In deinen Armen bin ich glücklich

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Warum hat Josie so spät erkannt, wie viel Dr. Ripley Taylor ihr bedeutet? Sie hat Monate verschenkt! Denn kaum liegt sie zum ersten Mal in seinen Armen, erscheint Ripleys intrigante Ex-Frau. Sie will den Mann, der Josie vor der Einsamkeit gerettet hat, zurückerobern …


  • Erscheinungstag 29.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747398
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als Dr. Ripley Taylor beobachtete, wie Thornton Liddle die Apotheke verließ, sich auf den Weg zu seinem zerbeulten Pick-up machte und kurz neben einem Baum stehen blieb, um sich eine Zigarette anzuzünden, da wurde ihm klar, wie schwer es selbst für einen erwachsenen Mann war, heimlich zu rauchen, ohne sich dabei erwischen zu lassen.

Sicher, er konnte sich hinter dem Ärztehaus verstecken und hastig am Glimmstängel ziehen und sogar die Zigarette schnell hinter den Rücken halten, aber die feine graue Rauchfahne, die an seiner Schulter hochstieg, würde ihn verraten.

Vorausgesetzt, der andere hatte einen scharfen Blick.

„Doc …“ Der Sechsundsiebzigjährige grinste ihn mit trüben Augen an.

Er klang fröhlich, nahezu gesund und munter, was überhaupt nicht stimmte. Der Mann ernährte sich falsch und rauchte wie ein Schlot, und vor einer halben Stunde war er bei Rip in der Sprechstunde gewesen, weil er Schmerzen in der Brust hatte. Rip stellte eine Entzündung fest, verschrieb ein Antibiotikum und schärfte ihm ein, in einer Woche wiederzukommen.

„Ich habe Sie gar nicht gesehen“, meinte Mr. Liddle. „Sie sollten sich von der Sonne bescheinen lassen, statt dort hinten im Schatten zu hocken. Riechen Sie mal, es wird Frühling, das pustet den Kopf durch, macht Platz für neue Ideen. Wissen Sie, ich dachte, ich sollte mal …“

Er unterbrach sich, nachdem ihm eingefallen war, was er in der Hand hielt. Mit schuldbewusster Miene ließ er die Zigarette fallen und trat sie aus. „Das waren nur ein paar Züge“, versicherte er eifrig. „Ich arbeite wirklich dran aufzuhören. Meine Frau sagt, das ist die letzte Schachtel, sonst gibt’s Ärger. Sie hat ja recht, ich habe doch die Broschüren gelesen und die Spots im Fernsehen gesehen.“

„Sehr vernünftig, Mr. Liddle“, antwortete Ripley. „Ich kann mir vorstellen, wie hart es ist, das Rauchen aufzugeben, wenn man fünfzig Jahre lang vierzig Stück am Tag geraucht hat.“

Bitte setz dich endlich in den Wagen, bevor ich mir die Finger verbrenne. Er hielt den Atem an.

„Na, dann will ich mal nach Hause“, sagte der alte Mann.

„Grüßen Sie Mona herzlich von mir!“

Das Ehepaar gehörte seit sechs Jahren zu Ripleys Patienten. Damals hatte er als junger Arzt im Harriet Family Medicine Center im Duchesne County von Vermont angefangen. Inzwischen war er der Seniorpartner der Gemeinschaftspraxis.

„Mach ich.“ Thornton nickte.

„Bis dann, Mr. Liddle.“

Heiße Asche fiel Ripley in die Handfläche, und er ließ seine heruntergebrannte Zigarette fallen, um grüßend die Hand zu heben, da Thornton sich inzwischen hinters Steuer gezwängt und den Motor gestartet hatte. Rip wagte nicht, die Zigarette auszutreten. Der alte Mann würde gleich wenden, um vom Parkplatz zu fahren, und dann wäre die verräterische Fußbewegung samt Zigarette genau in seinem Blickwinkel.

