Heute kehrt das Glück zurück

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Seit ihrer Liebesnacht mit Dr. Ben Carter vor einem halben Jahr hat sie den attraktiven Arzt nicht mehr wiedergesehen, und doch kann sie seine zärtlichen Küsse nicht vergessen. Als feststeht, dass ausgerechnet er ihr in der neuen Notfallstation der Gemeinschaftspraxis von Dr. Nick Roberts zur Seite stehen soll, schwanken ihre Gefühle zwischen Angst und Hoffnung - wie wird er reagieren, wenn er von ihrem Geheimnis erfährt? Und gelingt es ihr, jetzt endlich sein Herz zu erobern?


  • Erscheinungstag 04.12.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728908
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Anfang Mai

„Lucy.“

„Ben!“ Sie wirbelte herum, ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht. „Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst.“

Gehofft hatte sie es … allerdings ohne sich irgendwelche Chancen auszurechnen. Jetzt war er da, ihr Herz klopfte, und ihre Knie fühlten sich plötzlich an wie Pudding.

„Eine Patientin hat mich überredet“, antwortete er und lächelte auf diese lässige, sexy Art, die ihn noch attraktiver machte. „Das konnte ich nicht ablehnen. Außerdem war das Essen hier immer spitze.“

Ach, dann war er gar nicht ihretwegen gekommen?

Was hast du denn erwartet? schalt sie sich. Zwei Jahre waren eine lange Zeit, und seitdem war so viel passiert. Zu viel.

Bemüht, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, wich sie seinem Blick aus. Ben hatte ausdrucksvolle Augen, blau wie der Himmel an einem herrlichen Sommertag … sie hätte darin versinken mögen. Lucy sah zum Grill hinüber. „Zumindest riecht es schon verlockend. Hoffentlich geht es bald los. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen, und das war noch vor sieben.“

„Hört sich an, als wäre dein Tag nicht besser gewesen als meiner.“

Sie hörte seine tiefe Stimme dicht neben sich, und sein Duft stieg ihr in die Nase. Ben benutzte kein Aftershave. Das hatte er auch nicht nötig. Der Duft nach Seife, frisch gewaschener Kleidung und glatter, warmer Männerhaut war betörend genug.

Lucy schwankte unwillkürlich, merkte, dass sie ihm zu nahe kam, und richtete sich hastig wieder auf. „Entschuldige, der Boden ist hier so weich … und meine Absätze …“ Das war nicht gelogen, und sie hatte eine Ausrede, um wieder etwas Abstand zwischen sie beide zu bringen. Ein Stückchen nur, damit ihr diese verwirrende Mischung nach Limonenseife und Mann nicht mehr zu Kopf stieg.

„Erzähl … wie geht es dir?“

Der sanfte Unterton hatte die gleiche Wirkung wie sein Lächeln.

„Ach, du weißt schon.“

„Nein, weiß ich nicht, sonst würde ich nicht fragen. Wie läuft es mit der Allgemeinmedizin?“

Lucy versuchte, begeistert zu klingen. „Okay. Super. Letzte Nacht hatte ich Dienst und danach den ganzen Vormittag Sprechstunde. Deshalb bin ich ein bisschen müde, aber sonst macht es Spaß. Ich arbeite mich langsam ein.“

„Schade.“

„Warum?“

„Meine Oberärztin verlässt mich. Sie hat beschlossen, ihre vielversprechende Karriere zu unterbrechen und Mutter zu werden. Ich vermute mal, dass ich dich nicht wieder zu uns locken kann?“

Wenn er wüsste! Das Angebot war mehr als verführerisch. Sie sah sich wieder neben einem Patienten stehen und zusammen mit Ben die ersten Rettungsmaßnahmen durchführen, während um sie herum der alltägliche Wahnsinn der Notaufnahme tobte. Gelegentlich trafen sich ihre Blicke über die Rollliege hinweg, und manchmal erschienen feine Fältchen in seinen Augenwinkeln … immer dann, wenn er sie auf diese unwiderstehliche Weise anlächelte. Dann wurden ihr die Knie weich, und in ihrem Bauch flatterten Schmetterlinge.

Aber es gab zu viele Gründe, die dagegen sprachen. Und einen ganz besonders – wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens.

