Ich bin bei dir, Darling

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Seit zwei Jahren ist Rachel auf der Flucht vor ihren reichen Schwiegereltern: Sie wollen ihr den heißgeliebten Sohn wegnehmen! Auf dem Weg zu einer Freundin bleibt sie mit ihrem Auto im Schneesturm stecken, hat aber Glück im Unglück: Der gutaussehende Rancher Lucas nimmt sie bei sich auf. Zum ersten Mal seit seiner enttäuschenden Ehe spürt er, wie heiß die Sehnsucht nach Liebe in ihm brennt. Soll er noch einmal seinem Herzen vertrauen?


  • Erscheinungstag 28.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755799
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lucas Callahan blinzelte gegen die Sonne, die bereits zum Teil von drohenden Wolken bedeckt war. Ein Schneesturm kündigte sich an. Er sah zwei Staubsäulen auf der sonst verlassenen Landstraße näher kommen, die zu seiner Ranch führte.

„Was, verflixt noch mal …?“

Er ließ das Kalb los, das er sich gerade angeschaut hatte, und sah zu, wie der Erste der beiden Wagen nur einen halben Meter entfernt vom Zaun des Korrals hielt. Eine Frau mit panischem Gesichtsausdruck stieg aus dem älteren roten Sportwagen und blieb wie angewurzelt stehen, als der Wagen des Sheriffs hinter ihr hielt.

Sheriff Ben Tatum stieg aus, setzte den Hut auf und ging auf die Unbekannte zu. Dann stellte er sich mit gespreizten Beinen, die Hände in die Hüften gestemmt, vor die junge Frau. „Lady, was glauben Sie, was Sie da tun?“, fuhr er sie barsch an.

Lucas trat einen Schritt in den Schatten des Stalls zurück und wartete. Von seinem Beobachtungsposten konnte er die Szene auf seinem Hof gut verfolgen, obwohl die Sonne sich bereits tief dem Horizont zuneigte und der Himmel durch die aufziehenden Wolken immer dunkler und bedrohlicher wirkte. Er wollte hören, was die Frau zu sagen hatte, aber er wollte nicht, dass sie ihn sah. Ben würde mit der Frau allein zurechtkommen. Die beiden Männer kannten sich bereits ein Leben lang und waren nur wenige Tage auseinander vor zweiunddreißig Jahren geboren worden.

„Ich … ich …“ Sie zupfte an dem Saum ihres überweiten Sweatshirts, während sie nervös an Ben vorbei zu ihrem Wagen schaute. „Ich glaube, ich habe mich verfahren.“

Ben schob den Hut aus der Stirn. „Wissen Sie denn nicht, dass Sie an den Straßenrand fahren müssen, wenn ein Officer Sie zu stoppen versucht?“

Sie hob das Kinn und straffte die Schultern. „Habe ich etwas Unrechtes getan?“

„Nein.“ Ben ging zum Heck ihres Wagens hinüber und beugte sich vor.

Die Frau wollte ihm gerade folgen, blieb aber stehen, als sie sah, dass er sich mit ihrem Kennzeichen in der Hand wieder aufrichtete. Sie öffnete leicht den Mund, als ob sie etwas sagen wollte, schloss ihn aber sofort wieder.

Er hielt das Schild hoch. „Das war locker und hätte jede Sekunde abfallen können. Und ohne Kennzeichen herumzufahren, hätte Sie sogar hier in Montana in Schwierigkeiten gebracht.“

„Sie sind mit Blaulicht hinter mir hergefahren, weil sich mein Kennzeichen gelöst hatte?“, fragte sie ungläubig.

Ben runzelte die Stirn. „Sie haben mich also bemerkt. Halten Sie das nächste Mal an, wenn ein Officer Sie auffordert, anzuhalten.“

Sie senkte den Kopf. „Ja, Sir.“

Da Lucas seine Aufgaben erledigt haben wollte, bevor es dunkel wurde und der Schneesturm losbrach, trat er ungeduldig aus dem Schatten. „Ich habe Schrauben für das Schild.“

Die Frau zuckte zusammen und legte instinktiv eine Hand an den Hals. „Wie lange sind Sie schon hier?“, fragte sie.

