Ich weiß nur eins: Ich liebe dich!

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Wer ist der mysteriöse Fremde, der plötzlich vor Jennas Ranch auftaucht? Spontan bietet Jenna dem Mann ohne Gedächtnis an, bei ihr zu wohnen. Natürlich nur, bis das Rätsel um seine Identität gelöst ist. Allerdings fühlt sie sich mit jedem neuen Tag mehr zu ihm hingezogen …


  • Erscheinungstag 28.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734855
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Was in aller …?“

Jenna Byrd war mit ihrem Truck zur Flying B Ranch unterwegs, als sie einen fremden Mann bemerkte, der den Weg zur Ranch entlangstolperte. Er trug staubige Jeans, ein weißes T-Shirt und abgestoßene Stiefel. Ganz typisch für einen Mann in einer Kleinstadt in Texas. Aber er hatte keinen Hut auf, und sein kurzes, dunkles Haar war zerzaust.

Jenna runzelte die Stirn. Mit Sicherheit war der Mann betrunken. Und das mittags. Cowboys konnten es manchmal echt übertreiben. Nur gut, dass sie sich nicht mit solchen Typen einließ. Oh nein, jetzt kam er auch noch auf ihren Pick-up zu.

Lieber Himmel. Bis zur Ranch waren es fünf Meilen. In seinem Zustand würde er diesen Weg nie bewältigen. Außerdem hatte sie keine Ahnung, warum er überhaupt nach Flying B wollte.

Seufzend hielt sie an. Sie wusste, dass er nicht auf der Ranch arbeitete. Jenna war es wichtig, alle Angestellten zu kennen. Schließlich war sie Miteigentümerin. Ihre Schwester, ihre Cousine und sie hatten Flying B zu gleichen Anteilen geerbt. Jetzt waren sie dabei, die Ranch in ein Bed and Breakfast umzuwandeln.

Sie ließ das Fenster herunter. „Was machen Sie denn hier draußen?“

Mit glasigen, dunkelbraunen Augen starrte er sie an. Er antwortete nicht.

Sie wiederholte die Frage.

Er blinzelte. Vermutlich war er in ihrem Alter, so um die dreißig. Mit seinem dunklen Teint und den markanten Gesichtszügen sah er sogar in volltrunkenem Zustand unglaublich gut aus.

Vielleicht war er ein Alkoholiker und per Anhalter unterwegs. Oder er arbeitete auf einer anderen Ranch in der Gegend und hatte im Rausch die falsche Abzweigung erwischt. Es musste schließlich eine Erklärung für sein ramponiertes Erscheinungsbild geben.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, fragte Jenna: „Wer sind Sie?“

„Wer sind Sie?“, erwiderte er.

Das führte doch zu nichts. „Sie haben zu viel getrunken.“

Er kniff die Augen zusammen. „Ich habe zu viel getrunken?“

„Ja.“

„Das glaube ich nicht.“

Aber sicher doch. Er war sogar zu betrunken, um es zu merken. Als sie überlegte, was sie jetzt tun sollte, stolperte er noch heftiger.

„Ich fühle mich ganz komisch“, sagte er. „Ich habe Kopfschmerzen.“ Er rieb sich den Hinterkopf. Als er die Hand hochhielt, waren seine Fingerspitzen rot.

Ihr Puls beschleunigte sich. Der Mann blutete.

Jenna stellte den Motor ab und sprang aus dem Truck. War er in eine Schlägerei verwickelt gewesen? Bei Betrunkenen kam das vor. Egal. Seine Verletzung musste versorgt werden.

„Der Verlobte meiner Cousine ist Arzt. Er lebt mit auf unserer Ranch. Ich glaube, er ist heute zu Hause. Wenn nicht, dann bringe ich Sie in seine Praxis.“

„Nein.“ Er wischte sich die Hände an der Hose ab. „Mir geht’s schon wieder besser.“

Ganz offensichtlich war das nicht der Fall. Sie legte einen Arm um seinen Rücken. Dabei fiel ihr auf, dass er nicht nach Alkohol roch. Dann war sein Zustand jedoch noch viel besorgniserregender. Wahrscheinlich war er wegen der Verletzung so benommen.

