Historical Exklusiv Band 94

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WIE EIN SCHWERT MITTEN INS HERZ von NICOLE LOCKE
Als die schöne Schottin Gaira vom Clan der Colquhoun in dem verwüsteten Dorf einen Mann überrascht, zögert sie nicht. Mutig streckt sie den Feind nieder! Doch als er wieder zu sich kommt, fragt Gaira sich, ob Ritter Robert ihr nicht von Nutzen sein kann. Sie ist schließlich auf der Flucht vor dem Mann, den sie auf keinen Fall heiraten will, und Roberts Muskeln sprechen von Kampfeskunst; seine breite Brust verheißt Stärke, sein Mund ist eine erotische Versuchung …

ZWISCHEN LEIDENSCHAFT UND GEFAHR von MARGARET MOORE
Der Morgen graut, als Lady Marianne mit Adair Mac Taran dessen Burg erreicht. In einer Nacht voller Gefahren hat der mutige Schotte ihr geholfen hat, den Fängen ihres selbstsüchtigen Bruders zu entkommen. Unter den Sternen Schottlands hat Adair ihr auch gezeigt, wie heiß das Feuer der Sinnlichkeit zwischen Mann und Frau brennen kann. War es nur der Rausch des Augenblicks, der sie zueinander führte, oder kann es für Marianne ein Leben an Adairs Seite geben?


  • Erscheinungstag 01.03.2022
  • Bandnummer 94
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510943
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nicole Locke, Margaret Moore

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 94

1. KAPITEL

Schottland – April 1296

Schneller, du krummbeiniges Klappergestell!“ Gaira vom Clan der Colquhoun beugte sich tief über den Hals ihres gestohlenen Pferdes.

Wie viel Zeit blieb ihr noch, bis der Mann, dem sie versprochen war, ihr auf die Spur kommen und ihr folgen würde? Es wurde immer knapper, noch rechtzeitig zu ihrer Schwester zu gelangen.

Sosehr sie das Pferd auch antrieb, es konnte einfach nicht schneller laufen. Seine Flanken waren schon schweißnass, und bei jedem Schritt keuchte es rasselnd. Auch Gaira atmete schwer.

Zum Glück mussten sie nur noch über den nächsten Hügel gelangen, und dann waren sie endlich in Sicherheit. Sie würden etwas zu essen bekommen und konnten sich ausruhen. Und ich kann mich ganz der Fürsorge und dem Trost meiner geliebten Schwester hingeben, dachte Gaira voller Vorfreude.

Sie drehte sich um. Es sah nicht so aus, als ob ihr jemand gefolgt wäre. Die Angst, die ihr Herz mit eisigem Griff umklammert hatte, ließ nach, und sie lockerte die Zügel.

„Wir haben es geschafft. Nur noch ein kleines Stück, und du kannst so viel Hafer fressen, wie du willst.“

Gestank schlug ihr entgegen, noch ehe sie die Hügelkuppe erreichten. Der Geruch von Rauch, verbranntem Gras und verwesendem Vieh stieg ihr scharf in die Nase. Das Pferd scheute und warf den Kopf hoch, doch Gaira trieb es energisch weiter, bis sie schließlich oben ankamen.

Von der Anhöhe aus bot sich ihr ein schreckliches Bild. Völlig benommen vor Angst, ließ sie sich vom Sattel fallen. Ihr linker Knöchel knickte unter ihrem Gewicht ein, als sie auf dem Boden aufkam, doch sie spürte den Schmerz nicht. Sie krümmte sich, ging auf die Knie und erbrach das Haferbrot und das Wasser, aus dem ihr spärliches Frühstück bestanden hatte.

Eine Weile kauerte sie auf dem Boden, ehe sie merkte, dass ihr Pferd war nicht mehr da. Schnell stand sie auf und atmete tief ein. Sofort wurde sie von heftigem Husten geschüttelt. Und mit einem Mal wurde ihr klar, dass der Gestank nicht von verwesendem Vieh stammte, wie sie zuerst gedacht hatte, sondern von verbranntem menschlichem Fleisch.

Nichts außer diesem beißenden Gestank war vom Dorf ihrer Schwester übrig geblieben. Die Hütten sahen aus wie schwarze Gerippe, Dächer und Seitenwände hatten sich in Rauch aufgelöst. Nur die verbrannten Balken standen noch und glühten rötlich.

Das Tal sah aus, als wäre ein riesiger Felsblock hindurchgerollt und hätte alles verwüstet. Große schwarze Rauchsäulen stiegen in den Morgenhimmel.

Es herrschte absolute Stille. Kein Vogelzwitschern war zu hören, keine Blätter raschelten im Wind, kein Insekt summte.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Vielleicht war ihre Schwester gar nicht dort unten. Vielleicht war es Irvette gelungen, dem Grauen zu entkommen. Sie zwang sich dazu, weiterzugehen, doch sie stolperte, weil ihr verletzter Knöchel nachgab. Unmöglich, den steilen Abhang hinunterzuklettern.

Sie blickte sich um. Ihr Pferd rannte panisch am Fuße des Hügels entlang. Der Gestank und die sengende Hitze hatten ihm Angst eingejagt. Sie rief nach ihm, doch es kam nicht zurück.

Gaira ging auf die Knie und kletterte rückwärts auf allen vieren in Richtung Tal. Der Rauch stieg ihr in die Nase, und sie musste husten. Als sie unten angekommen war, richtete sie sich auf und bedeckte ihren Mund mit ihrem Hut.

Sie ließ ihren Blick durch das Dorf schweifen und versuchte zu begreifen, was sie dort sah. Verkohltes Stroh, versengte Holzbalken und Möbelreste lagen verstreut auf dem Boden und den Wegen herum, genau wie die Dorfbewohner, Männer, Frauen und Kinder.

Niemand bewegte sich mehr.

Sie betrachtete verbrannte Körper. Vor nicht allzu langer Zeit waren diese Menschen ermordet worden. Auf der lehmigen Dorfstraße entdeckte sie Hufspuren, doch es war kein einziges Pferd mehr da und auch keine Schweine oder Hühner.

Gaira humpelte durch das brennende Dorf. Schließlich erreichte sie das äußerste Ende der Zerstörung und hielt vor der letzten Hütte an. Auch sie hatte man angezündet, aber das Feuer schwelte nur noch, und sie war nicht vollkommen zerstört.

In der Nähe der Eingangstür entdeckte sie die leblosen Körper eines Mannes und einer Frau. Der Mann war vollkommen verkohlt. Sein abgetrennter Kopf lag neben ihm auf dem Boden.

Dann betrachtete sie die Frau und erkannte sie sofort: Ihr flammenrotes Haar war nur leicht versengt, das graue Kleid war dreckverschmiert und voller Blut. Dann sah sie die zwei Schwerthiebe im Bauch.

Irvette!

Ihr wurde übel, alles drehte sich um sie. Auf einmal hörte sie einen schrillen, hohen Ton, der immer lauter wurde, bis sie schließlich merkte, dass sie selbst vor lauter Schmerz schrie.

Sie hielt inne, atmete ein paarmal ein und aus, um sich zu beruhigen, und dann hörte sie es: ein leises, verzweifeltes Weinen. Schnell humpelte sie zu der Hütte hinüber und sah sich hektisch um.

„Bei allen Wildschweinen und Nattern des Waldes!“, flüsterte sie. „Ein Glück – du lebst!“

2. KAPITEL

Schottland, an der Grenze zu England

Der Regen prasselte in einem nicht enden wollenden Schwall auf das Schlachtfeld hinab und verwandelte den Boden in eine Schlammlache.

Robert of Dent kämpfte verbissen. Sein Waffenrock war vollkommen durchnässt, sodass er ihm keinen Schutz vor dem Kettenhemd bot, das sich schmerzhaft in seine Haut bohrte. Dass ihm die Haare tropfnass über den Augen hingen und ihm die Sicht nahmen, machte nichts, da er in dem strömenden Regen ohnehin nicht viel erkennen konnte. Er sah seine Männer nicht mehr, wusste nicht, ob sie noch standen oder gefallen waren. Unermüdlich schwang er sein Schwert und schlug Angreifer nieder.

Blut spritzte durch die Luft. Es war überall: auf seinen Kleidern, in seinen Haaren, es rann ihm über Mund und Bart, lief ihm an den Armen hinab und über die Hände. Auch sein Schwert war blutverschmiert.

Den nächsten Angreifer sah er erst, als der schon mit seiner Axt nach ihm ausholte. Blitzschnell stieß er selbst zu und bohrte dem anderen die Klinge tief durch den Hals. Sie steckte fest, und er musste sie mit aller Kraft wieder herausziehen.

Kurz verlor er durch den Ruck das Gleichgewicht, doch er fing sich gerade rechtzeitig, um einen Axthieb eines neuen Angreifers abzuwehren. Die Wucht des Angriffs brachte ihn aus dem Gleichgewicht, er fiel auf die Knie. Schnell rollte er zur Seite, um dem Todesschlag seines Feindes auszuweichen. Die Axt des Schotten grub sich tief in den Schlamm. Noch in der Bewegung schlitzte Robert dem Mann über die Schienbeine, sodass dieser zu Boden ging. Robert stand auf und bohrte ihm die Klinge in die Brust.

Er spuckte den Schlamm und das Blut aus und bewegte sich weiter voran. Seine Stiefel rutschten auf dem glitschigen Boden, doch er wehrte seine Angreifer sicher ab.

Er dachte an nichts anderes als ans Kämpfen. Weder an Ruhm noch ans Überleben. Sein Kopf war vollkommen leer. Ohne nachzudenken, setzte er sein Schwert gegen die Feinde ein.

Wenn die Schlacht vorüber war, würde man die Verwundeten und die Toten wegtragen. Danach würden er und seine Soldaten essen, ein wenig schlafen, und dann ging es in den nächsten Kampf. Er kannte es nicht anders, das war sein Leben. Nie dachte er an sein früheres Leben zurück.

Robert schritt über das schlammige Schlachtfeld. Er hörte die Schmerzensschreie seiner verwundeten Männer. Doch noch schlimmer war es, wenn er nichts mehr von ihnen hörte.

Er schluckte seine Wut hinunter. Sie waren zu voreilig gewesen und hatten teuer dafür bezahlen müssen. Er war erschöpft, aber seine Männer waren viel schlimmer dran. Seit König Edward mehr Soldaten rekrutiert hatte, waren die blutigen Auseinandersetzungen mit den Schotten häufiger und hitziger geworden. Die Männer hatten kaum genug Zeit, um sich zwischen den Kämpfen richtig auszuruhen, und so musste er unerfahrene junge Burschen, die gar nicht auf ein Schlachtfeld gehörten, sterben sehen.

Er blickte auf. Hugh of Shoebury kam langsam auf ihn zu und führte ein Pferd am Zügel, das davongelaufen war. Hugh war kein erfahrener Anführer, er war noch zu jung. Er war blond und hatte blaue Augen, und seine Haut war so weiß, dass sie in der Sonne sofort rot wurde.

„Wie viele?“, fragte Robert, als Hugh bei ihm war.

„Zu viele, um sie zu zählen“, antwortete dieser und legte dem verängstigten Pferd beruhigend eine Hand auf die Flanke. „Was sind die nächsten Anweisungen?“

„Wir schlagen unser Lager auf und warten ab, welche Befehle König Edward schickt.“

„Wenigstens können wir uns ausruhen.“

Robert wandte seinen Blick vom Schlachtfeld ab und ging auf das Lager zu. „Hoffen wir, dass die Ruhepause eine Weile andauert. Wir haben mit zu vielen Problemen zu kämpfen in diesem Krieg.“

„Man kann nicht wirklich von Krieg sprechen“, wandte Hugh ein. „Balliol hat nicht genügend Männer, um sich gegen Edwards Truppen zu verteidigen.“

„Ich hielt es für sinnvoll, nach Balliols Krönung zum König von Schottland unsere nördlichen Grenzen zu sichern. Aber ich frage mich wirklich, warum eine bewaffnete Truppe in den Norden geschickt wurde.“

Hugh zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es auch nicht. Wir haben nur unsere Befehle ausgeführt. Der König kann ‚Black Robert‘ also nichts vorwerfen.“

Er überhörte absichtlich, dass Hugh ihn mit diesem Namen ansprach, denn er mochte es überhaupt nicht, so genannt zu werden, nicht einmal an guten Tagen. Und heute war ganz bestimmt kein guter Tag. Zu hoch waren die Verluste, die der Sieg sie gekostet hatte. „Wir werden mehrere Wochen brauchen, um uns von diesem Kampf zu erholen.“

„Ja, aber der König wird sehr zufrieden mit dem Ausgang des heutigen Tages sein. Sogar die Geschehnisse im Norden konnten ihn nicht bremsen.“

„Welche Geschehnisse im Norden?“

„Hast du nichts gehört? Hinter der Grenze, in einem Tal nordwestlich von Dumfries, liegt Doonhill, ein kleines Dorf. Sir Howe ist mit einer Hundertschaft von Männern dorthin geritten, als es so aussah, dass wir die Schlacht verlieren würden.“

„Howe hat seine Truppen wissentlich abgezogen, während noch gekämpft wurde?“ Robert beschleunigte seinen Schritt. „Das hätte uns den Sieg kosten können!“

„Ja, aber Sir Howe hat gesagt, dass sie sonst alle gestorben wären.“

Die Geschichte kam Robert bekannt vor. „Howe? Hatte er nicht auch das Kommando in Lockerbie und ist ebenfalls vorzeitig vom Schlachtfeld geflohen?“

„Genau der.“ Hugh hustete.

„Der Bastard hat es also erneut getan?“ Robert presste die Kiefer wütend aufeinander. „Was ist in Doonhill passiert?“

„Es war nur eine kleine Ortschaft. Aber anscheinend lebten dort viele Frauen.“

Hugh brauchte nichts weiter zu sagen. Robert wusste, dass es im Krieg trauriger Alltag war, zu plündern und Frauen zu schänden. Viele Männer waren sogar der Meinung, es stünde ihnen zu.