Lucas trat einige Schritte vor und blieb am Zaun des Korrals stehen. „Lange genug.“

Sie sah ihn mit ihren tiefblauen Augen misstrauisch an. „Und was meinen Sie damit?“

Beim Anblick ihrer unglaublich blauen Augen stockte Lucas einen winzigen Moment der Atem. „Ich sah Sie bereits, als Sie die Straße entlang rasten.“

Sie zupfte erneut an ihrem Sweatshirt herum. „Ich habe mich verfahren.“

„Ich glaube, dass Sie noch ein Problem dazubekommen haben, Lady.“ Ben wies auf den Vorderreifen ihres Wagens, von dem ein leises Zischen ausging.

„Sie haben einen Platten“, brummte Lucas. Er wollte, dass sie so schnell wie möglich verschwand, samt ihren blauen Augen. Irgendetwas stimmte nicht, und er war nicht neugierig, zu erfahren, was es war. „Ich werde den Reifen wechseln und dann können Sie weiterfahren.“

„Ich … ich habe keinen Ersatzreifen.“

Bevor Lucas einen Schwall von Wörtern ausstoßen konnte, die ganz bestimmt nicht für Frauenohren geeignet waren, kam ihm Ben zuvor.

„Wohin haben Sie gesagt, wollen Sie?“

Sie schaute auf und spannte sich spürbar an. „Ich habe gar nichts gesagt.“

Es war offensichtlich, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Lucas spürte die Angst hinter ihrer trotzigen Haltung, und er fragte sich, ob Ben sie auch bemerkte. Der Sheriff mochte manchmal ein wenig zu bedächtig wirken, aber ihm entging normalerweise nichts.

Lucas konnte kaum den Blick von der Frau abwenden, und er erinnerte sich rasch daran, dass man Fremden in dieser abgelegenen Gegend nicht trauen durfte. Auch die Blue Sage Ranch hatte bereits mit Betrügern und anderen unangenehmen Zeitgenossen zu tun gehabt. Er würde nie einem Menschen trauen, schon gar keiner Frau.

Außerdem konnte er Störungen nicht gebrauchen. Es wurde schlechtes Wetter erwartet, sehr schlechtes Wetter. Die Frau sollte sich so schnell wie möglich wieder auf den Weg machen. Je früher, desto besser.

Lucas ließ den Blick über das kastanienbraune Haar der Fremden, über ihre hohen Wangenknochen, den hübschen vollen Mund und das eigenwillige Kinn gleiten. Dann betrachtete er das viel zu weite Sweatshirt, die verwaschenen Jeans und ihre schmalen Füße, die in abgenutzten Tennisschuhen steckten. Doch selbst in dieser Kleidung besaß diese Frau einen Reiz, der nicht zu übersehen war. Ein Grund mehr, warum sie schnellstens verschwinden sollte.

„Falls Sie sich verfahren haben, werde ich Ihnen weiterhelfen“, riss Bens Stimme Lucas aus seiner Betrachtung.

„Sagen Sie mir nur, wie weit ich noch von Deerfork entfernt bin und in welche Richtung ich fahren muss“, bat die Frau. „Dann werde ich meinen Weg schon allein finden.“

„Sie fahren nach Deerfork?“

„So ungefähr.“

„In die Nähe von Deerfork?“

Sie nickte, sagte aber nichts.

„Ich werde Willie anrufen, damit er mit dem Abschleppwagen vorbeikommt“, erklärte Ben und ging dann auf den Streifenwagen zu.