„Kommen Sie. Steigen Sie erst mal in den Truck.“

Es war gar nicht so einfach, ihn in den Wagen zu schaffen. Er war über eins achtzig, schlank und muskulös. Jenna war einen Kopf kleiner und zierlich.

Als sie ihn schließlich auf den Beifahrersitz bugsiert hatte, setzte sie sich wieder ans Lenkrad, griff nach ihrem Handy und rief Mike Sanchez an – den „Doc“, wie ihn alle nannten. Er war zum Glück auf der Ranch. Jenna bat ihn, ins Haupthaus zu kommen, weil sie einen verletzten Mann dabeihatte.

„Er hat eine Platzwunde am Hinterkopf. Ich kenne mich mit Verletzungen ja nicht aus, aber ich glaube, er hat eine Gehirnerschütterung. Ich habe ihn am Straßenrand gefunden.“

„Mach dir keine Sorgen, Jenna“, antwortete der Doc. „Bleib einfach ruhig und bring ihn her.“

„Schon unterwegs.“ Sie legte auf und fuhr los.

Der Cowboy sah sie an. „Hatten wir ein Date?“

Himmel, er war wirklich nicht ganz bei sich. „Ich bringe Sie zum Arzt. Schon vergessen?“

„Sie haben sehr schönes Haar.“ Er streckte die Hand aus, als ob er ihre blonden Locken anfassen wollte.

Jenna bekam Herzklopfen, doch er berührte sie nicht. Aber sie konnte sich vorstellen, wie sich das angefühlt hätte.

Beinahe. Sie konzentrierte sich auf die Straße.

„Sehr schönes Haar“, wiederholte er.

Um ihn davon abzuhalten, wieder nach ihrem Haar zu greifen, versuchte sie, ihn mit Fragen abzulenken. „Wie heißen Sie?“

Er runzelte die Stirn. Anscheinend wusste er seinen eigenen Namen nicht.

„Schon gut“, sagte sie. „Darum bringe ich Sie ja zum Arzt.“ Außerdem mussten sie nur einen Blick auf seinen Ausweis werfen, um herauszufinden, wer der Mann war. Trotzdem war es kein gutes Zeichen, dass er sich nicht an den eigenen Namen erinnern konnte.

Er lehnte sich an die Fensterscheibe und schloss die Augen. Sie hoffte, dass er nicht ohnmächtig wurde. Das wäre auch kein gutes Zeichen.

Endlich war das Haus in Sichtweite. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

Der Doc, ein attraktiver, junger Arzt, wartete schon auf der Veranda auf sie. Ihre bildhübsche Cousine Tammy war auch da. Wegen einer Familienfehde hatte Jenna ihre Cousine erst vor Kurzem kennengelernt. Ihr Großvater hatte die ganze Familie an seinem Sterbebett zur Versöhnung aufgerufen.

Jenna hielt an. Der Doc führte seinen Patienten ins Haus, um den Fremden zu untersuchen.

„Erkennst du ihn?“, fragte Jenna ihre Cousine.

„Nein.“

„Ich auch nicht.“ Sie musste an seinen zaghaften Versuch denken, sie zu streicheln.

Der Doc erklärte gerade seinem Patienten, dass die Wunde genäht werden musste. Der Schnitt an sich war jedoch nicht weiter schlimm. Was den Doc jedoch beunruhigte, waren die anderen Symptome.

Anscheinend hatte Jenna recht. Der Mann hatte tatsächlich eine Gehirnerschütterung.

Damit wussten sie aber immer noch nicht, wer er war. Er hatte keinen Ausweis und auch sonst nichts Persönliches bei sich.

