Heute Abend - oder nie!

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"Ich hatte an ein Dinner mit Ihnen gedacht, nicht an Sex!" Alexio Christakos’ Blick lässt Sidonie erschauern, seine Worte treiben ihr die Schamesröte ins Gesicht. Gerade noch hat ihr Sitznachbar aus dem Flugzeug sie mit schwindelerregender Leidenschaft geküsst, und nun soll sie ihm abnehmen, dass er mehr als ein heißes Intermezzo sucht? Allein ihr legeres Outfit beweist doch, dass sie nicht in die Welt des Selfmade-Milliardärs gehört. Sidonie weiß, sie sollte gehen. Aber wenigstens einmal will sie grenzenlose Lust erleben. Mit diesem Mann. Und heute Abend - oder nie!


  • Erscheinungstag 03.02.2015
  • Bandnummer 2164
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701383
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Alexio Christakos hatte immer gewusst, dass seine Mutter seinen Vater betrog, nur hätte er auf eine derart öffentliche Bestätigung bei ihrer Beerdigung lieber verzichtet. Langstielige rote Rosen waren auf den Sargdeckel in das offene Grab geworfen worden, und die Augen mehrerer Männer, die er noch nie im Leben gesehen hatte, schimmerten feucht.

Sein Vater war vorhin mit finsterer Miene davongestapft. Dabei hatte der Mann sicher kein Recht, sich als moralische Instanz aufzuspielen. Er selbst war oft genug während der Ehe vom Pfad der Treue abgewichen.

Es war ein konstanter Zermürbungskrieg gewesen. Sein Vater hatte immer versucht, seine Frau so eifersüchtig zu machen, wie er war. Und sie?

Alexio war überzeugt, dass nichts sie je wirklich glücklich gemacht hatte, obwohl sie das Leben der Reichen und Privilegierten geführt hatte. Eine tiefe Melancholie hatte in ihr gewohnt, sie und ihr Sohn hatten auch keine sehr innige Beziehung gehabt. Ein Bild aus den Schatten seiner Erinnerungen tauchte plötzlich vor ihm auf: Er musste ungefähr neun gewesen sein und hatte einen heftigen Streit zwischen seinen Eltern beobachtet. Von der Anstrengung, die Tränen zurückzuhalten, hatte seine Kehle gebrannt. Seine Mutter hatte ihn dann aus seinem Versteck hinter der Tür hervorgezogen, und er hatte seinen Eltern klagend entgegengeschrien: „Warum hasst ihr euch so? Warum liebt ihr euch nicht, wie Eltern es tun?“

Sie hatte sich zu ihm heruntergebeugt, und die Kälte in ihren Augen hatte ihm einen Schauder über den Rücken gejagt. „Liebe ist nur ein Märchen, Alexio, sie existiert nicht. Ich habe deinen Vater geheiratet, weil er mir geben konnte, was ich wollte. Das ist das einzig Wichtige. Erfolg, Sicherheit, Macht. Emotionen machen nur schwach, vor allem Liebe.“

Nie würde er das Gefühl von Blöße und Scham vergessen, das ihn damals erfasst hatte!

In diesem Moment legte sich eine Hand auf seine Schulter, und Alexio drehte sich zu seinem Halbbruder Rafaele um. Sie beide hatten die gleiche schwierige Beziehung zu ihrer Mutter gehabt. Rafaeles italienischer Vater war zusammengebrochen, nachdem ihre Mutter den Mann verlassen hatte, sobald klar geworden war, dass er vor dem Ruin stand.

Die Beziehung von Alexio und dem älteren Bruder hatte vor allem im Konkurrenzkampf bestanden. Alexio war vierzehn gewesen, als Rafaele ausgezogen war, von da hatte sich das Verhältnis gebessert, auch wenn Alexio die Eifersucht nie ganz losgelassen hatte, dass Rafaele die erstickende Aufmerksamkeit erspart geblieben war, die er von seinem Vater erhalten hatte. Die Erwartung. Die Enttäuschung, weil Alexio entschlossen gewesen war, es aus eigener Kraft zu schaffen und auf sein Erbe verzichtet hatte.

