Historical Saison Band 34

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IM RAUSCH VON 1001 NACHT von ALLEN, LOUISE
Konstantinopel, 1817: Was für ein Abenteuer, allein in die Ferne zu reisen! Doch als Lady Morvall auf einem Basar von dem Engländer Andrew Fenton gerettet wird, ahnt sie: Das größte Abenteuer beginnt für sie erst jetzt. In den Armen ihres verwegenen Beschützers, der um die sinnlichen Geheimnisse des Orients weiß …

DIE SEHNSUCHT DES GOUVERNEURS von HALE, DEBORAH
"Die jungen Damen auf dem Brautschiff wollen heiraten, nicht rumhuren." Erbost weist Jocelyn den arroganten Sir Robert Kerr, Gouverneur von Halifax, zurecht. Aber je länger ihre Schützlinge an Land nach Ehemännern suchen, desto neugieriger fragt Jocelyn sich: Warum hat der attraktive Robert eigentlich keine Gattin?


  • Erscheinungstag 16.02.2016
  • Bandnummer 0034
  • ISBN / Artikelnummer 9783733765620
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Louise Allen, Deborah Hale

HISTORICAL SAISON BAND 34

LOUISE ALLEN

Im Rausch von 1001 Nacht

Andrew Fenton ist ein Kenner des Orients. Nicht nur die archäologischen Schätze haben es ihm angetan, als Berater des Sultans weiß er auch um die exotischen Verführungskünste im Harem … die er nur zu gern der schönen Lady Morvall verraten will! Denn in ihren Augen lodert der Wunsch, mit ihm zusammen Liebesfreuden wie in 1001 Nacht zu erleben …

DEBORAH HALE

Die Sehnsucht des Gouverneurs

Neuschottland, 1818: Sir Robert Kerr, Gouverneur von Halifax, verflucht diesen Tag! Denn ein Schiff voller lediger junger Damen sorgt für Unruhe in seiner Stadt. Robert muss die Frauen nebst ihrer Anstandsdame Jocelyn Finch schleunigst loswerden! Doch nichts hat ihn darauf vorbereitet, dass die eigensinnige Jocelyn sein eiskaltes Herz zum Schmelzen bringt …

1. KAPITEL

Auf dem Land in Herfordshire, Januar 1817

Zu den Türken? Du willst in das Osmanische Reich? Hast du den Verstand verloren? Eine Dame von Stand, die ohne angemessene Begleitung reist? Das ist ungeheuerlich! Ich verbiete es dir ausdrücklich!“ Sir Hubert Morvall warf seiner Stiefmutter einen strengen Blick zu, der seine unerschütterliche Autorität als Familienoberhaupt unterstreichen sollte.

„Ich wüsste nicht, wie du mich daran hindern könntest, Hubert.“ Caroline, Lady Morvall, erwiderte den finsteren Blick mit einem wissenden Lächeln, das seine Wut gewiss noch steigern würde. So sehr sie sich auch bemüht hatte, ihren Stiefsohn lieb zu gewinnen, er war ihr immer nur als ein humorloser, selbstsüchtiger Langweiler vorgekommen, der unangebrachter Weise darauf stolz war, in die viel zu großen Fußstapfen seines Vaters zu treten und der 5. Baron Morvall zu werden.

Neben ihr ließ ihre Schwiegertochter, die guter Hoffnung war, einen übertriebenen Klagelaut vernehmen. „Aber du bist doch noch immer in Trauer, Mutter“, flüsterte Clara, während sie die kleinen Hände über den gerundeten Bauch kreisen ließ und Carolines Unwillen über die Form der Anrede ignorierte.

Weshalb eine Frau, die kaum zwei Jahre jünger war als sie, darauf bestand, sie Mutter zu nennen, war ihr ein Rätsel – möglicherweise war das auf Huberts Einfluss zurückzuführen. Wenn Caroline so genannt wurde, kam sie sich uralt vor.

„Morgen jährt sich der Todestag von Sir William“, sagte Clara ehrfürchtig.

„Und an diesem Tag werde ich die schwarzen Kleider ablegen und meine Sachen packen“, erwiderte Caroline wild entschlossen. Ihr verstorbener Mann hätte diese Art von Rührseligkeiten verabscheut. Sie konnte sich keine bessere Art vorstellen, das Andenken an den geliebten William zu bewahren, als eben jene Reise anzutreten, von der er so lange geträumt und die er jahrelang bis ins kleinste Detail geplant hatte. Beinahe kam es ihr vor, als ob er ihr in diesem stickigen Raum seine Zustimmung zuraunte.

Zunächst hatten der Tod seiner ersten Frau und die beschränkten Reisemöglichkeiten durch den langen Krieg gegen Frankreich die Reise verzögert. Später, nach der zweiten Heirat, hatte der Baron Bedenken gehabt, seine junge Frau den Strapazen eines solchen Abenteuers auszusetzen. Schließlich hatten sie gemeinsam den Entschluss gefasst, die Reise zu wagen – kurz bevor er vollkommen unerwartet einer Herzattacke erlag.

„Ich habe bereits alles vorbereitet“, fügte Caroline hinzu, womit sie weiteres Öl in das Feuer goss und Huberts Zorn noch schürte. Er erinnerte sie an den Truthahn auf dem Hof eines Pächters, dessen Doppelkinn bei jeder Gelegenheit vor Entrüstung bebte. „Ich habe einen erfahrenen Reiseführer gefunden, den ich am Dienstag in London treffen werde. Am Samstag segeln wir los.“

Einen schrecklichen Augenblick lang befürchtete Caroline, dass Hubert eine Herzattacke erleiden würde, von der tödlichen Art, die ihren Gatten im Alter von sechsundfünfzig Jahren ereilt hatte. Doch dann wurde Huberts hochroter Kopf wieder blasser, und sie atmete auf. „Du hast das alles hinter meinem Rücken geplant. In deinem Alter ist ein solches Verhalten empörend!“

„Hubert, ich bin sechsundzwanzig. Du bist siebenundzwanzig. Ich sehe nicht ein, was mein Alter damit zu tun hat. Oder was du mir in dieser Angelegenheit vorzuschreiben hättest, wenn wir schon davon sprechen! Wie du sehr wohl weißt, bin ich finanziell von dir unabhängig und kann tun und lassen, was ich will. Und ganz gewiss möchte ich dich nicht über meine Pläne oder Korrespondenzen auf dem Laufenden halten. Ich will die Gründe für meine Vorgehensweise hier noch einmal ganz deutlich machen, damit Clara sich nicht hintergangen fühlt.“ Sie wandte sich an die jüngere Frau. „Es tut mir leid, dass ich mein Vorhaben nicht früher angekündigt habe, aber ich wusste, dass es genau zu diesen Streitgesprächen führen würde, und ich wollte mir nicht wochenlang Huberts Vorhaltungen anhören.“

Clara ergriff Carolines rechte Hand und flüsterte: „Sir Hubert ist doch jetzt das Familienoberhaupt. Wir müssen ihm gehorchen.“

Wie so oft wunderte sich Caroline über Claras einfältige Fügsamkeit. Huberts aufgeblasene Art schien sie zu beeindrucken. Es war kaum anzunehmen, dass sie ihn liebte – oder wenigstens konnte von körperlicher Leidenschaft keine Rede sein. Noch vor ein paar Tagen, als Caroline sich mitfühlend nach Claras morgendlicher Übelkeit erkundigt hatte, hatte die junge Frau ihr anvertraut, dass die Unannehmlichkeiten bei Weitem geringer wären, als das, was sie schüchtern als „die ehelichen Pflichten“ bezeichnete.

Caroline hatte eine kurze, aber ungewöhnlich glückliche Ehe mit Huberts Vater erlebt. Sir William erwies sich als ein lebenslustiger Mann von außergewöhnlicher körperlicher Kraft und einem erheblichen Talent, seine junge Frau im Bett glücklich zu machen. Caroline war bewusst, dass er seine diesbezüglichen Fähigkeiten in außerehelichen Abenteuern erworben hatte, bevor er ihr Mann geworden war. Sie war dafür dankbar. Wenn sie von Hubert zu Clara blickte, war nicht zu übersehen, dass die Kompetenz in Liebesdingen nicht in der Familie lag.

Sie vermisste Williams Gesellschaft und seine lebenslustige Art schrecklich, aber ebenso sehnte sie sich nach dem gemeinsamen Liebesspiel. Mit sechsundzwanzig ist ein Mensch viel zu jung, um ein enthaltsames Leben zu führen, sagte sie sich innerlich aufseufzend. Wie sie dieses Problem jedoch lösen sollte, ohne sich an einen neuen Ehemann zu binden – den sie gewiss nicht so wie den ersten lieben würde –, war ihr ein Rätsel.

„Worüber lächelst du, Caroline?“, herrschte Hubert sie an. „Das Ganze ist wahrhaftig nicht zum Lachen!“

„Ebenso wenig wie dein Verhalten“, erwiderte sie gelassen. „Ich dachte gerade daran, wie wenig du deinem lieben Vater ähnelst, Hubert. Muss ich dir wieder in Erinnerung rufen, dass ich dich nicht um Erlaubnis bitten muss, egal was ich tue.“

„Papa muss betrunken gewesen sein, als er dir so viel Geld vermachte, ohne die geringsten Reglementierungen und Kontrollvorkehrungen festzulegen. Du wirst noch wie diese entsetzliche Hester Stanhope enden!“, zeterte er, während er aufgebracht vor dem qualmenden Kaminfeuer auf und ab lief.

„Du meinst in einem libanesischen Palast, umgeben von einer ganzen Reihe attraktiver junger Liebhaber?“, zog sie ihn auf. „Ich glaube, genau davon ist in diesen Klatschgeschichten immer die Rede. Ehrlich gesagt klingt das nach keinem schlechten Leben. Und gewiss ist es amüsanter als eine weitere eintönige Saison bei Almack’s.“

Könnte ich mir vielleicht auch einen Liebhaber zulegen? Würde ich das wagen? Dann würde ich zumindest das Risiko umgehen, mich dauerhaft an einen Mann zu binden. Das war ein skandalöser Gedanke, obgleich sie annahm, dass William sie dazu ermutigt hätte, wenn er ihr jetzt einen Rat hätte erteilen können. Ihr Vergnügen und ihr Glück hatten für ihn stets im Vordergrund gestanden, und dabei hatte er wenig auf sittliche Gepflogenheiten geachtet. Doch wie stellte eine angesehene Witwe es an, einen Liebhaber zu finden, ohne zugleich einen Skandal heraufzubeschwören?