„Was passiert jetzt wohl?“, fragte Jenna Tammy leise.

„Keine Ahnung.“

Nachdem er die Schnittwunde gesäubert und genäht hatte, veranlasste der Doc, dass der Mann im nächsten Krankenhaus untersucht werden würde.

„Ich lasse ein CT machen“, sagte er. „Im Augenblick kann ich nicht einschätzen, wie schwer die Verletzung wirklich ist.“

„Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte?“, fragte sie so leise, dass der Fremde nichts davon mitbekam.

„Eine Blutung im Gehirn. Aber wir wollen nichts überstürzen“, fügte der Doc hinzu. „Erst mal brauchen wir eine genaue Diagnose.“

„Ich will ihn ins Krankenhaus begleiten.“ Jenna konnte den Gedanken nicht ertragen, den Fremden im Stich zu lassen.

„Gut. Wir müssen auch einen Bericht für die Polizei schreiben, weil wir nicht wissen, wer er ist und wie er verletzt worden ist. Man wird ihn als John Doe aufnehmen – so werden hier Patienten unbekannter Herkunft genannt.“

Jenna gefiel nicht, wie unpersönlich das war. Die ganze Geschichte bereitete ihr Unbehagen. Sie bevorzugte geordnete Verhältnisse. Genaue Planung. Egal, worum es ging. Auch in Liebes­angelegenheiten ging sie nüchtern und strategisch vor. Sie hatte sogar eine Liste mit den Eigenschaften verfasst, die ihr zukünftiger Ehemann haben musste. Ein Mann, der ganz anders sein würde als ihr Vater. Sie war zwar daran gewöhnt, von ihrem Vater enttäuscht zu werden. Aber zurzeit schämte sie sich sogar für ihn. Denn er hatte ein richtig unangenehmes Geheimnis.

Sie musterte den Fremden forschend. Hatte er auch solche Geheimnisse? Aber das war nicht ihr Problem. Sie wollte ihm nur aus seiner Notlage helfen.

Der Doc und Tammy brachten den Unbekannten ins Krankenhaus.

Jenna fuhr im eigenen Auto hinterher.

Während der Fremde die Computertomografie über sich ergehen ließ, saß sie mit Tammy im Wartezimmer. „Danke, dass du mir Gesellschaft leistest.“

„Das dauert bestimmt nicht lange. Mike will sich die Scans mit dem Radiologen selbst ansehen, anstatt auf einen schriftlichen Bericht zu warten.“

„Es ist schon praktisch, einen Arzt in der Familie zu haben.“

Tammy lächelte. „Absolut.“ Sie stand auf. „Willst du auch einen Kaffee?“

„Klar.“

Jenna beobachtete, wie ihre Cousine zum Automaten ging. Tammy war eine zierliche Frau mit braunen Locken. Außerdem war sie frisch verliebt. Das sah man ihr an, denn sie strahlte unentwegt. Sie hatte sich mit Jenna angefreundet, als sie Stylingtipps gebraucht hatte, um den Doc auf sich aufmerksam zu machen.

Inzwischen hatte Tammy sich vom Cowgirl zur Lady gemausert. Sie konnte immer noch besser reiten und mit dem Lasso umgehen als die meisten Männer. Aber im Minikleid und mit Make-up machte sie auch eine blendende Figur. Außerdem war sie eine Spitzenköchin. Im Bed and Breakfast würde Tammy die Küche übernehmen.

Tammy kam mit zwei Bechern zurück. Der Kaffee war besser als erwartet.

„Ich frage mich, wer er ist“, sagte Jenna.

„Hoffentlich erinnert er sich bald wieder an alles.“

„Ich hoffe nur, dass bei dem CT nichts weiter herauskommt.“

Jenna nickte. Dann schwiegen sie. Die Zeit verging.