Sie wandten sich vom Grab ab, beide versunken in die eigenen Gedanken. Sie hatten eine ähnliche Statur, waren beide ungefähr gleich groß, über ein Meter neunzig, dunkelhaarig, gut aussehend. Beide hatte sie die hellgrünen Augen von der Mutter geerbt, wobei Alexios mehr ins Goldene gingen.

Zurück bei den Autos, sah Alexio, wie Rafaeles Gesicht plötzlich hart wurde und sein Blick sich auf etwas oder jemanden hinter Alexio richtete. Alexio drehte sich um und folgte dem Blick des Bruders. Ein großer Mann kam mit versteinertem Gesicht auf sie zu. Ein flaues Gefühl flatterte in Alexios Magen auf. Verrückt, aber es war … Erkennen. Der Mann hatte Augen von einem ungewöhnlichen Grün. Und das Gefühl des Erkennens wuchs.

Der Mann musterte beide, dann wanderte sein Blick zu dem Grab weiter hinten. Abfällig verzog er die Lippen. „Gibt es noch mehr von uns?“

Alexio runzelte die Stirn. „Von uns? Wovon reden Sie?“

Der Fremde sah zu Rafaele. „Du erinnerst dich nicht, oder?“

Rafaele wurde blass. „Wer sind Sie?“, fragte er heiser.

Der Mann lächelte kalt. „Ich bin dein älterer Bruder – Halbbruder. Ich heiße Cesar Da Silva. Ich kam her, um der Frau, die mich geboren hat, die letzte Ehre zu erweisen. Auch wenn sie es nicht wirklich verdient hat.“

Der Mann redete weiter, doch in Alexios Ohren rauschte es dröhnend. Älterer Halbbruder? Cesar Da Silva. Natürlich hatte er schon von dem Mann gehört. Wer nicht? Ihm gehörte ein weltweites Finanzimperium – Da Silva Global Corporation. Immobilien, Fonds, alle möglichen Branchen. Und er war berüchtigt für seine Zurückgezogenheit.

Etwas in Alexio begann zu schäumen. „Was, zum Teufel …?“

Mit eiskalten Augen studierte Cesar Da Silva den anderen. Die Ähnlichkeit zwischen den dreien war frappierend, auch wenn Da Silva dunkelblond war, hätten sie Drillinge sein können.

„Drei Brüder von drei Vätern … doch euch hat sie nicht aufgegeben und den Wölfen überlassen“, sagte Da Silva jetzt klirrend kalt.

Er machte einen Schritt vor, genau wie Alexio. Wut über die schockierende Eröffnung baute sich in ihm auf. Die beiden Männer standen fast Brust an Brust.

„Ich bin nicht gekommen, um mich mit dir anzulegen, Bruder“, stieß Cesar aus. „Mit euch beiden habe ich kein Problem.“

Der Beschützerinstinkt, den Alexio einst gegenüber seiner Mutter gefühlt und gegen den sie sich verwehrt hatte, erwachte in ihm. „Nur mit unserer verstorbenen Mutter … falls es stimmt, was Sie behaupten.“

Cesar lächelte bitter, was Alexios Wut die Hitze nahm. „Oh, es ist die reine Wahrheit – und daher umso bedauerlicher.“

Er schob sich an Alexio und Rafaele vorbei und ging zu dem offenen Grab. Langsam zog er etwas aus seiner Jackentasche und ließ es auf den dunklen Sarg fallen. Einen kurzen Augenblick blieb er dort stehen, kam dann mit großen Schritten zurück und warf noch einen letzten Blick zu den beiden Brüdern, bevor er in die wartende Limousine stieg und der Wagen langsam davonfuhr.

Rafaele drehte sich zu Alexio um, der sich wie erschlagen fühlte. Adrenalin pulste durch seine Adern.