„Wenn Sie mir genauer sagen, wohin Sie wollen, könnte ich Ihnen effektiver helfen“, erklärte Lucas schroff, dessen Geduld langsam zu Ende ging. Sein Misstrauen wuchs noch, als er sah, wie sie mit den Händen den Saum ihres Sweatshirts umklammerte. Diese Frau hatte Angst und nicht nur vor dem Gesetz.

„Ich möchte eine Freundin besuchen“, antwortete sie schließlich und straffte die Schultern. „Sie und ihr Ehemann leben in der Nähe von Deerfork. Ich muss irgendwo falsch abgebogen sein.“

Der trotzige Ausdruck, der jetzt in ihren Augen stand, trieb fast ein Lächeln auf sein Gesicht. Diese Frau war wirklich leicht aus der Fassung zu bringen. Und viel zu hübsch, wenn sie wütend war. Er verdrängte rasch diesen Gedanken. „Ein Name könnte mir weiterhelfen.“

Sie senkte leicht den Kopf und versteckte ihren Gesichtsausdruck hinter einem Vorhang aus seidig glänzendem Haar. „Richmond. Jenny Richmond.“

Er fluchte leise. „Jen und Pete sind vor zwei Wochen in Urlaub gefahren.“

„Oh nein“, stieß sie bestürzt hervor und schlang die Arme um die Taille. Ihr Gesicht war blass geworden.

Er sah sie beunruhigt an. „Geht es Ihnen gut?“

Sie hob das Kinn. „Ich werde fort sein, sobald der Abschleppwagen eingetroffen ist.“

Während sie sich anstarrten, kehrte Ben von seinem Wagen zurück. „Drüben auf dem Highway hat es einen Unfall gegeben. Willie ist gerade auf dem Weg dorthin.“ Er wandte sich der Frau zu. „Sie werden so lange hier warten müssen, bis er die Sache erledigt hat und kommen kann.“

„Moment mal.“ Lucas sprang über den Zaun und schaute beide an. „Sie kann doch mit dir mitfahren, und Willie kann den Wagen morgen holen. Wir werden in Deerfork einen Platz für sie finden.“

Der Wind frischte plötzlich auf und wirbelte Staub über den Hof. Ben wies mit dem Kopf auf seinen Wagen und gab Lucas zu verstehen, dass er ihm folgen sollte. „Sie muss hier bleiben, Lucas“, sagte er, als beide neben dem Streifenwagen standen. „Es sei denn, du könntest sie selbst nach Deerfork bringen.“

„Das kann ich nicht. Ich habe einen neuen Jungbullen, den ich im Auge behalten muss. Du wirst sie hinbringen müssen.“

„Tut mir leid, dass geht nicht. Ich muss sofort zu diesem Unfall.“ Ben stieg in den Wagen, drehte das Fenster herunter und schüttelte den Kopf. „Ein paar Jugendliche sind zu schnell gefahren. Wenn ein Sturm heraufzieht, bricht immer die Hölle los. Nichts als Ärger.“

„Und ich sage dir, sie bringt Ärger.“ Lucas zählte innerlich bis fünf, als Ben den Motor startete. „Sie bleibt nicht hier, und das ist …“

„Mom?“

Beim Klang der Stimme wirbelte Lucas herum, während Ben aus der Ausfahrt herausfuhr. Dann sah Lucas durch den aufgewirbelten Staub hindurch, dass sich die Fahrertür des roten Sportwagens öffnete. Da er nicht sah, wer da aussteigen wollte, lief er um den Wagen herum und blieb wie angewurzelt stehen.

„Es ist alles gut“, sagte die Frau und zog einen kleinen Jungen von fünf oder sechs Jahren an sich heran. Sie schlang die Arme schützend um den Kleinen und schaute zu Lucas hinüber.