Schließlich blickte Tammy auf. „Da kommt Mike.“

Jenna stand auf, Tammy folgte ihr auf dem Fuße.

„Alles okay“, erklärte der Doc. „Aber wir behalten ihn zur Beobachtung über Nacht da.“

„Meinst du, dass er sich morgen wieder an alles erinnert?“

„Möglich ist das. Ein Gedächtnisverlust hält oft nur ein oder zwei Tage an. Es kann aber auch noch eine Weile dauern.“

„Darf ich ihn sehen?“

„Sobald er ein Zimmer hat, kannst du ihn besuchen.“

Als es so weit war, schlief der Unbekannte bereits. Der Doc und Tammy fuhren nach Hause. Aber Jenna setzte sich noch auf den Plastikstuhl neben seinem Bett. Sie nutzte die Gelegenheit, ihn einer gründlichen Musterung zu unterziehen: dunkle Augenbrauen, eine markante Nase, Wangenknochen wie bei einem Model, ein Mund, der traurig wirkte.

Das wiederum brachte sie dazu, über sein Lächeln nachzudenken. War es ein strahlendes Lächeln? Ein schiefes? Grüblerisch? Sie stellte fest, dass er inzwischen richtig unrasiert aussah. Das war nicht nur sexy, sondern ließ ihn noch mehr wie der raubeinige Cowboy wirken, der er wahrscheinlich auch war.

Das Krankenhausnachthemd passte da weniger ins Bild.

Er bewegte sich im Schlaf, und sie runzelte die Stirn. Die Versuchung war groß, seine Wangen zu berühren, um die Wärme seiner Haut zu spüren. Jenna faltete die Hände im Schoß. Bei ihm zu bleiben, während er schlief, war keine gute Idee. Sie sollte nach Hause fahren. Aber sie blieb sitzen, solange es erlaubt war. Und sie konnte es schon nicht mehr abwarten, am nächsten Tag wiederzukommen.

Am nächsten Morgen frühstückte Jenna mit ihrer Schwester in der altmodischen Küche im Haupthaus. Leider war es noch zu früh, um ins Krankenhaus zu fahren.

In der Nacht hatte sie kaum geschlafen. Die ganze Zeit hatte sie sich gefragt, ob der Fremde sich heute wieder an alles erinnern würde.

Sie warf Donna einen Blick zu. Aber ihre Schwester schaute nicht auf. Sie war zu beschäftigt damit, SMS zu verschicken, ihren Kaffee zu trinken und ein spanisches Omelett zu essen.

Donna und Jenna waren schon immer grundverschieden gewesen. Jenna war Reitlehrerin. Sie liebte das Landleben. Donna war Journalistin und Marketingexpertin – und ein Stadtmensch durch und durch. Sobald das Bed and Breakfast einigermaßen lief, würde sie nach New York zurückkehren. Jenna hatte vor, auf der Ranch zu bleiben und sich mit Tammy um das Bed and Breakfast zu kümmern.

Endlich blickte Donna auf. „Was ist los?“

„Ich habe nur gerade daran gedacht, wie verschieden wir sind.“

„Wir sind bloß Schwestern, keine Klons.“

„Ja. Aber man sollte doch meinen, dass wir mehr Gemeinsamkeiten hätten oder uns zumindest ähnlicher sehen würden.“ Sie waren zwar beide blond. Aber Donna war nicht nur ein Jahr älter und fast zehn Zentimeter größer, sie hatte auch eine fantastische, sehr weibliche Figur. Jenna dagegen war zierlich und schmal.

Donna zuckte die Schultern und konzentrierte sich auf ihr Handy.

Tammy kam herein. Jenna begrüßte sie sofort mit einem freundlichen „Hi“.

