Historical Saison Band 43

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EINEN VISCOUNT KÜSST MAN NICHT! von BEACON, ELIZABETH
Seit Chloe ihn abgewiesen hat meidet Luke Winterley, Viscount Farenze, die Nähe der schönen Hausdame wie der Teufel das Weihwasser. Bis er ausgerechnet das Herrenhaus erbt, in dem sie angestellt ist! Eigentlich will er Chloe sofort entlassen - aber bei ihrem betörenden Anblick gerät sein Vorsatz gefährlich ins Wanken …

DAS SCHLOSS DER VERBOTENEN TRÄUME von BEACON, ELIZABETH
Dieser selbstgefällige Marquess of Mantaigne will Dayspring Castle für sich beanspruchen und wagt es sogar, ihr einen Kuss zu rauben! Polly Trethayne ist empört. Schließlich war sie es, die das Schloss vor dem Verfall gerettet hat. Doch warum schlägt Pollys Herz in der Nähe des attraktiven Marquess bloß so schrecklich schnell?


  • Erscheinungstag 14.02.2017
  • Bandnummer 0043
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768560
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Elizabeth Beacon

HISTORICAL SAISON BAND 43

ELIZABETH BEACON

Einen Viscount küsst man nicht!

Faszinierend, herrisch und kalt wie Eis! Für Chloe ist die Rückkehr Luke Winterleys ein Albtraum. Genau wie damals muss die Hausdame gegen ihr Begehren für den unnahbaren Viscount ankämpfen. Denn nicht nur ihre Stellung steht ihrem Glück im Weg, auch sein verbittertes Herz! Oder werden ihre glühenden Küsse seinen eisigen Schutzwall schmelzen lassen?

Das Schloss der verbotenen Träume

Eine feurige Schönheit, so wild wie die Wellen, die gegen die Felsen von Dayspring Castle peitschen. Als der Marquess of Mantaigne entdeckt, wer sein Schloss bewohnt, ist er nicht nur sprachlos, ihn packt auch heißes Verlangen. Er muss sich unbedingt von Polly fernhalten. Denn eins hat er sich geschworen: Nie wieder eine Frau in sein Leben zu lassen!

1. KAPITEL

Luke Winterley, Viscount Farenze, war seiner Tochter beim Aussteigen behilflich und beobachtete, wie Eve das schöne Haus betrachtete, das sich an einen der sanften Hügel von Wiltshire schmiegte wie ein kostbares Juwel auf grünem Samt.

„Wenn ich mich doch nur erinnert hätte, dass Farenze Lodge so schön ist, dann hätte ich dich schon vor Langem dazu gedrängt, mich herzubringen, Papa. Ich weiß noch, als ich klein war, hat Tante Virginia mir eine Süßigkeit gegeben, nachdem ich die Treppe hinuntergefallen war und mir das Knie wehgetan habe, aber das ist auch fast alles, was ich noch weiß“, sagte sie.

Er unterdrückte seine Gewissensbisse und half zuerst Brandy Brown, Eves zierlicher, jedoch Respekt einflößender Zofe, aus der Kutsche, bevor er antwortete. Es stimmte, er hatte Eve von der Lodge ferngehalten, damit er so wenig Zeit wie möglich hier verbringen musste.

„Kein Wunder, dass du dieses weltbewegende Ereignis noch im Gedächtnis hast, aber … ja, es ist gewiss ein sehr schönes Haus“, erwiderte Luke mit einem zweiten Blick auf das elegante, im klassizistischen Stil erbaute Herrenhaus.

Er musste sich allerdings wappnen gegen das Gefühl der Leere, das ihn darin überkommen würde, ohne die kürzlich verstorbene Viscountess Farenze, die es zu einem Zuhause zu machen gewusst hatte. Es war jedoch seine Pflicht, Eve den Verlust ihrer Urgroßtante Virginia nicht noch schmerzlicher fühlen zu lassen, und das trotz seines eigenen Kummers und einer nie erfüllten Sehnsucht. Außerdem, je weniger irgendjemand über diese Sehnsucht wusste, und darüber, wie sehr sie ihn gerade unter diesem Dach überfiel, desto besser.

„Es kommt mir nicht annähernd so riesig vor wie damals“, fuhr Eve fort.

„Nein, es sollte auch niemals ein Palast, sondern ein Zuhause sein“, antwortete er leicht geistesabwesend. Zurzeit war es jedenfalls das Zuhause einer trauernden Dienerschaft und einer sehr unbequemen Haushälterin.

Der Gedanke, dass Mrs. Chloe Wheaton ihn in diesem Haus erwartete, ließ Luke fast laut aufstöhnen vor Unbehagen, aber er beherrschte sich und unterdrückte wieder sein schlechtes Gewissen darüber, dass er sie aus ihrem Zuhause fortschicken musste. Er konnte nicht unter demselben Dach wie Chloe Wheaton wohnen, und doch fühlte er gleichzeitig dieses heftige Bedürfnis, sie wiederzusehen, wenn auch nur, um herauszufinden, ob die zehn Jahre, die sie damit verbracht hatten, sich aus dem Weg zu gehen, sie ebenso mitgenommen hatten wie ihn.

„Virginia und Virgil liebten ihre Bequemlichkeit, aber ich bin sicher, sie hätte ihr Möglichstes gegeben, sich auch auf Darkmere Castle wohlzufühlen, wenn er es vorgezogen hätte, dort zu leben. Zum Glück war er immer sehr viel glücklicher in dem Heim, das sie sich hier zusammen geschaffen hatten“, erklärte er seiner Tochter.

Irgendwie musste er sich erneut von Mrs. Chloe Wheatons Anwesenheit ablenken, sonst würde es dazu kommen, dass er sie auch dieses Mal jenseits jeder Vernunft begehren würde. Sie war eine junge Witwe mit einer kleinen Tochter. Er hatte kein Recht, sich auf diese bohrende, unsinnige Weise nach ihr zu verzehren, wann immer sie sich in derselben Grafschaft, geschweige denn im selben Haus aufhielten.

„Ich erinnere mich nicht an deinen Onkel Virgil, Papa. Aber er sieht viel zu verwegen und zynisch aus auf jenem Porträt in der Galerie, um sich in jemanden verlieben zu können, so schön Tante Virginia auch gewesen sein mag vor sechzig Jahren.“

„Ja, aber das Porträt wurde gemalt, bevor sie sich kennenlernten, und Virginia war eine Frau von Charakter, nicht nur von seltener Schönheit. Sie waren einander so tief ergeben, wie ich es bei niemandem sonst erlebt habe, und ich bin sehr viel zynischer, als Virgil es je war“, meinte er mit einem traurigen Lächeln, denn in diesem Moment wurde ihm sehr deutlich bewusst, wie sehr beide ihm fehlten.

„Ich bin gar nicht so sicher, dass du so unromantisch bist, wie du glaubst, Papa. Aber es ist wirklich ein sehr schönes Haus, und man fühlt, dass es mit Liebe erfüllt war.“

„Ich weiß, was du meinst“, stimmte er düster zu.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger liebte er Darkmere Castle und die karge Schönheit der windgepeitschten Landschaft im Norden Englands, in der es lag, sah aber die Vorteile eines kleineren, moderneren Gebäudes, besonders an einem eisigkalten Januarnachmittag wie diesem. Er würde einen Teil des Jahres hier verbringen müssen, wenn er dafür sorgen wollte, dass Virgils und Virginias elegantes Zuhause gut erhalten blieb. Ein Blick auf die idyllische Hügellandschaft um ihn herum, und fast jeder würde ihn für einen Dummkopf oder Lügner halten, wenn er sagte, dass es sich um einen zweifelhaften Segen handelte. Ja, Mrs. Chloe Wheaton würde gehen müssen, wenn er hier wohnen sollte – um ihrer beider willen.

In ebendiesem Moment sah er, wie eine schlanke Frau ans Fenster von Virginias Schlafzimmer trat, gewiss um zu erkunden, wer angekommen war. Luke spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte, nur um dann umso schneller zu pochen, als die jugendliche Haushälterin von Farenze Lodge deutlich zusammenzuckte bei seinem Anblick. Sie begegnete seiner grimmigen Musterung mit leicht erhobenem Kinn und einer kühlen Gelassenheit, um die er sie nur beneiden konnte.

Er konnte kaum fluchen, solange Eve in der Nähe war, doch er konnte ebenfalls nicht verhindern, dass glühendes Verlangen durch seine Lenden schoss. Offenbar begehrte er diese verflixte Frau noch immer, und er konnte sie auch jetzt nicht haben.

Er ist hier, flüsterte ihr eine innere unvernünftige Stimme zu. Er ist endlich zu dir zurückgekehrt, raunte sie, und Chloe wünschte, sie könnte sie ein für alle Mal zum Schweigen bringen. Seit Virginia so krank geworden war, dass sie jede Hoffnung auf Genesung aufgaben, hatte der Gedanke an die Ankunft des Viscounts, der um seine geliebte Großtante trauerte, ihre Trostlosigkeit nur verstärkt.

Warum stand sie also da und starrte ihn an wie eine Närrin? Lord Farenze hob hochmütig die Augenbrauen, als wollte er fragen, welches Recht sie hatte, ihn anzusehen. Er war der Herr von Farenze Lodge und Darkmere Castle, und sie war lediglich die Haushälterin. Dennoch vermochte sie nicht den Blick von ihm zu nehmen, als könnte sie so einen inneren Durst löschen, den sie selbst sich nicht eingestehen wollte.

„Idiot“, schimpfte sie sich leise. Hatte sie sich nicht geschworen, nie wieder zu erzittern bei seinem Anblick?

Er wirkte herrisch, kraftvoll und widerborstig, wie immer. Dann sah sie, dass sein rabenschwarzes Haar kein bisschen Grau aufwies und zu lang für die herrschende Mode war, als er schwungvoll den Hut abnahm und spöttisch eine Verbeugung andeutete. Dunkle Brauen wölbten sich über klugen Augen, deren Farbe kein schlichtes Grau war, wie sie sich erinnerte. Sie waren genauso vielschichtig wie er – silbergrau und meist kühl, aber auch mit kleinen goldfarbenen und grünen Sprenkeln, die auf verborgene Leidenschaften hindeuteten. Sie fragte sich, ob solche Gefühle erstarben, wenn ein Mann nur lange genug leugnete, sie zu empfinden.

Chloe erinnerte sich an eine Zeit, da er sie beide fast ruiniert hätte mit seiner rasenden Begierde, und sie redete sich ein, lediglich vor Kälte zu erzittern, nicht weil sie sich an einen Luke Winterley erinnerte, der nichts mit dem kühlen Lord zu tun hatte, der jetzt auf dem Kiesweg vor dem Haus stand. Das vernarrte, zornige Mädchen von vor zehn Jahren sehnte sich mit aller Macht nach ihm, aber die reife Mrs. Wheaton erschauderte bei dem Gedanken, sie hätte dem Feuer und den falschen Versprechungen eines jüngeren, verletzlicheren Mannes nachgeben können, und wusste, dass es richtig gewesen war, ihn zurückzuweisen.

„Wer ist es, meine Liebe?“ Culdrose, die ältliche Zofe ihrer verstorbenen Herrin, sah von ihrem Stuhl neben Lady Virginias Bett auf.