„Und wie hat der König darauf reagiert?“

„Er sagte, dass er Balliol eine Nachricht schickt, um die eventuellen Folgen zu besprechen.“

„Warum sollte er Konsequenzen befürchten? Alles, was er tun muss, ist, die Männer von Doonhill zu entschädigen, so wie immer.“

„Es gibt keine Männer mehr, Robert, und auch keine Frauen oder Kinder, denen er Geld geben könnte.“ Hugh sprach jetzt langsam und eindringlich. „Unsere Männer haben das gesamte Dorf in Schutt und Asche gelegt.“

Robert wurde von glühendem Zorn gepackt. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. „Wie ist das möglich?“

„Das bringt so ein Krieg wohl mit sich.“ Hughs Schlachtross zerrte ungeduldig am Zügel. „Aber jetzt musst du mich entschuldigen, denn ich muss dieses Pferd zum Lager bringen.“

Robert hatte schon lange damit aufgehört, die Vergangenheit ändern zu wollen. Das Dorf war zerstört, seine Bewohner waren tot, und das konnte durch nichts rückgängig gemacht werden. Also schob er die unangenehmen Gedanken beiseite und klopfte Hugh freundschaftlich auf den Rücken. „Ich komme gleich nach. Ich merke erst jetzt, wie hungrig und müde ich bin.“

Robert ritt den Hügel hinauf. Hugh war nicht damit einverstanden gewesen, dass er allein in feindliches Gebiet reiten wollte. Doch als er die Kuppe erreichte und auf das Tal blickte, wurde das alles vollkommen bedeutungslos.

Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, aber selbst die aufkommende Dunkelheit konnte das Ausmaß der Zerstörung nicht verbergen. Es war weit schlimmer, als er befürchtet hatte. Howe musste für diese Gräueltat bezahlen, dafür würde er sorgen.

Er stieg ab, band die Zügel seines Pferds an einen Ast und lief den steilen Abhang ins Tal hinunter. Leichengeruch und beißender Rauch stiegen ihm scharf in die Nase. Er atmete durch den Mund und sah sich um. Er konnte keinen einzigen Toten sehen, obwohl er sie riechen konnte. Immer schneller rannte er durch das zerstörte Dorf.

In der Nähe eines kleinen Sees sah er ein Stück frisch umgegrabener Erde. Dort mussten die Gemüsebeete sein. Der Gestank war jetzt so durchdringend, dass er am liebsten die Luft angehalten hätte.

Er sah frisch ausgehobene, flache Gräber neben Reihen von verbrannten Beeten. Und dann entdeckte er die Leichen, die dicht beieinander auf dem Boden lagen. Auf der Erde zwischen den Toten und dem Garten sah man eine lange Schleifspur. Jemand hatte sie also zu ihrer letzten Ruhestätte gezogen.

Und das bedeutete, dass es Überlebende geben musste. Er entdeckte auch Fußspuren. Sie schienen alle von derselben Person zu stammen, und es sah so aus, als würde diese Person einen Fuß hinterherziehen. Er horchte, doch alles war vollkommen still.

War es nur einer, der versuchte, die Toten zu begraben?

Da er nun wusste, dass er nicht allein war, legte er die Hand auf den Griff seines Schwertes, bereit, es blitzschnell zu ziehen. Und dann hörte er es: ein kurzes lautes Kratzen, das aus einer der niedergebrannten Hütten kam.

Er wollte sichergehen, dass der andere ihn auch hörte, also ging er näher an das Haus heran. „Ich komme in Frieden!“, rief er zunächst auf Englisch und dann noch einmal auf Gälisch. „Ich tue Euch nichts.“

Wieder hörte er das Kratzen. Es war definitiv jemand in der Hütte.

„Ich möchte Euch helfen.“ Er versuchte, so überzeugend wie möglich zu klingen. Die Person in dem Haus hatte sicher keinen Funken Gastfreundschaft für einen Engländer übrig.

Er ging auf die geöffnete Tür zu. Er hätte es vorgezogen, wenn der Mensch in der Hütte herauskäme, doch vielleicht war er verletzt und brauchte Hilfe.

Vorsichtig betrat er die Hütte. Ein paar spärliche Strahlen Mondlicht fielen durch das zerfallene Dach. Der Innenraum war quadratisch und klein. Dennoch konnte er kaum etwas erkennen. Und so schaffte er es nicht mehr rechtzeitig, dem Eisenkessel auszuweichen, der fest gegen seinen Kopf geschwungen wurde. Dann wurde es schwarz um ihn herum.

3. KAPITEL

Katzenschwanz und Mäusezahn! Ich habe ihn umgebracht!“

Gaira hielt den Kessel noch immer in der Hand, als sie sich neben den Mann kniete. Ganz langsam führte sie ihm eine Hand vor den Mund. Sie fühlte seinen warmen Atem auf dem Handrücken. Gott sei Dank! Er lebte.

Erleichtert atmete sie aus. Ihr war schwindlig, und sie schloss die Augen. Als sie sich besser fühlte, sah sie sich den Mann genauer an.

Er war groß, nicht größer als ein Schotte, aber kräftiger. Seine Kleidung wies darauf hin, dass er Engländer war. Und er hatte Englisch gesprochen. Im Mondlicht konnte sie seine Gesichtszüge nicht erkennen, doch sie sah, dass sein Haar lang und zerzaust war, ebenso wie sein Bart, was sie verwunderte, denn die meisten Engländer waren glatt rasiert.

Dieser Mann trug einen Bart wie ein armer Leibeigener, der nicht einmal einen Kamm besaß.

Sie strich ihm über die Brust, um zu erkunden, ob er dort verletzt war. Sein Körper unter der Tunika war fest und unnachgiebig. Unnachgiebig? Ein seltsames Wort, um einen Körper zu beschreiben.

Nun ließ sie die Hände tiefer gleiten. Plötzlich wurden sie feucht und begannen zu prickeln, und sie hielt rasch inne. Sie wollte ihn weiter untersuchen, doch mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie ihn nicht länger nach Verletzungen untersuchte.

Was war nur mit ihr los? Sie hatte drei ältere Brüder. Und dieser Mann unterschied sich kein bisschen von ihnen. Dennoch fühlte er sich anders an! Sie schob den Gedanken ärgerlich beiseite. Sei nicht so dumm! Ihre Hände prickelten gewiss nur, weil sie Angst hatte, dass er aufwachte. Ja. Das musste es sein!

Sie zwang ihre Hände dazu, ihr zu gehorchen, und tastete seinen Kopf ab. Hatte sich sein Atem verändert? Nein. Seine Augen waren noch immer geschlossen. Sie atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Anscheinend war der Engländer nicht verletzt – aber möglicherweise bewaffnet? Oft trugen Männer einen Dolch im Stiefel. Während sie langsam an seinen muskulösen Beinen hinabfuhr, hielt sie den Atem an. Als sie an einem seiner Stiefel ankam, fühlte sie tatsächlich den harten Griff eines Dolches. Sie zog ihn heraus. Er lag schwer in ihrer Hand, und sie fühlte die kunstvollen Ornamente auf seinem Griff.

Ein Bauer ist er wohl nicht. Sie legte den Dolch beiseite und setzte ihre Erkundungen fort. Diesmal glitt sie an seinen kräftigen Armen hinab und zu seiner Hüfte. Sie zuckte zurück, als sie den kühlen Stahl eines Schwertes unter ihrer Hand spürte.

Du Lügner! In Frieden! Dass ich nicht lache! Doch nicht mit blankem Schwert!

Mit zitternden Fingern löste sie seine Hand von Griff der Waffe. Das Breitschwert war so schwer, dass sie es kaum halten konnte. Sie lehnte es gegen die Wand. Dann griff sie nach dem Strick, den sie um ihre Hüften gebunden hatte. Er war nicht lang genug, um sowohl seine Hände als auch seine Füße zu fesseln. Doch sie machte sich vor allem Sorgen um die Gefahr, die von seinen Händen ausgehen konnte.

Ihr Herz klopfte schnell und heftig. Sowohl sein muskulöser Körper als auch die Tatsache, dass er Englisch und Gälisch sprach, waren Anzeichen dafür, dass er Soldat war. Es würde nicht einfach sein, ihn außer Gefecht zu setzen.

Er würde zweifellos nicht sehr gut gelaunt sein, wenn er erwachte. Doch sie hatte keine andere Wahl. Sie hatte ihn schließlich nicht in die Hütte gebeten. Es war nicht ihre Schuld, dass der verdammte Kerl hereingekommen war. Sie hatte ihm den Eisenkessel auf den Kopf schlagen müssen, um sich zu schützen.

Aber was sollte sie jetzt tun? Er würde bald aufwachen. Zwar war er Engländer, doch sie wusste nicht, ob er einer der Männer war, die das Dorf niedergebrannt hatten. Sie konnte kein Risiko eingehen. Schließlich stand nicht nur ihr eigenes Leben auf dem Spiel.

Denk nach, Gaira, denk! Wenigstens hatte sie seine Waffen. Damit hatte sie ihn unter Kontrolle. Schnell zog sie den letzten Knoten zu und kroch dann zurück in die Dunkelheit.

„Was meinst du damit, sie ist nicht bei ihrem Bruder?“ Busby of Ayrshire spuckte aus. Der Speichel landete direkt auf der Schuhspitze seines Boten.

„Sie … ist nicht auf den Ländereien des Colquhoun Clans, mein Laird“, stieß der Bote stotternd hervor. „Ihre Brüder waren äußerst überrascht über meine Ankunft.“

Busby wischte seine dicken Finger an seiner braunen Tunika ab. Das Einzige, was ihn an dieser Nachricht erfreute, war, dass der Bote vor Angst zitterte. Es gefiel ihm, wenn die Leute ihn fürchteten.

„Hast du diesem Hurensohn Bram erklärt, dass unser Handel platzt, wenn er seine Schwester nicht innerhalb einer Woche wieder bei mir abliefert?“

„Ja. Wir haben sogar die Burg durchsucht.“

Busby trat einen Schritt vor. „Hast du ihm gesagt, dass ich für diese Unannehmlichkeiten noch einmal fünf Schafe verlange? Und dass ich die Frau gar nicht erst genommen hätte, wenn ich gewusst hätte, dass sie mir so viel Ärger bereitet? Und dass sie gerne Krieg zwischen unseren Clans haben können, wenn sie es so wollen?“

„Aye, mein Laird. Ich habe es ihnen genau so gesagt. Aber es gab tatsächlich kein Anzeichen von der Frau.“

Das Weib war nun schon seit mehreren Tagen verschwunden. Zunächst hatte er gewartet, dass sein Bote zurückkehrte, und gehofft, dass er entweder sie oder wenigstens eine brauchbare Nachricht dabeihatte. Da das nicht der Fall war, stieg Zorn in ihm auf.

„Berichte mir genau, was sie geantwortet haben“, befahl Busby.

Der Bote trat von einem Fuß auf den anderen und machte dabei kaum merklich einen Schritt nach hinten. „Sie waren nicht sehr erfreut.“

„Was soll das heißen?“, knurrte Busby.

Der Bote wich jetzt einen weiteren Schritt zurück.

„Sie waren sehr verärgert. Ich … äh … ich hatte Angst um mein Leben. Sie sagten, dass es Eure Schuld wäre, wenn ihrer Schwester etwas passiert.“

„Was?“, brüllte Busby und packte den Boten an der Kehle.

Der Mann brachte nur einen heiseren Ton hervor, sodass Busby den Griff lockerte. „Sie haben gesagt, sie würden das Gebiet bis zum Land der Campbells absuchen, und dass Ihr in Richtung Süden gehen sollt.“

Er ließ den Mann los, der nach hinten stolperte. „Richtung Süden? Warum?“

„Ihre Schwester lebt dort, in Doonhill“, keuchte der Bote.

„Das liegt viele Tagesritte südlich von hier! Sattle ein Pferd. Ich will nicht noch mehr Zeit verlieren.“

Busby zitterte vor Wut. Und die würde diese undankbare Weibsperson zu spüren bekommen, sobald er sie aufgespürt hatte!

Robert wachte auf und spürte einen stechenden Schmerz an der Schläfe. Er öffnete die Augen und versuchte, sich aufzusetzen.

„Eine falsche Bewegung, Engländer, und dieser Dolch landet in deinen Weichteilen.“

Er hielt inne. Die Stimme kam aus der anderen Ecke der Hütte. Eine Frau trat auf ihn zu.

Im Mondlicht sah er, dass sie eine Tunika und Beinlinge trug, die ihr viel zu groß waren, obwohl sie hochgewachsen und schlank war. Ihr geflochtenes Haar fiel ihr in mehreren Zöpfen über die Brust. Sie stand breitbeinig da und hielt drohend einen Dolch auf ihn gerichtet. Er sah ihn sich genauer an. Es war sein Dolch!

„Ihr habt einen Kessel nach mir geworfen“, sagte er in anklagendem Ton auf Gälisch.

„Ich würde eher sagen, ich habe ihn Euch übergezogen. Schließlich hättet Ihr die Absicht haben können, mich zu töten. Immerhin habe ich ein Schwert und einen Dolch bei Euch gefunden.“

Er bewegte vorsichtig die Arme und spürte, dass seine Hände gefesselt waren. Doch seine Beine waren frei, sodass er sich hinsetzen konnte. Die Frau umklammerte den Dolch fester, und er verlangsamte seine Bewegungen. In all den Schlachten, die er bestritten hatte, hatte er die Erfahrung gemacht, dass panische Menschen mindestens ebenso gefährlich waren wie wütende. Und die schmerzende Stelle an seinem Kopf, wo ihn der Eisenkessel getroffen hatte, verriet ihm, dass sie beides war.

„Es war dunkel im Haus. Es wäre nicht sehr klug gewesen, unbewaffnet hineinzugehen.“

„Und das soll ich glauben?“, fragte sie spöttisch.

Das Gespräch verlief nicht besonders gut.

Sie war eine wütende schottische Frau. Und er war ein Engländer in einem schottischen Dorf, das von seinen Landsleuten in Schutt und Asche gelegt worden war. Sie bedrohte ihn mit einem Dolch, und er war gefesselt. Es sah nicht sehr gut für ihn aus.

Soweit er es abschätzen konnte, war niemand außer ihr und ihm da, und sie konnte ihn nicht ewig hier auf dem Boden festhalten. Er fragte sich, wie sie überlebt hatte.