„Tut mir leid, Ben“, sagte sie bedauernd und rang sich ein Lächeln ab. „Hier in der Praxis werde ich für die Notfälle gebraucht. An manchen Tagen können wir uns vor Patienten kaum retten.“

„Verstauchungen, Quallenbisse und gelegentlich ein Herzinfarkt?“, neckte er. „Das ist doch keine Notfallmedizin, Lucy.“

„Bei uns passiert viel mehr. Und für mich ist das dramatisch genug.“

Lügnerin!

Sie ignorierte die feine Stimme. „Außerdem überlegen wir, die Praxis auszubauen und zu modernisieren. Einen eigenen Raum für die Krankengymnastik einrichten, Röntgengeräte anschaffen, so was in der Art. Und wenn wir schon mal dabei sind, können wir die Praxis gleich so ausrüsten, dass noch mehr kleine chirurgische Eingriffe möglich sind. Das würde euch im St. Piran entlasten, vor allem im Hochsommer, wenn euch die Touristen die Türen einrennen.“

Ben nickte zustimmend. „Keine schlechte Idee. Unsere Notaufnahme platzt aus allen Nähten. Bei uns sitzen die Leute oft stundenlang, nur um irgendwann zu erfahren, dass sie sich das Gelenk verstaucht haben. Wenn ihr die übernehmt oder einfache Frakturen versorgt, würdet ihr uns einen großen Gefallen tun. Ehrlich, der Gedanke gefällt mir ausgezeichnet. Ich war schon immer dafür, Patienten schnell zu behandeln, ohne ihnen erst lange Wege zuzumuten. Falls ihr Unterstützung braucht, sag mir einfach Bescheid.“

„Kann sein, dass ich dich beim Wort nehme, großer Chefarzt der Notaufnahme“, meinte sie lächelnd. Bei dem Gedanken, ihn wieder öfter zu sehen, wurde sie ganz aufgeregt. „Aber zuerst muss ich die Erbsenzähler überzeugen, die unser Budget verwalten.“

„Viel Glück“, meinte er trocken. „Wie auch immer, mein bisschen Einfluss steht dir zur Verfügung. Vielleicht kann ich wegen der Finanzierung ein gutes Wort für euch einlegen.“ Er zögerte kurz. „Dein Vater ist auch hier. Wie geht es ihm, Lucy?“

Gute Frage.

„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“ Betrübt schüttelte sie den Kopf. „Manchmal scheint es ihm gut zu gehen. Dann wieder ist er völlig in sich gekehrt und gar nicht richtig da. Als würde er an seinem Kummer fast ersticken. Ich habe das Gefühl, dass er nicht loslassen kann. Dass er nie richtig getrauert hat. Es ist jetzt zwei Jahre her, Ben, und er redet nie von Mum. Aber ich möchte über sie sprechen. Ich habe sie geliebt, und ich will sie nicht vergessen.“ Lucy sah sich suchend um und entdeckte ihn beim Grill. Er wendete die Würstchen und unterhielt sich dabei mit Kate.

Kate war das Rückgrat der Praxis, eine tüchtige Praxismanagerin, die unermüdlich dafür sorgte, dass der Betrieb reibungslos lief. Sie war mit Lucys Mutter befreundet gewesen, obwohl die beiden Frauen sich ursprünglich durch Lucys Vater kennengelernt hatten. Aber Nick Roberts und Kate Althorp hatte nie mehr als Freundschaft verbunden. Obwohl … manchmal fragte Lucy sich, ob Kate sich nicht doch mehr wünschte. Allerdings hatte sie keine Chance. Ihr Vater war noch nicht so weit, würde es vielleicht nie sein.

„Ich wusste nicht, dass er auch kommt. Meinst du, er hat was dagegen, dass ich hier bin?“

„Red keinen Unsinn“, sagte sie schnell, auch wenn sie nicht ganz sicher war. „Es ist eine Spendenaktion, da brauchst du doch niemanden um Erlaubnis zu fragen.“

„Ich weiß. Ich wollte nur nicht, dass er sich unbehaglich fühlt.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist sein Problem, nicht deins. Abgesehen davon hat er im Moment andere Sachen im Kopf. Und Kate Althorp auch. Unsere Praxismanagerin. Sie steht neben ihm, die Dunkelhaarige in der hellrosa Bluse.“