„Lord Farenze, Cully“, antwortete Chloe mit einem Seufzer.

„Sehr schnell ist er gekommen. Aber warum nennen Sie ihn einen Idioten?“

„Sie haben ein gutes Gehör, Cully. Ich sprach nicht von Lord Farenze.“

„Ich mag ja weißes Haar haben, aber mein Verstand funktioniert noch. Seine Lordschaft ist ein gut aussehender Gentleman, wie jede Frau sehen kann. Sie wären eine Närrin, wenn Sie sich von ihm den Kopf verdrehen ließen.“

„Das werde ich gewiss nicht“, sagte Chloe leise, aber entschlossen. Sie würde ihn meiden wie die Pest und hoffte, dass er dasselbe tun würde.

Was war nur so besonders an dieser Frau, dass ihm ganz heiß wurde, schon wenn er sie nur aus der Ferne sah? Er wollte nicht daran erinnert werden, wie knapp sie damals einer Katastrophe entgangen waren. Hin und her gerissen zwischen widerstreitenden Gefühlen, über die er nicht nachdenken wollte, machte Luke sich klar, wie unakzeptabel es wäre, durch einen Skandal den Ruf einer anständigen Frau zu zerstören und die Aussichten ihrer kleinen Tochter zunichte zu machen.

Er war sechsunddreißig Jahre alt, kein grüner Junge, der während jeder wachen Minute an nichts anderes als Frauen und sein Verlangen nach ihnen dachte. Wenn sie ihren Blick so voller Verachtung von ihm abwenden konnte, würde er es schaffen zu vergessen, wie sehr er sie begehrte. Sie war eine der höheren Bediensteten, und er respektierte ihre Charakterstärke, obwohl gerade die eine Affäre verhinderte, die ihnen beide so viel Vergnügen hätte bereiten können.

„Ich frage mich, wie es ist, jemanden so tief zu lieben, wie Tante Virginia es getan hat“, überlegte Eve und riss Luke aus seinen Gedanken. Er runzelte die Stirn bei der Vorstellung, seine Tochter könnte die lächerlichen romantischen Ideen ihrer Mutter geerbt haben.

„Schmerzhaft und gefährlich, stelle ich mir vor“, antwortete er rau.

„Ich glaube eher, es muss wundervoll und aufregend sein, den richtigen Menschen zu lieben und von ihm wiedergeliebt zu werden, Papa.“

„Deine Mutter hätte dir zugestimmt, wieder und wieder.“ Er erschauderte. Pamela hatte sich öfter verliebt, als er zählen konnte, nachdem sie entdeckt hatte, dass ihr junger Gatte doch nicht der ideale Mann für sie war. Wie oft hatte er sich gefragt, wie ein liebevolles Kind wie seine Eve die Frucht einer so unglückseligen Ehe sein konnte.

„Bitte, wähle jemanden, der deiner wert ist, wenn du heiratest, Eve“, riet er ihr ernst. „Nimm nicht den erstbesten hohlköpfigen Beau, der sagt, er liebt dich, und am nächsten Tag einer anderen schöne Augen macht.“

„Ich bin doch nicht dumm, Papa, aber du wirst noch als einsamer, verbitterter alter Zyniker enden.“

„Zuerst möchte ich, dass du einen guten Mann findest, bevor ich mich nach einer geeigneten Frau umsehe.“

Eve verdrehte die Augen. „Geeignet?“, wiederholte sie ungläubig. „Tante Virginia hätte dich nicht gern so reden gehört. Es klingt, als wolltest du eine Frau in einem Warenhaus auswählen und sie dir an einem geeigneten Tag zur Kirche liefern lassen.“

„Du bist ein impertinentes kleines Ding, junge Dame, aber ich gebe zu, Virginia würde die Idee wirklich nicht gefallen.“ Das letzte Gespräch mit seiner Großtante kam ihm nur allzu deutlich wieder in den Sinn.

„Du hast diesen Hohlkopf Pamela nur geheiratet, weil dein Vater und deine Stiefmutter sie dir aufgezwungen haben“, hatte Virginia geschimpft, als er ihr eröffnete, dass er sich wieder verehelichen würde, sobald er Eve verheiratet hatte. „Wenn du eine ‚geeignete‘ junge Dame heiratest, verliebe dich wenigstens in deine Mätresse.“

Sie hatte geseufzt, als sie sein spöttisches Lächeln gesehen hatte. Dass er die Vorstellung lächerlich fand, die Frau zu lieben, die er lediglich heiratete, um einen Erben zu zeugen, war ihm wohl deutlich anzumerken gewesen.

„Nein“, hatte sie sich gleich darauf korrigiert. „Keine Frau verdient es, dich zu heiraten und mit ansehen zu müssen, wie du statt ihrer eine Kokotte liebst. Du bist ein so leidenschaftlicher Mann hinter der gleichgültigen Fassade, Luke. Noch eine Ehe wie die letzte wird dich zerstören. Und stell dir bitte nicht vor, du könntest ein zweites Mal das Glück haben, mit einem Hohlkopf ein so süßes Kind wie Eve zu zeugen. Kein Mann verdient es, so viel Glück zu haben.“

„Ich bin kein sehr liebenswerter Mann“, hatte er rau geantwortet. Die Begeisterung seiner Mätresse in seinem Bett bewies, dass er wohl ein recht guter Liebhaber war, aber Lust hatte nur wenig mit Liebe zu tun.

„Dann hassen deine Eve und ich dich wohl im Geheimen, was?“, hatte Virginia geschimpft. „Und deine Dienerschaft und Pächter verabscheuen dich wahrscheinlich auch, weil du sie so anständig behandelst wie kaum ein Gutsherr. Ach, Luke, du hast eine hirnlose kleine Närrin geheiratet, die ihr Leben damit verbracht hat, sich in jeden Schürzenjäger zu verlieben, der ihr über den Weg lief, obwohl sie einen guten, attraktiven Ehemann wie dich hatte. Aber das war nicht deine Schuld, mein Lieber. Dein Vater lag im Sterben und überredete dich, viel zu früh zu heiraten. Was für ein Glück, dass Pamela eine Tochter zur Welt brachte, bevor sie mit dem erstbesten Lebemann durchbrannte, der sie haben wollte.“

„Ich liebe Eve von ganzem Herzen, das weißt du.“

„Ja, ich weiß, und James wird dann irgendwann dein Erbe sein, sollte es nötig sein. Aber besser wäre es, du hättest selbst einen Sohn. Allerdings wird deine zweite Ehe eine noch größere Katastrophe werden als deine erste, wenn du lediglich eine ‚geeignete‘ Frau nehmen willst“, hatte sie ihn noch ernst gewarnt.

„Wenn ich glauben könnte, dass James die Belange der Winterleys mit derselben Hingabe erfüllen würde, die er für sein Zechen, die halsbrecherischen Kutschwettfahrten und Kartenspiele aufbringt, könnte er alles mit meinem Segen bekommen. Wenn ich meine Pächter in fähige Hände übergeben könnte, wenn ich vor meinen Schöpfer trete, gäbe es keinen Grund für mich zu heiraten.“

„Fähigere Hände, als du denkst. Aber James kann sein Leben nicht damit zubringen, darauf zu warten, in deine Fußstapfen zu treten. Er hat Besseres verdient.“

„Wirklich?“, hatte Luke barsch erwidert und sich gefragt, ob Virginia ahnte, wie groß die Kluft war, die zwischen ihm und seinem Halbbruder klaffte.

„Papa?“

„Ich hätte dich zu Hause lassen sollen, Eve. Virginia hat nicht gewollt, dass man um sie trauert, und ihre Bediensteten haben sie zu sehr geliebt, um weiterzumachen, als wäre nichts geschehen.“

„Das ist das Leben, kein hübsches Märchen, Papa“, tadelte seine Tochter ihn, als wäre sie die Erwachsene und er sechzehn Jahre alt.

„Dann machen wir uns am besten daran, uns an ein Haus zu gewöhnen, in dem Virginia uns nicht mehr willkommen heißen wird. Du hast ja darauf bestanden herzukommen.“

„Ja, das habe ich. Ich liebte sie auch, weißt du.“

„Und sie hat dich von dem Tag an vergöttert, als sie dich zum ersten Mal sah, meine kleine Eve. Keiner von uns konnte damals begreifen, warum eigentlich, da du geschrien hast wie am Spieß, weil du gezahnt hast. Virginia verbrachte jeden Sommer drei Monate in Darkmere, bis du alt genug warst, um mit ihr wegen der frischen Meeresluft nach Brighton zu fahren. Also musst du wissen, wie sehr sie dich geliebt hat, wenn man bedenkt, dass sie Brighton nicht ausstehen konnte.“

„Ich weiß“, sagte sie und sah einen Augenblick so todunglücklich aus, dass er sie am liebsten umarmt und direkt nach Darkmere zurückgeschickt hätte. Aber seine Tochter hatte recht, sie war fast erwachsen. Er musste sie ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen, selbst wenn es gegen seinen inneren Drang ging, sie vor allem zu schützen, das ihr wehtun könnte. „Warum kamen wir stattdessen nicht hierher, als ich klein war, Papa?“, fragte sie. „Du bleibst nie länger als ein paar Tage in Farenze Lodge, dabei scheinst du es fast ebenso zu lieben wie Darkmere.“

„Weil es einfacher so ist“, meinte er ausweichend.

Einfacher für ihn, weil er sonst in Gefahr käme, Chloe Wheaton doch noch zu seiner Geliebten zu machen, das Feuer zwischen ihnen zu schüren, bis sie nachgab. Aber als er vor Jahren von seinem Verlangen dazu getrieben wurde, es ihr vorzuschlagen, hatte die Dame einige sehr geharnischte Dinge zu erwidern gehabt. Es wäre nicht leicht gewesen, aber irgendetwas sagte ihm, dass es ihm am Ende doch gelungen wäre, sie zu überreden.

Wirklich, wie mochte es sein, zu lieben und geliebt zu werden? Unmöglich, im Grunde sogar unerträglich, und er liebte die Frau ja auch nicht, ebenso wenig wie sie ihn liebte. Er würde ein, zwei Jahre warten mit seiner „geeigneten“ Gemahlin, sobald für Eve gesorgt war. Eine hübsche, fügsame junge Witwe oder eine freundliche Dame, die man auf dem Heiratsmarkt übersehen hatte, wären genau das Richtige für ihn. Noch während er diesen vernünftigen Plan fasste, erschien das Bild von Chloe vor seinem inneren Auge, wie sie in jenem ersten Sommer gewesen war, und fast hätte er laut geflucht.

Damals war sie warmherzig und offen, unglaublich jung und atemberaubend schön gewesen. Chloe hatte Gefühle in ihm erweckt, die er mit seinen sechsundzwanzig Jahren längst vergessen geglaubt hatte. Luke runzelte die Stirn. Er hatte nicht gewollt, dass jenes hinreißende, feurige junge Geschöpf mit den rotgoldenen Locken ebenso eingeengt und enttäuscht endete wie er. Und doch ähnelte die Frau, die er eben am Fenster gesehen hatte, in nichts dem warmherzigen, unwiderstehlichen Mädchen, dem er damals auf einem Ausritt begegnet war.