Der Junge sah ihn misstrauisch an. „Wer ist das?“

Lucas hätte kein Wort hervorbringen können, selbst wenn sein Leben davon abgehangen hätte. Nach einem Moment räusperte er sich und zwang sich zu sprechen. „Ich bin Lucas Callahan. Und wie heißt du?“

„Cody.“

Lucas schaute zum dunklen Himmel hinauf und gab sich selbst das Versprechen, Ben das nächste Mal ordentlich die Meinung zu sagen. Dann nickte er. „Es ist wohl besser, wenn wir jetzt ins Haus gehen.“

„Gibt es keine andere Lösung? Wir können nicht hier bleiben.“ Die Frau zog den Jungen noch enger an sich heran und zitterte, ob vom kalten Wind oder aus Angst, konnte Lucas nicht sagen.

„Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben“, bemerkte er und wies auf die Veranda, während er im Stillen über sein Pech fluchte. Der Himmel war jetzt fast schwarz geworden, und die ersten dicken Schneeflocken tanzten mit dem Staub im stärker werdenden Wind. „Bereits in dreißig Minuten wird niemand mehr in der Lage sein, zur Landstraße zu kommen.“

Was bedeutete, dass er weiß Gott wie lang mit dieser Frau und dem Kind festsitzen würde.

Rachel Harris wusste nicht, ob ihre Beine sie zum Ranchhaus tragen würden. Sie konnte den Blick des Mannes auf sich spüren, und sie wusste, dass er ihr nicht traute. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Sie würde in seiner Situation genauso reagieren. Sie musste vorsichtig sein. Misstrauische Leute stellten Fragen. Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Nicht, wenn sie Cody in Sicherheit wissen wollte.

„Kaffee?“, fragte der Cowboy, nachdem sie die Küche betreten hatten.

Sie nickte unsicher und nahm auf dem Stuhl Platz, den er ihr angeboten hatte. Dann wagte sie es, dem wortkargen Mann auf der anderen Seite der Küche einen Blick zuzuwerfen und hielt für einen Moment den Atem an. Draußen war es bereits ziemlich dunkel gewesen, und sie war zu aufgeregt gewesen, um sich ihn genauer anzuschauen. Aber jetzt, da sie ihn im hellen Schein des Lichts sah, wäre sie am liebsten sofort zu ihrem Wagen gelaufen und trotz ihres defekten Reifens weitergefahren.

Lucas Callahan war mindestens ein Meter neunzig groß und eine beeindruckende Erscheinung. Unter seinem schwarzen Hut quoll dichtes schwarzes Haar hervor, das den Kragen seines ebenfalls schwarzen Hemdes berührte. Seine Schultern waren breit genug, um einer Frau Sicherheit und Schutz zu geben, aber sie hatten nichts Einladendes. Mit seinen schmalen Hüften und den langen Beinen kam er ihr wie eine Steinstatue vor. Perfekt, aber hart und kalt.

„Danke“, flüsterte sie, als er ihr eine Tasse Kaffee brachte. Nachdem sie tief den Duft des Getränks eingesogen hatte, schenkte sie dem Cowboy ein dankbares Lächeln. Sie hatte seit gestern Morgen keinen Kaffee mehr getrunken, und er hatte ihr gefehlt. Aber da sie nur noch vierzig Dollar besaß, hatte sie darauf verzichtet. In ihrer Situation zählte jeder Cent. Sie hatte damit gerechnet, dass Jenny zu Hause sein würde. Enttäuschung schloss jetzt ganz die Mauern der Verzweiflung, die sie umgaben. Mit ihren siebenundzwanzig Jahren hatte sie bereits vieles mitgemacht. Aber das hier war mit das Schlimmste.

Lucas stellte Cody ein Glas Milch hin, ging dann zum Schrank hinüber und rumorte darin herum. Schließlich stieß er einen zufriedenen Laut aus und warf eine halb volle Packung Kekse auf den Tisch.

„Es ist besser, wenn du nicht alle auf einmal isst. Vielleicht müssen sie ein paar Tage reichen.“

Cody schaute Rachel an, die die Frage in seinen Augen mit einem Lächeln beantwortete. Der Junge nahm einen Keks und aß ihn langsam und vorsichtig, als ob er etwas Seltenes und sehr Exotisches wäre.