„Wir sind uns schon einmal begegnet. Eine sympathische Frau.“

„Oh ja, das ist sie wirklich. Sie organisiert diesen Grillabend jedes Jahr. Wusstest du, dass ihr Mann James der Steuermann unseres Rettungsbootes war? Er starb bei dem Sturm Ende der Neunzigerjahre, genau wie Dads Vater und sein Bruder.“

„Nein, ich hatte keine Ahnung. Aber ich habe von der Katastrophe gehört. War nicht eine Gruppe Schulkinder von der Flut abgeschnitten? Und ein paar der Retter sind bei dem Versuch, sie in Sicherheit zu bringen, ertrunken?“

Lucy zeigte auf die Landzunge hinter dem Hafen. An der Spitze erhoben sich der Leuchtturm und die Kirche. „Da drüben ist es passiert.“

„Was haben die Kinder dort draußen gemacht? Sie waren doch nicht allein, oder?“

„Sie haben Gezeitentümpel studiert, und natürlich war ein Lehrer dabei. Aber seine Uhr war stehen geblieben. Als sie merkten, dass die Flut kam, war es zu spät. Dazu das Unwetter … es war furchtbar.“

„Tragisch“, sagte er ernst. „Mir war nicht klar, dass Verwandte von dir betroffen waren. Ich erinnere mich nur, dass eins der Opfer ein hiesiger Arzt war.“

„Ja, mein Onkel. Sie haben versucht, die Kinder vom Fuß der Klippe heraufzuholen, und Onkel Phil hatte sich an den Felsen abgeseilt. Die meisten konnte er retten, doch dann riss ihn eine riesige Welle vom Kliff. Er erlitt schwere Kopfverletzungen. Mein Großvater bekam einen Herzinfarkt und starb, kurz nachdem sie die Leiche meines Onkels geborgen hatten.“

„Das muss für euch alle entsetzlich gewesen sein.“

„Vor allem für meinen Vater. Danach hatte er nur noch uns – Mum, meine Brüder und mich. Seine Mutter war zwei Jahre zuvor verstorben, und sein Bruder hatte nie geheiratet. Mein Großvater war erst achtundsechzig gewesen.“

„Und Kates Mann?“

„James? Er wurde von den Felsen gespült. Das Rettungsboot war rausgefahren, um die Kinder an der Landspitze aufzusammeln. James war nicht dabei, weil er sich eine Rippe gebrochen hatte. Stattdessen ist er zu einem kleinen Mädchen hinuntergeklettert. Das Kind war so verängstigt, dass es sich keinen Zentimeter von der Stelle rühren wollte. Man hat ihm ein Seil und eine Rettungsweste hinuntergeworfen, und es gelang ihm noch, die Kleine in die Weste zu stecken und anzuseilen. Dann erwischte ihn dieselbe Welle, die auch meinen Onkel getötet hatte. Und ein paar der Kinder auch. James’ Leiche wurde nie gefunden.“

Ben machte ein betroffenes Gesicht. „Wie schrecklich für Kate.“

„Sie hat es geschafft, ihre Trauer zu bewältigen. Später sagte sie einmal, das Meer hätte ihn eines Tages so oder so geholt. Wenigstens sei er als Held gestorben.“

„Für die Gemeinde muss es ein Schock gewesen sein.“

„Oh ja. Mein Vater spricht nie über jene Nacht. So als wäre es nie passiert. Bei persönlichen Schicksalsschlägen macht er einfach dicht.“

„Mich wundert, dass er dann zu dieser Veranstaltung kommt.“

Lucy lächelte traurig. „Kate hat ihm sicher keine Wahl gelassen. Sie sind seit einer Ewigkeit befreundet, und sie organisiert Jahr für Jahr diese Spendenaktion. Dad tut einfach, was sie ihm sagt. Außerdem ist es für einen guten Zweck. Seit Generationen gehört das Rettungsboot zu Penhally Bay wie der Leuchtturm oder die Kirche. Du würdest hier niemanden finden, der nicht einen Angehörigen verloren hat oder zumindest jemanden kennt, der auf See geblieben ist.“

Sie unterbrach sich und fuhr verlegen fort: „Entschuldige, ich rede dich in Grund und Boden, aber ich würde mich jederzeit leidenschaftlich für dieses Projekt einsetzen.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Für Leidenschaft bin ich immer zu haben. Ohne sie wäre die Welt ein trüber Ort zum Leben.“ Er lächelte charmant. „Bei mir kannst du gern leidenschaftlich sein, jederzeit.“

Unschuldige Worte, dahingesagt, um sie aufzumuntern. Aber seine Augen sprachen eine andere Sprache. Was sie darin las, hatte nichts mit Rettungsbooten zu tun, sondern mit einer ganz anderen Form von Leidenschaft. Lucys Herz zitterte. Verrückt. Sie hatte ihn fast zwei Jahre nicht gesehen, und ihre kurze Bekanntschaft war abrupt zu Ende gegangen. Was wäre passiert, wenn er geblieben wäre …?