Irgendwie war es ihm gelungen, sie nicht anzusprechen und weitergehen zu lassen. Nein, er war zu verbittert und in seiner Seele zu sehr verletzt für eine junge Dame, die gewiss romantische Träume hegte, die er niemals würde erfüllen können. Jedenfalls hatte er sich das gesagt, nachdem er kurz in ihre herrlichen veilchenblauen Augen geblickt hatte. Weiterzureiten – fort von ihr –, war mit das Schwierigste gewesen, was er je hatte tun müssen. Aber seine Illusionen über sie wurden noch früher enttäuscht als bei Pamela.

Nur zwei Stunden später hatte er herausgefunden, dass das Mädchen Virginias neue Gesellschafterin und Haushälterin war, auf dem Rückweg von einem Besuch bei ihrer kleinen Tochter bei deren Kindermädchen. Mrs. Chloe Wheaton behauptete, eine Witwe und zweiundzwanzig Jahre alt zu sein, wenn sie auch nicht älter als achtzehn wirkte. Virginia hatte ihn beruhigt, dass sie sich der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Geschichte bewusst war und dem Mädchen auch nicht glaubte, aber sich schon seit Jahren nicht mehr so gut amüsiert hätte wie jetzt mit diesem frischen jungen Geschöpf. Was hätte er also mit dieser Lügnerin, dieser angeblichen Witwe, tun sollen, wenn Virginia tatsächlich endlich wieder lebhaft und zufrieden war wie zu den Tagen, da ihr geliebter Virgil noch lebte?

Mrs. Wheatons zornige Zurückweisung seiner carte blanche vor zehn Jahren hallte noch immer in seinen Ohren wider, als wäre es erst gestern gewesen, dass sie ihn einen arroganten, abstoßenden Wüstling geschimpft hatte. Falls sie dieselbe innere Anspannung spürte wie er, wann immer er sie wiedersah, dann hatte sie jedenfalls gelernt, es sehr gut zu verbergen. Sie heute so erschöpft und so kummervoll wiederzusehen, machte sie in gewisser Weise zu einer Seelenverwandten, aber er wollte nichts mit Mrs. Chloe Wheaton gemeinsam haben.

Luke schüttelte seufzend den Kopf. Er konnte von Glück sagen, dass sein langer Reitmantel die heftige Reaktion seines Körpers verbarg, der seinen strengen Befehl, die verführerische Haushälterin nicht zu begehren, einfach ignorierte. Verärgert wandte er den Blick von dem Fenster ab und schimpfte sich insgeheim einen vollkommenen Idioten.

2. KAPITEL

Wer war das, Papa?“, fragte Eve.

„Wen meinst du?“, wich er ihr aus.

„Die Dame am Fenster.“

„Ein Hausmädchen, das auf die Ankunft der Trauergäste achtet?“

„Sie sah eher wie die Haushälterin aus, wenn sie auch sehr jung scheint für eine so verantwortungsvolle Aufgabe.“

„Das ist sie auch“, meinte er grimmig. „Sie muss noch im Schulzimmer gewesen sein, als sie Wheaton kennenlernte.“

„Wer ist denn Wheaton? Die Januarluft scheint deinen Verstand verwirrt zu haben, statt ihn zu schärfen, wie du behauptet hast, bevor du vorausgeritten bist.“

„Ich dachte, du und Bran habt genügend Pläne zu schmieden, wie ihr die Zeit hier verbringen wollt. Sehr wahrscheinlich habt ihr auch meine Zeit schon verplant.“

„Verleumdung, wir schmieden keine Pläne hinter deinem Rücken, oder, Bran?“, fragte Eve ihr früheres Kindermädchen und ihre jetzige Zofe.

„Und selbst wenn, würden wir uns niemals anmaßen, über Ihre Zeit zu verfügen, Mylord. Wir können nicht ahnen, womit Sie sie verbringen möchten“, erwiderte Brandy Brown, Eves zierliche Zofe. Ihr durchdringender Blick zeigte Luke, dass ihr nicht entgangen war, wie er und Chloe Wheaton sich angesehen hatten, selbst wenn es seiner unschuldigen Tochter nicht aufgefallen war.

„Nun, hier werdet ihr jedenfalls genügend Gesellschaft haben, um euch die Zeit angenehm vertreiben zu können“, meinte er nur, während sie die flachen Stufen hinaufgingen.

Er seufzte bei dem Gedanken an seine Großtante und dass er sie nie wiedersehen würde und tröstete sich bedrückt mit dem Gedanken, dass die nächsten wenigen Tage vorübergehen und das Leben seinen Lauf nehmen würde. Er musste nur Geduld zeigen.

„Miss Winterley begleitet Seine Lordschaft“, sagte Chloe, als sie sich vom Fenster abwandte.

„Master Luke ist sehr fürsorglich, ein sehr guter Vater und ein guter Mann, was seine Stiefmutter auch sagen mag“, stellte Culdrose fest.

„Ich vermute, er nimmt sie kaum wahr“, meinte Chloe geistesabwesend.

Sie selbst hatte aufgrund seiner Fürsorge für seine Großtante zehn Jahre lang sein Misstrauen ertragen müssen. Wahrscheinlich wunderte er sich, dass sie sich nicht schon längst mit Lady Virginias Schmuck oder dem Haushaltsgeld davongemacht hatte.

„Diese Frau hat dem armen Jungen das Leben zur Hölle gemacht. Ich verstehe bis heute nicht, warum sein Vater sie damals geheiratet hat. Oakham hat mit eigenen Ohren gehört, wie sie ihren Sohn James anwies, Mr. Luke möglichst schlechtzumachen, jetzt da die Familie eingetroffen ist, um ‚den alten Besen ins Grab zu legen‘, wie die intrigante Hexe es nannte. Lady Virginia hätte sie nicht über die Schwelle gelassen, das sage ich Ihnen. Aber Master Luke war schon immer weichherziger, als gut für ihn ist. Zweifellos hat er ihr erlaubt zu bleiben.“

„Mrs. Winterley wird sich doch gewiss benehmen, jetzt da Seine Lordschaft eingetroffen ist, was immer sie zu ihrem Sohn sagt. Sie scheint eine wahre Ehrfurcht vor Lord Farenze zu haben, und wie ich höre, hat er die Kontrolle über ihre Finanzen.“

„Dann hoffe ich, er kürzt ihr eines Tages erheblich das Nadelgeld. Sie hätte nichts anderes verdient.“

„Ich möchte keinen weiteren Aufruhr oder böses Blut, Cully, also tun Sie ihr nichts in die Suppe, wovon ihr übel werden könnte. Dann verschiebt sie ihre Abreise und bleibt nur noch länger. Nein, halten wir diese Woche noch durch, dann werden die meisten Trauergäste fort sein.“ Chloe wollte lieber nicht daran denken, wo sie bis dahin sein würde.

„Nun gut“, gab Culdrose widerwillig nach. „Aber es ist schon schwer, Schweigen zu bewahren, wo wir Ihre Ladyschaft doch so sehr liebten. Ich will nicht, dass man sie schlechtmacht, jetzt da sie nicht mehr da ist, um sich zu verteidigen.“

„Niemand wird so etwas wagen, noch dazu bei ihrer Beerdigung. Es wäre respektlos und herzlos.“

Culdrose schnaubte laut. „Und doch habe ich die Frau gestern im Boudoir Ihrer Ladyschaft herumschnüffeln sehen. Mrs. Winterley hat in ihren Briefen und persönlichen Sachen herumgestöbert, als hätte sie das Recht dazu. Gott sei Dank, dass wir Lady Virginias Wertsachen in der Truhe weggeschlossen haben, nachdem Oakham diese unverschämte Miss Carbottle dabei erwischt hat, wie sie die Diamantbrosche Ihrer Ladyschaft als Andenken behalten wollte. Andenken, dass ich nicht lache! Sie ist nicht besser als eine diebische Elster.“

„Sie hat wirklich die Angewohnheit, alles Hübsche, Glänzende an sich zu nehmen, das herumliegt. Ihre Schwester bringt jedoch immer alles zurück, und so bin ich froh, dass Sie ihr die Verlegenheit erspart haben. Jetzt muss ich hinuntergehen und Miss Winterley begrüßen. Sie ist nun die neue Hausherrin. Versprechen Sie mir aber, dass Sie die Dinge zwischen Mrs. Winterley und der Dienerschaft nicht schlimmer machen werden, als sie sowieso schon sind, Cully.“

„Sie wissen, dass ich den Mund halten kann, wenn es nötig ist. Dass Miss Eve jetzt allerdings die Herrin sein wird, bis Seine Lordschaft sich wieder verheiratet, wird Mrs. Winterley alles andere als erfreuen. Denken Sie an meine Worte.“

„Werde ich“, sagte Chloe und ging hinunter, um ihren Pflichten nachzugehen.

Es war dumm von ihr, sich so niedergeschlagen zu fühlen bei dem Gedanken daran, dass Lord Farenze wieder heiraten würde. Was er jedoch tun musste, um einen Erben zu zeugen. Ebenso wenig mochte sie daran denken, wohin sie gehen würde, sobald alle Gäste fort waren. Lord Farenze würde sie nicht in seinem Haushalt haben wollen, und sie konnte auch dann nicht bleiben, wenn er sie darum bitten sollte. Vorher musste sie allerdings noch die letzten Pflichten ihrer armen Herrin gegenüber erfüllen.

Luke gab dem wartenden Lakaien ein Zeichen, die Tür vor dem eisigen Winterwind zu schließen. Was hätte er darum gegeben, jetzt Virginia wie sonst immer rufen zu hören, er solle gefälligst endlich die Tür hinter ihm schließen, wenn er nicht wollte, dass sie sich im kalten Sturmwind den Tod holte.

„Danke, Oakham“, sagte er, als er feststellte, dass der Butler bereits einige Sessel vor das prasselnde Kaminfeuer gestellt hatte und Eve und Bran einen heißen Glühwein gegen die Kälte überreichte. „Ich würde Ihnen einen guten Tag wünschen, aber wir beide wissen, wie unmöglich das heute ist.“

„In der Tat, Mylord“, antwortete der ältliche Diener, betrübt den Kopf schüttelnd.

In der Stille, die seinen Worten folgte, hörte Luke das leise Rascheln von Röcken. Mrs. Wheaton hatte offenbar beschlossen, sich ihm zu stellen. Selbst in ihrer bis zum Hals zugeknöpften Trauerkleidung sah sie betörend schön aus, aber aus der Nähe erschien sie ihm sogar noch abgespannter. Seltsam zärtliche Gefühle, sehr viel gefährlicher als das größte Verlangen, überkamen ihn plötzlich, und Luke wünschte sich inniger denn je, sie wäre Hunderte von Meilen weit fort.

„Guten Tag, Mrs. Wheaton“, begrüßte er sie hölzern. „Führen Sie bitte meine Tochter und ihre Zofe in ihre Zimmer und sorgen Sie dafür, dass das Gepäck nach oben gebracht wird.“

„Guten Tag, Mylord. Miss Winterley“, antwortete sie und deutete einen nicht ganz respektvollen Knicks an.

