Irische Leidenschaft - Historicals von Michelle Willingham

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Irische Hochzeit
Irland im Jahre 1170: Niemals darf sich irisches Blut mit dem der normannischen Feinde vermischen! Und so schwört der unterlegene König Patrick, dass er die Ehe mit Isabel de Godred, Tochter seines Gegners, nicht vollziehen wird – ein Schwur, der dem stolzen Kelten zum Verhängnis wird. Denn mit ihrer Schönheit, ihrem weichem Herzen und scharfen Verstand entfacht seine junge Gattin in ihm das Feuer des Verlangens. Unter dem irischen Mond will Patrick sie wahrhaftig zu seiner Frau und der Königin seines Herzens machen! Aber kaum hat er diesen Entschluss gefasst, gerät Isabel durch eine Intrige aus Patricks eigenen Reihen in Lebensgefahr …...

Die irische Heilerin
Irland, 1175: Als die Heilerin Eileen zu einem Schwerverletzten gerufen wird, sieht sie entsetzt: Es ist der Kämpfer Connor MacEgan, vor dem sie seit sieben Jahren ein Geheimnis hütet, von dem er nie erfahren darf! Schreckliche Wunden zeichnen seine Hände. Verbittert verlangt der irische Recke eine Wunderheilung von ihr, damit er wieder sein Schwert führen kann. Aber das liegt nicht in Eileens Macht. Nur die innigen Gaben von Liebe und Leidenschaft kann sie ihm schenken, die er in sinnlichen Nächten mit offenen Armen annimmt – und so nicht nur ihrem Herzen, sondern auch ihrem Geheimnis gefährlich nah kommt …...

Irische Küsse
Die tapfere Normannin Honora St. Leger kennt keine Niederlagen – bis sie in die leuchtenden Augen ihrer jüngeren Schwester blickt. Mit sinkendem Herzen erfährt sie: Katherine, züchtig und schön, wird Ewan MacEgan heiraten, das Leben an seiner Seite und die Nächte in seinen Armen verbringen ... Dabei sehnt sich doch Honora nach dem starken Kämpfer! Verzweifelt versucht sie, diese verbotene Sehnsucht zu bezwingen – vergeblich. Denn Ewan raubt ihr einen Kuss, so süß wie der irische Frühling, so heiß wie irisches Feuer. So als sei sie es, die er erwählt hat! Doch da ist seine Hochzeit mit ihrer Schwester bereits anberaumt ...

Die Braut des irischen Kriegers (Kurzroman)
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Das Verlangen des irischen Kriegers
Rache treibt den irischen Krieger Trahern MacEgan an, seit die Frau, die er liebte, kaltblütig umgebracht wurde. Auf der Suche nach ihren Mördern verlässt er seinen Clan – und findet unterwegs die schwer verletzte junge Morren Ó Reilly. Wenn er sich nicht um sie kümmert, wird sie sterben! Schweren Herzens unterbricht Trahern seinen Rachefeldzug. Doch Morren weckt nicht nur seinen Beschützerinstinkt. Angesichts ihrer betörenden Schönheit kämpft der Krieger, der geschworen hat, nie wieder zu lieben, bald seinen schwersten Kampf. Was kann er nur tun gegen das wachsende Verlangen, das Morren in ihm entzündet?


  • Erscheinungstag 24.11.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787493
  • Seitenanzahl 1076
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Michelle Willingham

Irische Leidenschaft - Historicals von Michelle Willingham

Michelle Willingham

Irische Hochzeit

IMPRESSUM

HISTORICAL erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2008 by Michelle Willingham
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL
Band 253 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Meriam Pstross

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-156-7

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

England, 1170

Jede Frau denkt doch an ihrem Hochzeitstag daran, ein Pferd zu stehlen und auf und davon zu gehen, oder nicht?

Isabel de Godred kämpfte gegen die aufsteigende Unruhe an. Es war ihre Pflicht, ihrem Vater zu gehorchen. Das begriff sie, obwohl sie ihre rote seidene Tunika umklammerte und zu den Ställen hinübersah.

Im Herzen wusste sie, dass eine Flucht zwecklos war. Selbst wenn es ihr gelänge, das Anwesen zu verlassen, würde ihr Vater ihr doch eine ganze Armee hinterherschicken. Edwin de Godred war nicht gerade für seinen Großmut bekannt. Alles hatte zu geschehen wie er es befahl, und wehe jedem, der seine Anordnungen nicht befolgte.

Vielleicht ist diese Heirat gar nicht so schlecht, meldete sich in Isabel die Stimme der Vernunft. Vielleicht war ihr Verlobter ein liebenswürdiger, gut aussehender Mann, der ihr die Freiheit ließe, seinen Haushalt nach ihrem Gutdünken zu führen.

Isabel schloss die Augen. Nein, das war höchst unwahrscheinlich. Wenn dem so wäre, hätte ihr Vater diesen Freier vor ihr aufmarschieren lassen und mit dieser Heirat geprahlt. Sie wusste vom irischen Erbe ihres Bräutigams und kannte seinen Rang. Sonst wusste sie kaum etwas über ihn.

„Seid Ihr fertig, Mylady?“, fragte ihre Zofe Clair. Mit verschwörerischem Lächeln fügte sie hinzu: „Glaubt Ihr, dass er hübsch ist?“

„Nein, hübsch wird er bestimmt nicht sein.“ Alt und zahnlos, so würde der Mann aussehen. Furcht stieg in Isabel auf. Ihre Schritte wurden bleischwer. Ihr überstürzter Fluchtplan erschien immer verlockender.

„Aber sicher …“

Isabel schüttelte den Kopf. „Clair, noch nicht einmal bei der Verlobung ließ Vater mich den Mann sehen. Wahrscheinlich ist er ein halber Teufel.“

Ihre Zofe bekreuzigte sich stirnrunzelnd. „Ich hörte, er sei einer der irischen Könige. Da muss er unvorstellbar reich sein.“

„Er ist nicht der Hochkönig.“ Gott sei Dank. Vielleicht würde sie über einen Stamm zu herrschen haben. Aber es erwartete sie wenigstens nicht die Bürde, ein ganzes Land zu regieren. Während sie über die Holztreppe an der Außenmauer des Burgturms hinunterschritten, fragte sich Isabel, wie es ihrem Vater nur gelungen war, in so kurzer Zeit eine Verlobung zu arrangieren. Erst seit letztem Sommer unterstützte er den Feldzug des Earl of Pembroke.

„Wie gerne wäre ich an Eurer Stelle“, meinte Clair mit träumerischem Lächeln.

„Und wie gerne würde ich dir den Mann schenken.“ Leider war das nicht möglich.

In Isabels Vorstellung wurde ihr Bräutigam zu einem Monster. Der Mensch musste unerträglich sein, wenn er solch ein Geheimnis aus sich machte. Eigentlich wusste sie, dass es ungerecht war, ein Urteil zu fällen, bevor sie ihren Zukünftigen getroffen hatte. Doch sie konnte nicht anders, als sich das Schlimmste vorzustellen.

„Ihr werdet Herrin Eures eigenen Königreiches sein“, seufzte Clair. „Stellt Euch das nur vor! Ihr werdet Königin.“

„Vermutlich.“ Das vergrößerte nur noch ihre Angst vor der bevorstehenden Hochzeit. Was wusste sie schon darüber, wie sich eine Königin zu benehmen hatte? Sie wusste lediglich, wie man einen Besitz umsichtig verwaltete. Das war aber auch schon alles.

Vor der Kapelle erwartete ihr Vater Edwin de Godred, Lord Thornwyck, sie inmitten einer kleinen Schar von Gästen und Dienern. Er war groß und schlank mit sorgfältig gepflegtem, bereits ergrautem Bart und Schnurrbart. Prüfend musterte er sie, und Isabel kam sich vor wie eine Stute, die verkauft werden sollte. Sie widerstand dem Bedürfnis, die Zähne zu blecken, damit die auch geprüft werden konnten.

Nein, es fiel ihr nicht schwer, diesen Ort zu verlassen. Doch was konnte sie von einem irischen König erwarten? War er freundlich? Grausam? Sie wurde immer unruhiger.

„Ist er hier?“,fragte sie ihren Vater und betrachtete die Männer, welche vor der Kirche warteten.

Edwin nahm ihre kalten Finger und hielt sie mit festem Griff, während er sie in die Kirche geleitete. „Du wirst ihn früh genug treffen. Vor wenigen Stunden haben meine Männer seinen Tross erspäht.“

„Ich hätte ihn lieber bei unserer Verlobung kennengelernt“, murmelte Isabel. Statt einer Antwort brummte ihr Vater nur unwillig.

Isabel erschauerte. Bevor sie den Mann nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, würde sie ihre Fluchtpläne jedenfalls nicht aufgeben. Mit jedem Schritt fühlte sie sich verlorener. Ihre Schwestern waren nicht hier, um ihr eine Stütze zu sein. Edwin hatte es nicht erlaubt, und es schmerzte Isabel mehr, als sie geglaubt hatte.

Sie erreichten den Burghof, wo gerade der Priester mit einem gut gekleideten Mann sprach. Außer einem schmalen, schneeweißen Haarkranz besaß Letzterer kaum noch Haare.

„Ist er das?“, fragte Isabel. Ihr Vater gab keine Antwort. Geistesabwesend blickte er in die Ferne.

Der ältere Mann schluckte schwer und wischte sich die Hände am Saum seiner Tunika. Er blickte umher, als suchte er jemanden.

Mit glühenden Wangen schickte Isabel ein stummes Stoßgebet zum Himmel. Gott, bitte rette mich vor dieser Heirat, dachte sie, als ihr Vater ihr Handgelenk fester packte.

Einen Moment später vernahm sie den Hufschlag eines sich nähernden Pferdes. Erschrocken blickten sie zum Himmel empor. „Das ging aber schnell.“

„Was ist?“, fragte Edwin.

„Nichts.“ Isabel zwang sich, ein gleichgültiges Gesicht zu zeigen. Das Hämmern der Hufe kam näher. Ihr Vater lächelte genugtuend und bedeutete dem Priester zu warten. Der ältere Mann gesellte sich zu den Gästen. Er war also nicht der Bräutigam.

Das Geräusch wurde lauter, und Isabels Vater machte eine Bewegung, als wollte er die Hand auf den Schwertknauf legen. Einige der Gäste sahen zu Edwin hinüber, und die Frauen blickten sich unsicher an. Der Priester drehte sich mit einem fragenden Ausdruck auf dem Gesicht zu Isabel.

Sie erstarrte. Ein Mann tauchte auf und ritt auf die Gäste zu. Seine Kleider waren bessere Lumpen, getrockneter Schlamm bedeckte den Saum seines Mantels. Und doch ritt er ein wendiges Pferd, einen Hengst, der eines Ritters würdig gewesen wäre.

Er hatte sein Schwert gezogen, als wollte er jeden niedermähen, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen. Gäste drängelten zurück, um sich vor dem Pferd in Sicherheit zu bringen, Frauen schrien.

Isabel schlug das Herz bis zum Hals. Doch sie richtete sich kerzengerade auf und weigerte sich zu schreien. Stattdessen eilte sie hinter einen der Männer ihres Vaters. Es war ein mit Pfeil und Bogen bewaffneter Kämpfer.

Was war nur los mit den Männern? Weder hatte sich einer von ihnen gerührt, noch hatte einer einen einzigen Pfeil verschossen. Das hier war ein einzelner Reiter. Der Eindringling bot ein leichtes Ziel. Wollte ihn denn niemand aufhalten?

„Tu doch was!“, schrie sie. Doch der Kämpfer beachtete sie nicht.

Der Mann zügelte sein Pferd und steckte das Schwert ein. Isabel stockte der Atem. Eine seltsame Vorahnung überkam sie. Nein. Das konnte nicht er sein.

Schwarzes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Seine harten Augen sahen Isabel durchdringend an. Er wirkte stolz, furchtlos – und wild. Seine Kleidung war seltsam. Er trug eine knielange, blaue Tunika und graubraune Beinlinge. Um seine Schultern hing ein zerlumpter roter Mantel, der von einer schmalen Eisenbrosche, so lang wie Isabels Unterarm, zusammengehalten wurde. Goldbänder umschlossen seine Oberarme und wiesen auf seine Königswürde hin.

Dass ihr Vater diese Unterbrechung schweigend duldete, konnte nur eines bedeuten. Dieser Barbar war ihr zukünftiger Gatte. Isabel biss sich auf die Lippen und bekämpfte die Furcht und das Verlangen, von hier zu fliehen.

Edward bestätigte ihre Vorahnung mit den Worten: „Isabel, das ist Patrick Mac Egan, König von Laochre.“

Sie wollte es nicht glauben. Während das Pferd und das Schwert dieses Wilden auf einen hohen Rang schließen ließen, sah der Mann eher aus, als käme er frisch vom Schlachtfeld und nicht von einem Thron. Und wo waren seine Eskorte und seine Diener? Könige reisten nicht allein. Ihr Misstrauen wuchs.

Der König stieg aus dem Sattel, und Isabel hatte ein wachsames Auge auf sein Pferd. Mehr denn je wollte sie fliehen. Vielleicht würde sie in der Abtei Zuflucht finden? Es gab eine winzige Chance, dass ihr Vorhaben gelingen könnte.

„Ihr seid Lady Isabel de Godred?“, fragte der Reiter. Sein singender Akzent verlieh der normannischen Sprache einen seltsamen Klang.

„Die bin ich.“ Sie starrte den Mann wütend an. „Ist das Eure übliche Art, bei einer Hochzeit zu erscheinen? Indem Ihr versucht, die Gäste umzubringen?“

„Isabel“, ermahnte ihr Vater sie. Isabel sagte nichts mehr und unterdrückte ihre Furcht. Die stahlharten Augen des Mannes musterten sie kühl. Isabels Blick fiel auf seine Hände. Zweifellos konnten sie sie in Stücke reißen.

Einen Moment lang blinzelte der barbarische König. Dann erschien wieder dieser wilde Ausdruck auf seinem Gesicht. „Bringen wir es hinter uns.“

Oh nein, nicht, wenn Isabel es verhindern konnte. Er war beileibe kein halber Teufel, eher ein ganzer. Wenn sie die Flucht ergreifen wollte, dann bot sich jetzt die einzige Gelegenheit dazu.

Isabel rannte zu Mac Egans Pferd. Sie griff an den Sattel und versuchte, sich hinaufzuziehen, als auch schon starke Arme sie packten. Kräftige Muskeln hielten sie gefangen.

Obwohl sie sich mit aller Kraft wehrte, zog der König sie vom Pferd, als wöge sie nicht mehr als eine Fliege, und presste sie an seine Brust. Isabel fühlte seinen warmen Körper. Mit dem Kopf reichte sie ihm gerade einmal bis an die Schultern. An seiner Haltung konnte sie die unterdrückte Wut ablesen.

„Ich kann Euch nicht heiraten“, beharrte sie. Das hier war nicht der liebenswürdige Gatte, der auf seinem Thron sitzen und ihr den Haushalt überlassen würde. Das war die Art Mann, der sie in Ketten legen und ihren Körper den Krähen vorwerfen würde.

Keiner achtete auf ihren Protest. Vater Thomas begann, die zeremoniellen Trauungsworte zu sprechen. Der König ergriff ihre Hand, und Isabel rauschte das Blut in den Ohren.

Das alles konnte nicht wahr sein. Dieser Mann würde sie ihrem Heimatland entreißen, sie zu der Insel Erin bringen, wo sie keine Familie hatte. Nie würde sie ihre Schwestern wiedersehen. Isabel wurde vom Schmerz überwältigt und kämpfte gegen die Tränen an.

Seine Hand drückte die ihre noch fester, und sie fing einen warnenden Blick auf. Wilde Wut stieg in Isabel auf. Was hatte sie verbrochen, dass sie mit einem solchen Gemahl gestraft wurde?

Der Priester wartete jetzt auf ihr Ehegelübde. Isabel schüttelte den Kopf. „Ich will Euch nicht heiraten“, stieß sie mit gepresster Stimme hervor.

„Ihr könnt genau so wenig wählen wie ich.“

Isabel versuchte, sich von ihm loszureißen, aber der irische König war stärker als sie. „Ihr möchtet Eure Freiheit haben, nicht wahr?“

Sie gab keine Antwort. Was meinte er?

„Willigt in diese Heirat ein, und Ihr werdet sie bekommen.“

Sie glaubte ihm nicht. Jeder Zoll an diesem Mann war unzivilisiert. Ihr Vater warf ihr einen eisigen Blick zu. „Schau dich um, Isabel. Hier ist keiner, der dich haben will, solltest du den König von Laochre nicht heiraten. Welcher Mann wünscht sich schon eine ungehorsame Frau? Du bringst Schande über dich.“

Ihre Augen füllten sich mit heißen Tränen, doch sie gab nicht nach. Die Hochzeitsgäste schienen sich unbehaglich zu fühlen.

Der König lockerte seinen Griff um ihr Handgelenk. Er brachte seinen Mund nahe an ihr Ohr und flüsterte ganz leise: „Euer Vater hat das Leben meines Volkes in der Hand, das Leben von Männern, Frauen und Kindern. Der einzige Weg, sie zu retten, ist die Ehe mit Euch. Und ich werde Euch heiraten, da könnt Ihr sicher sein.“

Eine einzige Träne löste sich und nässte ihre Wange. Ungewollt kam die Wahrheit ans Licht. Die Eroberung, die ihr Vater auf Erin gemacht hatte, hatte sie zu einem bloßen Unterpfand in diesem Handel werden lassen. Ihre eigenen Wünsche waren bedeutungslos. Das hier war eine politische Allianz, und das harte Gesicht des Königs machte deutlich, dass er eine Weigerung nicht dulden würde.

Sagte er die Wahrheit? Würden Kinder und Frauen sterben, wenn sie Nein sagte? Isabel drehte sich um und studierte das Gesicht ihres Vaters. In seinen Augen sah sie kein Erbarmen.

Sie sah sich Patrick Mac Egan genauer an. Neben dem Zorn entdeckte sie Erschöpfung und Zeichen von großer Trauer. Wenn er nun recht hatte, wenn wirklich Unschuldige sterben mussten, weil sie nicht zustimmte … Sie schloss die Augen und wusste, dass sie ihrem Schicksal nicht entkommen konnte. In diesem Augenblick schlossen sich die Ketten der Pflicht um sie.

Als der Priester erneut ihr Ehegelübde forderte, zwang sie sich zu einem zustimmenden Nicken. Augenblicklich war die Zeremonie beendet. Ihr Gatte drückte ihr einen Friedenskuss auf die Wange, und Isabel biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien.

Während der ganzen heiligen Messe hielt Patrick ihre Hand in der seinen gefangen. Isabel hörte kaum die Worte des Priesters. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie konnte es immer noch nicht glauben. So schnell war sie mit einem Mann vermählt worden, den sie nicht kannte, einem König, der Welten von ihrer Heimat entfernt lebte.

Später gingen sie in den inneren Burghof. Isabels Magen rebellierte beim Duft des zubereiteten Hochzeitsessens. Pfauen, ein gebratenes Schwein und jede Menge exotischer Kost erwarteten sie. Isabel konnte sich nicht vorstellen, auch nur einen Bissen davon anzurühren. Zu feiern war das Letzte, wozu ihr zumute war.

Patrick blieb vor seinem Pferd stehen. „Wir brechen jetzt auf. Sagt Eurem Vater Lebewohl, denn Ihr werdet ihn lange nicht sehen.“

Sein Befehl traf sie unerwartet. „Aber all mein Habe und meine Mitgift“, protestierte sie. „Die Wagen …“

„Wir lassen alles später holen.“

Isabel warf Edwin de Godred einen Blick zu. Sie konnte ihn nicht länger als ihren Vater sehen, um dessen Gunst und Liebe sie sich so verzweifelt bemüht hatte. Jetzt sah sie nur noch den Mann, der bereit war, sie dem Teufel als Gattin zu verkaufen, wenn es nur seinen Zwecken diente.

Ihr Vater trat auf sie zu. „Bevor die Heirat nicht vollzogen ist, könnt Ihr nicht abreisen.“

„Ich habe unsere Abmachung erfüllt.“ Patricks Gesicht verschloss sich, und er strich mit der Hand über Isabels Rücken. Isabel erstarrte bei dieser besitzergreifenden Geste. „Den Rest müsst Ihr nicht anzweifeln. Doch es geschieht zu meinen Bedingungen, nicht zu den Euren.“

Lord Thornwyck dachte nach, bevor er ihm schließlich eine versiegelte Pergamentrolle aushändigte. „Wenn ich nach Laochre zurückkehre und Isabel trägt in der Zwischenzeit keinen Erben, werde ich einen Beweis dafür verlangen, dass sie nicht länger Jungfrau ist.“

Isabels Gesicht brannte vor Zorn. Wie es schien, sahen sie in ihr eine Zuchtstute. Entsetzen durchfuhr sie bei dem Gedanken, sich diesem irischen König hinzugeben. Obwohl er sie gerade vor dem zeremoniellen Hochzeitsbett bewahrt hatte, zweifelte sie nicht daran, dass er des Nachts das Bett mit ihr würde teilen wollen. Ihre Haut kribbelte bei seiner Berührung. Doch das steigerte nur ihre Angst.

„Wir erwarten Euch an Lughnasa“, erwiderte Patrick. Er wartete die Antwort nicht ab, sondern hob Isabel auf sein Pferd. Dann sprang er hinter ihr in den Sattel und trieb den Hengst zum Galopp an.

Während das Pferd losstürmte, umfingen starke Arme Isabel mit eisernem Griff. Weder ihr Vater noch dessen Männer rührten sich, um den König aufzuhalten. Gott, das habe ich nicht gemeint, als ich dich bat, mich vor dieser Heirat zu retten, war Isabels letzter Gedanke.

Patrick hielt die Frau mit festem Griff, während sie über die Felder ritten. Er musste Abstand zwischen sich und Thornwycks Festung bringen. Auch wenn der Baron ihn hatte ziehen lassen, so traute er dem Wort der Normannen nicht.

Isabel de Godred hatte ihn überrascht. Er wusste selbst nicht so recht, was er erwartet hatte, aber sicher keine Ehefrau, die ihn des Mordversuchs an ihren Gästen beschuldigte. Er hatte sich ein unscheinbares, gehorsames Mädchen erhofft, das seine Befehle befolgen würde. Stattdessen beschenkte ihn das Schicksal mit einer schönen Frau, die aussah, als hätte sie in ihrem ganzen Leben noch keinem Befehl gehorcht. Selbst jetzt war ihr Körper angespannt, vermutlich wartete sie nur auf eine Gelegenheit zur Flucht.

Als stumme Antwort darauf, verstärkte er noch seinen Griff. Ohne Isabel konnte er sein Volk nicht befreien. Die von Thornwyck unterschriebenen Anordnungen genügten nicht. Der normannische Kommandant musste Isabel mit eigenen Augen sehen.

Patrick suchte den Horizont ab und fragte sich, ob er vielleicht einen Blick auf seine Brüder erhaschen konnte. Er hatte ihnen zwar befohlen, jenseits der walisischen Grenze zu bleiben, befürchtete aber, dass sie seinem Befehl nicht gefolgt waren. Während der Hochzeitsmesse hatte er eine leichte Bewegung zu seiner Linken wahrgenommen. Aber als er sich umdrehte, hatte er nichts Auffälliges gesehen.