Diese interessanten Überlegungen wurden jäh durch Huberts laute Stimme unterbrochen. „Wie kannst du es wagen, in Claras Gegenwart über solche Dinge zu sprechen?“

„Clara ist eine verheiratete Frau. Ich kann mir schwer vorstellen, dass sie durch die Erwähnung allgemein bekannter Tatsachen verdorben wird.“ Wie alle verheirateten Frauen in Carolines Umfeld betrachtete Clara alles Sinnliche und Lustvolle als abstoßend. Sie würde die Aussicht auf einen Liebhaber ganz und gar nicht verlockend finden.

Caroline stand auf und ergriff das Buch, in dem sie zurzeit las – Reisen durch das antike Anatolien von Andrew Fenton –, ihre Notizen und das Retikül. „Mein Entschluss steht fest, Hubert. Ich breche morgen auf.“

Der Regen prasselte gegen das Fenster, als sie sich abwandte, um ihrem wütenden Stiefsohn für lange Zeit den Rücken zuzukehren. Zum Schutz wickelte sie sich den schwarzen Trauerschal um die Schultern. Es schien ihr, als ob ein Jahr vergangen wäre, in dem sie kaum einen Sonnenstrahl erblickt oder echte menschliche Wärme verspürt hatte. Sie war fest entschlossen, sich nie wieder einer solchen Kälte auszusetzen.

Auf dem Marmarameer: fünf Monate später

Caroline lehnte sich gegen die Reling des Schiffs und kniff wegen des blendenden Sonnenlichts auf den Wellen die Augen zu Schlitzen zusammen. Dort lag Asien. Asien! Sie konnte kaum glauben, dass sie endlich hier war. Die lange Seereise, die Aufregung, Neapel und Malta zu sehen, die vielen Unbequemlichkeiten – all das verblasste zu unwirklichen Erinnerungen, als sie sich dem Ufer und damit dem Ziel der Reise näherte.

Sie drehte sich zu dem Wirrwarr von Minaretten, Turmspitzen und Kuppeln, aus dem die imposante Silhouette der Stadt geformt war, und versuchte, eines der berühmten Gebäude auszumachen. Welche Moschee war die Blaue Moschee? Wo befand sich der Harem des Sultans? Wo lag das Goldene Horn? Die anderen Passagiere, denen der unglaubliche Anblick offenbar vertraut war, hatten sich alle nach unten begeben, um ihre Sachen zusammenzupacken. Auch ihr Reiseführer befand sich irgendwo dort unten, und es gab niemanden, den sie nach den Gebäuden hätte fragen können.

Zentimeter für Zentimeter tauchte aus dem Dunst vor ihr Konstantinopel auf – eine exotische Stadt, die von Muslimen, Christen und Juden bewohnt wurde. Alle verehrten ihren einen Gott, betrieben Handel und lebten zusammen in einer Stadt, die groß genug erschien, um die gesamte Einwohnerschaft der Grafschaft Essex zu verschlucken. Der Anblick raubte ihr den Atem. Es war wie ein Traum, ein Wunder!

Der warme Wind nahm zu und wehte ihr Gewürzdüfte, Rauch- und Fischgeruch sowie eine Spur von Abwassergestank entgegen. Der Traum löste sich auf und wurde durch eine exotische Wirklichkeit ersetzt. Caroline seufzte, als ob ihr eine Zentnerlast von den Schultern genommen würde – eine, deren sie sich kaum bewusst gewesen war.

Endlich war sie wirklich hier. Sie verspürte ein seltsames Schaudern: teils aus Furcht, teils aus Aufregung. Ein neues und ganz und gar aufregendes Gefühl erfasste sie. Dies war kein Ort, an dem man allein sein sollte, keine Stadt für zugeknöpfte englische Zurückhaltung und langweilige Wohlanständigkeit. Dies war eine Stadt, die alle Sinne ansprach. Schwach waren die hohen Töne einer fremdartigen Flöte zu vernehmen, die über das Wasser trieben.

Die Brise wehte ihr die Röcke um die Beine und liebkoste ihr unverschleiertes Gesicht wie die zärtliche Berührung weicher Hände. Es war, als ob warme Finger ihre Glieder streichelten – verführerisch und herausfordernd. Von den langen Monaten der Enthaltsamkeit geschürt, erfasste sie ein sehnsüchtiges Verlangen. Sie erinnerte sich daran, wie es war, sich ganz einem Kuss hinzugeben, und schloss die Finger noch fester um die Reling.

Inmitten ihres betörenden Tagtraums war sich Caroline kaum bewusst, dass sie die Zungenspitze über die prallen Lippen gleiten ließ und sich eine leichte Röte auf ihren Wangen ausbreitete. Ich wünschte, ich hätte einen Liebhaber – einen großen, attraktiven und charismatischen Mann.

Es ist unglaublich, wie mächtig die Einbildungskraft ist, dachte sie wie benommen. Sie zauberte den Mann regelrecht herbei, während sie vor sich hinträumte. Eine Weile hatte sie den Kopf gesenkt, doch nun sah sie langsam hoch und ließ die Blicke über ein Paar lange Beine wandern, über schlanke Hüften und einen flachen Bauch.

Caroline schluckte, als sie auf das weiße Hemd und den lässig geöffneten Gehrock sah, hoch zu den breiten Schultern, dem entschiedenen Kinn und einem herausfordernden Schmunzeln, das genau das versprach, wonach sie sich verzehrte. Oh ja!

Leise seufzend blickte Caroline in die grauen Augen eines ganz und gar realen Mannes, der keine drei Meter entfernt von ihr gegen die Reling lehnte.

Oh mein Gott … Caroline spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, und blickte sich hilfesuchend um. Eine Flutwelle, ein Piratenüberfall, ein Angriff tscherkessischer Sklavenhändler … nichts. Und der Mann stellte sich gerade hin und kam direkt auf sie zu.

Sie war die schönste, begehrenswerteste und erotischste Frau, die er seit Langem gesehen hatte. In Anbetracht der Tatsache, dass er seit Jahren in der aufregendsten und weltoffensten Stadt der Welt lebte, hatte das schon etwas zu bedeuten. Drew verhielt sich ganz ruhig, um die blonde Europäerin nicht aus dem Trancezustand zu reißen, in dem sie sich befand. Keinen Moment lang bildete er sich ein, das Objekt ihrer erhitzten – sehr erhitzten – Gedanken zu sein. Wenn sie ihn überhaupt wahrnahm, hatte ihre Einbildungskraft die Kontrolle übernommen, sodass sie in seinen Zügen einen ganz anderen Mann erblickte.

Nichtsdestotrotz war es eine ausgesprochen erregende Erfahrung, mit derartigem Verlangen betrachtet zu werden. Drew verspürte erheblichen Neid, wenn er an den glücklichen Mann dachte, nach dem diese Frau sich sehnte.

Dass er sich maßlos zu ihr hingezogen fühlte, ließ sich kaum verbergen, und vergeblich versuchte er, sich ganz auf ihre großen und verträumten blau-grauen Augen zu konzentrieren. Sie liebkoste seinen Körper mit Blicken, während ihre sinnlichen Lippen leicht geöffnet waren. Gerade fuhr sie mit der Zungenspitze über die rosige Unterlippe. Er versuchte, nicht auf ihre verführerischen Brüste und die schlanken langen Beine zu achten, deren Konturen gut zu erkennen waren, weil der Wind den Musselinstoff ihres Kleides eng an den Körper presste.

Hoffnungslos. Früher oder später musste er den Zauber brechen, oder sie würden beide die Besinnung verlieren. Sein Humor half ihm aus der peinlichen Situation. Lächelnd ging er auf sie zu.

In diesem Moment schien sie aus ihrem Tagtraum zu erwachen und sich bewusst zu werden, wie lüstern sie einen Mann aus Fleisch und Blut anstarrte – und noch dazu einen gänzlich Fremden.

Wie würde sie reagieren? Ohne Zweifel war sie eine erfahrene Frau. Was auch immer ihr durch den Kopf gegangen war, es schienen nicht die romantischen Tagträume einer unschuldigen jungen Dame zu sein. Doch das Erschrecken in ihren weit geöffneten Augen und ihr heftiges Erröten zeigten ihm, dass dieses bezaubernde Mädchen keine abgebrühte Verführerin war.

Sie wirkte vollkommen durcheinander und schien sich unruhig nach einem Fluchtweg umzusehen. Mit drei Schritten überwand Drew die kurze Distanz, die noch zwischen ihnen lag.

Er sprach mit ihr. Caroline verschränkte die Hände so fest ineinander, bis es schmerzhaft wurde – als ob der Schmerz sie für ihre lustvollen Gedanken strafen und dafür sorgen würde, dass dieser Mann sich in Luft auflöste. Es funktionierte nicht. Er stand jetzt genau vor ihr und zog den breitkrempigen Strohhut, sodass sein schwarzes Haar und das gebräunte Gesicht zu sehen waren. Nach wie vor lächelte er, und außer freundlichem Spott las sie in seiner amüsierten Miene die unverhohlene Feststellung, dass sie eine Frau und er ein Mann war und dass diese Tatsache Konsequenzen haben konnte.

„Sir …“ Ihre Stimme bebte, und sie schloss die Lippen fest, um vor Beschämung nicht wie eine Verrückte zu schreien.

„Madam“, erwiderte er ernst und setzte den Hut wieder auf. Selbst im Schatten funkelten seine grauen Augen aus Gründen, die sie sich gar nicht vorzustellen wagte. „Darf ich Ihnen einen Vorschlag unterbreiten?“ Seine Stimme klang tief und warm. Seine Aussprache verriet ihr sofort, dass er Engländer war, obgleich sie zunächst ganz und gar nicht davon ausgegangen war. Sie riss sich zusammen. Was um Himmels willen spielte es für eine Rolle, woher er stammte?

„Ja“, murmelte sie schließlich. Oh du meine Güte! Was wird er jetzt sagen? Wird er einen Versuch unternehmen, mich zu verführen? Das muss er kaum mehr tun, oder? Schließlich habe ich ihn angesehen, als wollte ich ihm die Kleider vom Leib reißen. Und ich möchte ihm tatsächlich die Kleider vom Leib reißen, hier und jetzt. Vollkommen schamlos … Genau das hatte sie sich gewünscht, und nun wusste sie nicht, was sie tun sollte.

„Wenn Sie sich auf die andere Seite der Reling begeben, haben sie den besten Blick auf die Stadt. Wir nähern uns dem Topkapi Palast mit seinem Serail. Man kann ihn jetzt schon gut erkennen. Sind Sie zum ersten Mal in Konstantinopel?“

„J…ja, danke für den Hinweis.“

„Genießen Sie es“, sagte der große Mann mit einem Lächeln, das ihren Mund zu berühren schien. Erneut zog er den Hut und spazierte dann über das Deck zu einem Mann mit langem Gewand, der einen Schrankkoffer und eine Reihe von Handkoffern bewachte.