Der klapprige Wagen rumpelte mit einem Rad über den flachen Betonring, der den Stamm des Schatten spendenden Baumes schützte, hielt abrupt an der Ausfahrt, ließ einen Wagen vorbei, kam ruckartig wieder in Bewegung, und dann verschwand Thornton Liddle im Verkehrsstrom.

Rip war noch einmal davongekommen.

Man hatte ihn nicht dabei ertappt, wie er sich mit Nikotin vollpumpte, voller Abscheu gegen sich selbst …

Ausgerechnet Thornton Liddle! Von all seinen Patienten konnte der es am allerwenigsten gebrauchen, wenn sein Arzt mit schlechtem Beispiel voranging. Thorntons Atemwegsinfektionen häuften sich, er musste blutdrucksenkende Medikamente nehmen, und er war übergewichtig. Klassische Voraussetzungen für einen Herzinfarkt.

Manche Leute würden sagen, dass Thornton Liddle im gesegneten Alter von sechsundsiebzig Jahren selbst bestimmen sollte, ob er sich langsam zu Tode rauchte, aber Ripley wusste, dass die Rentenzahlungen nach seinem Ableben eingestellt würden. Seine Frau, eine gesunde Endsechzigerin, könnte von ihrer mageren Rente nicht leben, und ihre Schwiegertochter, eine hartherzige Frau, hatte bereits verkündet, dass sie weder ein freies Zimmer noch Zeit oder Geld genug hätte, um die Mutter ihres Mannes bei sich aufzunehmen.

Wären Mr. Liddles Augen nicht in einem ähnlich miserablen Zustand wie seine Lungen, er hätte seinem Hausarzt vorhalten können, dass er öffentlich Wasser predigte und heimlich Wein trank! Dass der Alte mit den schlechten Augen und dem verzögerten Reaktionsvermögen auch nicht mehr Auto fahren dürfte, stand auf einem anderen Blatt.

Rip verabscheute sich selbst. Er wollte kein Arzt sein, der die eigenen Ratschläge missachtete. Nicht jemand sein, der die Vergangenheit nicht loslassen konnte und immer wieder bei sich die Schuld für Fehler suchte, die er nicht begangen hatte. Die Sache war längst erledigt, die Scheidungspapiere unterzeichnet.

Rip wusste, dass er sich schon zu lange hier draußen aufhielt. Sein nächster Patient wartete sicher längst. „Das war definitiv deine letzte Zigarette“, murmelte er vor sich hin.

Dasselbe hatte er vor acht Jahren gesagt, im Alter von achtundzwanzig, als Tara ihn davon überzeugte, das Rauchen aufzugeben. Sieben Jahre später, kurz nach ihrer Scheidung, hatte er wieder angefangen.

Er zog die verlockende Packung aus der Gesäßtasche. Um zu wissen, dass noch fünfzehn Zigaretten drin waren, brauchte er nicht nachzuzählen, das spürte er am Gewicht. Rip gab sich einen Ruck und warf die Schachtel in den Abfalleimer. Dann betrat er das Geschäftsgebäude durch den Hintereingang und wappnete sich gegen die Entzugserscheinungen.

„Du hast schlechte Laune, Rip“, beschwerte sich seine Juniorpartnerin abends um Viertel vor sieben.

„Gar nicht wahr.“ Aber er wusste, dass Josephine Middleton recht hatte.

Natürlich konnte er ihr nicht erzählen, dass er das Rauchen aufgegeben hatte. Damit würde er ihr nur Munition liefern, und das musste ja nicht sein. Josie sah nämlich aus, als wäre sie kurz davor, sich mächtig aufzuregen.

