Im Schnee mit dem Tycoon

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Hoteltycoon Ben Hampton ist der letzte Mann, mit dem die ehrgeizige Luce irgendwo festsitzen will, erst recht nicht in einem verschneiten Cottage in den Bergen. Sie weiß, er ist ein Don Juan - Grund genug ihn abzuschreiben. Aber kann sie ihm wirklich widerstehen?


  • Erscheinungstag 19.02.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513746
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Lucinda Myles geriet normalerweise nicht in Panik. Aber fünf Tage vor Weihnachten im kältesten Dezember, den der Nordwesten Englands seit Jahrzehnten erlebt hatte, kein Hotelzimmer zu haben, war nun wirklich kein Zuckerschlecken. Die Stadt Chester war voll mit Weihnachtskäufern und den Wissenschaftlern, die an der Konferenz „Geschichte fit machen für die Zukunft“ teilnahmen. Wenn das Royal Court Hotel ihre Reservierung nicht fand … Tja, dann brauchte sie einen neuen Plan. Erst einmal würde sie jedoch hartnäckig dranbleiben.

„Ich verstehe ja, dass Sie ausgebucht sind“, sagte Luce. „Aber ­eines der Zimmer sollte für mich reserviert sein. Dr. Lucinda ­Myles.“

„Leider haben wir keine Reservierung unter diesem Namen für heute. Und auch nicht für einen anderen Tag.“

Luce biss die Zähne zusammen. Das hatte sie davon, dass sie ihre Zimmerreservierung den Konferenzveranstaltern überlassen hatte. Sie hätte es besser wissen sollen. Verantwortung übernehmen. Die Kontrolle behalten. Lebensmaximen seien das, hatte ihr Großvater immer gesagt. Ein Jammer, dass sie die Einzige in der Familie war, die zugehört hatte.

Als wollte es ihr beipflichten, summte ihr Telefon in der Jackentasche. Seufzend holte Luce es heraus, obwohl sie bereits ahnte, dass es ihr Bruder Tom war. „Und heute Nacht ist überhaupt kein Zimmer frei? Auch keine Suite?“

„Nichts. Das Hotel ist voll belegt. Es ist Weihnachten, falls Sie es noch nicht bemerkt haben. Und jetzt, wenn ich Ihnen nicht weiter behilflich sein kann …“ Die Blondine blickte über Luce’ Schulter.

Luce sah sich um. Hinter ihr wartete eine lange Menschenschlange darauf, einzuchecken. Die Neuankömmlinge würden eben warten müssen. Sie würde sich von diesem luxuriösen Hotel mit dem Marmorboden, dem ganz in Gold geschmückten Weihnachtsbaum, den Kronleuchtern und den Geschäftsleuten nicht einschüchtern lassen. „Eigentlich könnten Sie nachfragen, ob in einem anderen Hotel in der Stadt ein Zimmer frei ist. Da meine Reservierung bei Ihnen verloren gegangen ist.“

„Bei uns ist nichts …“, begann die Blondine, doch Luce schnitt ihr mit einem Blick das Wort ab. „Ich werde mich erkundigen.“

Während die Blondine ihren Kollegen zu sich winkte, damit er half, die Schlange an der Rezeption abzubauen, fuhr Luce mit dem Finger über den Touchscreen ihres Telefons. Drei Textnachrichten und eine Voicemail. Alle in den vergangenen zwanzig Minuten. Sie scrollte zur ersten Textnachricht. Natürlich war sie von Tom.

Hat Mum mit dir über Heiligabend gesprochen? Kannst du das machen?

Heiligabend? Luce runzelte die Stirn. Also war die Voicemail wahrscheinlich von ihrer Mutter, die die Festtagspläne zum sechsten Mal in diesem Monat änderte.

Die nächste SMS war von ihrer Schwester Dolly.

Freue mich auf Heiligabend. Besonders auf die Schoko­ladentörtchen!

Das bedeutete nichts Gutes. Für den ersten Weihnachtsfeiertag war alles organisiert. Die Lebensmittel sollten am dreiundzwanzigsten Dezember aus dem Supermarkt geliefert werden. Abgesehen vom Truthahn, der schon in ihrer Tiefkühltruhe lag. Aber Heiligabend? Das war ihr neu!

Die letzte Textnachricht war wieder von Tom.

Mum sagt, wir probieren es mal. Fantastisch! Bis dann.