Allerdings waren seine Brüder sehr geschickt. Wenn sie nicht gesehen werden wollten, glichen sie Schatten. Keiner würde sie entdecken. Die Angst, seiner Familie könnte etwas zustoßen, verstärkte das beklemmende Gefühl in seiner Brust; Anspannung und Sorge raubten ihm schier die Luft zum Atmen.

Grausame Erinnerungen ließen sein Herz bluten, Erinnerungen an Kinder, die im Feuer umgekommen waren. Die Frau seines Bruders – verschleppt und getötet von den normannischen Eindringlingen. Solch große Verluste. Und an alledem waren Thornwyck und die Streitmacht des Earl of Pembroke schuld. Er durfte gar nicht über die Frau nachdenken, die er da in seinen Armen hielt, denn sie war eine von ihnen.

Nach einigen Stunden hielt er sein Pferd Bel nahe einem Fluss an. Für die Rast wählte er einen Platz auf offenem Feld aus, wo Isabel nicht weglaufen konnte. Er hob sie herunter. „Ruht Euch einen Moment aus, und stillt Euren Durst. Füllt das hier am Fluss. Dann reiten wir weiter.“

Sie nahm den Wasserschlauch. „Warum habt Ihr mich geheiratet?“ Augen von der Farbe polierten Walnussholzes schauten ihn fest an. „Ihr sagtet, das Leben Eures Volkes hinge von dieser Heirat ab?“

Sie vergoss weder Tränen, noch schrie sie. Ruhig und nachdenklich begegnete sie seinem Blick.

„Als Euer Vater unsere Burg eroberte, wart Ihr Teil der Kapitulationsbedingungen. Er schwor, alle Überlebenden zu töten, wenn ich Euch nicht heirate.“

Isabel erbleichte. „Ich glaube nicht, dass er das wirklich getan hätte.“

Patrick wusste nicht, welche schützenden Mauern ihr den Blick auf die Wahrheit verstellt hatten, doch er weigerte sich, Edwin de Godreds Handlungen zu beschönigen. „Ihr könnt es ruhig glauben.“

Unsicher ging sie eine paar Schritte auf den Fluss zu. Patrick bezweifelte, dass sie an lange Ritte gewöhnt war. Wäre sie irgendeine andere Frau gewesen, hätte er für die Nacht einen Halt eingelegt.

Aber sie war nicht irgendeine Frau. Sie war eine von seinen Feinden und man durfte ihr nicht trauen. So lange er sich auf englischem Boden befand, konnte er nicht wissen, ob Thornwyck sich an ihre Abmachung hielt. Vielleicht litt sein Volk in diesem Augenblick. Vierzig normannische Kämpfer hielten es gefangen.

Er hatte keine Lust, seine Zeit mit Hochzeitsfesten oder der Hochzeitsnacht zu verbringen. Je eher sie Eíreann erreichten, desto besser.

Patrick kniete sich am Fluss nieder und schöpfte das kalte Wasser an seine Lippen. Nicht weit von ihm saß Isabel, die Hände im Schoß gefaltet. Der Wind spielte mit ihrem Schleier, ab und zu zeigten sich goldblonde Locken. Die braunen Augen leuchteten in dem Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den vollen Lippen. Einen Augenblick lang empfand Patrick fast Mitleid mit ihr. Keine Frau sollte eine Heirat wie diese ertragen müssen.

Sie gab ihm den Wasserschlauch. „Wie soll ich Euch nennen? Mein König? Mein Hoher Herr?“

„Patrick reicht.“ Es war erst ein Jahr her, dass er den Rang eines Kleinkönigs besaß und über seinen eigenen Stamm regierte. Immer noch hatte er sich nicht daran gewöhnt, der Anführer zu sein. Er wusste nicht, wie sein Vater diese Verantwortung so mühelos hatte schultern können. Er selbst hinterfragte jede Entscheidung, die er traf, besonders das Abkommen mit Lord Thornwyck.

„Ihr verspracht mir meine Freiheit. Habt Ihr vor, sie mir jetzt zu geben?“

Er schüttelte den Kopf. „Erst wenn wir Eíreann erreichen. Ich gebe Euch mein Wort.“

„Und ist Euer Wort überhaupt etwas wert?“

Er verschränkte die Arme. Langsam verstand er, warum Thornwyck ihm seine Tochter als Teil des Abkommens angeboten hatte. „Seid Ihr immer so schwierig?“

„Immer.“

Ihre Unverblümtheit ließ ihn beinahe lächeln. „Gut. Eine Frau ohne Rückgrat kann ich nicht brauchen.“ Wieder hob er sie auf den Rücken des Hengstes. In Isabels Gesicht blitzte kurz Verärgerung auf, doch sie beklagte sich nicht.

Sie besaß Mut, das musste er zugeben. Auch wenn er nie vergessen würde, was ihre Leute den Seinen angetan hatten. Schlimmer noch, die Heirat war nur ein Teil des Friedensabkommens. Der Rest des Vertrags ließ Sklaverei verlockend erscheinen. Der Preis, den er für das Leben seines Volkes bezahlt hatte, war viel zu hoch.

Während er sein Pferd vorwärtstrieb, konnte er nur beten, dass sein Stamm ertragen würde, was ihm bevorstand.

Isabel klammerte sich an die Hoffnung, dass diese unschickliche Heirat irgendwie nicht wirklich bindend war. Sie war zu klug, um eine Flucht zu versuchen. Ohne eigenes Pferd und Proviant würde sie nicht überleben. Außer, sie fand jemanden, der ihr half.

Doch wer? Edwin de Godred hatte klar zu verstehen gegeben, dass er diese Verbindung wünschte. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass seine jüngste Tochter jetzt an einen Fremden gebunden war und dazu noch an einen unkultivierten.

Warum hatte sie nur je zugestimmt? Sie hätte auf ihr Gefühl hören sollen und nicht auf Patricks Märchen von gefangenen Frauen und Kindern.

Mittlerweile ritten sie durch einen Wald. Der Weg schlängelte sich durch welkes Laub. Prächtige Eichen und Ebereschen säumten den Pfad, und ihre Zweige verwoben sich hoch über ihnen zu einem Dach. Die Landschaft ihrer Heimat lag hinter ihnen, ging über in ein Meer aus grüner, fruchtbarer Erde.

Nahe der walisischen Grenze zauberte die Nachmittagsonne einen hellen Glanz auf die Spitzen der grau-grünen Berge, die schön und mächtig aus der Landschaft aufragten. Hie und da grasten Schafherden an den Hügeln, weiße Flecke in diesem Meer aus Grün. Die Frühlingsluft kühlte Isabels Haut und mahnte die kommende Nacht an.

Vielleicht sah Isabel England zum letzten Mal. Sie versuchte ihrer Panik Herr zu werden. Du musst keine Angst haben, sagte sie sich. Verliere jetzt nicht den Kopf. So schlecht kann Erin nicht sein.

Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder zur Hochzeitsnacht. Sie betrachtete Mac Egans Hände, die von der Arbeit rau waren und nicht so glatt wie die Hände eines Edelmannes. Seine Arme, die die Zügel führten, zeigten eine verhaltene Kraft.

„Die Nacht bricht an“, wagte Isabel zu sagen. „Habt Ihr vor, in der Dunkelheit weiterzureiten?“

Keine Antwort. Sie versuchte es noch einmal, diesmal lauter.

„Wenn es zu dunkel ist, um den Weg zu erkennen, wird Euch ein Ast vielleicht bewusstlos schlagen. Dann könnte ich fliehen.“

Wieder Stille. Seinem stoischen Verhalten nach hätte der Mann auch eine Statue sein können.

„Wenn ich Glück habe, fressen uns vielleicht auch die Wölfe.“ Sie dachte darüber nach und versuchte, sich vorzustellen, was diesen Tag noch schlimmer machen könnte.

„Ihr redet viel zu viel. In ein paar Stunden schlagen wir unser Nachtlager auf.“

Isabel presste die Lippen zusammen. Der Gedanke, die Nacht allein mit diesem Mann zu verbringen, beunruhigte sie. Und während sie an ihn geschmiegt mit ihm ritt, steigerte die Wärme seines Körpers noch ihre Unruhe. Er schützte sie, hielt sie fest mit der Kraft eines Kriegers.

Sollte es wirklich so schwer zu ertragen sein, wenn sich sein Körper mit dem ihren vereinigte? Ihre Zofe hat von den Freuden geschwärmt, die man in den Armen eines Mannes genoss. Doch Isabel war nicht überzeugt. Ihr kriegerischer Gatte zeigte so gar keine Spur von Sanftheit. Der Gedanke, das Bett mit ihm zu teilen, ließ sie erschauern.

Nach einiger Zeit hielt Patrick sein Pferd an. Dicke, dunkle Wolken zeigten sich an dem lavendelblauen Himmel. Isabel konnte spüren, wie die Luft feuchter wurde. Vor sich sah sie keine Unterkunft, nur noch mehr Bäume.

Mit einer eleganten Bewegung sprang ihr Ehemann aus dem Sattel und hob sie dann vom Pferd. „Versucht nicht fortzulaufen.“

Sie musste fast lachen. „Und wohin sollte ich laufen?“

„Dorthin, wohin Ihr hattet flüchten wollen, als Ihr mir mein Pferd stehlen wolltet.“ Er nahm sie bei der Hand und führte sie in den Wald. Aus seinem Gepäck zog er einen dicken Packen schweren Stoffs, der sich als ein kleines Zelt herausstellte. Es war kaum groß genug für eine einzelne Person, geschweige denn für sie beide. Er baute das Zelt auf und deutete darauf. „Warte hier. Ich gehe auf die Jagd nach etwas Essbarem.“

Isabel sah zu den dicken Wolken hinauf und hoffte, dass er vorhatte, sie in dem Zelt allein schlafen zu lassen. Sie wollte zu dem Unterschlupf gehen, als Patrick sie aufhielt. Er sah ihr fest in die Augen, ein beutegieriger Mann, der keine Gnade kannte. „Ihr solltet Euch bis zu meiner Rückkehr ausruhen. Wir müssen noch eine Strecke reiten, bevor wir uns ein Lager für die Nacht bereiten.“

Isabel rang um Fassung. „Habt Ihr denn keine Vorräte bei Euch? Es ist nicht nötig, auf die Jagd zu gehen.“ Mehr als nur ein wenig ängstlich sah sie zu dem langsam dunkel werdenden Himmel hinauf. Was, wenn er sie an diesem Ort einfach zurückließ?

Patricks Gesicht war ihr so nahe, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Wange fühlen konnte. „Ich werde bald zu Euch zurückkommen.“

Gegen ihren Willen wurde es Isabel ganz warm. Sie zwang sich, zur Seite zu schauen.

Er brachte sie ins Zelt und warf ihr ein Stück Wollstoff zu. „Deckt Euch mit dem brat zu, damit Ihr es warm habt.“

Während er zum Pferd ging, wuchs Isabels Angst. Was, wenn ein Dieb oder ein Mörder sie überfallen würde? Sie wäre allein und hilflos. „Ich hätte gerne eine Waffe“, bat sie hastig. „Bitte.“

Er drehte sich um und warf ihr einen zweifelnden Blick zu. „Wozu?“

„Falls ich überfallen werde. Oder um mich gegen ein Tier zu wehren.“ Isabel schlüpfte aus dem Zelt und deutete auf seinen Köcher. „Ich weiß mit Bogen und Pfeilen umzugehen.“

„Keine Waffen. Ich habe nicht vor, weit zu gehen, und ich möchte lieber nicht, dass Ihr mich bei meiner Rückkehr erschießt.“ Er zog seine Kapuze über, stieg aufs Pferd und verschwand im Wald.

In diesem Augenblick begann es zu regnen. Es war ein schwerer, prasselnder Regen, der Isabels seidenes Gewand durchnässte. Etwas schnürte ihr die Kehle zu, und sie verkroch sich ins Zelt. In Strömen klatschte der Regen gegen das schwere Tuch, und Isabel verwünschte Patrick dafür, dass er sie hierhergebracht hatte. Sie verfluchte ihren Vater für diese Heirat und sie verfluchte sich, weil sie sich nicht vom Pferd gestürzt hatte, als Patrick sie mit sich nahm.

In der Ferne vernahm sie ein geisterhaftes Heulen. Rasch schickte sie noch ein stummes Gebet zum Himmel.

Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war, dass ihr frischgebackener Ehemann tatsächlich von Wölfen gefressen wurde.

2. KAPITEL

Vom Regen durchnässt, preschte Patrick auf seinem Hengst über die walisische Ebene. Das schlechte Wetter half ihm dabei, einen klaren Kopf zu bekommen.

Als er das Königtum annahm, hatte das geheißen, dass er Opfer würde bringen müssen. Wenn es um die Belange seines Stammes ging, zählten seine persönlichen Gefühle nicht. Er hatte diese normannische Frau geheiratet. Jetzt wollte er seine Leute befreien.

Am Horizont zeichnete sich schattenhaft das Lager seiner Brüder ab. Das Feuer flackerte heftig in der Dämmerung. Patrick erreichte das Lager und stieg vom Pferd.

„Hübsches Wetter“, bemerkte sein Bruder Trahern. Er stand neben dem Feuer, das sie mit einem Fell vor dem Regen schützten. Traherns braune Haare und sein lockiger Bart troffen vom Regen. Er überragte seine beiden Brüder. Seine Größe machte einem Riesen aus den alten Geschichten Konkurrenz.

„Es scheint meinem Hochzeitstag angemessen.“ Patrick band Bel an und tätschelte den Hengst.

Bevan, der dritte Bruder, stand auf und ging auf und ab. „Ich fragte mich schon, wie lange du brauchen würdest. Ich würde es deiner normannischen Braut zutrauen, dich im Schlaf zu erdolchen.“

Patrick zuckte die Achseln. „Sie ist harmlos.“

„Wir waren dort, hinter der Kirchenmauer“, gestand Trahern. „Sie hat sich dir nicht gerade in die Arme geworfen.“

„Das hättet ihr nicht riskieren sollen. Ich wollte nicht, dass ihr kommt.“

„Und sollten die Hochzeit unseres ältesten Bruders verpassen?“ Trahern grinste. Er hob den Kopf und ließ sich den Regen über das Gesicht laufen. „Die normannischen Wachen sahen uns nie. Es war gar nicht schwer, im Verborgenen zu bleiben, solange wir uns nur von den Gästen fernhielten.“

„Ich traue Thornwyck nicht.“ Bevan setzte sich ans Feuer. Die Flammen beleuchteten eine Narbe auf seiner Wange. Anders als sein Bruder, zog er sich als Schutz vor dem Regen seine Kapuze über den Kopf. „Und wir hätten dich nie allein gehen lassen sollen. Die Normannen hätten dich gefangen nehmen können.“

Patrick trat an das Funken sprühende Feuer und streckte die Hände aus, um sich zu wärmen. „Sind Thornwycks Männer uns gefolgt?“

„Nein“, antwortete Bevan. „Doch ich bezweifle, dass er bis Lughnasa damit warten wird. Er wird noch mehr Streitkräfte heranschaffen und versuchen, Laochre zu nehmen.“

Patrick nahm einen Trinkschlauch mit Met, den ihm die Brüder anboten und trank. Wie ein dunkler Schatten senkte sich eine bittere Niedergeschlagenheit über ihn. „Ich wollte nicht, dass unsere Männer Sklaven der Normannen werden.“

„Und wie willst du ihn aufhalten?“

„Ich habe meine Pläne“, log er. In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Die Befehle, die er bei sich trug, würden sein Volk befreien. Doch die weiteren Bedingungen des Abkommens lauteten, dass die Normannen bei ihnen untergebracht wurden. Der Gedanke an ein Zusammenleben der beiden Gruppen bereitete Patrick Kopfschmerzen.

„Und was ist mit deiner Braut?“, fragte Bevan. „Du kannst ihr nicht erlauben, als deine Königin zu regieren.“

„Ich weiß.“

Dass er sie geheiratet hatte, erschien ihm bereits wie ein verblassender Traum. Er fühlte sich nicht verheiratet, am wenigsten mit einer Normannin. Sein Stamm würde sie nie akzeptieren. Zu ihrem eigenen Schutz musste er sie von seinen Leuten fernhalten. „Ich werde sie nach Ennisleigh bringen. Sie soll keiner Gefahr ausgesetzt sein.“

Bevan entspannte sich und ließ die Hände auf den Knien ruhen. „Gut. Wir haben schon genug Probleme.“ Er deutete in die Ferne. „Ich nehme an, du hast sie an einen Baum gebunden? Sonst musst du sehen, wie du sie wieder aufspürst.“

„Einen Moment lang dachte ich daran.“ Patrick erinnerte sich an den Fluchtversuch seiner Braut vor der Hochzeit. „Aber nein, ich ließ sie im Zelt zurück.“

„Wieso hast du sie nicht hierher gebracht?“

„Weil er mit ihr allein sein will, Dummkopf.“ Trahern stieß Bevan mit dem Ellbogen in die Rippen. „Ein Mann sollte seine Hochzeitsnacht genießen.“

Patrick sagte nichts, ließ die Brüder denken, was sie wollten und bezwang den aufsteigenden Zorn. Er hatte nicht die Absicht, seine Braut anzurühren und sie wirklich zu seiner Frau zu machen. Er konnte sich nicht vorstellen, mit ihr ein Kind zu zeugen.

Die Ehe würde nicht von Dauer sein. Nach Lughnasa, sobald sein Stamm die Nordmänner verjagt hatte, konnten Isabel und er getrennte Wege gehen. Er beabsichtigte, dem Erzbischof eine Bittschrift um Annullierung der Ehe zu schicken. Schade, dass er sie nicht in Eíreann hatte heiraten können. Die Gesetze seines Landes machten es einem viel leichter, eine ungewollte Ehe wieder zu lösen.

„Ich sollte zurückreiten“, sagte er ruhig. „Ich muss uns noch ein Abendessen erjagen.“

Trahern brachte zwei Hasen zum Vorschein. „Nimm die und bereite deiner Braut ein anständiges Hochzeitsessen.“

„Die wollte ich essen“, brummte Bevan. Doch dann zuckte er die Achseln und fügte hinzu: „Guten Ritt.“

„Wir werden euch demnächst an der Küste treffen.“ Patrick umarmte seine Brüder und sagte ihnen Lebwohl. „Slán.“

Er warf die Hasen vor sich übers Pferd und machte sich auf den Rückweg zu Isabel. Er erlaubte Bel die Führung zu übernehmen, denn das letzte Sonnenlicht war dabei, hinter den Bergen zu verschwinden.

Während er querfeldein galoppierte, schwor er sich, dass Isabel de Godreds Gegenwart sein Leben nicht verändern würde. Noch würde sie auf irgendeine Weise zu einer Gefahr für den Stamm der Mac Egans werden.

Als er zum durchweichten Zelt zurückkam, saß Isabel mit gebeugten Schultern da. Ihr nasses Haar klebte an ihrem Gewand. In den dunkelbraunen Augen loderte die Empörung über die schändliche Behandlung.

„Ich habe Essen mitgebracht“, sagte Patrick und hielt die zwei Hasen hoch. „Und wenn Ihr den Weg noch schaffen könnt, so gibt es nicht weit von hier eine verlassene Hütte.“

Sie nickte zitternd. „Ich bin mit allem einverstanden, wo ein Feuer brennt.“

Er half ihr, das provisorische Zelt zusammenzupacken und hob sie aufs Pferd. Sie zuckte zusammen, erwähnte aber die Schmerzen mit keinem Wort. Als er sich hinter ihr in den Sattel schwang, zitterte sie heftig am ganzen Körper.

Kälte ließ sein Herz zu Eis erstarren. Sie verdiente kein Mitleid. Sie war ein Mittel zum Zweck, sonst nichts. Trotz seiner Entschlossenheit fühlte er Gewissensbisse, weil er eine Frau so behandelte.

Sie ist eine Normannin, ermahnte ihn sein Verstand. Das durfte er nicht vergessen.

Vornübergebeugt trieb er sein Pferd an. Isabels Haltung blieb steif und starr, sie wies jede Wärme ab, die sein Körper ihr hätte geben können. Er sollte dankbar dafür sein, dass sie nicht weinte oder sich an ihn klammerte. Und doch war es das erste Mal für ihn, dass eine Frau vor ihm zurückwich.

Das Schweigen hielt an, während sie Meile um Meile zurücklegten. Endlich erreichten sie einen Waldrand. Nahe dabei stand eine verlassene Hütte, die er zuvor auf seiner Reise entdeckt hatte. Patrick ritt langsamer, gab die Zügel nach und ließ den Hengst auf den Unterstand zugehen.

Sobald sie ihn erreicht hatten, stieg er vom Pferd und half Isabel hinunter. Stirnrunzelnd starrte sie die mit Stroh gedeckte Hütte an.

„Jetzt verstehe ich, warum man sie verlassen hat.“

Das Dach musste neu gedeckt werden, und ein Teil der Mauer war abgesackt, sodass die Hütte zusammenzubrechen drohte. Patrick führte Bel zu einem kleinen, mit Wasser gefüllten Graben. Dann öffnete er Isabel die Tür.

„Geht hinein, während ich noch mein Pferd versorge“, befahl er. Er nahm den Sattel ab und rieb den Hengst trocken. Als er fertig war, kam er in die Hütte und war dankbar, dort einen kleinen Stapel trockenes Feuerholz vorzufinden. Mit Flintstein und Stahl schlug er Feuer. Isabel beobachtete ihn dabei.

„Ich glaubte, Ihr hättet mich verlassen“, murmelte sie.

„Ist es nicht das, was Ihr wolltet?“

„Mitten im Nirgendwo verlassen zu werden?“, fragte sie. „Nein.“ Sie zitterte wieder und trat näher an das kleine Feuer heran, das Patrick in der Feuerstelle entfacht hatte. „Ich hatte Angst“, gestand sie.

„Vor Wölfen?“

Sie schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. „Vor Dieben. Wenn jemand gekommen wäre, hätte ich mich nicht verteidigen können.“

In ihren Worten steckte ein Funken Wahrheit. Sie hatte recht. Er hatte ihren Schutz vernachlässigt. Aber er entschuldigte sich nicht dafür.

„Seid Ihr hungrig?“

Als sie nickte, fuhr er fort: „Ich werde das Essen zubereiten. In der Zwischenzeit holt den Trinkschlauch mit dem Met, der am Sattel festgebunden ist.“

Isabel ging hinaus, und Patrick kümmerte sich ums Feuer, bis es mit starker Flamme hell aufloderte. Er sorgte sich nicht darum, dass Isabel eine Flucht wagen könnte. Sie waren meilenweit von jeder Behausung entfernt, und die Dunkelheit würde sie schon davon abhalten zu fliehen.

Er zog den Hasen das Fell ab und steckte sie auf einen Spieß, bevor er sie übers Feuer hängte. Isabel kehrte mit dem Met zurück. Plötzlich schrie sie auf und ließ den Trinkschlauch fallen. Patrick zog sein Schwert, doch niemand stand an der Tür. Eine große Ratte lief an Isabel vorbei und schoss in der Hütte umher.

Isabel riss einen dicken Ast vom Holzstoß. Sie ließ ihn herumwirbeln und schlug kreischend damit auf den Boden, wenn sich das Tier ihren Röcken näherte.

Die Ratte sprang vom Feuer fort, und Patrick musste sich ducken, weil der Prügel beinahe seinen Kopf getroffen hätte.

„Was, bei Lugh, ist denn los?“, fragte er.