Während Rachel den Jungen beobachtete, wurde ihre Angst von der Liebe zu ihrem Sohn verdrängt. Er war so lieb gewesen und hatte sich nicht einmal beklagt, dass sie tagelang im Wagen saßen. Sie hatten in den letzten zwei Nächten sogar darin geschlafen, da sie nicht ihr letztes Geld ausgeben wollte. Aber statt endlich bei ihrer Freundin zu sein, saß sie jetzt in der Küche eines Fremden. Da sie gesehen hatte, mit welcher Vertrautheit der Sheriff und der Mann miteinander umgegangen waren, sagte ihr ihr Instinkt, dass sie hier mit ihrem Sohn sicher wäre. Hatte der Sheriff nicht selbst vorgeschlagen, dass sie bei diesem Mann bleiben sollte? Nein, sie hatte keine Angst, aber sie war sich der Nähe dieses Mannes einfach zu sehr bewusst, als dass sie sich in seiner Gegenwart hätte entspannen können. Es war ein Gefühl, dass sie einfach nicht erklären konnte.

Sie legte die Hände um die heiße Tasse, die vor ihr stand und schaute auf. „Wissen Sie, wann Jenny und Pete zurück sein werden?“

Er sah nicht zu ihr hinüber. „Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass sie einen Monat fortbleiben wollen.“

„Einen Monat?“ Ihre Hoffnung sank. Das bedeutete noch zwei weitere Wochen. Ihr Bargeld würde nur noch ein bis zwei Tage reichen, und sie konnte es nicht riskieren, ihre Kreditkarte zu benutzen. Dann könnte man ihrer Spur zu leicht folgen, wenn jemand die Mittel dazu hatte. Und Stevens Eltern waren reich genug, um eine ganze Truppe von Privatdetektiven anzuheuern. Irgendwie musste es ihr gelingen, einen Platz zu finden, an dem sie bleiben konnte, bis Jenny zurück war. Aber wann würde sie diese Ranch wieder verlassen können?

Sie wagte es, einen weiteren Blick auf Lucas Callahan zu werfen. Er hatte seinen Hut so tief ins Gesicht gezogen, dass sie nicht sicher sein konnte, worauf er seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sein Blick auf sie gerichtet war. Er hatte sich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, die Knöchel gekreuzt und die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Haltung ließ ihn noch unnahbarer wirken. Warum verflixt noch mal fühlte sie sich dann zu ihm hingezogen?

Rachel schaute wieder auf ihre Kaffeetasse und nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Wir können nach Great Falls fahren, sobald der Wagen repariert ist. Was glauben Sie, wie lange der Sturm dauern wird? Sehen Sie eine Chance, dass wir noch heute Abend fahren können?“

„Das bezweifle ich“, antwortete Lucas. „Das hängt davon ab, wie viel Schnee wir bekommen und wie schlimm der Sturm wird. Wenn Sie Pech haben, müssen Sie sogar ein paar Tage hier bleiben.“

Ihre Zuversicht schwand dahin wie Schnee in der Frühlingssonne, und sie nahm auf einmal wahr, wie der Wind um das Haus jaulte und durch die kahlen Zweige der Bäume pfiff. Ein Schauer durchlief sie, und sie redete sich rasch ein, dass das nur von den unheimlichen Tönen und nicht von dem intensiven Blick kam, mit dem der Fremde sie betrachtete. Da der Hut stets einen Schatten auf seine Augen warf, hatte sie sie noch nie im Licht gesehen, aber sie spürte, dass sie so kalt und abweisend wie ihr Besitzer sein mussten. Warum war er so unfreundlich? So … feindlich? Die meisten Leute waren Fremden gegenüber misstrauisch, aber war ihm denn nicht klar, dass sie nur durch unglückliche Umstände hier festsaß?