Luce seufzte. Was auch immer sich ihre Mutter jetzt ausgedacht hatte, es war anscheinend schon abgemacht. „Du bist die Verantwortungsbewusste, Lucinda“, hatte ihr Großvater oft gesagt. „Die anderen können da draußen in der Realität nicht eine Minute lang für sich selbst sorgen. Du und ich wissen das. Deshalb wirst du für sie sorgen müssen.“

Offenbar musste sie sich wieder um sie kümmern. Mit einem Essen am Heiligabend. Und Schokoladentörtchen. Vermutlich zusätzlich zu dem perfekten Drei-Gänge-Menü, das sie am folgenden Tag von ihr erwarteten. Na super!

Als die Blondine zurückkehrte, schaltete Luce das Telefon aus. Die Voicemail ihrer Mutter konnte warten, bis sie ein Bett für die Nacht hatte.

„Es tut mir leid“, sagte die Empfangsdame. „Wir haben eine Historikerkonferenz in der Stadt, dazu noch all die Weihnachtsshopper. Die Hotelzimmer hier sind seit Monaten ausgebucht.“

Natürlich sind sie das, deshalb habe ich mein Zimmer vor Monaten reservieren lassen! wollte Luce erwidern. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen und dachte nach.

„Ich setze mich in die Bar und rufe selbst ein paar Hotels an“, sagte sie schließlich. Mit einem Gin Tonic wurde der Tag bestimmt besser. „Falls Sie in der Zwischenzeit eine Stornierung haben, wäre ich dankbar, wenn Sie das Zimmer auf mich umbuchen.“

Die Blondine nickte. „Selbstverständlich.“ Aber es hörte sich an wie: Da kannst du lange warten!

Luce wandte sich ab, nur um festzustellen, dass ihr Weg zu einem Gin Tonic von einer breiten Brust versperrt wurde. So eine wunderbar muskulöse Brust, an die Frau ihr Gesicht drückte und ihren Tag vergessen und ihn ihre Probleme lösen lassen konnte.

Nicht, dass sie einen Mann brauchte, der ihre Probleme löste. Sie war sehr wohl in der Lage, das selbst zu tun.

Aber es wäre nett, wenn einer es anbieten würde – bloß ein einziges Mal.

Sie hob den Blick und entdeckte, dass zu der Brust ein fast unglaublich gut aussehendes Gesicht gehörte. Schwarzes Haar, sonnengebräunte Haut. Goldbraune Augen, ein amüsierter Zug um den Mund. Eine kleine Narbe über der linken Augenbraue.

Einen Moment mal. Diese Narbe war ihr vertraut. Sie kannte den Mann. Und sie sollte wahrscheinlich aufhören, ihn anzustarren.

„Gibt es ein Problem mit Ihrer Reservierung?“, fragte er.

„Nur, dass sie anscheinend nicht existiert.“ Luce blickte zur Rezeption und entdeckte, dass die Blondine praktisch über dem Empfangstresen hing, um sich an dem Gespräch zu beteiligen.

„Daisy?“ Der Mann zog die Augenbrauen hoch.

Diesen Gesichtsausdruck erkannte Luce eindeutig wieder. Aber woher? Eine Konferenz? Ein Vortrag? Der Ex einer Bekannten?

„Wir haben keine Reservierung unter ihrem Namen, Sir, und wir sind heute Nacht ausgebucht. Ich habe es in anderen Häusern versucht, aber nirgendwo ist ein Zimmer frei.“

Zum ersten Mal klang Daisy hilfsbereit und tüchtig. Offenbar war der Mann jemand Wichtiges. Oder sie schwärmte für ihn. Oder beides. An seiner Haltung konnte Luce schließlich erkennen, dass er daran gewöhnt war, immer seinen Willen durchzusetzen. Und wirklich, welche junge, gesunde, heterosexuelle Frau würde sich nicht zu ihm hingezogen fühlen?

Ich ausgenommen, natürlich, sagte sich Luce. Dafür hatte sie keine Zeit. Sie musste sich um einen Schlafplatz kümmern. Und sich daran erinnern, wer er war.

Das war so ärgerlich. Normalerweise hatte sie ein gutes Personengedächtnis. Allerdings hatte nichts darauf hingedeutet, dass der Mann sie wiedererkannte, also irrte sie sich vielleicht. Oder sie war einfach weniger einprägsam als er.