In der Tat werde ich es genießen! Auf zitternden Beinen begab sich Caroline zu dem Platz, den er ihr empfohlen hatte. Sie war dankbar, dass sie dort durch einen Stapel Fässer vom Rest des Oberdecks abgeschirmt war. Er hatte nicht gemeint, dass sie die Sehenswürdigkeiten oder das Essen genießen sollte. Er hatte gemeint, dass sie das genießen sollte, wovon sie geträumt hatte. Ich wünschte, ich könnte es! Er denkt sicher, ich hätte einen Liebhaber an Bord oder einen Ehemann oder dass ich reise, um den einen oder den anderen zu treffen. Noch peinlicher hätte es kaum kommen können, oder?

Doch, das hätte es, gestand sie sich reumütig ein, als die Röte aus ihrem Gesicht wich und sie allmählich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Er hätte ihr einen ganz vulgären – oder in taktvolle Worte verkleideten – Vorschlag unterbreiten können. Sie hätte keinerlei Rechtfertigung gehabt, ihn abzuweisen.

2. KAPITEL

Lady Morvall?“ Die Stimme hinter ihr ließ sie zusammenzucken.

„Ja, Mr Lomax?“ Es war ihr Reiseführer. Caroline sah mit Sympathie und Erleichterung auf die wohlbeleibte Gestalt. Glücklicherweise konnte sich bei seinem Anblick niemand in ausschweifenden Fantasien verlieren. Er war einen Kopf kleiner als sie, unter dem Strohhut verbarg sich eine birnenförmige Glatze, ein Zwicker klemmte auf seiner Nase, und ein kleiner Kugelbauch rundete seine Statur ab.

Davon abgesehen war er ein erfahrener und kenntnisreicher Reiseführer, der sie und Gascoyne, ihre Zofe, sicher von England bis hierher begleitet hatte. Dabei hatte er nicht nur untadelige Vorarbeit geleistet, sondern war auch eifrig darauf bedacht, sie vor allen Unannehmlichkeiten zu bewahren. Bedauerlicherweise konnte er Caroline nicht vor den Folgen ihrer eigenen Sehnsüchte beschützen.

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, dass ich so lange fort war, Lady Morvall, aber die Leinenverkleidung ihres größeren Reisekoffers wurde beschädigt, und ich musste dem Segelmacher des Schiffs auf die Finger sehen, damit das Gepäckstück ordnungsgemäß repariert wurde. Gascoyne wartet dort drüben bei unseren Sachen.“

Caroline blickte in die angezeigte Richtung und entdeckte die Zofe, die auf einen Stapel vertrauter Gepäckstücke aufpasste. Direkt neben ihr stand der Mann im langen Gewand, der zum Gefolge des fremden Engländers gehörte. Hastig drehte Caroline sich weg.

„Bitte zeigen Sie mir die wichtigsten Gebäude, Mr Lomax. Ich möchte mich nicht früher als nötig in das Getümmel an der Gangway begeben.“ Nach der umfassenden Reiselektüre hatten die Erklärungen des Fremden ausgereicht, damit sie sich orientieren konnte, aber sie benötigte eine Ausrede, um sich von ihm fernzuhalten. Langsam schlug ihr Herz wieder in normalem Tempo, und sie fürchtete, das würde sich sonst wieder ändern.

„Selbstverständlich, Mylady. Die große Moschee zur Linken ist die Blaue Moschee, und nicht weit entfernt ist die Hagia Sophia, die ursprünglich als christliche Kirche errichtet wurde, jetzt jedoch als Moschee dient. Dort hinten erstrecken sich die Gebäude des Topkapi Serails – innerhalb der Palastanlagen des Sultans. Sehr bald werden wir das Goldene Horn erblicken.“

„Dann ist dort hinten also der Sarayburnu, an dem man die verstoßenen Kurtisanen in seidenen Säcken verschlossen ins Wasser warf?“ Sie wies in die Richtung, auf die der Fremde gezeigt hatte.

„Äh … ja.“ Mr Lomax schien es unangenehm zu sein, über Kurtisanen zu sprechen. „Und nicht nur solche … äh … Damen. Konstantinopel ist im Grunde noch immer in vielerlei Hinsicht eine gewalttätige Stadt. Daher ist es wichtig, dass Sie sich an die Anweisungen aus der Botschaft halten und nicht ohne Begleitung ausgehen.“

Caroline nickte mit einer Ergebenheit, die Sir Hubert gewiss erstaunt hätte. Doch den anmaßenden Forderungen des Stiefsohns zu gehorchen, war eine ganz andere Sache. Den Rat eines Kenners in einer fremdartigen Stadt zu befolgen, gebot der gesunde Menschenverstand. Außerdem brauchte sie einen ferman, um von Konstantinopel aus weiterreisen zu können. Dabei handelte es sich um ein Dokument, das einem Reisenden die Erlaubnis des Sultans bescheinigte, sich frei im Land bewegen zu dürfen. Außerdem bestätigte es, dass der Fremde sich an die örtlichen Sitten und Gebräuche hielt.

Sie blieb noch eine Weile mit Mr Lomax an der Reling stehen, während das Schiff das Goldene Horn umrundete und langsam auf den Kai am anderen Ufer der Altstadt zuglitt. Über ihnen ragte die Anhöhe mit dem Galataturm auf, inmitten des abendländisch geprägten Viertels, in dem sich die westlichen Botschaften befanden.

„Ich denke, wir sollten uns langsam zu unserem Gepäck begeben“, schlug Mr Lomax vor. „Wenn Sie sich freundlicherweise bei mir einhaken, gebe ich mein Bestes, damit Sie in dem Gedränge von niemandem zur Seite gestoßen werden.“

Zur Seite gestoßen zu werden gehörte nicht zu ihren Befürchtungen. Caroline wünschte sich, ihr eleganter Hut besäße einen Schleier. Sie hielt den Blick gesenkt und schaute nur hoch, als sie die Gangway betrat. Gleich vor ihr ragte ein Kopf über der drängelnden Menge von Gepäckträgern und Passagieren auf – unverkennbar breite Schultern und ein verwegen zur Seite geschobener breitkrempiger Hut. Dann hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen, und der Unbekannte war verschwunden.

Erst als Mr Lomax sie besorgt ansah, wurde ihr bewusst, dass sie laut aufgeseufzt hatte. „Geht es Ihnen nicht gut, Mylady? Fühlen Sie sich nach der langen Zeit auf See unwohl? Ich habe einen Träger gebeten, uns eine Kutsche zu beschaffen. Sie wird gewiss bald da sein.“

„Nein, machen Sie sich keine Sorgen. Mir geht es ausgezeichnet, Mr Lomax. Ich bin nur noch ganz verzaubert … von den ersten Eindrücken.“ Hoffentlich würden sie sich von nun an um farbenfrohe Sehenswürdigkeiten und interessante Entdeckungen drehen. Die Begegnung mit dem Fremden hatte ihr zumindest deutlich gemacht, wie töricht es war, von einem Liebhaber zu träumen.

Ich habe einfach nicht den nötigen Mut für so etwas, und es ist gut, sich das einzugestehen. Was hätte ich bloß getan, wenn mir der Fremde ein unmoralisches Angebot unterbreitet hätte?

Die Englische Botschaft war ein repräsentatives Gebäude mit geschwungenen Balkonen und einem großen Eingangstor, durch das der Kutscher mit Caroline und ihren Reisegefährten in den Hof einbog. Es folgten zwei kleine Fuhrwerke, auf denen das Gepäck transportiert wurde.

Caroline fühlte sich ein wenig benommen vom Gedränge auf den Straßen, vom fremdartigen Stimmengewirr, von den Farben und den vielen exotischen Impressionen. Sie sah von einer Seite zur anderen, bis ihr ganz schwindlig wurde und sie froh war, dass Mr Lomax alles unter Kontrolle zu haben schien. Sie wusste, dass sie bald allein zurechtkommen musste, denn sie hatte seine Dienste nur für die Reise nach Konstantinopel gebucht. Er würde umgehend nach England zurückkehren, sobald er einen neuen Kunden hatte, der auf seine Begleitung angewiesen war.

„Lady Morvall, herzlich willkommen!“ Der dürre, schulmeisterlich wirkende Mann, der die Stufen im Innenhof hinunterhastete, schüttelte ihr überschwänglich die rechte Hand. „Terrick Hamilton, Madam. Ich bin der Sekretär des Botschafters, der sich entschuldigen lässt, weil er Sie nicht selbst in Empfang nehmen kann. Bedauerlicherweise gibt es einen komplizierten Streit zwischen englischen und russischen Händlern an der Schwarzmeerküste, und Sir Robert hielt es für notwendig, persönlich einzugreifen. Kommen Sie doch bitte mit hinein, Madam.“

Er schnippte mit den Fingern in Richtung einer Reihe von Männern, die im Schatten warteten. Caroline betrachtete die unterschiedlichen Turbane, die Tuniken, die bis an die Knie reichten, und die Pluderhosen darunter. Diese Gestalten werden die ersten Seiten meines Skizzenbuchs über Konstantinopel füllen, beschloss sie. Die Männer begannen, das Gepäck abzuladen.

„Dikkat! Yavafl!“, rief Mr Hamilton, als eine der Taschen zu Boden fiel.

Caroline erinnerte sich an die Bedeutung der Worte: vorsichtig und langsam. Sie hatte gelesen, wie sie geschrieben wurden. Jetzt prägte sie sich die Aussprache ein, denn sie war fest entschlossen, die Sprache so gut wie möglich zu erlernen. Sie würde Reiseführer und einen Dolmetscher brauchen, doch je mehr sie von dem verstand, was um sie herum vorging, desto sicherer war sie.

Als Caroline ihre Zimmer in der Botschaft bezog und nur noch Gascoyne bei ihr war, legte sie den Hut und die leichte Pelisse ab und ließ sich auf das Bett sinken. „Puh! Gascoyne, setzen Sie sich hin und erholen Sie sich. Die Haushälterin versprach, uns bald Erfrischungen und warmes Wasser zu bringen. Wie gut es tut, eine Weile auszuruhen!“

„Da haben Sie recht, Mylady.“ Gascoyne stand erst seit Williams Tod in Carolines Diensten. Da die Zofe äußerlich einen ausgesprochen steifen Eindruck machte, hatte es Caroline überrascht, als sie anbot, sie auf der Reise zu begleiten. Sie hatte den Wunsch geäußert, fremde Erdteile zu sehen. Allerdings war sie zu Carolines insgeheimer Belustigung bemüht, sich und ihre Herrin so herzurichten, dass sie auch während der Reise jederzeit so zurechtgemacht waren, als würden sie die Londoner Bond Street entlang flanieren.