„Können wir endlich weitermachen?“

„Womit?“

„Mit der Überlegung, ob wir das Labor wechseln oder nicht.“

„Ich dachte, wir hätten beschlossen, zwei Monate abzuwarten, mehr Fakten zu sammeln und eine fundierte Bewertung aufzustellen.“

„Das war ein Vorschlag von dir, aber kein Beschluss.“

„Bist du etwa nicht einverstanden?“

„Erst kürzlich gab es zwei Fälle, bei denen ich einen unverzüglichen Anruf erwartet hatte, und was haben sie gemacht? Mir einen Bericht per Post geschickt! Außerdem hat es im letzten Jahr eine Woche und länger gedauert, bis die Ergebnisse der Krebstests hier waren.“

„Hast du da genaue Zahlen?“

„Nein, ich höre auf mein Bauchgefühl, und ich finde, wir sollten mit den Füßen abstimmen.“

„Entschuldige, aber so kommen wir nicht weiter.“ Ripley stand auf, um nicht die zweite Schublade aufzuziehen, in der, seinem Bauchgefühl nach, noch eine halb zerknüllte Packung mit einer, vielleicht auch zwei Zigaretten, liegen musste.

„Also, können wir abschließen? Sind wir fertig?“ Sie klang ungeduldig.

Rip setzte sich wieder. Er hatte Kopfschmerzen, und seine gesamte Gesichtsmuskulatur fühlte sich verkrampft an. Warum war er am Wochenende nicht nach Stowe zum Skilaufen gefahren? Josie hatte Rufbereitschaft gehabt, er hätte also gut Zeit gehabt. Trotzdem war er hiergeblieben, wie so oft im vergangenen Winter. Dabei hätte ihm die Bewegung gutgetan, das Tempo, während er über den knirschenden Schnee sauste, und die kalte Luft in den Lungen.

Frustriert fuhr er sich durchs Haar und atmete langsam aus. „Nein. Wir sollten wenigstens beschließen, wann und wie wir eine Entscheidung treffen.“

„Wenn du anfängst, wie ein Politiker zu reden, können wir das Ganze gleich auf morgen vertagen.“

„Du wolltest diskutieren, also diskutieren wir jetzt.“ Ripley kam sich ziemlich halsstarrig vor.

Eigentlich mochte er Josie sehr. Man konnte sich hundertprozentig auf sie verlassen. Als Praxispartnerin war sie einfach unbezahlbar. Sie arbeitete genauso viel wie er, war umsichtig und sorgfältig und hatte nichts dagegen, ihre Kaffeetasse selbst abzuwaschen. Gelegentlich machte sie sogar die Mikrowelle sauber. Zu fünfundneunzig Prozent klappte alles wie am Schnürchen, und das hatte ihm in den letzten anderthalb Jahren wirklich geholfen, als er in jeder freien Minute nur an seine Scheidung dachte.

Wieso hatte er die Katastrophe nicht kommen sehen? Warum war es nicht genug gewesen, was er für diese Ehe getan hatte? Weshalb hatte Tara nichts gesagt? Hätten sie vielleicht noch etwas retten können? Und was zum Teufel fand sie an Trent Serrano? Der Mann war doch nur der Auslöser, aber nicht die Ursache des Problems gewesen, oder? Was hätte ich anders machen können?

„Okay“, sagte Josie. „Ich gebe uns noch fünf Minuten.“ Weil es zehn vor sieben war, und wenn sie nicht in fünf Minuten von hier verschwand, würde sie den Anfang verpassen von …

Welcher Tag war heute?

Dienstag.

Welche Sendung war so immens wichtig an einem Dienstagabend um sieben, dass sie sie auf gar keinen Fall versäumen durfte? Sie konnte sich nicht erinnern, aber sie wusste, da war eine. Heute Morgen hatte sie nämlich noch überlegt, ob sie ihren DVD-Recorder einstellen sollte, um die Sendung aufzunehmen. Doch dann hatte sie sich gesagt, dass sie sicher noch vor sieben zu Hause wäre.

Leider nicht. Außerdem war Rip in miserabler Stimmung. Normalerweise genoss Josie die gelegentlichen Streitgespräche mit ihm, weil er dabei nie seinen Humor verlor. Heute jedoch … Wenn er glaubte, sie würde nicht merken, dass er wieder mal versuchte, sich das Rauchen abzugewöhnen, täuschte er sich gewaltig!