Plötzlich war Luce ganz froh, dass sie nicht darauf kam, wer er war. Es wäre peinlich, ihm erklären zu müssen, woher er sie kannte, während er sie ratlos anblickte. Wahrscheinlich würde ihr auf der Bahnfahrt zurück nach Cardiff am Donnerstagmorgen einfallen, wo sie ihm schon begegnet war, und dann spielte es sowieso keine Rolle mehr.

„Was ist mit der King James Suite?“, fragte er.

Daisy wurde rot. „Ich dachte … ich meine …“, stammelte sie.

Luce sah ihre Chance und nutzte sie. „Sie dachten, ich kann mir die Suite nicht leisten? Erstens sollten Sie nicht über die finanzielle Situation Ihrer Gäste spekulieren. Zweitens wäre ein kostenloses Upgrade ja wohl das Mindeste, was Sie tun könnten, da meine Reservierung vergessen wurde. Deshalb bin ich sehr interessiert an Ihrer Antwort auf die Frage des Gentlemans.“

Jetzt wendete sich der Tag zum Guten, dessen war sich Luce sicher. Sie würde heute Nacht den größten Luxus genießen, den das Royal Court Hotel zu bieten hatte. Kein Gin Tonic – sie würde Champagner in der Badewanne trinken.

Daisys Röte nahm noch zu. „Aber, Mr Hampton, Sir … Ich habe ihr die King James Suite nicht angeboten, weil Sie darin wohnen.“

Mr Hampton. Ben Hampton. Im selben Moment, in dem sie Daisys Worte hörte, fiel es ihr ein.

Luce zuckte zusammen. Anscheinend wurde ihr Tag doch nicht besser.

Ben Hampton hatte das Hotel für den Abend verlassen und ausgehen wollen, als er die Brünette gesehen hatte, die die Schlange vor der Rezeption verursachte. Seine erste Reaktion war, einzugreifen und die Sache wieder in Gang zu bringen. Schließlich war er eine Hälfte der „Söhne“ der Hotelkette „Hampton & Sons“, was bedeutete, dass er Probleme beseitigte, wo auch immer er sie entdeckte. Er sorgte dafür, dass die Gäste zufrieden waren, die Angestellten hart arbeiteten und das Hotel gut lief.

Aber natürlich sind Personalbeurteilungen ebenfalls wichtig, hätte sein Bruder Seb gesagt, und hier bot sich die perfekte Gelegenheit, zu beobachten, wie die Rezeptionsangestellten mit einem schwierigen Gast fertigwurden.

Deshalb blieb Ben noch da und beobachtete die Szene. Er hörte die Frau ihren Namen nennen und war geschockt. Lucinda Myles. Die reizbare, verkrampfte Luce. Während des Studiums hatte Ben sechs Monate lang eine Beziehung zu ihrer Mitbewohnerin gehabt. Luce Myles war die Zwanzigjährige gewesen, die sogar an einem Freitagabend für einen Kurs gebüffelt hatte, während der Rest von ihnen im Pub war. Und er erkannte aus drei Metern Entfernung, dass sie noch immer aufs Äußerste angespannt war.

Sie zitterte vor Wut und Ungeduld, ebenso, wie sie es getan hatte, wenn er und die Freundin an einem Werktag erst mittags aus dem Bett gekommen waren. Ben runzelte die Stirn. Wie hieß sie eigentlich, die Freundin? Molly? Mandy? Auch wenn sechs Monate so etwas wie ein Beziehungsrekord für ihn waren, schließlich war es acht Jahre her. Sollte er sich an den Namen jeder Frau erinnern, mit der er jemals zusammen gewesen war? Aber Luce Myles … der Name war all die Jahre hindurch hängen geblieben.

Ben stellte sich so hin, dass er sie sich besser ansehen konnte. Dunkles Haar, am Hinterkopf aufgesteckt, sodass die cremig zarte Haut ihres Halses zu sehen war. Die Schultern starr unter dem Pullover. Während Daisy nach einem Zimmer herumtelefonierte, klopfte Luce mit dem Stiefelabsatz auf den Marmorboden. Sie wirkte so gereizt, als würde ihr jeden Moment der Geduldsfaden reißen, und Ben fragte sich, warum er – abgesehen von der flüchtigen Bekanntschaft – überhaupt vage an ihr interessiert war. Ja, er mochte Frauen, die wussten, was sie wollten. Aber normalerweise wollten sie Spaß haben … und ihn. Lucinda Myles sah nicht aus, als hätte sie in den vergangenen zehn Jahren herausgefunden, was Spaß war.