Carolines Vorschläge, praktische Sonnenhüte aufzusetzen und das Korsett etwas lockerer zu schnüren, wurden mit einem missbilligenden Nasenrümpfen beantwortet. „Sie sind eine englische Lady. Ganz gleich welche heidnischen Sitten hier vorherrschen“, erklärte Gascoyne.

Caroline hatte es aufgegeben, der Zofe zu erläutern, dass weder Italien noch Malta heidnisch waren. Vollkommen hoffnungslos war es, sie davon zu überzeugen, dass Konstantinopel sich zwar von dem unterschied, was sie gewohnt waren, die Einwohner aber dennoch an ihren Gott glaubten. Auch der Hinweis, dass die Stadt am Bosporus London in nichts nachstünde, stieß bei Gascoyne auf taube Ohren. Nach allem, was Caroline über die Bäder gelesen hatte, war Konstantinopel sogar in mancherlei Hinsicht kultivierter. Sie freute sich darauf, einen Hamam aufzusuchen.

Kerzengerade hatte die Zofe auf einer Stuhlkante Platz genommen. Doch schien ihr das rasch als frivoler Müßiggang vorzukommen, denn sie zog einen kleinen Koffer auf sich zu und begann, Unterbekleidung herauszuholen und auf der Holztruhe neben dem Stuhl zu sortieren.

„Wie wird es nun weitergehen, Mylady, wenn ich mir die Freiheit herausnehmen darf, danach zu fragen?“

„Wir bleiben hier in der Botschaft, und der Sekretär wird in meinem Namen eine Anfrage an die Hohe Pforte stellen, uns einen ferman auszustellen. Dieses Dokument erlaubt uns, durch das Osmanische Reich zu reisen. Dann werde ich einen geeigneten Dolmetscher und Träger einstellen, Packtiere, Pferde und Zubehör kaufen, und wir brechen nach Anatolien auf.“

„Wo ist das, Mylady?“ Gascoyne starrte stirnrunzelnd auf einen winzigen Fleck auf einem Mieder und legte das Kleidungsstück zur Seite. „Ich dachte, jetzt wo wir im Land der Türken sind, wären wir am Ziel unserer Reise.“

„Anatolien gehört auch zum Reich des Sultans – es liegt weiter im Osten.“ Caroline legte sich auf den Bauch und stützte das Kinn auf die Hände. „Dort hat sich seit Jahrhunderten nichts verändert. Die Landschaft ist wunderschön, und es gibt faszinierende archäologische Schätze, die kaum bekannt sind. Dieses Buch …“ Sie zog einen kleinen Handkoffer zu sich heran und nahm den Band heraus, den sie fast unentwegt mit sich herumtrug, seit sie England verlassen hatten. „In diesem Buch wird über alles berichtet, was man bisher herausgefunden hat. Es ist von Mr Fenton, dem besten Kenner der Gegend. Sein Schreibstil ist hinreißend.“

Gascoyne blickte skeptisch auf das Buch. „Ich bin mir sicher, dass ich das nicht verstehen würde, Mylady. Außerdem scheint mir das auch keine sehr geeignete Lektüre für eine Dame zu sein. Wie sieht es mit der Bekleidung für diese Reise in den Osten aus? Wie viele Abendkleider soll ich einpacken?“

„Gar keines!“ Es klopfte an der Tür, und Caroline stand eilig vom Bett auf und glättete ihre Röcke. „Herein! Oh, vielen Dank. Würden Sie mir bitte auch Badewasser in das Ankleidezimmer bringen?“

Die Haushälterin verbeugte sich und sorgte dafür, dass für einen kalten Imbiss gedeckt wurde, während männliche Bedienstete einen Zuber und Krüge mit heißem Wasser ins Ankleidezimmer trugen. Enttäuschenderweise schien die Botschaft keinen eigenen Hamam zu besitzen.

„Keine Abendkleider, Mylady?“

„Nein. Ich nehme zwei Reisekleider und die Reitkleidung mit, die ich mir habe anfertigen lassen.“ Caroline biss sich auf die Unterlippe, weil ihr plötzlich etwas in den Sinn kam. „Vorausgesetzt, dass ich hier einen Damensattel bekomme. Ansonsten muss ich eben auf Breeches und einen langen Umhang darüber zurückgreifen. Es kann nicht so schwer sein, rittlings zu reiten, oder? Schließlich machen Männer das die ganze Zeit.“

„Rittlings? In Breeches? Aber, Mylady, das kostet Sie Ihren guten Ruf!“

„Bei wem?“, erwiderte Caroline scharfzüngig. „Bei den anatolischen Schafhirten?“

„Aber nehmen wir denn keine Reisekutsche? Ich kann nicht reiten, egal in welcher Art von Sattel!“, jammerte Gascoyne.

„Ich werde eine kleine Kutsche für sie und das Gepäck mieten“, versprach Caroline, wobei sie den Gedanken, dass dort wahrscheinlich gar keine Wege existierten, auf denen man mit einer Kutsche fahren konnte, bewusst beiseiteschob. Die Vorstellung, Gascoyne auf einem Kamel reiten zu sehen, war ein wenig grausam, aber auch unwiderstehlich. Das behielt sie allerdings für sich. Es war noch genug Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, sobald das Problem aktuell wurde. „Jetzt sollten wir besser beide ein Bad nehmen, bevor wir etwas essen.“

Obgleich Gascoyne anfänglich widersprach und ihrer Herrin zunächst helfen wollte, bevor sie selbst badete, ließ sie sich erstaunlich leicht überreden. Vermutlich war sie nach den Enthüllungen über die weiteren Reisebedingungen zu aufgewühlt, um weiteren Protest einzulegen. Nachdem sie Carolines Korsett gelöst hatte und sie aufgefordert hatte, die Tür hinter ihr gut zu verschließen, verließ sie das Zimmer.

Caroline sank erleichtert in das Wasser, lehnte sich zurück und ließ die Füße entspannt über den Zuberrand hängen.

Es war ein schöner großer Zuber, mit hoher Rückenlehne und geschwungenen Seiten. William und sie hatten beim Baden immer viel Spaß gehabt. Er schlich sich herein und bewarf sie mit einem schäumenden Schwamm, wenn sie am wenigstens damit gerechnet hatte, oder er goss viel zu viel Duftöl hinein und massierte sie dann überall damit ein, bis sie sich glatt und geschmeidig wie ein nasser Seehund anfühlte.

Und dann, wenn sie beide durch und durch nass waren und lachten, hob er sie heraus, umwickelte sie mit einem Haufen Leinentüchern, und sie liebten einander …

Hör damit auf! Caroline setzte sich ruckartig aufrecht hin, sodass seitlich Wasser über den Zuberrand spritzte. Um Himmels willen! Ich muss endlich aufhören, daran zu denken! Ich habe mich eben in Gegenwart dieses Fremden schon genug zum Narren gemacht. Und dabei habe ich nicht einmal den Mut, mir ernsthaft vorzustellen, mir einen Liebhaber zu nehmen. Und ganz sicher möchte ich nicht wieder heiraten! Sie würde ohnehin nie jemanden finden, der so liebevoll wie William wäre. Wahrscheinlich würde sie stattdessen an einen Tölpel wie Hubert geraten. Es war also besser, wenn sie ein für alle Mal aufhörte, sich nach körperlicher Liebe zu sehnen.

Das war eine höchst vernünftige Entscheidung, wenngleich unklar blieb, wie sie sich umsetzen ließ. Vor allem solange sie ständig an einen verlockend sinnlichen Mund und ein paar herausfordernd dreinblickende graue Augen dachte, sobald sie für einen Moment die Augen schloss.

Nach zwei Tagen in der Botschaft legte sich Carolines Aufgewühltheit ein wenig. Sie hatte Mr Hamiltons Rat beherzigt, sich erst einmal an das Klima und das Essen zu gewöhnen, sich von den Strapazen zu erholen und genau zu überlegen, welche Ausrüstung sie für die weitere Reise benötigte.

„Ich nehme an, dass Sie Bursa besichtigen wollen“, sagte er, als ob es daran keinen Zweifel gäbe. „Dorthin gelangt man auf dem Landweg ohne große Schwierigkeiten, sofern man nicht lieber etwas von der Küste sehen und ein Schiff nehmen möchte.“

„Sicherlich ist Bursa faszinierend“, entgegnete Caroline höflich. „Und bestimmt werde ich eines Tages dorthin reisen. Aber wie ich Ihnen bereits erläutert habe, möchte ich nach Anatolien.“

„Muss es wirklich Anatolien sein? Normalerweise hegen nur ganz wenige Besucher aus Europa den Wunsch, in den Osten des Reiches aufzubrechen. Die Gegend ist wild und hat sich seit Jahrhunderten kaum verändert.“

„Genau deshalb möchte ich sie kennenlernen.“ Sie bemerkte, dass er sich Sorgen machte, und fügte hinzu: „Wird es schwierig für mich werden, einen ferman für diese Gegend zu bekommen? Gelten für Anatolien irgendwelche Einschränkungen?“

„Ich denke nicht, aber es ist ausgesprochen unüblich – besonders für eine Dame.“

„Ich habe nicht den weiten Weg hierher unternommen, um das Übliche zu sehen“, verkündete Caroline ohne Umschweife. „Was muss ich also tun, um diesen ferman zu erhalten?“

„Ich habe schon eine entsprechende Benachrichtigung an einen Beamten der Hohen Pforte gesendet, der für diese Angelegenheiten zuständig ist. Mit einer Antwort ist in ein paar Tagen zu rechnen.“

Da Caroline die Zeit des Wartens nutzen wollte, hatte sie einen Dolmetscher angefordert, der sie durch die Stadt führen sollte. Mr Lomax musste noch früher aufbrechen, als erwartet, da ein Diplomat, der durch einen Unfall teilweise gelähmt war, seine Dienste dringend benötigte.

Ihr wurde ein einheimischer Reiseführer für den nächsten Tag versprochen, und sie zog sich in das Bibliothekszimmer zurück, das man ihr zur Verfügung gestellt hatte, um ihre Notizen zu überfliegen und zu entscheiden, welche Sehenswürdigkeiten sie zuerst sehen wollte. Der Botschaftssekretär klopfte an und trat mit ebenso aufgeregter wie zufriedener Miene ein.

