass seine oder Ihre Spur zurückverfolgt würde und James, Ihre Mutter und Sie in Gefahr gerieten.“

„Wie oft sind wir umgezogen, Ransom? Fünf Mal … zehn Mal

… fünfzehn Mal?“ Wenn sie an Phoenix dachte, verspürte sie ein Schuldgefühl. Sie wusste, warum. Das alles waren Vorgänge, die sich in ihr Herz eingebrannt hatten, wie der Mord an ihrem Vater. „Ich bin gegangen, als wir Phoenix verließen. Ich konnte so nicht weiterleben. Mein Bruder hat sich nur etwas früher entschieden.“ Sie wusste nicht, wo Kyle – das war jedenfalls sein Deckname, als sie ihn das letzte Mal sah – heute steckte. Cameron litt unter der Erinnerung, aber sie war zu wütend, um innezuhalten. „Wenn Sie und Ihre Kollegen Ihren Job richtig gemacht hätten, würde mein Vater noch leben.“

Seine Mundwinkel wurden weiß, als er die Lippen fest zusammenpresste. „Ich gebe ja zu, dass wir nicht immer …“

„Und welche Art von Schutz haben Sie persönlich uns gegeben?“ Er schwieg, war sehr blass geworden.

„Ich sage Ihnen was, Ransom. Wir lebten jeden Tag aufs Neue mit der Furcht um Vaters Leben, dass er erkannt und umgebracht würde. Und wofür? Weil er in einem Bundesprozess ausgesagt hatte, damit Sie jemanden verurteilen konnten.“

„Nicht ich, sondern die Regierung“, entgegnete er.

„Sie sind die Regierung, Sie sind ihr Vertreter.“ Sie stand aus ihrem Sessel auf, immer noch zitternd. „Sie waren es ja nicht, der jahrelang sein Leben hinter geschlossenen Vorhängen verbringen musste, bei jedem Zuschlagen einer Autotür zusammenzuckte oder bei jeder Fehlzündung auf der Straße Panik verspürte. Sie mussten nicht bei jedem Wort aufpassen, das Sie mit Nachbarn und Freunden sprachen, ob Sie auch ja nicht irgendetwas Falsches sagten.“

Ransom war ebenfalls aufgestanden. „Ich weiß, dass es für Sie alle nicht einfach war. Aber diesen Schwerverbrecher hinter Gittern zu bringen und seinem Mafiaimperium einen empfindlichen Schlag zu versetzen war ungeheuer wichtig.“

„So spricht ein Mann, der nie gezwungen war, hinter verschlossenen Türen zu leben.“

Ransom fuhr sich mit leicht unsicherer Hand durch das sonnengebleichte Haar.

„Sehen Sie“, sagte er, „ich hätte einen anderen Beamten herschicken können. Aber ich bin selbst gekommen, weil ich dachte, dass eine gewisse Vertrautheit …“

„Oder schlechtes Gewissen?“

Er hob beide Hände. „Vielleicht.“

Cameron ging in Richtung Tür. „Danke, dass Sie gekommen sind, Deputy Marshall Ransom. Wenn sonst nichts weiter mehr anliegt …“

„Ich bin noch nicht fertig, setzen Sie sich“, sagte er.

„Warum?“ Cameron machte eine abweisende Geste mit der Hand. „Ich habe überall in diesem Land gelebt, mindestens in einem Dutzend verschiedener mieser Unterkünfte. Unter mehr als einem Dutzend verschiedener Namen. Was, um das auch einmal zu erwähnen, der Grund ist, warum ich es jetzt bevorzuge, unter dem Namen zu leben, unter dem ich geboren wurde.

Es ist auch der wirkliche Name meines Vaters.“

„Der Name, den er kurz vor seinem Tod wieder angenommen hatte“, sagte Ransom.

„Also gut, ich gebe Ihnen zwei Minuten, bevor ich Sie endgültig hinauswerfe. Ich höre.“

Cameron wusste, dass sie kurz davor war, die Nerven zu verlieren. Sie wollte nicht, dass Ransom merkte, wie miserabel sie sich letzte Nacht gefühlt hatte. Sie wollte auch nicht hören, was er sonst noch zu sagen hatte …

„Destina.“ Der Name verursachte ihr bis in die letzten Nervenspitzen einen tiefen Schreck.