„Guten Tag, Mrs. Wheaton“, antwortete Eve mit einem Lächeln, das die dickköpfige Frau ein wenig zu beschwichtigen schien. „Ich habe so viel von Ihnen gehört. Großtante Virginia hat ständig über die drolligen Sprüche und Streiche Ihrer kleinen Tochter geredet. Jetzt, da sie bereits zur Schule geht, muss sie ein äußerst aufgewecktes, lebhaftes Mädchen sein.“

„Mit aufgeweckt und lebhaft meint man für gewöhnlich einen kleinen Teufel, der so viel Unfug treibt, wie er nur kann. Wenn das Mädchen auch nur ein wenig so ist wie Sie in ihrem Alter, Miss Eve, besitzt Mrs. Wheaton mein Mitgefühl“, bemerkte Bran trocken.

Luke kam zu dem Schluss, dass Bran Mrs. Wheaton aus irgendeinem Grund gern mochte, und die ehemalige Kinderfrau war für seine Eve wie eine Mutter. Er war dem zierlichen Drachen unendlich dankbar, denn Bran hatte seine Tochter mit ihrer Liebe überschüttet, nachdem sie ihren Mann und bald nach der Geburt auch ihr eigenes Kind verloren hatte. Dennoch wünschte er, sie würde Mrs. Wheaton, so wie sonst jedem anderen Diener auch, ihr übliches Misstrauen entgegenbringen. Das hätte ihm noch gefehlt, dass seine Familie und die Wheatons sich näherkamen. Wenn sie Eve allerdings von ihrer Trauer ablenkte, würde er es wohl dulden müssen.

„Meine Verity kann es kaum erwarten, Sie kennenzulernen, Miss Winterley. Lady Virginia hat ihr viele exotische Geschichten über das Schloss erzählt, in dem Sie leben, und über die Plünderer an der Grenze nach Schottland, die einst darum kämpften. Da meine Tochter ihre Lehrer davon überzeugt hat, dass ich sie zu Hause brauche, wird sie kommen, sobald eine Kutsche frei ist, um sie abzuholen“, sagte Chloe lächelnd.

Ihr Gesichtsausdruck wurde weich, ihre veilchenblauen Augen leuchteten glücklich, als sie von ihrem einzigen Kind sprach. Luke ließ den Blick einen Moment auf einer rotgoldenen Locke verweilen, die der mit einem schwarzen Band eingefassten Haube entkommen war. Ohne die störende Kopfbedeckung würden ihre Locken wahrscheinlich den langen, schlanken Hals und die weißen Schultern berühren – wenn sie ein Kleid tragen würde, das weit genug ausgeschnitten war, um ihre weiblichen Reize zur Geltung zu bringen … Hastig rief er sich zur Ordnung. Die Frau war wirklich eine wandelnde Versuchung, und er täte besser daran, sich nicht in sinnlichen Träumereien zu verlieren, sondern der Wirklichkeit ins Antlitz zu sehen.

„Wahrscheinlich hat sie recht“, beharrte Eve gerade, und Luke fragte sich, wer recht hatte und womit. „Papa wollte mich bis nach Tante Virginias Beerdigung in Northumberland lassen, aber so hätte sie mir nur noch schmerzlicher gefehlt. Ihre Tochter hat eine sehr gute Freundin verloren, Mrs. Wheaton.“

„Und Sie sind eine kluge junge Dame, Miss Winterley.“

„Oh, das bezweifle ich. Aber bitte nennen Sie mich doch Eve, Ma’am.“

„Das kann ich kaum tun, wenn Sie darauf bestehen, mich Ma’am zu nennen. Außerdem gehört es sich nicht für eine Haushälterin, Sie mit Ihrem Vornamen anzusprechen.“

„Wollen Sie es dann wenigstens tun, wenn wir allein sind? Ich finde, wir ziehen uns gleich auf unsere Zimmer zurück und bitten um Tee, meinen Sie nicht auch? Wir müssen darüber reden, was in den nächsten Tagen alles erledigt werden muss, und da wäre es mir lieber, wenn Sie nicht ständig Miss Winterley zu mir sagten.“

Luke hörte seine bemerkenswerte Tochter zu dem auffordern, was er sich nicht traute – Chloe Wheaton nach oben mitnehmen, um sich bei einer Tasse Tee mit ihr zu unterhalten. Unwillkürlich seufzte er leise.

„Ich habe die Karaffen in der Bibliothek auffüllen lassen, Mylord, könnte Ihnen aber auch von dem besten Wein Ihrer Ladyschaft auf Ihr Zimmer bringen. Mir scheint, Mr. Sleeford und sein Schwiegervater befinden sich im Augenblick im Billardzimmer.“

Luke bedankte sich für die subtile Warnung und bat um ein Glas Portwein auf seinem Zimmer. Dann stieg er die elegante Treppe hinauf und begab sich in die Suite, die Virginia ihm als zukünftigen Herrn des Hauses zugeteilt hatte, gleich ein Jahr nachdem Großonkel Virgil gestorben war. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass Mrs. Wheaton in Erwartung seiner Ankunft dafür gesorgt hatte, dass in allen drei Räumen Feuer in den Kaminen entzündet worden war.

Er war dankbar für die Wärme und Zuflucht, die seine Zimmer ihm heute versprachen. Bei so vielen Menschen, die sich zur Beerdigung seiner Tante einfanden, musste er jeden friedlichen Moment auskosten, den er in den nächsten Tagen finden konnte.

Während sie an ihrem Tee nippten und die Aufgaben für die nächsten Tage besprachen, fragte Chloe sich, warum Miss Evelina Winterley in den zehn Jahren, die sie selbst hier verbracht hatte, kein einziges Mal zu Besuch gekommen war. Lord Farenze und seine Tochter hatten sich in Begleitung von Lady Virginia mehrere Wochen im Sommer nach Brighton oder Ramsgate begeben, aber seine Aufenthalte in Farenze Lodge waren jeweils so flüchtig gewesen, dass er meist nicht einmal über Nacht geblieben war, geschweige denn lange genug, um seine Tochter mitzubringen. Heißer Zorn durchfuhr Chloe, als ihr bewusst wurde, dass sie der Grund dafür gewesen war, dass er Eve von hier ferngehalten hatte.

Gewiss, als sie damals als Haushälterin und Gesellschafterin Lady Virginias hergekommen war, noch dazu mit einem Baby und ohne Ehemann, hatte es in der Nachbarschaft entrüstetes Geflüster gegeben. Wenn sie nur wüssten, dachte sie bedrückt, und wieder drohte sie von ihrem Kummer überwältigt zu werden. Sie kämpfte dagegen an, indem sie ihren Zorn auf den neuen Herrn des Hauses schürte. Es mochte ja sein, dass sie bald diesen Ort verlassen musste, aber sie gedachte, es mit stolz erhobenem Haupt zu tun.

„Lady Virginia sagte, ich würde Sie gernhaben, sollte ich Sie jemals kennenlernen, Mrs. Wheaton, und ich habe das Gefühl, Sie schon ein wenig zu kennen“, sagte Eve Winterley, während sie die Tasse ihrer Zofe ein zweites Mal nachfüllte.

Die Vertrautheit zwischen Herrin und Dienerin fiel Chloe angenehm auf. Widerwillig musste sie zugeben, dass es für Lord Farenze sprach, dass er ein solches Verhältnis zwischen seiner Tochter und deren Zofe zuließ. Hastig bemühte sie sich, ihn wenigstens für einige selige Momente zu vergessen.

„Ich freue mich auch sehr, Sie kennenzulernen, Miss Winterley, wenn auch zu einem so traurigen Anlass.“

„Ihnen wird Lady Virginia ebenso sehr fehlen wie uns. Schließlich waren Sie so lange ihre Freundin und Gesellschafterin“, sagte Eve aufrichtig. „Obwohl es hier so schön ist, hat Papa dieses Haus niemals beansprucht. Er sagte immer, die Lodge sei Tante Virginias Zuhause, und wollte nicht, dass sie nach Onkel Virgils Tod auszieht. Es ist doch sehr hübsch, nicht wahr?“, fragte Eve mit einer Unschuldsmiene, der Chloe nicht ganz traute.

„Wunderhübsch“, stimmte sie vorsichtig zu.

„Kein Wunder, dass Tante Virginia das Haus nicht verlassen wollte, wenn ich auch glaube, dass Papa sich große Sorgen um sie machte, als man sich zuflüsterte, sie sei nach Onkel Virgils Tod nahe daran gewesen, den Verstand zu verlieren vor Kummer. Nicht wahr, Bran?“

„In der Tat.“

„Papa fragte sich, ob er sie nicht lieber zu uns nach Darkmere holen sollte, aber sie mag das Schloss nicht, und sie weigerte sich, einen Fuß in unseren Landsitz in Kent zu setzen, wo seine Stiefmutter im Witwenhaus wohnt. Natürlich konnte er sie nicht hinauswerfen, also ließ er das Thema fallen.“

„Tante Virginia fand Haslett Hall in Kent alt und düster, und sie sagte, die meisten Kamine würden rauchen, also bezweifle ich, dass sie gern dort gelebt hätte, selbst wenn das Witwenhaus leer gestanden hätte“, sagte Chloe und hoffte, dass man ihr ihre Abneigung gegen Mrs. Winterley nicht anhören konnte. Sie würde ebenfalls äußerst ungern in unmittelbarer Nachbarschaft der Dame wohnen.

Da Mrs. Winterley widerwillig im Witwenhaus von Haslett Hall lebte, statt im modernen, eleganten Londoner Stadthaus, war sie der Meinung, dass ihr Stiefsohn ihr etwas schuldete – aus einem Grund, der niemandem außer ihr klar war. Tante Virginia hatte Haslett Hall jedenfalls gemieden wie die Pest.

„Papa hat mehrere Schornsteine neu bauen lassen, als er den Besitz übernahm, also bezweifle ich, dass sie noch rauchen. Er lässt außerdem nicht zu, dass kleine Schornsteinfegerjungen hochklettern, in keinem unserer Häuser. Die Gefahr, dass sie in den engen Schloten stecken bleiben und ersticken, ist zu groß.“ Eve sah, wie ihre ehemalige Kinderfrau traurig nickte.

„Mein kleiner Bruder wurde Schornsteine hochgejagt, als er kaum gehen konnte, und hat seinen zehnten Geburtstag nicht erlebt. Seine Lordschaft ist ein guter Mensch“, sagte Mrs. Brandy Brown entschieden.

Eve Winterley stimmte ihr zu. Chloe senkte den Kopf und spürte die erwartungsvollen Blicke der beiden.

„Wenn er solch fürchterliche Praktiken bekämpft, muss er das wohl sein“, bemerkte sie taktvoll und versuchte vorzugeben, dass er ihr nicht mehr bedeutete als jeder andere gute Mensch.