„Was, zur Hölle …?“

Rafaele schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht …“

Alexio blickte zu der Stelle, an der eben noch die silberne Limousine gestanden hatte, Eiseskälte breitete sich in ihm aus. Er fühlte sich beschämt. Genau wie damals, als er gedacht hatte, seine Mutter würde es ihm erlauben, sie zu beschützen. Sie hatte es nicht getan. Unnahbar, wie sie immer gewesen war, hatte sie noch nach ihrem Tod bewiesen, dass man einer Frau nie vertrauen durfte. Nie würde eine Frau ihre Geheimnisse preisgeben, immer hielt sie etwas zurück. Etwas, das die Macht besaß, die eigene Welt zu zerstören.

1. KAPITEL

Caro, musst du schon gehen?“

Die Stimme war Versuchung pur. Alexio, der sich gerade das Hemd zuknöpfte, hielt inne. Nicht, weil er versucht war zu bleiben, im Gegenteil. Jetzt wollte er noch schneller von hier wegkommen.

Mit regloser Miene drehte er sich um. Wie drapiert lag sie auf dem Bett, ganz große dunkle Augen, volle Lippen und schimmerndes braunes Haar. Nackt wie sie war, verdeutlichte sie Alexio noch einmal, wieso er sie nach dem Hochzeitsempfang seines Bruders Rafaele in Mailand mit in seine Hotelsuite genommen hatte.

Sie sah fantastisch aus. Perfekt.

Aber … der Sex mit ihr hatte ihn absolut kaltgelassen. Sicher, oberflächlich betrachtet war es gut gewesen, aber berührt hatte es ihn nicht. Er ließ den Charme spielen, für den er berühmt-berüchtigt war, und lächelte.

„Tut mir leid, bellissima. Aber ich werde in Paris erwartet. Geschäftlich.“

Die Frau – wie hieß sie noch? Carmela? – rekelte sich lasziv, damit ihr chirurgisch perfektionierter Körper besser zur Geltung kam, und zog einen Schmollmund. „Ich meine, musst du jetzt gleich gehen?“

Das Lächeln saß fest an seinem Platz. Inzwischen vollständig angezogen, beugte er sich über sie und setzte einen leichten Kuss auf ihren Mund, zog sich aber zurück, bevor sie die Arme um ihn schlingen konnte. Klaustrophobie wollte nach ihm greifen.

„Es war eine wunderbare Nacht, cara … Ich rufe dich an.“

Der Schmollmund verschwand. Sie wusste, wann sie abgeschmettert wurde, und es passte ihr nicht. Ihre Züge wurden hart. Sie stand auf und ging ins Bad, nur eingehüllt von einer Wolke italienischen Stolzes. Hinter ihr schlug die Tür laut ins Schloss.

Alexio zuckte zusammen, aber er war auch erleichtert. Kopfschüttelnd fuhr er mit dem Aufzug nach unten ins Foyer des Luxushotels. Frauen. Er liebte sie – in seinem Bett und solange ihm ihre Gesellschaft Spaß machte. Was nie lange dauerte.

Über Jahre hatte er beobachtet, wie sein Vater, der seine Frau abgöttisch verehrte, von ihr emotionell ausgehungert worden war. Alexio hatte dadurch ein sehr feines Gespür für Selbstschutz entwickelt. Mit kühl und unnahbar konnte er umgehen, daran war er gewöhnt. Es war ihm sogar lieber.

Kurze Liaisons waren seine Stärke. Bei der Hochzeit seines Halbbruders gestern hatte sich ihm die Frage aufgedrängt, wie er sich seine Zukunft vorstellte. Sicher, irgendwann würde er Frau und Familie haben, aber noch nicht. Er war erst dreißig. Und wenn die Zeit gekommen war, würde er sich die perfekte Ehefrau suchen. Sie würde fantastisch aussehen, umgänglich und freundlich sein, und vor allem würde sie keine Ansprüche an seine Gefühle stellen. Er hatte nicht vor, in die gleiche Falle zu tappen wie sein Vater – das ganze Leben lang gequält von Gefühlen für eine Frau, die diese Gefühle nicht erwiderte.

Er musste an den älteren Bruder denken, der aus dem Nichts auf der Beerdigung aufgetaucht war, und an die Emotionen, die ihn überwältigt hatten: Schock und Wut. Er war verletzt gewesen und hatte sich betrogen gefühlt. Da er Gefühle normalerweise immer abblockte, hatte er die Begegnung in die hinterste Ecke seines Kopfes verbannt. Er wusste, Rafaele hatte den älteren Bruder zu seiner Hochzeit eingeladen gehabt, aber der war – wie vorauszusehen – nicht gekommen.