„Schreib mir ein paar Zahlen auf, Josie“, hörte sie ihn sagen. „Auch wenn du mir vorwirfst, dass ich mich durchsetzen will, aber ich werde nicht einfach das Labor wechseln, ohne harte Fakten gesehen zu haben. Ich bin Naturwissenschaftler, nicht eine mit ihrem Bauch denkende, Kristallkugeln befragende …“ Er warf ihr einen abwesenden Blick zu – mehr ihrem Haar, wie ihr schien, das zugegebenermaßen schon mal besser ausgesehen hatte – und beendete seinen Satz. „… Hexe.“

„Richtig. Okay. Zahlen“, pflichtete sie bei, während es in ihrem Hinterkopf rumorte.

Hexe?

Du siehst auch nicht gerade toll aus, dachte sie erbost und musterte ihn genauer. In seinem glänzenden schwarzen Haar entdeckte sie ein paar silbrige Strähnen und um den Mund tiefe Linien. Normalerweise hatte er eine gesunde, leicht gebräunte Gesichtsfarbe, aber bei der Neonbeleuchtung hier in seinem Büro fiel auf, dass er selten an der frischen Luft war. Ripley sah fertig aus. Selbst seine starken breiten Schultern schienen ein bisschen zu hängen, und seine cognacbraunen Augen wirkten müde.

Einen Moment lang machte sie sich ernsthaft Sorgen um ihn, doch dann kehrte der Ärger zurück. Er hielt sie unnötig auf, war ungefähr so charmant wie ein Rodeobulle und hatte sie gerade Hexe genannt. Ihr Mitgefühl war völlig fehl am Platz!

Sechs Minuten vor sieben.

„Dann, und erst dann reden wir wieder darüber, okay, Josie?“ Der scharfe Tonfall gefiel ihr gar nicht. „Falls das alles ist …“

Als hätte sie die Unterhaltung unnötig in die Länge gezogen!

„Ja!“ Aufgebracht wandte sie sich ab und stürmte aus der Tür. Das Wort Hexe ging ihr immer noch durch den Kopf, und erst als sie draußen auf dem Parkplatz stand, fiel ihr ein, dass sie es Ripley überlassen hatte, alle Lichter auszuschalten und die Praxis abzuschließen. Eigentlich hätte sie wenigstens höflich fragen müssen: „Ist es okay, wenn du hier allein zumachst …?“

Sie seufzte, überlegte, ob sie zurückgehen sollte, bis ihr einfiel, dass er Hexe zu ihr gesagt hatte und sie die Dienstagabendserie nicht verpassen wollte.

Sekunden vor Beginn der Sendung war sie zu Hause. Raste hinein. Knipste schnell ein paar Lichter an. Fiel fast über die Katze Miffy. Schnappte sich die Fernsehzeitschrift, riss eine Seite ein, weil sie hastig durchblätterte, fand Tag und Uhrzeit, fand die Sendung, die sie mit einem rosa Textmarker angestrichen hatte …

Oh!

Diese Folge ihrer drittliebsten Krimiserie war eine Wiederholung. Warum merkte sie das erst jetzt?

Enttäuscht schaltete sie trotzdem den Fernseher ein. Miffy miaute und rieb ihr pechschwarzes Fell an Josies Bein. Sie hatte Hunger. Josie auch.

Rührei auf Toast bot sich an. Das machte sie sich mindestens zweimal die Woche, weil es so schön schnell ging. An den anderen Abenden peppte sie irgendwelche Fertiggerichte auf, zum Beispiel mit Pilzen. Viel leckerer wurden die dadurch allerdings auch nicht. Als ihre Großmutter Mamie noch lebte, hatte Josie jeden Tag gekocht, richtige Mahlzeiten und mit Freude. Wahrscheinlich, weil es Mamie immer geschmeckt hatte.