Lügnerin, wurde sie von einer inneren, sehr viel ehrlicheren, Stimme getadelt, aber Chloe versprach sich, irgendwie würde sie es schaffen, dass er ihr wirklich nichts mehr bedeutete. Vor zehn Jahren hatte sie sich mit jeder Faser ihres Herzens nach dem verbitterten, schroffen Lord Farenze gesehnt. Doch mit achtzehn Jahren war sie selbst kaum mehr als ein trotziges, enttäuschtes Kind gewesen. Nur die Tatsache, dass ihre kleine Tochter von ihr abhängig war, hatte sie gezwungen, erwachsen zu werden und zu erkennen, dass sie nicht haben konnte, was sie begehrte, wenn sie nicht die Selbstachtung verlieren wollte.

Chloe seufzte, weil noch immer ebenso heißes Begehren sie ergriff wie beim ersten Mal, als sie dem Viscount begegnet war. Aber was sie empfand, änderte nichts. Sie musste ihm aus dem Weg gehen und jedes unzüchtige Gefühl unterdrücken, das noch von damals geblieben war. Nur noch wenige Tage, dann würde sie für immer frei von ihm sein.

Doch jetzt machte ihr diese verflixte Müdigkeit zu schaffen, die sie nach all der Arbeit im Zusammenhang mit Lady Virginias Trauerfeier erfasst hatte. Sie drohte, sie von verbotenen Dingen träumen zu lassen, wenn sie nicht aufpasste. Als Erstes würden sie Gedanken an die Chloe quälen, die sie hätte sein sollen – wenn das Leben freundlicher zu ihr gewesen wäre. Eine bezaubernde, verführerische Dame, die die leidenschaftliche Ergebenheit des schroffen Lord Farenze gewinnen und behalten könnte und mit ihm ein glückliches Leben führen würde. Dann stellte sie sich vor, wie er ihr mit zärtlichen Worten beichtete, wie verzweifelt er sich nach ihr sehnte.

Entsetzt riss sie sich aus ihrem Tagtraum und stellte ihre leere Teetasse auf den Tisch, bevor sie ihr aus der schlaffen Hand fiel. Lieber Himmel, hatte sie womöglich irgendetwas von ihren Gedanken laut ausgesprochen? Doch sie begegnete eher mitfühlenden Blicken als schockierten, also konnte sie wohl erleichtert aufatmen.

„Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, Mrs. Wheaton, wenn ich sage, dass Sie unbedingt ein Nickerchen machen sollten“, bemerkte Mrs. Brown.

Chloe erbebte bei der Vorstellung eines von Albträumen geplagten kurzen Schläfchens, wie sie sie schon so häufig gehabt hatte, seit ihre geliebte Herrin gestorben war. „Sie müssen wissen, wie lange eine Frau ohne Schlaf durchhalten kann, mit Ihrer Erfahrung aus der Zeit, als Miss Evelina noch ein Baby war, Mrs. Brown“, erwiderte sie, statt zuzugeben, dass aufwühlende Erinnerungen sie in ihren Träumen heimsuchten und sie es deswegen bei Weitem vorzog, ihrem einsamen Bett auszuweichen.

„Oh ja, mein armes kleines Mädchen weinte manchmal so sehr, als hätte ihm etwas das Herz gebrochen, bis ich kurz davor war, ebenfalls in Tränen auszubrechen“, meinte die alte Kinderfrau mit einem liebevollen Blick auf Eve. „Seine Lordschaft nahm sie dann meistens auf die Arme und trug sie durch das Moor, bis sie endlich eingeschlafen war. Und ich wartete zu Hause und beruhigte mich mit dem Gedanken, dass er die Pfade auf seinem Besitz so gut kannte wie seine Westentasche. Aber Sie mussten mit allen Problemen, die in einem großen Haushalt nun einmal auftreten, und mit Ihren eigenen ganz allein fertig werden. Wie es aussieht, haben Sie sich all die Jahre wacker geschlagen, doch jetzt sind wir hier, also können Sie sich wenigstens eine Ruhepause erlauben, wenn Sie eine brauchen“, sagte Bran mit entwaffnender Ernsthaftigkeit, sodass Chloe sich zu fragen begann, ob es nicht doch wundervoll wäre, für kurze Zeit ihre Lasten abzulegen.

„Das müssen Sie wirklich, Mrs. Wheaton“, fiel auch Eve mit einer Entschiedenheit ein, die an ihren Vater erinnerte. „Mir ist überhaupt nicht nach schlafen zumute, nachdem wir stundenlang in einer stickigen Kutsche eingesperrt waren, ohne etwas anderes tun zu können, als vor uns hinzudösen. Was meinst du, Bran?“

Ein bequemes Bett stand in dem winzigen Raum gleich neben dem Ankleidezimmer, offenbar für eine Zofe gedacht, falls ihre Herrin sie in ihrer Nähe haben wollte. Eve warf einen vielsagenden Blick darauf, und Bran nickte zustimmend. Es schien wie für ein Nickerchen gemacht zu sein.

„Und ich denke, wir wickeln uns in unsere Mäntel und gehen ein wenig in dem hübschen Garten spazieren, den ich vorhin vom Fenster auf dem Treppenabsatz gesehen habe. Keiner wird Sie stören, denn ich werde die Hausmädchen bitten, mit dem Auspacken unseres Gepäcks zu warten, bis wir zurückkommen, Mrs. Wheaton. Bran und ich können dann alles selbst einräumen. Ich bin recht pedantisch, wenn es um meine Sachen geht.“

„Das stimmt, Mrs. Wheaton“, bestätigte Bran eher stolz als resigniert, und Chloe spürte plötzlich, wie die Müdigkeit immer schwerer auf ihr zu lasten begann. Vielleicht konnte sie es riskieren, sich dieses eine Mal ihren Träumen zu stellen.

„Sie wecken mich doch aber auf, sobald Sie zurückkommen?“, fragte sie, vor Müdigkeit nuschelnd, nicht mehr fähig, dagegen anzukämpfen. Lord Farenze war hier, und sie wollte lieber schlafen, als ständig an ihn zu denken.

„Wenn Sie weiterschlafen können, während diese kleine Dame mich herumkommandiert, sind Sie eine robustere Frau als ich“, sagte Bran und folgte ihrer jungen Herrin aus dem Raum.

Chloe schaffte es gerade noch, aus den Schuhen zu schlüpfen, ihr Kleid aufzuhaken und es auszuziehen. Kaum hatte sie sich hingelegt, schlief sie auch schon ein.

„Sie hat so gut wie möglich durchgehalten, bis Hilfe kam, wenn Sie mich fragen“, sagte Bran leise, nachdem sie das Haus verlassen hatten und offen reden konnten.

„Arme, tapfere Dame“, antwortete Eve.

„Ja, ich vermute auch, dass sie eine Dame ist“, sagte Bran nachdenklich. Sie glaubte nicht, dass es ein schönes Märchen gewesen sein konnte, dass eine Dame dazu zwang, die Haushälterin zu spielen. Selbst falls eine Liebesgeschichte mit Rosengirlanden und Feenstaub begann, endete sie nach ihrer Erfahrung leider meistens ganz anders.

3. KAPITEL

Luke wartete, bis sein Kammerdiener mit der Hilfe eines Lakaien so vorsichtig sein Gepäck nach oben brachte, als handelte es sich um die Kronjuwelen. Erst dann verließ er den Salon seiner Suite und begab sich nach unten. Gereizt fragte er sich, warum er eigentlich einen so peinlich genauen Kammerdiener beschäftigte. Schließlich war er alt genug, um sich selbst anzukleiden, und er konnte auch sein Krawattentuch ordentlich genug binden, ohne sich zu blamieren. In etwa einem Jahr würde er eine respektable Erscheinung bieten müssen, zum einen für Eves Einführung in die Gesellschaft, zum anderen für seine Suche nach einer Frau. Im Augenblick wollte er allerdings nicht daran denken und würde nichts lieber tun, als einen schönen, langen Ausritt zu unternehmen, um seine schlechte Laune zu bekämpfen. Aber Reichtum, Einfluss und ein Adelstitel bedeuteten nun einmal auch Verpflichtungen, und so unterdrückte er den Wunsch zu fliehen.

Aus dem Empfangssalon hörte er die schrille Stimme seiner Stiefmutter, und brummige Männerstimmen drangen aus dem Billardzimmer, und so versuchte er, in der Bibliothek etwas Ruhe zu finden. Virginias Patensohn, der Marquess of Mantaigne, hatte es sich in einem bequemen Sessel neben dem Kamin gemütlich gemacht, aber Luke seufzte dennoch erleichtert auf. Die zynische, leicht lebensüberdrüssige Aura, die Tom wie eine Rüstung anlegte, machte aus irgendeinem seltsamen Grund die meisten Frauen verrückt vor Verlangen nach ihm, aber für Luke war er gute Gesellschaft und ein loyaler Freund.

„Tom, du Halunke“, sagte er aufrichtig lächelnd und schüttelte ihm herzlich die Hand. „Wann bist du angekommen?“

„Heute Morgen. Du musst eigentlich meinen Reisestaub geschluckt haben.“

„Du musstest lediglich aus Derbyshire anreisen, und dort gibt es eher Schlamm als Staub.“

„Wie unaufmerksam von mir“, meinte Tom lässig.

„Sag mir bitte, wer gekommen ist, um unsere Trauer zu erleichtern, und wie lange, glaubst du, bin ich gezwungen, sie zu beherbergen, sei so freundlich.“

„Wer immer dir gesagt hat, dass ich ein freundlicher Mensch bin, muss eindeutig seiner Illusionen beraubt werden.“

„Ich schenke der Meinung der Leute keine Aufmerksamkeit, wenn es um meine wahren Freunde geht, das weißt du“, sagte Luke und nahm lächelnd das Glas ausgezeichneten Burgunderweins an, das sein Freund ihm eingeschenkt hatte.

Etwas entspannter nach der besänftigenden Wirkung des Weins und Toms scharfsinniger, knapper Zusammenfassung der versammelten Gäste, überließ Luke ihn seiner Einsamkeit und begab sich nach oben, um sich zu vergewissern, dass Eve und Bran sich nach der Anstrengung ihrer langen Reise gut ausgeruht hatten.

Noch ganz schlaftrunken, gelang es Chloe dennoch, die schweren Lider aufzuschlagen und sich zu fragen, wie lange sie geschlafen hatte. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war, und musste sich zwingen, wach zu bleiben, obwohl der Schlaf sie noch immer lockte. Virginia hätte sie gedrängt, aufzustehen und sich der Welt zu stellen, also blinzelte sie ein paarmal und gab sich Mühe, ihre Müdigkeit abzuschütteln.

Aber sogar eine Haushälterin durfte es sich einmal erlauben, sich genüsslich zu rekeln. Chloe gähnte und streckte die Beine unter dem Laken und dann die Arme in die Luft. Sie schüttelte den Kopf, sodass die viel zu langen rotblonden Locken ihr zerzaust auf die Schultern fielen.

„Bran?“, hörte sie eine tiefe Männerstimme auf der anderen Seite der leicht geöffneten Tür rufen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, nur um dann umso schneller zu pochen. „Sie können nicht schlafen. Vor nur fünf Minuten habe ich Sie im Garten gesehen. Wo ist Eve, und warum verstellt das Gepäck noch immer das ganze Schlafzimmer?“

Würde sie nicht in ihrem Unterkleid und mit offenem Haar im Bett sitzen, könnte sie ihm eine kurze Antwort geben, damit er wieder ging. Aber würde das wirklich helfen? Wenn sie wach genug klang, würde er doch sicher das Zimmer verlassen, statt das Risiko einzugehen, mitten am Nachmittag in einem Schlafzimmer in der Gesellschaft der Haushälterin entdeckt zu werden.