Emotionen waren eine lästige und schwer nachvollziehbare Angelegenheit. Man musste sich ja nur Rafaele ansehen. Sein ganzes Leben war auf den Kopf gestellt worden von einer Frau, die ihm über vier Jahre die Existenz des eigenen Sohnes verheimlicht hatte. Dann hatte er sie vor ein paar Monaten wiedergesehen – und schon waren sie verheiratet. Und er sah auch noch glücklich aus, hatte offensichtlich sämtliche Lektionen, die das Schicksal seines Vaters ihn über das launische Wesen der Frauen gelehrt hatte, komplett vergessen.

Alexios Meinung nach war Rafaele von seiner frisch angetrauten Frau zum Narren gehalten worden. Sie wäre ja dumm, hätte sie Rafaele Falcone, milliardenschwerer und weltweit anerkannter innovativer Kopf der Automobilindustrie, nicht geheiratet, vor allem mit einem Kind – auch wenn sein dreieinhalbjähriger Neffe zugegebenermaßen wirklich niedlich war.

Aber er selbst würde sich hüten, sich von einem solchen Szenario einfangen zu lassen, er würde keiner Frau auf den Leim gehen, so wie sein Bruder. Er würde einer Frau niemals vergeben, wenn sie ihm den Sohn vorenthielt …

Noch während er das dachte, lief ihm ein unguter Schauer über den Rücken. Sein Bruder hatte sich immer an die gleiche Philosophie gehalten, das wusste er, und dennoch war er darauf hereingefallen.

Als Alexio jetzt vor das Hotel trat, setzte er seine Sonnenbrille auf und verbannte sowohl die beunruhigenden Gedanken als auch die unbefriedigende Nacht aus seinem Kopf. Die bewundernden Blicke einer Gruppe Frauen, die gerade in das Hotel ging, bemerkte er gar nicht. Sein Chauffeur fuhr mit dem Wagen vor, und sobald er auf dem Rücksitz saß, konzentrierte er sich bereits auf den nächsten Punkt auf seiner Agenda.

An Bord des Flugzeugs ließ Sidonie Fitzgerald den Sicherheitsgurt einschnappen und atmete tief durch. Ihre Anspannung milderte das nicht. Auch wenn ihre Flugangst durch etwas anderes verdrängt wurde, was aber kein Anlass zu Erleichterung war.

Alles, was sie vor sich sehen konnte, war das kindlich entsetzte Gesicht ihrer geliebten Tante Josephine, deren verängstigte Stimme noch immer in ihren Ohren hallte: „Sidonie, was bedeutet das alles? Werden sie mir jetzt mein Zuhause wegnehmen? Die Rechnungen … woher kommen die?“

Sidonies Tante war vierundfünfzig und hatte ihr ganzes Leben in einer Welt naiver Unschuld verbracht. Sauerstoffmangel bei der Geburt hatte dazu geführt, dass Josephine langsamer war als andere Menschen, dennoch hatte sie es geschafft, die Schule zu beenden und eine Anstellung in dem Lebensmittelladen an der Ecke zu finden, die ihr die so geschätzte Unabhängigkeit garantiert hatte.

Sidonie schürzte die Lippen. Sie hatte ihre Mutter, die vor zwei Monaten gestorben war, geliebt, auch wenn die Frau ich-bezogen und eitel gewesen war. Aber wie hatte ihre Mutter das nur der jüngeren unschuldigen Schwester antun können?

Die vertraute Scham meldete sich. Sie kannte die Antwort auf diese Frage doch.