„Jagt sie hinaus“, schrie Isabel. Ihr entsetztes Gesicht und der wild wirbelnde Ast zwangen Patrick zu handeln. Er öffnete die Tür und beförderte die Ratte mit einem Fußtritt nach draußen.

Immer noch den Ast umklammert, sprang Isabel auf eine Holzbank. Sie hatte die Hand aufs Herz gelegt und presste angstvoll die Lippen zusammen. Es war mehr als der bloße Ekel, wie ihn Patrick oft in den Gesichtern von Frauen hatte sehen können. Sie war völlig außer sich vor Furcht.

„Ihr habt sicher schon früher Ratten gesehen“, bemerkte er.

Obwohl Isabel nickte, schien ihre Furcht nicht nachzulassen. „Ich hasse sie. Mäuse auch. Und alles, das nagt.“

Er konnte dem Bedürfnis, sie zu necken, nicht widerstehen. „Wahrscheinlich leben sie im Strohdach.“

Ein Wimmern kam über ihre Lippen. „Oh Gott, bitte nein.“

Er trat näher, nahm ihr die Waffe ab und warf den Ast ins Feuer. Während er vor ihr stand, bemerkte er, wie sehr sie zitterte. Ihr Schleier hatte sich von dem dünnen Goldreif gelöst, und sie umklammerte ihr rotes Gewand. Als sie die Augen zu ihm hob, lag so große Furcht darin, dass Patrick ein schlechtes Gewissen bekam, weil er sie geneckt hatte.

Er betrachtete sie, ihre warmen, braunen Augen und die blassen Wangen. Sie duftete wie eine Mischung aus Geißblatt und Rose und war jeder Zoll eine Dame. Auch wenn sie all ihren Mut zusammenraffte und nicht vor ihm zurückwich, war ihre Furcht vor ihm doch größer. Es war die Furcht einer Frau, die noch nie bei einem Mann gelegen hatte. Nass wie sie war, zeichnete sich jede Linie ihres Körpers durch die Seide ab, ein Anblick, der sündige Bilder in ihm heraufbeschwor. Er dachte daran, wie es wäre, ihr den seidigen Stoff von den Schultern zu streifen und die Lippen auf ihren warmen Körper zu pressen.

Er durfte nicht schwach werden und sie anfassen – auch wenn es schon viele Monde her war, seit er die Freuden eines Frauenkörpers genossen hatte.

Also wechselte er das Thema. „Die Bank bricht gleich zusammen.“ Isabel verzog das Gesicht und betrachtete den Boden, als ob sie eine Invasion von Ratten in der Hütte erwartete.

Weil sie zögerte, nahm er sie in die Arme und trug sie zur gegenüberliegenden Seite. Sie fühlte sich kalt an. Er setzte sie auf einen Tisch. Zitternd zog Isabel die Knie an. Patrick kehrte zur Feuerstelle zurück und drehte die Hasen um. „Wieso jagen sie Euch solche Angst ein?“

Sie verbarg das Gesicht auf den Knien. „Meine Schwestern Patrice und Melisande spielten mir einen Streich als ich klein war. Sie setzten mir Mäuse ins Haar, während ich schlief.“

„Sind es Eure jüngeren Schwestern?“

„Ältere.“ Sie hob den Blick. „Ich bin keine reiche Erbin, falls Ihr daran denken solltet, Land zu fordern.“

„Ich brauche kein Land. Euer Vater und ich haben eine andere Abmachung getroffen.“

In dieser Abmachung hatte Thornwyck seine Enkel zu den künftigen Königen von Eíreann bestimmt. Patrick warf noch ein Stück Holz ins Feuer. Es würde keine Kinder geben. Das war seine Art von Rache. Selbst wenn Thornwyck Patricks Stamm gefangen nehmen, Laochre erobern und eine Allianz erzwingen konnte, dies hier war wenigstens etwas, das der Baron nicht unter seiner Kontrolle hatte.

Endlich hatte seine Gemahlin aufgehört zu zittern. Sie nahm den Schleier ab und kämmte mit den Fingern ihre langen, blonden Haare, damit sie trockneten. Sie schimmerten im Schein des Feuers und hoben sich lebhaft von ihrem roten Kleid ab. Isabel drehte sich, um sich an anderer Stelle zu wärmen. Als sie merkte, dass er sie beobachtete, runzelte sie die Stirn. Patrick wandte sich ab und sah wieder nach den Hasen. Nach einiger Zeit erfüllte der verlockende Duft von gebratenem Fleisch die Luft. Der Saft troff vom Fleisch, und Patrick schnitt ein Stück herunter und bot es Isabel zusammen mit einem harten Stück Brot an. Sie brach sich ein Stück ab und reichte ihm den Rest des Brotes. „Danke.“

„Ich hatte nicht vor, Euch verhungern zu lassen“, meinte er. „Es braucht keinen Dank.“

„Er ist nicht nur für das Essen …“ Sie errötete. „Auch dafür, dass Ihr mich nach der Zeremonie nicht in Euer Bett genommen habt.“ Sie senkte den Blick und starrte auf das bratende Fleisch.

Patrick durchquerte den Raum und stellte sich vor sie. Sie musste wissen, welche Rolle sie in dieser Verbindung spielte. Er legte die Hände auf den Tisch, sodass sie ihm nicht ausweichen konnte. Er krallte die Finger in das Holz und verbarg weder die Wut noch die Empörung, die ihn erfüllte.

„Ihr müsst nicht fürchten, dass ich Euch jetzt noch sonst irgendwann in mein Bett nehme.“

Isabel erbleichte, doch er ließ sich nicht beirren. Diese Heirat war Teil der Kapitulationsbedingungen, keine wahre Ehe. Sie würde nie Königin sein oder seine Söhne tragen.

Am Besten, sie gewöhnte sich schon jetzt daran.

Isabel stöhnte auf, als Sonnenstrahlen sie blendeten. Sie versuchte, sich auf dem Tisch aufzurichten, auf dem sie geschlafen hatte. Ihr Gemahl hatte nicht gegen die Wahl ihres Schlafplatzes protestiert, und sie hatte ihre Haare mit dem Schleier bedeckt. Trotzdem war sie aus Angst vor Ratten nur mit Mühe eingeschlafen.

Was für eine seltsame Hochzeitsnacht. Sie wusste nicht, was sie über Patrick Mac Egan, noch über ihre gemeinsame Zukunft denken sollte. Ihr Gatte stand mit dem Rücken ihr zugewandt im Türbogen. Isabel bemühte sich, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Seine Tunika hing neben dem fast erloschenen Feuer, und er war bis zur Hüfte nackt. Seine bronzefarbene Haut schimmerte im Sonnenlicht und ausgeprägte Muskeln bewiesen, wie stark er war.

Als er sich reckte, hielt Isabel den Atem an. Nein, zahnlos und alt war er wirklich nicht. Letzte Nacht hatte er ihr die Angst genommen, als er ihr sagte, dass er sie nicht in sein Bett nehmen würde. Eigentlich hätte sie jetzt eine übergroße Erleichterung verspüren müssen.

Stattdessen machte sein Verhalten sie eher misstrauisch. Und sie fühlte sich nicht wohl bei dieser Abmachung. Wieso wollte er, dass sie Jungfrau blieb? Und wie lange wollte er sie allein lassen? Ihr Vater hatte ihnen beiden gedroht, sollte sie bei seiner Ankunft in Erin nicht schwanger sein. Edwin de Godred würde nicht zögern, sie zu demütigen.

Isabel schwang sich vom Tisch und suchte ängstlich den Boden nach irgendwelchen Nagern ab. Sie fühlte sich steif, und ihre Glieder schmerzten. Und, du lieber Himmel, heute stand ihr ja ein weiterer Ritt bevor. Ihr Po war bereits von der gestrigen Reise ganz wund.

Patrick drehte sich um. „Schön. Ihr seid wach. Frühstückt, dann brechen wir auf.“

Isabel sah das heruntergefallene Stück Stoff auf dem Boden und legte es sich um die Schultern. Einen brat hatte er es genannt. Wenigstens wärmte es sie in der morgendlichen Kühle. Sie aß das Stück Brot, das er ihr übrig gelassen hatte und wagte sich dann hinaus.

Die aufgehende Sonne schimmerte durch den Wald, und das nasse Gras glänzte. „Erwartet man von Königinnen nicht, dass sie in einer Sänfte reisen?“, murrte sie.

„Ihr seid keine Königin.“

„Aber ich glaubte …“

„Ihr seid eine Braut, keine Königin. Ihr werdet nicht über meinen Stamm herrschen.“

Zorn lag in seiner Stimme, eine dunkle Drohung, die Isabel erzittern ließ.Was erwartete er von ihr? Als seine Frau hatte sie Verantwortung zu tragen. Sie runzelte die Stirn, während er sie auf den Hengst hob. „Warum macht Ihr Euch dann die Mühe, mich nach Erin zu bringen?“

„Weil die Normannen einen Beweis dafür brauchen, dass ich Wort halte. Nur dann werden sie dem Befehl Eures Vaters gehorchen und mein Volk freilassen.“

Während der restlichen Reise plagte sie sich nicht mehr damit ab, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Insgeheim ärgerte sie sich. Er wollte nicht, dass sie eine Rolle in seinem Leben spielte. Was erwartete er dann von ihr? Dass sie in der Ecke saß und spann, bis sie verfaulte?

In ihr kochte eine stille Wut. Oh ja, sie war Normannin, aber sie hatte nichts Böses getan. Bei dieser Heirat hatte sie keine Wahl gehabt, doch sie weigerte sich, sich wie eine Feindin behandeln zu lassen.

Letzte Nacht hatte sie stundenlang wach gelegen und versucht zu entscheiden, was sie jetzt tun sollte. Sie konnte sich wie ein Kind benehmen und zu fliehen versuchen, aber das war keine Lösung. Patrick oder ihr Vater würde sie zurückholen.

Sie konnte nicht länger nach Hause oder zu ihren Leuten zurückkehren. Ob sie wollte oder nicht, als verheiratete Frau hatte sie keine andere Wahl, als bei Patrick Mac Egan zu bleiben.

Ihr Gatte behauptete, Edwin würde seine Stammesmitglieder hinrichten lassen, wenn Isabel ihm nicht nach Irland folgte. Er sagte, Kinder wären in Gefahr.

Allein dieser Gedanke nagte an ihrem Herzen. In Schlachten geschahen grausame Dinge. Sie selbst hatte es einmal gesehen, und noch jetzt schauderte sie bei der Erinnerung an ein brennendes Dorf.

Auch wenn ihre Eskorte dafür gesorgt hatte, dass sie weit weg von dem Gemetzel blieb, hatte sie die Schreie der Opfer nie vergessen können. Ein kleiner Junge, kaum älter als drei Jahre, hatte neben einer toten Frau gestanden und um seine Mutter geschluchzt. Keiner war ihm zu Hilfe gekommen.

Sie wünschte, sie hätte damals ihrer Eskorte befohlen anzuhalten. Sie hätte den Jungen mitnehmen müssen, auch wenn sie selbst erst sechzehn Jahre alt gewesen war. Ohne jemanden, der sich um ihn kümmerte, war er wahrscheinlich gestorben.

Möglich, dass Patricks Volk das gleiche Schicksal erlitten hatte wie die Dorfbewohner. Sie wollte es nicht glauben. Aber was, wenn es stimmte? Wie konnte sie mit sich selbst in Einklang leben, wenn sie aus selbstsüchtiger Angst andere sterben ließ?

Nein, bevor sie nicht genau wusste, was seinem Volk zugestoßen war, konnte sie ihn nicht verlassen. Sie würde ihren Gemahl nach Erin begleiten und die Wahrheit erfahren.

Isabel atmete tief durch und bemühte sich, einen klaren Kopf zu behalten. Wenn Patrick erst einmal sah, wie gut sie einen Haushalt zu führen verstand, würde er ihr schon erlauben, sich nützlich zu machen. Irgendwie würde sie schließlich doch noch einen Weg finden, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken und sich selbst einen Platz in seinem Königreich zu verschaffen.

Ihre Zukunft hing davon ab.

Im Licht des Sonnenuntergangs tauchte die Küste vor ihnen auf. Die letzten Spuren des Tageslichts verschwanden am bewölkten Horizont, und Patrick sah in einiger Entfernung die Pferde seiner Brüder grasen. Erleichterung erfüllte ihn, da er jetzt wusste, dass sie in Sicherheit waren.

Er zügelte seinen Hengst und ließ ihn langsamer gehen. Die Wellen schlugen auf den Sand und sprühten Schaum in die salzige Luft. Am Strand wartete ihr Schiff auf die morgendliche Flut. Es war groß genug, sie selbst und ihre Pferde aufzunehmen. Ohne die Hilfe seiner Brüder konnte Patrick es nicht segeln.

Nahe den Höhlen hielt Patrick an und stieg vom Pferd. Isabel fielen bald die Augen zu. Nur noch mit Mühe hielt sie sich aufrecht. Patrick hob sie herunter, und sie taumelte ein paar Schritte, bevor sie wieder sicher auf ihren Füßen stand.

„Ich glaube nicht, dass ich je wieder reiten möchte“, murmelte sie. Er ließ es zu, dass sie sich an ihn lehnte, während sie auf die Höhlen zugingen. Schließlich entdeckte Patrick nahe den Höhlen den goldenen Widerschein eines Feuers. Wie er sich auf eine geruhsame Nacht freute! Nur zwischen seinen Brüdern konnte er in Ruhe schlafen. Jeder von ihnen würde sein Leben für den anderen geben.

„Kommt.“ Er führte sie zum Eingang der Höhle. Isabel stolperte über einige Felsbrocken, und er konnte sie im letzten Moment halten. Sie richtete sich auf und ging weiter. Auch wenn sie von zierlicher Gestalt war, ihre Willenskraft konnte es mit der seinen aufnehmen.

Nahe dem Eingang stand in gebückter Haltung sein Bruder Trahern. Sein Kopf streifte beinahe die steinerne Decke. „Dann ist diese hübsche cailín also deine neue Frau?“

Isabel riss sich zusammen. „Das bin ich.“

„Ich bin Trahern Mac Egan“, stellte er sich vor. „Und ich bin neugierig – warum seid Ihr meinem Bruder nicht davongelaufen? Ich hätte alles getan, um zu flüchten.“

Sie steckte eine Locke, die sich hervorgestohlen hatte, wieder unter ihren Schleier zurück und lächelte ihn verlegen an. „Woher wisst Ihr, dass ich es nicht versucht habe?“

„Umso schlimmer, dass es dir nicht gelungen ist.“ Trahern brach in Gelächter aus. „Komm und iss mit uns, Schwester. Bevan hier ist schlecht gelaunt, weil er die Wette verlor. Er glaubte, du würdest davonlaufen.“

Die Narbe auf Bevans Wange färbte sich weiß. Er bot ihr keinen Willkommenskuss an, und Patrick bestand nicht auf diese Geste der Höflichkeit. Ihm war lieber, wenn sein Bruder Schweigen bewahrte.

Er führte Isabel zum Feuer. Zitternd kauerte sie sich dicht an die Flammen, um sich zu wärmen. Sie strich sich über den Po und schloss die Augen, als müsste sie einen Schmerz unterdrücken.

„Es wird nicht mehr geritten“, versicherte ihr Patrick. In Wahrheit war er selbst erleichtert darüber, auch wenn er sich nicht gerade auf die bevorstehende Reise in der Morgendämmerung freute. Er hasste es, machtlos den Winden ausgeliefert zu sein.

„Darüber bin ich froh.“ Isabel ließ den brat von den Schultern gleiten. Ein Wust feuchter Locken fiel ihr über die Schultern bis zur schlanken Taille hinab. Sie erwiderte unbefangen seinen Blick. Patrick sah zur Seite. Sie mochte eine schöne Frau sein, doch er hatte kein Recht, sie so anzuschauen. Sein Schwur, sie nicht anzurühren, ließ ihn alle Wünsche seines verräterischen Körpers unterdrücken.

Trahern hustete. Patrick verstand die versteckte Botschaft und trat ein paar Schritte zurück. Sein Bruder öffnete einen Beutel und bot ein Stück Brot an. Dann reichte er einen Schlauch mit Bier herum. Isabel nahm von dem Brot und stillte ihren Durst. Patrick sah, dass ihr Gesicht von Erschöpfung gezeichnet war. Ihre braunen Augen blickten angespannt, und ihre Haut schien viel zu blass.

Während er seinen eigenen Hunger stillte, beobachtete er sie verstohlen. Sie hatte den Schleier abgelegt und sich etwas von ihnen abgewendet. Dann begann sie die wirren goldenen Locken wieder zu Zöpfen zu flechten. Weil Patrick keine Schwestern besaß, hatte er das noch nie bei einer Frau gesehen. Ihr dabei zuzuschauen, wie sie mit schlanken Fingern die Strähnen ineinanderflocht, erschien ihm beinah schon wie ein vertrautes Beisammensein. Mit hochgezogenen Knien saß sie an der Höhlenwand, fast wie ein Kind.

Doch ihre Silhouette konnte ihre Weiblichkeit nicht verleugnen. Der Regen hatte ihr das Gewand an den Körper geklebt, und die harten Knospen ihrer Brüste drückten sich durch den Stoff. Patrick fragte sich, wie es wohl wäre, sie zu berühren.

Er ging zum Eingang der Höhle und holte tief Luft. Die Nachtluft schmeckte nach Salz.

„Was wird aus mir, wenn wir Erin erreichen?“, fragte Isabel schließlich.

„Ich werde Euch die Freiheit schenken, wie ich es versprochen habe.“ Wenn er sie nach Ennisleigh ins Exil schickte, konnte sie sich nach Belieben auf der Insel bewegen und schadete niemandem. Er würde sie nicht jeden Tag sehen müssen, und sie konnte ihn auch nicht in Versuchung führen.

„Ich möchte meine Aufgaben kennen.“

„Darüber müsst Ihr Euch nicht den Kopf zerbrechen.“

„Weil ich nie Königin sein werde, nicht wahr?“ Blanke Erschöpfung trat in ihre Augen, und Isabel wandte sich ab.

Noch nie hatte sie sich so allein gefühlt. Man hatte ihr weder erlaubt, eine Zofe mitzunehmen, noch irgendetwas von ihrem Besitz. Verzweiflung stieg in ihr auf und umhüllte sie mit dem eisigen Mantel der Einsamkeit.

Im Feuer knackte ein Stück Holz und schickte Funken in die Luft. Zuckende Flammen zauberten Schatten auf Patricks Gesicht. Seine Brüder saßen an der gegenüberliegenden Wand und steckten in halblautem Gespräch die Köpfe zusammen.

„Was ist mit dem Besitz? Ich kenne mich mit den Gepflogenheiten auf einer Burg aus, ich kann mich um den Haushalt kümmern. Oder soll ich die Rechnungsbücher führen? Ich bin mit Euren Ländereien nicht vertraut, aber vielleicht …“

Als Patrick auf sie zutrat, unterbrach sie ihren Redefluss.

Mit rauer Hand hob er ihr Kinn, bis sie gezwungen war, ihn anzuschauen. Der Schein des flackernden Feuers schenkte der Höhle eine gewisse Intimität.

„Ihr seid für nichts verantwortlich.“ Seine weiche, tiefe Stimme und seine Nähe ließen Isabel erzittern. Sie vermochte kaum zu atmen, und in ihrem Kopf überstürzten sich wirre Fluchtgedanken.

Graue Augen von der Farbe frisch gehauenen Steins starrten sie unverwandt an. Isabel wollte wegschauen, trotzdem zwang sie sich, seinem prüfenden Blick standzuhalten. Ihr Gemahl konnte alles mit ihr machen, und es gab nichts, womit sie ihn davon hätte abhalten können. Es war ihre Pflicht, sich ihm zu unterwerfen.

Patrick regte sich nicht. Isabel bekam eine Gänsehaut bei seinem finsteren, heißen Blick.

„Geht schlafen.“

Auf diese Aufforderung hin, kroch Isabel rasch von ihm fort und kauerte sich gegen die Wand. Doch ihre Haut glühte, als würde sie brennen. Plötzlich fürchtete sie sich vor diesem unerwarteten Verlangen, das er in ihr erweckte.

Heilige Mutter Maria, sie wünschte sich, er käme näher. Auch wenn sein Benehmen rau und wild war, ein kleiner Teil ihres Selbst sehnte sich danach, ihn kennenzulernen.

Was war nur los mit ihr? Was war mit ihrer Loyalität geschehen? Alles an diesem Mann kündete von seinem barbarischen Wesen. Von Kindheit an hatte sie Geschichten über die alten Kelten aus dem Norden gehört, die nackt und mit blau bemalten Gesichtern in die Schlacht ritten.

Sie konnte sich schon vorstellen, wie Patrick, das Gesicht wüst mit blauer Farbe bemalt, gegen die normannischen Eroberer kämpfte. Er hatte sie praktisch von ihrer eigenen Hochzeit weg gestohlen. Er hatte sich weder um die Feier noch um das zeremonielle Zu-Bett-Bringen gekümmert. Patrick war unberechenbar, und sie traute seinem Versprechen nicht. In einem Augenblick schien er sie zu begehren, im nächsten beachtete er sie gar nicht.

Sie wollte, dass er ihr fernblieb. Ihr gefiel dieses unerwartete Verlangen nicht, das sie in Versuchung führte. Mit seiner gefährlichen Art jagte Patrick ihr Angst ein.

Patricks Brüder verschwanden nach draußen und ließen sie allein. Isabel verbarg das Gesicht auf den Knien. Hin und wieder zitterte sie vor Kälte, und ihr Herz war von Kummer erfüllt.

Kurz darauf fiel ein warmes Stück Stoff auf ihre Schultern. Isabel stand auf und legte sich das Tuch um. Patrick hielt ihr ein zerlumptes Gewand hin. „Zieht das an. Ihr müsst jetzt die Kleidung einer Frau meines Stammes tragen.“

So etwas wie dieses Kleid aus rauer Wolle hatte sie noch nie gesehen. Es war ein langes Gewand mit weiten Ärmeln, das ihr bis auf die Füße fiel. Isabel drehte sich von ihm weg, während sie es anzog. „Dann bin ich jetzt also eine Sklavin? Es hat die Farbe von Pferdeäpfeln.“

Patricks Mundwinkel zuckten. „Ich hatte keine Zeit, es gegen eines in Euren Lieblingsfarben einzutauschen. Ihr könnt das léine ja besticken, wenn wir in Eíreann ankommen.“

Als sie sich wieder zu ihm umdrehte, legte er ihr den Schal um die Schultern. Nur einige Zoll näher, und es wäre eine Umarmung daraus geworden. Noch rechtzeitig drückte er leicht ihre Schulter und zwang sie, sich auf den Umhang niederzulegen, den er auf der Erde ausgebreitet hatte. Er stopfte die Ränder um ihre Schultern herum fest und breitete den Mantel über sie. „Schlaft. Wir haben morgen eine lange Reise vor uns.“

Isabel legte sich auf die Seite und tat, als würde sie schlafen. Seit ihrer Hochzeit hatte sie die ganze Zeit das Gefühl, zu Eis erstarrt zu sein.

Ihr Mann stand Wache. Isabel konnte seine Wildheit spüren. Er war ein rauer Jäger, der kein Mitleid zeigen würde. Was stimmte nur nicht mit ihr? Warum konnte sie ihn nicht einfach ignorieren?

Patrick drehte sich um und fing ihren Blick auf.