„Dr. Carter! Da sind Sie ja!“

Er drehte sich zu der grauhaarigen Dame um und schüttelte ihr die gesunde Hand. Der andere Arm der Frau war eingegipst.

„Ich hatte es Ihnen versprochen.“

„Das haben andere auch. Die meisten von denen sind nicht hier. Und da ist auch unsere bezaubernde Dr. Lucy. Wie geht es Ihnen, meine Liebe? Hoffentlich gut, ich habe Sie eine Weile nicht gesehen.“

„Weil Sie abtrünnig geworden und nach Wadebridge gezogen sind, Mrs. Lunney.“ Froh über die Ablenkung zwinkerte Lucy ihr zu. „Aber Sie sehen wohl aus … bis auf den Arm. Daher kennen Sie auch Dr. Carter, oder? Er hat Sie zusammengeflickt.“

Ein Leuchten glitt über ihr Gesicht. „Ja, Liebes, und wissen Sie was? Der Arm hat mir noch etwas beschert … ich werde heiraten! Mein neuer Nachbar und ich haben uns ein halbes Jahr lang nur über den Gartenzaun gegrüßt, aber als ich mir den Arm gebrochen hatte, war Henry ständig für mich da. Hat mir hier geholfen und dort etwas für mich erledigt und war … nun, sagen wir, er war sehr überzeugend! Nächsten Monat kommt der Gips ab, und dann heiraten wir.“

Lucy umarmte sie behutsam. „Wie schön. Herzlichen Glückwunsch. Ich freue mich für Sie und hoffe, dass Sie sehr glücklich werden.“

„Danke, meine Liebe. Amüsiert euch gut, ihr zwei, ich muss zurück zu Henry. Er kennt kaum jemanden, aber alle wollen ihn kennenlernen! Sie werden ihm ordentlich auf den Zahn fühlen. Sie wissen ja, wie das hier ist. Ich muss ihn retten.“

Ben lachte. „Tun Sie das – und auch von mir herzlichen Glückwunsch. Schön, dass Ihr gebrochener Arm wenigstens ein Gutes hat. Siehst du“, wandte er sich an Lucy, als sie wieder allein waren. „Mrs. Lunney ist ein typischer Fall. Unkomplizierter Bruch. Solche Patienten könntet ihr auch übernehmen. Stattdessen fahren sie ins St. Piran, warten fast zwei Stunden, bis ein Arzt frei ist und sie endlich ein Schmerzmittel bekommen. Das steht wirklich in keinem Verhältnis. In derselben Zeit hättest du sie hier längst behandelt.“

„Ich arbeite dran, Ben. Dad ist auch sehr dafür.“ Das war noch untertrieben. Auf das St. Piran war ihr Vater nicht gut zu sprechen. Nicht, seit ihre Mutter …

Ben deutete mit dem Kopf zum Barbecue. „Komm, es geht los.“

„Endlich! Ich sterbe gleich vor Hunger.“

In der Reihe vor ihnen trafen sie viele bekannte Gesichter. Patienten grüßten Lucy freundlich, und es waren auch ein paar alte Freunde ihrer Familie dabei. Einige Dorfbewohner kannten Ben aus der Notaufnahme des Krankenhauses und sprachen ihn an.

Fröhlich plaudernd merkten sie kaum, dass die Schlange immer kürzer wurde, und dann waren sie dran. Lucy nahm zwei Teller und reichte Ben einen, ehe sie sich zum Grill umwandte. Ihr sank das Herz in die Zehenspitzen. Sie hatte gehofft, dass ihr Vater inzwischen gegangen war, weil er noch anderes zu tun hatte. Aber da stand er neben Kate und häufte fertige Steaks und Burger aufeinander. Jetzt hob er den Kopf und hielt inne, in der Hand eine lange Gabel mit einem aufgespießten Würstchen.