Erschrocken wurde ihm bewusst, dass ihm ihr Gesichtsausdruck vertraut war. Das ständige Stirnrunzeln, der frustrierte Zug um die Augen, beides hatte er oft genug bei seiner Mutter gesehen.

Was jedoch nicht sein plötzliches Interesse erklärte. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass es ihre Kleidung war. Trotz der unnahbaren Aura, die sie um sich verbreitete, schienen ihre Sachen darum zu bitten, angefasst zu werden. Ein gerade geschnittener Samtrock im dunkelsten Pflaumenblau und ein marineblauer Pullover, der so weich aussah, dass es Kaschmir sein musste, dazu braune Wildlederstiefel. An der Universität hatte sich Luce nicht so gekleidet. Ben wusste feine Stoffe zu schätzen, und der Anblick weckte in ihm den Wunsch, ihre Sachen zu berühren.

Er fragte sich, was sie darunter anhatte.

Eine Frau konnte nicht etwas tragen, was man am liebsten streicheln wollte, wenn sie nicht eine gewisse Sinnlichkeit besaß. Selbst ohne es zu wissen. Vielleicht besaß Lucinda Myles eine Sinnlichkeit, die nur darauf wartete, nach all den Jahren freigelassen zu werden. Dabei würde ich ihr gern helfen, dachte Ben. Um der alten Zeiten willen.

Daisy kehrte zurück und bestätigte, dass in der Stadt keine Hotelzimmer verfügbar waren, und Luce entfernte sich von der Rezeption. Was schlicht nicht zu Bens Plänen passte. Weshalb er hinging und die King James Suite vorschlug. Als zusätzlichen Pluspunkt konnte er so ganz aus der Nähe ihr Gesicht beobachten, wenn Luce erkannte, mit wem sie sich die Suite teilen würde.

Nur war ihre Reaktion nicht ganz so, wie er erwartet hatte.

Zunächst einmal deutete nichts darauf hin, dass Luce ihn wiedererkannt hatte, was ein ziemlicher Schlag für sein Ego war. Ben glaubte gern, dass er ein Mann war, den man nicht so leicht vergaß. Aber er war in den acht Jahren erwachsen geworden. Ebenso wie sie hatte auch er sich verändert. Hätte er sie erkannt, wenn er nicht ihren Namen gehört hätte? Wahrscheinlich nicht. Deshalb konnte er ihr das verzeihen.

Nein, wirklich gekränkt hatte ihn, dass sie nicht rot geworden war, wie Daisy, dass sie nicht einmal – wie es jede andere Frau getan hätte – durch ihre Verärgerung hindurch ein flüchtiges interessiertes Lächeln hatte sehen lassen. Stattdessen war Lucinda Myles zusammengezuckt.

Zusammengezuckt. Bei der Aussicht, die Nacht mit ihm zu verbringen.

Daisys Augen wurden immer größer, und Ben dachte, dass es für seinen guten Ruf und sein Ego vielleicht besser war, wenn sie dieses Gespräch woanders weiterführten.

„Bevor Sie meine Absichten völlig falsch verstehen“, sagte er, während er Luce in die Bar führte, „sollte ich wohl erwähnen, dass ich der Besitzer des Hotels bin und nicht etwa ein opportunistischer Gast. Ben Hampton, übrigens.“ Luce blinzelte. Ein Zeichen dafür, dass sie sich an ihn erinnerte? Er machte trotzdem weiter, als würden sie sich nicht kennen. „Und Sie sollten außerdem wissen, dass die King James Suite zwei sehr elegant eingerichtete Schlafzimmer hat.“

Luce musterte ihn abwägend, dann nickte sie. „Spendieren Sie mir einen Gin Tonic, dann können Sie mir erklären, was genau Sie mit Ihrem Vorschlag gemeint haben, während ich versuche, irgendwo anders ein Zimmer für die Nacht zu finden.“

So hatte er sich das nicht gedacht, aber es würde genügen. Es würde ihr Zeit geben, sich an ihn zu erinnern, stimmt’s? Oder ihm die Gelegenheit, sich noch einmal vorzustellen. Und sie noch angespannter zu machen als ohnehin schon, würde es umso wundervoller machen, wenn sie sich in seinen Berührungen völlig verlor.