„Werden wir die Burg in einer Tagesreise erreichen?“

Er schüttelte den Kopf. „Aber ich bringe Euch zu Eurem neuen Heim.“

Isabel zauderte. Plötzlich verstand sie mehr, als ihr lieb war. „Wo ist das?“ Er wollte sie in Erin doch wohl nicht allein lassen?

„Ihr wolltet Eure Freiheit“, sagte er. „Ich werde sie Euch schenken. Ihr bleibt auf der Insel Ennisleigh.“

Isabel sank das Herz. Eiseskälte umfing sie. „Allein?“

Er neigte den Kopf. „Es ist zu Eurer eigenen Sicherheit. Ich kann nicht sagen, was mein Stamm mit Euch anstellen würde, lebtet Ihr bei uns.“

„Ich habe doch niemandem etwas getan.“

„In Euren Adern fließt Normannenblut. Das genügt.“

Kochend vor Wut zog Isabel den Umhang fester um sich. Glaubte er vielleicht, sie würde sich auf diesen Handel einlassen? „Ich will hier keine Gefangene sein. Ihr habt kein Recht, mich so zu behandeln.“

„Es ist meine Pflicht, für Eure Sicherheit zu sorgen. Ennisleigh ist die einzige Möglichkeit.“

„Also missachtet Euer Volk Eure Befehle?“

Er zuckte zusammen, als besäßen ihre Worte Stacheln. „Ihr kennt mich nicht, Isabel. Versucht nicht, über mich zu urteilen. Ich will nur das Beste aus diesem Abkommen machen.“

„Das Beste für Euch.“

„Das Beste für uns alle.“

Sie biss die Zähne zusammen. Dann glaubte dieser irische König also, er könnte sie kampflos ins Exil schicken?

Patrick Mac Egan hatte keine Vorstellung davon, wie schwierig sie sein konnte.

3. KAPITEL

Die Segel blähten sich im Wind, und im hinteren Teil des Schiffes gaben die Pferde wiehernd ihr Missfallen darüber kund, dass sie dort gefangen gehalten wurden. Patrick verspürte Mitgefühl mit ihnen. Nach einem ganzen Tag mit nichts als grauem Himmel und endloser See sehnte er sich nach einem Spaziergang auf festem Boden.

In der Ferne tauchten die grünen Hügel seiner Heimat auf, Teile der sandigen Küste mit den Kreidefelsen. Bei ihrem Anblick wurde Patrick die Brust eng. Als Junge war er hier am Strand entlanggelaufen und hatte mit den Freunden seiner Kindheit gespielt. Jetzt hatte er die Küste in anderer Erinnerung. Hier waren die normannischen Eindringlinge gelandet und hatten das Blut seines Volkes vergossen. Und das seines ältesten Bruders Uilliam.

Seine Hand fuhr zum Heft seines Schwertes, und er spürte die ungewohnte Wärme von Elfenbein und Holz. Das Schwert war sein rechtmäßiges Erbe, allerdings hatte er sich immer noch nicht daran gewöhnt. Ein Rubin, glatt und abgenutzt von Generationen von Mac Egan-Königen war in den Griff eingelassen. Einst besaßen sie die alleinige Herrschaft über dieses Land. Doch die Männer seines Vaters kannten sich mit Stammesüberfällen aus, nicht mit dem straff organisierten Kriegshandwerk. Die meisten konnten zwar ein Schwert führen, trotzdem waren sie nicht geübt darin, einer Überzahl an Feinden standzuhalten.

Das wollte er jetzt ändern. Sie konnten sich nur vor den Normannen schützen, wenn sie deren Schwächen kennenlernten. In der Schlacht konnte er dann die Strategie der Normannen gegen sie selbst einsetzen.

Nebel hüllte die Insel Ennisleigh ein, und am Himmel ballten sich Sturmwolken zusammen. Die schroffen Felsen schützten einen kleinen Ringwall auf der Spitze des Hügels. Er umschloss sieben Steinhütten. Nur etwas zwanzig bejahrte Bewohner waren übrig geblieben. Stolz hielten sie am Herkömmlichen fest und weigerten sich deswegen, sich dem Rest seiner Stammesleute anzuschließen.

Patricks Blick wanderte zu seiner Frau. Isabels goldblondes Haar hing wirr um ihre Schultern. Schatten lagen unter ihren Augen. Ohne eine Regung zu zeigen, betrachtete sie die Insel.

„Dort werdet Ihr leben“, sagte er zu ihr und deutete hinüber.

Sie erstarrte und sah aus, als würde sie in Betracht ziehen, sich in das dunkle Wasser zu stürzen. Er würde es ihr zutrauen.

„Hier werdet Ihr Eure Freiheit haben“, sagte er leise. „Und so kann ich Euch auch meinen Schutz versprechen.“

Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Schutz? Wir wissen doch beide, dass das hier mein Gefängnis ist.“ Sie wandte das Gesicht von der Insel ab. Ihr Schleier flatterte im Wind.

„Ihr könnt nirgendwo sonst hingehen.“ Wieso konnte sie die Wahrheit nicht akzeptieren? Die Männer ihres Vaters hatten seine Krieger ermordet. Nie würde sein Stamm sie auf dem Festland willkommen heißen. Doch Ennisleigh hatte die Schlacht ohne sichtbare Schäden überstanden. Es war ein Hort der Zuflucht inmitten all des Kampfes.

Scharfer Salzgeruch lag in der Luft. Um sie herum kreischten die Möwen. Tief hängende Nebelschwaden umgaben die geisterhafte Insel. Mit Hilfe seiner Brüder holte Patrick das Segel ein. Er konnte es nicht erwarten, das Schiff zu verlassen.

Als sie sich dem Kai näherten, ruderten seine Brüder langsamer. Bevan sorgte dafür, dass das Schiff ruhig lag, während Patrick auf den hölzernen Anlegesteg trat. Danach half er Isabel aus dem Schiff. Sie machte ein paar unsichere Schritte und ging dann über die Planken ans Ufer.

„Lasst die Pferde vom Schiff, damit sie fressen können und frisches Wasser bekommen“, wies Patrick seinen Bruder Bevan an. „Dann bringen wir sie zurück nach Laochre.“

„Ich will uns etwas zu essen besorgen“, bot Trahern an. „Ich habe Lust auf etwas Frisches.“

Bevor sein Bruder sich auf den Weg machen konnte, warnte Patrick: „Haltet die Inselbewohner fern. Sag ihnen, sie sollen heute in ihren Hütten bleiben und Lady Isabel nicht belästigen.“ Nichts liebten die Alten mehr als Tratsch. Er wusste, dass seine normannische Braut Gesprächsstoff für viele nächtliche Unterhaltungen liefern würde.

„Sollen wir ihnen sagen, dass sie deine Frau ist?“, fragte Trahern.

Patrick nickte kurz. Trahern folgte dem Pfad zum Eingang des Ringwalls, während Bevan die Pferde den Strand entlang führte. Die Sonne beschien das zerstörte rath, das Erdwerk von Ennisleigh. Patrick wartete einen Augenblick, bevor er die Hand ausstreckte, um Isabel den steilen Weg hinaufzuhelfen.

Mit entschlossener Miene weigerte sie sich, seine Hilfe anzunehmen.

„Wieso lasst Ihr mich hier?“ Bevor er antworten konnte, fügte sie hinzu: „Und wenn Ihr mir noch einmal erzählt, es sei zu meinem Schutz, nehme ich vielleicht Euren Dolch und schneide Euch die Zunge heraus.“

Er glaubte nicht, dass sie das tun würde. „Das würdet Ihr nicht tun. Immerhin habt Ihr Angst vor Mäusen.“

„Aber keine Angst vor Euch.“

Er blieb stehen und sah sie an. „Vielleicht solltet Ihr das aber, a stór.“ Bevor sie sich noch nach dem Dolch an seiner Hüfte bücken konnte, hatte er bereits ihre Handgelenke gepackt.

„Ich hätte doch ein Pferd stehlen sollen, als ich Gelegenheit dazu hatte“, murmelte sie und versuchte, sich loszureißen.

Patrick wusste nicht, was sie mit dieser Erwiderung meinte. „Wie ich schon sagte, hier habt Ihr Eure Freiheit. Lebt, wie es Euch gefällt.“

„Und ich soll Euch und Eurem Stamm fernbleiben.“

Er ließ sie los. „Ja.“ Zu keiner Zeit würde sie eine von ihnen sein. Je eher sie das verstand, desto besser für beide. Einen Moment lang riss er den Blick von ihr los und starrte hinaus auf die azurblaue See.

Etwas Starrköpfiges blitzte in ihren Augen auf. Patrick wusste nicht, was sie plante, aber es gefiel ihm nicht.

„Weiß mein Vater von meinem Exil?“, fragte sie.

Die Frage war eine leise Drohung. „Das hier geht ihn nichts mehr an.“

„Wenn er an Lughnasa, dem Erntefest, kommt schon“, warnte Isabel. „Wenn diese Heirat Euch erlaubte, das Leben Eures Volkes zu retten, wie Ihr behauptet, dann sollte mir zumindest erlaubt sein, inmitten des Stammes zu leben.“

„Ich sagte nie, dass Ihr mit uns zusammenleben würdet.“ Ihre Erklärung kümmerte ihn nicht im Geringsten. An Lughnasa würden seine Streitkräfte stark genug sein, um alle Normannen hinauszuwerfen.

„Habt Ihr keine Angst vor dem, was mein Vater tun könnte?“

„Nein.“ Obwohl er sich in der Schlacht ergeben und Isabel geheiratet hatte, weigerte er sich, weitere Befehle von einem Normannen entgegenzunehmen. „Hier besitzt Edwin de Godred keine Macht.“

Und was ihr Eheleben betraf, so hatte der Baron auch darüber keine Macht. Sollte Isabel je ein Kind gebären, so würde es nicht von seinem Blut sein. Er hatte vor, die Allianz aufzugeben, sobald sie Edwins Männer besiegt hatten. Zwar müsste er bis nach der Ernte warten, aber das würde ihm wiederum genug Zeit verschaffen, das nötige Geld aufzutreiben, um den Erzbischof zu bezwingen.

Wütend ging Isabel an ihm vorbei. Als sie den Kamm des Hügels erreichten, blieb sie mit einem Mal abrupt stehen und öffnete erstaunt den Mund.

Offenbar empfand sie die Schönheit der Insel als genauso überwältigend wie er. Auf der Seite zum Kanal hin zeigte sich die Insel schroff und zerklüftet, während glitzernder Sand die dem Meer nahe Seite umschloss.

Isabel stand regungslos da und betrachtete in stummer Ehrfurcht die Landschaft.

Einen Moment später war es mit ihrer Sanftmut schon wieder vorbei. Ihr Blick drückte Rebellion aus und auch noch etwas anderes – so etwas wie Sorge. „Ich gehöre nicht hierher.“

„Nein“, sagte Patrick ruhig. „Das tut Ihr nicht. Aber es ist der einzige Ort für Euch.“ Er verschloss sein Innerstes gegen jedes Mitleid. Und trotzdem war er gegen seinen Willen von diesen weichen Lippen fasziniert, die mit der Härte eines Kriegers zu streiten verstanden.

„Ich werde Mittel und Wege zur Flucht finden.“

Er packte sie im Nacken. Ihre Haare verfingen sich in seinen Fingern. Mit spöttischem Ernst meinte er: „Dann werde ich Euch in Ketten legen müssen.“

„Das würdet Ihr nicht wagen.“

„Ich werde alles wagen.“ Helle Wut loderte in ihren Augen, und Patrick ertappte sich dabei, wie er auf ihre Lippen starrte. Es waren volle, faszinierende Lippen.

Zornig über sich selbst, weil er auch nur daran gedacht hatte, Isabel zu berühren, ließ er sie sofort los. „Nachdem ich in meiner Burg nach dem Rechten gesehen habe, werde ich heute Abend wiederkommen. Ihr braucht Vorräte.“

„Warum sich darum kümmern? Ich bin überzeugt, Euer Stamm würde es vorziehen, wenn Ihr mich verhungern ließet und meinen Kopf über dem Tor zur Schau stellen würdet.“

Er sagte nichts dazu. Ganz so unrecht hatte sie nämlich nicht.

Hohes Gras wiegte sich im Wind und strich über ihre Knie, als sie weitergingen. Innerhalb eines Palisadenzauns standen Steinhütten, die an steinerne Bienenkörbe erinnerten. Patrick musterte sie und suchte nach Anzeichen von Zerstörung. Zufrieden stellte er fest, dass es keine gab. Nur sein Familiensitz hatte gelitten. Und der konnte wieder aufgebaut werden.

Von Kochstellen im Freien schickte der brennende Torf feine Rauchfahnen in den Himmel. Patrick knurrte der Magen beim Geruch nach heißer Suppe, der in der Luft lag. Direkt vor der Burg grünte auf einem großen Stück Land frische Saat.

Er hörte Leute sprechen, doch keiner der Inselbewohner ließ sich sehen. Gut. Sie beachteten die Warnung seines Bruders. Doch er war sich sicher, dass alle Augen sie durch die Türritzen beobachteten.

Patrick führte Isabel zu der zerstörten Burg, die sein Großvater erbaut hatte. Sie stand am höchsten Punkt der Insel. Das Feuer hatte ihren stolzen Mauern schwer zugesetzt.

Das hier war der Ort, wohin er sich oft geflüchtet hatte. Patrick legte die Hand auf einen verkohlten Balken. Er erinnerte sich an das breite Lachen seines Großvaters Kieran Mac Egan. „Das hier gehört mir.“

„Wie ist es verbrannt?“, fragte Isabel. „Waren das die Eroberer?“

Patrick schüttelte den Kopf. „Die Inselbewohner legten den Brand. Die Normannen sollten glauben, sie wären bereits angegriffen worden.“

Er machte den Alten deswegen keinen Vorwurf. Sein Großvater hätte es nicht anders gewollt. Besser man verbrannte die Burg, als dass sie den Normannen in die Hände fiel. „Und so retteten sie sich“, fügte er hinzu.

Das Hauptgebäude war zum großen Teil noch intakt, außer den verbrannten Mauern. Es würde nicht gerade komfortabel sein, darin zu leben, doch es versprach ein trockenes Dach. Zumindest in den meisten Räumen, korrigierte Patrick sich und dachte an etliche Löcher in der Decke.

In diesem Moment kehrten Bevan und Trahern mit einigen Säcken voller Vorräte zurück. In der einen Hand hielt Trahern eine dampfende Fleischpastete, während er kräftig in eine zweite biss. Patrick fing einen Sack auf, den Bevan ihm zuwarf. Es war ihm nicht entgangen, dass Isabel voll unverhohlenem Verlangen die Hammelpastete betrachtete.

Er bot ihr eine an, und wohlig stöhnend biss Isabel hinein. Mit geschlossenen Augen genoss sie das Essen, als hätte sie noch nie eine größere Befriedigung gekannt.

Patrick zwang sich, sie nicht länger zu beachten. Sie mochte sich ihres Gesichtsausdrucks nicht bewusst sein, aber sein verräterischer Körper reagierte mit aller Macht darauf. Diese Ehe wäre für ihn viel leichter zu ertragen gewesen, wenn seiner Braut die Nase gefehlt oder sie abscheuliche Narben gehabt hätte. Stattdessen besaß sie das Gesicht der Göttin Danu. Patrick bedeutete Trahern und Bevan mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen. Sie verließen die Ansiedlung. „Was habt ihr Neues über die Inselbewohner gehört?“

„Der Ó Phelan Clan sammelt seine Streitkräfte“, erzählte ihm Bevan. In der Stimme seines Bruders schwang eine grimmige Entschlossenheit mit. „Sie planen einen Überfall, solange wir verwundbar sind.“

Und er hatte geglaubt, es könnte nicht noch schlimmer kommen. Erst die Normannen, jetzt noch ein anderer Clan. Die Ó Phelans hatten die Invasion mühelos überlebt. Patrick hegte den Verdacht, dass sie zu Verrätern geworden waren, die Normannen bestachen oder sich auf andere Weise mit ihnen arrangierten.

„Bereitet die Männer vor“, befahl er. „Sie müssen auf einen Angriff gefasst sein.“

Bevan zuckte die Achseln. „Das könnte ich, aber es würde nichts nützen.“

„Hältst du mich für unfähig, unseren Stamm zu verteidigen?“, fragte Patrick mit harter, kalter Stimme.

„Das tue ich“, erwiderte Bevan. „Besonders, nachdem du unsere Tore den Fremden öffnen musstest. Normannischen Bastarden.“ Er spuckte auf den Boden. In seinen Augen loderte der Hass. „Du hättest sie nie heiraten dürfen“, fügte er hinzu und schüttelte verächtlich den Kopf.

„Ich hatte keine Wahl, und das weißt du sehr gut. Hör auf, über Dinge nachzugrübeln, die nicht mehr zu ändern sind. Die Männer müssen bereit sein. Thornwyck hat befohlen, Laochre zu zerstören, sollten wir seine Bedingungen nicht erfüllen“, erinnerte er Bevan.

„Wenigstens würden wir sterben, ohne Verräter in unsere Reihen gebracht zu haben.“

„Nicht jeder möchte sterben.“ Ihre Blicke maßen einander, fochten einen stummen Kampf der Willen aus. Patrick wusste, dass sein Bruder bereit war, sofort sein Leben zu opfern, besonders, nachdem die Normannen in der letzten Schlacht seine Frau getötet hatten. „Öffne den normannischen Kriegern die Tore. Beim Anbruch der Nacht will ich mit ihnen reden.“

„Wie kannst du uns so verraten?“ Bevan ballte die Fäuste, in seinen Augen brannte die Wut. „Wenn du sie einlässt, bleibe ich nicht.“

„Dann kehr zurück nach Rionallís“, drängte ihn Trahern. „Seit Fiona starb, bist du nicht mehr in deiner Burg gewesen.“

Über Bevans Gesicht zuckte urplötzlich der Ausdruck tiefster Trauer. „Ich habe keine weitere Verwendung für Rionallís.“

„Deine Leute brauchen dich dort“, ermahnte Patrick ihn sanft. Das vergangene Jahr war kein gutes für Bevan gewesen. Er hatte Frau und Kind verloren.

„Ich habe mein Schwert denen geweiht, die gegen die Normannen kämpfen. Wenn mein eigener Bruder sich mir nicht anschließt, werde ich woandershin gehen.“

Patrick beobachtete, wie Bevan zum Strand schritt, aber er tat nichts, um seinen Bruder aufzuhalten.

„Ruarc sammelt Leute zum Kampf gegen dich“, warnte Trahern. „Wir brauchen Bevan an unserer Seite, sonst könntest du dein Königtum verlieren.“

Als Trahern den Namen seines Cousins erwähnte, wuchs Patricks Anspannung. „Ruarc interessiert sich mehr für die Macht als für die Bedürfnisse seines Stammes.“

„Dann verspiele nicht den Glauben der Leute an dich.“ Trahern legte Patrick die Hand auf die Schulter. „Als König ziehen sie dich vor. Doch ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn du die Normannen zu uns holst. Ruarc hat nicht vergessen, dass du ihm eine Niederlage bereitet hast.“

Obwohl sein rachsüchtiger Cousin eine Bedrohung darstellte, konnte Patrick nicht zulassen, dass der ihn von den Pflichten seinem Stamm gegenüber abhielt. Sein Gesicht verhärtete sich, und er blickte in die Ferne. Die Sonne berührte gerade das Wasser und färbte die Wellen rotgolden.

„Heute Abend öffnen wir den Normannen die Tore“, befahl Patrick. „Wer unseren Leuten Böses will, wird die Morgendämmerung nicht erleben.“

Die Insel besaß eine mystische, irgendwie urtümliche Schönheit, die in dem Kontrast zwischen Fels und Gras bestand. Isabel schnürte es die Kehle zu, und in ihren Augen brannten ungeweinte Tränen.

Sie ging in der Burganlage umher und betrachtete die geschwärzten Mauern. Früher mussten die hölzernen Bauten himmelwärts geragt haben, mit Treppen, die zu den Gemächern hinaufführten. Sie trat gegen einen der Stützpfeiler und stellte fest, dass er tatsächlich noch fest stand.

Ein kühler Luftzug verursachte ihr eine Gänsehaut. Nach der Überfahrt auf dem Schiff schien der Boden unter ihren Füßen immer noch zu schwanken. Ihr Körper sehnte sich nach Schlaf, doch sie durfte ihm nicht nachgeben. Wie konnte sie die Augen schließen, wenn sie sich von Fremden umgeben auf einer unbekannten Insel befand? So klein das Eiland auch war, sie musste es erkunden und die Menschen darauf kennenlernen.

Bei dem Gedanken verspürte sie ein flaues Gefühl im Magen. Würden sie versuchen, sie zu töten, weil sie von normannischem Blut war? Patrick hatte gesagt, dass sie hier niemals als Königin regieren würde. Ein Teil von ihr war dankbar dafür. Was wusste sie schon vom Regieren? Sie zog es vor, ungesehen zu bleiben, den Haushalt zu führen, ohne dass alle Augen auf sie gerichtet waren.

Nachdem ihre Schwestern geheiratet hatten, hatte sie sich um Thornwyck Castle gekümmert. Fast zwei Dutzend Bedienstete hatten unter ihrer Aufsicht gearbeitet. Ihr ganzer Stolz war es gewesen, den Haushalt des Wohnsitzes untadelig zu meistern.

Nicht, dass Edwin de Godred je davon Notiz genommen oder ein Wort des Lobes verloren hätte.

Isabel fröstelte und ging zum Eingang des Donjons, des Turms, zurück. In der Ferne sah sie Patrick im Gespräch mit seinen Brüdern. Trahern und Bevan verschwanden den Hügel hinunter in Richtung Schiff. Ihr Gatte kam mit dem Ungestüm eines Eroberers auf sie zu.

Die schwarzen Haare fielen ihm auf die Schultern, sein stählerner Blick bohrte sich in ihren. Der weite Umhang umhüllte seine breiten Schultern. Lederne Spangen umschlossen seine Unterarme. „Ich habe uns eine Hütte für die Nacht besorgt.“

„Ich schlafe hier im Donjon.“ Wo Ihr mich nicht anrühren könnt, dachte sie. Sie traute ihm auf gar keinen Fall. Er mochte behaupten, dass er sie nicht in seinem Bett haben wollte, aber vielleicht wünschte er sich Söhne.

Patrick schien ihre Gedanken zu lesen. „Schlaft, wo Ihr wollt. Es ist mir gleich. Ich wollte Euch nur warnen, die Nächte sind kalt.“

Sie wich seinem Blick nicht aus, und ihre Haut begann zu prickeln. „Ihr bleibt nicht auf der Insel, nicht wahr?“

Er trat noch einen Schritt näher, sodass sie einander fast berührten, und betrachtete sie abschätzend. Sie konnte die Wut in seinen Augen erkennen. „Wie ich schon sagte, ich will nicht das Lager mit Euch teilen.“

„Gut.“ Sieh nicht fort, ermahnte sie sich. Auch wenn alles in ihr danach drängte zu fliehen, hielt sie seinem Blick stand. „Aber ich möchte in Eurer Burg auf dem Festland wohnen.“ Wenn sie erst einmal sein Heim und seinen Clan sah, würde sie wissen, ob er ihr die Wahrheit gesagt hatte. Und dann würde sie entscheiden, ob sie blieb oder ging.