„Ich möchte Euch keinen Schaden zufügen“, sprach er auf Gälisch weiter. „Warum seid Ihr hier?“

„Diese Frage sollte ich Euch stellen!“

„Ich bin nur ein Reisender.“

„Und ein Engländer, obwohl Ihr so stümperhaft versucht, unsere Sprache zu sprechen.“ Dann sprach sie auf Englisch weiter: „Wie lautet Euer Name?“

Sie sprach absolut akzentfrei, so wie die Leute am Hof. Sie war definitiv keine einfache Dorfbewohnerin. „Man nennt mich Robert of Dent. Und ich glaube nicht, dass es ein Verbrechen ist, Engländer zu sein.“

„Doch, das ist es, denn meine Verwandten wurden hier in diesem Dorf von Engländern ermordet.“

Sie hielt den Dolch weiter auf ihn gerichtet. Seine Hände waren noch immer gefesselt, aber er hatte schon begonnen, den Strick zu lösen. „Ich bin erst heute hergekommen. Ich habe nichts damit zu tun. Wer seid Ihr? Wie heißt Ihr?“

Sie reagierte nicht auf seine Frage. „Woher soll ich wissen, dass Ihr keine Schuld an ihrem Tod tragt?“

„Ihr seid also nicht aus diesem Dorf?“

Sogar in dem spärlichen Licht konnte er erkennen, wie sie erst vollkommen blass und dann rot vor Wut wurde. „Natürlich nicht, du dreckiger Pottwal! Wie kann ich ein Dorfbewohner sein? Ich bin schließlich noch am Leben!“ Sie hielt inne. Als sie weitersprach, liefen ihr die Tränen über die Wangen. „Ihr müsst doch gesehen haben, was mit den Menschen hier passiert ist.“

Er verstand nicht. „Ihr seid also entkommen?“

„Nein, ich war auch auf der Reise.“

Seine Hände waren jetzt frei. „Ihr seid aber nicht einfach nur eine Durchreisende. Ihr sagtet, Ihr hättet Verwandte hier. Sind sie tot?“

Sie erschauerte bei seiner Frage. „Ihr seid also zufällig hier vorbeigeritten?“, fragte sie.

Sie hatte ihm nicht geantwortet. Aber angesichts der Umstände war es verständlich, dass sie ihm misstraute.

„Ja“, log er sie an.

„Hah! Mit blankem Schwert und einem so feinen Dolch! Soll ich Euch das wirklich glauben?“

Er wusste, dass er nicht so einfach aus der Sache herauskommen würde. „Bitte …“

Plötzlich waren Schritte zu hören.

„Tante Gaira, oben auf dem Hügel steht ein Pferd. Tante Gaira, ist alles in Ordnung? Ich wollte dich warnen.“

Die Frau blickte zur Tür. Auf diesen Moment hatte er gewartet. Er ließ den Strick zu Boden fallen, sprang auf die Füße und schnappte sich den Jungen, der in die Hütte hineingelaufen kam.

„Lasst ihn sofort los!“, schrie sie. „Er hat Euch nichts getan! Hört Ihr?“

Der Junge fing an, wild um sich zu treten und sich heftig zu wehren. Robert stöhnte vor Schmerz auf, als er mit seinen kleinen Zähnen zubiss. Er schob den Knaben mit einem Ruck weg und hielt ihn mit ausgestreckten Armen vor sich. „Ich habe hier etwas, das Euch gehört.“

„Er ist unschuldig!“

„Vielleicht. Aber wir dürften jetzt quitt sein. Ihr habt meinen Dolch, ich hingegen habe Euren Jungen. Ich denke, Ihr werft den Dolch jetzt besser auf den Boden.“

Die Frau sah ihn herausfordernd an. Er machte sich bereit, sofort zur Seite zu springen, wenn sie den Dolch nach ihm warf. Er wollte auf keinen Fall, dass der Junge verletzt wurde.

Sie warf ihm den Dolch vor die Füße. „Ihr könnt mit mir tun, was Ihr wollt. Aber ich flehe Euch an, lasst den Jungen in Frieden! Er hat schon genug durchgemacht.“

Er hob den Dolch auf. Der Junge rannte zu der Frau und warf sich ihr in die Arme. Er hörte, wie sie erleichtert aufatmete.

„Kann der Junge gehen, bevor wir anfangen?“, fragte sie.

In ihrer Stimme schwang Unbehagen mit. Sie klang so anders als noch zuvor, und zunächst verstand er nicht, was sie meinte. Doch mit einem Mal dämmerte es ihm. Sie dachte, dass er ihr Gewalt antun wollte! Welche abscheulichen Dinge hatte sie wohl mit ansehen müssen?

Zwei Tage waren seit dem Angriff auf das Dorf vergangen. Der faulige Geruch, der in der Luft hing, verriet ihm, dass viele der Leute an Schwertwunden gestorben war. Doch die meisten von ihnen waren verbrannt. Sie war schon länger hier als er und hatte den ganzen Schrecken gesehen.

„Ich werde weder Euch noch dem Jungen etwas antun. Ich mag zwar Engländer sein, aber als ich rief, dass ich in Frieden komme, habe ich die Wahrheit gesagt.“

„Euer Frieden kann uns auch nicht mehr helfen.“

Mit einem Mal fühlte er sich schuldig. Er mochte dieses Gefühl ganz und gar nicht, ebenso wenig wie den plötzlichen Drang, sie zu beschützen. Sie wirkte so verletzlich, wie sie da stand, die Arme um das Kind geschlungen. Und doch hatte sie ihn herausgefordert. Sie war mutig, aber im Mondlicht konnte er erkennen, wie erschöpft sie war, und er hörte die tiefe Trauer in ihrer Stimme, wenn sie sprach.

Er senkte den Blick. Sie trug einen Verband am Knöchel. Es waren also ihre Fußspuren gewesen, die er bei den Gräbern entdeckt hatte. Nur ihre!

„Ich bin an Eurem … Garten vorbeigekommen. Richtet Ihr die Beete für das Frühjahr her?“

Sie ging in die Hocke und versuchte, den Jungen umzudrehen, damit er sie ansah. „Alec, geh bitte hoch zum Lager.“

Der Junge wandte sich ihm ruckartig zu und warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Ich will nicht.“

„Alec, du hörst mir jetzt zu. Du weißt, dass ich dir verboten habe, ins Tal herunterzukommen. Du hast mir nicht gehorcht. Aber ich werde dich nicht bestrafen, wenn du jetzt gehst.“

Der Junge bewegte sich nicht von der Stelle.

Sie versuchte es in sanfterem Ton. „Alec, wenn du jetzt gehst, dann gebe ich dir später meine letzte Honigwabe.“

Der Junge sah sie an und verzog missmutig das Gesicht. Sie nickte ihm auffordernd zu, und er drehte sich um und rannte hinaus.

Als der Knabe draußen war, richtete die Frau sich langsam auf.

„Süßes funktioniert immer. Ach, wie gern wäre ich auch noch mal fünf!“, sagte sie leicht wehmütig. Dann lächelte sie und faltete die Hände. „Ich fürchte, dass es ein Missverständnis zwischen uns gegeben hat. Ich bin Gaira vom Clan der Colquhoun.“

Er fragte sich, wo ihre Wut und ihre Kampfbereitschaft geblieben waren. Sie wirkte mit einem Mal völlig verändert, und er wurde misstrauisch. „Warum verhaltet Ihr Euch mit einem Mal so?“

„Ihr mögt zwar Engländer sein, aber Ihr seid nicht wie die Männer, die Doonhill niedergebrannt haben.“

Diese Frau war ihm ein Rätsel. „Das stimmt. Doch woher wisst Ihr das plötzlich?“

„Garten?“, sagte sie und sah ihn erwartungsvoll an.

Nun war er völlig verwirrt. Wollte sie mit ihm über Pflanzen sprechen?

„Ihr habt nicht gefragt, ob ich die Toten begraben habe, sondern Ihr habt gefragt, ob ich den Garten herrichte. Und ein Mann, der bemüht ist, die Gefühle eines Kindes nicht zu verletzen, kann keine von diesen Bestien sein, die dieses Dorf zerstört und seine Bewohner getötet haben.“

Sie drehte sich um und bückte sich. Die weite Tunika rutschte nach oben, und er sah ihre Rückseite in den engen Beinlingen. Welch verführerischer Anblick!

Plötzlich konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er wusste, dass das Mondlicht ihm einen Streich spielte und seine Fantasie anfachte. Sofort stellte er sich lebhaft vor, wie diese Kurven wohl nackt … Am liebsten hätte er … Schluss!

Er war so lange mit keiner Frau zusammen gewesen und kein einziges Mal in Versuchung gekommen, obwohl zahlreiche Frauen ihn zu verführen versucht hatten, indem sie ihm ihre Brüste gezeigt oder sich verführerisch über die Lippen geleckt hatten. Es hatte nie etwas anderes in ihm ausgelöst als Ärger. Doch beim Anblick dieser Rundungen fuhr ihm mit einem Mal die Hitze in die Lenden. Ihm wurde ganz heiß, und er zwang sich dazu, seine Aufmerksamkeit dem Gegenstand zuzuwenden, den sie in der Hand hielt.

Es war ein Schwert, und seine Spitze zeigte auf ihn.

„Ich danke Euch“, sagte sie nun in höflichem Ton. „Ich habe versucht, Alec vor der grausamen Wahrheit zu bewahren.“

Sie räusperte sich und schwieg. Offensichtlich erwartete sie eine Antwort.

Es war nicht irgendein Schwert. Es war sein Schwert. Die Lust, die er gerade noch gespürt hatte, ließ nach, und plötzlich kam er sich lächerlich vor. Das Schwert wackelte leicht. Es wäre so einfach, es ihr abzunehmen. Sie konnte kaum das Gleichgewicht halten, es war viel zu schwer für sie. Sie stellte keine Bedrohung für ihn dar.

Er hingegen war eine echte Bedrohung für sie. „Was tut Ihr da?“

„Ich halte eine Waffe auf Euch, das tue ich.“

„Ich dachte, Ihr hattet gesagt, dass ich keine Bestie bin.“

„Aye. Ich habe gesagt, Ihr seid keiner von den Bestien, die das Dorf niedergebrannt haben. Aber Ihr seid trotzdem Engländer, und deswegen kann ich Euch nicht trauen.“ Sie nickte ihm zu. „Schiebt den Strick und den Dolch mit dem Fuß zu mir.“

Er konzentrierte sich ganz auf seine Bewegungen und nicht auf seine Gedanken über ihr Aussehen. Ganz langsam schob er die Gegenstände zu ihr hinüber.

„Aber dieses Mal bin ich wach, und Ihr seid ganz allein“, sagte er. „Warum sollte ich stillhalten, damit Ihr mich wieder fesseln könnt?“

Sie sah ihm fest in die Augen. „Um mir zu beweisen, dass Ihr keine dieser Bestien seid.“

Er dachte nach. Er wusste, dass eine Frau und ein Junge hier waren. Er wusste nicht, ob es noch weitere Überlebende gab.

„Und mein Schwert?“

„Das behalte ich. Genau wie Euren Dolch.“

Er schluckte seine Bemerkung herunter. Sie war zwar eine feindliche Schottin, aber sie war eine Frau, und sie hatte Alec, den sie beschützen musste. Sie war ohnehin schon in einer schwierigen Lage, auch ohne dass er ihr noch mehr Angst einjagte. Doch er brauchte Antworten von ihr, und sie würde nicht mit ihm reden, solange er eine Bedrohung für sie darstellte. Er hielt ihr die Hände hin.

Sie schüttelte den Kopf. „Hinter den Rücken. Und dann dreht Euch um.“

„Ich muss mich irgendwann auch erleichtern.“

Er merkte, wie sie seine Worte innerlich abwog. Dann nickte sie und ließ das Schwert zu Boden sinken.

„Ihr seid zwar Engländer, aber Ihr habt recht.“ Langsam kam sie auf ihn zu.

Er hielt still und ließ sich von ihr die Hände zusammenbinden. „Recht? Womit?“

Sie schlang ihm den Strick um die Handgelenke, diesmal machte sie mehr Schlaufen als beim ersten Mal und knotete ihn auch fester zusammen. Er hatte allerdings ein wenig Platz zwischen seinen Händen gelassen, sodass er sich später befreien konnte. Das hatte sie im schwachen Licht nicht bemerkt.

„Ich habe die Toten begraben“, sagte sie und trat zurück. „Aber nur nachts. Mit meinem Knöchel komme ich auch nicht sehr schnell voran.“

Er drehte sich um und sah, wie sie sein Schwert und seinen Dolch aufhob. Auch diesmal hatte er eine gute Sicht auf ihre gerundete Kehrseite und die langen, wohlgeformten Beine.

„Warum nachts?“ Er räusperte sich, denn seine Stimme klang mit einem Mal ganz heiser.

„Damit keiner merkt, was ich tue“, antwortete sie.

Er dachte daran, dass der Junge doch bestimmt an den Gräbern vorbeigekommen war. Er war zwar noch klein, dennoch musste ihm klar sein, was sie dort tat. „Da liegen noch viele Tote, die begraben werden müssen.“

„Aye. Der Gestank ist mittlerweile so stark, dass ich es kaum noch aushalten kann.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Aber ich werde Doonhill erst verlassen, wenn ich fertig bin.“

Er versuchte, ihre Worte nicht an sich herankommen zu lassen. Er war hierhergeritten, um sich ein Bild über das Massaker zu machen und König Edward Bericht zu erstatten. Nicht um dieser Frau dabei zu helfen, ihre Verwandten zu beerdigen.

Sie zeigte auf die Tür, und er trat aus der Hütte hinaus. Sie folgte ihm in einigem Abstand mit seinem Schwert. Sie hatte es sich auf die Schulter gelegt, damit sie das Gewicht stemmen konnte. Es war so scharf geschliffen, dass es ihren Hals leicht durchschneiden konnte, und mit ihrem verletzten Knöchel war sie etwas unsicher auf den Beinen.

„Bitte, steckt es in die Schwertscheide an meinem Gürtel“, bot er an.