„Mrs. Brown ist kurz mit Ihrer Tochter Luft schöpfen gegangen, Lord Farenze“, brachte sie hervor.

Kurze Stille folgte. Chloe spürte fast, wie er zusammenzuckte, als er so unerwartet ihre Stimme vernahm. Nur leider hörte sie ihn nicht weggehen. Aber wollte sie es überhaupt? Wie gewöhnlich erwachte auch jetzt wieder die rebellische Seite in ihr, aber sie wehrte sich tapfer gegen sie. Sie wollte, dass er ging. Entschlossen setzte sie sich auf und hielt den Atem an in der Hoffnung, dass er das Zimmer umgehend verließ. Die seltsame Stille auf der anderen Seite der Tür zeigte ihr allerdings, dass er noch da war.

„Warum zum Henker packen Sie Eves Sachen aus, wenn es eins der Mädchen tun könnte?“

Noch benommen vom Schlaf, wollte ihr nicht schnell genug eine Antwort einfallen, und schon knurrte er: „Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?“ Aber sie glaubte, einen Hauch von Belustigung in seiner Stimme zu hören.

Unmöglich. Lord Farenze und Mrs. Wheaton konnten nicht miteinander lachen. Es gab keine Vertrautheit zwischen ihnen und würde es auch nie geben. Sie musste es sich eingebildet haben. So wie sie sich in ihrer Sehnsucht Dinge vorstellte, die gefährlich waren – wie es sein mochte, nach einer Liebesnacht in seinem Bett zu schlafen und sich von ihm wecken zu lassen, wie es ein Liebhaber tun würde, zärtlich und schließlich wieder leidenschaftlich.

„Nein, mit meiner Sprache ist alles in Ordnung“, brachte sie hastig hervor.

„Dann kommen Sie heraus und sprechen Sie direkt mit mir. Ich weigere mich, mit jemanden eine Konversation zu führen, den ich nicht sehen kann.“

„Ich bin heute wirklich zu sehr beschäftigt, Mylord“, sagte sie mit steigender Panik, da sie hörte, wie er sich der Tür näherte. Jeden Augenblick könnte er hereinkommen und sie in diesem skandalösen Aufzug vorfinden.

„Zweifellos, aber da ich jetzt hier der Herr bin, müssen Sie sich sowieso früher oder später mit mir abgeben. Es ist besser, wir bringen es hinter uns und besprechen die Pläne für die nächsten Tage. Wir müssen versuchen, so gut wie möglich miteinander auszukommen, statt die Dienerschaft während der ganzen Woche mit widersprüchlichen Befehlen zu verwirren.“

Es hörte sich so an, als würde er dieses Gespräch ebenso ungern führen wie sie, warum konnte er es also nicht wenigstens aufschieben, bis er sich von der Reise erholt und sie sich wieder angezogen hatte, ihr verflixtes Haar unter dem Häubchen versteckt und die ungezähmte Chloe in sich, die sich nichts lieber wünschte, als ihn hereinzubitten, ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen?

„Gut, Mylord, ich komme zu Ihnen nach unten, sobald ich hier fertig bin“, sagte sie unsicher. Atemlos vor Angst und innerer Erregung, saß sie regungslos auf dem Bett – und stieß einen leisen Schreckenslaut aus, als er schließlich doch die Geduld verlor und die Tür aufstieß.

Er kam in den kleinen Raum gestürzt und blieb dann jäh stehen, als hätte ihn eine böse Hexe versteinert. Chloe sah, mit welch heißem Verlangen er sie anstarrte. Wie hatte sie sich nur vormachen können, die heiße Sehnsucht, die damals zwischen ihnen aufgeflammt war, gäbe es nicht mehr?

Sie war unter seinem intensiven Blick erstarrt und brachte nicht einmal die Geistesgegenwart auf, weiter unter das Laken zu rutschen, um zu verbergen, wie leicht bekleidet sie war. In diesem Moment sah er aus wie einer der Räuberbarone, die seine mächtige Familie gegründet hatten. So beherrschend war seine Gegenwart, dass es ihr schwerfiel zu atmen. Wie eine sehr elegant gekleidete Statue eines Kriegerfürsten, meldete sich die Stimme der lästigen, schamlosen Chloe wieder zu Wort. Wenn er doch nur nicht so regungslos dastünde … und etwas weniger Kleidung am Leib hätte. „Sei still!“, flüsterte sie und hielt sich sofort die Hand vor den Mund. Sie konnte nicht fassen, dass sie sich mit ihrer inneren Stimme unterhielt, während er im selben Raum war. War sie womöglich wirklich kurz davor, den Verstand zu verlieren?

„Ich habe kein Wort gesagt“, brachte er heiser hervor.

„Nicht Sie.“

„Haben Sie einen Liebhaber unter dem Bett versteckt?“, fuhr er sie an. Mit durchdringendem Blick betrachtete er ihre hochroten Wangen, die verschleierten Augen und die langen rotgoldenen Locken, die wirr ihr Gesicht umrahmten.

„Nicht Platz genug“, fuhr er leiser fort, mit offensichtlicher Zufriedenheit nach einem Blick auf das schmale, niedrige Bett. „Keine zweite Tür, durch die ein Feigling hätte fliehen können, und der Schrank ist nicht groß genug.“

„Ich habe keinen Liebhaber“, empörte sie sich.

Er hob die Augenbrauen, und ein herausforderndes Lächeln, für das sie ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte, ließ ihn so hinreißend aussehen, dass ihr stattdessen der Atem stockte.

„Jeder Mann, der Sie so sehen könnte, würde Ihr Sklave sein. Sie brauchen es nur zu sagen, und wir können uns sofort in meine Suite am Ende des Korridors zurückziehen“, bot er ihr nur halb im Scherz an.

„Niemals, niemals, niemals!“, fuhr sie ihn an, die Schultern gestrafft und das Kinn stolz erhoben.

Er konnte nicht wissen, dass sie sich nach seiner Berührung verzehrte. Vor zehn Jahren hatte sie ihm zornig an den Kopf geworfen, dass sie lieber sterben würde, als seine Geliebte zu werden. Jetzt stand er vor ihr und ließ den Blick seiner faszinierenden grauen Augen über ihren Körper gleiten, als hätte sie sich absichtlich hier hingelegt, damit er sich an ihrem Anblick erfreuen konnte. Er begehrte sie und machte keinen Hehl daraus. Sein Verlangen nach ihr war genauso echt wie die Hitze, die sie plötzlich zwischen ihren Schenkeln spürte. Unwillkürlich presste sie sie unter dem Laken zusammen, bereute es aber sofort, denn die Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf ihre aufgerichteten Brustknospen, die sich unter dem dünnen Stoff ihrer Chemise deutlich abzeichneten.

„Oh, kommen Sie, Ma’am“, meinte er rau. „Seit zehn Jahren warten wir schon darauf, endlich unser Begehren nacheinander zu befriedigen. Früher oder später werden wir es tun.“

„Nein, das tun wir nicht und das werden wir nicht“, widersprach sie ihm so empört sie konnte in ihrem halbnackten Zustand.

Leider konnte sie nicht das Laken von sich werfen und davonlaufen, denn wohin sollte sie laufen, ohne den halben Haushalt zu schockieren und womöglich sogar einige Gäste.

„Ich mag ja ein Narr sein, Mrs. Wheaton, aber doch wohl nicht närrisch genug, um vorzugeben, die Leidenschaft, die wir füreinander empfinden, könnte uns nicht zerstören. Sie würde sich vielleicht als weniger schädlich erweisen, wenn wir sie uns wenigstens eingestehen“, sagte er düster.

Fast hätte Chloe ihre Gedanken laut ausgesprochen: Warum probieren wir es nicht? Wieder ihre verruchte Seite, die sie zur Unvorsichtigkeit verlocken wollte. War das nicht genau die Art von Bemerkungen, die sie und ihre Zwillingsschwester Daphne in ihren jungen Jahren in Schwierigkeiten gebracht hatten? Wie konnte sie nur hier sitzen und ihren neuen Herrn mit sehnsüchtigen Blicken ansehen? Wenn sie nur vorsichtig genug war, konnten sie wieder dazu übergehen, einander zu meiden, bis sie das Haus verließ.

„Für Sie wäre sie nicht schädlich“, erwiderte sie gereizt und verschränkte die nackten Arme vor der Brust.

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte er leise. Sein Blick ruhte jetzt voller Verlangen auf ihrem entblößten Brustansatz. In ihrem Versuch, ihre Brustspitzen zu verbergen, hatte sie nur noch mehr seine Aufmerksamkeit auf ihren Busen gezogen. „Ich habe schon immer gewusst, dass Sie einmal mein Untergang sein könnten.“ Er sah aus, als wäre er kurz davor, zu ihr ins Bett zu steigen und sie zu verführen, bis sie schrie vor Lust – und das in einem Haus voller Gäste, die jeden Moment auf sie aufmerksam werden könnten.

„Nein, niemals!“, brachte sie heiser hervor, obwohl die Hitze in ihrem Körper sie Lügen strafte. Luke war hier, und nicht in einem Traum, aus dem sie erwacht war, wie so oft in den ersten Tagen, Wochen und Jahren, nachdem er Farenze Lodge verlassen hatte, als wäre der Teufel hinter ihm her. Bis heute hatte sie geglaubt, ihr unangebrachtes Verlangen für diesen Mann überwunden zu haben. Doch jetzt musste sie sich eingestehen, dass sie sich getäuscht hatte.

„Wenn die Dinge anders stünden, könnte ich Sie mit einem einzigen Kuss dazu bringen, das zurückzunehmen, und das wissen Sie“, sagte er grimmig.

„Aber die Dinge sind nun einmal, wie sie sind, nicht wahr?“, flüsterte sie, und ihr Ton verriet, wie groß ihr Bedauern über all die Jahre war, da sie sich nach ihm gesehnt hatte. „Bitte lassen Sie mich in Ruhe, Mylord. Ich hätte mich nicht ausruhen sollen, wenn es doch so viel zu tun gibt. Aber ich verspreche, dass es nicht wieder vorkommen wird.“

„Unsinn“, sagte er barsch. „Als ich Sie heute das erste Mal sah, dachte ich, Sie könnten jeden Moment in Ohnmacht fallen. Sie sind zu dünn und scheinen seit Wochen nicht richtig gegessen oder geschlafen zu haben.“

„Ich kann nicht schlafen, und das Essen bleibt mir manchmal richtiggehend im Hals stecken“, gab sie zu.

„Wenn Sie so weitermachen, werden Sie noch krank. Sich selbst können Sie das ja antun, aber denken Sie doch, wie erschrocken Ihre Tochter sein wird, wenn sie Sie in diesem Zustand sieht. Sie hat gewiss schon genug damit zu tun, über Virginias Verlust hinwegzukommen. Ich weiß, sie standen sich sehr nahe.“

„Ja, sie war untröstlich“, sagte Chloe kummervoll. Verity hatte bitterlich in ihren Armen geschluchzt, als sie von Lady Virginias Tod erfuhr.