„Nein.“

„Bei unserer Eheschließung hatte ich keine Wahl“, fuhr Isabel fort. „Ich verlor mein Heim und meine Familie. Jetzt bin ich gezwungen, hier zu leben. Versetzt Euch einmal an meine Stelle.“

„Dann versetzt Ihr Euch an die meine“, gab er hart zurück. „Ich sah meine Leute durch die Klinge Eures Vaters sterben. Glaubt Ihr, ich wollte eine Normannin zur Frau?“

Isabel ließ sich nicht anmerken, wie sehr seine Worte sie berührten. „Ich habe nichts Böses getan.“

„Nein.“ Er trat zurück und sah nicht mehr ganz so finster drein. Sein Blick schweifte über die Strohdächer der Hütten, die in der Mitte des Ringwalls standen. „Aber für sie seid Ihr eine Feindin.“

„Und was bin ich für Euch?“, flüsterte sie.

„Ein Mittel zum Frieden“, erwiderte er. „Und Ihr steht unter meinem Schutz. Unsere Ehe nennt wie Ihr wollt.“

Isabel verdrängte die Bilder, die er in ihr wachrief. Seine Tunika spannte sich über kampfgestählten Muskeln. Schwarzes Haar umrahmte sein entschlossenes Gesicht mit den harten Augen. Er schien nie zu lächeln.

„Keiner von uns hatte eine Wahl, Isabel.“ Unwillkürlich fasste Isabel nach dem vertrauten Griff ihres Messers, das sie immer beim Essen benutzte.

Er schien amüsiert, und seine Augen blickten etwas milder. „Habt Ihr vor, mich damit zu erstechen?“

„Die Witwenschaft erscheint mir sehr verlockend.“

Er packte ihre Hand und hielt sie fest. „Ich werde später mit den Vorräten zurückkehren, die Ihr benötigt.“

„Hoffentlich nicht.“

Er beachtete ihre Worte nicht. „Ihr könnt in der Zwischenzeit die Insel erkunden.“ Damit wandte er sich zum Gehen. Der Wind riss an seinem abgetragenen Umhang und enthüllte die Löcher darin.

Isabels Verstand warnte sie, sich nicht durch Äußerlichkeiten täuschen zu lassen. Mochte Patrick Mac Egan auch ein König sein, unter dem Mantel der Autorität verbarg sich ein Krieger, gnadenlos, unnachgiebig und seinem Volk bedingungslos treu.

Nachdem er gegangen war, begann sie die Insel zu erforschen, wie er es vorgeschlagen hatte. Sie musste jeden Zoll ihres Gefängnisses kennenlernen, denn nur so konnte sie einen Weg finden, um aufs Festland zu kommen.

4. KAPITEL

Patrick umklammerte seinen Speer, während er neben den Holztoren wartete. Seine Brüder standen ihm treu zur Seite. Alle waren sie schwer bewaffnet und zu Pferde. Patrick überlief es eiskalt. Ihm war, als stünde er neben sich. Jeden Moment konnten die Normannen ihr Wort brechen und angreifen. Er packte seinen Speer so fest, dass seine Handknöchel weiß hervortraten. Leise betete er, man möge sie nicht auf der Stelle erschlagen.

Der Himmel verdunkelte sich rasch, tiefblaue Sturmwolken türmten sich im Osten auf. Patrick konnte die Erde riechen, den Rauch des Torffeuers und die Angst seiner Leute. Und nun war es an der Zeit, ihren Feinden die Tore zu öffnen.

Hinter ihm stand der Rest seines Stammes. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe aus Bauern, Schmieden und Arbeitern, die nur wenig Erfahrung im Kampf besaßen. Seine besten Männer hatten ihr Leben in der Schlacht gelassen, und nur diese hier waren übrig geblieben.

Jeder, vom ältesten Großvater bis zum jüngsten Knaben, umklammerte eine Waffe seiner Wahl. Etwas weiter hinten standen die Frauen, aber auch sie hielten ihre eigenen Waffen bereit. Bleich und ruhig warteten sie auf das Kommando ihres Anführers.

„Du machst einen Fehler“, flüsterte eine leise Stimme. Sein Cousin Ruarc hatte sein Schwert bereits gezogen und sah aus, als wäre er bereit, jeden Mann, der die Tore durchschritt, aufzuschlitzen. „Sie werden uns alle töten.“

Ruarc trug die blauen Farben des Mac Egan-Stammes und einen von zahllosen Schlachten gezeichneten Holzschild. Wie die anderen, war auch er während des schweren Winters abgemagert. An seinen Schläfen hingen Kriegszöpfe und umrahmten sein bärtiges Gesicht. „Wir sollten mit ihnen kämpfen. Sie hinauswerfen.“

„Wir schlossen einen Handel ab.“

„Wir können immer noch kämpfen. Es sind noch genug von uns da.“

„Nein.“ Es war genug Blut vergossen worden. Ihr Stamm war besiegt worden, und der Preis ihres Lebens war die Kapitulation gewesen. „Ich habe mein Wort gehalten, und ich glaube, auch Thornwyck wird seines halten.“

„Wenn wir sterben, wird es keine große Rolle mehr spielen, was du glaubst“, erwiderte Ruarc. Patrick wandte ihm den Rücken zu. Der blanke Hass im Gesicht seines Cousins würde durch nichts zu beeinflussen sein. Außerdem wollte er sich nicht länger rechtfertigen. Er hatte seine Entscheidung getroffen, und wegen dieser Entscheidung würde sein Volk leben.

In diesem Moment erblickte er einen kleinen Jungen, der sich hinter den Röcken seiner Mutter versteckte. Das Gesicht des unschuldigen Kindes brannte sich ihm ein. Er betrachtete jeden Einzelnen seines Stammes. Früher hatten sie über hundert gezählt – jetzt waren sie alles in allem kaum noch vierzig. Die Schwere des Verlustes überwog alles andere.

Die hölzernen Palisaden um sie herum waren der einzige ihnen noch verbliebene Schutz. Strahlen des Sonnenuntergangs drangen durch die Ritzen der Tore, während langsam der Abend hereinbrach. Es war an der Zeit, sich dem Unvermeidlichen zu stellen.

„Öffnet die Tore“, befahl Patrick.

Zwei Männer öffneten das schwere Eingangstor. Vor dem Tor standen zwei Befehlshaber zu Pferde und die normannische Armee. Alle waren bewaffnet.

Auch wenn Patrick sich bemühte, ruhig zu erscheinen, konnte er die steigende Erregung in seinem Innern kaum meistern. Was, wenn sie das Abkommen brachen und angriffen? Er betete darum, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Die Normannen hielten ihre Waffen bereit. Mit erhobenen Schwertern, die Pfeile an den Bögen, erwarteten sie den Befehl zu töten. Mit kalten Augen würden sie bis zum Tod kämpfen.

Doch als er sich ihnen näherte, sah er die Gesichter der Männer. Sie waren erschöpft und hungrig wie er selbst. Als sie das Leben seiner Leute nahmen, hatten sie nur ihren Anführern gehorcht. Und dennoch war sein Verlangen nach Rache schwer zu unterdrücken: Diese Männer hier hatten seinen ältesten Bruder getötet.

Reue ergriff ihn, als er an Uilliams Tod dachte. Düsternis und Zorn erfüllten ihn, und er gab sich selbst die Schuld. Er hätte rechtzeitig zur Stelle sein und das Schwert des Feindes aufhalten müssen. Doch seine persönliche Rache hatte zu warten.

Patrick winkte einem der Anführer der Normannen, und mit der Hand am Schwert ritt der Mann heran. Wachsam umfasste Patrick seinen eigenen Schwertknauf. „Ich bin Patrick Mac Egan, König von Laochre.“

„Ich bin Sir Anselm Fitzwater“, erwiderte der Normanne. „Lord Thornwyck gab mir das Kommando über diese Männer.“

Sir Anselm nahm weder seinen Helm ab noch löste er die Hand vom Schwert. Die Wangen des Normannen waren glatt rasiert, seine Lippen von einer langen Narbe gezeichnet, die sich bis zu seinem Kinn zog. Er blickte gelassen drein, so, als wäre er daran gewöhnt, dass seine Feinde sich ergaben.

„Die Abmachungen mit Baron Thornwyck wurden erfüllt“, sagte Patrick und übergab ihm die Befehle, die Thornwycks Siegel trugen. „Eure Männer mögen unseren rath betreten.“

„Wo ist Lady Isabel?“, fragte Sir Anselm.

„Sie wohnt auf Ennisleigh. Ihr könnt mich morgen dorthin begleiten und Euch selbst davon überzeugen.“ Etwas schuldbewusst sah Patrick zu der Insel hinüber. Isabel würde hungrig und müde sein. Dabei trug er die Verantwortung für ihr Wohlergehen.

Sir Anselm schüttelte den Kopf. „Ich will sie noch heute Abend sehen, um mich von ihrem Befinden zu überzeugen. Lasst sie hierher bringen.“

Patrick würde sich von dem Befehlston des Mannes nicht beeindrucken lassen. „Das würde sie nur in Gefahr bringen. Auf Ennisleigh ist sie sicherer.“ Er wollte sie auf keinen Fall in der Nähe der normannischen Armee haben.

„Ihr entehrt sie, wenn Ihr sie hier nicht als Eure Königin und Gattin einsetzt.“

Sein Pferd begann, unruhig zu tänzeln, offenbar spürte es Patricks Zorn. „Sie steht unter meinem Schutz. Hier gibt es etliche, die sie lieber tot sehen möchten.“ Immer noch blutete die schwere Wunde der Niederlage in den Herzen seines Volkes.

„Es ist ihr rechtmäßiger Platz.“

„Bis wir nicht Frieden zwischen unseren Völkern geschaffen haben, bleibt sie dort, wo ich es will.“ Patrick deutete Sir Anselm an, ihm zu folgen. „Eure Männer werden heute Abend gemeinsam mit den meinen das Nachtmahl einnehmen. Dann könnt Ihr wieder in Euer Lager außerhalb der Mauern zurückkehren.“

„Unser Befehl lautet, in der Burg zu bleiben“, sagte Anselm.

„Eure Männer töteten die unsrigen.“ Patrick umklammerte die Zügel fester. „Keiner heißt Euch hier willkommen.“

„Wenn Eure Iren die Waffen gegen uns erheben sollten, werden sie es bereuen.“

„Das Gleiche gilt für Eure Männer“, erwiderte Patrick, und seine Stimme verriet, wie zornig er war. Auch wenn der Anführer vielleicht erwartete, dass sie sich vor seinen Männern duckten, so fürchtete Patrick Sir Anselms Streitmacht nicht. Stattdessen erfüllte ihn eine größere Bedrohung mit Sorge. Auch wenn diese Armee hier stark war, so hatte sie doch nur zusammen mit der Streitmacht von Robert Fitzstephen, dem Earl of Pembroke, den Stamm von Laochre besiegt. Und wie würde Pembroke erst mit seinem Volk verfahren, wenn die Normannen ihn ein zweites Mal um Hilfe bitten müssten?

Patrick deutete auf die große hölzerne Burg, die er errichtet hatte. „Eure Männer mögen in die Große Halle gehen.“ Er stieg ab und übergab sein Pferd einem jungen Burschen. Bevan und Trahern blieben auf ihren Pferden sitzen.

„Übergebt Eure Pferde hier Huon“, wies Patrick seinen Gast an und deutete auf den Jungen. „Er wird sich um sie kümmern.“

Er führte die Normannen hinein und blieb am Eingang kurz stehen, als müsste er sie beschützen. Verbittert wandten ihm die meisten seiner Stammesleute den Rücken zu und gingen in ihre Hütten. Sie nahmen ihm sein Handeln übel. Ein paar starrten zu ihm herüber und flüsterten miteinander.

Patrick drehte sich um und folgte Sir Anselm ins Innere der Burg. Die Art, wie der Normanne alles genau musterte, ließ Patrick sich fragen, ob er wohl den Wert seiner Besitztümer abschätzte.

Die große Halle war schmucklos. Die Wände waren bis auf ein paar Waffen, die dort hingen, leer. Seitdem seine Mutter vor etlichen Jahren gestorben war, hatte keine weibliche Hand mehr diesen Versammlungssaal geprägt. Die wenigen Möbel waren praktischer Art. Auf einem kleinen Podest standen zwei hochlehnige Holzstühle und fünf kleinere. Sie waren für Patrick und seine Brüder bestimmt. Daneben gab es noch Hocker, die aus Walnussholz gefertigt waren und gepolsterte Sitzflächen besaßen.

Es war seine Pflicht, seinen rechtmäßigen Platz am Kopf der Tafel einzunehmen, den Platz, auf dem zuerst sein Großvater, dann sein Vater und zuletzt Uilliam gesessen hatten. Bis jetzt hatte Patrick das vermieden, aber nun blieb ihm keine andere Wahl.

Er durchquerte den Raum und blieb am Tisch stehen. Dort stützte er die Hände auf, als suchte er Hilfe und Lenkung bei den Männern, die schon früher hier gestanden hatten. Dann setzte er sich auf einen der hochlehnigen Stühle. Der Platz neben ihm blieb leer. Er war für seine Gattin bestimmt. Dass er jetzt verheiratet war, erschien ihm seltsam fremd. Patrick hatte gewusst, dass er eines Tages eine Frau nehmen würde, dabei hatte er jedoch an ein Mädchen irgendeines anderen Stammes gedacht. Es ärgerte ihn, dass er seine Braut nicht selbst hatte bestimmen können.

Die meisten seiner Stammesleute blieben stehen, während Sir Anselm und seine Männer sich setzten und von dem Essen nahmen, das die Diener herbeibrachten. Sobald die Normannen nach Brot und Hammelfleisch griffen, verfinsterten sich die Gesichter der Umstehenden. Das hier waren ihre sorgfältig angelegten Vorräte. Jetzt mussten sie sie dem Feind überlassen. Ein unwilliges Murmeln wurde laut, als auch noch Schüsseln mit gekochtem Gemüse, süße, getrocknete Äpfel und ein frisch gefangener Fisch angeboten wurden.

Patrick sprach kaum ein Wort mit seinen Brüdern, die weiter oben am Tisch saßen. Er zwang sich, den gebratenen Fisch und das Brot zu essen und dachte darüber nach, welche Komplotte wohl gerade an den anderen Tischen geschmiedet wurden. Er traute keiner Seite zu, Frieden zu halten.

Schließlich erhob Patrick sich und ging zum Portal. Im Vorbeigehen grüßte er seine Männer. Aus einer beieinanderstehenden Gruppe drang eine Bemerkung seines Cousins Ruarc an sein Ohr. „Wenn ich König wäre, hätte wir den gaillabh nie den Zutritt erlaubt. Sie würden tot auf den Feldern liegen, wie sie es verdient haben.“

Patrick blieb stehen und sah seinen Cousin an. „Du bist aber nicht der König.“

„Noch nicht.“

Diese Bemerkung durfte er nicht durchgehen lassen. Seine Männer mochten seine Entscheidungen anzweifeln, aber er durfte nicht erlauben, dass sie seine Führung in Frage stellten.

Er packte seinen Cousin an dessen Tunika und stieß ihn gegen die Wand. „Willst du mit mir um dieses Recht kämpfen?“

Mit purpurrotem Gesicht versuchte Ruarc sich zu befreien. Die Knie wurden ihm weich, weil Patrick ihm die Luft abschnürte. Als Patrick seinen Verwandten losließ, sank der zu Boden, das Gesicht in heißer Wut verzerrt. „Eines Tages, Cousin.“

„Mach, dass du rauskommst.“

Ruarc stolperte zur Tür, von den Normannen interessiert beobachtet. Patrick holte tief Luft und kämpfte gegen das Verlangen an, ihm zu folgen. Wieder hatte er sich und seinen Rang vergessen. Von Königen erwartete man, dass sie sich nicht mit ihren Leuten prügelten. Die anderen schienen sich wegen seines Benehmens recht unwohl zu fühlen.

„Das war ein Fehler.“ Bevan stand hinter ihm. Mit einem Blick auf den flüchtenden Ruarc fügte sein Bruder hinzu: „Du hast ihn vor all unseren Stammesmitgliedern das Gesicht verlieren lassen.“

„Er hätte mich nicht herausfordern sollen.“

„Natürlich nicht. Aber jetzt wird er sich an dir rächen wollen. In Zukunft solltest du auf deinen Rücken aufpassen, Bruder. Denn der da wird schnell mit einem Messer bei der Hand sein. Er gibt dir immer noch die Schuld an dem, was mit Sosanna geschah.“

„Ich weiß. Deswegen habe ich ihn auch nicht verbannt.“

Ruarcs Schwester Sosanna Mac Egan hatte, wie viele andere Frauen während der Invasion, unter den Grausamkeiten der Normannen zu leiden gehabt. Danach hatte sich Ruarcs Wut auf die Feinde um das Zehnfache gesteigert.

Patrick deutete auf seine Männer. „Unsere Männer sollten nicht stehen, während die Normannen sitzen und essen. Wir werden mehr Tische für die große Halle bauen.“

„Nur wenige haben Appetit.“

„Außer Ewan dort.“

Patrick lehnte sich an die Wand neben dem Eingang und deutete auf ihren jüngsten Bruder. Fast dreizehn Jahre alt, hatte Ewan keine Bedenken, zusammen mit den Feinden zu essen. Kaum zu sehen zwischen den schwer bewaffneten Kämpfern, saß er am letzten Tisch.

„Ewan ist ein guter Spion.“ Bewundernd schüttelte Bevan den Kopf. „Morgen werden wir sehen, was er alles erfahren hat. Sie wissen nicht, dass er ihre Sprache spricht.“ Patrick und seine Brüder verstanden die Sprache der Normannen, ihre Stammesmitglieder nicht.

„Man muss den Normannen unsere Sprache beibringen“, meinte Patrick. „Sonst können Missverständnisse entstehen.“

Bevan brummte unwillig. „Ich würde sie lieber mit einem ordentlichen Tritt in ihre Heimat zurückschicken.“

„Dafür ist es zu spät.“ Patrick drehte sich zu seinem Bruder um. „Du wirst hier gebraucht, Bevan. Willst du bleiben?“

Bevans Gesicht wirkte angespannt. „Ich werde vierzehn Tage bleiben. Deinetwegen. Aber versprich mir, dass du sie rauswirfst.“

„Ich werde tun, was ich kann.“ Patrick verspürte quälende Kopfschmerzen. Wieder musste er an Isabel denken. Er hatte vergessen, ihr die Vorräte zu schicken. Weil seine Gedanken so sehr mit den Normannen beschäftigt gewesen waren, hatte er nicht daran gedacht. Und doch konnte er seine Männer jetzt nicht allein lassen.

Er sollte jemanden zu ihr schicken. Die Dunkelheit war angebrochen, und es war eine mondhelle Nacht. Patrick gab den Befehl, einen Sack mit Essensvorräten und etlichen Krügen Met zu füllen.

„Für wen ist das?“, unterbrach ihn sein Bruder Bevan.

„Für meine reizende Braut“, antwortete Patrick trocken. „Ich denke, sie wird in den nächsten paar Tagen etwas essen und trinken wollen.“

„Du denkst doch wohl nicht daran, nach Ennisleigh zu fahren?“ Bevan deutete auf den Proviant.

„Später vielleicht.“ Der Gedanke, dass Isabel allein war, gefiel ihm nicht. Besonders, wenn er an die Inselbewohner dachte, die ja nicht wussten, weshalb sie da war.

„Du solltest heute Nacht nicht fortgehen, Bruder“, gab Bevan zu bedenken. „Nicht in solch einem kritischen Augenblick. Die Männer brauchen deine Gelassenheit.“

Patrick wusste, dass sein Bruder recht hatte. Heute Nacht musste er beide Seiten davon abhalten, sich gegenseitig umzubringen. „Ich wünschte, ich könnte es. Sir Anselm möchte sich davon überzeugen, dass es Lady Isabel gut geht. Später, wenn die abendliche Flut kommt, wird er mich zur Insel begleiten.“

Er sah zu dem Ritter hinüber. Sir Anselm aß langsam und betrachtete jedes einzelne Gesicht, als versuchte er, sich die Männer einzuprägen. Es sah aus, würde der Normanne bei dieser Geschwindigkeit sein Mahl noch lange nicht beenden.

„Ich werde danach zurückkehren“, versicherte Patrick.

„Ewan“, rief er seinen jüngsten Bruder herbei. Ewan war im linkischen Alter. Er war kein Kind mehr und noch kein Erwachsener. Trotz seiner dünnen, schlaksigen Gestalt aß er genauso viel wie ein ausgewachsener Mann.

Bei Patricks Ruf betrachtete Ewan das gebratene Hammelfleisch vor ihm, als überlegte er, was es wohl Wichtigeres geben könnte. „Was ist?“

„Ich brauche dich. Du musst nach Ennisleigh fahren. Meine Braut Isabel hat für heute Nacht kein Essen und keinerlei Vorräte. Willst du sie ihr bringen?“

Ewan bekam rote Ohren. „Wenn du es wünschst.“ Er stopfte sich ein kleines Stück Brot in eine Falte seiner Tunika und schnitt sich noch ein Stück Fleisch ab. „Hat sie ein hübsches Gesicht?“

„Was meinst du damit?“

„Ich hörte Sir Anselm sagen, dass viele Edle sie heiraten wollten, gerade so wie bei einer Prinzessin aus Traherns Geschichten.“

„Sie ist eine Frau wie andere auch.“ Selbst als er ihre Schönheit leugnete, sah er im Geist ihr verlockendes Antlitz vor sich. Mehr als einmal hatte der störrische Zug um ihren Mund seine Aufmerksamkeit geweckt. Und ihre dunkelbraunen Augen verrieten ihre große Klugheit.

Zusammen mit Ewan ging Patrick hinaus und starrte auf Laochre. Wie der Ringwall, so war auch die hölzerne Burg von den Narben aus der Schlacht gezeichnet. Einst hatte Uilliam davon geträumt, einen der größten raths in Eíreann zu bauen, eine Wohnstatt, die seines Stammes würdig war. Jetzt machte Patrick als sein Nachfolger sich Sorgen, ob sie den nächsten Winter überleben würden. Auch wenn Weizen und Gerste üppig auf den Feldern wuchsen, so hatte er nun mit den Normannen zusammen mehr Leute zu ernähren.

Er führte Ewan zu der Stelle, wo sein Pferd mit den Vorräten wartete. „Geh jetzt. Sollte es wieder regnen, so braucht sie einen besseren Unterschlupf. Ich fürchte, sie wird hier in der Burg wohnen wollen.“

Ewan machte große Augen. „Warum?“

„Um uns auszuspionieren.“

„Oh.“ Sein Bruder zuckte die Schultern. „Dann wird sie eben nass werden. Aber ich fahre hin und sage ihr, dass du ihr das Essen schickst.“

„Iss ja nichts davon“, warnte Patrick.

„Würde ich nie.“ Die Stimme des Burschen überschlug sich beim letzten Wort.

Patrick unterdrückte ein Lächeln. „Natürlich würdest du. Ich meine es ernst, Ewan. Keinen Bissen.“

Er steckte noch ein Stück Brot in den Sack und band ihn zu. Sein Bruder rollte die Augen und machte sich auf den Weg zur Insel. Patrick blickte nach Ennisleigh hinüber. Er würde später zu Isabel fahren. Auch wenn sie dagegen protestieren würde, er musste ihr klarmachen, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als die Insel zu ihrem neuen Heim zu machen.