„Er passt nicht um meine Hüften.“

Er blieb stehen. „Ihr müsst es nicht an der Hüfte tragen. Aber bitte steckt es weg; sonst verletzt Ihr Euch womöglich noch!“

Sie sah ihn verwundert ab, doch sie tat, was er gesagt hatte. Nachdem sie das Schwert in dem Futteral wieder auf die Schulter gelegt hatte, liefen sie weiter.

Er verstand selbst nicht, warum er ihren Hals hatte retten wollen. „Euer Name ist also Gaira?“

Sie erstarrte. „Warum fragt Ihr?“

„Ich dachte, Gaira bedeutet …“

„Klein“, unterbrach sie ihn. Ihre Anspannung ließ nach. „Das stimmt. Ich glaube, meine Mutter hatte die Hoffnung, dass ich vielleicht nicht so hoch gewachsen wie meine Brüder werden würde.“

Sie hatte also Brüder. Hatte sie sie hier beerdigt, oder waren sie in der Nähe? Er hatte keinerlei Absichten, von ein paar Schotten aufgeknüpft zu werden.

„Ist der Junge jetzt in Sicherheit?“, wechselte er das Thema.

„Aye. Unser Lager liegt auf dem Hügel in einem Wäldchen. Er wartet dort, bis ich zurückkomme. Er wird sich nicht trauen, noch einmal ungehorsam zu sein.“ Sie hielt an und zuckte mit den Schultern. „Oder er ist zu sehr damit beschäftigt, Honig zu naschen. Habt Ihr auch ein Lager hier?“

„Nein, ich bin gerade erst eingetroffen.“

„Kommen noch mehr Engländer?“

„Hättet Ihr das nicht besser fragen sollen, bevor Ihr mich gefesselt in Euer Lager bringt?“

Sie lachte, aber es klang ein wenig panisch.

Er fragte sich erneut, warum er bisher so ruhig mitgespielt hatte. Doch nun stieg leichte Besorgnis in ihm auf.

Sie hatte nicht erwähnt, ob außer ihr noch andere Leute in dem Lager waren. Er war sich ziemlich sicher, dass sie allein war. Außer ihren Fußspuren hatte er keine weiteren gesehen, doch das musste nichts bedeuten.

Gegen eine einzelne Schottin konnte er sich verteidigen. Aber er wusste nicht, was passieren würde, wenn sich dort weitere Menschen aufhielten. Er wollte nicht noch mehr Blut vergießen. Sie hatte ihn zwar gefesselt und ihm sein Schwert abgenommen, das bedeutete jedoch nicht, dass er sich nicht zur Wehr setzen konnte. Es sei denn, die Übermacht wäre zu groß. „Verzeiht bitte, aber ich fürchte …“

„Ihr braucht Euch nicht zu fürchten. Ich werde Euch schon nicht beißen. Dafür seid Ihr viel zu haarig.“

Er kniff verwundert die Augen zusammen, denn er verstand zunächst nicht, was sie meinte. Doch dann fiel ihm wieder ein, dass sein Bart und seine Haare wild wucherten.

Haarig. Der Ausdruck reizte ihn zum Lachen.

4. KAPITEL

Gaira blickte nach hinten und sah, dass der Fremde ihr ruhig folgte. Nein, ruhig war er nicht. Er wirkte nachdenklich und düster. So tief und dunkel wie der Grund eines wilden Flusses. Ja, dieser Mann hatte ebenso viel Kraft wie ein schottischer Gebirgsfluss. Und dieser Gedanke machte sie unruhig.

Er hatte kein Wort gesagt, seit er sein Pferd zurückgeholt hatte. Mit dem riesigen Tier am Zügel lief er hinter ihr her. Sie hatte zwar seinen Dolch und das Schwert, doch am Sattelknauf war ein noch größeres Schwert befestigt. Außerdem führte er einige Decken und zwei Beutel mit sich. Einer davon schien voller Münzen zu sein. Jedenfalls hatte sie das aus dem klimpernden Geräusch geschlossen. Er schwieg, doch sie konnte seine Gedanken beinahe fühlen, und sie versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.

Sie hatte einen Fremden in ihr Lager geholt. Einen englischen Soldaten, der ein blankes Schwert bei sich getragen hatte und der noch haufenweise andere Waffen dabeihatte. Doch ihr blieb keine andere Wahl, als ihn mitzunehmen.

Wenn er ihr wirklich etwas antun wollte, dann musste er ihr lediglich zum Lager folgen und warten, bis sie einen Moment unaufmerksam war. Daher würde es das Beste sein, ihn nicht aus den Augen zu lassen und ihm die Fesseln nicht abzunehmen. Doch sie war nicht dumm. Zunächst musste sie etwas klarstellen.

Sie wirbelte herum und blickte ihm direkt ins Gesicht. Er hielt abrupt an und schaute sie erwartungsvoll an.

Robert sah, wie die Frau ihn wütend anstarrte. In kürzester Zeit hatte er bereits die unterschiedlichsten Gefühle in ihrem Gesicht gelesen: Mut, Angst, Freundlichkeit, Zuneigung, Humor. Jetzt schienen unzählige Gefühle auf einmal auf sie einzustürmen. Doch ihre Miene verriet vor allem Entschlossenheit. Sie wollte ihm eindeutig etwas sagen und suchte nach den richtigen Worten. Gespannt fragte er sich, was es wohl sein mochte. Schon lange hatte es niemand mehr geschafft, seine Neugier zu wecken.

Dann sah er sie.

Hinter ihr erblickte er ein provisorisches Lager. Unter einem dampfenden Kessel brannte ein helles Feuer. Außerdem war Vollmond, sodass es ausreichend Licht gab, um alles deutlich zu erkennen.

„Wer sind sie?“

Ihre Augen, die eben noch so lebhaft und voller Gefühle gewesen waren, wurden plötzlich leer. Sie machte keine Bewegung, spannte dann aber kaum merklich die Schultern an und hob den Kopf. „Ihr werdet ihnen nichts tun, verstanden?“ Sie sprach ganz leise. „Wenn ihr es versucht, dann werde ich Euch noch viel mehr abnehmen als nur Euer Schwert.“

„Wer sind sie?“, wiederholte er.

Sie antwortete nicht, sondern blickte ihm unverwandt in die Augen.

Er ging an Gaira vorbei, direkt auf die vier Kinder zu, die von den Bäumen geklettert waren. Sie postierten sich in einer Reihe wie Soldaten. Gaira lief zu ihnen und stellte sich hinter das größte Mädchen und flüsterte etwas. Dabei beobachtete sie ihn ununterbrochen.

„Kinder, das ist Robert of Dent, er ist Engländer.“ Sie straffte sich und sprach lauter. „Ich glaube nicht, dass er eine Gefahr für uns ist, also habe ich ihn für diese Nacht zu uns ins Lager eingeladen.“

Er spürte, wie ihr Misstrauen zu Angst wurde. Doch sie sagten noch immer keinen einzigen Ton und blieben einfach stehen.

Sie legte dem Mädchen eine Hand auf die Schulter und zeigte dabei kurz auf den Jungen, der links neben ihr stand und genauso groß wie das Mädchen war.

„Das sind Flora und Creighton. Sie sind neun und Zwillinge.“

Flora und Creighton hatten das gleiche braune Haar, und ihre Augen waren hellblau. Doch sosehr sie sich auch ähnelten, ihr Verhalten ihm gegenüber konnte unterschiedlicher gar nicht sein. Flora hielt den Blick starr nach unten gerichtet, ihre Lippen bebten. Creighton starrte ihn voller Wut an und hatte beide Hände zu Fäusten geballt.

Gaira trat zur Seite und streichelte kurz über das störrische, zerzauste Haar des kleineren Jungen. „Alec habt Ihr bereits kennengelernt.“ Alec lächelte, offenbar freute er sich darüber, ihm vorgestellt zu werden.

„Das ist Maisie.“ Gaira zeigte auf das kleine Mädchen an Alecs Hand. „Sie ist noch keine zwei Jahre alt, aber sie spricht schon ein wenig.“

Maisies Haar war hellblond, sie hatte runde tiefgrüne Augen und blickte ihn neugierig an. Er konnte sonst nicht viel von ihrem Gesicht erkennen, da sie ihre freie Hand im Mund hatte.

Er zwang sich dazu zu sprechen. „Sind das Eure?“

„Aye.“ Sie schob ihr Kinn vor.

Die Kinder sahen sich in keiner Weise ähnlich. Und sie ähnelten auch nicht der Frau, die da vor ihm stand. Er ließ den Blick durch das Lager wandern. Es bestand nur aus zwei Decken, die an Bäumen festgebunden waren. Das notdürftige Zelt bot kaum Schutz, sie würden niemals alle hineinpassen. Sie hatten auch nur ein einziges Pferd und lediglich eine Satteltasche.

Die Frau war ganz sicher nicht die Mutter dieser Kinder. Vielleicht war sie nicht einmal mit ihnen verwandt. Er wusste nicht, wer sie war oder ob sie überhaupt dem Clan der Colquhoun angehörte. Aber sie kümmerte sich um vier Kinder, die das Massaker überlebt hatten. Allein.

Und in der Nacht begrub sie die verwesenden Leichen ihrer Eltern. Allein.

Es sah so aus, als gäbe es niemanden, der sie beschützte, während in der Nähe einer der blutigsten Kriege tobte, den er je erlebt hatte.

Sie sah ihn mit herausforderndem Blick an. Ihr Haar löste sich an einigen Stellen aus der Flechtfrisur mit den vielen Zöpfen. Im Licht des Lagerfeuers konnte er sehen, wie groß ihre Tunika war. Das war kein Kleidungsstück einer Frau, sondern das eines Mannes. Warum trug sie Männerkleidung? Hatte sie sie bereits getragen, als sie hier ankam? Es gab zu viele offene Fragen.

Er hatte nicht gewusst, was ihn erwartete, als er in das kleine Bauerndorf aufgebrochen war. Er hatte bloß überprüfen wollen, ob die Gerüchte von den Gräueltaten stimmten, ob seine Landsleute tatsächlich zu solcher Grausamkeit fähig waren. Er hatte nicht mit Überlebenden gerechnet. Doch hier standen sie, direkt vor ihm: vier Kinder und eine Frau.

Und er hatte keine Ahnung, was er mit ihnen tun sollte.

5. KAPITEL

Was wird er tun?, fragte sich Gaira. Einen Moment spürte sie Angst in sich aufsteigen, doch dann beruhigte sie sich wieder. Seine Hände waren gefesselt. Er konnte ihnen nichts antun.

Sie blickte zu den Kindern hinüber. Creighton sah so aus, als ob er Robert am liebsten umbringen wollte, und Flora würde jeden Moment vor Angst in Tränen ausbrechen. Nur Alec schien einfach froh zu sein, dass er bei ihnen war. Maisie blickte mit ihren großen Augen bang umher. Für ihr zartes Alter hatte sie schon viel zu viel mit ansehen müssen.

Die Kinder waren verunsichert, weil sie den Fremden mitgebracht hatte. Doch sie konnte nichts dagegen tun. Sie war schließlich selbst überfordert mit der Situation. Dieser Engländer war hier, in ihrem Lager, obwohl ihre Familien kaltblütig von Engländern ermordet worden waren. Genau wie ihre Schwester. Sie schluckte, denn die Trauer schnürte ihr die Kehle zu.

Sie durfte ihn nicht aus den Augen lassen. „Ihr seid sicher hungrig. Möchtet Ihr etwas essen?“

Er blickte die Kinder an, als müsste er sie um Erlaubnis bitten, doch sie sahen ihn nur schweigend an. Er nickte, und Gaira atmete erleichtert auf.

Schluchzen.

Gaira erwachte. Die ersten Strahlen der Sonne durchdrangen den feinen weißen Nebel, der über dem Hügel lag. Wann war sie eingeschlafen? Es hätte nicht passieren dürfen.

Sie bewegte sich vorsichtig, um Maisie und Alec nicht zu wecken, die sich an sie geschmiegt hatten.

Sie hörte leise Schreie. Schon wieder hatte eins der Kinder einen Albtraum!

Der Wind blies ihr kühl ins Gesicht. Sie legte ihr Schultertuch fest um die beiden Kleinen und ging dann zu Flora und Creighton, die etwas näher am Feuer schliefen.

Flora war bereits wach. Sie schluchzte und streichelte ihrem Bruder verzweifelt über den Rücken.

Creighton gab keinen Laut von sich, doch sein ganzer Körper wurde geschüttelt, als ob Tausende Dämonen in ihm wüteten. Dieser Albtraum war schlimmer als der letzte.

Sie berührte Flora sanft, und das Mädchen zuckte erschrocken zusammen. „Lass mich mal“, sagte sie.

Flora machte Platz und krampfte die Hände zusammen.

Gaira begann leise zu singen und streichelte Creighton liebevoll über die Stirn, bis sich sein Atem beruhigte und sein Körper sich entspannte. Singen half. Einmal hatte ihn geweckt, und er hatte sich fürchterlich erschreckt. Das würde sie nicht noch einmal wagen.

Langsam wurde Creighton ruhiger. Schließlich wachte er auf und sah sie überrascht an.

Gaira lächelte und stand auf. Ein kalter Wind fegte um sie herum, und sie schlang sich die Arme schützend um den Körper. Dann erstarrte sie.

Robert saß auf dem Boden und starrte sie an. Zum ersten Mal nahm sie seine Gesichtszüge und die Farbe seiner tiefbraunen Augen bewusst wahr.

Sie achtete gar nicht mehr auf die Kinder und den beißenden Wind, denn sie konnte nur noch an seine Augen denken. Zuvor war es ihr so vorgekommen, als verstecke er sich, als ließe er seine Gefühle und Gedanken nicht an die Oberfläche vordringen, doch in diesem Moment schien alles, was sie über ihn und seine Welt wissen wollte, ausgebreitet vor ihr zu liegen. Er hielt seinen Blick auf sie gerichtet, aber plötzlich wurden seine Augen undurchdringlich und dunkel.

Sie hatte das Gefühl, als wäre sie zuvor in einem ruhigen, warmen Fluss geschwommen, der sich mit einem Mal in kalte, gefährliche Stromschnellen verwandelt hatte.