Ben sah ihn an und nickte. Ein knapper Gruß, nur angedeutet. „Dr. Roberts, Mrs. Althorp.“

Lucys Puls beschleunigte sich. Natürlich wären sie sich irgendwann über den Weg gelaufen. Aber als die Männer einander beäugten wie zwei Kampfhähne in der Arena, fragte sie sich beunruhigt, ob Ben nicht doch recht gehabt hatte. Vielleicht hätte er lieber nicht kommen sollen.

Einen schrecklich langen Moment fürchtete sie, dass ihr Vater eine Szene machen würde. Doch er reichte Kate die Gabel, murmelte etwas, das Lucy nicht verstand, wandte sich brüsk ab und marschierte davon.

„Ihm ist gerade eingefallen, dass er noch etwas zu erledigen hat“, sagte Kate entschuldigend, konnte ihnen aber nicht in die Augen sehen.

Ben schüttelte den Kopf und wandte sich mit einem gezwungenen Lächeln an Lucy. „Tut mir leid, ich habe keinen Hunger mehr“, sagte er, während er ihr seinen Teller in die Hand drückte. „Viel Spaß noch.“

Mit langen Schritten bahnte er sich seinen Weg durch die Menge Richtung Ausgang.

Lucy blickte Kate entsetzt an. „Warum tut Dad das?“, fragte sie hilflos.

„Ich weiß es nicht. Es tut mir so leid, Lucy. Soll ich dir etwas auffüllen?“

Unschlüssig sah sie wieder über den Parkplatz, wo die Wagen dicht an dicht standen. Ben passierte gerade das Tor zur Harbour Road. Noch konnte sie ihn einholen …

„Entschuldige, ich muss gehen.“ Sie stellte die Teller auf den Stapel zurück und rannte los, quer über den Parkplatz, ohne Rücksicht auf ihre High Heels.

Lucy erreichte Ben, als er sein BMW-Cabrio rückwärts aus der Parklücke setzte. Atemlos riss sie die Beifahrertür auf. „Ben, warte!“

„Wozu?“ Seine Augen waren ausdruckslos. „Es war eine dumme Idee, ich hätte nicht kommen sollen. Ich verschwinde.“

„Ich auch.“ Kurz entschlossen glitt sie auf den Sitz und zog die Tür zu. „Wir sollten irgendwohin fahren. Schließlich müssen wir etwas essen, und schick gemacht haben wir uns auch. Wäre doch schade drum, oder?“

„Heute Abend bin ich bestimmt kein guter Begleiter.“

„Ach was“, tat sie unbekümmert. „Aber wir können uns auch Fish and Chips holen, wenn du willst.“

Ben schwieg. Sie hielt den Atem an. Dann lachte er rau auf und stellte den Motor ab. „Na gut. Lauf los und kauf zwei Portionen. Hier …“ Er drückte ihr zwanzig Pfund in die Hand. „Ich warte so lange.“

Lucy eilte über die Straße, zurück zum Festplatz. Am Pommesstand war es ruhig, weil alle sich vor dem Grill drängten, und sie wurde schnell bedient. Das Wechselgeld steckte sie in die Spendenbüchse der Penhally Bay Independent Lifeboat Association, der lokalen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.

So schnell ihre hohen Absätze es zuließen war sie wieder bei Ben. Er saß da und blickte aufs Meer hinaus. Rasch setzte sie sich neben ihn. „Den Rest habe ich der PBILA gespendet“, verkündete sie.

Ben bedachte sie mit einem schiefen Lächeln. „Das passt ja. Wohin jetzt?“

„Wo es ruhig ist?“

„Dann weiß ich genau das Richtige“, erklärte er geheimnisvoll und startete den Motor. Der schnittige BMW glitt die Harbour Road entlang, vorbei an Menschengruppen und Festbesuchern, die zum Platz schlenderten. Kaum hatten sie den Ortsausgang erreicht, drückte Ben das Gaspedal durch.

Pfeilschnell sausten sie an der Küste entlang. Die Sonne stand tief über dem Horizont, aber sie hatten sie im Rücken und damit freie Sicht auf die im Abenddämmerlicht vor ihnen liegende Straße.