„Verzeiht mir mein Eindringen, aber kann ich mir bitte an eurem Feuer eine Fackel anzünden?“

Isabel sprach zu einer der Türen, einer mit einem Fell verhängten Öffnung, über der ein Bündel Wolle hing. Keiner antwortete auf ihr Rufen, aber sie wusste, dass man sie gehört hatte.

Wieder klopfte sie an den hölzernen Türrahmen. Stille. Sie biss sich die Lippen und überlegte, was die da drinnen wohl mit ihr machen würden, wenn sie es wagte, das Fell beiseitezuschieben. Sie hielt einen toten Ast in der Hand, den sie unter den Apfelbäumen im Garten aufgehoben hatte. Isabel hatte ihn mit trockenem Gras umwickelt, aber was sie wirklich brauchte, war Öl oder Pech, damit er lange genug brannte, um damit ein Feuer zu entfachen.

Das war jetzt schon die dritte Tür, an die sie klopfte. Ihre Suche nach Feuer verlief nicht gerade erfolgreich, und es begann, dunkel zu werden.

Von den gemütlich aussehenden Hütten stiegen dünne Rauchfahnen auf. Sie kamen von den Torffeuern im Innern. Auch hier draußen war eine Feuerstelle, doch keiner hatte sie heute Abend benutzt. Geschwärzte Torfstücke lagen noch da.

Nun gut. Wenn sie ihr nicht helfen wollten, dann musste sie einfach auf Patrick warten. Isabel ging zur Burg zurück und stieß die verkohlte Eichenholztür auf. Ihr barbarischer Ehemann würde schließlich schon zurückkehren. Sicher würde er sie nicht erfrieren lassen. Er hatte genug Unbill ausgestanden, um sie nach Erin zu bringen, und ihr Tod würde ihm nur Schwierigkeiten bereiten.

Ihr Magen knurrte leise. Außer dem kleinen Stück Pastete bei ihrer Ankunft hatte sie nichts gegessen, und in dem zerfallenen Turm war nichts zu finden. In diesem Fall würde ihr wohl nichts anderes übrig bleiben, als Seetang zu kauen.

Isabel setzte sich auf einen niedrigen Baumstumpf, den man als Stuhl zurückgelassen hatte, und überblickte ihre Bleibe. Sie hatte jeden Zoll der Burg inspiziert und dabei genau gewusst, dass die Inselbewohner sie aus dem Innern ihrer Hütten heraus beobachteten.

Gut. Sollten sie doch ruhig gaffen. Vielleicht würden sie dann sehen, dass sie nicht die Feindin war, für die sie sie zu halten schienen.

Waffenlos und allein, überlief sie ein unangenehmer Schauer. Manchmal trug der Wind das Echo von Stimmen an ihr Ohr. Sie sprachen Irisch, eine Sprache, wie sie sie noch nie gehört hatte. Sie hatte versucht, einige Worte zu lernen, aber mit wenig Erfolg. Die fremden Laute hatten etwas Singendes und ähnelten in nichts der normannischen Sprache.

Sie musste sie lernen. Wenn der König erwartete, dass sie weinte und mit den Zähnen knirschte wegen ihrer Verbannung, dann hatte er sich getäuscht. Sie würde einen Weg finden, hier zu überleben.

Die Nacht warf ihren dunklen Mantel über die Insel, und Isabel zitterte in der abendlichen Kühle. Vielleicht hätte sie einfach eine der Steinhütten stürmen und eine Fackel fordern sollen. Doch wenn sie an den kalten Empfang dachte, den die Inselbewohner ihr bereitet hatten, vermutete sie, dass sie sie eher in Brand gesteckt hätten. Sie hätte die eigene Hütte, die ihr Gatte ihr angeboten hatte, annehmen sollen.

Das Geräusch von Schritten ließ ihr Herz schneller schlagen. Isabel bückte sich und hob einen kleinen Felsbrocken auf.

Wenn ihr Besucher allerdings ein Schwert oder Pfeil und Bogen hatte, würde der Stein nur ein wenig Kopfschmerzen bei ihm hervorrufen. Trotzdem fühlte sie sich damit besser. War es ihr Ehemann? Oder jemand, der ihr Böses antun wollte? Isabel umklammerte den Steinbrocken fester.

Der Schatten eines Mannes fiel auf die geschwärzten Ruinen der Burg. Nein, nicht der Schatten eines Mannes. Der eines Jungen.

Ein junger Bursche mit zottigem Haar trat über die Schwelle. Er sah aus, als hätte er noch nie einen Kamm benutzt. Er hielt Isabel einen Sack hin.

„Was ist das?“, fragte sie, aber er gab keine Antwort. Stattdessen trat er zu ihr und übergab ihr das Bündel.

Brot. Der köstliche Duft ließ Isabel das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie zögerte und fragte sich, ob Patrick den Jungen schickte. „Ist das für mich?“

Er deutete auf die Vorräte und ließ die Augen nicht von dem Brot. Isabel verstand den Wink, brach ein Stück ab und gab es ihm.

„Vermutlich sprichst du nicht meine Sprache.“

Der Junge verschlang das Brot und tat, als hätte er sie nicht gehört. Sie fand einen Krug mit Met in dem Sack und nahm einen tiefen Schluck. Das Essen und der Trank weckten ihre Lebensgeister, und sie begann mit dem Jungen eine Unterhaltung.

„Ich bedauere, dass ich kein Feuer habe, um es mit dir zu teilen. In einer Nacht wie dieser würde es meinen Turm gemütlicher machen.“

Sie aß ihr Brot auf und reichte dem Jungen den Met, damit er einen Schluck nahm. Er trank durstig und gab den Krug zurück. „Eure Inselbewohner wollten mir natürlich nicht helfen. Ich würde selbst eines anzünden, wenn ich Feuerstein und Stahl besäße.“

Obwohl er kein Wort sprach, beobachteten seine scharfen Augen Isabel genau. Trotz seiner Haare und seiner nicht ganz sauberen Kleidung erinnerte sie sein Gesicht an Patrick.

„Du bist sein Bruder, nicht wahr?“ Sie stand auf und ging um ihn herum. Der Junge schien sich nicht wohlzufühlen. „Nun, wenn er dich geschickt hat, um mich auszuspionieren, dann kannst du ihm sagen, dass er kein großartiger König ist. Seine Gastlichkeit lässt ziemlich zu wünschen übrig.“ Mit einem Blick nach oben deutete sie auf die verbrannte Treppe. „Ich würde mich gerne in mein Zimmer zurückziehen, doch wie es scheint, muss ich wohl mit einem Stein als Matratze vorlieb nehmen und mich mit Schmutz warm halten.“

Er rieb die Hände aneinander und deutete auf die kalte Feuerstelle. Isabel strahlte, als er einen kleinen Berg aus Torf und Zunder aufstapelte. Er griff in eine Falte seiner Tunika und zog einen Flintstein und ein stählernes Messer hervor. Es dauerte nicht lange, und er hatte eine Flamme entfacht.

„Dafür könnte ich dich küssen, weißt du das?“, sagte Isabel. „Kluger Bursche.“

Seine Ohren verfärbten sich blutrot, und er mied ihren Blick. Isabel betrachtete ihn gespannt. „Du hast verstanden, was ich gesagt habe, nicht wahr?“

Er gab keine Antwort, doch das Rot vertiefte sich.

„Ich hätte es wissen müssen.“ Sie warf noch ein Stück Torf ins Feuer. „Also, wie heißt du?“

„Ewan Mac Egan“, gestand er. Er nahm einen langen Zug aus dem Krug und traute sich immer noch nicht, sie anzuschauen.

„Ewan. Und warum schickte König Patrick dich statt seiner? Hat er heute Abend etwas anderes zu tun, als seine Ehe zu vollziehen?“

Met sprühte aus seinem Mund, und der Junge musste husten. „Er – er versucht, einen Krieg zu beenden. Er hatte viel zu tun. Er schickte mich, um Euch das Essen zu bringen und um nachzusehen, was Ihr braucht.“

„Einen Krieg?“ Isabel schüttelte den Kopf. „Sei nicht närrisch. Der einzige Krieg ist der, der ausbrechen wird, wenn dein Bruder hierher zurückkommt.“

Ewan sah zu dem Sack mit dem Essen. „Ist kein Brot mehr da?“

„Doch.“ Sie gab ihm noch ein Stück, das er mit Begeisterung aß. Isabel rückte näher ans Feuer und streckte die Hände aus, um sich zu wärmen. „Du bist zu jung, um allein hier zu sein“, bemerkte sie. „Wer kümmert sich um dich?“

„Meine Brüder.“ Ewan starrte in die Flammen. „Letzten Sommer wurden meine Zieheltern in der Schlacht getötet. Patrick erlaubte mir hierzubleiben, aber er hat keine Abmachungen getroffen, mich woanders hinzuschicken. Er ist zu sehr mit den Normannen beschäftigt.“

„Soll ich deinetwegen mit ihm reden?“

„Nein!“ Ewan brach sich noch ein Stück Brot ab. Leicht errötend meinte er: „Es gefällt mir hier.“

Isabel vermutete, dass die Männer den Jungen machen ließen, was er wollte. Natürlich war er da glücklich. Doch sie wusste auch, was es bedeutete, von seiner Familie getrennt zu werden. Wenn es dem Jungen nicht schadete, konnte er genau so gut hier seine Knappenzeit verbringen.

„Warum nimmst du mich nicht mit in die Burg deines Bruders?“, fragte sie und wechselte das Thema. „Ich nehme an, da gibt es mehr zu essen.“

„Kann nicht.“ Ewan wich vor ihr zurück. „Wenn das alles ist, was Ihr braucht, dann komme ich morgen früh wieder.“

„Warum lässt mich dein Bruder nicht auf dem Festland leben?“, fragte sie. „Was könnte ich schon Schlimmes anrichten?“ Außer vielleicht, wenn man etwas vor ihr verbergen wollte.

„Es liegt nicht an Euch. Es sind die anderen.“

„Die anderen?“

„Eures Vaters Recken. Patrick muss sie von unseren Männern fernhalten. Sonst töten sie einander.“ Er stand auf und ging zum Eingang. Von dort aus betrachtete er die graue See. Isabel folgte ihm und blickte zur gegenüberliegenden Küste hinüber. In der Ferne entdeckte sie einige Fackeln entlang des Strandes.

„Ich sollte jetzt aufbrechen“, meine er.

Isabel war nicht gewillt, den Jungen ohne eine Antwort gehen zu lassen. Patrick hatte zugegeben, dass die Heirat arrangiert wurde, um das Leben seines Volkes zu retten. Aber warum waren dann noch die Männer ihres Vaters auf Erin?

„Sag mir, warum die Männer da sind.“ Edwin de Godred würde seine Kämpfer nicht ohne einen Hintergedanken hierhergebracht haben. Das wusste Isabel.

„Befehl von Thornwyck.“ Ewan rieb sich die Arme und trat näher ans Feuer. „Wenn Patrick es nicht verhindern konnte, kämpfen sie jetzt vielleicht schon miteinander. Es ist die erste Nacht, die er sie zusammengebracht hat.“

Isabel nahm noch einen Bissen Brot und versuchte nachzudenken. „Möchte er sie miteinander aussöhnen?“

Ewan schüttelte den Kopf. „Nein, das will Patrick nicht. Das ist unmöglich. Die Normannen töteten unsere Leute in der Schlacht.“

„Aber mein Vater will, dass sie zusammenleben.“ Isabel verstand jetzt den tieferen Sinn ihrer Heirat. Edwin hatte vor, die Burg zu erobern und ihr dann die Befehlsgewalt zu übergeben. Er zählte darauf, dass sie die Männer zusammenbrachte, um Herrin beider Seiten zu werden.

Herrin zweier verschworener Feinde. Lieber Gott, sie wusste nicht, ob ihr das gelingen würde. Oder ob sie diesen Kampf überhaupt wagen wollte.

Es war verlockend, sich hier auf Ennisleigh von all dem fernzuhalten. Ihr Gatte wollte, dass sie hier blieb. Sie holte tief Luft. Auch wenn allein der Gedanke, unter solchen Umständen eine Burg aufzusuchen, ihr schon Angst einjagte, musste sie die volle Wahrheit kennenlernen. Sie musste wissen, was geschehen war. Nur dann konnte sie entscheiden, wie sie weiter vorgehen sollte. Sagte Patrick die Wahrheit? Oder war sie nur seine Gefangene?

„Lass mich dir helfen“, versuchte sie den Burschen zu überreden. „Vielleicht kenne ich einige der Männer. Ich kann sie bitten, euch nicht anzugreifen.“

Ewan schüttelte den Kopf. „Ihr müsst hierbleiben.“

Der Junge rasselte alle möglichen Gründe herunter, warum sein Bruder ihr verbot, die Insel zu verlassen, doch sie hörte einfach nicht hin. Sie konnte hier nicht länger bleiben.

Isabel folgte Ewan den felsigen Abhang hinunter zum Sandstrand, auf den der Junge das Boot gezogen hatte. Seine mageren Arme spannten sich an, um es wieder ins Wasser zu stoßen. Isabel sprang hinein, bevor er noch weit gekommen war.

„Ihr müsst aussteigen“, protestierte Ewan, die Hände am Boot.

„Ich fahre mit dir, und du führst mich zur Burg deiner Brüder. Ich bleibe nicht hier.“

Ewan ließ die Hände sinken. Er starrte auf irgendetwas draußen auf dem Wasser. Isabel drehte sich um und folgte seinem Blick. Sie sah den flackernden Schein mehrer Fackeln. Die Flammen spiegelten sich im Wasser.

Inmitten des grellen Scheins sah sie einen schwarzhaarigen Mann. Er trug einen dunkelblauen Umhang, der von einer Brosche gehalten wurde. Seine Kleidung hob sich kaum vom Dunkel der Nacht ab. Elegant schoss sein Boot über das Wasser. Beim Anblick des vertrauten Gesichts umklammerte Isabel den Bootsrand noch fester.

„Macht Ihr einen Ausflug, werte Gattin?“

5. KAPITEL

Ihr Gatte war nicht allein. Hinter ihm in dem kleinen Fahrzeug saß ein bewaffneter Krieger. Isabel erkannte in ihm einen der Männer ihres Vaters. Warum war er hier? War Edwin de Godred gekommen? Nein, wenn ihr Vater in Erin wäre, wäre er jetzt selbst hier.

„Ich dachte, Ihr wäret damit beschäftigt, einen Krieg zu verhindern“, sagte Isabel und rührte sich nicht von ihrem Platz. Sie benahm sich, als wäre nichts Ungewöhnliches daran, in einem Boot zu sitzen, das auf dem Strand festliegt. „Solltet Ihr nicht Euer Volk vor den schrecklichen Normannen beschützen?“

Mit einer einzigen Bewegung hob Patrick sie aus dem Boot und trug sie den Strand hinauf. Isabel knirschte mit den Zähnen, weil er sie wie einen Sack Korn behandelte.

Der Normanne blinzelte verblüfft, sagte aber nichts. Ewan sprang rasch in sein eigenes Boot und ruderte zum anderen Ufer. Er schien erleichtert zu sein, sich davonmachen zu können, und Isabel verfluchte sich dafür, dass sie nicht früher die Gelegenheit genutzt hatte. Doch es gab immer noch das zweite Boot.

Patrick ging weiter den Hügel hinauf und trug sie dabei auf den Armen. Es war kälter geworden, und der Mond trat hinter den Wolken hervor. Einen Augenblick lang überlegte Isabel, sich mit Zähnen und Krallen gegen Patrick zu wehren. Sie sollte es wirklich tun. Doch ihre eisig kalte Haut spürte seine Wärme, und gleich fühlte sie sich wohler. Die harten Muskeln und der feste Griff hätten ihr Angst einjagen müssen. Stattdessen rührte sich tief innen in ihr etwas. Irgendwie gab er ihr das Gefühl, beschützt zu werden.

„Wieso seid Ihr gekommen?“

„Um dafür zu sorgen, dass Ihr sicher seid.“ Mühelos trug er sie zur Spitze des Hügels und bückte sich dann, um durch den Eingang des rath zu treten. Der Recke folgte ihnen. Er schien sich nicht gerade wohlzufühlen.

„Lasst mich bitte hinunter.“

Patrick entsprach ihrer Bitte, sodass sie jetzt neben ihm stand, aber er lockerte seinen Griff um ihre Hand nicht. Stirnrunzelnd näherte sich der Normanne.

„Wer ist das?“

„Sir Anselm. Er bleibt nicht lang.“

Isabels Misstrauen wuchs. Warum brachte Patrick den Mann noch so spät hierher? „Warum ist er gekommen?“

„Euer Vater sandte ihn, um sich zu versichern, dass ich Euch kein Leid angetan habe.“

Sie glaubte ihm nicht. Es gab noch einen anderen Grund für die Anwesenheit des Ritters. Ihr kam eine andere Idee, und die erfüllte sie mit Entsetzen. „Er … hat doch nicht vor, etwas … etwas zu bezeugen, oder?“ Sie wurde flammend rot bei dem Gedanken, dass ein anderer Mann zuschauen könnte. „Ihr sagtet, Ihr würdet nicht …“ Ihre Stimme erstarb.

„Nein.“

Dank allen Heiligen! Isabel verbarg ihre Erleichterung.

Sir Anselm verbeugte sich vor ihr, und Isabel war sich plötzlich bewusst, dass sie zerlumpter aussah als das ärmste Bettelweib. Unter ihrem zerknitterten Schleier hingen ihr die Haare ungeordnet herunter. Sie trug das irische Gewand, das Patrick ihr gegeben hatte und das die Farbe von Schlamm besaß. Doch sie hielt sich gerade und neigte den Kopf. „Ihr seid Sir Anselm?“

Aye, Mylady.“

Sie glaubte, ihn vielleicht schon früher unter den Männern ihres Vaters gesehen zu haben. Doch da Edwin ihr nie erlaubt hatte, mit den Rittern zu sprechen, war sie sich nicht sicher. Auch wenn er noch kein alter Mann war, verrieten seine Augen, dass er des Kämpfens müde war. Und sie las in ihnen, dass er sich um sie sorgte.

„Ich bin Isabel de Godred, Tochter von Edwin, Baron of Thornwyck.“

Patrick Hand schloss sich fester um die ihre. „Euer Name ist Isabel Mac Egan. Mir angetraute Gattin.“

Seine besitzergreifende Stimme schien sie zu umschlingen und sie bis ins Innere zu berühren. Ihr Herz schlug schneller. Sie war an den neuen Namen nicht gewöhnt, und er gab ihr das Gefühl, als hätte sie einen Teil ihres Selbst verloren.

Patrick wandte sich an Sir Anselm und sagte: „Ihr habt gesehen, was Ihr sehen wolltet. Jetzt geht.“

Der Ritter rührte sich nicht. „Hat man Euch gut behandelt, Mylady?“ Auf Patricks Blick hin, fügte er hinzu: „Euer Vater wünscht, dass ich mich von Eurer Zufriedenheit überzeuge.“

Isabel wollte laut auflachen. Man hatte ihr kaum etwas zu essen gegeben, kein Dach über dem Kopf und das scheußlichste Kleid, das sie je in ihrem Leben getragen hatte. Was sollte sie also sagen?

„Sie ist ganz zufrieden“, mischte sich Patrick ein, die Hand fest um ihr Handgelenk geschlossen. Isabel hätte sich am liebsten losgerissen. Es war nicht nötig, sie wie ein Kind zu behandeln. Doch als sie ihn wütend anstarrte, entdeckte sie in seinen Augen die unerwartete Warnung, still zu sein. Sein finsterer Gesichtsausdruck ließ sie zögern.

Vermutlich war es besser, sich nicht den Zorn des Gatten zuzuziehen. „Ich bin erst heute angekommen“, sagte sie. „Wenn mein Gatte mich zu der Burg auf dem Festland bringen wird, werde ich dort sicherlich größere Bequemlichkeiten genießen.“

So. Jetzt würde Mac Egan sie in sein Heim bringen müssen. Stattdessen trafen seine stahlharten Blicke die ihren mit unnachgiebiger Härte. „Alles zur rechten Zeit.“

„Morgen“, drängte sie.

„Wenn ich es für sicher halte“, knurrte er. Isabel schluckte ihren Ärger hinunter. Er würde nicht nachgeben, besonders nicht vor einem Untergebenen ihres Vaters. Nun gut, sie würde nicht aufgeben. Sie dachte nicht daran zuzulassen, dass er sie mutterseelenallein nach Ennisleigh verbannte.

An Sir Anselm gewandt befahl Patrick: „Bringt das Boot zurück aufs Festland. Beim Morgengrauen werden wir darüber sprechen, wie wir den rath vergrößern können, damit Eure Männer es bequem haben.“

Isabel sank das Herz. Sie hatte geglaubt, er würde mit Sir Anselm zurückkehren. Der Gedanke, die Nacht mit ihm zu verbringen, ließ sie noch unruhiger werden. Sie hatte sich auf eine unbequeme Nacht in einer zerfallenen Burg gefasst gemacht. Aber das hätte ihr wenigstens Gelegenheit gegeben, den nächsten Schritt zu planen.

Sir Anselm musterte Isabel, und sie hielt seinem Blick stand. Stumm fragte er nach ihrem Wohlergehen. Sie zögerte, bevor sie mutig seinem Blick begegnete. „Werde ich Euch bald wiedersehen, Sir Anselm?“

Er neigte den Kopf. „Wenn Mylady es wünschen …“

„Ihr werdet Euch um andere Pflichten kümmern müssen“, unterbrach ihn Patrick und warf ihr einen warnenden Blick zu.

Der normannische Ritter ging zum Boot zurück. Isabel stieß einen bedauernden Seufzer aus, als er sich vom Ufer entfernte. „Gehe ich recht in der Annahme, dass es keine Hoffnung gibt, auch Ihr könntet verschwinden?“

„Noch nicht.“

„Ein Krieg könnte ausbrechen“, schlug sie vor. Panik stieg in ihr auf. „Ihr könntet gebraucht werden.“

Sie wünschte ihn weit weg. Auch wenn er behauptete, er wolle ihr keinesfalls die Unschuld nehmen, so war etwas an diesem Mann, das ihr den gesunden Verstand zu rauben drohte. Er strahlte etwas Wildes aus: Niemals würde er einer Frau erlauben, ihn zu zähmen.

Patrick nahm ihre Hand und hielt sie fest, als wollte er Isabel an der Flucht hindern. Zwar tat er das nur, um sie zur Burg zu führen, trotzdem bekam sie eine Gänsehaut.

Was wollte er von ihr? Wollte er den Schein wahren und sich wie ein Ehemann benehmen? Sie verstand ihn nicht. Ein wenig fragte sie sich allerdings auch, ob er sie nicht anziehend fand. Einige ihrer Verehrer hatten sie beschuldigt, hochmütig zu sein. Und sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte.

Isabel warf einen letzten Blick auf Sir Anselms Boot und die flackernden Fackeln am Ufer. Ein Schauer überlief sie angesichts der Endgültigkeit ihres Schicksals. „Mir ist kalt.“

Patrick blieb stehen, ergriff ihr Umschlagtuch und legte es sorgsam um ihre Schultern. Selbst wenn seine Hände dabei ihre Haut nur streiften, hatte die leichte Berührung etwas sehr Vertrautes. „Ich bringe Euch an einen Ort, wo Ihr es wärmer habt.“

Isabel errötete und senkte die Augen. Sie wünschte, sie hätte nichts gesagt. „Es ist nicht nötig, dass Ihr bei mir bleibt. Ihr könnt immer noch zum Festland zurückkehren.“

„Das werde ich. Aber später.“

Später? Und was hatte er in der Zwischenzeit vor? Sie unterdrückte ihre Besorgnis. „Nehmt mich mit Euch“, brach es aus ihr heraus. „Ich verspreche Euch, auch nicht im Weg zu sein.“ Wenigstens wäre er dann mehr mit seinem Stamm als mit ihr beschäftigt.