„Ich denke, Sie sind in Gefahr“, meinte Ransom und blickte ihr direkt in die Augen. „Ich glaube, Sie sollen die Nächste sein.“ Cameron dachte zuerst, sie habe ihn falsch verstanden. Sie hoffte, dass es so wäre. „Ich soll in Gefahr sein? Aber der einzige Grund, warum ich in das Zeugenschutzprogramm kam, war doch mein Vater. Und Vater ist jetzt tot.“ Das Wort auszusprechen schmerzte immer noch. „Destina hat doch seine Rache gehabt.“

„Wirklich?“, meinte Ransom und räusperte sich. „Sind Sie sich da ganz und gar sicher? Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie mir irgendetwas über das verschwundene Geld sagen könnten. Seit Destina wieder draußen ist, schnüffelt jemand herum. Ich bin sicher, James wusste, wo es ist.“

„Das Geld?“ Alles, was sie jemals davon mitbekommen hatte, waren ein paar hastige, geflüsterte Bemerkungen zwischen ihren Eltern, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war. Was hatte sie denn mit dem verschwundenen Geld zu tun? Und hatte ihr Vater wirklich gewusst, wo es sich befand? Ihre ganze Familie hatte jahrelang an der Armutsgrenze gelebt, weil der Staat seine Zeugen lausig bezahlte. „Warum sollte mein Vater etwas von dem Geld gewusst haben?“ Außer, wenn Ransom annahm, dass ihr Vater ebenfalls ein Gauner gewesen war. Offensichtlich dachte er das.

„Ihr McKenzies konntet in dem Schutzprogramm lediglich überleben, weil ihr eine Familie wart. Vielleicht hatte das für Kyle, oder wie auch immer er sich heute nennt, keine große Bedeutung, aber Sie, Cameron, sind geblieben.“

„Mir blieb damals keine Wahl. Ich war noch ein Kind – und meine Mutter war schwer krank.“

„Aber als sie starb?“

„Mein Vater war allein. Er brauchte mich, um mit dem Verlust von Mutter fertig zu werden.“

„Das ist es, was ich meine.“ Ransom schaute sie forschend an.

„Familie“, wiederholte er. „Wenn James wusste, wo das Geld war, dann wussten Sie, Cameron, auch davon. So werden gewisse Leute denken.“

Cameron starrte ihn an. „Mit welcher perfiden Logik sind Sie zu einem solchen Schluss gekommen?“

„Sie liebten Ihren Vater. Er liebte Sie. Es gab keine Geheimnisse zwischen Ihnen. Er würde Ihnen alles erzählt haben.“

„Er hat mir nichts über das Geld gesagt, niemals.“ Cameron biss sich auf die Unterlippe. „Er wusste … wahrscheinlich … selbst nichts darüber.“ Die Pausen in ihrem Satz waren viel sagend für Ransom.

Er schaute sich um, als ob er erst jetzt ihr Apartment bewusst wahrnahm. „Man könnte sagen, Sie hätten einen Teil des Geldes gut angelegt. Schauen Sie sich doch um. Schicke Adresse, erstklassiges Gebäude, Eingangshalle in Marmor. In der Halle vierundzwanzig Stunden ein Wachmann. Sie wohnen in einem oberen Stockwerk, wunderbarer Ausblick. Und das alles in New York. Selbst ich kann einschätzen, dass die Miete weit über 1000 Dollar liegen dürfte. Und was ist Ihr Beruf? Köchin?“

„Ich bin Küchenchefin bei berühmten Persönlichkeiten.“

„Sie kochen also für andere Leute. Wie viel verdient man damit?“

„Im Augenblick jedenfalls nicht genug.“ Sie merkte, dass sie ihm wieder in die Falle gegangen war. „Das heißt aber nicht, dass ich stehlen würde. Klopfen Sie sich nicht zu fest auf die Schulter, Marshall, Sie könnten auf die Nase fallen.“

Ransom ging quer durch den spärlich eingerichteten Raum und setzte sich in einen Korbsessel, den sie auf einem Flohmarkt in Soho gekauft hatte. Vor den Fenstern waren keine Vorhänge. Sie konnte es nicht ertragen, das Licht abzuschirmen. Sie hatte

Pläne, wie sie das Apartment einrichten wollte. Sie wollte ein Zuhause, sie wollte endlich irgendwo Wurzeln schlagen.

„Es ist eine Investition in mein Geschäft“, erklärte sie. Sie sah mit Befriedigung, dass er die wenigen Einrichtungsgegenstände anerkennend musterte. „Ich brauche eine gute Adresse. Sie gibt mir ein positives Image, steht für Seriosität. Ich bezweifle, dass meine berühmte Kundschaft es akzeptieren würde, von jemandem aus den Slums versorgt zu werden. Obwohl das genau das wäre, was ich mir zurzeit leisten könnte.“ Sie zögerte einen Moment. Auch diese Bemerkung würde seinem Verdacht neue Nahrung geben. „Ich versichere Ihnen, ich verdiene genug, um die Miete pünktlich zu zahlen. Viel mehr bleibt jedoch nicht übrig. Aber das muss für den Augenblick genügen.“

Ransom schwieg.

