Ich leg mein Herz in deine Hände

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Die junge Assistenzärztin Kayleigh ist überzeugt: Wenn man glücklich ist, kommt man mit dem Stress in der Notaufnahme besser zurecht! Schade, dass ausgerechnet der attraktive Dr. Lewis McAllister nicht an den Faktor Gefühl zu glauben scheint! Kayleigh ahnt nicht, wie sehr sie sich irrt …


  • Erscheinungstag 09.07.2021
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506120
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war ein komisches Gefühl, wieder in das Haus ihrer Kindheit zurückzukehren. Glück und Traurigkeit mischten sich in ihrer Erinnerung, und Kayleigh wusste nicht, welches davon überwog. Sie blieb stehen und schaute an der weiß getünchten Mauer hinauf. Hängeampeln voller üppig blühender Fuchsien und Petunien bildeten dazu einen bunten Farbkontrast.

Das Haus lag am Hang, an einer gepflasterten Straße, die sich zu einer kleinen Bucht hinunterschlängelte. Dieser Teil der Küste des nördlichen Devon war wunderschön, und man hatte einen herrlichen Ausblick aufs Meer.

Nach einem kurzen Moment des Zögerns ging Kayleigh den schmalen Pfad zur Haustür hinauf, wobei sie die Finger über das schmiedeeiserne Geländer gleiten ließ. Tief atmete sie die frische, saubere Seeluft ein.

Der Weg vom Hafen hier herauf hatte sie belebt, doch plötzlich fragte sich Kayleigh, wie Tante Jane jetzt wohl mit dem steilen Anstieg und dem Kopfsteinpflaster zurechtkam. Schließlich wurde sie auch nicht jünger.

Kayleigh schloss auf und betrat das Haus. Vielleicht rührte dieses merkwürdig hohle Gefühl in ihrem Magen daher, dass ihre Mutter nicht mehr da war. Entschlossen schüttelte Kayleigh die Trauer ab und machte sich auf die Suche nach ihrer Tante. Schließlich fand sie sie auf der Terrasse.

„Ah, hier versteckst du dich!“, meinte Kayleigh mit einem Lächeln.

Erfreut blickte Jane auf. „Kayleigh, du bist da! Ich habe mich schon gefragt, ob du es wirklich schaffen würdest. Ich weiß ja, wie viel du im Krankenhaus immer zu tun hast. Es ist so schön, dich zu sehen.“ Sie wollte aufstehen, doch Kayleigh hielt sie zurück.

„Bleib sitzen. Ich komm zu dir.“ Ihr waren die müden Linien im Gesicht ihrer Tante nicht entgangen, ebenso wenig wie ihre gebeugten Schultern. Kayleigh war besorgt.

Wie lange hatten sie sich nicht gesehen – fünf oder sechs Monate? Doch die Veränderung war unübersehbar. Tante Jane war immer so rüstig gewesen und ständig mit irgendetwas beschäftigt. Aber das Alter schien nun doch seinen Tribut zu fordern.

„Geht es dir gut?“, erkundigte sich Kayleigh zögernd. Die grauen Strähnen in Janes braunem Haar unterstrichen ihren angestrengten Ausdruck. „Du siehst ziemlich blass aus.“

„Ja, alles in Ordnung. Mach dir keine Sorgen um mich. Du kannst deinen Arztkittel ruhig wieder einpacken.“ Tante Jane machte eine abwehrende Geste und setzte eine fröhliche Miene auf. „Ich bin bloß ein bisschen müde. Ich wollte hier draußen nur etwas frische Luft schnappen und in Ruhe nachdenken. Es ist so friedlich.“ Sie seufzte leise. „Obwohl, wenn ich mir den Garten so angucke, gibt es da vieles, was getan werden müsste.“

Kayleigh folgte dem Blick ihrer Tante. Hinter der Terrasse erstreckte sich ein großer Rasen, eingefasst mit bunten Staudenrabatten. Die Büsche zeigten eine wunderbare Farbenpracht, wucherten jedoch so stark, dass sie sich gegenseitig zu ersticken drohten. Die Obstbäume versprachen eine reichliche Ernte, und am Ende des Gartens war der Gartenschuppen unter den von Blüten übersäten Zweigen des Holzapfelbaums kaum mehr zu erkennen. Der Rasen sah allerdings frisch gemäht aus.