Mit dem Tod des Vaters vor ein paar Jahren war ihre sorglose bequeme Welt zusammengebrochen. Plötzlich hatten sie mit nichts dagestanden. Im letzten Jahr vor dem Examen hatte Sidonie ihr Studium abbrechen und sich einen Job suchen müssen. Nach Paris zu Tante Josephine zu ziehen war die einzige Lösung für ihre Mutter Cecile gewesen, um nicht obdachlos zu werden – oder noch schlimmer, arbeiten zu müssen. Nein, Cecile war nicht glücklich darüber gewesen. Sie war an einen gewissen Standard gewöhnt gewesen, dank ihres hart arbeitenden Mannes, der sich nichts mehr gewünscht hatte, als seine Frau glücklich zu machen.

Doch jetzt sah es so aus, als hätte der Eigennutz der Mutter zum Desaster geführt. Cecile hatte die naive Schwester dazu gebracht, eine Hypothek auf die Wohnung aufzunehmen, die Sidonies Vater für seine hilfsbedürftige Schwägerin gekauft hatte, um sie abzusichern. Und Cecile war sich nicht zu schade gewesen, genau diese Tatsache zu nutzen und die Schwester zu der Hypothek zu überreden. Das Geld hatte sie für sich selbst ausgegeben, und jetzt stand Tante Josephine als überlebender Gesamtschuldner mit den Raten und Kreditkartenrechnungen allein da.

Irgendwie musste Sidonie eine Lösung finden. Sie würde ihre Tante nicht im Stich lassen. Deshalb hatte sie nicht gezögert, mit ihrem Namen für die Schulden zu bürgen. Seit ihrer Kindheit war es in ihr eingebrannt, die Kohlen für ihre Mutter aus dem Feuer zu holen. Das hielt sich bis heute, obwohl Cecile nicht mehr lebte.

Deshalb hatte sie beschlossen, nach Paris umzusiedeln, um ihrer Tante aus der Krise zu helfen. Die aufkeimende Panik verdrängte sie. Sie war jung und robust. Sie würde sicher Arbeit finden, selbst wenn es nichts Anspruchsvolles war. Nur noch einmal musste sie nach Dublin zurück, um die letzten Dinge abzuschließen, die hinterlegte Kaution für ihre Wohnung abzuholen und …

„Das ist Ihr Platz, Sir.“

„Danke.“

Die Stimmen über ihrem Kopf rissen sie aus den trüben Gedanken. Ihr Blick landete auf dem Mann, der im Gang stand. Er war groß, mit breiten Schultern. Die schmalen Hüften waren auf einer Höhe mit ihren Augen. Er zog seinen Mantel aus und legte ihn zusammengefaltet in das obere Abteilfach, das Jackett behielt er an, darunter trug er ein teures Seidenhemd. Sidonie nahm vage wahr, wie die Stewardess diensteifrig neben dem Mann wartete.

„Danke, es geht schon“, sagte der Mann mit einem verführerisch klingenden Akzent.

Mit geradezu enttäuschter Miene drehte die Stewardess sich um und ging. Der Mann zog jetzt auch sein Jackett aus, und Sidonie wurde klar, dass sie genauso starrte wie die Flugbegleiterin. Hastig wandte sie den Kopf zum Fenster, sah hinaus in den grauen Pariser Frühlingstag.

Er setzte sich, und der Luft schien plötzlich aller Sauerstoff entzogen. Es half Sidonie auch nicht, dass sein Duft zu ihr herüberwehte – herb und männlich. Er war der bestaussehende Mann, der ihr je untergekommen war. Golden getönte Haut, hohe Wangenknochen, markantes Kinn, kurze dunkle Haare. Und er strahlte rauen Sexappeal aus. Hitze. Einen solchen Mann hätte sie niemals in der Touristenklasse zu sehen erwartet. Er sah eher aus wie ein Filmstar …

Und dann sprach er sie an. „Entschuldigung.“

Sie spürte seine tiefe Stimme durch sich hindurchvibrieren. Unmerklich schluckte sie und schalt sich, dass sie sich albern benahm. So großartig konnte er gar nicht sein. Dann jedoch drehte sie den Kopf zu ihm – und ihr Herz setzte aus. Er war so großartig.