„Es ist höchst außergewöhnlich, Lady Morvall! Eben kam eine Nachricht aus dem Topkapi Palast. Der Sultan gewährt Ihnen eine persönliche Audienz.“

„Der Sultan? Aber ich habe gar nicht um eine Audienz gebeten! Wie hat er denn überhaupt von meiner Ankunft erfahren?“

„Wahrscheinlich waren die Beamten, die mit Ihrer Anfrage nach einem ferman beschäftigt sind, von der Vorstellung fasziniert, dass eine englische Adlige diese ferne Gegend im Osten bereisen will. Lady Hester Stanhope hat für eine Menge Aufsehen gesorgt, müssen Sie wissen – und das tut sie auch noch immer.“

„Nun, ich bin nicht Lady Hester.“

„Erfreulicherweise nicht“, bestätigte Mr Hamilton, wobei er sie für einen Moment entschieden an Hubert erinnerte.

„Ich nehme an, eine solche Einladung lässt sich nicht ablehnen, oder?“

„Ganz gewiss nicht. Bestimmt wollen Sie den britischen Interessen keinen Schaden zufügen. Es handelt sich um eine große Ehre.“

„Aber was soll ich anziehen? Wie soll ich mich verhalten?“

„Kleiden und verhalten Sie sich, als ob Sie zu einer Audienz beim Prinzregenten eingeladen wären, Lady Morvall.“

„Soll ich einen Schleier tragen?“

„Nein … Seine Hoheit geht davon aus, eine englische Dame kennenzulernen, die sich so kleidet, wie es in ihrer Heimat üblich ist. Sultan Mahmud hat eine französische Mutter, müssen Sie wissen. Sie hat großen Einfluss auf ihn.“

„Sein Vater hat eine Französin geheiratet? Davon hatte ich keine Ahnung.“

Mr Hamilton hustete leise. „Nein … äh … nicht geheiratet im strengen Sinne. Aimée Dubucq de Rivery, die Mutter des Sultans, wurde von Sklavenhändlern entführt und an den Harem verkauft. Sie ist die Cousine der verstorbenen Kaiserin Josephine.“

„Du meine Güte!“ Caroline war sprachlos. Das hörte sich an wie aus einem fantasievollen Roman. Dennoch schien es wahr zu sein. „Wann soll ich dort erscheinen?“

„In der Frühe, nach dem Morgengebet. Selbstverständlich werde ich Ihnen bis dahin einen Reiseführer besorgen, der Sie begleitet und Ihnen anschließend die Altstadt zeigt.“

„Vielen Dank.“ Eine Audienz in einem Palast zu erleben, in dem die Mutter des Herrschers eine entführte französische Sklavin war, überforderte ihr Vorstellungsvermögen. „Ich sollte umgehend mit meiner Zofe besprechen, wie wir uns am besten kleiden.“

„Ihre Zofe ist nicht mit eingeladen, Lady Morvall. Sie mitzunehmen würde von Seiner Hoheit als mangelndes Vertrauen gedeutet werden.“

„Oh!“ Es ließ sich bloß hoffen, dass es im Jahre 1817 nicht üblich war, weibliche Besucherinnen einzuladen, um den Harem aufzustocken. „Gut, dessen ungeachtet werde ich mich jetzt zurückziehen, um mich entsprechend vorzubereiten, Mr Hamilton.“

3. KAPITEL

Als Caroline mit dem kaik, einem für das schwarze Meer typischen Ruderboot, zum anderen Ufer des Bosporus gebracht wurde und dort in die prachtvollste Kutsche stieg, die der Botschaft zur Verfügung stand, versuchte sie sich zu erinnern, ob sie ähnliche Aufregung befallen hatte, als sie am Londoner Hof vorgestellt worden war. Eher nicht, dachte sie.

Damals hatte sie mit den kostbaren Straußenfedern zu kämpfen gehabt, die aus ihrer aufgetürmten Frisur herausragten, und mit dem inzwischen längst altmodischen Reifrock. Der Knicks vor dem Prinzregenten und die höfliche Erwiderung auf dessen ziemlich eindeutige Komplimente hatten dagegen keine Herausforderung mehr dargestellt.

Jetzt wurde sie weder durch einen steifen Rock noch durch Federn abgelenkt – sie trug ihr bestes Abendkleid und einen Hut, der eine ausgesprochen kunstvolle Frisur krönte. Sie war zu aufgeregt gewesen, um etwas zu frühstücke und hatte nur abwesend an einer Tasse Kaffee genippt. Wenn sie einen schlechten Eindruck hinterließ und man ihr den ferman verweigerte, hatte sie die weite Reise umsonst angetreten. Dann würde ihr Wunsch, Williams Erinnerung zu ehren, indem sie seinen Traum in die Tat umsetzte, unerfüllt bleiben.

Ihr gegenüber saß der Übersetzer und Reiseführer, der ihr vom Sekretär nur als Ismael vorgestellt worden war. Seine Schweigsamkeit schien seiner Unruhe geschuldet. Vermutlich überlegte er, weshalb er dazu verdammt worden war, eine verrückte Engländerin zum Thron des Sultans begleiten zu müssen.

„Wir sind da, Mylady“, sagte er und zupfte an den halb heruntergelassenen Vorhängen. „Da wir durch die Vermittlung der englischen Botschaft hier sind, dürfen wir durch das Tor in den ersten Hof fahren. Das ist eine große Ehre.“

Caroline zog den Hut ab und ordnete ihre Frisur. Die Kutsche hielt, die Tür wurde geöffnet, und die Trittleiter wurde heruntergelassen. Ohne eine genaue Vorstellung, was sie erwartete, stieg Caroline aus und befand sich in einem großen Innenhof mit vielen geschäftig wirkenden Menschen. Es waren ausschließlich Männer. Sie fühlte sich so auffällig, als ob sie ein Plakat hochhielte.

„Das ist der Janitscharenhof“, flüsterte Ismael. „Sehen Sie?“ Sie blickte in die Richtung, in die er mit dem Kopf wies, und entdeckte mehrere Gruppen hochgewachsener Männer mit gegürteten Gewändern. Ihre kegelförmigen Kopfbedeckungen waren mit Stoff umwunden, der hinten lang über die Schultern fiel. Sie bemerkte die Säbel, die in ihren Gürteln steckten, und mied es, ihnen in die Augen zu sehen.

Ein Beamter, dessen Kopf von einem kunstvollen Turban umwickelt war, kam auf sie zu, sprach mit Ismael und wies sie an, ihm zu folgen, wobei er Caroline kaum eines Blickes würdigte. Es kam ihr in den Sinn, dass sie zwar die einzige Frau in diesem Innenhof war, dass sie jedoch durchaus andere Frauen durch die Klappläden der unzähligen Fenster beobachten konnten.

„Wir betreten jetzt den Zweiten Hof.“

So würdevoll wie möglich folgte Caroline dem Reiseführer durch die große Anlage und versuchte, ihre Überraschung zu verbergen, als eine Gazelle hinter einem Rosenbeet hervorsprang, die von einem aufgebrachten Pfau gejagt wurde.

„Wir erreichen das Tor der Glückseligkeit und den Dritten Hof.“ Ismael wirkte nun, wo er seiner Arbeit nachging, sicherer. „Der Audienzsaal liegt vor uns.“

Caroline wusste, dass sie sich jedes Detail genau einprägen sollte, damit sie das Erlebte später in der Botschaft zu Papier bringen konnte. Doch es waren so viele Eindrücke auf einmal, dass die Bilder vor ihrem inneren Auge verschwammen. Der Prinzregent wäre vor Neid ohnmächtig geworden, wenn er gesehen hätte, was sie erblickte: Der Royal Pavilion in Brighton war ein Witz im Vergleich mit dieser verschwenderischen Pracht.

Sie durchschritten ein großes Portal, schwere Brokatvorhänge wurden zur Seite geschoben, und sie befand sich in einem imposanten quadratischen Saal. Alle Flächen waren mit Marmor oder mit Fliesen in kräftigen Blautönen verkleidet. Im hinteren Teil des Saals stand in der Mitte ein breiter goldener Thron – halb Stuhl, halb Bett, der mit einer Reihe von Kissen bedeckt war.

Ein Wächter mit einem üppigen pelzbesetzten Kaftan machte eine laute Ankündigung, die sie nicht verstand. Der Mann, der im Schneidersitz auf dem Thron saß, sah von einem Dokument auf, das er gerade durchlas. Neben ihr fiel Ismael auf die Knie und warf sich mit dem Gesicht nach unten zu Boden.

Nur die Ruhe! redete sich Caroline Mut zu und sank so langsam wie es ihre zitternden Knie erlaubten in einen tiefen und langen Knicks. Dann richtete sie sich wieder auf, ging sechs Schritte vor und knickste erneut, bevor sie die letzten sechs Schritte zurücklegte und schließlich in ein Knicksen versank, das so tief war, dass die Muskeln ihrer Oberschenkel zu bersten drohten. Anschließend richtete sie sich auf und stand direkt vor dem Sultan.

Der breitschultrige Mann, der sie mit durchdringenden schwarzen Augen musterte, trug ein purpurnes Brokatgewand, hatte einen schwarzen Bart und vermittelte den Eindruck einer gewaltigen Willenskraft. Er war jünger und attraktiver, als sie erwartet hatte. Und er strahlte eine männliche, unbarmherzige Macht aus, die so selbstverständlich erschien, dass es dafür keinerlei Erklärung bedurfte.

Mit tiefer Stimme richtete er das Wort an sie, und der Mann neben ihm übersetzte. „Seine Majestät, Sultan Mahmud, Herrscher der Gläubigen, Herr des Goldenen Horns, heißt Sie willkommen.“

„Ich fühle mich zutiefst geehrt, dass sich Seine Hoheit gütigerweise dazu herablässt, mich zu empfangen.“

„Seine Majestät wünscht zu wissen, was Sie nach Konstantinopel führt.“

„Ich habe den Wunsch, diese wundervolle Stadt und sein großartiges Reich zu sehen. Ich möchte aus allem lernen, was ich erblicke, und Seine Hoheit um die Gnade bitten, mir einen ferman zu gewähren.“

Mahmud ließ sie nicht aus den tintenschwarzen Augen, während er erneut das Wort ergriff.

„Wo ist Ihr Ehemann?“, fragte der Übersetzer.

„Ich bin Witwe, Eure Hoheit.“

„Wie alt sind Sie?“

„Sechsundzwanzig, Eure Hoheit.“

Schweigen. Sie zwang sich, ruhig stehen zu bleiben, den Blick demütig gesenkt. Der Sultan hob eine Hand, und ein Mann trat aus dem Schatten hinter dem Thron hervor. Caroline blickte auf und verlor für einen Moment beinahe die Fassung. Sie musste sich irren! Der Mann war groß, breitschultrig und schwarzhaarig. Er bewegte sich mit der Anmut einer Raubkatze und glich der Ausgeburt ihrer Fantasie, die sich als nur zu real erwiesen hatte.