„Jetzt bin ich ja da“, meinte Kayleigh. „Ich kümmere mich darum.“

Ihre Augen wurden schmal, als sie einen Moment lang meinte, eine schattenhafte Gestalt hinter dem Holzapfelbaum zu sehen. Gleich darauf war sie jedoch verschwunden, und Kayleigh schüttelte verwundert den Kopf. Wahrscheinlich hatte sie sich nur etwas eingebildet.

„Ich weiß, ich hätte schon längst kommen und dir helfen sollen“, sagte sie. „Aber ich hatte so viel um die Ohren. Ich musste mich an die verschiedenen Schichtdienste gewöhnen. Dann kam noch meine Facharzt-Prüfung dazu und so weiter.“

„Ich weiß, Liebes.“ Beruhigend tätschelte Tante Jane ihr die Hand. „Aber es läuft doch gut für dich, oder? Du wolltest ja immer Notfall-Ärztin werden, stimmt’s?“

Sie nickte. „Ja, solange ich denken kann. Ich glaube, nach dem Tod von Dad wusste ich, dass ich unbedingt Medizin studieren wollte, um zu lernen, wie man Menschenleben rettet.“

Jane lächelte. „Ich wusste, dass du es schaffst. Das habe ich auch deiner Mutter gesagt.“ Sie hielt kurz inne und fügte dann hinzu: „Ich habe mir natürlich schon gedacht, dass es für sich zu schwierig wird, dieses alte Haus zu behalten, wenn du woanders arbeitest. Und du hast ja auch noch deinen Freund.“

„Nein, den gibt es nicht mehr“, erwiderte Kayleigh. „Es hat nicht funktioniert.“

„Ach.“

„Zu Anfang schien er perfekt zu sein. Aber dann habe ich gemerkt, dass alles nach seiner Nase gehen sollte. Außerdem habe ich ihn mit einer der Krankenschwestern erwischt, als mein Dienstplan sich änderte und ich einmal früher nach Hause kam. Damit war die Sache endgültig vorbei. Der Kerl ist Geschichte.“

„Oh, das tut mir aber leid“, meinte Jane. „Du hättest was Besseres verdient.“

Kayleigh presste die Lippen zusammen. „Mir geht’s gut. Aber es war nicht richtig, dich so lange hier alleine zu lassen. Ich weiß ja, dass dir dieses Haus zu viel ist. Ich wollte eigentlich schon viel früher kommen.“

„Ja, das Haus ist groß, und es war was anderes, als deine Mutter noch lebte. Aber jetzt … Na ja, ich bin nicht mehr so fit wie früher, und ich muss zugeben, ich schaffe es nicht mehr, mich vernünftig um alles zu kümmern. Ein solches Haus braucht viel Liebe und Pflege.“ Jane sah Kayleigh direkt an. „Hast du dich schon entschieden, was du damit machen willst?“

Kayleigh schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Ich habe es wohl einfach vor mir hergeschoben.“

Jane nickte. „Ich nehme an, jetzt, da die Testamentseröffnung stattgefunden hat, wäre es für dich das Beste, das Haus zu verkaufen.“

„Mal sehen.“ Kayleigh war abgelenkt, weil sie eine Bewegung durchs Fenster des Arbeitszimmers gesehen hatte. „Ist jemand im Haus? Ich dachte, ich hätte vorhin ein Geräusch im Arbeitszimmer gehört.“

„Das wird wohl dein Stiefvater sein“, sagte ihre Tante. „Er ist vor einer Weile gekommen. Ich wollte ihn wegschicken, aber er hat sich einfach an mir vorbeigedrängt. Er glaubt anscheinend, dass er in irgendeiner versteckten Schublade noch ein paar Aktienpakete findet. Allerdings weiß ich nicht, wieso er ausgerechnet jetzt damit ankommt. Vielleicht, weil die Zeit allmählich knapp wird und er merkt, dass seine Chancen schwinden.“

Kayleigh fuhr auf. „Egal, aus welchem Grund, er hat kein Recht, hier einfach nach Lust und Laune reinzuplatzen!“

„Ach, ich dachte, ich lass ihn eine Weile gewähren, bis er sich wieder beruhigt hat. Wenn er nichts findet, wird er von selbst wieder verschwinden.“ Jane zögerte. „Aber ich denke auch, er war jetzt lange genug da drin.“ Mühsam versuchte sie aufzustehen.