Er sah sie mit unnachgiebiger Entschlossenheit an. „Ich würde keine Frau mitten in einen Krieg bringen. Und dabei bleibt es.“

Isabel verkroch sich in ihren brat und überlegte, was sie noch tun konnte. Sie hatte fest vor, nicht zurückzubleiben. Doch ihren Ehemann zu überzeugen würde Zeit brauchen.

Sie blieben vor einer der Hütten stehen, und Patrick klopfte energisch an den hölzernen Türrahmen. Er sprach einige Worte auf Irisch. Sein befehlender Ton zeigte sofort Wirkung.

Eine junge Familie, ein Mann und eine Frau, antworteten auf sein Klopfen. Hinter ihnen sah Isabel kleine Kinder, die auf Strohmatratzen schliefen. Noch ein Befehl von Patrick, und die beiden nahmen ihre Kinder und brachten sie hinaus. Ohne zu protestieren gingen sie zu einer anderen Hütte und drängten die Kleinen hinein. Isabel konnte einen Blick auf die Bewohner im Innern dieser Hütte werfen und machte sich Sorgen über die Enge, die jetzt dort herrschte.

„Ihr zwingt sie, zu dieser Stunde ihr Heim zu verlassen?“, sagte sie empört. „Was ist mit ihren Kindern?“

„Sie gehorchen einem Befehl des Königs.“

Isabel konnte nicht glauben, was Patrick da gerade getan hatte. „Es ist ihr Heim.“

„Und sie werden gut dafür entschädigt werden, dass sie es zur Verfügung stellen. Es ist ja nur für einige Zeit, und das wissen sie auch.“

„Dort drüben gibt es einen sehr gut erhaltenen Turm.“ Sie sagte natürlich nicht die Wahrheit, denn die Überreste des Wohnturms besaßen kein richtiges Dach mehr.

Er hielt die Tür für sie auf. „Sie wussten von meinem Wunsch noch bevor Ihr kamt, Isabel. Zur Entschädigung gab ich ihnen einige Schafe.“

Ihr gefiel das alles nicht. Doch dass die Leute dafür bezahlt wurden, erleichterte sie etwas.

Beim Eintritt in die Behausung umfing sie angenehme Wärme. Zu Isabels Erstaunen sah sie keine Feuerstelle. Große Steine in der Mitte der Hütte strahlten die Hitze aus. Wahrscheinlich waren sie zuvor im Torffeuer draußen erhitzt worden. Öllampen verbreiteten ein schwaches Licht in dem kleinen Raum.

Patrick legte seinen Umhang ab und setzte sich auf eine der Matratzen. Isabel wandte sich ab und hielt die Hände über die Steine, um sie zu wärmen.

„Hat Ewan Euch etwas zu essen gebracht, wie ich es ihm befahl?“

„Hat er. Danke, dass Ihr ihn schicktet.“ Ihr Blick schweifte zu der flachen Strohmatratze. Der Gedanke, sich niederzulegen, war verführerisch, doch Patricks Gegenwart beunruhigte sie. Sie fühlte sich wie eine Gefangene, die einem ungewissen Schicksal entgegensah.

Er ging zu dem niedrigen Tisch, auf dem ein Trinkschlauch voll Met wartete. Dort goss er zwei Holzbecher voll und gab Isabel einen. Den Becher hebend sagte er: „Slaínte.“

Isabel trank, und das Gebräu wärmte ihren Magen. Lange sagte Patrick nichts. Als die Stille unerträglich wurde, fragte Isabel: „Wolltet Ihr schon immer König werden?“

„Nein.“ Er setzte sich an den Tisch und ließ die Hand auf den Knien ruhen. „Es war das Letzte, das ich werden wollte.“ Die Niedergeschlagenheit in seiner Stimme erstaunte sie.

„Die meisten Männer träumen von solch einer Ehre“, wagte sie zu bemerken.

„Ich wurde nur König, weil mein Bruder starb. Er hätte es verdient, unseren Stamm zu regieren.“ Für einen Augenblick ließ er den Schild aus Zorn und Wut fallen, und Isabel erhaschte einen Blick auf den Mann, der sich hinter dem Krieger verbarg. Er trauerte um seinen Bruder, wie es jeder getan hätte.

„Wie starb er?“ Sie füllte Patricks Becher aus dem Schlauch, und er nahm einen Schluck.

„Letzten Sommer wurde er in der Schlacht gegen die Männer Eures Vaters erschlagen.“

„Das tut mir leid.“ Sie fühlte sich ihren Schwestern sehr verbunden, und der Gedanke, ihnen könnte ein Leid geschehen, schmerzte.

„Mir auch.“ Er stellte den Becher auf den Tisch, und sie gab ihm ein Stück Brot aus dem Sack, den Ewan gebracht hatte. Patrick nahm es und verzog das Gesicht, als er merkte, wie hart es war. Wahrscheinlich lag es am Sauerteig, vermutete sie. Vielleicht schlechtes Wasser oder verdorbenes Mehl. In Gedanken nahm sie sich vor, sich darum zu kümmern.

Ihr kam ein Gedanke. Patrick hatte gesagt, sein Bruder wäre gestorben. Aber gab es noch eine Königin?

„Was geschah mit der Frau Eures Bruders?“, fragte sie.

„Uilliam wollte Neasa Ó Connor, die Tochter eines Verbündeten, heiraten. Doch dazu hatte er nicht mehr die Gelegenheit.“

„Liebte er sie?“

Patrick zuckte die Achseln. „Das bezweifle ich. Doch die Heirat war eine Möglichkeit, unsere beiden Stämme dauerhaft aneinander zu binden.“

„Ähnlich wie bei uns“, meinte sie nachdenklich, doch Patrick erwiderte nichts. Isabel setzte sich ihm gegenüber und betrachtete ihn. Sie versuchte hinter die Mauer zu sehen, die er um sich errichtet hatte. Erschöpfung hatte tiefe Linien um seine Augen gezeichnet. „Ihr seht müde aus“, sagte sie. „Warum ruht Ihr Euch nicht aus?“

Er nahm einen Schluck aus seinem Becher und schob ihn dann beiseite.„Ich kann nicht. Die Männer Eures Vaters zogen heute Abend in Laochre ein. Die Stimmung ist aufgeheizt, und ich fürchte, es droht ein Kampf.“

An dem zurückhaltenden Ausdruck auf seinem Gesicht konnte sie erkennen, dass ihm die Vorstellung von noch mehr Normannen unter ihnen nicht gefiel. Isabel ließ sich nicht anmerken, dass seine Anwesenheit sie beunruhigte. Seine nackten Arme schimmerten im schwachen Licht der Lampen. Er sieht aus wie ein heidnischer Gott, dachte sie. Wie ein Krieger, der nichts wieder hergab, was ihm einmal gehörte.

„Dieses Mal solltet Ihr mir Euren Bogen dalassen“, sagte sie. „Sollten die Inselbewohner versuchen, mich im Schlaf zu ermorden, muss ich mich verteidigen können, denn Ihr seid nicht hier, um sie daran zu hindern.“ Sie wollte nicht hilflos zurückgelassen werden.

„Sie werden Euch nichts tun.“

Auch wenn er vielleicht recht hatte, sie wollte trotzdem eine Waffe. Die Leute hatten sich nicht die Mühe gemacht, ihr die Tür zu öffnen, als sie Feuer brauchte. Es schmerzte Isabel, dass die Menschen ihrer neuen Heimat nichts von ihr wissen wollten.

„Es ist spät.“ Er stand auf und löschte zwei der Lampen. Dann griff er nach seinem Umhang. „Ich muss zurück.“

Am liebsten hätte sie einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen. Doch sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil ihretwegen die andere Familie fortgeschickt worden war. Es war nicht richtig, dass sie diese Hütte für sich allein hatte, während andere sie brauchten. Bei Anbruch der Morgendämmerung würde sie einen Weg finden, um zum Festland zu kommen.

Freundschaftlich streckte sie die Hand aus. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“

Patrick trat nicht zu ihr, noch nahm er die angebotene Hand. Obwohl er an der gegenüberliegenden Seite des Raums stand, meinte sie seine Wärme zu spüren. Er sah sie lange an, sein Blick brannte sich in den ihren. Isabel betrachtete seinen Mund, das scharfgeschnittene Kinn und die stolze Haltung. Unerwartet wurde sie von einer Welle von Gefühlen überrollt.

„Gute Nacht.“ Die Tür schloss sich hinter ihm, und Isabel atmete zitternd aus.

Patrick Mac Egan war weit gefährlicher, als sie erwartet hatte.

Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie ihre Zukunft nicht planen. Der Gedanke, Gefangene auf Ennisleigh zu bleiben, machte sie wütend. Sie musste wissen, was hier vorging, und sie hasste es, untätig zu sein.

Das Herz wurde ihr schwer. Sie schloss die Augen und versuchte, nicht zu verzweifeln. Das war der erste Schritt, den sie tun musste, um von dieser Insel herunterzukommen.

Ruarc Mac Egan brannte auf einen Kampf. Er wollte seinen Dolch aus der Scheide ziehen und ihn im Blut der Normannen baden. Bei Belenus, was dachte sich sein Cousin Patrick nur dabei, ihnen die Tore zu öffnen? Erkannte der König denn nicht, dass der Feind vorhatte, sie zu schwächen und ihnen den rath zu nehmen? Der einfältigste Tölpel konnte das erkennen.

Er beobachtete die Normannen und wartete darauf, dass einer von ihnen eine Bewegung machte. Sie hatten ihr Mahl beendet, und ihre Gesichter waren vom vielen Met gerötet. Gut. Sollte das starke Gebräu ihnen die Sinne benebeln.

Auf der Suche nach einem geeigneten Gegner ging er an den Bänken entlang. Als er den letzten Normannen erreichte, versetzte er ihm einen so heftigen Stoß, dass der Mann zu Boden fiel.

Wie Ruarc gehofft hatte, sprang der Krieger auf die Füße und zog sein Messer. Ruarc duckte sich unter der Klinge weg, während er hörte, wie um ihn herum seine Clansleute in begeistertes Geschrei ausbrachen. Er ließ den Normannen näher kommen und wartete auf den richtigen Zeitpunkt. Der Dolchgriff aus Elfenbein erwärmte sich langsam in seiner Hand, während eine wilde Vorfreude sein Blut schneller fließen ließ.

Eine Faust kam auf ihn zu, und er beugte sich zurück, um ihr auszuweichen. Ruarc trat nach dem Bein des anderen in der Hoffnung, ihn zu Fall zu bringen.

Stattdessen wehrte der Normanne den Tritt ab. Als Ruarc dadurch ins Stolpern kam, verspürte er einen heftigen Schmerz im Arm. Er wartete darauf, dass sein Feind den Kampf eröffnete, um ihm dann die Klinge in die Brust zu stoßen. Er umkreiste den Gegner … und wartete …

„Was, im Namen Lugs, treibst du da?“, brüllte Trahern. Ruarc versuchte, sich ihm zu widersetzen, doch sein riesenhafter Cousin schubste ihn einfach fort und landete seine Faust auf Ruarcs Kinn.

„Kämpfen“, erwiderte Ruarc trocken.

„Jetzt nicht mehr.“

Der Normanne beobachtete ihre Auseinandersetzung und wischte sich dabei mit einem großspurigen Grinsen Blut von der Lippe.

Bastard. Wenn Trahern sich nicht eingemischt hätte, hätte er, Ruarc, den Kampf gewonnen. Doch er zügelte seine Wut und starrte seinen Feind nur böse an. Er würde schon noch Gelegenheit zur Rache bekommen, und wenn es nach ihm ging, recht bald.

Er strich sich über die brennende Wunde am Arm und ging rasch aus dem Saal. Aus den Hütten war gedämpfte Unterhaltung und der schwache Schrei eines Kindes zu hören.

Als er die Tür zu seiner eigenen Behausung öffnete, war von drinnen kein Willkommensgruß zu hören, nur ein angstvolles Keuchen. Er hob die Öllampe und sah das Gesicht seiner Schwester Sosanna. Blass und verängstigt atmete sie hörbar erleichtert auf, sobald sie erkannte, dass nur er es war. Ungekämmt und verfilzt fiel ihr das blonde Haar auf die Schultern. Und Ruarc bemerkte, dass sie auch ihr Kleid nicht gewechselt hatte.

Der Magen krampfte sich ihm zusammen. Früher war sie nicht so gewesen.

Sosanna drehte sich mit einem zaghaften kleinen Lächeln auf den Lippen um und fiel wieder in den Schlaf. Sie sagte nichts, so wie sie all die vergangenen Monate nichts gesagt hatte. Keiner wusste, was während des Angriffs mit ihr geschehen war, doch Ruarc gab den Normannen dafür die Schuld. Ihr Vater und ihre jüngere Schwester Ethna waren in der Schlacht umgekommen. Ethna hatte versucht, vom Kampfplatz zu fliehen, nur um von den Pferden zu Tode getrampelt zu werden.

Ruarc hatte ihren zerschlagenen Körper gefunden und laut um sie geweint. Seine stille Verbitterung über Sosannas Schicksal hielt jedoch an, fraß an ihm wie ein Geschwür. Eines Tages würde er erfahren, was man ihr angetan hatte. Und wenn die Götter Erbarmen mit ihr hatten, würden sie ihre unsichtbaren Wunden heilen.

Sein ganzer Stamm hatte schwere Verluste erlitten. Doch statt Angriff mit Angriff zu beantworten, statt sich zu rächen, hatte Patrick sich eine normannische Braut genommen. Ein Verräter, das war er. Einer, der verdiente, dass er die Macht verlor.

Ruarc brachte es nicht über sich, den Mac Egan seinen König zu heißen. Obwohl Patrick die Unterstützung seines Volkes gewonnen hatte, sah Ruarc voraus, dass der Thron seines Cousins ins Wanken kommen würde.

Er hatte vor, dabei zu sein, wenn er stürzte.

6. KAPITEL

„Sir Anselm möchte dich sprechen“, berichtete ihm Bevan. Patrick trat aus der Kapelle, in der die Luft schwer von Weihrauch war. Er hatte in der Morgenmesse um Beistand und Führung gebetet. Doch der vertraute Ritus hatte ihm keinen Trost gebracht.

Draußen überblickte er die Überreste des rath. Die Palisadenwände mussten nach der Verwüstung durch den Brand ausgebessert werden. Auch wenn bereits einige Fortschritte zu sehen waren, sie genügten nicht, um dem Stamm Sicherheit zu verschaffen. Etliche Stellen unter dem Torhaus drohten zusammenzubrechen.

Erschöpfung hatte tiefe Linien in die Gesichter seiner Männer gegraben. Wie er selbst sahen auch sie aus, als hätten sie nicht geschlafen. In der Nacht war er in ein ruhiges Laochre zurückgekehrt. Nachdem er endlich in sein eigenes Bett gekommen war, hatte er sich dabei ertappt, wie er den Platz neben sich betrachtete. Er verspürte immer noch kein Verlangen zu heiraten, schon gar nicht eine normannische Braut. Dass er sie verlassen hatte, hätte ihm Erleichterung verschaffen müssen. Stattdessen stellte er fest, dass er an Isabel denken musste. Er konnte sich nicht erinnern, Schlaf gefunden zu haben. Denn wenn er nicht über seine Braut nachdachte, hatte er die Wände angestarrt und gebetet, der zerbrechliche Friede möge halten.

Jeden Muskel angespannt überquerte er den Burghof. Einige seiner Stammesangehörigen hatten frische Schnitte, geschwollene Augen und Handknöchel. Ganz offensichtlich war es während seines Besuchs auf Ennisleigh in Laochre nicht friedlich zugegangen.

„Was ist geschehen?“, fragte er und deutete mit dem Kopf auf einen der Männer.

Bevan zeigte auf Ruarcs Behausung. „Ruarc fing einen Messerkampf an, und obwohl Trahern dem schnell ein Ende machte, zettelten einige andere später ein Scharmützel an.“

„Gibt es gebrochene Knochen oder ernstere Verletzungen?“, fragte Patrick.

Bevan zuckte die Achseln. „Ich weiß von keiner. Aber ich selbst habe ein, zwei Nasen blutig geschlagen.“

„Das hättest du nicht tun sollen.“

Das Gesicht seinen Bruders verhärtete sich. „Sie verdienen noch viel mehr, und das weißt du ganz genau.“

„Aber dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Rufe die Männer zusammen und hole die normannischen Krieger in die Burg. Ich will zu allen reden.“

Auch wenn Patrick seinem Bruder uneingeschränkt vertraute, er wusste, wie sehr Bevan die Normannen hasste, und dass sein Temperament überzuschäumen drohte. Doch er brauchte jeden loyalen Mann, um Laochre zu schützen. Und Bevan war einer, der bis zum Tod für ihren Stamm kämpfen würde.

Patrick überlegte, was er den Männern sagen wollte. Im Augenblick beugten sich die Normannen noch der Autorität Sir Anselms. Und wenn der normannische Ritter sich auch würdevoll benahm, so wollte Patrick doch Sir Anselms Eid auf ihre Allianz verlangen. Nur dann konnte er selbst den Normannen befehlen und sie von seinen eigenen Männern fernhalten.

Während er noch über seine Ansprache nachdachte, betrat Patrick sein eigenes Gemach. Er zog sich eine bessere Tunika und andere Beinlinge an. Obwohl er zuvor keinen großen Wert auf seine Erscheinung gelegt hatte, wollte er heute die Rolle des Königs spielen. Wenn er nicht die Lage unter Kontrolle bekam, würde das seinen Stamm noch mehr schwächen.

Er trug den blauen Mantel, den ihm sein Vater gegeben hatte. Das Tuch besaß immer noch die strahlende Farbe, und die silberne Stickerei darauf hatte Patricks Mutter angefertigt. Doch der Mantel wog schwer auf seinen Schultern. Patrick wusste nicht, wie er ein ähnlich gelassener, tatkräftiger Anführer wie seine Vorgänger werden sollte. Er verstand es besser, das Schwert zu führen als eine Krone zu tragen.

Doch das Volk hatte ihn gewählt. Und ob er wollte oder nicht, er musste die Verantwortung übernehmen, die die Königswürde ihm brachte.

Ein Klopfen unterbrach seine Gedanken. Sein Bruder Trahern. „Die Männer haben sich versammelt. Normannen wie auch unsre Leute erwarten deine Befehle.“

Patrick nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis. Er öffnete eine Truhe am anderen Ende des Gemachs und entnahm ihr das zeremonielle minn óir und Ringe für die Arme. Neben dem Diadem ruhte ein silberner Kopfreif und ein mit Amethysten besetzter silberner Torques, der keltische Halsschmuck. Sie waren für seine Königin bestimmt. Isabel würde sie nie und nimmer tragen. Eher würde er den Schmuck zerstören, als ihn einer Normannin geben.

„Seit deiner Krönung habe ich dich das nicht mehr tragen sehen“, meinte Trahern und deutete auf den goldenen Reif.

Patrick setzte sich den minn óir auf den Kopf. „Das hat seinen Grund. Heute müssen die Normannen mich als ihren König anerkennen.“

„Du siehst reizend aus“, neckte Trahern ihn. „Wirst du vielleicht auch noch Goldkugeln im Haar tragen?“

Narr! Patrick verbarg sein Grinsen und boxte seinem jüngeren Bruder leicht gegen die Schulter. Trahern erwiderte den Hieb lachend mit einem Schlag auf Patricks Rücken.

„Geh und mach dich hübsch“, wies Patrick ihn an. „Du siehst aus wie eine ganze Schweineherde.“

Trahern trug eine verblasste safranfarbene Tunika und braune Beinlinge. Seine Stiefel waren mit Schlamm bespritzt. „Ich bin auch nicht der König, oder? Du bist derjenige, der die zeremoniellen Ansprachen halten und die Befehle geben muss“. Er lehnte sich an den Türrahmen und schauderte demonstrativ.

„Ich wünschte, ich könnte ihnen befehlen, abzuziehen.“

„Du könntest ihnen ein Fest geben, an das sie sich erinnern werden“, schlug Trahern vor. „Es würde sie vielleicht in bessere Stimmung versetzen und unsere Leute auch. Seit Langem haben wir kein frisches Fleisch mehr gehabt. Oder gutes Brot. Meinst du, deine neue Frau weiß, wie man besseres Essen zubereitet?“

„Vermutlich würde sie uns eher alle vergiften.“ Doch er erinnerte sich an ihre Unterhaltung am Abend und daran, wie Isabel still und ungefragt seinen Becher gefüllt hatte. Mit den Haaren, die ihr über die Schulter fielen, und den unschuldigen Augen hatte sie eine ruhige Schönheit ausgestrahlt. Patrick schloss die Augen. Sie war nicht seine Königin und würde es nie werden.

„Gib den Befehl, ein Fest zu feiern“, trug er seinem Bruder auf. „Und lass Huon mein Pferd bringen.“ Nachdem er die königlichen Insignien angelegt hatte, eilte Patrick den schmalen Gang entlang und stieg die Wendeltreppe hinunter.

Im Innern der Großen Halle hatten sich seine Stammesmitglieder versammelt. Als würden sie Befehle erwarten, standen Männer und Frauen an beiden Enden der Halle beisammen. Manche der kleineren Kinder unterbrachen plappernd die Stille, nur um sofort von ihren Müttern zur Ruhe ermahnt zu werden. Die Männer knieten zum Zeichen ihres Respekts nieder.

Patrick durchquerte die Halle. Auf der Schwelle blieb er stehen und blickte zu ihnen zurück. Keiner von den Normannen war da.„Kommt. Was ich zu sagen habe, muss zu jedem gesagt werden, der hier in Laochre lebt.“

Mit ihren verdrossenen Gesichtern glichen seine Stammesmitglieder eher störrischen Kindern als erwachsenen Männern und Frauen. Doch sie gehorchten und folgten ihm nach draußen.

Die Normannen standen auf der gegenüberliegenden Seite des rath. Einige von ihnen waren erfahrene Streiter, andere kaum älter als sein jüngerer Bruder Connor.

Patrick bestieg sein Pferd und lenkte Bel in die Mitte des Ringwalls. „Heute wird nicht gekämpft.“ Dabei blickte er jeden Mann, jede Frau und jedes Kind an. „Mein Volk kämpft jedenfalls nicht.“

Er wandte sich an den normannischen Befehlshaber Sir Anselm. „Und auch Eure Männer nicht. Jeder, der versucht, den Frieden zu brechen, wird die Folgen zu tragen haben.“

Stille senkte sich über die Versammelten, die stumm gegen seine Entscheidung rebellierten. Patrick konnte ihren Widerspruch spüren. Doch er änderte nichts an seiner Entscheidung.

„Trahern“, rief er seinem Bruder zu, „stell sie zu Paaren auf. Zu jedem Normannen gib einen unserer Stammesleute.“ Trahern senkte den Blick, dennoch verweigerte er nicht den Gehorsam.