Aber dieser Mann war kein Engländer: Er trug ein osmanisches Hofgewand aus silbergrauem Brokat, das mit schwarzem Fell besetzt war, dazu weite schwarze Beinkleider wie viele Männer, die sie in den Höfen erblickt hatte. Er hatte keine Kopfbedeckung auf, und das dunkle Haar fiel ihm offen über die Schultern. Es konnte nicht der Mann sein, dem sie auf dem Schiff begegnet war – natürlich nicht!

Er ging in respektvoll gebückter Haltung auf den Sultan zu und beantwortete dessen Fragen. Handelte es sich vielleicht um den Beamten, der ihren Antrag bearbeitete? Mit einer tiefen Verbeugung zog er sich in den Hintergrund zurück, und Caroline lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder ganz auf den Sultan.

„Welcher Mann beschützt Sie?“ Die Frage des Übersetzers ließ sie zusammenzucken.

„Niemand!“ Er will bestimmt nur wissen, ob ich einen Mann zu meinem Schutz mitnehme. „Ich meine, ich werde selbstverständlich die Dienste eines Reiseführers und eine entsprechende Eskorte in Anspruch nehmen, wenn ich nach Osten aufbreche, Eure Hoheit.“

„Sie haben aber nicht vor, in Männerkleidung zu reisen, wie es Ihre Landsmännin tut?“, erkundigte sich der Übersetzer, nachdem der Sultan einige Worte gesprochen hatte.

„Sie meinen Lady Hester Stanhope, Eure Hoheit? Nein, das habe ich nicht vor.“ War das eine gute oder eine schlechte Antwort? Bewies sie dadurch eine gefährliche Unerfahrenheit oder Respektabilität?

„Seine Hoheit gewährt Ihnen den ferman. Er wünscht Ihnen eine gute und sichere Reise, so Allah es will.“

Ja! Ich bekomme das Dokument! Jetzt muss ich nur noch heil hier wegkommen! „Eure Hoheit ist zu gnädig.“ Caroline knickste, trat zurück, knickste erneut und fand sich schließlich draußen vor dem Portal wieder. Ismael wischte sich neben ihr die Stirn ab.

„Du meine Güte! Was für eine Erleichterung, dass es vorbei ist.“ Ihre Hände zitterten. „Meinen Sie, wir könnten uns einen Augenblick hinsetzen?“

„Nein, Mylady, wir müssen auf dem schnellsten Weg zur Kutsche zurückkehren.“ Ein leichtes Nicken in Richtung eines Turbanträgers mit dem obligatorisch geschwungenen Säbel, der hinter ihnen wartete, verlieh Ismaels Aufforderung Nachdruck. Der Reiseführer ging, ohne zu zögern, voran und blieb nur kurz stehen, als ein Mann mit einem schwarzen Panther an einer Kette ihren Weg kreuzte. Das wilde Tier wandte den Kopf zu Caroline und musterte sie aus seinen smaragdgrünen Augen. Sie hielt den Atem an, doch das Raubtier reagierte auf das Ziehen an seinem juwelenbesetzten Halsband und trottete weiter.

„Auf der rechten Seite des Hofs befindet sich der Harem“, flüsterte Ismael. „Sehen Sie nicht direkt hin, Mylady.“

„Der ist ja riesig!“ Caroline warf einen vorsichtigen Blick auf den weitläufigen Gebäudetrakt. „Wie viele Frauen sind da drin?“

„Vielleicht zweihundert.“

Zweihundert! Ein ganzes Dorf von Frauen, die ihr gesamtes Leben dort eingeschlossen lebten, und deren einzige Bestimmung es war, den Launen und Wünschen des Mannes zu gehorchen, den sie gerade verlassen hatte. Und wenn sie nicht gefallen oder gehorchen, wird man sich ihrer wahrscheinlich entledigen. Beim Anblick dieses prachtvoll verzierten Gefängnisses lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter.

Die Kutschentür schloss sich hinter ihnen, und das Rattern der Räder war zu vernehmen, als sie das Tor zur Außenwelt passierten. Erleichtert atmete sie auf.

„Mylady, möchten Sie eine der großen Moscheen besichtigen oder einen Blick auf das Hippodrom werfen? Oder sind Mylady so erschöpft, dass Sie lieber in die Botschaft zurückkehren möchten?“

Vor Erleichterung und Aufregung war ihr ganz schwindelig zumute. „Nein, ich würde gern auf einem Basar einkaufen.“

„Möchten Sie lieber den Großen oder den Kleinen Basar besuchen?“, erkundigte sich Ismael ein wenig belustigt.

„Den Großen!“, antwortete sie, ohne nachzudenken. Kaum etwas war entspannender als etwas Schönes einzukaufen.

Wo fährt sie jetzt hin?

Der schwarzhaarige Mann im grauen Brokatgewand erreichte das äußere Tor und blickte über die Männer hinweg, die er trotz der Turbane um eine Kopfeslänge überragte. Er war nach draußen geeilt, nachdem der Sultan ihm endlich erlaubt hatte, sich zu entfernen. Als er durch den Zweiten Hof hastete, hatte er die Pfauen aufgescheucht und seinen Mut bereits fast gänzlich verloren.

Er schnippte mit den Fingern, und der Junge, der ihm folgte, sprach mit den Torwächtern. „Ihr Reiseführer wies den Kutscher an, zum Kapali Carsi zu fahren, Mylord.“

„Was um Himmels willen denkt sich dieser Narr dabei, sie zum Großen Basar zu bringen?“, rief der Mann im Brokatgewand hilflos und erntete lediglich ein verständnisloses Schulterzucken vonseiten des jungen Burschen. „Sie ist müde, erhitzt, nervös und überhaupt nicht an die hiesigen Gepflogenheiten gewöhnt. Sie wirkte, als ob sie nicht einmal genug Flüssigkeit getrunken hätte.“ Er runzelte die Stirn und traf eine Entscheidung. „Hol mir ein Pferd, Abdul.“

Während der Junge forteilte, zog der Mann das schwere Obergewand aus, unter dem sich eine luftige, aber ebenfalls kostbar verzierte Tunika verbarg, die bis zu den Knien über die weiten Beinkleider reichte. Erleichtert lockerte er die Schultern und warf das Gewand über den Widerrist des kastanienbraunen Araberhengstes, den der Junge zu ihm führte. Dann schwang er sich in den Sattel.

„Sitz hinter mir auf!“ Mit einer Hand half er Abdul nach oben. Wenn er den Basar nach ihr absuchen musste, brauchte er den Jungen, um das Pferd zu halten.

Durch das überfüllte Straßenlabyrinth, das zum Basar führte, zu reiten, war selbst mit Eskorte eine echte Herausforderung. Für einen einzelnen Reiter, der es eilig hatte, war es eine Frage äußersten Geschicks und zielstrebiger Durchsetzungskraft. Er wäre binnen weniger Minuten ein toter Mann gewesen, wenn die Verwünschungen, die in seinem Rücken erklangen, Wirklichkeit geworden wären.

Zum Glück hatte die Kutsche am nächstgelegenen Eingang haltgemacht. Der Kutscher lehnte gegen die Deichsel und unterhielt sich laut mit einem Melonenverkäufer.

„Wohin ist die Lady gegangen?“

„Sie wollte sich die Seidenstoffe ansehen, Herr. Ich weiß aber nicht, zu welchem Händler Ismael sie bringen will.“ Ängstlich beäugte der Kutscher das Pferd und die Kleidung des Reiters. Er wusste zwar, dass er nicht über einen Gast der Botschaft reden sollte, war aber durch die Tatsache eingeschüchtert, dass dieser Reiter eindeutig aus dem Topkapi Palast kam.

„Warte hier, Abdul.“ Der große Mann schwang sich vom Sattel und durchschritt den breiten Durchgang zum Basar. In den Nischen zu beiden Seiten standen die Händler und priesen ihre Waren an. Keiner von ihnen traute sich, die Aufmerksamkeit des Mannes mit der edlen Palasttunika auf sich zu lenken, der rasch vorbeischritt, ohne mehr als einen flüchtigen Blick auf die Früchte, das Gemüse, die Gewürze und die Teppiche zu werfen.

Trotz des Gedränges war es kühl, und gebündeltes Licht fiel von dem hohen halbmondförmigen Obergaden auf den gekachelten Boden. Der Mann umrundete eine Säule, an der sich die Gänge kreuzten, und hielt vor einem Keramikstand, um in alle Richtungen über die Menge zu schauen. Sie war nirgends zu sehen … Vielleicht hatte ihr Reiseführer sie in einen der Verkaufsräume geführt, die hinter den Ständen lagen. Dann würde man ihr wenigstens etwas zur Erfrischung anbieten. Allerdings würde es sich wahrscheinlich nur um den bitteren starken Kaffee handeln, den sie gewiss nicht gewohnt war.

Er hielt weiter Ausschau und erhaschte schließlich einen kurzen Blick auf die ausgefallene Krempe eines pistazienfarbenen Huts am anderen Ende des engsten Gangs. Das musste sie sein – außer es gab noch mehr Engländerinnen mit einer Vorliebe für französische Hüte, die durch Konstantinopel liefen.

Der Dame schien nicht bewusst zu sein, dass sie einen Retter brauchte, aber genau diese Erfahrung würde sie machen – ob es ihr passte oder nicht.

„Du liebe Güte! Hier herrscht aber ein Andrang, Ismael. Das habe ich nicht geahnt.“ Caroline spürte, dass sich alles in ihrem Kopf drehte. Nach der aufregenden Audienz war das nicht weiter verwunderlich. Und Gascoyne hatte ihr Korsett wieder so fest zugeschnürt, dass sie kaum Luft bekam.

„Kommen Sie hierhin, Mylady.“ Ismael wies auf einen Stand, der unter der Last zahlloser Stoffe in allen Farben des Regenbogens zu bersten schien. „Hier lohnt es sich am meisten, sich umzusehen.“

„Oh, wie bezaubernd!“ Entzückt trat Caroline einen Schritt vor und achtete angesichts der schimmernden Seide kaum mehr auf das Gedränge. „Die Farben und Muster sind atemberaubend …“ Unter dem Licht, das von oben einfiel, kam es ihr vor, als ob sich die Stoffe in Wellen bewegten. Sie ging noch einen Schritt darauf zu, der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken, und die Farben der Seide begannen zu verschwimmen. Was geschah nur mit ihr? Der Lärm des Basars schien zu verebben, sie wurde ohnmächtig, und um sie herum wurde es dunkel.