„Nein, ich mach das“, erklärte Kayleigh. „Überlass ihn ruhig mir.“ Gerade wollte sie ins Haus marschieren, da hörte sie ein Klappern aus dem Gartenhäuschen. Sie blieb stehen und bemühte sich, durch das dichte Grün zu spähen. „Ist da auch noch jemand im Schuppen?“

„Ich glaube nicht.“ Jane wirkte leicht verlegen. „Vielleicht ist der Kater von gegenüber reingesprungen und hat irgendwas umgeworfen.“

Kayleigh wunderte sich, denn es stand kein Fenster offen, wo eine Katze hätte hineinspringen können. Im Zaun hingegen klaffte ein Loch, groß genug für einen Eindringling. Deshalb lief sie über den Rasen, um nachzusehen. Ihr Stiefvater konnte noch warten.

Als sie sich dem Schuppen näherte, sagte eine männliche Stimme: „Ah, da bist du ja. Hab ich dich endlich gefunden!“

Gleich darauf erschien der Mann an der Schuppentür. Er war so groß, dass er sich bücken musste, um nicht anzustoßen. Sobald er sich aufrichtete, war Kayleigh wie gebannt von dem Anblick geballter Männlichkeit: lange, kräftige Beine in Jeans und ein kraftvoller Bizeps, der durch das eng anliegende T-Shirt auffallend betont wurde. Das kurze, glänzend schwarze Haar brachte das markante Gesicht ausgezeichnet zur Geltung.

Der Unbekannte hielt in jeder Hand einen großen Farbeimer und betrachtete diese, ehe er aufschaute. Als er Kayleigh erblickte, fuhr er erstaunt zurück. Schnell hatte er sich jedoch von seiner Überraschung erholt und musterte sie eingehend. Sein Blick glitt über die wohlgeformten weiblichen Rundungen, die sich unter Kayleighs Baumwoll-Top abzeichneten. Auch der fließende Rock, der ihre langen Beine umspielte, entging ihm nicht. Schließlich blieben die blauen Augen des Mannes an ihren langen, kastanienbraunen Locken hängen, die im warmen Sonnenlicht leuchteten.

„Hallo“, meinte er und neigte flüchtig den Kopf. „Was meinen Sie, Magnolie oder Buttermilch?“ Seine Stimme klang tief und sinnlich.

„Wie bitte?“ Verdutzt starrte sie ihn an.

„Ich kann mich nicht entscheiden, welche Farbe ich nehmen soll.“ Er zuckte die Achseln. „Ich muss ein paar Wände streichen.“

Sie holte tief Luft. Was hatte dieser Kerl hier zu suchen?

„Ich glaube kaum, dass ich Ihnen da behilflich sein kann“, erwiderte sie argwöhnisch. „Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie hier machen.“

„Geht mir genauso.“ Er sah sie an, als sei sie der Eindringling. „Ich habe Sie noch nie in der Gegend gesehen.“

Verärgert drehte Kayleigh sich zu ihrer Tante um, doch Jane war offenbar hineingegangen. Stattdessen stürmte ihr Stiefvater wütend in den Garten. Erbost marschierte er auf sie zu, das überlange Haar zerwühlt und ungepflegt.

„Du bist also zurückgekommen, ja?“, stieß er böse hervor. „Du meinst wohl, du kannst hier einfach so reinspazieren, alles verkaufen und dann wieder abhauen, was?“ Seine Augen wurden schmal. „Darauf würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen.“

Sein plötzliches Auftauchen machte Kayleigh wütend, doch sie entschied sich, ruhig zu bleiben. „Und wieso nicht, Evan?“

„Weil ich auch Rechte habe. Glaub bloß nicht, dass du damit durchkommst.“

Sie hielt seinem Blick stand. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Allerdings weiß ich, dass du hier nicht jederzeit reinplatzen kannst, wie es dir gerade passt. Du wohnst nicht mehr hier.“ Die letzten Worte sagte sie langsam und sehr deutlich.