„Bevor es draußen noch schlimmer wird, ist es wohl besser, wenn ich Ihren Wagen in einen Unterstand fahre. Soll ich Ihnen etwas mitbringen?“

Sie dachte an die vier Koffer und die Kartons, die sich im Kofferraum befanden. Dort drinnen befand sich alles, was sie nicht zurücklassen mussten. Wenn er die sah, würde er sofort wissen, dass sie einer Freundin nicht nur einen kleinen Besuch abstatten wollte. Wahrscheinlich würde er nicht sofort Fragen stellen, aber irgendwann würde er damit beginnen. Glücklicherweise hatte sie eine kleine Reisetasche für Übernachtungen gepackt.

„Hinter dem Sitz befindet sich eine Tasche“, antwortete sie. „Und Codys Anorak und einige Decken. Der Schlüssel steckt im Zündschloss.“

Er nickte, rückte vom Schrank ab und ging an ihr vorbei auf die Tür zu. „Sie werden keine Decken brauchen. In diesem Haus gibt es genug Betten. Ich werde für Sie ein Zimmer zurechtmachen.“

„Danke.“ Sie vermied es, ihn anzusehen. Allein die Nähe dieses Mannes machte sie nervös.

„Es wird eine Weile dauern, bis ich wiederkomme“, erklärte er. „Ich muss noch nach dem Vieh sehen.“ Er zog sich eine dicke Jacke an und zögerte dann einen Moment. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, hin und wieder mal die Suppe in dem Topf dort drüben umzurühren?“

„Natürlich nicht.“ Sie stand auf, und als er aus der Tür war, hob sie den Deckel und sog tief den würzigen Duft ein, den der Topfinhalt verströmte. Ein Duft, der ihr Herz erwärmte. „Mmm. Hühnersuppe.“

„Mom?“

Sie rührte die Suppe mehrere Male um und legte dann den Deckel wieder auf. „Was ist, Cody?“

„Wann werden wir bei Jenny sein?“

„In ein paar Tagen.“ Rachel ging zu ihrem Sohn hinüber und strich ihm über das dunkle Haar. Sie wollte nicht, dass Cody in Angst leben musste, so wie sie es in den letzten sechs Monaten getan hatte. Wenn sie Jenny doch nur von ihrem Kommen unterrichtet hätte. Aber sie hatten so schnell abreisen müssen, dass einfach keine Zeit mehr dafür gewesen war.

„Werden wir bis dahin hier bleiben?“, fragte er, und der Ausdruck in seinen haselnussbraunen Augen war viel zu weise für einen sechsjährigen Jungen.

„Sobald das Wetter sich gebessert hat, werden wir etwas anderes finden.“ Irgendwie musste sie etwas finden. Aber wenn die Voraussage des Cowboys korrekt war, würde sie keine andere Wahl haben, als erst einmal hier zu bleiben. Und da sie wusste, dass zu viel Grübeln sie nirgendwo hinbringen würde, begann sie in den Schränken nach Tellern und einer Beilage für die Suppe zu suchen.

Eine Weile später wurde die Tür hinter ihr geöffnet und Lucas trat, begleitet von einer eiskalten Windböe, ins Haus. Sie zuckte erschrocken zusammen, doch sie zwang sich, sich auf den Inhalt des Schrankes zu konzentrieren. Sie wollte das Knistern von Stoff und die Stiefelschritte hinter sich ignorieren, doch ihre Neugierde war einfach zu groß, und sie warf einen Blick über ihre Schultern.

Er hatte den Hut abgenommen, stampfte mit den Füßen auf, um den Schnee von den Stiefeln abzuschütteln, und schlug sich dann mit dem Hut auf den Oberschenkel. „Draußen sieht es nicht gut aus“, erklärte er.

Sie legte Kräcker, die sie gerade gefunden hatte, auf einen Teller, während er seine Jacke und den Hut an den Garderobenhaken hinter der Tür hängte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er zum Tisch, stellte ihre Reisetasche auf einen Stuhl und legte dann Codys Anorak darauf.