„Sie glauben mir nicht?“

„Beinahe, aber nicht ganz“, gab er zu.

Unter seinem Blick fühlte sich Cameron unbehaglich. Sie wollte es sich nicht eingestehen, welche Wirkung seine dunkelblauen Augen auf sie hatten. Sie spürte, dass Ransom mehr als nur berufliches Interesse an ihr hatte – und begann, innerlich zu zittern. Sie fühlte ein Begehren in sich aufsteigen, das sie jedoch sofort mit aller Entschlossenheit zu unterdrücken suchte.

„Sagen Sie mir nur eins, Marshall: Wie haben Destinas Männer meinen Vater in Denver gefunden?“

„Ich weiß es nicht.“ Er runzelte die Stirn und überlegte.

„Könnte es sein, dass Sie unabsichtlich …?“

Cameron wurde nun wirklich ärgerlich. „Niemals hätte ich irgendjemandem eine Chance gegeben, über mich an meinen Vater heranzukommen. Und vor allem nicht Destina und seinen Leuten. Wir hatten ein ausgeklügeltes System, miteinander Verbindung aufzunehmen, das wir nur benutzten, wenn es unvermeidlich war, und dann auch nur unter extremen Vorsichtsmaßnahmen. Da gab es keine Sicherheitslücke.“

„Offensichtlich doch …“

„Wie können Sie es wagen …“ Sie konnte nicht weitersprechen und lief unruhig im Zimmer umher. „Und was das verschwundene Geld angeht, ich sage es Ihnen noch mal, ich weiß darüber nichts.“

„Destina wird bestimmt denken, Sie wüssten etwas.“

„Genau wie Sie“, gab Cameron bitter zurück.

Er zögerte einen Moment. „Ich sagte Ihnen schon, dass ich bei Ihrem Vater war, als er starb. Und seitdem habe ich immer wieder über seine letzten Worte nachgedacht. Ich bin heute mehr denn je überzeugt, dass er mich damit warnen wollte, Sie warnen wollte.“

Camerons Lippen bebten. Nichts von dem, was Ransom heute Abend gesagt hatte, konnte, durfte wahr sein. Ihr Vater war kein Dieb. Und sie selbst war nicht in Gefahr.

„Er nannte Ihren Namen“, erinnerte Ransom sie. „Er machte eine kleine Pause und fügte dann hinzu … Ven …”

„Er meinte Destina?“ Sie fühlte, wie ein eisiger Schauer sie erfasste.

„Denken Sie darüber nach.“

Ransom zog einen kleinen Notizblock aus der Tasche und kritzelte etwas darauf. Er riss das Blatt ab und reichte es ihr. „Die Nummer meines Mobiltelefons“, erklärte er. „Und meine Adresse hier in New York. Ich wohne bei einem Freund, der bei der Stadtpolizei arbeitet.“ Dann drehte er sich um und trat in den Fahrstuhl. Die Türen glitten zu, und er war verschwunden.

2. KAPITEL

Blut tropfte von ihren Fingern auf den Boden.

Cameron starrte auf das Messer, das sie auf die Arbeitsplatte hatte fallen lassen. Die Assistentin ihrer Auftraggeberin schaute sie erschrocken an.

„Ich kann einfach nicht glauben, dass mir so was passiert ist“, sagte Cameron mehr zu sich selbst. Das ist alles Ransoms Fehler, wollte sie denken. Ven … ich habe Sie warnen wollen. Sie hatte, nachdem Ransom gegangen war, kaum Schlaf gefunden. Bei jedem noch so geringen Geräusch war sie aufgeschreckt. Es war jetzt erst Nachmittag, aber Cameron fühlte sich hundemüde. „Sie meinen sicher, ich hätte nie eine Kochschule besucht und wäre nicht einmal in der Lage, eine Zwiebel zu schneiden, ohne mich selbst zu verletzen.“

Grace Jennings wurde noch etwas blasser. Sie rang nervös die Hände. „Soll ich den Notarzt rufen?“

„Nein, das ist wirklich nicht nötig.“

„Dann hole ich wenigstens den Verbandskasten.“

Als sie weg war, griff Cameron nach einem Handtuch. Ihr Herz klopfte heftig, und sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Es war nicht nur Ransom, der ihr Panik verursachte. Den ganzen Tag über hatte sie unentwegt an ihren Vater denken müssen.