Inzwischen machte es längst nicht mehr so viel Spaß, nach einem langen Arbeitstag und dann auch noch für sich allein zu kochen.

Sie stellte Miffy ihr Futter hin und ging in den Flur, um ihre Handtasche auf das Tischchen zu legen. Dabei fiel ihr Blick in den Spiegel.

Rip hatte recht.

Du siehst wirklich wie eine Hexe aus.

Zwar eine junge und kräftige – na klar, mit vierunddreißig war das logisch –, aber mit all den sichtbaren und unterschwellig vorhandenen Merkmalen einer Hexe. Sie war eine exzentrische Jungfer, die allein lebte, eine schwarze Katze hatte, mit sich selbst redete – und sie war dem Rhythmus eines Kalenders unterworfen, der nicht vom Mond, aber vom wöchentlichen Fernsehprogramm bestimmt wurde. Und sie experimentierte in ihrer Küche mit Tiefkühlgerichten unter Verwendung von Pilzen!

„Josephine, du bist total langweilig geworden.“ Sie starrte ihr Spiegelbild an.

Bisher hatte sie sich eingeredet, sie sei zufrieden mit ihrem ruhigen Leben. Einmal in der Woche telefonierte sie mit ihrer älteren Schwester in Connecticut, und ab und zu besuchte sie sie dort. Ihre Eltern waren glücklich damit, durch die Weltgeschichte zu ziehen, was noch dadurch unterstützt wurde, dass ihr Vater beruflich längere Zeit mal in Singapur oder Tokio zu tun hatte. Sie brachten regelmäßig interessante Souvenirs und spannende Geschichten von ihren Reisen mit und verwandelten Mamies altehrwürdiges Haus nach und nach in eine wahre Fundgrube exotischer Schätze. Und Josie liebte ihren Beruf und die Arbeit in der Gemeinschaftspraxis.

Aber genügte das? Nein, sie bewegte sich auf ausgefahrenen Gleisen, immer im selben Trott. Furchtbar!

Wann hatte es angefangen? Vor dreieinhalb Jahren wahrscheinlich, als Mamie ihren ersten Schlaganfall erlitt. Eineinhalb Jahre später, im Alter von fünfundachtzig, war sie dann gestorben und ließ Josie physisch und psychisch erschöpft zurück.

Sie hatte die Routine, den festgelegten Tagesablauf gebraucht. Vielleicht schleppte sie noch aus dem letzten Jahr der Facharztausbildung die bedrückenden Erinnerungen an die Trennung von Jack mit sich herum. Obwohl das gewesen war, bevor sie nach Vermont zog, und Mamies Tod lag nun auch schon zwei Jahre zurück.

Ihr Haar sagte alles. Sie war eine Ewigkeit nicht beim Friseur gewesen und band sich ihre Mähne einfach zu einem Pferdeschwanz. Doch der war ziemlich buschig, und manchmal ziepte eine Strähne, und dann zog Josie, ohne weiter darüber nachzudenken, das Haargummi ab.

Dasselbe musste sie an diesem Nachmittag irgendwann getan haben. Zerzauste, unordentliche Locken fielen ihr auf die Schultern, und vielleicht hätte es bei einigen Frauen gut ausgesehen, wenn es nicht so …

„… wild wäre“, sagte sie laut.

Sei ehrlich, Josie!

Wirr.

Als hätte man sie rücklings durchs Unterholz geschleift.

Wie eine Hexe.

Und die Farbe wirkte stumpf, so als wollte auch ihr Haar ihr sagen, sie sollte endlich wieder ins Leben einsteigen. Rothaarige brauchten Glanz, und wenn es nichts Glanzvolles gab, mussten sie sich überlegen, wie sie wenigstens so tun könnten als ob …

Ich kann heute Abend nicht Rührei auf Toast machen.

Oder fernsehen.

Rastlos, verwirrt und unglücklich marschierte sie in die Küche, fand eine Flasche Weißwein unter der Spüle und legte sie ins Gefrierfach, damit sie schneller kühlte. Zu den fünf verschiedenen Eiscremepackungen.