Verlegen sah sie zu Maisie und Alec hinüber, die noch immer schliefen. Dann blickte sie wieder ihn an.

Er war eindeutig wütend, und er sah Furcht einflößend aus.

Sein Haar schimmerte in einem warmen Braunton, es war lang und wirr und reichte ihm bis zu den Schultern. Es sah weich und wild zugleich aus. Sie zeichnete mit dem Blick jede einzelne Strähne nach. Plötzlich spürte sie ein seltsames Kribbeln in den Händen. Bekam sie wieder Angst?

Sie versuchte, sich zu beruhigen, und schüttelte die Arme. Dann reckte sie das Kinn und sah dem Engländer ins Gesicht. Ohne den Schutz ihrer Arme fegte der kalte Wind direkt über sie hinweg und drückte die Tunika und die Hose dicht an ihren Körper. Es war nicht sehr schicklich, doch es ließ sich nicht ändern. Sie würde nicht zeigen, dass sie Angst hatte.

Er blickte unruhig und zog die Stirn in Falten. Ja, er war furchterregend. Sie verstand selbst nicht, warum sie ihn mitgenommen hatte.

Seine ganze Erscheinung verriet, dass ihm sein Äußeres nicht wichtig war. Er trug einen Bart wie die Schotten, jedoch war seiner nicht schön säuberlich geflochten, sondern lang und zerzaust.

„Wir brauchen Nahrung“, sagte er.

Er sprach kurz und abgehackt, doch sein Tonfall war freundlich.

„Ich habe mehrere Fallen aufgestellt.“ Sie deutete in Richtung der Bäume. „Wir hatten aber nicht sehr viel Glück.“

Er unterbrach sie und hielt seine gefesselten Hände hoch. „Ich kann uns Nahrung besorgen, wenn Ihr mich losmacht.“

Arroganter Kerl! Sie blickte auf seine Hände. Sie hatte sie ihm vor dem Körper zusammengebunden hatte, damit er sich erleichtern konnte. Doch er sollte nicht denken, dass sie schwach war, bloß weil sie ihm diese Freundlichkeit erwiesen hatte.

„Ihr müsst bald etwas essen“, fuhr er fort.

Sie ging auf ihn zu. Da er noch immer am Boden saß, musste er zu ihr aufblicken. Eigentlich sollte er eingeschüchtert sein. Aber er schaute sie ruhig und selbstbewusst an.

Wer war er? Ein einfacher englischer Soldat? Nein, wahrscheinlich ein Adliger, vermutete sie.

Seine Kleidung war aus gutem Stoff gefertigt und ganz in Schwarz gehalten, ohne jede Verzierung oder Farbe. Sie war schlicht und zweckmäßig. Doch er hatte einen juwelenbesetzten Dolch bei sich, zwei Schwerter und einen Beutel voller Münzen. Das waren wertvolle Dinge, also musste er vermögend sein.

„Haltet Ihr mich tatsächlich für so gefräßig, dass ich unser Leben aufs Spiel setze und Euch losmache?“, gab sie zurück.

„Mir meine Waffen abzunehmen und meine Hände zu fesseln, reicht nicht aus, um mich außer Gefecht zu setzen“, entgegnete er. „Es hätte mich nicht davon abgehalten, Euch oder den Kindern etwas anzutun, wenn ich gewollt hätte.“

„Ich habe Euch auch nicht die Gelegenheit dazu gegeben, Engländer.“ Sie strich ihre Haare hinter die Ohren. „Und das werde ich auch nicht. Niemals.“

„Ach nein?“, gab er mit sanfter Stimme zurück. „Und als Euch gestern Nacht die Augen zugefallen sind? War das keine Gelegenheit für mich?“

Oh ja, er war arrogant und Furcht einflößend. Er saß auf dem Boden und war gefesselt und schaffte es dennoch, sie einzuschüchtern. Schlimmer noch, sie befürchtete, dass er die Wahrheit sagte. Sie war tatsächlich letzte Nacht ein oder zwei Mal eingeschlafen.

Sie war der einzige Schutz, den die Kinder hatten, und sie war sich nur allzu deutlich bewusst, wie wenig Sicherheit sie ihnen bieten konnte. Vor allem jetzt, da sie diesen Mann ins Lager gebracht hatte. Es mochte sein, dass er ihre Verwandten nicht ermordet hatte, doch sie wusste, dass er andere Menschen getötet hatte. Im Krieg. Es war zu gefährlich, ihn loszubinden.

„Ihr müsst etwas essen, Gaira“, fuhr er fort. „Und die Kinder sind gewiss auch hungrig.“

Ihr Widerstand schwand langsam dahin. Es stimmte, sie mussten sich dringend einmal richtig satt essen. Ihre Fallen gaben nichts her.

Er schien ihren Sinneswandel zu bemerken und stand auf.

„Welche Garantie gebt Ihr mir?“

„Keine“, sagte er, und seine Mundwinkel zuckten leicht. „Doch auch ich muss etwas essen. Vielleicht genügt das.“

Sie betrachtete sein Gesicht. Zwar lächelte er nicht richtig, aber immerhin versuchte er es. Sie löste die Knoten an seinen Händen. „Ihr dürft das Schwert oder den Dolch nicht hier im Lager benutzen. Ich lasse es nicht zu, dass die Kinder Euch mit einer Waffe in der Hand sehen.“

Sie wartete nicht, bis er ging, sondern hinkte zum Feuer, um Holz nachzulegen. Als sie hörte, wie sich seine Schritte vom Lager entfernten, atmete sie tief aus.

Nun war er weg, und es gab keinen Grund für ihn, zurückzukehren und sich um sie zu kümmern. Es machte ihr Angst, dass sie ihm so viel Vertrauen schenkte, obwohl sie nicht wusste, ob er es überhaupt verdiente.

Er war ein Adliger, sah aber aus wie ein armer Mann. Er war rätselhaft und undurchdringlich, als ob er sich versteckte und jemand anderes sein wollte.

Doch unter seiner Oberfläche schimmerte etwas – wie unter dem Wasser des Sees am Dorfrand. Aber sie konnte nicht länger über diesen Mann nachdenken. Maisie musste gefüttert und gewickelt werden. Sie würde den Kindern erklären müssen, dass sie wieder allein waren. Sie wusste nicht, ob das ein Vor- oder ein Nachteil war.

Busby packte die wenigen Dinge ein, die er brauchen würde, und lief die schmale Steintreppe des Turms hinab.

Die Binsen auf dem Boden der Halle seiner Burg machten ein schmatzendes Geräusch, wenn man darüberlief, so feucht waren sie. Selbst im Dämmerlicht konnte man die Fettspritzer an den Wänden sehen und die weggeworfenen Knochen, die herumlagen. Er sog die Luft ein, es roch nach feuchtem Holz und fauligen Essensresten, und er konnte es kaum abwarten, nach draußen zu kommen. Doch dann sah er, dass seine drei Jüngsten auf dem Boden herumkrabbelten und mit Stöckern auf die Binsen einschlugen.

„Was macht ihr drei denn bei so schönem Wetter hier drin? Ihr solltet rausgehen.“

Die Kinder sprangen auf und umklammerten seine Arme und Beine. Er wollte auf keinen Fall aufgehalten werden und wurde ungeduldig, doch er nahm sich zusammen und rief: „Was haben wir denn da?“ Die Kinder kicherten vergnügt und umklammerten ihn noch fester.

Busby kannte dieses Spiel bereits. Er ging in die Hocke, und sofort krabbelten die Kleinen auf seinen Rücken. Er hob alle drei hoch, stand auf und ging nach draußen, wo er sie schließlich abschüttelte.

„Warum habt ihr auf die Binsen eingedroschen?“

Die Älteste der drei machte eifrig einen Schritt nach vorne. Ihm wurde ganz warm ums Herz, denn es war seine Tochter Fyfa. Sie war ein mutiges Mädchen.

„Wir haben Ungeziefer getötet, Papa, wie du es wolltest.“

„Ungeziefer?“

„Ja, wir haben gehört, wie du gesagt hast, dass du das ganze Ungeziefer in Schottland vernichten willst, und wollten dir helfen.“

Busby schnaubte. „Ihr macht euren Papa sehr stolz. Aber ich will nicht, dass ihr auf dem Boden herumkriecht. Das ist eurem Rang nicht angemessen. Wo ist Lioslath? Sie wird sich um euch kümmern.“

Fyfa verzog das Gesicht. „Sie macht die Ställe sauber.“

„Hmmm“, knurrte er. Seine älteste Tochter war sehr eigensinnig und sollte sich nach dem Tod seiner zweiten Gemahlin um den Haushalt kümmern. Doch sie verbrachte immer nur Zeit mit den Pferden oder trieb sich auf dem Feld herum. So würde sie niemals einen Mann finden, obwohl sie bereits im heiratsfähigen Alter war.

Wenn er doch wieder eine Ehefrau hätte!

„Ich will nie wieder sehen, dass ihr auf dem Boden kriecht!“ Er schubste sie in Richtung der Felder, und sie liefen davon. Dann ging er zu den Ställen.

Er trat mit dem Fuß ein paar Steine weg. Zum Teufel mit seiner Braut! Warum war sie davongelaufen? Doch er hatte eine Abmachung mit ihren verlogenen Brüdern, und er würde dafür sorgen, dass sie eingehalten wurde.

Als er die Einladung der Colquhoun-Brüder erhalten hatte, um ihre Schwester kennenzulernen, hatte er es zunächst für einen Scherz gehalten. Jeder in der Gegend wusste, dass seine zweite Frau schon seit Jahren tot war und dass er mit den Kindern und einer heruntergekommenen Burg ganz allein dastand. Niemals hatte ihn jemand in Erwägung für eine Ehe gezogen. Und auch er hatte seine eigenen fruchtlosen Bemühungen, eine Frau zum Heiraten zu finden, längst aufgegeben.

Er hätte von Anfang an misstrauisch sein sollen. Doch als er die gepflegte und gut geführte Burg der Colquhouns gesehen und ihre köstlichen Speisen probiert hatte und man ihm obendrein noch zwanzig Schafe angeboten hatte, wollte er den Handel unbedingt eingehen. Was für ein Dummkopf er gewesen war!

Schließlich führte man ihm seine zukünftige Braut vor. Ihr Gesicht war angeschwollen und voller roter Flecken. Dennoch war er überzeugt davon, einen guten Fang gemacht zu haben, und so packte er sie und ihre Habseligkeiten ein und nahm sie mit.

Doch sie war geflohen, noch bevor sie seine Burg betreten und seine Kinder kennengelernt hatte.

Dabei brauchte er so dringend jemanden, der ihm den Haushalt führte. Lioslath war mit der Aufgabe überfordert. Und seine Kinder brauchten unbedingt eine Mutter, die für ihre Erziehung sorgte. Für seine Älteste war es schon zu spät. Sie würde keine Dame mehr werden. Aber Fyfa war erst sieben, es bestand also noch Hoffnung.

Und sein Clan? Man erwartete von ihm, dass er mit einer wohlhabenden Braut und zwanzig Schafen zurückkam. Die Schafe hatte er, doch ohne Braut musste er sie zurückgeben.

Es gab nur zwei Orte, an die sie sich begeben haben konnte. Schließlich war sie nur eine schwache Frau. Sie würde nicht weit kommen. Sie musste entweder auf dem Weg Richtung Norden sein, und sein nichtsnutziger Bote hatte sie verpasst, oder sie war nach Süden geritten, wie ihre Brüder vermuteten.

Er wusste, dass ihre Brüder sie sofort zu ihm zurückbringen würden, wenn sie bei ihnen auftauchte. In unruhigen Zeiten wie diesen wollten sie sicher keine Fehde zwischen ihren beiden Clans heraufbeschwören.

Wenn sie in Richtung Süden unterwegs war, dann musste er sie allein finden und zurückbringen. Süße Vorfreude stieg in ihm auf, als er darüber nachdachte, wie er sich an ihr rächen würde.

Ja, er würde sie finden. Und während des Ritts nach Süden hatte er genug Zeit, um sich zu überlegen, wie er sie so bestrafen konnte, dass sie danach noch brauchbar für ihn war.

6. KAPITEL

Krötenmaul und Spinnenbein!“, rief Gaira. „Nicht schon wieder!“

Sie griff nach ihrem Haar. Es hatte sich gelöst, und der Wind zerzauste es. Sie hatte gerade versucht, die Strähnen ordentlich zu flechten, doch jetzt flattern sie wild durcheinander.

„Alec!“, rief sie scharf. „Alec! Wo bist du?“

Sie hörte weder eine Antwort, noch nahm sie eine Bewegung wahr, als sie sich umblickte.

Sie drehte sich um und ging humpelnd auf das Wäldchen zu. Wahrscheinlich hatte er sich dort versteckt. Und wahrscheinlich hatte er wieder etwas stibitzt.

„Alec!“, rief sie erneut. „Wenn du dir wieder was gestohlen hast, bekommst du eine Woche lang keinen einzigen Tropfen Wasser!“

Kichern.

Gaira wirbelte herum und sah, dass der Junge sich etwas tiefer in dem Wäldchen versteckte. Sie humpelte hinein und versuchte, ihn zu fangen. Alec rannte nun so schnell davon, wie ihn seine kleinen Beine tragen konnten. Sie schnitt ihm den Weg ab und überwältigte ihn spielerisch. Der Junge wand sich in ihren Armen, sah sie jedoch liebevoll an.

Sie lachte und nahm ihm die Beute, einen Beutel mit ein paar verhutzelten Äpfeln, ab. „Du musst aufhören zu stehlen. Ich habe schon genug damit zu tun, mich um alles im Lager zu kümmern. Und Nahrung suchen muss ich auch noch.“

Der Junge riss die Augen auf. „Kommt der Mann nicht zurück, Tante Gaira?“

Sie dachte nach. Er war ein hochmütiger, grimmiger Engländer. Doch er hatte ihnen nichts getan. Sie hoffte, dass es richtig gewesen war, ihm zu vertrauen. Obwohl es bereits später Vormittag war, war er noch nicht zurück.