Sie starrte in die schönsten grünen Augen, die sie je gesehen hatte. Gold und grün. Wie die eines Löwen. Sie selbst hatte auch grüne Augen, aber mit einem Stich ins Bläuliche …

„Ich glaube, Sie sitzen auf meinem Gurt.“

Es dauerte einen Moment, bevor der Sinn seiner Worte durchdrang. Und dann setzte Sidonie sich erschreckt auf. „Oh, tut mir leid … Lassen Sie mich eben … Er muss doch hier irgendwo …“

Der Mann klang ungeduldig. „Nur die Ruhe, ich komme schon daran.“

Peinlich berührt klammerte sie sich mit beiden Händen an den Vordersitz, während der Mann gelassen den Gurt unter ihr hervorzog, sich setzte und anschnallte.

Sidonie sank wieder auf ihren Sitz zurück. „Ich muss mich nochmals entschuldigen“, setzte sie atemlos an, ohne ihn anzusehen.

„So was passiert.“

Musste er so kurz angebunden sein? Und wieso sollte es ihr peinlich sein, dass sie das Haar nur zu einem wirren Knoten aufgesteckt hatte und ungeschminkt war? Und ihre Jeans ein Loch am Knie hatte und das Sweatshirt mit dem Aufdruck ihrer Universität so verwaschen war? Und dann auch noch ihre Brille. Hätte man in einer Castingshow den Typ „verlotterte Studentin“ gesucht, wäre sie sofort für die Rolle genommen worden.

Sie verachtete sich dafür, dass ein Mann – auch wenn er umwerfend aussah – solche Verlegenheit in ihr auslösen konnte. Sie schaute wieder zum Fenster hinaus, aber aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, dass der Mann neben ihr seinen Laptop hervorholte und aufklappte. Nach einer Weile hörte sie ihn leise schnauben. Er rief die Stewardess, die übereifrig herbeigeeilt kam.

„Ja, Sir?“

„Gibt es eine Erklärung dafür, weshalb wir noch nicht starten?“, fragte er ungeduldig.

Sidonie wandte das Gesicht. Sie konnte nur sein Profil sehen, aber seine Miene konnte sie sich lebhaft vorstellen: autoritär und unerbitterlich. Die Stewardess tat ihr leid, denn sie verging schier vor Verlegenheit.

„Ich werde mich sofort erkundigen, Sir.“ Und damit eilte sie wieder davon.

Sidonie schnaubte leicht abfällig. Die Stewardess behandelte ihn ja, als wäre er eine Art Gott.

Er sah zu ihr hin. „Sagten Sie etwas?“

Sie riss sich zusammen, um sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen. „Ich bin sicher, wir warten auf die Starterlaubnis.“

Jetzt drehte er sich ganz zu ihr um, und sie verfluchte sich still. Seine volle Aufmerksamkeit war das Letzte, was sie gebrauchen konnte.

„Meinen Sie also, ja? Und was, wenn ich ein wichtiges Meeting in London habe?“

Hitze schoss durch ihre Adern. Sie sagte sich, dass es der Ärger über seine Arroganz war. Unwillkürlich verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Falls es Ihnen nicht aufgefallen sein sollte … in diesem Flugzeug sitzen ungefähr zweihundert Leute, von denen sicher mehr als nur einer wichtige Dinge zu erledigen hat. Ich sehe aber sonst niemanden, der sich beschwert.“

Seine Augen blitzten auf, was ihr für einen Moment den Atem raubte. Es waren außergewöhnliche Augen. „Um genau zu sein, es sind zweihundertzehn. Und ja, auch andere haben wichtige Termine – was meine Frage umso berechtigter macht.“

Dass er die genaue Anzahl der Passagiere kannte, fiel ihr nur am Rande auf. Vielmehr ärgerte sie sich über die Art, wie er sie mit einem knappen Blick als jemanden eingeschätzt hatte, der nicht auf dem Weg zu einem dringenden Termin war.

„Zu Ihrer Information“, sagte sie eisig, „ich habe einen Anschlussflug nach Dublin zu erreichen. Wenn das nicht klappt, sitze ich fest. Aber so ist das Leben nun mal, nicht wahr?“

Zurückgelehnt musterte er sie. „Ich hatte mich schon gefragt, woher Ihr Akzent stammt. Faszinierend.“

Da sie bezweifelte, dass das als Kompliment gemeint war, verzichtete sie auf eine Antwort. In diesem Moment trat der Flugkapitän neben den Mann und räusperte sich diskret.