2. KAPITEL

Während Ben die Getränke holen ging, fragte sich Luce, warum in aller Welt der Besitzer eines Luxushotels wie das Royal Court einer Fremden anbot, sich seine Suite mit ihm zu teilen. Außer wenn er sich auch an sie erinnerte, natürlich. Aber warum hatte er es dann nicht einfach gesagt?

Ben Hampton. Sie sah immer noch vor sich, wie er beim Frühstück spöttisch die Augenbrauen hochgezogen hatte, weil sie wieder in ihrem Zimmer gesessen und gelernt hatte, während Mandy und er aus gewesen waren und sich amüsiert hatten. Sie waren nie Freunde gewesen, hatten nie ein wirklich sinnvolles Gespräch geführt. Nicht einmal an jenem letzten Abend, an Bens einundzwanzigstem Geburtstag, in einem anderen Luxushotel seines Vaters. Luce hatte Ben nicht wirklich gekannt und auch nie Wert darauf gelegt, ihn zu kennen.

Das wenige, was sie beobachtet hatte, hatte ihr seine ganze Persönlichkeit verraten. Und nach ihrem heutigen Eindruck zu urteilen, hatte er sich nicht geändert. Er erwartete noch immer, dass er seinen Willen bekam und ihm die Frauen zu Füßen lagen. Und Luce war noch immer zu beidem nicht bereit. Ben und sie trennten Welten, jetzt vielleicht noch mehr als an der Universität.

Also warum bot er ihr seine Suite an? Um der alten Zeiten willen?

Nicht, dass sie auf sein Angebot zurückkommen würde. Natürlich nicht. Schon gar nicht, wenn er nicht wusste, wer sie war. Trotzdem, sie hatte nichts gegen einen Gratisdrink, während sie ein Hotelzimmer zu finden versuchte.

Luce zog ihr Telefon heraus und sah, dass eine weitere Nachricht eingetroffen war. Großartig. Sie wählte ihre Voicemail an und bereitete sich darauf vor, das zusammenhanglose Gerede ihrer Mutter zu enträtseln.

„Lucinda? Bist du da, Liebling? Nein? Wirklich nicht?“

Es gab eine Pause, während Tabitha Myles abwartete, ob ihre älteste Tochter vielleicht nur tat, als wäre sie ein Anrufbeantworter. Kopfschüttelnd schloss Luce die Augen.

„Tja, wenn das so ist, sollte ich wohl … Vielleicht sollte ich später wieder anrufen? Nur hat Tom gefragt … Die Sache ist die, Liebling, dass sich Tom entschieden hat, den ersten Weihnachtstag mit seiner neuen Freundin zu verbringen. Vanessa. Hat er dir von ihr erzählt? Sie klingt nett. Sie hat zwei Kinder, und du weißt, wie kinderlieb Tom ist … Jedenfalls, weil er am ersten Weihnachtstag nicht mit uns zusammen ist, dachten wir, ein Familiendinner im Haus an Heiligabend wäre doch schön. Damit wir alle Vanessa kennenlernen können! Ich denke, das ist ein echter Fortschritt für ihn … nach allem. Und du sagst doch immer, dass das Haus eigentlich weiter uns allen gehört. Dolly sagt, sie kommt auch, vorausgesetzt, dass du deine Schokoladentörtchen machst. Und du kannst deinen netten Freund einladen. Es ist eine Ewigkeit her, seit wir Dennis gesehen haben. Das ist also geklärt. Freitagabend, ja? Bis dann, Liebling!“

Toll. Es war Montagnachmittag, und sie saß bis Donnerstagmorgen bei der Konferenz hier in Chester fest. Falls sie ein Hotel fand. Was sollte sie denn bloß kochen? Was war Toms erstem Schritt aus den Depressionen heraus und hinein in die Welt der Liebe würdig und passte zu den Schokotörtchen für Dolly? Vielleicht konnte sie die Supermarktbestellung noch abändern.

Damit blieb nur noch übrig, das Haus in einen Zustand zu versetzen, den Tabitha tolerieren konnte, ihr noch einmal zu erklären, dass Dennis nicht ihr Freund war, und ihren Konferenzbericht zu schreiben. Nicht zu vergessen den fertigen Entwurf ihres ersten Buchs, den sie ihrem Verleger versprochen hatte. Die Universitätsleitung sah es gern, wenn die Dozenten veröffentlichten.