Drohend kam Evan auf sie zu. „Nicht in diesem Ton, Mädchen! Ich bin dein Vater, und du tust, was ich dir sage.“

Energisch schüttelte Kayleigh den Kopf. „Oh nein, du bist nicht mein Vater. Und denk ja nicht, du kannst mich genauso einschüchtern wie meine Schwester.“

Wutentbrannt schnaubte er: „Ich war mit deiner Mutter verheiratet, also habe ich hier auch das Sagen, ist das klar? Das Haus sollte von Rechts wegen mir gehören. Und ich habe Papiere hier zurückgelassen, Aktien und Dokumente. Ich weiß, dass sie im Sekretär waren, aber jetzt sind sie weg. Bestimmt hast du sie genommen. Dazu hattest du kein Recht.“

„Ich hab sie nicht. Alle wichtigen Unterlagen sind beim Notar. Vielleicht solltest du erst mal mit ihm sprechen. Und was das Haus betrifft, wurde das meines Wissens alles in der Scheidungsvereinbarung geregelt.“

„Deine Mutter ist gestorben, bevor die in Kraft trat“, höhnte Evan.

„Mag sein. Aber sie hatte noch genug Zeit, um ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Und sie hat dafür gesorgt, dass ich genau wusste, was zu tun war. Ich schätze, du hast von dem Testament erst erfahren, als es schon zu spät war.“

Seine Miene war verzerrt vor Wut. „Du hast sie doch dazu aufgestachelt, stimmt’s?“ Er wollte sich auf sie stürzen, und Kayleigh wich rasch zurück.

Aber der Angriff fand nicht statt. Der Unbekannte hatte seine Farbeimer abgestellt und hielt Evan mit eisenhartem Griff am Arm fest.

„Das würde ich an Ihrer Stelle lieber nicht tun“, erklärte Kayleighs Retter sanft, ohne Evan aus den Augen zu lassen. Mit seinem muskulösen, durchtrainierten Körper war er kampfbereit, und es bestand kein Zweifel daran, wer von beiden der Stärkere war.

Sprachlos starrte Kayleigh ihn an.

In diesem Augenblick erschien ihre Tante mit hoch erhobenem Besen. „Du gehst jetzt besser!“, fuhr sie Evan an, den Besen auf ihn gerichtet.

Allein mit den beiden Frauen hätte er sich vermutlich gesträubt. Doch der Fremde schien ihm eindeutig überlegen zu sein.

„Ich hab gesagt, was ich zu sagen hatte“, murrte Evan daher, wobei er Kayleigh und Jane einen bitterbösen Blick zuwarf. „Aber die Sache ist noch nicht zu Ende. Wir sehen uns vor Gericht!“ Er versuchte, sich aus der Umklammerung des Unbekannten zu befreien.

Als der Mann sah, dass er sich abwandte, ließ er ihn gehen. Kayleigh folgte ihrem Stiefvater bis zur Haustür und wartete sicherheitshalber, bis er tatsächlich abgefahren war, ehe sie in den Garten zurückging. Erschrocken sah sie dort, wie der Fremde ihre Tante stützte und zur Terrasse brachte.

„Tante Jane!“ Kayleigh eilte auf sie zu. „Kommen Sie, wir bringen sie zur Sonnenliege“, sagte sie zu dem Mann. „Bei der kann ich die Rückenlehne verstellen.“ Besorgt sah sie ihre Tante an. „Was ist los? Hast du das schon mal gehabt?“

„Nur … ein bisschen … außer Atem …“, brachte Jane mühsam hervor. „Ist gleich … wieder … vorbei …“

„Ihr war schwindlig, und sie ist fast ohnmächtig geworden“, berichtete der Mann und fühlte ihr dabei den Puls. „Ihr Herz rast. Wahrscheinlich war die Auseinandersetzung mit Ihrem Stiefvater zu viel für sie.“

„Ist das schon mal passiert?“, fragte Kayleigh ihre Tante, doch der Unbekannte antwortete an ihrer Stelle.