Sie schob ihre Enttäuschung über die Prognose zur Seite, füllte drei Suppenteller und stellte sie auf den Tisch. „Ich weiß nicht, was Sie sonst noch als Abendessen gedacht haben.“

„Das ist leider alles. Ich hoffe, es wird für Sie und den Jungen genug sein.“

„Natürlich.“ Sie lächelte und setzte sich. „Die Suppe duftet köstlich.“

Der einzige freie Stuhl befand sich zu ihrer Rechten und es war nur natürlich, dass sie zu ihm hinüberschaute, als er dort Platz nahm. Aber sie fand es ganz und gar nicht natürlich, dass ihr Herzschlag für einen Moment aussetzte, als ihre Blicke sich trafen. Ohne den Hut konnte sie seine Augen zum ersten Mal richtig sehen. Er hatte dunkle, fast schwarze Augen, deren intensiver Blick sie atemlos machte.

Nach einem Moment, der ihr wie eine Ewigkeit erschien, senkte sie den Kopf und sah dann, wie er eine Handvoll Kräcker in seine Suppe brach. Cody musste ihm zugeschaut haben, denn er folgte seinem Beispiel. Ihr Sohn brauchte unbedingt eine männliche Figur in seinem Leben. Es war nun zwei Jahre her, dass Steven tot war, und Cody konnte sich kaum noch an seinen Vater erinnern. Seit Stevens Tod war sie so damit beschäftigt gewesen, ihnen ein Dach über dem Kopf und ausreichend Nahrung zu besorgen, dass sie auf dieses Bedürfnis nicht geachtet hatte. Aber sie verbrachte stets jede freie Minute mit ihm und versuchte ihm Vater und Mutter gleichzeitig zu sein. Sie würde es niemals zulassen, dass ihr jemand Cody wegnahm, wie weit und wie lange sie auch fortlaufen musste.

„Ich glaube, ich kenne Ihren Namen noch gar nicht.“

Bei seiner Frage schien ihr Magen auf einmal so schwer wie Blei zu werden. Sie konnte ihm ihren Namen nicht sagen, wollte aber auch nicht so unhöflich sein, ihm keine Antwort zu geben. Schließlich hatte er ihr ein Dach über dem Kopf und Essen gewährt.

„Ich heiße Rachel.“

„Rachel und?“, fragte er und sah sie unverwandt mit seinen dunklen Augen an.

„Rachel … Stevens“, erwiderte sie und benutzte den Vornamen ihres Mannes als ihren Familiennamen. Sie hasste es zu lügen, besonders vor Cody. Später würde sie ihm erklären müssen, warum sie das getan hatte. Und zwar in einer Art und Weise, die ihm keine Angst einjagte. Sie musste sehr vorsichtig vorgehen, wenn sie ihren Sohn behalten wollte.

Sie bedeutet Ärger. Das hatte er bereits Ben gegenüber erwähnt. Lucas stöhnte. Es war noch eine Untertreibung gewesen. Er steckte tiefer drin, als er je angenommen hätte.

Er konnte ihre Stimme hören, die vom Zimmer über ihm hinunterdrang. Ihr Name hallte in seinem Kopf wie ein sanftes Flüstern wider. Und seine Hormone spielten immer noch verrückt. Es war eine Weile – eine halbe Ewigkeit – her, dass er so auf eine Frau reagiert hatte. Tatsache war, dass er sich überhaupt nicht daran erinnern konnte, jemals so reagiert zu haben.

Er hatte am Korral die ersten Warnzeichen ignoriert, als sie ihn mit diesen blauen Augen angeschaut hatte. Augen, die so blau waren wie der Himmel über Montana an einem strahlenden Sommertag. Danach war ihm die Kälte, die der heraufziehende Schneesturm mit sich brachte, nicht mehr aufgefallen.