„Ich glaube nicht“, antwortete sie. Sie wusste, dass der Junge ihre Sorge bemerken würde. Also piekte sie ihm schnell mit dem Finger in den Bauch. „Und jetzt steh auf und lass mich Essen machen, damit du dich stärkst, bevor wir von hier weggehen.“

Der Junge stand auf. „Gibt es dort kein Essen? Und wohin bringst du uns?“

Da sie hier in dem provisorischen Lager verhungern würden, hatte sie lange überlegt, wohin sie gehen konnten. Außer ihren Brüdern war ihr niemand eingefallen. Zwar war es ein Risiko, dorthin zurückzukehren, denn sie wollten, dass sie den Fiesling Busby heiratete. Aber vielleicht konnte sie sie davon überzeugen, sie ihm nicht auszuliefern. Immerhin gab es in der Burg ihres ältesten Bruders reichlich zu essen. „Ja, Kind. Es gibt eine Menge Essen bei mir zu Hause. Mein Bruder ist nämlich der größte und mächtigste Laird in ganz Schottland. Und seine Speisekammer ist so voll, dass er froh sein wird, wenn du ihm dabei hilfst, alles aufzuessen.“

Der Junge schmiegte sich an sie. „Sind wir dort in Sicherheit?“

Großer Gott, sie konnte es nicht sagen. Nichts war mehr sicher, seit ihr ältester Bruder sie hinter ihrem Rücken an den niederträchtigsten Laird in ganz Schottland verschachert hatte. Dennoch war das Land ihres Bruders der einzige sichere Ort, an den sie die Kinder bringen konnte.

Gaira drückte den Jungen noch fester an sich. „Ich verspreche, dass ich euch beschütze. Egal, wie schwer es ist.“ Dann packte sie ihn und kitzelte ihn. Alec wand sich und kicherte vergnügt. Alle Sorge war aus seinem kleinen Gesicht gewichen.

„Und nun beweg deinen kleinen, dicken Bauch zurück ins Lager und sieh zu, dass ich dich nie wieder beim Stehlen erwische!“

Lachend rannte Alec zurück, und sie folgte ihm nachdenklich.

Als sie zum Lager kam, sah sie Robert, der mehrere große Stücke Fleisch auf einen Stock spießte und sie dann über die Flammen hielt, sodass es laut zischte. Sogleich fing ihr Magen laut an zu knurren.

Doch nicht Roberts Rückkehr verwunderte sie und auch nicht die Tatsache, dass er Essen zubereitete. Nein, sie war überrascht, wie friedlich die Kinder dasaßen und Haferkekse knabberten. Ganz brav saßen sie in einem Halbkreis um das Feuer und um Robert.

Creighton jedoch ließ den Engländer nicht aus den Augen. Sie hatte das Bedürfnis, ihn zu trösten, ihm dabei zu helfen, seine Wut herauszulassen. Doch sosehr sie es sich auch wünschte, er hatte seine Sprache noch immer nicht wiedergefunden.

Als Robert zu ihnen gestoßen war, hatte sie sich am meisten um Creighton und Flora gesorgt. Sie waren die Ältesten und wussten, dass Engländer ihre Eltern umgebracht hatten.

Plötzlich sah Robert sie an, und sie stolperte.

„Das Fleisch ist gleich gar.“

Es war der Klang seiner Stimme, nicht seine Worte, der durch ihre dunklen Gedanken brach. Sie atmete tief ein und straffte sich. Was war bloß los mit ihr? Sie hatte das Gefühl, dass sich durch ihn ihre ganze Welt verändert hätte, dabei machte er ihnen bloß etwas zu essen.

„Ihr seid zurück“, sagte sie, ohne die Verwunderung in ihrer Stimme zu verstecken.

„Ja. Man muss die Fallen tiefer in den Wäldern legen. Hier gibt es keine Tiere.“

Sie wollte ihn fragen, warum er zurückgekommen war. Warum er sich das aufbürdete. Schließlich war er nicht für sie verantwortlich. Doch sie hatte zu viel Angst vor seiner Antwort und wollte nicht, dass die Kinder mithörten.

Und nun hatte er ihnen Essen gebracht und teilte seinen eigenen Proviant mit ihnen.

„Habt Ihr noch mehr Haferkekse?“, fragte sie. „Maisie wird hungrig sein, wenn sie aufwacht.“

„Jede Menge.“ Er sah zu Flora hinüber. „Aber ich habe bereits versprochen, dass ich welche für Maisie aufhebe.“

Floras Augen strahlten. Zweifellos war es die umsichtige Flora gewesen, die es gewagt hatte, Robert danach zu fragen.

Gaira biss in eins der Fleischstücke, das er ihr gereicht hatte. Es war zart und saftig. Überrascht sagte sie:

„Ich wusste nicht, dass Männer so gut kochen können.“

Er zuckte mit den Schultern und stach in das Fleisch hinein. „Ich esse eben gern.“

Genau wie ihre Brüder, aber trotzdem hatten sie sich nie bemüht, kochen zu lernen. Sie fragte sich, welche Fähigkeiten sich noch hinter seiner düsteren Fassade verbargen.

Aber es war noch zu früh am Tag, um so viel zu grübeln, und außerdem hatte sie genug eigene Sorgen. Sie nahm die schlafende Maisie von Floras Schoß.

„Sie braucht frische Windeln“, sagte sie in die Runde.

Sie trug sie zu dem Beutel, den sie an einen Ast gehängt hatte. Darin befanden sich die Leinenreste, die sie in der Hütte gefunden hatte. Sie nahm einen Streifen heraus, legte Maisie auf den Boden und wickelte sie schnell und geschickt.

Dabei dachte sie wieder an die prekäre Lage, in der sie und die Kinder sich befanden. Nicht weit von ihnen tobte der Krieg. Das allein war schon gefährlich genug. Doch ihre Hauptsorge galt nicht dem Kampfgeschehen und dem düsteren Engländer, sondern dem wütenden Schotten, der sie für seine Braut hielt. Noch schlimmer war, dass sie nach Hause gehen und ihren Bruder um Schutz anflehen musste. Denselben Bruder, der sie zu dieser absurden Heirat gezwungen hatte und die Schuld daran trug, dass sie das Gebiet ihres Clans verlassen musste.

Sie selbst würde freiwillig nie wieder dorthin zurückgehen. Aber da sie die Verantwortung für die Kinder übernommen hatte, musste sie zurück, um sie in Sicherheit zu bringen.

Ihr Fluchtplan, im Dorf ihrer Schwester Unterschlupf zu finden, hatte sich sprichwörtlich in Rauch aufgelöst.

Ihr Entschluss, die Toten aus dem Dorf zu begraben, hatte sie viel Zeit gekostet. Wenn Busby sie einholte, dann würde sie die Kinder nicht zu ihrem Clan bringen können.

Maisie griff spielerisch nach dem Gras, auf dem sie lag. Gaira stand hastig auf. Dabei drehte sie sich etwas zu schnell um und strauchelte. Vorsichtig hob sie ihren verletzten Fuß an und versuchte, ihn langsam hin und her zu bewegen. Ihr Knöchel war immer noch so stark geschwollen, dass sie kaum in ihren Stiefel passte. Sie seufzte.

Doch dann straffte sie sich und rief sich zur Ordnung. Robert hatte ihnen Essen besorgt, und sie hatten ein kräftiges Pferd. Glücklicherweise war es nicht weit gelaufen, nachdem es in Panik geraten war. Sie war klug genug, um sie alle aus dieser misslichen Lage herauszuholen. Das Einzige, was sie nicht hatten, war Zeit. Sie hob Maisie hoch und setzte sie auf ihre Hüfte. Sie musste die Dinge in die Hand nehmen, denn es würde niemand kommen und ihr helfen.

Sie drückte Maisie fest an sich.

Und Robert? Nein. Er würde ihnen nicht helfen.

Doch plötzlich keimte Hoffnung in ihr auf. Er war nach der Jagd zu ihnen zurückgekehrt, er hatte Nahrung für sie besorgt und sie für sie zubereitet.

Vielleicht war er die Antwort auf ihre zahllosen Gebete. Zwar war er ein englischer Soldat, aber er war hier. Und das war alles, was zählte. Jetzt war sie sicher, Robert of Dent würde ihr helfen.

Sie nahm Maisie auf die andere Seite und ging los. Wenn ihr Knöchel nicht so schmerzen würde, wäre sie vor Freude gehüpft.

„Aye, du bist ein großes Mädchen, nicht wahr?“ Sie drückte das Kind fest an sich.

„Groß!“ Maisie griff sich einen von Gairas Zöpfen und zog daran.

„Genau, groß wirst du, stimmt’s?“ Gaira schwang die Kleine herum und humpelte zu den anderen.

Alec kam zu ihnen. „Kann ich mitspielen?“

Sein Gesicht war fettverschmiert und voller Krümel von den Haferkeksen. Sie tat so, als würde sie nur ungern einwilligen. „Ich glaube, ja.“

Sie setzte Maisie ab und nahm nun Alec hoch, passte auf, dass sie nur ihren gesunden Fuß belastete, und schwang Alec schnell vor und zurück, so schnell, dass er vor Freude jauchzte.

Dann wurde ihr schwindlig, und sie setzte Alec lachend ab, streckte sich im Gras aus und beobachtete, wie sich der Himmel über ihr drehte.

Sie seufzte und kicherte abwechselnd. Mit einem Mal wurde es dunkel. Robert stand über ihr und warf mit seinem kräftigen Körper einen tiefen Schatten auf sie.

Gaira konnte nicht genau sagen, ob ihr so schwindlig war, weil sie mit Alec herumgewirbelt war, oder wegen der warmen braunen Augen, die nun auf sie gerichtet waren.

„Wir müssen reden“, sagte Robert.

Ja, das mussten sie. Sie stand auf. Maisie war hinter einen Baum gelaufen.

Gaira lächelte Flora an. „Bitte pass auf Maisie auf. Und Alec soll Feuerholz sammeln. Wir haben fast nichts mehr. Ich bin gleich wieder da.“

Sie wandte sich Robert zu. „Lasst uns ins Dorf gehen.“

Seit ihrer Ankunft hatte sie nicht gewagt, bei Tageslicht ins Tal hinabzusteigen. Aber dort konnten sie ungestört miteinander reden. Und wer weiß, vielleicht würde er ihr angesichts des Grauens dort unten ja seine Hilfe anbieten.

Robert folgte ihr. Er versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass er ihr bloß aus reiner Neugier dabei zusah, wie sie sich bewegte. Doch er musste sich eingestehen, dass ihn das Schwingen ihrer Hüften erregte.

Er musterte ihre Erscheinung. Das tiefgrüne Schultertuch unterstrich ihre Haarfarbe. Ihr Haar war nicht dunkelbraun, wie er zuerst gedacht hatte, sondern flammend rot. Nicht das blasse Rotblond englischer Damen, sondern ein leuchtendes Rot wie von einer Mohnblume. Er erinnerte sich, dass ihre Augen in einem warmen Braunton schimmerten – wie schottischer Whisky, und ihre Haut war übersät von unzähligen kleinen Sommersprossen. Ihre vollen Lippen hatten die Farbe von Hagebutten.

Je weiter sie liefen, desto stärker humpelte sie, und er ging langsamer.

Er hatte noch nie zuvor eine Frau wie sie gesehen. Schon allein durch ihre Haarfarbe war sie eine Erscheinung. Doch ihre hochgewachsene Figur machte sie zu einer Besonderheit. Sie war keine klassische Schönheit. Ihre Nase war sogar leicht schief und ihr Kinn ein klein wenig zu spitz, aber das unterstrich nur ihre Attraktivität.

Er spürte, wie sich Verlangen in ihm regte. Er wollte sie. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Er musste seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenken.

Er schloss zu ihr auf. „Als Ihr in das Dorf kamt, hattet ihr noch nicht vier Kinder dabei, oder?“

„Nein. Sie sind die einzigen Überlebenden.“

„Ist der Junge stumm?“

Eine kleine Falte bildete sich zwischen ihren Augen, und sie schüttelte den Kopf. „Creighton weigert sich zu sprechen.“

Das hatte er vermutet. Der Junge hatte ihn den ganzen Morgen lang schweigend und voller Hass angesehen. Zum Glück war Alec da gewesen und hatte die unangenehme Stille mit seinem Geplapper gefüllt.

Es hatte viel unangenehmes Schweigen gegeben. Er hatte nicht gewusst, wie er sich den Kindern gegenüber verhalten sollte. Deswegen war er auf die Jagd gegangen und hatte ihnen allen etwas zu essen zubereitet. Aber glücklicherweise würde er sich nicht mehr lange um sie kümmern müssen.

Der Abstieg ins Tal wurde steiler, und Gaira geriet ins Straucheln.

„Hier, ich helfe Euch.“ Er ging näher zu ihr und reichte ihr seine Hände.

Doch sie winkte ab. „Ich kann das sehr gut allein.“

Er zeigte auf ihren Knöchel. „Ist er gebrochen?“

„Ich glaube nicht.“

Mehr sagte sie nicht, aber er vermutete, dass der Knöchel noch stark geschwollen war. Er hatte noch nie eine Frau gesehen, die nicht klagte, wenn sie eine Verletzung hatte.

„Ihr sagtet, dass Ihr auf dem Weg nach Doonhill wart, als der Überfall passierte“, setzte er erneut an.

„Ja, ich glaube, ich bin nur wenige Stunden später eingetroffen. Ich wollte meine Verwandten besuchen.“

„Allein?“

„Ja, allein.“ Er merkte, dass sie vorsichtig wurde. „Aber wieso interessiert Euch das?“

Da er keine Antwort darauf wusste, stellte er eine andere Frage. „Warum reist eine Frau allein durchs Grenzgebiet und trägt Männerkleidung?“

Sie strauchelte erneut, doch er tat diesmal so, als ob er es nicht bemerkte.

„Warum reist ein englischer Soldat allein durch Schottland, um sich ein Dorf anzusehen, das von seinen Landsleuten verwüstet wurde?“

Darauf wollte er ihr keine Antwort geben. Was würde sie denken, wenn sie wüsste, dass er kein einfacher Soldat war, sondern ein Anführer im Dienste König Edwards – „Black Robert“, der gefürchtetste Ritter Englands?