„Ja, ein paar Mal. In letzter Zeit ist sie ziemlich erschöpft. Ich habe versucht, sie davon zu überzeugen, dass sie sich untersuchen lassen muss.“

Kayleigh blickte zu ihm auf. „Sie kennen meine Tante also?“

Er nickte. „Ich wohne in dem Haus nebenan. Oder besser gesagt, ich kümmere mich darum, solange der eigentliche Besitzer weg ist. Ihre Tante und ich haben uns in den letzten Wochen recht gut kennengelernt.“

Sie war erstaunt. „Ach so.“ Das erklärte allerdings immer noch nicht, weshalb er in ihrem Schuppen herumgestöbert hatte. Aber das konnten sie auch später noch klären. Momentan war Tante Jane wichtiger. Liebevoll streichelte sie ihr über die Schulter. „Ich hole meinen Arztkoffer aus dem Haus. Meinst du, du kommst zurecht, wenn ich dich kurz allein lasse?“

Jane nickte wortlos, und Kayleigh erriet, dass ihr Zustand sich offenbar verschlimmerte. Fragend sah sie den Nachbarn an. „Würden Sie bei ihr bleiben?“

„Natürlich.“

Innerhalb von zwei Minuten war sie wieder zurück, kniete sich neben ihre Tante und legte ihr eine Blutdruckmanschette an.

„Ich möchte nur sehen, wie es dir geht“, meinte sie. Nach wenigen Sekunden murmelte sie: „Das ist viel zu hoch, und dein Puls ist total unregelmäßig.“ Zutiefst beunruhigt hielt sie Janes Hand. „Du musst unbedingt ins Krankenhaus, damit ein EKG gemacht wird und wir feststellen können, was mit deinem Herzen los ist.“

„Nein, nein. Das will ich nicht.“ Hilfesuchend schaute Jane zu dem Mann auf. „Lewis, sagen Sie’s ihr!“

Bedauernd schüttelte er den Kopf. „Aber sie hat recht.“ Er hockte sich zu ihr hinunter. „Ihr Puls ist viel zu schnell, und Ihr Blutdruck muss dringend gesenkt werden. Wir müssen herausfinden, was mit Ihnen nicht stimmt.“

„Nicht ins Krankenhaus“, wiederholte Jane mit dünner Stimme und sah ihre Nichte flehentlich an. „Du kannst mir doch … was geben … oder?“

Kayleigh zögerte. Die Arztpraxis war sicher schon fürs Wochenende geschlossen, und wenn ihre Tante sich weigerte, ins Krankenhaus zu gehen, gab es nicht mehr viele Möglichkeiten. „Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du am Montag zu deinem Hausarzt gehst.“

Jane nickte schwach und schloss flüchtig die Augen.

Lewis sah Kayleigh an. „Was wollen Sie tun?“

„Ich gebe ihr ein Kalziumpräparat, vielleicht hilft das. Wenn nicht, muss sie vielleicht doch ins Krankenhaus.“

„Bis dahin sollte sie Sauerstoff kriegen. Ihre Atmung ist nicht in Ordnung. Ich übernehme das, wenn Sie ihr das Medikament geben.“

„Habe ich hier irgendwas verpasst?“, fragte Kayleigh verblüfft. „Sie scheinen sich ja gut auszukennen. Sind Sie Arzt?“

Er nickte und suchte in ihrem Koffer nach dem, was er brauchte. „Ich habe vor ein paar Wochen im Riverside Hospital angefangen. Deshalb bin ich auch hierhergezogen. Ich soll die Notaufnahme auf Vordermann bringen, sonst wird sie geschlossen.“

Sie war bestürzt. „Dort werde ich auch arbeiten.“

Erstaunt öffnete Jane die Augen und wollte etwas sagen.

„Nein, bleib ganz ruhig.“ Kayleigh legte ihr sanft die Hand auf den Arm. „Ich wollte dir von dem Job erzählen, aber ich habe erst in der allerletzten Sekunde erfahren, dass es klappt. Anscheinend ist ein Arzt von hier weggegangen, und man hat mir seine Stelle angeboten.“

Ihre Tante wirkte erleichtert, war jedoch zu schwach zum Sprechen. Kayleigh gab ihr das Medikament und hielt ihr dann ein Glas mit eisgekühltem Saft aus dem Krug auf dem Tisch an die Lippen.