Lucy fasste ihre langen, im Fahrtwind wirbelnden Locken mit einer Hand zusammen, ehe sie sich Ben zuwandte. „Wohin fahren wir?“, rief sie, um das satte Brummen des Motors und den pfeifenden Wind zu übertönen.

„Zu meinem Lieblingsplatz, einem Aussichtspunkt. Wenn wir uns beeilen, sehen wir noch den Sonnenuntergang.“

Er nahm den Blick nicht von der Straße, und Lucy nickte. „Schön.“

Aus Penhally Bay würde niemand dort sein. Die waren alle beim Barbecue. Sie lehnte sich zurück und wartete darauf, dass der Druck im Magen endlich nachließ.

„Das war lecker.“

Ben knüllte das Papier zusammen und wischte sich die Hände ab. „Oh ja, und ganz bestimmt nicht weniger ungesund als ein Grillteller. Auch wenn es das teuerste Fish and Chips ist, das ich je gegessen habe.“

„Tut mir leid“, sagte sie schuldbewusst.

Er grinste. „Muss es nicht. Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?“

„In den Schuhen?“ Lucy lachte.

„Am Strand kannst du barfuß laufen.“

„Erst muss ich die Stufen runterkommen. Mit den Absätzen werde ich mir wahrscheinlich alle Knochen brechen.“

„Ich trage dich.“

„Quatsch.“ Sie bückte sich, streifte die Schuhe ab – und bereute es schon beim ersten Schritt. Spitze Steinchen bohrten sich in ihre nackten Fußsohlen, aber sie biss tapfer die Zähne zusammen und tastete sich langsam zum Rand der Klippe vor.

„Dummerchen.“ Ben schwang sie auf die Arme und versuchte zu ignorieren, wie ihr warmer, biegsamer Körper sich an seine Brust drückte. Er trug Lucy die Treppe hinunter und setzte sie im Sand ab. „Da wären wir.“ Im Handumdrehen zog er Schuhe und Socken aus und rollte sich die Hosenbeine bis zu den Knien hoch. „Wer zuletzt im Wasser ist, ist feige“, verkündete er und sprintete zum Ufersaum.

Sie konnte nicht widerstehen. Er hatte es gewusst. Ben ließ sich von ihr einholen, packte ihre Hand, und zusammen liefen sie in die Brandung.

Kalt, fast eisig noch um diese Jahreszeit, umspülte das Meer ihre Knöchel. Lucy lachte übermütig, ihre Wangen röteten sich, und ihre braunen Augen leuchteten. Doch dann verstummte sie, das fröhliche Lachen erstarb.

Sie hob die Hand und legte sie sanft an seine Wange. „Ben, es tut mir so leid, dass mein Vater …“

„Nicht“, unterbrach er sie, wandte den Kopf und küsste sanft ihre Handfläche. „Es war mein Fehler. Im Grunde hatte ich vermutet, dass er auch da ist. Ich hätte einfach wegbleiben sollen.“

„Aber er war scheußlich zu dir.“

„Und wenn schon. Wie gesagt, ich bin selbst schuld. Aber ich hatte gehofft, dich zu sehen, und jetzt bist du hier. Vergessen wir deinen Vater, ja? Komm, lass uns spazieren gehen.“

Es war wie in einem Liebesfilm. Ben hielt noch immer ihre Hand, während sie am Ufer entlangschlenderten. Romantischer, friedvoller hätte es nicht sein können. Eine leichte Brise zupfte an den Wellen, und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten das Meer. Trotzdem war Ben unruhig. Die kurze Begegnung mit Nick Roberts hatte ihm mehr zugesetzt, als er zugeben wollte. Wieder und wieder ließ er die Bilder Revue passieren, so als könne er sie im Nachhinein verändern.

Blödsinn. Es war passiert, aus und vorbei. Ben zwang sich, die hässliche Szene zu vergessen, und blieb stehen. Die Sonne glitt schon hinter den Horizont, eine blassgoldene Kugel vor einem grandios gefärbten Himmel. Rosa, Gold, ein Hauch von Purpur, ein Anblick zum Träumen. Ben legte Lucy die Hände auf die Schultern und drehte sie um, sodass sie mit dem Rücken zu ihm stand und er sie wärmen konnte.

Stumm standen sie da und beobachteten, wie die Sonne ein letztes Mal aufblitzte, bevor sie im Meer versank und verschwand.