„Es sieht so aus, als würde ich im Zug arbeiten“, murmelte Luce. Sie zog ihren Terminkalender aus der Handtasche, um eine neue To-do-Liste aufzustellen. Ihre Voicemail ging weiter zu einer verzweifelt klingenden Konferenzorganisatorin, die sich vielmals für ein „kleines Durcheinander“ bei den Hotelreservierungen entschuldigte. Luce hörte im Hintergrund den Chef der armen Frau schreien.

Also noch immer obdachlos. Vielleicht sollte sie es gut sein lassen und nach Cardiff zurückfahren. Ihren Vortrag hatte sie ja schon gehalten. Nur gab es für ihr Bahnticket keine Rückerstattung, und die zusätzliche Fahrt würde wahnsinnig teuer sein.

Das Telefon summte in ihrer Hand, und Luce öffnete automatisch die E-Mail. Dennis’ zwanglose Worte machten sie sofort kribbelig.

Dr. Luce! Ich wette, du hast es richtig nett in Chester. Denk an die Zusammenfassung des morgigen Vortrags für mich, ja? D.

Luce warf ihr Telefon auf den Tisch und blickte zur Theke, um zu sehen, ob Ben endlich mit ihrem Drink kam. Sie musste einen Plan ausarbeiten, um durch die Woche zu kommen. Und das wäre zweifellos leichter mit einem Gin Tonic in der Hand.

Sein Telefon am Ohr, lächelte Ben Hampton die Rothaarige in dem Minirock an, die auf dem Barhocker neben ihm saß. Typisch, dachte Luce. Als würde sie weitere Beweise dafür brauchen, dass er sich seit der Universität nicht geändert hatte. Dieser Typ Mann änderte sich nie. Luce erinnerte sich noch gut daran, dass Mandy mehr als einmal um zwei Uhr morgens in die Wohnung getrampelt war und gejammert hatte, sie hätte Ben mit einer anderen Frau erwischt. Erinnerte sich an das eine Mal, als er Interesse an ihr gezeigt hatte. Hat er wirklich? fragte sie sich. Er war ziemlich betrunken gewesen.

Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete sie ihn. Aber dann drehte er sich um, lehnte sich an die Theke und lächelte sie an. Luce erschauerte, und sie sah weg. Für die Art Ablenkung, die Bens Lächeln versprach, hatte sie wirklich keine Zeit. Schließlich hatte sie Verpflichtungen. Und sie würde sich auf gar keinen Fall mit Männern wie Ben Hampton einlassen. Was für ein Spiel auch immer er spielte.

Luce nahm ihren Terminkalender und begann zu planen, wie sie die Woche in den Griff bekommen konnte.

Ben hörte seinem Bruder nur mit halbem Ohr zu, während er Luce musterte. Sie starrte ihren Terminkalender an. Ihr Kugelschreiber schwebte über dem Papier, doch sie schrieb nichts. Sie sah aus wie eine Frau, die mit einer To-do-Liste nach der anderen die Welt zu retten versuchte. Ben war sicher, dass sein erster Eindruck richtig gewesen war, auch wenn er Luce seit fast zehn Jahren nicht gesehen hatte. Sie war eine Frau, die vor sich selbst gerettet werden musste.

Nicht mein Zuständigkeitsbereich, sagte er sich.

„Und? Was meinst du?“, fragte Sebastian. „Lohnt sich die Rettung?“

„Ganz bestimmt“, antwortete Ben, bevor ihm klar wurde, dass Seb über das Royal Court Hotel und nicht von Lucinda Myles sprach. „Ich meine, ja, ich glaube, es lohnt sich, damit zu arbeiten.“ Das Royal Court war ein relativ neuer Erwerb, und seine Aufgabe war es, herauszufinden, wie das Hotel tickte und wie sie es nach der bei Hampton & Sons üblichen Verfahrensweise betreiben konnten. „Du musst hier doch gewohnt haben, bevor wir es gekauft haben.“

„Dad hat es sich angesehen“, sagte Seb. „Ich habe seinen Bericht, aber …“

Es war schwer, Fragen über den Zimmerservice oder Modernisierungen der Badezimmer zu stellen, während sich der Alte die Radieschen von unten ansah. „Schon klar … Und etwas daran gab zu denken?“

„Vielleicht.“

Seb klang genauso, wie ihr Vater geklungen hatte, wenn er dem jüngeren Sohn Informationen vorenthielt. Weil er ihm nicht zutraute, dass er Verantwortung übernahm und seinen Job gut machte. Ben hatte gehofft, dass Seb ihn besser kannte. Offenbar nicht.