„Das müsste helfen“, meinte sie. „Vielleicht verlangsamt sich durch die Kälte dein Herzschlag ein bisschen. Es dauert ein paar Minuten, bis die Tabletten wirken. Aber wir geben dir etwas Sauerstoff, um deine Atmung zu unterstützen, damit du dich wohler fühlst.“

Lewis hatte alles vorbereitet und setzte Jane die Atemmaske auf.

„Jane hat mir erzählt, dass Sie in der Notfallmedizin arbeiten“, meinte er mit einem Blick zu Kayleigh. „Wenn Sie ins Riverside kommen, heißt das wohl, dass wir zusammenarbeiten werden.“

„Sieht ganz so aus.“ Sie wusste nicht recht, wie sie mit dieser Tatsache umgehen sollte. Vor allem, da sie beide vorhin ja keinen besonders guten Start gehabt hatten.

Offenbar war ihm derselbe Gedanke gekommen. „Ich hatte nicht vor, die Farbe zu klauen“, brummte er. „Ihre Tante hat mir gesagt, dass ich mich bedienen könnte. Ich bin aber erst heute Nachmittag dazu gekommen. Ich renoviere ein bisschen für meinen Freund, so als eine Art Dankeschön.“

„Verstehe.“

„Eigentlich wollte ich Farbe kaufen“, fuhr Lewis fort. „Aber Jane meinte, das wäre nicht nötig. Sie sagte, Sie würden die Farbe in nächster Zeit sowieso nicht verbrauchen, und sie würde sonst nur eintrocknen.“

„Das stimmt wahrscheinlich“, antwortete Kayleigh. „Meine Mutter hat die Wände mit teurer Tapete tapezieren lassen. Ich glaube kaum, dass wir demnächst irgendwas daran ändern werden.“ Sie fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. „Ich möchte Ihnen noch dafür danken, dass Sie vorhin bei meinem Stiefvater eingeschritten sind. Obwohl ich sicher auch alleine mit ihm fertig geworden wäre. Er kann manchmal ziemlich anmaßend sein, aber er ist noch nie wirklich zu weit gegangen.“

„Es gibt immer ein erstes Mal, und er sah aus, als wäre er kurz davor, die Beherrschung zu verlieren“, erklärte Lewis. „Das Risiko wollte ich nicht eingehen.“

„Nein. Nun ja, wie ich schon sagte, vielen Dank, und auch jetzt für Ihre Hilfe bei meiner Tante. Mir war nicht klar, dass es ihr gesundheitlich so schlecht geht. Solange ich mich erinnern kann, ist sie immer stark gewesen.“

„Vielleicht musste sie das auch. Seit dem Tod Ihrer Mutter ist sie eine ganze Weile alleine gewesen. Denn soweit ich weiß, waren Sie nur selten hier.“

Kayleigh war nicht sicher, ob das als Kritik gemeint war. „Ich hatte ziemlich viel zu tun, und die Fahrt hierher hätte meinen Dienstplan völlig durcheinandergebracht. Ich habe versucht, telefonisch mit ihr in Kontakt zu bleiben.“

Lewis schien von dieser Information wenig beeindruckt, und irgendetwas in ihr sträubte sich dagegen, sich vor diesem Fremden zu rechtfertigen. Für wen hielt er sich, dass er sich ein Urteil über sie erlaubte?

„Mit einem Anruf kann man sein Gewissen leicht beruhigen. Das ist aber trotzdem nicht dasselbe wie ein Besuch“, erwiderte er kühl.

„Es hat ausgereicht, um auf dem Laufenden zu bleiben.“

Er hob die dunklen Brauen. „Wenn Sie das sagen.“ Ein Seitenblick auf Jane zeigte ihm, dass sie eingeschlafen war. „Die Tabletten scheinen endlich zu wirken. Sie braucht jetzt unbedingt Ruhe.“ Er fühlte ihren Puls, ehe er Kayleigh wieder ansah. „Davon hat sie in letzter Zeit nicht viel gehabt. Dieses Haus ist einfach zu viel für sie. Ich habe ihr geholfen und den Rasen gemäht. Und ich habe auch angefangen, die Rabatten zu jäten. Aber ich weiß, dass sie das Gefühl hat, ständig unter Druck zu stehen. Es geht ihr nicht gut, und sie schafft das alles nicht mehr.“