Sie erwachte nicht auf dem harten Boden des Basars, sondern auf etwas Festem, das aber nachgab. Die lauten Geräusche der Menschenmenge waren verschwunden, und nur das Tröpfeln von Wasser, das Gurren von Tauben auf einem Dach und der undeutliche Ruf eines Muezzins von einem fernen Minarett waren zu vernehmen.

Sie musste ohnmächtig geworden sein. Der arme Ismael! Damit hatte er auch noch fertig werden müssen! Aber Hauptsache, sie befand sich jetzt wieder in der Botschaft. Caroline blieb entspannt liegen und genoss die leichte Brise, die über ihren Körper wehte und nach Jasmin duftete. Je mehr das Bewusstsein zurückkehrte, desto intensiver wurde die Erinnerung an leise Stimmen, weiche Hände, die sie auszogen, und kühles Wasser, das ihr an die Lippen gehalten wurde.

Es war ihr auch nicht mehr heiß – doch möglicherweise lag es an dem herrlichen Gefühl, vom Korsett befreit zu sein und zu spüren, wie der leichte Wind über die Seide strich, die ihre Glieder bedeckte. Hauchdünne Seide? Ich besitze nichts aus hauchdünner Seide!

Caroline riss die Augen auf und erblickte eine völlig unbekannte Gewölbedecke, deren kunstvoll verzierte Bögen von gekachelten Wänden aus in Weiß-, Blau- und Grüntönen in die Höhe wuchsen. Sie lag auf einer breiten gepolsterten Plattform, auf der Decken und Seidenkissen mit Quasten ausgebreitet waren.

Als sie an ihrem Körper hinuntersah, fielen ihr sofort die weiten Beinkleider auf, die durch Bänder an den Knöcheln in Form gehalten wurden. Dazu trug sie ein langärmliges Obergewand, das sich ihrer Figur anpasste, ohne die Taille hervorzuheben, und darüber eine luftige Tunika, die vorne zugeknöpft war und Schlitze an den Seiten hatte.

Sie befand sich nicht in der Botschaft. Sie war in einem Harem! Sie musste entführt worden sein. Caroline blieb wie erstarrt liegen und versuchte, sich zu beruhigen. Im Zimmer war es leise, und dennoch spürte sie, dass sie nicht allein war. Wen und was würde sie zu Gesicht bekommen, wenn sie sich aufrichtete?

4. KAPITEL

Ganz langsam stützte sie sich auf den Ellbogen ab, und ihr wurde klar, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Gegenüber dem breiten Diwan, auf dem sie lag, waren drei langgezogene Fenster mit Fenstersitzen. Vor dem mittleren saß ein Mann und las. Er lehnte mit dem Rücken gegen die Nischenumrahmung und hatte die Knie angewinkelt, sodass sie ihm als natürliche Buchstütze dienten.

Etwas musste ihn aufgeschreckt haben, obgleich sie sich nur ganz verstohlen bewegt hatte, denn er drehte den Kopf in ihre Richtung und lächelte. „Endlich sind Sie aufgewacht. Wie fühlen Sie sich?“

Caroline setzte sich gerade hin, während er sein Buch auf den Boden legte und aufstand. „Sie! Dann waren es auch Sie im Audienzsaal des Sultans … Erst dachte ich, Sie wiedererkannt zu haben, aber dann hielt ich es für Einbildung.“ Er trug das Haar noch immer offen über der Schulter, und es schimmerte wie die Flügel eines Raben: Das verlieh ihm ein fremdländisches Äußeres – selbst die Bräune in seinem Gesicht stand der des Sultans in nichts nach.

„Nun, auf dem Schiffsdeck wirkten Sie nicht, als ob Sie sich mein Gesicht einprägen würden.“ Beim Gedanken daran, wie sie ihn angestarrt hatte, schoss ihr das Blut in die Wangen. „Ich sollte mich Ihnen wohl besser vorstellen, immerhin habe ich Ihnen voraus, dass ich weiß, wer Sie sind.“

Er näherte sich ihr, und ihr Blick fiel auf seine Kleidung. Er trug weite schwarze Pluderhosen, die an den Knöcheln mit engen silbernen Brokatsäumen eingefasst waren. Darüber fiel ein Gewand aus schwarzer Seide, das mit feinen Silberfäden verziert war, bis zur Mitte der Oberschenkel reichte und Schlitze an den Seiten und am Hals hatte. Der Stoff war so hauchdünn, dass der Schatten von dunklem Haar hindurchschimmerte und genau erkennbar war, wo seine Brustwarzen gegen die Seide stießen. Es war unerhört erregend.

„Lady Morvall, ich bin Drew Fenton. In der Botschaft wird man sich für mich verbürgen. Ich bin dort gut bekannt.“ Sie musste ihn immer noch angestarrt haben, denn er lächelte, bevor er weitersprach. „Ich bin der jüngere Sohn von Viscount Wellingham.“

„Ja, das weiß ich … jedenfalls, wenn Sie der Andrew Fenton sind, der Reisen durch das antike Anatolien geschrieben hat. Ein Exemplar befindet sich in meinem Gepäck.“ Es war geradezu lachhaft! Sie befand sich in einem exotischen Zimmer mit einem Mann, der aussah, als wäre er gerade einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht entsprungen, und er stellte sich ihr vor, als ob sie bei Almack’s wären. Und es handelte sich auch noch ausgerechnet um den Mann, dessen Schriften seit Monaten zu ihrer Lieblingslektüre zählten.

„Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie mein Werk kennen.“ Drew setzte sich neben sie auf den breiten Diwan. Er war jetzt so nah, dass sie den würzigen Duft wahrnahm, der von seiner Kleidung ausging. Möglicherweise Zedernholz.

„Es war eine meiner wichtigsten Quellen bei der Vorbereitung auf diese Reise. Mein Gatte hatte es in seiner Bibliothek stehen, ebenso wie ihre gesamten Artikel für die Royal Society. Wir haben sie gemeinsam gelesen.“

„Sie hatten also nicht vor, allein nach Konstantinopel zu kommen?“

„Nein. William ist vor achtzehn Monaten gestorben. Es war immer sein Traum, das Osmanische Reich zu bereisen.“

„Demnach sind Sie vor allem zu seinem Andenken hier?“ Er klang ernüchtert.

„Nein, ganz so ist es nicht. Ich teilte seinen Wunsch, dieses Land zu sehen. Außerdem ist es gewiss besser, als zu Hause zu sitzen und mir von meinem wichtigtuerischen Stiefsohn und seiner Gattin vorschreiben zu lassen, wie sich eine anständige Witwe zu verhalten hat.“ Diese Worte lösten ein belustigtes Funkeln in seinen Augen aus, das ausgesprochen beunruhigend war. Eilig wechselte Caroline das Thema. „Wie bin ich hierher gelangt? Wo bin ich?“

„Sie sind in meinem Haus. Sie sind auf dem Großen Basar ohnmächtig geworden, erinnern Sie sich?“

„Ich kann mich entsinnen, dass mir schwindlig wurde. Es war sehr heiß.“

„Und was haben Sie heute getrunken? Ich nehme an, nicht sehr viel. Und dann mit dieser Kleidung, eingezwängt in ein lächerliches Korsett und viel zu viele Bekleidungsschichten.“ Er ignorierte, dass Caroline entrüstet nach Luft rang, da er die Schamlosigkeit besaß, ihr Mieder zu erwähnen, und redete weiter. „Schon bei der Audienz ist mir aufgefallen, wie blass Sie aussahen. Daher bin ich Ihnen gefolgt, als mich Seine Hoheit gehen ließ – für den Fall, dass Sie töricht genug sind, nicht sofort in die Botschaft zurückzukehren.“

Caroline reagierte mit Schweigen auf den Tadel und senkte das Haupt. „Ich danke Ihnen, Mr Fenton, aber ich verstehe dennoch nicht, weshalb ich mich in Ihrem Haus befinde. Warum haben Sie meinem Reiseführer nicht einfach nur geholfen, mich zurück in die Botschaft zu bringen?“

„Sie sind hier, weil Sie nahezu an der Türschwelle zu meiner Karawanserei das Bewusstsein verloren. Ich hielt es für besser, es Ihnen rasch so bequem wie möglich zu machen und sie schnellstens mit Flüssigkeit zu versorgen. Dann trugen wir sie zu meinem Haus, das nicht weit vom Basar entfernt liegt. Ihr höchst unaufmerksamer Reiseführer hat eine Nachricht in der Botschaft abgegeben. Ich habe versprochen, Sie morgen dorthin zu begleiten, wenn Sie sich gut genug dazu fühlen.“

„Und die Nachricht, dass ich mich allein und ohne Anstandsdame im Haus eines fremden Mannes aufhalte, wird die Leute in der Botschaft beruhigen?“, fragte sie spitzzüngig.

„Ich bin sowohl mit dem Botschafter als auch, wie Sie mit eigenen Augen sehen konnten, mit dem Sultan bekannt, der mir die Ehre erweist, mich gelegentlich um Rat zu fragen, wenn Fremde sein Reich bereisen wollen. In Ihrem Fall wollte er sichergehen, keine weitere Lady Hester Stanhope ins Land zu lassen, die für Unruhe sorgt. Außerdem wollte er sich zugleich vergewissern, dass Sie auf sich selbst achtgeben können.“ Er blickte ihr in das errötende Gesicht.

„Möchten Sie, dass ich eine Anstandsdame für Sie rufe? Fühlen Sie sich unwohl, mit mir allein zu sein?“

„Von welcher Anstandsdame sprechen Sie?“, erkundigte sich Caroline vorsichtig.

„Eine der Frauen in meinem Haushalt. Eine von denen, die Sie ausgezogen haben – was Sie wohl eigentlich fragen wollten, ohne die rechten Worte zu finden.“

Das hatte er unangenehmerweise ganz richtig beobachtet. Caroline half nur die Flucht in die Offensive. „Eine der Frauen Ihres Haushalts? Sie meinen Ihres Harems?“

Das löste bei ihm ein lautes Gelächter aus, das sie verstummen ließ. „Nein, das meine ich nicht. Ich habe keinen Harem. Im Übrigen befinden Sie sich im selamlik, dem traditionell von Männern bewohnten Teil eines türkischen Hauses, und nicht im haremlik. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass der Bereich der Frauen in diesem Haus mit meinen Konkubinen gefüllt wäre – oder Sklavinnen, falls sie sich darüber Sorgen machen. Die Frauen in diesem Haus sind bezahlte Bedienstete – mehrere Dienstmädchen, eine Haushälterin und zwei Köchinnen. Sie erfüllen die gleichen Aufgaben wie Ihr Personal in England.“

„Verstehe“, erwiderte Caroline verkrampft. Sie kam sich schrecklich unbeholfen vor. „Und die Dame des Hauses … hat nichts gegen meine Anwesenheit einzuwenden?“

„Sie meinen meine Geliebte?“ Drew lehnte sich behaglich gegen den Berg aus Kissen auf dem Diwan zurück und legte die Füße hoch. Es fühlte sich unanständig an, als ob sie nebeneinander im Bett lägen.