Josie genehmigte sich das mit den Schokostückchen. Drei Kugeln im Waffelhörnchen, weil das frivoler war als Schüssel und Löffel. Dann zog sie sich eng anliegende marineblaue Sweatpants und einen grauen Strickpulli an, verzichtete aber auf die lila-gelb geringelten Bettsocken. Bettsocken gehörten zum Trott.

Schön, Eiscreme auch, aber eins nach dem anderen. Man musste ja nicht gleich übertreiben.

Trotzdem war ihr klar, dass sie sich um mehr kümmern musste als nur um ihr Haar. Ihr Leben ändern.

Aber mit dem Haar könnte sie anfangen.

Sie holte sich das Branchenverzeichnis und suchte nach einer Friseurin, die ins Haus kam. Vielleicht fand sie ja eine, die auch noch nach sieben Uhr abends dazu bereit war. Schließlich handelte es sich um einen Notfall.

Da! Hayley’s Hair at Home.

Hayley war ein Schatz. Wie ein Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene eilte sie in Windeseile herbei und erkannte das Problem sofort.

„Wir werden waschen, pflegen, schneiden und tönen.“

„Tönen?“ Das war eigentlich nicht in ihrem Sinn.

„Nur Strähnchen.“

„Bei einer Rothaarigen?“

„Vertrauen Sie mir. Denken Sie an matt schimmernde Pfirsiche, an Herbstlaub, und stellen Sie sich sonnengeküsste Strähnen vor. Sie können von Glück sagen, dass Sie diese Haarfarbe haben. Sie werden wahnsinnig aussehen.“

Zwei Stunden später, nach einem zweiten Glas Wein, gab Josie ihr recht. „Wahnsinn!“

Hayley rauschte beschwingt davon – auch sie hatte ein Glas Wein getrunken –, schien aber irgendwas aus ihrem Wunderkoffer vergessen zu haben, denn drei Minuten später klingelte es erneut an der Tür.

2. KAPITEL

Fünf vor halb zehn an einem Dienstagabend.

„Zu spät?“, fragte Ripley sich, nachdem er auf die Klingel gedrückt hatte.

Er war Arzt, Josie war Ärztin. Bei einem medizinischen Notfall hätte er keine Sekunde gezögert, nicht einmal mitten in der Nacht. Doch dies war … nun, vielleicht kein privater Besuch, aber so ähnlich. Er wollte sich entschuldigen, weil er sich vorhin in der Praxis scheußlich benommen hatte.

Trotzdem kam es ihm vor, als würde er eine unsichtbare Linie überschreiten. In den letzten fünf Jahren war er höchstens ein halbes Dutzend Mal hier gewesen, immer tagsüber und nur kurz, aus beruflichen Gründen.

Schon als er den ziegelrot gepflasterten Weg entlangkam, war ihm aufgefallen, was Josie aus dem Haus gemacht hatte. Mamie … die ganze Stadt nannte Josies Großmutter Mamie … war eine alte Frau gewesen, als Josie bei ihr einzog, und das Anwesen entsprechend vernachlässigt. Inzwischen wuchs der Rasen wieder gleichmäßig dicht, auch wenn er unter der Schneedecke der letzten Wochen etwas braun geworden war, und in den Blumenbeeten kamen die grünen Knospen der ersten Frühlingsblumen aus der Erde. Anstelle der morschen Verandaschaukel standen robuste Stühle um einen runden Tisch und warteten auf wärmeres Wetter.

Josie hatte das Haus selbst gestrichen.

Wann? Letztes Jahr?

Er erinnerte sich vage, dass sie ihm davon erzählt hatte. Wahrscheinlich war es einer ihrer behutsamen Versuche gewesen, ihn nach der Trennung von Tara auf andere Gedanken zu bringen. Ripley konnte sich nicht erinnern, dass er sich besonders dankbar gezeigt hätte, aber die Farbzusammenstellung gefiel ihm: ein warmer Cremeton, grüngraue und rostrote Akzente.