„Essen Sie also etwas!“, befahl er.

„Das tue ich, regelmäßig.“

„Dann essen Sie mehr und schlafen Sie heute Nacht aus, statt in den Fluren herumzuirren wie ein Geist, dass der arme Nachtwächter glauben muss, es spukt.“

Sein Ton war brüsk, aber Chloe sah aufrichtige Sorge in seinen Augen. Seine fast widerwillige Freundlichkeit berührte sie auf eine Weise, die sie sich nicht erlauben durfte. Verlegen rieb sie sich die Augen, schob eine lästige Locke hinter das Ohr und versuchte, ihn nicht anzustarren, als könnte sie ihn lieben, wenn die Dinge nur anders wären.

„Ich muss aussehen wie eine Vogelscheuche“, sagte sie unbedacht.

Er sah sie leicht amüsiert an, und einen Moment wünschte Chloe, sie könnte sich in seinem Blick verlieren. „Sie wissen doch, dass Sie wunderschön sind“, erwiderte er trocken.

Hastig schüttelte sie den Kopf, obwohl ihr ganz warm wurde, weil er sie anziehend fand.

„Aber Sie sind trotzdem zu dünn“, fuhr er streng fort, „und Sie haben Schatten unter den Augen, um die eine Heldin eines Schauerromans Sie beneiden würde.“

„Nun, sie kann sie gern haben“, meinte sie, und das Lächeln um seinen faszinierenden Mund vertiefte sich.

Wie vor zehn Jahren fühlten sie sich auch jetzt wieder stark zueinander hingezogen. Chloe spürte, dass sie kurz davor waren, sich von ihren Gefühlen hinreißen zu lassen. Es war gleichzeitig entsetzlich und wundervoll, wie die Vorstellung, wieder mit ihm vereint zu sein.

Er streckte langsam die Hand aus, als könnte er die Schatten unter ihren Augen fortwischen. Chloe fühlte fast die Berührung, bevor sie geschah. Ihr stockte der Atem, so hoffnungsvoll erwartete sie ihn, doch genauso war sie entsetzt darüber, wie sehr sie sich danach sehnte. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen und sah, dass er zögerte – ein starker Mann, der gegen etwas ankämpfte, das, wie er sehr wohl wusste, falsch war. Chloe sah Neugier und Ungeduld in seinem Blick, aber im nächsten Moment war er wieder er selbst – unnahbar, selbstbewusst und kühl.

„Eve und Bran kommen“, warnte er sie heiser.

Sie nickte. Offenbar hatte das Schicksal beschlossen, sie vor ihrer Narrheit zu retten, ob sie es wollten oder nicht.

„Geben Sie vor, dass ich nie hereingekommen bin. Tun Sie so, als wären Sie in dem Moment aufgewacht, in dem sie fragen, was ich hier zu suchen habe“, flüsterte er.

4. KAPITEL

Wieder sprachlos, konnte Chloe nur nicken, vergrub dann das Gesicht in den Kissen und zog die Decke über ihre Schultern. Wenigstens hatte sie jetzt ein wenig Zeit, sich wieder zu fassen.

Er war bereits aus dem Zimmer gegangen und dabei, die Tür zu schließen. Niemand würde je erfahren, dass er sie im Bett ertappt hatte – die Lider schwer vom Schlaf und vor Verlangen nach ihm. Jetzt hörte sie Miss Winterley mit recht lauter Stimme ihre Überraschung über die Anwesenheit ihres Vaters ausdrücken. Zweifellos um mich zu warnen, dachte Chloe, damit ich mich nicht verrate. Sie errötete schuldbewusst. Sie spürte Luke Winterleys Anwesenheit, als würde er noch immer neben ihr stehen und sie mit seiner Nähe verwirren. Lieber Himmel, er war Miss Winterleys Vater!

„Du hast mein Buch weggenommen“, antwortete er nicht sehr überzeugend auf die Frage seiner Tochter.

„Und es gibt keins in Tante Virginias für ihre Vollständigkeit berühmte Bibliothek?“, wunderte sich Eve. Es klang, als wüsste sie, dass ihr Vater über die Haushälterin gestolpert war, die am falschen Ort und zu einer völlig unpassenden Zeit ein Nickerchen gehalten hatte. Aber wie könnte sie es wissen?

„Nicht das Buch, das ich las, bevor du es mir gestohlen hast“, erwiderte er mürrisch.

„Jetzt lese ich es, also würdest du es mir stehlen. Da du doch den Gastgeber für so viele Leute spielen musst, wie kannst du überhaupt nach Zerstreuung suchen wollen? Und das so sehr, dass du in mein Schlafzimmer einbrichst, wenn ich nicht da bin.“

„Ich wusste nicht, dass ich Zerstreuung so nötig hatte“, verteidigte er sich finster. „Und ich werde ja wohl das Zimmer meiner Tochter betreten dürfen, ohne vorher einen Termin ausmachen zu müssen.“

„Sei nicht brummig“, sagte Eve, und Chloe hörte ihre Röcke rascheln, als sie wahrscheinlich zu ihm ging, um ihn zu umarmen.

Es war falsch von ihr, Eve um diese Vertrautheit mit ihrem Vater zu beneiden, darum dass es ihr so leichtfiel, seine gewohnte Zurückhaltung zu durchbrechen.

„Ich werde es versuchen, mein Liebling, aber in den nächsten Tagen wird es viel Grund für mich geben, mich zu ärgern.“

„Gewiss“, sagte Mrs. Brown, die offenbar ebenfalls hereingekommen war. „Sie werden die Geduld eines Heiligen brauchen, bis die Aasgeier endlich fort sind.“

„Es sind nicht alle Aasgeier, Bran“, protestierte Eve.

„Wir kennen sie nicht gut genug, um das zu wissen, mein Lämmchen“, sagte ihre Zofe trocken, und Chloe erkannte, dass man sich um Eve Winterley keine Sorgen zu machen brauchte mit einer so Respekt einflößenden Beschützerin an ihrer Seite – und einem Vater, der ganz offensichtlich durchs Feuer gehen würde für sie.

„Ich kenne Lord Mantaigne und Großonkel Giles sehr gut, und selbst Onkel James ist nicht so ruppig und sarkastisch, wie er einmal war. Tante Virginia hat immer versucht, ihn zu einem stetigeren Leben zu überreden, also wird er ja vielleicht ihr zuliebe ein neues Kapitel aufschlagen.“

„Ja, und ich bin der Kaiser von China“, glaubte Chloe Lord Farenze murmeln zu hören. Sie fragte sich, was es war, das die beiden Halbbrüder derart entzweite. Obwohl sie sich so ähnlich sahen, konnten zwei Brüder sich kaum kühler gegenüberstehen.

„Nein, du bist ein fürchterlicher Griesgram, Papa. Warum hast du die Anwesenheit deines Bruders noch nicht genutzt, um wieder einmal mit ihm zu streiten, frage ich mich. Wenn du jetzt damit anfängst, könnte Onkel James immer mehr in Zorn geraten und dich zum Duell fordern, sobald Tante Virginias Beerdigung vorüber ist.“

„Vielen Dank, kleine Hexe. Die Klatschbasen haben schon genug Material zum Lästern, ohne dass auch noch ein Krawall in der Familie ausbricht. Ich glaube, ich hätte dir doch nicht erlauben sollen, Tom Jones zu lesen. Es scheint dich auf seltsame Gedanken zu bringen.“

„Ich verstehe nicht, warum man so abfällig über Mr. Fieldings ausgezeichnetes Buch spricht.“

Chloe hörte seine Schritte. Er wandte sich zum Gehen. Wie konnte sie nur erleichtert sein, dass sie seine aufwühlende Stimme nicht mehr zu hören brauchte, und sich gleichzeitig wünschen, er würde bleiben?

„Lass dich jedenfalls nicht damit erwischen. Ich möchte nicht, dass man dich für leichtfertig hält.“

„Mach dir keine Sorgen. In den nächsten Wochen werde ich so brav sein, dass du mich kaum wiedererkennen wirst.“

Chloe hörte nur ein leises Brummen, dann wies Eve ihre Zofe an, die Tür zu schließen, bevor sie hastig in das kleine Schlafzimmer trat, in dem Chloe im Bett saß, zutiefst verlegen und verwirrt.

„Das war knapp“, meinte Eve spitzbübisch lächelnd.

„Wir hätten abschließen sollen“, sagte Bran. „Man stelle sich nur vor, wenn Seine Lordschaft Sie hier vorgefunden hätte, Mrs. Wheaton.“

„Ja, man stelle sich nur vor“, wiederhole Chloe, erschauderte und stand verlegen auf, um sich anzuziehen.

„Ich helfe Ihnen“, bot Bran an. Chloe schlüpfte in ihr Kleid und versuchte gleichzeitig, ihre widerspenstigen Locken zu bändigen. „Knöpfen Sie Ihr Kleid zu, und ich frisiere Ihr Haar. Obwohl es eine Schande ist, es unter diesem albernen Häubchen zu verstecken, so schön, wie es ist. Was würden die meisten Frauen darum geben, so herrliches, volles Haar zu haben.“

„Es ist wild und widerspenstig, und die Menschen bekommen einen ganz falschen Eindruck von mir, wenn ich es offen lasse. Ich bin fast dreißig Jahre alt und eine respektable Witwe, keine naive Debütantin.“

„Nun, Sie sehen jedenfalls nicht älter aus als eine“, meinte Bran lächelnd.

„Ich kann es mir nicht leisten zu träumen“, antwortete Chloe leise.

„Keiner kann das, aber das hindert uns nicht daran, es dennoch zu tun, oder?“

„Wovon träumen Sie, Mrs. Brown?“

„Von einem guten Mann für meine kleine Eve, der sie lieben wird, wie sie ist, und nicht versuchen wird, sie zu ändern.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand so etwas würde tun wollen.“

„Nein, Ma’am? Dann konnten Sie sich bisher sehr glücklich schätzen.“

„Vielleicht stimmt das“, gab Chloe zu und erbebte bei dem Gedanken, auf wie viele Arten ein Mann seine Frau nach seinen Wünschen formen könnte.

„Seine Lordschaft jedenfalls ist ein Mann, der einer Frau erlauben würde, sie selbst zu sein, und der sie dafür sogar noch mehr lieben würde, Sie verstehen?“, sagte Bran, sobald sie damit fertig war, die widerspenstige Mähne zu einem ordentlichen Knoten aufzustecken. Dann betrachtete sie missbilligend das Häubchen, bevor sie es seufzend auf Chloes Haar setzte.

„Er macht nicht den Eindruck eines Mannes, der auf der Suche nach Liebe ist“, wandte Chloe ein.

„Nun, da ist auf der einen Seite das, was ein Mann behauptet zu wollen, und dann das, was er wirklich will. Meist treffen sich diese beiden Dinge nicht, bis die richtige Frau kommt.“

„Ich glaube nicht, dass ich ganz verstehe, was Sie sagen wollen, und da in weniger als einer Stunde Dinner serviert wird, haben wir beide keine Zeit, uns weiter darüber zu unterhalten“, meinte Chloe nach einem letzten Blick in den Spiegel, um sicherzugehen, dass sie wieder korrekt aussah.