„Ja.“ Sie wollte sich nicht von ihm in Verlegenheit bringen lassen. „Ich nehme an, dass Sie nicht verheiratet sind.“

„Tatsächlich bin ich unverheiratet, und habe zurzeit auch keine Geliebte.“ Schweigend beobachtete er sie. Caroline fühlte sich stark an den schwarzen Panther im Hof oder an den Sultan selbst erinnert. Dieser Mann verströmte die gleiche Aura angeborener Macht. „Man könnte sagen, dass in diesem Bereich eine Stelle frei ist.“

Er sucht eine Mätresse und erzählt mir das auch noch? Soll das ein Stellenangebot sein? Dieser eingebildete Teufel! Er hat entschieden zu lange im Osten gelebt.

„Entschuldigen Sie bitte.“ Seine warme tiefe Stimme riss sie aus ihren empörten Gedanken. „Ich vergesse, mich um Ihre Gesundheit zu sorgen. Bitte trinken Sie etwas. Ihre Wangen wirken wieder ganz erhitzt.“ Drew beugte sich über sie und nahm ein Glas von einem flachen Seitentisch, den sie gar nicht bemerkt hatte. „Es ist frisches Quellwasser mit etwas Orangensaft und Honig, damit Sie wieder zu Kräften kommen.“ Er hielt ihr das Glas an die Lippen, bis sie es ihm ungehalten aus der Hand nahm und es in wenigen Zügen leerte.

„Danke, ich kann das allein.“

„Natürlich.“

Er lehnte sich wieder zurück, und Caroline spürte, dass sie wieder besser Luft bekam. Das Getränk hatte ihr gutgetan.

„Wo war ich gerade stehen geblieben? Oh ja, dass ich derzeit keine Geliebte habe, weshalb es hier auch keine Herrin des Hauses gibt.“

„Das muss hart für Sie sein“, erwiderte Caroline knapp.

„Ja, in der Tat.“ Er räkelte sich wie es die großen Raubkatzen taten, mit denen sie ihn verglichen hatte. „Anhaltende Enthaltsamkeit ist sehr hart, finden Sie nicht?“

„Dazu kann ich wirklich nichts sagen.“

„Wie verwegen von Ihnen! Kann ich daraus etwa schließen, dass das Ende Ihrer Ehe Ihnen keinen großen Kummer bereitet hat und Sie seitdem angemessen getröstet wurden?“

„Ganz im Gegenteil, der Tod meines Mannes war sogar ein Grund zu ausgesprochen tiefer Trauer! Sie legen meine Worte absichtlich falsch aus! Ich habe meinen Gatten sehr geliebt. Selbstverständlich geht eine Dame nicht näher auf … auf fleischliche Gelüste ein, sodass ihr die Frage, ob Enthaltsamkeit als hart empfunden wird, nicht in den Sinn kommt“, schloss sie aufgebracht und mit hochrotem Gesicht.

„Meine liebe Lady Morvall! Jetzt lässt Sie aber Ihr Erinnerungsvermögen im Stich, wenn ich es so ausdrücken darf. Verzeihen Sie mir, wenn ich es erwähne, aber wenn Sie nicht an fleischliche Gelüste dachten, als wir uns erstmals begegneten, worüber sannen Sie dann nach? Über einen bezaubernden neuen Hut oder die Aussicht auf eine unbegrenzte Zahl türkischer Bonbons?“

„Oh! Ich lehne es entschieden ab, Ihnen darauf zu antworten, Mr Fenton. Keine echte Dame würde das tun.“

„Ich denke, Sie haben genau hierüber nachgedacht …“ Drew beugte sich über sie, stützte sich mit einer Hand auf dem Teppich neben ihr ab und hielt sie so mit seinem Körper gefangen, obgleich er sie nur leicht an einer Seite mit dem Arm berührte.

Caroline keuchte auf, als ob er sie verbrannt hätte, und Drew küsste sie. Vor Schreck und Entrüstung erstarrte sie für einen Augenblick. Dann wollte sie sich ihm widersetzen und spürte, dass ihr verräterischer Körper den Gehorsam verweigerte. Entschlossen und doch zärtlich brachte er sie dazu, seine Küsse zu erwidern. Erst neckend und dann fordernd ließ er die Zunge über den Schlitz zwischen ihren Lippen gleiten, bis sie den Mund öffnete und ihn mit ihrer Zunge berührte.

Es war so seltsam, einen anderen Mann zu küssen. Er schmeckte und duftete anders, als sie es gewohnt war. Und als sie schließlich die Arme um seine Schultern legte, bemerkte sie auch, wie anders sich sein Körper anfühlte.

William war ein großer und kräftiger Mann in den besten Jahren gewesen. Selbst mit sechsundfünfzig hatte seine Ausdauer gereicht, um den ganzen Tag durchzureiten, wenn es nötig gewesen war. Doch trotz seiner Männlichkeit und Stärke hatten die Muskeln Fett angesetzt, und seine Haut hatte ihre jugendliche Straffheit verloren, sodass Caroline ihn als liebenswert kuschelig empfunden hatte.

Dieser Mann hingegen war durchtrainiert und ebenso wenig kuschelig wie der schwarze Panther, unter dessen weichem seidigen Pelz sich Muskeln und Sehnen befanden, mit denen er jederzeit zum tödlichen Sprung ansetzen konnte.

Wo sie Drew Fenton auch berührte, waren nur glatte Muskeln und straffe warme Haut zu spüren. Ohne die leiseste Mühe stützte er sich über ihrem Körper auf den Armen ab.

Drew spielte mit ihrer Zungenspitze, und Caroline überließ sich schließlich ganz seinen leidenschaftlichen Küssen.

Wie lange sie einander küssten, hätte sie nicht sagen können. Die Zeit schien jede Bedeutung zu verlieren, auch wenn ihr Verlangen sich mit jedem Augenblick steigerte, bis sie es kaum mehr ertrug.

Sie versuchte, sich an seinen Körper zu schmiegen, den er in so aufreizender Nähe von ihrem entfernt hielt. Aufstöhnend bohrte sie die Finger in seine Schultern und versuchte, ihn zu sich hinunterzuziehen.

Drew löste sich von ihren Lippen, senkte den Kopf und begann, durch den dünnen Seidenstoff ihrer Tunika an ihrer rechten Brustwarze zu saugen und aufreizend mit den Zähnen die harte Spitze zu zwicken.

Das brachte sie fast um den Verstand, löste eine Spirale des Verlangens in ihr aus, die dazu führte, dass sie schließlich zitternd und stöhnend in seinen Armen lag.

Als Caroline wieder zur Besinnung kam, lehnte sie gegen Drews Brust, der sich in die Kissen zurückgelehnt hatte.

„Du bist zwar nicht kuschelig, aber es fühlt sich bei dir auch angenehm an“, murmelte sie. Sie musste so scherzhaft wie möglich mit der Situation umgehen. Denn was sie tatsächlich empfunden und gedacht hatte, ließ sich nicht in Worte fassen.

„Kuschelig?“ Ein Ohr gegen seine Brust gepresst klang seine Stimme wie ein tiefes, leicht beleidigtes Grummeln. „Du wolltest nur kuscheln?“

„Nein.“ Sie lachte, denn sonst hätte sie nur weinen können. Sie wusste nicht, wie sie ihm in die Augen blicken sollte, nachdem sie sich so bereitwillig seinen Liebkosungen hingegeben hatte. „William, mein verstorbener Mann, war eher kuschelig. Er war der einzige andere Mann, mit dem ich je zusammen gewesen bin.“ Kaum hatte Caroline die Worte ausgesprochen, bedauerte sie es. Es kam ihr mehr als unsensibel vor, nach diesen leidenschaftlichen Küssen, den Vergleich mit einem anderen Mann anzustellen.

„Es handelte sich also um einen eher fetten jungen Mann?“ Das tiefe Rumoren klang jetzt glücklicherweise eher belustigt.

„William war sechsundfünfzig.“

„Oh!“

„Er war ein liebenswürdiger und lebenslustiger Mann.“ Verärgert über Drews indirekten Spott, setzte sich Caroline aufrecht hin, um ihm ins Gesicht zu sehen. Er blickte sie mit höflichem Interesse an – wenn man nicht auf seinen Mund achtete, der von den endlosen Küssen angeschwollen war. „Er mochte Frauen. Er fand es wichtig, mir im Bett Freude zu bereiten. Ich habe erst richtig verstanden, wie ungewöhnlich das war, nachdem ich mich mit anderen Ehefrauen darüber unterhielt.“

„Sprechen Frauen von Stand über solche Dinge?“

„Natürlich tun wir das“, entgegnete Caroline lachend, die froh war, von ihrem neuerlich erwachenden Verlangen abgelenkt zu werden. „Selbstverständlich reden wir sehr diskret darüber – und nur unter verheirateten Frauen. Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, fanden es jedenfalls alles andere als vergnüglich. Meine Schwiegertochter, die Frau meines Stiefsohns, hat sich geradezu über ihre morgendliche Übelkeit gefreut. Solange sie guter Hoffnung ist, belästige Hubert sie nicht, wie sie es ausdrückte.“

„Hubert verfügt offenbar nicht über die Talente seines Vaters, wenn ich es richtig verstehe?“ Drew lehnte sich in die Kissen zurück, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte.

„Nein, im Bett offenkundig nicht und meiner Kenntnis nach auch nicht in allen weniger intimen Bereichen. Wie der liebe William einen so humorlosen Sohn in die Welt setzen konnte, ist mir ein Rätsel – außer Hubert hat alles von der Mutter geerbt.“

„Nun, dann können wir nur hoffen, dass Huberts Gattin eher unterkühlter Natur ist, sodass sie nicht derartig unter dem Mangel an körperlichen Freuden leidet, wie es bei dir der Fall wäre.“

Autor

Deborah Hale

Deborah Hale konnte es nie richtig glauben, wenn ihre Eltern erzählten, sie hätte schon mit sieben Monaten zu sprechen begonnen. Aber wie auch immer, eines ist sicher: Deborah liebt es, Geschichten zu erzählen, seit sie denken kann.

In ihrer Jugend las sie unendlich viele Romane über das Meer und schrieb...

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Louise Allen

Louise Allen lebt mit ihrem Mann  – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.

Foto: ©  Johnson Photography

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