Das passierte wohl einfach, wenn man die Kindheit in verschiedenen Internaten verbracht hatte. Mit fünf Jahren Altersunterschied war Ben immer zu weit zurück gewesen, um seinen begabten älteren Bruder einzuholen.

„Ich schreibe heute Abend eine neue Bewertung und schicke sie dir. Okay?“ Es würde nicht lange dauern, wenn er sich den ursprünglichen Bericht aus der Zentrale mailen ließ. Aber die Arbeit konnte bis später warten. Zuerst wollte er herausfinden, ob Dr. Lucinda Myles unter ihrer Kleidung wirklich zum Streicheln war. Natürlich hatte sie noch ihren Doktor gemacht. Die Frau war für die akademische Welt geboren.

„Das wäre großartig“, sagte Seb.

Er hörte sich müde an, und Ben sah ihn im Geiste an Dads Eichenholzschreibtisch sitzen und sich die Stirn reiben. Jetzt waren es nicht mehr Lebensjahre und Internate, was sie trennte. Es war die Last der Verantwortung.

Zusammenzuarbeiten – besonders nach dem Tod ihres Vaters – hatte es Ben ermöglicht, seinen Bruder besser kennenzulernen als jemals zuvor. Sie standen sich nahe, auf ihre Art. Vielleicht, weil keiner von ihnen beiden eine Partnerin oder eine Familie hatte.

Und Seb war an erster Stelle sein Bruder und an zweiter sein Chef. Das durfte er nicht vergessen.

Weil er bei dem Gedanken Gewissensbisse bekam, fragte Ben: „Gibt es noch irgendetwas, wofür du mich brauchst?“

Das kurze Schweigen am anderen Ende deutete darauf hin, dass es etwas gab. Offensichtlich traute Seb ihm jedoch nicht zu, es zu erledigen. „Nein. Genieß deine Woche in Chester. Sieh dir römische Relikte an oder … Nein, du hattest vor, zu deinem Cottage zu fahren, stimmt’s?“

„Ich habe daran gedacht“, erwiderte Ben vorsichtig. Nach den vergangenen zwölf Monaten wollte er sich nur noch am Ende der Welt verkriechen. „Aber wenn du mich im Büro brauchst …“

„Nein. Du hast seit einem Jahr keinen Urlaub mehr gehabt.“ Seit Dads Tod. Das blieb unausgesprochen. „Du hast eine Pause verdient.“

Nicht so sehr wie Seb. Der Gedanke daran, seinen extrem verantwortungsbewussten älteren Bruder zu überreden, sich freizunehmen, war lachhaft. Er dagegen war anscheinend nicht so wichtig für den Erfolg von Hampton & Sons, und Ben beschloss, dass er das ebenso gut ausnutzen konnte. „Du weißt ja, wo ich bin, wenn du mich brauchst.“

„Im Bett mit einer heißen Blondine?“

„Mit einer Brünetten, hoffentlich.“ Ben musterte Luce erneut. Sie ignorierte ihn noch immer. Falls sie sich überhaupt an ihn erinnerte, dachte sie wahrscheinlich genauso über ihn, wie es sein Vater getan hatte – dass er der Gleiche war wie mit zwanzig, unfähig, erwachsen zu werden. Vielleicht bekam er heute Nacht die Chance, ihr zu zeigen, was für ein Mann aus ihm geworden war.

Seb lachte humorlos. „Dann wünsche ich dir Glück. Bestimmt hast du sie im Nu so weit, dass sie um mehr fleht.“

„Das ist der Plan.“

Autor

Sophie Pembroke

Seit Sophie Pembroke während ihres Studiums der englischen Literatur an der Lancaster University ihren ersten Roman von Mills & Boon las, liebte sie Liebesromane und träumte davon, Schriftstellerin zu werden. Und ihr Traum wurde wahr! Heute schreibt sie hauptberuflich Liebesromane. Sophie, die in Abu Dhabi geboren wurde, wuchs in Wales...

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