„Selber hallo.“ Ihre Cousine setzte sich und wünschte auch Donna einen guten Morgen. Dann wandte sie sich an Jenna. „Mike ist vor ein paar Stunden losgefahren, um nach unserem Patienten zu sehen.“

Ihr Magen machte einen Satz. „Und? Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?“

„Ich bin sicher, dass er anruft, sobald er kann.“

Donna legte das Handy weg. „Welcher Patient? Wer ist krank?“

„Ich habe gestern einen Mann gefunden“, antwortete Jenna und berichtete alle Einzelheiten. „Hoffentlich geht es ihm heute besser.“

„Wow“, sagte Donna. „Kannst du dir vorstellen, dein Gedächtnis zu verlieren?“

Nein. Allerdings würde Jenna gern vergessen, was ihr Vater vor einigen Jahrzehnten für einen Mist gebaut hatte.

Nachdenklich betrachtete sie Donna. Bevor die ganze Sache mit ihrem Vater herausgekommen war, hatte Donna ihn vergöttert. Er war ihr großes Vorbild gewesen. Auch sie war ein Workaholic und setzte Leben mit Karriere gleich.

Jenna zwang sich, nicht mehr an die ganze Misere zu denken. Zu Tammy sagte sie: „Ich hatte vor, später ins Krankenhaus zu fahren. Aber vielleicht sollte ich Mikes Anruf abwarten.“

„Das kann eine Weile dauern“, antwortete ihre Cousine. „Heute hat er viele Patienten. Warum fährst du nicht einfach gleich rüber? Ich merke doch, dass du dir immer noch Sorgen machst.“

Als es Zeit wurde, sich fertig zu machen, entschied Jenna sich für klassischen Westernstil: einen langen Rock, eine feminine Bluse und schicke Stiefel. Sie frischte ihr Make-up auf und machte ihr Haar.

Punkt zwölf Uhr mittags erreichte sie das Krankenhaus. Dort wandte sie sich als Erstes an die Krankenschwestern und erkundigte sich nach dem Zustand des Patienten. Man teilte ihr mit, dass der Mann wach und bei klarem Verstand war. Sobald die Formalitäten erledigt waren, würde Dr. Sanchez ihn entlassen.

Sie bedankte sich für die Auskunft und ging den Gang hinunter. Dann betrat sie das Krankenzimmer und ließ den anderen Patienten, der in eine Fernsehserie aus den Siebzigern vertieft war, links liegen.

Noch ein paar Schritte, und sie stand dem Unbekannten gegenüber. Er saß aufrecht im Bett. Als er sie ansah, schlug ihr Herz schneller.

„Guten Morgen“, sagte sie und bemühte sich, ruhig zu klingen.

„Sie sind die junge Frau von gestern.“

„Ja.“

„Die Blondine, die ich für meine Freundin gehalten habe. Das tut mir leid.“

„Schon gut. Sie waren ziemlich benommen.“

Er nickte, und sie setzte sich wieder auf den Stuhl neben seinem Bett. „Sie sehen schon viel besser aus.“ Insgeheim dachte sie, dass er immer noch erschöpft wirkte. „Ich habe gehört, dass der Doc Sie heute entlässt.“

„Ja, aber ich soll mich noch schonen.“

„Dann dürfen Sie also noch nicht die Nächte durchfeiern?“

„Nein. Noch nicht.“ Er lächelte verhalten.

So ein verführerisch schiefes Lächeln. Ihr Herzklopfen wurde wieder heftiger. „Ich bin übrigens Jenna. Jenna Byrd.“

„Danke für alles, was Sie für mich getan haben. Jenna“, sagte er leise.

„Ich bin froh, dass ich helfen konnte.“ Sie rutschte auf dem Stuhl nach vorne. „Wie heißen Sie?“

Er runzelte die dunklen Augenbrauen. „Keine Ahnung. Ich kann mich nach wie vor an nichts erinnern.“

Sie starrte ihn an. „Ist Ihre Erinnerung nicht zurückgekehrt? Aber warum entlässt der Doc Sie dann?“

„Weil ansonsten alles mit mir in Ordnung ist. Was ich habe, nennt man ‚retrograde Amnesie‘. Aber deswegen kann man mich nicht hierbehalten. Angeblich kehrt mein Gedächtnis von allein zurück. Fragt sich nur, wann.“

Jenna wusste nicht, was sie sagen sollte. Er war immer noch ein Unbekannter.