„Ja, das merke ich jetzt auch.“ Nachdenklich blickte Kayleigh sich um. „Dieses Haus hat schon immer viel Arbeit gemacht. Meine Mutter hat es geliebt, und es war seit Generationen im Besitz ihrer Familie. Aber es ist anders gewesen, als wir noch alle zu Hause waren und uns die Arbeit teilen konnten. Sie wollte es nicht aufgeben. Deshalb hat sie auch darum gekämpft, dass Evan es nicht in die Finger kriegt.“

Sie hob die Schultern. „Nachdem sie gestorben war, habe ich alles dem Notar übergeben. Ich hatte so viel anderes um die Ohren. Ich musste mit ihrem Tod fertig werden und außerdem versuchen, beruflich Fuß zu fassen. Ich weiß immer noch nicht, wie ich das hier alles zusammenhalten soll.“

„Aber Evan hatte recht, oder?“, meinte Lewis sarkastisch. „Sie werden verkaufen und dann wieder weggehen. Sogar Ihre Tante ist davon überzeugt.“

Kayleigh war überrascht. „Sie hat sich Ihnen anvertraut?“ Es machte ihr zu schaffen, dass dieser Mann mehr über den Gesundheitszustand ihrer Tante wusste als sie selbst. All die Male, die sie mit Tante Jane gesprochen hatte, hatte diese niemals auch nur angedeutet, dass sie krank war oder die Arbeit nicht mehr schaffte.

„Ja. Wir beide verstehen uns gut. Sie liebt Sie sehr, aber ich weiß, dass sie Angst vor der Zukunft hat. Sie weiß, wie viel Ihnen Ihr Beruf bedeutet, und sie glaubt, dass Sie Ihre Karriere weiter verfolgen wollen.“

Ruhig sah er sie an. „Da liegt sie nicht ganz falsch, oder? Sie haben ja schon zugegeben, wie wichtig Ihnen das ist. In den vergangenen Monaten war es Ihnen jedenfalls wichtiger als Ihre Familie. Vielleicht hat Ihre Tante deshalb so große Angst davor, Ihnen zur Last zu fallen. Sie glaubt, dass sie in einem Pflegeheim enden wird, damit Sie Ihr Leben weiterleben können.“

Die scharfe Kritik kränkte Kayleigh, und sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte.

Gepresst entgegnete sie: „Ich weiß nicht, wieso Sie mir das alles sagen. Wir sind uns gerade erst begegnet, und trotzdem scheinen Sie der Meinung zu sein, dass Sie über mich urteilen können. Dabei kennen Sie mich überhaupt nicht.“ Sie erhob sich.

„Ich habe Sie nicht kritisiert, sondern lediglich Tatsachen festgestellt.“ Lewis stand ebenfalls auf.

„Trotzdem.“ Sie straffte die Schultern. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, aber inzwischen scheint meine Tante ja das Schlimmste überstanden zu haben. Zumindest fürs Erste. Das heißt, Sie könnten jetzt wieder gehen. Wollten Sie nicht eigentlich ein paar Wände streichen?“

„Ja, das stimmt.“ Er schaute zu ihrer Tante hinüber, die nun ein wenig regelmäßiger atmete. „Sie kommen allein zurecht?“

„Oh ja, absolut. Wie gesagt, ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet.“

„Keine Ursache.“ Seine Augen wurden schmal, als er Kayleigh ansah. „Ich nehme an, wir werden uns in den nächsten Wochen sicher noch häufiger sehen. Aber was immer auch geschieht, ich hoffe, Ihre Tante weiß, dass ich jederzeit zur Verfügung stehe, wenn sie Hilfe braucht.“

Autor

Joanna Neil
Joanna Neil startete ihre Karriere als Autorin von Liebesromanen auf ganz unkonventionellem Wege. Alles begann damit, dass Joanna Neil einen Werbespot für Liebesromane sah und von diesem Zeitpunkt an wie verzaubert war.
Sie fing an, die Romane zu verschlingen, und war überwältigt. Je mehr sie las, umso mehr hatte sie...
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