Im hellen Licht der Küche hatte er sie besser betrachten und feststellen können, dass sie nicht die vollen weiblichen Kurven der Frauen besaß, zu denen er sich normalerweise hingezogen fühlte. Trotz des weiten Sweatshirts konnte man sehen, dass sie nichts Üppiges verbarg.

Trotzdem war er nicht in der Lage gewesen, den Blick von ihr zu nehmen.

„Verdammt“, murmelte er, gefolgt von einer Reihe von Wörtern, bei denen ein Seemann errötet wäre. Er betrat sein Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. Dann ging er zum Fenster hinüber und starrte in die stürmische Nacht hinaus, doch er sah nichts außer dem Bild der Frau, mit der er vorübergehend das Haus teilte.

Verflixt noch mal, sie ist noch nicht einmal besonders schön. Nicht in der üblichen Art und Weise. Ihr Mund war zu breit, ihre Nase zu kurz und ihre Augen waren zu … zu blau. Viel zu blau.

Als das Telefon klingelte und ihn aus Gedanken riss, die er gar nicht haben sollte, ging er zu seinem großen Eichenholzschreibtisch hinüber und nahm den Hörer ab. „Blue Sage“, brummte er.

„Stimmt etwas nicht, Lucas?“ Es war sein Stiefbruder, der mit ihm auf der Ranch arbeitete und zwei Meilen entfernt mit seiner jungen Frau in einem Haus wohnte.

Er stieß einen frustrierten Laut aus. „Darauf kannst du wetten. Eine Frau und ein Junge sind bei mir gestrandet, während du nichts anderes zu tun hast, als dich mit deiner Braut zu amüsieren.“

„Hast du gesagt, eine Frau?“

„Und ihr Sohn. Er ist ungefähr sechs Jahre alt. Komm nur nicht auf dumme Ideen. Sie gehören nicht hierher. Sie machen nichts als Ärger. Eine Frau bringt immer nur Ärger, verdammt noch mal.“

Harley seufzte. „Du kannst die Vergangenheit nicht loslassen, nicht wahr?“ Als Lucas nicht antwortete, fuhr er fort: „Nicht jede Frau ist wie Debra. Verflixt, Terri ist absolut nicht wie Deb…“

„Terri ist anders“, entgegnete Lucas schroff, drehte sich um und schaute wieder in die dunkle Nacht hinaus. „Ich weiß nicht, wie ein wertloser Cowboy wie du zu solch einer Frau kommt.“ Er bereute seinen barschen Ton und fügte hinzu: „Wenn du erst einmal länger verheiratet bist, dann …“

Harley lachte. „Dann haut sie eines Tages ab und lässt mich mit einem Haus voller Kinder allein zurück. Ist es das, was du sagen willst.“ Lucas wollte ihm widersprechen, doch Harley gab ihm keine Chance. „Hör zu, Junge. Das was geschehen ist, war schlimm für dich, aber du kannst deswegen nicht alle Frauen verdammen. Habe ein wenig Mitgefühl, Lucas. Dieser Junge und seine Mutter haben es nicht verdient, bei einem Schneesturm hinausgejagt zu werden, nur weil eine Frau, die nie ein Herz besessen hat, dich vor acht Jahren verletzt hat.“

Lucas hasste dieses Gespräch. Das mit Debra war lange vorbei, und er wollte nicht mehr an sie erinnert werden. Der Schmerz, den sie ihm zugefügt hatte, war vergangen und hatte eine Leere zurückgelassen, an die er nicht rühren wollte.

„Falls ich Sie fortgeschickt hätte, was zweifellos das Beste gewesen wäre, dann …“

„Dann wären sie irgendwo zwischen hier und Deerfork liegen geblieben“, unterbrach ihn Harley.

„Und ich nehme an, dass ich jetzt ihren Retter spielen und ihnen aus allen Problemen heraushelfen soll.“

Autor

Roxann Delaney
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