Er hörte ihre Schritte, dann wurde der Knauf gedreht, und die Tür flog weit auf. „Haben Sie etwas vergess…? Oh.“ Ihre Miene veränderte sich schlagartig. „Hallo, Rip.“

„Ich möchte mich entschuldigen“, kam er gleich zur Sache, weil er nicht sicher war, ob Josie ihn hereinbitten würde. „Wegen vorhin, in der Praxis.“

„Schon gut, ich habe es auf den Nikotinentzug geschoben.“

„Woher weißt du, dass ich …“ Er unterbrach sich. „Klar, deswegen. Ich hatte miserable Laune.“

„Genau.“ Sie lächelte. „Willst du reinkommen?“

Sie schien es ernst zu meinen, also nahm er die Einladung an.

Ihr Wohnzimmer war ein bisschen unordentlich, gerade so, dass es gemütlich wirkte. Wahrscheinlich hatte Josie ihre Jacke beim Nachhausekommen auf die Sessellehne geworfen, denn dort lag sie immer noch. Auf dem Couchtisch entdeckte Rip zwei leere Kaffeetassen, daneben ein paar Zeitschriften und das Fernsehprogramm, die Seite von heute aufgeschlagen. Einige Stellen waren mit pinkfarbenem Textmarker angestrichen.

Aber es roch komisch. Chemisch irgendwie. Er blickte Josie an. Sie trug Sweatpants und Pullover, was genau zu diesem gemütlichen Zimmer passte. Erst dann fiel ihm auf, dass irgendetwas mit ihrem Haar passiert sein musste, und das sagte er ihr.

„Du hast etwas mit deinen Haaren gemacht.“

„Versuch’s noch einmal, Ripley.“ Josie verdrehte die Augen. „So heißt das nicht. Darf ich dir einen besseren Vorschlag machen? Zum Beispiel: Wow, dein Haar sieht toll aus, was hast du damit gemacht?“

„Nichts da“, konterte er. „Ich bin ein Mann, ich muss begriffsstutzig und vorwurfsvoll klingen, weil du mich unfairerweise mit etwas Neuem konfrontierst und ich Gefahr laufe, dich nicht wiederzuerkennen. Und genau das habe ich gesagt.“

Sie lachte.

Gott sei Dank.

„Erwartest du jetzt, weil ich ja eine Frau bin, dass ich dir in allen Einzelheiten meinen Haarschnitt, die Pflegebehandlung und die Entstehung der Strähnchen erläutere, bis du glasige Augen bekommst?“

„So ungefähr, und ich werde mit Sicherheit schon nach einer Minute glasige Augen haben. Aber im Ernst – du siehst gut aus.“

„Danke.“ Spontan drehte sie sich in einer anmutigen Pirouette einmal um sich selbst.

Ripley war überrascht. So kannte er seine Kollegin gar nicht. Josie war praktisch, sachlich und flirtete nicht. Jetzt musste er sich eingestehen, dass ihm gefiel, was er sah. Ihre Haare waren kürzer und glänzten verlockend. Die Frisur verlieh ihr eine ungewohnte Eleganz und zeigte ein vollkommenes Profil, das ihm bisher nie aufgefallen war.

Am auffälligsten war jedoch, wie glücklich sie selbst darüber schien. Nie hätte er Josephine Middleton als lebhaft bezeichnet, aber in diesem Moment sprühte sie förmlich vor Freude.

Autor

Lilian Darcy
<p>Die Australierin Lilian Darcy hat einen abwechslungsreichen Weg hinter sich. Sie studierte Russisch, Französisch und Sprachwissenschaften und ging nach ihrem Abschluss als Kindermädchen in die französischen Alpen. Es folgten diverse Engagements am Theater, sowohl auf der Bühne als auch als Drehbuchautorin. Später hat Lilian Darcy als Lehrerin für Französisch und...
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