Irgendwann hatten die Menschen angefangen, Lieder und Geschichten über Black Robert zu dichten. Und je mehr Heldentaten er vollbrachte, desto mehr Legenden wurden um ihn gesponnen. Inzwischen konnte er kein Schlachtfeld mehr betreten, ohne dass man ehrfürchtig seinen Namen flüsterte.

Sie hatten nun das Tal erreicht und liefen zu der Stelle, wo sie angefangen hatte, Gräber auszuheben. Als sie sich den Toten näherten, räusperte sie sich.

Er wartete. Obwohl er selbst um das Gespräch gebeten hatte, wusste er genau, warum sie ihn hierhergeführt hatte. Im Tageslicht sah man das ganze Ausmaß der Grausamkeit. Kinder mit abgehackten Gliedmaßen und Männer und Frauen, die der Länge nach aufgeschlitzt worden waren, lagen in einer Reihe auf dem Boden.

„Helft Ihr mir?“

Tote waren vollkommen alltäglich für ihn, sie gehörten zum Krieg dazu. Er und seine Soldaten hatten schon viele Menschen begraben. Doch sie war kein Soldat. Gewiss hatte sie noch nie zuvor solche Gräueltaten gesehen. Warum tat sie sich selbst so etwas an?

„Warum zieht Ihr nicht einfach mit den Kindern weiter?“

„Das kann ich nicht.“ Sie hielt inne. „Also, werdet Ihr mir helfen? Sie müssen so schnell wie möglich begraben werden.“

„Es wäre wesentlich einfacher, sie zu verbrennen“, entgegnete er.

Sie schnaubte empört. „Sie haben schon genug Feuer gesehen.“

Die Welle der Trauer, die nun über ihn hinwegfegte, traf ihn völlig unvorbereitet. Er war es nicht gewohnt, dass seine Gefühle sich regten. Doch diese Frau hatte ihn hierhergebracht und war dafür verantwortlich, dass die Trauer mit einem Mal wie ein spitzer Dolch auf ihn einstach und ihn quälte.

Es gab überhaupt keinen vernünftigen Grund für ihn, hier zu sein. Das Ganze war ein Albtraum. Um sich zu beruhigen, knetete er die angespannten Muskeln in seinem Nacken. Vielleicht konnte er so das beklemmende Gefühl loswerden, das auf seinen Schultern lastete.

Doch es war kein Albtraum gewesen, der ihn an diesen Ort geführt hatte, sondern eine Erinnerung. Das wurde ihm jetzt klar. Eine, die er schon lange vergeblich zu vergessen versuchte.

Schon lange Zeit hatte er keine Trauer mehr empfunden. Und es war noch viel länger her, seit er zuletzt an jenes Feuer gedacht hatte. Aber heute war beides zurückgekommen, die Trauer und die Erinnerung.

Der Gedanke, dass ein ganzes Dorf ausgelöscht worden war, wühlte ihn auf. Und seine Landsleute waren dafür verantwortlich. Auch er war Engländer. Er konnte das Gefühl der Schuld nicht von sich abschütteln, sosehr er es auch versuchte.

„Also, werdet Ihr sie begraben? Damit sie in Frieden ruhen können?“, wiederholte sie. „Und zwar bald?“

Er konnte die Verzweiflung in ihrer Stimme hören. Sie war allein und konnte jede Nacht nur ein paar Stunden arbeiten. So würde sie noch mindestens eine Woche brauchen, bis alle Toten beerdigt waren. Und das bedeutete, dass sie noch länger den Gefahren hier draußen ausgesetzt sein würde.

„Ihr seid ein hohes Risiko eingegangen, indem Ihr so lange hiergeblieben seid.“

„Aber es sind ihre Familien … Nein, ich musste es tun, damit die Kinder wissen, dass ihre Verwandten in Frieden ruhen.“

„Ich bin sicher, sie sind sehr dankbar für all die Mühen, die Ihr auf Euch genommen habt. Doch es wäre unvernünftig, noch länger hierzubleiben. Die Männer, die das getan haben, können jederzeit zurückkommen und Euch und die Kinder töten.“

„So wie Ihr zurückgekommen seid?“

„Ich habe Euch schon gesagt, dass ich nicht zu ihnen gehöre.“

Der ängstliche Ausdruck verschwand aus ihrem Blick. „Ja, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch glauben kann. Ihr seid eindeutig ein englischer Soldat und seid bestimmt nicht zufällig hier.“

Er gab ihr keine Antwort. Für ihn war es ohne Bedeutung, ob sie ihm glaubte.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Doch das tut nichts zur Sache, wir müssen das nicht jetzt klären. Sie sind nicht wiedergekommen, und alles, worum ich Euch bitte, ist Eure Hilfe.“

Sie gab einfach nicht auf. Sturheit war also eine weitere Eigenschaft an ihr, die er noch nicht kannte. „Aber es warten noch viel mehr Gefahren auf Euch hier draußen. Die Kinder haben mir gesagt, dass Ihr kaum noch etwas zu essen habt. Ihr könnt niemals genug Nahrung beschaffen, um fünf Menschen satt zu machen.“

„Wir haben es bis jetzt auch geschafft.“

„Aber wie lange noch?“

Sie wirbelte herum und sah ihn wütend an. Sie baute sich in voller Größe vor ihm auf. „Ich hatte gehofft, dass ich längst fertig sein würde. Doch mein Knöchel macht mir zu schaffen. Also, werdet Ihr mir helfen? Natürlich weiß ich sehr wohl, dass wir nicht mehr lange hier draußen überleben können. Das brauche ich mir nicht von Euch sagen zu lassen. Aber ich frage mich, was für ein Mann das ist, der einer Frau abschlagen würde, ihr dabei zu helfen, ihre Verwandten zu beerdigen?“

Zornig machte sie einen Schritt nach vorne und hob einen Spaten vom Boden auf. Das halb verkohlte Werkzeug war kaum zu gebrauchen und würde ihnen die ohnehin schon schwierige Arbeit nicht gerade erleichtern.

Ja, sie war stur. Sie reckte das Kinn nach vorne und sah ihn herausfordernd an. Aber ihre Lippen zitterten, und er sah, dass sie unter ihren Sommersprossen blass geworden war.

Robert fluchte. Doch dann ging er zu ihr hinüber und riss ihr den Spaten aus den Händen. Der Ruck war so heftig, dass sie ein wenig stolperte, und er fasste sie schnell am Arm, damit sie das Gleichgewicht wiederfand.

„Ich werde Eure Toten heute noch beerdigen“, knurrte er.

Er konnte sehen, wie ihre Wut dahinschmolz. Ihr Mienenspiel verriet ihm, dass sie jetzt mit einem Ansturm der Gefühle kämpfte.

„Warum seid Ihr mit einem Mal so freundlich?“ In ihrer Stimme lag Trauer und Schmerz.

Plötzlich sah er vor seinem inneren Auge das Bild eines zierlichen Körpers, der in ein weißes Tuch eingewickelt im Gras lag. Sofort ließ er ihren Arm los, und sie drohte zu fallen. Doch diesmal half er ihr nicht.

„Ich werde Eure Toten beerdigen“, wiederholte er. „Aber Ihr täuscht euch. Ich tue es nicht aus Freundlichkeit.“

Er rammte den Spaten in die umgepflügte Erde. Das Schaufelblatt krümmte sich, brach jedoch nicht. Er begann zu graben.

7. KAPITEL

Es war schon spät, und Gaira stand auf dem Hügel und blickte hinab ins Tal. Sie nahm das Reisig und die Zweige, die sie für die Gräber gesammelt hatte.

Von ihrem Standpunkt aus konnte sie die frisch angelegten Gräber und den See überblicken. Doch sie starrte nicht auf das Wasser, sondern auf den Mann, der dort unten unermüdlich arbeitete.

Es war ein ungewöhnlich heißer Tag, und er hatte sich die warme Kleidung ausgezogen. Er trug nichts weiter als kurze wollene Hosen wie ein Bauer. Doch dieser Mann war kein Bauer.

Er schuftete ohne Unterbrechung. Weil sie ihn darum gebeten hatte, stach er den Spaten immer wieder in den Boden. Dabei sah er nicht wie ein Feldarbeiter aus, sondern wie jemand, der normalerweise selbst die Kommandos gab. Vielleicht lag es an seiner Kopfhaltung oder der Art, wie er die breiten Schultern bewegte. Oder an seinem Schwert, das neben ihm in der Sonne glänzte. Sein Körper war sehnig, und er strotzte nur so vor Kraft.

Gaira fühlte ein merkwürdiges Ziehen tief in ihrem Inneren, und ihre Finger fingen wieder an zu kribbeln. Sie wusste noch immer nicht, was es damit auf sich hatte, doch Angst war diesmal sicher nicht die Ursache.

Schnell konzentrierte sie sich auf die Dinge an ihm, die weniger ansprechend waren: das unordentliche, lange Haar, der zottelige Bart, die vielen Narben … Doch es half nichts. Er gefiel ihr trotzdem.

Du bist eine dumme, bei Neumond geborene Gans, Gaira of Colquhoun!

Sie hatte wirklich Wichtigeres zu tun, als darüber nachzudenken, dass Robert of Dent ein gut aussehender Mann war.

Schnell wandte sie den Blick von Robert ab und sah, dass er mehrere neue Gräber ausgehoben hatte. In weniger als einem Tag würde er fertig sein.

Er war wirklich ein widersprüchlicher Mann. Sie hatte ihn angefleht, mit ihm gestritten, doch er hatte den Spaten erst in die Hand genommen, als sie bereits die Hoffnung aufgegeben hatte. Mit einem Mal hatte er eingewilligt, ihr zu helfen, und sie verstand noch immer nicht, warum.

Natürlich arbeitete er viel schneller, als sie es jemals gekonnt hätte. Aber würde sie rechtzeitig zu ihren Brüdern gelangen, bevor ihr Bräutigam sie fand? Mit etwas Glück konnte sie es noch schaffen. Doch dafür brauchte sie Roberts Hilfe.

Sie hielt die Zweige behutsam fest und begann langsam ins Tal hinabzusteigen. Aber obwohl sie sich vorsichtig bewegte, stieß sie mit dem Fuß gegen einen Stein und stolperte. Unwillkürlich ließ sie das Reisig und die Birkenzweige fallen.

Ach, du bist einfach zu nichts zu gebrauchen!

Ärgerlich begann sie, alles wieder einzusammeln.

Ja, das bist du! Ein tollpatschiger Trottel!

Sie ließ sich rückwärts den Abhang hinabrutschen, bis es flach wurde, stand auf und drehte sich um. Robert stand direkt vor ihr. Gaira erschrak und stolperte erneut, sodass die Zweige wieder durch die Luft flogen und sie selbst gegen seine Brust stieß.

Mit einem Mal bestand ihre ganze Welt nur noch aus diesem Mann, und sie konnte seine schweißüberzogene, glatte Haut an ihren Händen spüren, als sie sich an seinen Schultern festklammerte. Sie krallte ihre Finger in die kräftigen Muskeln. Sie fühlte ein seltsames Ziehen in ihren Brüsten, und ihre Beine wurden ganz schwach, sodass sie taumelte und sich noch fester an ihn drückte, um nicht den Halt zu verlieren.

Robert sog scharf den Atem ein, als ob er in eiskaltes Wasser gefallen wäre. Dann machte er sich ruckartig von ihr los.

Sie verlor das Gleichgewicht und fiel. Doch er umfasste blitzschnell mit seinen starken Armen ihre Taille und hielt sie fest.

Verschämt und verwirrt lag sie in seinen Armen. Prüfend bewegte sie ihren verletzten Fuß hin und her. „Ach, ich glaube, es ist nicht schlimmer ge …“

Doch als sie seinen Blick sah, konnte sie den Satz nicht zu Ende bringen.

Gierig betrachtete er ihr Gesicht, als wäre sie ein Festmahl und er ein Verhungernder. Plötzlich war sie sich nur zu sehr ihres hohen Wuchses, ihrer kleinen Brüste und ihrer langen Beine bewusst. Und das Kribbeln in ihren Fingern ging jetzt in Wellen auf ihren ganzen Körper über.

Die ganze Zeit hatte sie voller Verlangen seine starken Arme betrachtet, und nun hatte er sie fest um sie geschlungen und hob sie hoch.

Sie musterte sein markantes Gesicht und entdeckte einige kleine Narben. Sein Bart verdeckte die vollen Lippen nicht.

Gleich würde er sie küssen! Sie öffnete leicht den Mund und atmete hörbar aus.

Doch er ließ sie los und trat einen großen Schritt von ihr weg. Scham und der Schmerz darüber, zurückgewiesen worden zu sein, machten sich in ihr breit. Sie starrte auf die Steine auf dem Boden, um ihn nicht ansehen zu müssen. Einen Moment lang sagte keiner von ihnen ein Wort, es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Schließlich gab sie sich einen Ruck.

„Seid Ihr fertig?“

„Beinahe“, erwiderte er einsilbig.

Verstohlen sah sie ihn an, doch er erwiderte ihren Blick nicht.

„Was wollt Ihr mit den Zweigen?“

Die Birkenruten mit frischem Laub, die anderen kleinen Äste und Farnblätter lagen in wildem Durcheinander auf dem Boden verstreut. Genauso durcheinander fühlte sie sich auch.

Sie zog die Stirn in Falten, es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich will damit die Gräber schmücken, um so die Toten zu ehren.“ Sie begann, die Zweige aufzusammeln. Er half ihr nicht dabei. „Ich möchte ihnen damit zeigen, dass sie mehr waren als …“

Sie konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, denn die Trauer um ihre Schwester übermannte sie. Auch die Vorstellung, wie die Kinder ihre Familien verloren hatten, war viel zu schmerzhaft. Sie ging zu den Gräbern und legte die Birkenzweige und Farnblätter darauf. Sie war froh, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte, während sie sie verteilte.

Jetzt musste sie sich nur noch um eine Sache Sorgen machen, und die betraf sie selbst. Sie musste ihre Gedanken wieder unter Kontrolle bekommen und dem lächerlichen Begehren, das sie für diesen Fremden empfand, ein Ende setzen.

Sie fuhr sich mit den Handrücken über das Gesicht und überlegte, wie sie das unerträgliche Schweigen brechen konnte.