„Der Sheriff war vorhin da“, sagte er, „für einen Bericht. Und um mir Fingerabdrücke abzunehmen.“ Er hielt die Hände hoch und betrachtete sie. „Wenn ich polizeilich erfasst bin, können sie mich so identifizieren.“

Ist er etwa ein Krimineller? Das war kein beruhigender Gedanke. „Glauben Sie, dass Sie das sind?“

„Ich weiß es nicht.“ Er ließ die Hände sinken. „Aber der Sheriff will, dass Dr. Sanchez mich erst entlässt, wenn die Ergebnisse seiner Anfrage da sind. Darauf warten wir im Augenblick. Vermutlich will die Polizei sichergehen, dass ich nicht auf der Fahndungsliste stehe, bevor man mich laufen lässt.“

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich hier warte, bis Sie Bescheid bekommen?“

„Warum wollen Sie das tun?“

Weil Jenna sich immer noch für ihn verantwortlich fühlte. Oder weil sie sich so unglaublich zu ihm hingezogen fühlte? Das war auch kein beruhigender Gedanke. „Ich möchte einfach wissen, wer Sie sind.“

„Im Augenblick bin ich niemand.“

„Das stimmt nicht. Jeder ist jemand.“

Er schaute weg. Sie wollte ihn beruhigen. Aber wie konnte sie das? Vor allem, wenn er vielleicht von der Polizei gesucht wurde?

In diesem Augenblick hörte sie Schritte. Jenna drehte sich um.

Es handelte sich um den Doc und um einen Polizisten.

Anspannung lag in der Luft. Der Fremde warf Jenna einen Blick zu.

Der Moment der Wahrheit war gekommen.

In der plötzlichen Stille begegnete der Doc Jennas Blick. Er nickte ihr zu. Vielleicht gab es gar keinen Grund zur Sorge.

Der Polizist war nicht so geduldig. „Ich bin Deputy Tobbs. Der Sheriff hat mir Ihren Fall übertragen.“

„Habe ich eine Polizeiakte?“, fragte der Fremde geradeheraus.

„Nein, haben Sie nicht. Ich werde mich bemühen, Ihre Identität festzustellen und herauszufinden, was mit Ihnen passiert ist. Vermutlich sind Sie überfallen und ausgeraubt worden. Vielleicht ein Autodiebstahl. Das würde erklären, warum Sie zu Fuß unterwegs waren.“

Der Fremde fuhr sich durchs Haar. „Es hätte wohl auch schlimmer kommen können.“ Er wandte sich an den Doc. „Unterschreiben Sie meine Entlassungspapiere jetzt?“

„Ja. Aber erst müssen wir uns überlegen, wo Sie bleiben sollen.“

„Gibt es hier in der Gegend ein Obdachlosenasyl?“

Der Polizist antwortete: „Ja, im nächsten County.“

„Wenn man mich dort aufnimmt, muss das wohl reichen.“

„Ich kann ja mal anrufen“, bot der Deputy an.

Auf keinen Fall, dachte Jenna. Sie konnte ihn nicht einfach so gehen lassen. Andererseits, welches Recht hatte sie, sich einzumischen? Trotzdem. Sie konnte einfach nicht anders.