Sie hielt die verletzten Finger unter kaltes Wasser und ließ sich anschließend von Grace, die immer noch so aussah, als ob sie gleich ohnmächtig würde, zwei Päckchen Verbandsmull reichen und wickelte diese sorgfältig um ihre Finger.

Sie hatte nicht gehört, wie Grace in die Küche zurückgekommen war, denn die Assistentin bewegte sich lautlos wie ein Geist. Oder Cameron war von dem unerwarteten Unfall so geschockt, dass sie nichts wahrgenommen hatte. Jetzt verspürte sie ein dumpfes Pochen in der verletzten Hand.

„Geben Sie mir bitte mal die Schale mit den Zucchini rüber“, bat sie. Sie zitterte noch leicht, hoffte aber, dass Grace es nicht bemerkte. Und auch Emerald Greer nicht, wenn sie vielleicht in der Küche auftauchte. Cameron warf einen hastigen Blick in den Flur, konnte dort zum Glück jedoch niemanden sehen. Sie fügte ein paar Stückchen Aubergine zu dem anderen Gemüse hinzu, das in einer Casserole vor sich hin köchelte.

Vielleicht hätte sie heute nicht arbeiten sollen. Aber Aktivität war ihr sinnvoller erschienen, als den ganzen Tag in ihrem Apartment herumzulaufen und zu grübeln. Und an Ransom zu denken.

Er war ein Mann, den man nicht so leicht vergaß. Sie zwang sich, unvoreingenommen über ihn nachzudenken. Breite Schultern, schlank, lange Beine, gut entwickelte Muskeln und starke Hände – er war ein vitaler Mann, aber das waren andere Männer auch. Ransoms Wirkung als Mann ging darüber hinaus. Als sie ihn gestern Nacht plötzlich wiedergesehen hatte, war ihre Reaktion auf diese Begegnung rein gefühlsmäßig gewesen. Sein ausdrucksvoller Mund und die unglaublichen dunkelblauen Augen konnten eine Frau schwach werden lassen. Aber Cameron hatte nicht die Absicht, ihm zu ermöglichen, ihre Wachsamkeit und ihre seelische Schutzmauer zu durchbrechen.

Wütend hatte sie am Morgen feststellen müssen, dass sein Rückzug in der Nacht nur vorübergehender Natur gewesen war. Auf dem Weg zu ihrer Arbeit hatte sie seine Schritte hinter sich gehört.

Das Geld.

Wenn sein Interesse nur der vermuteten Beute galt, sollte er sich ruhig so lange an ihre Fersen heften, wie er Lust dazu hatte. Sie wusste nichts von dem Vermögen.

„Und nun das Wichtigste“, erklärte Cameron und ließ den klein gehackten frischen Knoblauch mit etwas Salz und Pfeffer sowie die geschnittenen Zwiebeln – bei deren Zubereitung sie sich verletzt hatte – in die Pfanne gleiten und fügte einen Schuss Rotwein hinzu.

Grace sah ihr interessiert zu. „Ich wollte, ich könnte mir leisten, Sie zu beschäftigen.“

„Es ist gar nicht so teuer. Sie würden überrascht sein. Sie werden überrascht sein, wenn ich Ihnen meine Rechnung für Emerald gebe.“ Sie rührte die Zutaten in der Gemüsepfanne mehrmals um und gab dann noch einen Teller mit geviertelten Tomaten dazu. Dabei unterdrückte sie gerade noch ein Gähnen. Sie würde den Schlaf später nachholen. Nachher musste sie noch die Küche sauber machen, das gehörte zu ihrem Job. „Werden Sie zum Essen bleiben, Grace?“

Manchmal blieb Grace, manchmal nicht. Das hänge davon ab, wie viel Arbeit Emerald ihr gab, hatte Grace mal gesagt. Aber Cameron dachte, dass es mehr von Emeralds Laune abhing. Cameron hatte rasch mitbekommen, dass ihre neueste Kundin nicht nur eine berühmte Tennisspielerin war, sondern auch eine sehr komplizierte Frau.

Bevor Grace antworten konnte, kam Emerald in die Küche, noch ziemlich außer Atem und mit Schweiß bedeckt vom Training mit Ron, ihrem persönlichen Trainer. Camerons Fitnessprogramm bestand aus ihren nächtlichen Märschen nach Hause.

Autor

Leigh Riker
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