„Ich habe etwas zu essen gemacht“, sagte sie schließlich.

Da er nicht antwortete, sah sie zu ihm hinüber. Er stand da und betrachtete die geschmückten Gräber.

Zögerlich ging sie zurück zum Lager. Er folgte ihr, doch als sie auf dem Hügel erneut strauchelte, half er ihr nicht.

Trauer, Wut und Begehren, all diese Empfindungen stürmten gleichzeitig auf ihn ein, während er Gaira zum Lager folgte. Die geschmückten Gräber hatten schmerzvolle Erinnerungen in ihm aufgewühlt. Seine Gefühle konnten kaum widersprüchlicher sein. Schmerz, Trauer, Lust. Dazu kam noch seine Wut darüber, dass er überhaupt etwas fühlte.

All die Jahre der Enthaltsamkeit wurden ihm plötzlich schmerzhaft bewusst, während er hinter Gaira den Hang hinaufstieg. Er starrte auf ihr feuerrotes geflochtenes Haar. Die Zöpfe reichten bis an ihre geschwungenen Hüften. Er blickte weiter an ihr hinab, bewunderte ihre langen, geschmeidigen Beine …

Die Situation war schon schwierig genug, auch ohne sein Verlangen nach dieser Frau. Er hatte Hugh gesagt, wohin er wollte, als er aufbrach, hatte allerdings nicht vorgehabt, so lange zu bleiben. Nun würde er mit sehr viel Verzögerung zu seiner Truppe zurückkehren. Doch jetzt waren ihre Toten beerdigt, und damit endete auch seine Verpflichtung ihr gegenüber.

„Es ist schon spät“, sagte er. „Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich noch eine weitere Nacht an Eurem Feuer verbringen.“

Sie ging ruhig weiter. „Aye.“

„Ich gebe mir Mühe, die Kinder nicht zu wecken, wenn ich morgen früh aufbreche.“

Sie blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe zusammengestoßen wären. Dann fuhr sie herum, ihre langen Zöpfe wirbelten durch die Luft und schlugen gegen seine Arme.

„Was meint Ihr damit, wenn Ihr morgen früh aufbrecht?“, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich habe meinen Männern gesagt, dass ich nicht länger als einen Tag weg sein würde, und jetzt sind es schon fast zwei Tage. Wenn ich nicht bald zurückkomme, werden sie mich suchen.“

Eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Augen. „Morgen hatte ich vor, mit den Kindern zu meinen Brüdern ins Gebiet der Colquhoun zu reisen. Es liegt nördlich von hier, am Firth of Clyde.“

Er wusste nicht, was das damit zu tun hatte, dass er am Morgen zurückreiten wollte. Doch er wusste genau, wo sich die Meeresenge, von der sie sprach, der Firth of Clyde, befand.

„Das liegt mehrere Tagesritte nördlich von hier. Mit vier Kindern und nur einem Pferd werdet Ihr es niemals schaffen.“

Sie fragte ihn nicht, warum er sich als Engländer so gut in Schottland auskannte. „Doch, das werde ich.“

Er drehte sich jetzt ganz zu ihr um und wartete, dass sie ihm mitteilte, dass ihre Verwandten bald hier sein und sie abholen würden und dass es das Beste war, wenn er möglichst schnell verschwand.

Doch sie sah ihn nur durchdringend an, als wartete sie darauf, dass er etwas sagen würde. Selbst ein Narr würde erkennen, dass ihr Plan lebensgefährlich war.

„Mit nur einem Pferd könnt Ihr es niemals schaffen“, wiederholte er. „Flora ist zu schwach, seelisch und körperlich. Alec und Maisie sind noch zu klein, um so lange zu reiten.“ Er machte einen Schritt auf sie zu. „Was wollt Ihr tun, wenn Euch die Haferkekse für Maisie ausgehen? Was soll sie essen? Und Creighton spricht nicht. Was, wenn er irgendwo eine Bedrohung sieht, Euch aber nicht warnt?“

Sie öffnete empört den Mund, erwiderte dann aber nichts. Anscheinend hatte sie keine Antwort darauf.

Gaira blieb bewegungslos stehen. „Ihr seid wirklich gut darin, mir vor Augen zu halten, was ich nicht kann oder nicht tun sollte. Aber Ihr habt hier nichts zu sagen. Alec ist zwar klein, doch er ist schlau und hat einen starken Willen.“ Ihre Hände waren jetzt zu Fäusten geballt. „Maisie hat zwar noch nicht alle Zähne, aber schon ein paar. Wenn wir keine Haferkekse mehr haben, dann zerkleinern wir eben das Fleisch. Ich werde schon dafür sorgen, dass sie nicht hungert.“

Sie funkelte ihn an. „Und was Flora und Creighton betrifft: Ich gehe nicht davon aus, dass sie schon immer schwach und stumm waren. Ich glaube, dass Eure Männer etwas damit zu tun hatten. Aber sie haben überlebt.“

Hinter ihr ging die Sonne bereits unter. Im roten Abendlicht sah es aus, als ob ihr Haar in Flammen stünde. Ihre braunen Augen erstrahlten in einem warmen Goldton. Sie bestand nur aus flammender Wut und eisernem Willen, und sie raubte ihm beinahe den Verstand. Gegen seinen Willen dachte er darüber nach, wie ihr Haar wohl aussehen würde, wenn es nicht geflochten war, und welche Farbe ihre Augen hätten, wenn sie Lust statt Zorn empfand. Was für ein Narr er doch war!

„Sie werden es schaffen“, sagte sie entschlossen.

Sie trat auf ihn zu, und er konnte den Duft ihres Haares wahrnehmen, eine Mischung aus frischem grünem Laub und etwas Süßem, wie eine Waldbeere.

Er zwang sich, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. „Ihr sorgt im Moment für sie. Aber sie haben bestimmt Verwandte, die sie aufnehmen würden.“

„Denkt Ihr wirklich, dass ich nicht darüber nachgedacht habe?“ Sie winkte entrüstet ab. „Flora sagt, dass sie zwar Angehörige in einem anderen Dorf habe, aber sie weiß nicht, wie es heißt. Alec ist zu jung, um so etwas zu wissen.“

„Und Maisie?“

„Ich weiß, wer ihre Familie ist“, sagte sie. „Und dieses Gespräch wird nicht das Geringste an meinen Plänen ändern. Ich muss mit ihnen zu meinen Brüdern. Es ist der einzige Ort, den ich kenne, an dem man sich um sie kümmern wird.“

Er wusste, dass er sich nicht mit ihr darüber streiten konnte, an welchem Ort die Kinder in Sicherheit waren. Und er konnte sie nicht mit zu seinem Truppenlager nehmen, selbst wenn sie oder die Kinder das gewollt hätten. Gewiss, es war sehr gefährlich, den langen Weg zu ihren Brüdern auf sich zu nehmen, doch ihm fiel ebenso wenig ein besserer Ort für sie ein.

„Ihr werdet es niemals schaffen.“

Sie trat jetzt so nah an ihn heran, dass ihre Haare beinahe seine Nasenspitze berührten, und schlug ihm mit der flachen Hand auf die Brust. „Oh doch! Und Ihr werdet uns dabei helfen.“

8. KAPITEL

Ihr war, als würde alles um sie herum still stehen. Doch das stimmte gar nicht, denn sie konnte hören, wie eine Biene an ihnen vorbeisummte und der Wind raschelnd durch das frische Laub wehte. Nur Robert war vollkommen still.

Er hielt den Blick unverwandt auf sie gerichtet, und seine Arme hingen schlaff herunter. Hatte er gehört, was sie gesagt hatte?

„Nein …“, stieß er atemlos hervor.

Gaira kämpfte gegen die glühende Wut an, die in ihr aufstieg. Er hatte sie also verstanden.

„Doch, das werdet Ihr. Warum seid Ihr überhaupt hergekommen, wenn Ihr nicht vorhattet, etwas für das Dorf zu tun, das Eure Soldaten niedergebrannt haben?“

Er antwortete nicht, und sie trat einen Schritt zur Seite. Ihm Schuldgefühle wegen der Gräueltaten seiner Landsleute zu machen, brachte anscheinend nichts. Sie musste eine andere Taktik anwenden.

„Die Kinder sind in Gefahr. Sie müssen zu meinen Brüdern. Ihr habt recht, allein werden wir es niemals schaffen. Aber mit Eurer Hilfe, Euren Vorräten und Eurem Pferd haben wir eine Chance.“

Er schwieg noch immer.

Ihre anfängliche Wut verwandelte sich langsam in Panik. Was würde sie tun, wenn er ihr nicht half? Könnte er wirklich einfach gehen und sie und die Kinder sich selbst überlassen?

„Wo ist Euer Mitgefühl?“, sagte sie in anklagendem Ton.

Etwas in seinem Blick veränderte sich. Ein trauriger Ausdruck trat in seine Augen, und sie fühlte einen seltsamen Schmerz in ihrer Brust. Mit einem Mal hatte sie das Bedürfnis, ihn zu trösten.

Bestimmt lag es an ihr, dass ihr plötzlich so schwer ums Herz wurde, und nicht an ihm, denn er hatte offensichtlich keine Gefühle. Wieder spürte sie rasende Wut.

„Ihr seid ein krummnasiger Rüsselkäfer! Meint Ihr wirklich, dass ich Euch um Hilfe bitten würde, wenn ich es nicht müsste? Ihr seid meine einzige Hoffnung!“

Dass er ihr keine Antwort gab, machte sie rasend.

„Tante Gaira! Ich habe dir etwas vom Kaninchen aufgehoben!“

Alec kam auf sie zugerannt, und ihr wurde ganz warm ums Herz. Die Kinder waren stark, trotz all der schrecklichen Erlebnisse. Sie wusste, dass sie es schaffen würden.

Sie ließ Robert stehen und ging mit ausgebreiteten Armen in die Knie, um Alec aufzufangen. Sie verstand sich so gut mit den Kindern. Sie mussten es schaffen. Sie würden es schaffen! Sie würde alles dafür tun! Sofort verstummten jegliche Zweifel in ihr. Sie fuhr Alec spielerisch durch das Haar, stand auf und nahm seine Hand.

„Oh, du hast mir also etwas Kaninchen aufgehoben, ja? Ist das hier das Kaninchen? Hmm, schön saftig sieht das aus!“ Sie drückte ihm mit dem Zeigefinger in den Bauch. „Oh, ein echter Leckerbissen!“

Alec verstand ihren Scherz und quiekte vergnügt.

Sie merkte, dass Robert sie beobachtete, aber sie würdigte ihn keines Blickes. Stattdessen lief sie lachend mit Alec zurück zum Lager.

Es war ruhig an ihrer Lagerstelle. Ab und an war das Knacken der brennenden Äste und Zweige zu hören und ein Rascheln im Dickicht von einer Kreatur der Nacht.

Gaira schloss die Arme noch fester um ihren Oberkörper und starrte in die Flammen. Sie konnte nicht schlafen. Zu viele Gedanken wirbelten in ihrem Kopf umher.

Sie dachte an die Kinder, die bereits fest schliefen, und wie sie mit ihnen zu ihrem Clan gelangen sollte. Sie dachte darüber nach, was aus ihnen werden würde und was passieren würde, wenn ihr Bräutigam sie fand.

Und sie dachte an Robert, der kein Wort mehr gesprochen hatte, seit Alec sie unterbrochen hatte. Doch sie hatte bemerkt, wie er sie und die Kinder angesehen hatte. Vor allem hatte er sie angesehen.

Sie hatte versucht, sich keine Gedanken darüber zu machen, was in ihm vorging. Sie war nicht mehr wütend auf ihn und auch nicht mehr verletzt. Sie war einfach nur verwirrt. Er verhielt sich ganz anders als alle Männer, die sie kannte.

Als sie ihn um Hilfe bat, hatte sie das Gefühl gehabt, dass er zornig war. Nicht, weil er ihre Bitte unangemessen fand, sondern weil sie Schmerz und Trauer in ihm auslöste. Doch anstatt ihr zu erklären, warum, hatte er sie den ganzen Abend schweigend beobachtet.

Obwohl er sich auf der anderen Seite des Lagerfeuers niedergelassen hatte, konnte sie spüren, wie er sie ansah, was bedeutete, dass er ebenfalls wach war. Vielleicht war das der Grund, warum sie keinen Schlaf fand.

Unruhig setzte sie sich auf und begann, ihre Zöpfe zu lösen. Sie hatte sie so fest geflochten, dass es schmerzte, und sie wollte sich von diesem unangenehmen Druck befreien.

Plötzlich setzte er sich auf und sah zu ihr herüber. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf sie gerichtet.

Gaira fühlte sich plötzlich ungeschickt, und ihre Finger gehorchten ihr nicht mehr richtig, doch sie fuhr fort, ihr Haar zu lösen, bis es ihr in langen Wellen über die Schultern fiel.

Mit bebenden Fingern massierte sie ihre Kopfhaut, die noch immer leicht prickelte. Unter Roberts interessiertem Blick über die Flammen hinweg breitete sich das Prickeln auf ihren ganzen Körper aus, bis hinunter in ihre Beine.

Zitternd griff sie nach ihrem Kamm und ließ ihn durch ihr Haar gleiten.

Robert stand auf, kam zu ihr und stellte sich hinter sie. Noch immer sagte er kein Wort, und auch sie schwieg.

Ihr wurde warm, und ihr Herz klopfte schneller und schneller. Wieder strich sie mit dem Kamm durch ihr Haar, vom Ansatz bis hinunter in die Spitzen.

Robert atmete hörbar ein.

Einen Augenblick hielt sie inne und verharrte mit dem Kamm in ihrem Haar. Dann ließ sie den Arm sinken und flüsterte: „Was wünscht Ihr?“

Autor

Margaret Moore
Margaret Moore ist ein echtes Multitalent. Sie versuchte sich u.a. als Synchronschwimmerin, als Bogenschützin und lernte fechten und tanzen, bevor sie schließlich zum Schreiben kam. Seitdem hat sie zahlreiche Auszeichnungen für ihre gefühlvollen historischen Romane erhalten, die überwiegend im Mittelalter spielen und in viele Sprachen übersetzt wurden. Sie lebt mit...
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