Und so sagte sie: „Sie können auf Flying B bleiben, bis Sie Ihr Gedächtnis wiederhaben oder Deputy Tobbs herausfindet, wer Sie sind. Wir sind gerade dabei, die Ranch in ein Bed and Breakfast umzuwandeln, und haben genügend Unterkünfte auf dem Gelände.“

„Das geht nicht.“

Jenna gab nicht so einfach auf. „Warum denn nicht?“

„Ich kann nicht.“

„Aber sicher können Sie das“, sagte der Doc. „Das ist genau der richtige Ort für Sie, um sich zu erholen.“

„Ich weiß nicht so recht.“

„Betrachten Sie es einfach als Teil Ihrer Therapie“, sagte der Doc. „Ich kann ein Auge auf Sie haben, und auf der Ranch an der frischen Luft wird es Ihnen viel besser gehen als in einem Obdachlosenheim.“

„Das hört sich an, als ob alles geregelt sei“, sagte der Polizist zufrieden. „Dann verabschiede ich mich jetzt.“ Er legte seine Visitenkarte auf den Rollcontainer neben dem Bett. „Rufen Sie mich an, wenn Sie irgendwelche Fragen haben.“ Der Deputy wandte sich an Jenna. „Sie sollten ihn allen Rancharbeitern vorstellen. Vielleicht erkennt ihn ja jemand.“

„Das mache ich.“

Deputy Tobbs verabschiedete sich. Als er weg war, herrschte Schweigen.

„Auf jeden Fall brauchen Sie einen anderen Namen“, sagte Jenna schließlich. „Sie können doch nicht John Doe heißen.“

Er richtete seine dunklen Augen auf sie. „Es gibt aber Menschen, die so heißen.“

„Ich weiß. Aber ich glaube nicht, dass das Ihr Name ist.“

„Dann müssen Sie einen für mich aussuchen. Und mich duzen.“

„Sie – du willst, dass ich dir einen Namen gebe?“

„Irgendjemand muss das tun.“

Nervös verschränkte sie die Arme vor der Brust. Es hatte ihr von Anfang an nicht gefallen, dass ein Mensch mit so einem Kunstnamen abgefertigt wurde. Aber jetzt fühlte sie sich unter Druck gesetzt.

„Bist du sicher, dass du dir nicht lieber selbst einen Namen ausdenken willst?“, fragte sie.

„Ganz sicher.“

Er hörte sich an, als ob das Ganze keine Rolle spielte. Egal, ob er einen erfundenen Namen hatte oder nicht, er würde sich trotzdem wie ein Niemand fühlen.

Das führte Jenna vor Augen, wie verloren der Unbekannte wirklich war.

Während der Mann darauf wartete, worauf das Ganze hinauslaufen würde, dachte er, wie unwirklich die ganze Situation war. Seine Erinnerungen hingen irgendwo in seinem Inneren fest und wollten einfach nicht heraus.

Sein einziger Rettungsanker waren die hübsche Blondine an seiner Seite und der Arzt, der sie beide beobachtete.

„Was hältst du von J. D.?“, fragte Jenna.

„Die ersten Buchstaben von John Doe? Als Abkürzung?“

Sie nickte. „Ich habe schon immer gedacht, dass es irgendwie sexy ist, die ersten Buchstaben von zwei Vornamen als Spitznamen zu verwenden.“

„Sexy?“

Sie errötete. „So war das nicht gemeint.“

Fasziniert neigte er den Kopf zur Seite. Zuerst hatte sie beinahe aggressiv reagiert. Jetzt zeigte sie sich schüchtern. „Wie denn?“

„Na ja, das klingt eben geheimnisvoll. Rätselhaft.“

„Dann passt das wohl zu mir.“ Im Augenblick war wirklich alles ein Rätsel für ihn. Einschließlich der Tatsache, warum er sie für seine Freundin gehalten hatte. War sie sein Typ? Die Art Frau, mit der er in der Vergangenheit Verabredungen gehabt hatte?„Dann soll ich dich ab jetzt J. D. nennen?“, fragte sie. „Und du bleibst erst mal auf Flying B?“

Er nickte, obwohl er sich bei dem Gedanken unbehaglich fühlte.

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