„Ist das nicht wundervoll?“, sagte er leise. „Zu dieser Jahreszeit sehe ich den Sonnenuntergang von meinem Wohnzimmerfenster aus und bin jedes Mal wieder beeindruckt. Ich kann verstehen, dass Menschen die Sonne anbeten.“

Lucy wandte sich ihm zu, hob den Kopf und blickte ihn an. Sie hat schöne Augen, dachte er, schokoladenbraun, voller Wärme. Fenster ihrer Seele. Ein oft gebrauchtes Bild, aber es passte. Ben spürte, dass sie sich ihm zum ersten Mal, seit sie sich wiedergesehen hatten, öffnete. Sein Puls beschleunigte sich, sein Herz pochte schwer gegen die Rippen, Verlangen regte sich in ihm.

„Habe ich dir schon gesagt, dass du heute hinreißend aussiehst?“, fragte er rau.

Sie stieß hörbar den Atem aus.

Ein Auflachen oder ein Seufzer?

„Nein“, sagte sie. „Nein, hast du nicht.“

„Wie nachlässig von mir. Du siehst bezaubernd aus, Lucy.“

Bewundernd ließ er den Blick über sie gleiten. Das hauchdünne Kleid betonte ihre schlanke Gestalt, und die Farbe erinnerte ihn an den Ozean, an seine fließenden Schattierungen von Zartgrün bis Türkisblau. Kleine kräuselnde Wellen umspülten Lucys Knöchel, als sei sie gerade dem Meer entstiegen.

„Wie eine Sirene …“ Ben beugte sich vor, bis sein Mund ihren fast berührte. „Die mich zu den Felsen locken will“, flüsterte er.

Und dann küsste er sie.

Lucy wagte es nicht, sich zu rühren. Wie gebannt blickte sie ihm in die Augen, blaue Tiefen, in denen sie zu versinken drohte. Sie senkte die Lider und gab sich dem erregenden Kuss hin. Sehnsuchtsvoll vergaß sie alles um sich herum, bis auf das leise Rauschen der Wellen, Bens forschende Lippen und seine warmen Hände auf ihren Schultern. Langsam zog er sie näher zu sich.

Sie war bereit. Lange schon. Mit einem leisen Aufschrei, gedämpft von seinem Mund, schlang sie ihm die Arme um die Taille. Unter ihren Handflächen spürte sie seine starken, kräftigen Rückenmuskeln.

Ben bewegte sich, nur ein wenig, aber es genügte, um ihre Körper in einen lustvollen intimen Kontakt zu bringen. Verzehrende Hitze flammte in ihr auf. Lucy drängte sich an ihn und ließ sich ein auf das erotische Spiel, als er die Zunge zwischen ihre Lippen schob.

Ihre leidenschaftliche Reaktion entlockte ihm ein Stöhnen. Ben wühlte die Finger in ihr Haar, hielt ihren Kopf mit beiden Händen, während er hungrig nahm, was sie ihm bot. Lucy hörte sich kleine spitze Laute ausstoßen, fühlte deutlich seine Erregung an ihrem Bauch und spürte, wie sich seine breite Brust unter heftigen Atemzügen hob und senkte.

Unmöglich, dachte sie. Wir können hier nicht …

Der Gedanke hatte keine Chance. Sie konnte nicht aufhören. In diesem Moment hätte nichts und niemand sie dazu gebracht, Ben loszulassen.

„Lucy.“ Schwer atmend lehnte er die Stirn gegen ihre. „Was tun wir hier eigentlich?“

Was wir schon vor Jahren hätten tun sollen. Sie strich ihm zärtlich übers Kinn. „Zu dir oder zu mir?“

Ben hob den Kopf und blickte sie an. Seine Augen waren dunkel vor Verlangen, und der intensive Ausdruck darin jagte ihr einen prickelnden Schauer über den Rücken.

Dann glättete ein schwaches Lächeln seine angespannten Züge. „Zu mir“, sagte er heiser. „Es ist nicht weit – und nicht in Penhally Bay. Komm.“

Autor

Caroline Anderson
<p>Caroline Anderson ist eine bekannte britische Autorin, die über 80 Romane bei Mills &amp; Boon veröffentlicht hat. Ihre Vorliebe dabei sind Arztromane. Ihr Geburtsdatum ist unbekannt und sie lebte die meiste Zeit ihres Lebens in Suffolk, England.</p>
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