„Sie müssen die Verzögerung entschuldigen, Mr Christakos. Ich fürchte, darauf haben wir keinen Einfluss. Im Moment stehen mehrere Maschinen für den Start in der Warteschlange. Lange sollte es wohl nicht mehr dauern. Möchten Sie, dass wir Ihre Privatmaschine startklar machen?“

Nach kurzem Überlegen antwortete der Mann: „Nein danke, Pierre.“

Der Pilot deutete eine Verbeugung an und zog sich zurück, und Sidonie wurde klar, dass ihr der Mund offen stand. Hastig schloss sie ihn und drehte sich zum Fenster, bevor der Mann ihren verdatterten Gesichtsausdruck mitbekam. Weiter hinten auf der Rollbahn stand eine ähnliche Maschine wie die, in der sie saßen – mit dem prägnanten Christakos-Logo und dem Zitat eines griechischen Philosophen. Alle Christakos-Flugzeuge trugen ein solches Zitat.

Alexio Christakos.

Für einen Moment schloss Sidonie fassungslos die Augen. Unmöglich. Der Mann, der neben ihr saß und jetzt telefonierte – in einer Sprache, die wie Griechisch klang –, konnte doch nicht Alexio Christakos sein, Eigentümer von Christakos Freight and Travel. Der Mann war eine lebende Legende. Er würde sicher nicht in der engen Touristenklasse neben ihr sitzen …?

An der Uni hatten sie in einem Seminar eine Fallstudie zu ihm geschrieben. Schon in jungen Jahren erschreckend erfolgreich, hatte er Schlagzeilen gemacht, als er das Erbe seines Vaters ausgeschlagen hatte, um seinen eigenen Weg zu gehen, ohne jedoch Gründe dafür anzugeben.

Mit seiner Online-Frachtlinie war er an allen Konkurrenten vorbeigezogen und hatte ein Vermögen an Profit eingefahren, als er das Unternehmen nach nur zwei Jahren wieder verkaufte. Mit dem Erlös hatte er sein Wirken auf Passagierflüge ausgeweitet, inzwischen bot er die besten Billigflüge in ganz Europa an. Markenzeichen von Christakos war, dass er Passagiere wie Menschen behandelte und nicht wie Herdenvieh.

Und natürlich war er auch einer der begehrtesten Junggesellen Europas. Nicht, dass Sidonie Frauenzeitschriften verschlang, aber während der Seminararbeit hatten ihre Kommilitoninnen auch Fotos aus Zeitschriften angeschleppt und waren ins Schwärmen geraten. Sidonie hatte den Mann schlicht als Schönling abgetan.

Jetzt konnte sie mit Gewissheit behaupten, dass er kein Schönling war, sondern das Paradebeispiel eines Mannes. Extrem männlich, stark, mit sinnlicher Ausstrahlung. Unruhig setzte sie sich um. Sie wollte gar nicht wissen, warum sie sich mit einem Mal so rastlos fühlte. Es behagte ihr nicht, dass jemand eine solch starke Wirkung auf sie ausübte.

Die Frau neben ihm bewegte sich so unruhig in ihrem Sitz, dass Alexio sie am liebsten mit irgendetwas festgebunden hätte, damit sie aufhörte zu zappeln. Sie gehörte eindeutig zum nervösen Typ.

Zudem irritierte es ihn, dass sie es tatsächlich gewagt hatte, ihn zu kritisieren. Er hasste es, sich auf so engem Raum mit einem anderen Menschen quetschen zu müssen, nachdem er sich an den großzügigen Platz im Privatjet gewöhnt hatte, aber so arrogant und überheblich war er auch wieder nicht – auch wenn ihm diese Beleidigung mehr als einmal entgegengeschleudert worden war.