„Wie Sie wollen. Wir werden wohl nie einer Meinung sein, was Seine Lordschaft angeht.“

„Vielleicht nicht“, erwiderte Chloe geistesabwesend, befestigte ihren Schlüsselbund wieder an dem Gürtel und eilte nach einem atemlosen Dankeschön aus dem Zimmer.

Luke begab sich nach unten in sein Arbeitszimmer, wütend auf sich, weil er immer noch bebte vor Verlangen. Was aber natürlich nichts bedeutete, außer dass er müde und es einfach nur zu lange her war, seit er seine Geliebte zuletzt besucht hatte. Er hatte sich viel abverlangt auf dieser Reise und war erschöpft und weniger Herr seiner männlichen Gelüste als gewöhnlich. Zum Glück war es nicht zu einer nicht wiedergutzumachenden Katastrophe gekommen.

Er stieß einen weiteren Fluch aus, so schmerzhaft war seine Erregung beim bloßen Gedanken an Chloe Wheaton und wie sie sich im Bett aufsetzte und ihn ansah, als würde er die Antwort auf all ihre Wünsche sein. Doch dann war sie endgültig erwacht und hatte sich erinnert, wer er war, wer sie war.

Ohne sich erklären zu können, weshalb, hatte er irgendwie gespürt, dass sie dort sein musste, als er die leicht geöffnete Tür zum Nebenzimmer gesehen hatte und Eves Gepäck noch immer auf dem Aubusson-Teppich. Wahrscheinlich hatte Eve die Diener angewiesen, es dort stehen zu lassen, um Chloe Wheaton nicht zu stören, während sie und Bran einen Spaziergang machten. Er wünschte nur, sie hätten Chloe nicht erlaubt, sich ins Bett zu legen – etwas, das er sich zu seinem Bedauern nicht erlauben konnte.

Eve hatte ein großes Herz, und es sah ihr ähnlich, ihre eigene Bequemlichkeit für eine Frau zu opfern, die sie kaum kannte, nur weil sie so erschöpft aussah. Wie sollte er nicht stolz sein auf eine solche Tochter? Eve hatte anständig gehandelt, aber jetzt wünschte er sich, er könnte nach oben laufen, sich die dickköpfige Mrs. Wheaton über die Schulter werfen – und das tun, was er schon so lange mit ihr tun wollte.

Wenn er Farenze Lodge nicht weitere zehn Jahre fernbleiben wollte, als würde er es hassen, musste sie gehen. Aber er musste eine Stellung für sie finden, wo ihre Fähigkeiten geschätzt würden und nicht ihre allzu aufregende Figur und ihre faszinierenden veilchenblauen Augen. Benötigten Klöster den Wert eine Haushälterin? Luke ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten bei dem Gedanken, sie könnte von dem Gatten ihrer neuen Herrin begehrlich angestarrt werden oder von ihrem schlaksigen Tölpel von einem Sohn. Er beschloss, Mrs. Wheatons nächsten Arbeitgeber für eine Weile streng im Auge zu behalten.

Ja, er hätte seiner Ahnung trauen sollen, aber seine Neugier oder etwas Gefährlicheres als das hatte ihn dazu gebracht, die Tür doch aufzustoßen. Und nachdem er Chloe erst gesehen hatte, war es ihm ebenso wenig möglich gewesen, wieder zu gehen, wie er mit dem Atmen hätte aufhören können. Selbst jetzt war ihm, als würde ihr Duft noch die Luft erfüllen – eine Mischung aus Lavendel, Zimt und Nelke, die seine Sinne betäubt und ihn in Versuchung geführt hatte, ihren anmutigen Hals zu küssen, um zu sehen, ob sie ebenso exotisch schmeckte, wie sie duftete.

Zum Teufel, er hatte sie gar nicht geküsst, und hatte doch noch immer den Geschmack von ihr auf der Zunge. Ein gequältes Stöhnen entfuhr ihm. Nach zehn Jahren, in denen er ihr aus dem Weg gegangen war, begehrte er sie immer noch, sehr viel mehr noch als am ersten Tag, und jetzt waren sie beide reifer und vielleicht eher bereit, sich in Versuchung führen zu lassen.

Das zierliche kleine Ding von damals war in jeder Hinsicht eine heißblütige Frau geworden, und er hatte sich geirrt, was den Körper unter ihrem züchtigen Haushälterinnen-Kleid anging. Chloe glich in nichts mehr dem dünnen Mädchen, das sie einst gewesen war. Gewiss, sie war schlank, und wohl auch ein wenig zu schlank, da sie vor Kummer kaum aß und kaum schlief. Aber ihr Körper wies sehr weibliche, aufregende Rundungen auf, und ihre Haut sah so seidenweich und vollkommen aus, dass er sich vorstellen konnte, wie ihre vollen Brüste sich in seinen Handflächen anfühlen würden. Leise stöhnend hielt er die Hände hoch, als könnte er so seine Gedanken verhindern.

Denn irgendwie musste er Chloe widerstehen. Luke seufzte schwer. Ganze zehn Jahre lang hatte er alles getan, um ihr fernzubleiben. Er hatte die Verzweiflung in ihren Augen gelesen und die Sehnsucht nach der Liebe, die Virginia ihr und ihrer Tochter, zwei obdachlosen Geschöpfen, großzügig entgegenbrachte. Also hatte er sich ihre Zurückweisung zu Herzen genommen.

Von da an hatte er dafür gesorgt, dass Virginia und Eve in Brighton zusammen sein konnten, wo sie jedes Jahr ihren Urlaub verbrachten. Er hatte sogar im Frühling mehrere Wochen in London ertragen, wo sie Eis im Gunter’s essen und den Zoo besuchen konnten, und das alles obwohl Darkmere gerade im Frühling besonders schön war.

Er vermutete, Virginia hatte immer geahnt, warum er Farenze Lodge mied, doch sie sprach ihn nie darauf an, weil sie ebenso wie auch er gewusst hatte, dass die Aufmerksamkeiten eines Lord Farenze eine einfache Haushälterin nur ruinieren konnten. Die Gesellschaft würde ihn auslachen und Chloe verhöhnen, falls er versuchen sollte, aus ihr mehr als seine Geliebte zu machen.

„Da bist du ja“, bemerkte Tom, der an der Tür erschien, und Luke begrüßte die Ablenkung. Oder?

„Dir kann man nicht entkommen, was?“

„Ich kann auch wieder gehen, bis du besserer Laune bist, wenn du willst, aber ich dachte, geteiltes Leid ist halbes Leid.“

„Ach, zum Henker, ich leide nicht.“

„Du machst jedenfalls ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.“

Luke hörte auf, auf und ab zu laufen wie ein General vor einer Schlacht, und nahm zum zweiten Mal heute ein gefülltes Glas von Tom an. Er trank einen Schluck von dem ausgezeichneten Cognac, den Virginia nur wenigen Bevorzugten angeboten hatte, und fühlte sich schon ein wenig besser.

„Sie fehlt mir so sehr, Tom“, gestand er schließlich nur eines der Dinge, die ihn bekümmerten.

„Wie könntest du auch anders. Ich nehme an, Virginia rettete dich vor deiner nicht sehr zärtlichen Familie, wann immer sie konnte. Mich jedenfalls hat sie vor einem lieblosen Vormund gerettet, als ich noch ein Junge war, um den sich sonst keiner Gedanken machte.“

„Das stimmt. Und sie nahm ständig Kinder und sonstige Streuner unter ihre Fittiche. So ein Jammer, dass ihr und Virgil keine Kinder vergönnt waren. Sie wäre eine wundervolle Mutter gewesen.“

„Und das von einem Mann, der jetzt keinen Titel trüge, wenn sie einen Sohn gehabt hätten. Du bist entweder ein Heiliger oder ein Lügner, Luke, mein Freund.“

„Weder noch. Du weißt ebenso gut wie ich, dass ein Titel einen Menschen nicht glücklich machen kann.“

„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte Tom gleichgültig, was nur verständlich war, da er seit seinem fünften Lebensjahr den Titel eines Marquess trug.

„Nun, ich weiß es aber“, fuhr Luke fort. „Mein Titel hat mir keine Freude gebracht.“

„Weil du kaum noch welche in dir hattest, als du den Titel geerbt hast, Luke“, warf Tom weise ein.

Luke fragte sich, ob es sich irgendjemand außer Mantaigne erlauben konnte, solche Dinge zu sagen, ohne zum Duell gefordert zu werden. „Und du, der du dich nicht erinnern kannst, je ohne Titel gewesen zu sein, schäumst wohl über vor Glück?“

„Das wäre zu viel gesagt, aber ich sehe auch nicht ein, warum ich mit düsterer Miene durch die Gegend gehen soll. Virginia hätte nicht gewollt, dass wir vor Kummer verzweifeln.“

„Du hast recht. Nach Virgils Tod war es, als hätte sie einen Teil ihrer selbst verloren. Sie hat sich nie wirklich von seinem Verlust erholt.“

„Ja, und falls es einen Himmel gibt, dann sind sie dort wieder vereint. Vielleicht gibt es doch die wahre Liebe“, meinte Tom mit einem schiefen Lächeln.

„Nein, die Liebe ist für uns Übrige nicht mehr als ein Märchen“, erwiderte Luke heftig, als müsste er sich verteidigen. Aber was ging es ihn an, er empfand gewiss keine Liebe für Chloe Wheaton.

„Das Seltsame mit den Märchen ist aber, dass viele Leute an sie glauben“, sagte Tom und sah ihn so durchdringend an, dass Luke unruhig wurde.

Wollte Tom ihn warnen, dass er sich an Mrs. Chloe Wheaton nicht die Finger verbrennen sollte? Er konnte sich nichts Unwahrscheinlicheres vorstellen, als dass die überaus kritische Haushälterin sich je in ihn verlieben würde. Dann erinnerte er sich daran, wie hilflos und verwundbar sie in dem schmalen Bett ausgesehen hatte, und war sich nicht mehr so sicher.

„Nun, ich nicht“, sagte er leise.

„Dabei scheinst du direkt den Seiten eines Schauerromans entstiegen zu sein, so ähnlich siehst du dem Ideal eines heldenhaften Schurken, von dem die hohlköpfigen jungen Mädchen heutzutage so schwärmen.“

„Was redest du da? Ich fürchte, du hast ein wenig zu tief ins Glas geschaut, mein Bester“, sagte Luke ungläubig.

„Nein, aber dir ist es wirklich nicht bewusst, was?“

„Was soll mir bewusst sein?“

„Dass deine langen dunklen Locken, deine düstere Miene und abweisende Art die reizenden Debütantinnen dieses Jahr verrückt machen werden vor Verlangen nach dir.“

Autor

Elizabeth Beacon
Das ganze Leben lang war Elizabeth Beacon auf der Suche nach einer Tätigkeit, in der sie ihre Leidenschaft für Geschichte und Romane vereinbaren konnte. Letztendlich wurde sie fündig. Doch zunächst entwickelte sie eine verbotenen Liebe zu Georgette Heyer`s wundervollen Regency Liebesromanen, welche sie während der naturwissenschaftlichen Schulstunden heimlich las. Dies...
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