Am Telefon ratterte sein Assistent die Termine in London herunter, aber Alexio hörte kaum zu. Sein Blick lag auf dem hellen Knie neben seinem, das durch die zerrissene Jeans hindurchschimmerte. Er musste ein Schnauben unterdrücken. Konnte die Frau überhaupt noch zerlumpter aussehen? Bei dem kurzen Wortwechsel hatte er alle nötigen Informationen registriert – helles Haar, schlank, heller Teint, Brille. Das überweite Sweatshirt verbarg jegliche Andeutung von Weiblichkeit. Und eine erstaunliche dunkle, rauchige Stimme mit einem auffälligen Akzent.

Normalerweise fielen ihm Frauen, die nicht wie Frauen aussahen, gar nicht auf. Schließlich war er von einem internationalen Topmodel aufgezogen worden. Seine Mutter hatte immer eine makellose Erscheinung geboten. Und noch etwas war ungewohnt – er hörte kein Wort von dem, was sein Assistent sagte. Abrupt beendete er dieses überflüssige Gespräch. Er könnte jetzt in seiner Privatmaschine sitzen und wahrscheinlich schon unterwegs sein, stattdessen hatte er abgelehnt. Völlig untypisch für ihn, aber irgendetwas hatte ihn dazu gebracht. Ein Bauchgefühl.

Er warf einen Seitenblick auf die Frau neben sich. Sie hielt eine große graue Tasche auf ihrem Schoß und kramte darin, zog verschiedene Dinge hervor und stopfte sie wieder hinein. Noch ein Punkt gegen sie – Alexio war Ordnungsfanatiker. Jetzt schob sie sich die Brille auf den Kopf, und sein Blick glitt zu ihrem Haar.

Es war rotblond. Eine ungewöhnliche Farbe. Hätte sie es offen gelassen, wäre es eine wilde Lockenmähne. Er fragte sich, wie lang es wohl war, wäre es nicht zu diesem wirren Knoten gedreht, aus dem sich Strähnen gelöst hatten und ihr in den Nacken fielen.

Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, und es war keineswegs so unscheinbar, wie er anfangs gedacht hatte. Er konnte die Sommersprossen über ihre Nasenwurzel laufen sehen. Es war ewig her, seit er ein Frauengesicht ohne Make-up vor sich gehabt hatte. Es schien ihm seltsam intim.

Ihre Hände waren klein und flink, schlanke Finger mit praktisch kurzen Nägeln, und ohne jede Vorwarnung schoss heißes Verlangen in seinen Schoß. Er stellte sich vor, wie diese kleinen hellen Hände auf seiner gebräunten Haut lagen, ihn streichelten, liebkosten, berührten. Die Bilder waren so erregend, dass ihm für einen Moment der Atem stockte.

Die Frau musste seine Musterung gespürt haben, denn er konnte rote Flecke auf ihre Wangen ziehen sehen. Wann hatte er das letzte Mal eine Frau erröten sehen?

Sie hatte all ihre Habseligkeiten zurück in die Tasche gestopft, und jetzt setzte sie auch die Brille wieder auf die Nase.

Er lehnte sich in den Sitz zurück, konnte ihren Mund im Profil sehen. Weiche volle Lippen, zum Küssen geschaffen … „Wollen Sie irgendwohin?“ Es wunderte ihn, wie rau seine Stimme klang.

Die Frau holte tief Luft, unter dem weiten Sweatshirt hob und senkte sich ihr Busen. Das Verlangen, sie ansehen zu können, ihre Brüste zu sehen, traf ihn mit Wucht. Er hatte doch gerade eine Frau in seinem Hotelzimmer zurückgelassen. Was war los mit ihm?

Sie sah ihn an, ihre Blicke trafen sich. Sie hatte die erstaunlichsten Augen, mandelförmig, aquamarinfarben wie das Meer um die griechischen Inseln – glitzerndes Grün im einen Moment, leuchtendes Blau im nächsten.

Jetzt wich sie seinem Blick aus und griff resolut ihre Reisetasche. „Ich suche mir einen anderen Platz.“

Alexio runzelte die Stirn. Alles in ihm sträubte sich, noch dazu mit einer Intensität, die er nicht wahrhaben wollte. „Wieso?“ Auch das war neu. Eine Frau, die aus seiner Nähe wegkommen wollte.

Autor

Abby Green

Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...

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