„Als Strafe für Euren Kampf werdet ihr den ganzen Tag lang Seite an Seite arbeiten. Jeder Mann wird einem Abschnitt des Palisadenzauns zugeteilt oder einem Teil der Hauptburg. Ihr werdet heute mit den Reparaturen beginnen.“

Einige der Normannen starrten ihn an. Die Ablehnung stand ihnen auf den Gesichtern geschrieben. Doch als sie ihren Befehlshaber anblickten, nickte der stumm. Selbst wenn der Ritter in keiner Weise seine Autorität untergraben hatte, stieg in Patrick Ärger auf. Das hier war seine Burg, da konnte er nicht zulassen, dass die Männer auf Anselms Befehle warteten.

Er trat zurück und sah zu, wie Trahern die Männer zu Paaren aufstellte. Ihre Gegner waren zahlreicher, und als etwa zwanzig Männer übrig blieben, sagte Patrick: „Bevan und ich werden den Rest übernehmen.“

„Was sollen wir tun?“, fragte eine der Frauen. „Sollen wir an den Strohdächern arbeiten?“

„Nein“, antwortete er. „Schlachtet einige der Schafe und beginnt mit den Vorbereitungen zu einem Festessen für die Männer. Diejenigen, die ihren Beitrag bei der Instandsetzung der Burg leisten, werden belohnt werden. Diejenigen, die weiterhin miteinander kämpfen, werden hungrig bleiben.“

Nach dieser Ankündigung befahl er den noch verbliebenen Normannen, ihm zu folgen. Bevan ging mitten unter ihnen, blanker Hass im Auge. Da sein Bruder gedroht hatte, ihn zu verlassen, war Patrick ihm dankbar dafür, dass er es nicht getan hatte. Die einzigen Männer, denen er im Augenblick vertraute, waren seine Brüder.

Er führte sie zu Baginbun Head, von wo aus man Bannow Bay sehen konnte, wo die Normannen gelandet waren. Frisch gesprossene Grasbüschel wiegten sich im Wind, während die Flut auf den Sand aufschlug. Rötlich-braune Felsen säumten den Strand, als hätte dort die Erde das beim Angriff vergossene Blut aufgesogen.

Sobald sie den Gipfel des Hügels erreichten, zügelte er Bel. „Erinnert ihr euch an die Schlacht?“, fragte er die Männer mit grimmiger Stimme. Auf ihren Gesichtern konnte er ihre Erinnerungen erkennen. Mehr als ein Mann war voller Kummer um jene, die gestorben waren.

„Letzten Sommer haben unsere Männer einander getötet. Das werden wir nie vergessen.“ Patrick selbst erlebte in diesem Moment noch einmal, wie er seinen Bruder Uilliam hatte fallen sehen, hingestreckt von einem Schwertschlag. Immer noch machte er sich Vorwürfe.

Er hob die Augen und sah seine Männer an. „Und ich weiß auch, dass beide Seiten nichts lieber täten, als einander zu töten.“ Er legte die Hand auf den Griff seines Schwertes, umfasste den vertrauten Rubin. „Doch wenn wir auch Feinde sind, so fordere ich euch auf, bis zur nächsten Ernte in Frieden unter uns zu leben.“ Er sagte nichts über Thornwycks Absicht, hierherzukommen, noch etwas über seine eigenen Pläne, die Normannen nach England zurückzuschicken.

Er wandte sich an Sir Anselm. „Ich fordere Euch auf, Euren Eid auf unsere Allianz zu schwören.“

Das Gesicht des normannischen Ritters erstarrte vor Zorn. Seine Hand griff zum Schwert, als wollte er sich der Aufforderung widersetzen. Bevor er noch etwas sagen konnte, fügte Patrick hinzu: „Ich bin König dieses Landes. Ich habe Thornwycks Tochter geheiratet, und wenn Ihr unter uns leben wollt, so müsst Ihr unsere Gesetze akzeptieren.“ Er ritt näher an Anselm heran und erwiderte den Blick des Ritters voller Entschlossenheit. „Ungehorsam werde ich nicht zulassen. Noch Untreue.“

Er wandte sich an die übrigen Männer. „Jeder von uns muss seine Wahl treffen. Wenn ihr euch weigert, den Eid abzulegen, werdet ihr außerhalb des rath leben. Von uns werdet ihr nichts erhalten.“

„Und wenn wir uns einfach nehmen, was wir brauchen?“, fragte Anselm, und seine dunklen Augen funkelten.

„Dann beginnt der Kampf von Neuem.“

Er wollte keinen Krieg, doch er konnte auch nicht dulden, dass die Normannen die Herrschaft über Laochre an sich rissen. Es gab keine Alternative, auch wenn er nicht wusste, ob sie ihm gehorchen würden.

Wahrscheinlich war das der schlechteste Einfall, den sie je gehabt hatte. Das Wasser war gnadenlos kalt. Es war, als würden Messer ihr die Haut zerschneiden. Isabel klapperte mit den Zähnen. Mit halb erfrorenen Gliedern versuchte sie das gegenüberliegende Ufer erreichen. Die Wellen klatschten auf ihre Arme und Beine und füllten ihr Mund und Nase mit bitterem Salzwasser.

Sie klammerte sich an ein Stück Palisadenzaun, das sie als provisorisches Floß benutzte und zwang sich zu schwimmen. Die kräftigen Stämme waren zu einer rechwinkligen Fläche zusammengebunden, doch sie trugen Isabels Gewicht nicht so, wie sie es gehofft hatte. Sie hatte ein kleines Bündel, das ihr Kleid enthielt, daraufgelegt, aber auch das war völlig durchweicht.

Heute Morgen hatte Isabel den Entschluss gefasst, sich selbst das Festland und die Burg anzusehen. Bis jetzt kannte sie das Ausmaß der Zerstörung nicht, und sie musste die Wahrheit wissen – ganz abgesehen davon, dass sie vor Langeweile fast umkam.

Allerdings hatte sie den Ort, an dem die Inselbewohner ihre Boote lagerten, nicht finden können. Am ganzen Ufer war kein einziges zu sehen. Sie wusste nicht, wie Patrick vor ein paar Nächten die andere Seite hatte erreichen können. Also blieb ihr keine Wahl, als sich ein eigenes Fahrzeug zu bauen.

Das Festland schien so nahe zu sein, doch mit jeder Bewegung fühlten ihre Arme sich schwerer an. Wenn sie ertrank, würden die Seelen der Toten sie wahrscheinlich wegen ihrer Dummheit auslachen.

Nun gut, so weit war sie inzwischen gekommen. Und nun blieb ihr nichts anderes übrig, als die Küste zu erreichen. Sie klammerte sich mit einem Arm am Floß fest und schwamm weiter.

Es schien Stunden zu dauern, doch schließlich berührten ihre Füße wieder festen Boden. Das Hemd klebte ihr am Leib, als sie an Land taumelte. Die späte Nachmittagssonne bot keinerlei Wärme.

Isabel konnte sich nicht daran erinnern, jemals so gefroren zu haben. Sie umklammerte ihre Arme und wurde von Kälteschauern geschüttelt. Ihre Fingerspitzen waren völlig gefühllos. Vielleicht würde ihr Gatte ihren sterbenden, erfrorenen Körper hier finden.

Sie zog ihre Schuhe aus dem Bündel. Mit zitternden Fingern versuchte Isabel, sie anzuziehen. Auch wenn sie schon den Gedanken hasste, das nasse wollene Gewand wieder anzuziehen, es würde sie vielleicht ein wenig wärmen. Als sich der feuchte Stoff jedoch um sie legte, schien er ihr auch noch den Rest Wärme aus dem Leib zu ziehen.

Ein Feuer. Sie träumte von einem hell lodernden, brüllenden Feuer und davon, wie es ihr die Kälte aus den Adern trieb. Der Gedanke hob ein wenig ihre Lebensgeister, und sie stapfte mühsam den Strand entlang, bis sie den Fuß des Abhangs erreichte. Sie schützte ihre Augen mit der Hand vor der Sonne und stöhnte beinahe, als sie sah, wie weit es bis zum Ringwall war.

Doch jetzt kannte sie wenigstens ihr Ziel. Die Burg von Laochre beherrschte die Landschaft. Es gab sogar Felder, deren frische Saat den Hügel mit neuem Grün sprenkelte. Hütten mit Strohdächern umgaben das Gebäude, während ein Palisadenzaun die Bewohner schützte. Jenseits der Palisaden boten ein großer Graben und ein Wall weitere Verteidigungsmöglichkeiten.

Isabel presste die Hand auf den Mund, als sie die Felder erreichte. Beim näheren Hinsehen erkannte sie die geschwärzten Mauern und die zusammengefallenen Behausungen. Sie hatte sich einen Ort großen Reichtums vorgestellt, eine Burg, die eines Königs würdig war.

Aber das hier …

Die Streitmacht ihres Vaters hatte den einst mächtigen Ringwall in die Knie gezwungen. Fast konnte sie den Rauch noch riechen, die Schreie derer hören, die gestorben waren. Es tat weh, dies alles zu sehen.

Und mit einem Mal wusste sie, warum ihr Ehemann nicht wollte, dass sie es sah. Das hier war nicht das glorreiche Königreich eines Kriegers, sondern die sterbenden Reste seines Stammes. Isabel versuchte, sich nicht das Leid der Frauen und Kinder vorzustellen. Sie schlang die Arme um sich und bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen.

Der Anblick brachte die Erinnerung an das zerstörte Dorf und das weinende Kind zurück. Damals hatte sie nicht gehandelt, und die Schuld lastete schwer auf ihrem Gewissen.

Die Erschöpfung in den Augen ihres Gatten, die unsichtbare Last auf seinen Schultern, all das verstand sie nun. Sie fühlte die Bürde, als wäre es ihre eigene. Konnte sie Patrick bei seiner Aufgabe helfen? Doch ihr sturer Ehemann würde wahrscheinlich jede Hilfe ablehnen, ganz besonders, wenn sie von ihr kam.

Mit jedem Schritt wurde ihr Entschluss fester. Sie würde hierbleiben, weil es das einzig Richtige war. Sie konnte nicht die verlassen, die so viel verloren hatten. Nicht, wo sie doch ihren König geheiratet hatte. Und selbst wenn ihre Ehe eine sehr distanzierte Angelegenheit blieb, Isabel wurde hier gebraucht.

Durch Gestrüpp und kleine Gehölze näherte sie sich dem Ringwall. Immer noch heftig zitternd blieb sie stehen, um sich etwas auszuruhen. Nur der Gedanke an ein Feuer und ihre hartnäckige Weigerung zu sterben ließen sie vorwärtsgehen.

In der Ferne hörte sie Männerstimmen. Es war zu spät, um sich zu verstecken, und so straffte sie die Schultern.

Benimm dich wie eine Königin, befahl sie sich und versuchte, nicht daran zu denken, wie schmutzig und abgerissen sie aussah. Und auch nicht daran, wie zornig Patrick sein würde, wenn er ihre Flucht entdeckte.

Der Wall, auf dem der Palisadenzaun stand, war voller Männer. Sie rissen zerbrochene Teile ab und befestigten neue an ihrer Stelle. Die Männer ihres Vaters arbeiteten Seite an Seite mit den Iren. Dann und wann hörte sie den singenden Tonfall der ungewohnten Sprache, doch kein einziges Mal vernahm sie ihre eigene. Die Normannen schwiegen. Einer starrte sie an, und Isabel bekam eine trockene Kehle beim Anblick des kaum verhohlenen Hasses auf seinem Gesicht. Ihr war, als wäre sie mitten in eine Schlacht geraten. Und sie fragte sich, ob sie nicht vielleicht einen Fehler begangen hatte.

Isabel wandte den Blick von dem Mann und ging auf das Torhaus zu. Fast hätte sie aufgeschrien, als aus dem Nichts das Gesicht eines Jungen vor ihr auftauchte.

„Ewan“, keuchte sie. „Du hast mich erschreckt.“

Der Junge grinste. Sein jungenhaftes Gesicht strahlte wegen des Streichs, den er ihr gespielt hatte. Das wirre blonde Haar lockte sich um seine Ohren. Er sprang von der Holzleiter herunter. „Kommt.“ Er nahm ihre Hand und führte sie in den Ringwall. „Bevor er Euch findet.“

Isabel musste nicht fragen, wen er meinte. Sie selbst hatte auch keine allzu große Lust, auf Patrick zu treffen. Gut möglich, dass er sie davonschleppte und wieder nach Ennisleigh verbannte. Isabel gehorchte Ewan und folgte ihm durchs Tor.

Im Innern des Ringwalls sah es genauso schlimm aus wie draußen. Ein vom Feuer geschwärztes Bild der Zerstörung umgab sie. Isabel schauderte bei diesem Anblick. Dann blieb sie jäh stehen, als sie ein kleines Kind erblickte.

Ein junges Mädchen stand da, so dünn, dass es nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Blass und schwach starrte das Kind sie neugierig an. Andere, vom Hunger ausgezehrte Kinder betrachteten Isabel und Ewan ebenfalls voller Interesse.

Jetzt war Isabel noch entschlossener, ihnen zu helfen. Kein Kind sollte leiden müssen und ganz besonders nicht unter Hunger. Ob Patrick ihre Hilfe wollte oder nicht, sie würde nicht tatenlos beiseite stehen.

„Was ist mit ihnen geschehen?“, fragte sie Ewan.

Zuerst schien er ihre Frage nicht zu verstehen. Dann dämmerte es ihm langsam. „Die Normannen zerstörten unsere Wintervorräte. Sie belagerten uns.“

Isabel seufzte tief. Bei der heiligen Jungfrau, wie konnte ihr Vater nur glauben, man könnte die beiden Seiten zusammenbringen? Die Antwort fiel ihr rasch ein: Er glaubte es gar nicht. Stattdessen erwartete er, dass die Normannen das Land eroberten. Und was war mit ihr? Erwartete man von ihr, dass sie die Iren als Königin regierte, ohne ihr Leid zu beachten?

Nein. Sie konnte sich nicht abwenden und so tun, als sähe sie nicht, was hier vor sich ging. Als Herrin dieses Landes war es ihre Pflicht, die Schwachen zu schützen.

Durch den Reichtum ihrer Familie und durch ihre Mitgift würde sie den Menschen hier wieder zu ihrem Besitz verhelfen und den Hunger vertreiben. Ihre Gedanken eilten zurück zu ihrem Hochzeitstag. Patrick hatte sie gewarnt, sein Volk müsste sterben, wenn sie ihn nicht heiraten würde. Sie hatte ihm nicht glauben wollen, weil sie gedacht hatte, ihr Vater würde nie solch einen schrecklichen Handel eingehen. Doch jetzt, den Beweis vor Augen, wurde ihr klar, dass Patrick recht hatte.

Ewan blieb vor einer leeren Vorratshütte stehen. „Ihr könntet hier warten. Keiner wird Euch sehen.“

„Ich bin nicht gekommen, um mich zu verstecken“, gab Isabel zurück. Sie hatte nicht die Absicht, sich zu verbergen. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie es anstellen sollte, hier ihren eigenen Platz einzunehmen, so würde sie sicher einen Weg finden.

„Ich glaube, Ihr solltet hierbleiben, bis Patrick kommt“, meinte Ewan warnend mit etwas krächzender Stimme. Isabel lächelte, ihr neuer Schwager war eindeutig im Stimmbruch. „Sie sprechen nicht Eure Sprache.“

Er wollte sie in die Hütte zerren, doch Isabel widersetzte sich erfolgreich. „Ich habe keine Angst vor ihnen.“ Wenn sie die Worte laut aussprach, würden sie vielleicht irgendwann wahr.

Ewan schien erneut protestieren zu wollen, aber eine Männerstimme rief ihn auf Irisch. „Wartet hier“, sagte der Junge. „Trahern ruft mich.“

Isabel nickte. „Geh nur. Mir wird schon nichts geschehen.“ Dennoch fühlte sie sich in diesem Augenblick schrecklich einsam und ängstlich. Sie wartete, bis Ewan verschwunden war und betrachtete dann die noch übrig gebliebenen Hütten.

Ein starker Duft nach gebratenem Hammel stieg ihr in die Nase, und sie beschloss, eine große Steinhütte zu betreten, die der Küche auf der Burg ihres Vaters glich. Eine Gruppe Frauen unterhielten sich auf Irisch miteinander. Dem Klang ihrer Stimmen nach war es eine angenehme Unterhaltung. Einen Moment lang blieb Isabel nahe der Tür stehen und kämpfte mit ihrer Schüchternheit. Alles wäre so viel leichter, wenn sie ihre Sprache hätte sprechen können. Doch sie wusste nur ein paar Worte, und das war nicht genug, um sich zu unterhalten.

Das hier ist deine Pflicht, ermahnte sie sich. Das hier ist jetzt dein Volk. Sie trat in die Hütte.„Ich wünsche euch einen guten Morgen“, sagte sie.

Die Unterhaltung brach ab. Keine lächelte, keine bot ihr ein Wort des Willkommens. Stattdessen drehten die Frauen ihr den Rücken zu.

Ohne eine von ihnen zu beachten, trat Isabel ans Feuer. Die Frauen arbeiteten schweigend und hielten Abstand. Das bratende Fleisch zischte über der offenen Flamme, und das Fett fing Feuer. Isabel fand ein dickes Tuch und begann, den Spieß über dem Feuer zu drehen, während die Wärme langsam ihr durchnässtes Gewand trocknete. Noch nie zuvor hatte sie so etwas gemacht, doch es schien immer noch besser zu sein, als das Fleisch anbrennen zu lassen.

Die wütenden Blicke der Frauen rieten ihr zur Vorsicht. Sie beschloss einen Versuch zu wagen und Irisch zu sprechen. Hoffentlich klang es nicht allzu närrisch.

„Ich bin Isabel“, sagte sie. Ihre Stimme klang nicht so fest, wie sie es sich wünschte, doch schließlich gelang es ihr, sich vorzustellen. Sie zwang sich zu einem Lächeln und fühlte sich mehr denn je wie eine Außenseiterin.

Als sie die verdutzten Gesichter der Frauen sah, wiederholte sie ihren Namen. „Isabel.“

Eine rothaarige Frau warf einen raschen Blick auf ihre Stammesgenossinnen. „Alannah“, erwiderte sie. Sie sprach sehr schnell mit den anderen Frauen, aber obwohl jetzt alle Isabel anstarrten, machten sie immer noch keinen einladenden Eindruck.

Isabel suchte angestrengt nach einem einfachen Gruß, nur konnte sie sich an kein einziges von Patricks Wörtern erinnern. So begrüßte sie die Frauen mit einem Nicken. Keine der anderen sagte ihren Namen.

Isabels feuchtes Gewand weckte Alannahs Interesse. Sie fragte etwas und deutete auf das Kleid.

„Ich bin geschwommen“, erklärte Isabel und machte mit den Armen Schwimmbewegungen.

Die Frauen machten große Augen und eine von ihnen kicherte. Isabel erwiderte das Lachen nicht, sondern tat so, als würde sie es nicht hören.

Die Frauen unterhielten sich wieder, zweifellos über Isabel. Sie schwor sich, so schnell wie möglich ihre Sprache zu lernen. Wenn sie nicht bald zu ihrem Volk sprechen konnte, würde sie nie Herrin sein können.

Es war ein ernüchternder Gedanke. Ihr Leben in Laochre würde viel schwerer sein, als sie es sich vorgestellt hatte.

Niedergeschlagen wärmte sie sich an dem Feuer. Hier schien alles so anders zu sein. Ihr Gatte zog es vor, sie lieber zu verbannen, als ihr zu helfen, sich hier einzuleben. Sie starrte in die Flammen und dachte an die Nacht in der Höhle, als er sie an sich gezogen hatte. Er behauptete, er würde sie nie anrühren, und eigentlich sollte sie ihm dafür dankbar sein. Doch es ließ sie nur noch stärker ihre Einsamkeit spüren.

Die Frauen fingen an, das Gemüse für das Mittagsmahl klein zu schneiden. Also gesellte Isabel sich zu ihnen. Kaum hatte sie das getan, zogen die anderen sich zurück. Sie brachte mühsam ein Lächeln zustande. „Ihr macht es mir nicht gerade leicht, was?“ Da sie nicht mit ihr sprechen wollten, machte es auch nichts aus, wenn sie ihre Meinung aussprach.

Sie ergriff eine Rübe und blickte sich suchend nach einem Messer um. Die Frauen sahen einander an, als wollten sie ihre Absicht erraten. Isabel tat, als würde sie eine Rübe schaben. Endlich gab Alannah ihr ein stumpfes Messer. Isabel schabte die Rübe und tat, als wäre alles in schönster Ordnung. Tausendmal hatte sie der Dienerschaft dabei zugesehen, wie sie das Gemüse putzte, doch sie hatte mit ihrer Aufgabe zu kämpfen. Das Messer rutschte ab und ritzte ihren Finger. Jedes Augenpaar war auf sie gerichtet.

„Vermutlich erwartet man von Königinnen nicht, dass sie arbeiten, oder?“, murmelte sie. „Aber da ich sonst nichts zu tun habe, kann ich mich auch nützlich machen.“

Nachdem sie drei Rüben geschält hatte, hörten die anderen auf, sie anzustarren und kehrten an ihre Arbeit zurück. Ein- oder zweimal warfen die Frauen ihr einen Blick zu.

Isabel bemühte sich, ein bekanntes Wort aufzuschnappen, doch die Sprache war zu schwer, als dass sie etwas verstanden hätte. Ab und zu hörte sie einen Namen. Doch das war auch schon alles.

Sie hielt den Blick gesenkt. Aus dem Augenwinkel entdeckte sie eine andere Frau, die sie aus dem Halbdunkel heraus anstarrte. Die Frau machte einen verwahrlosten Eindruck. Ihr langes Haar hing ihr in fettigen Strähnen um das schmutzige Gesicht. Das Kleid, das sie trug, war fleckig und der Saum ausgefranst.

Die Frau erinnerte sie an ein wildes Tier, das Angst hatte, näher zu kommen. Isabel schenkte ihr ein kleines Lächeln – vergeblich.

„Isabel“, sagte Isabel und deutete dabei auf sich. Die Frau zog sich zurück und kauerte sich in eine Ecke der Hütte.

Auf Isabels fragenden Blick, nannte Alannah den Namen. „Sosanna“, sagte sie und deutete auf die Frau. Isabel fragte sich, warum die Frau nicht selber geantwortet hatte, doch die anderen schienen auf der Hut zu sein.

Von draußen hörte Isabel plötzlich Lärm. Die Stimme ihres Ehemannes gab Befehle, und sie fing einige Worte ihrer eigenen Sprache auf.

Was war da los?

Verstohlen näherte sie sich dem Eingang und sah die Männer ihres Vaters in Reihen aufgestellt. Neben ihnen standen die Iren, die sich stark von den fremden Kämpfern unterschieden. Die Reihen der Iren waren nicht gerade, und einige starrten voll Zorn zu den ordentlich aufgestellten Normannen hin. Mehr als nur ein paar von ihnen hatten frische Wunden im Gesicht und Quetschungen, die sich langsam blau färbten.

Mit wutverzerrtem Gesicht ging Patrick auf die Normannen zu. „Wenn ich Befehle erlasse, dann habt ihr sie zu befolgen. Wenn ihr von uns erwartet, dass wir euch Essen und Unterkunft geben, dann müsst ihr uns auch beim Wiederaufbau helfen.“

„Wir hätten besser alles niederbrennen sollen“, zischte einer der Normannen. „Dann müssten wir wenigstens nicht hier leben.“

Isabel konnte nicht glauben, dass der Mann den Mut zu solch einer Unverschämtheit besaß. Wie konnte Patrick ihm so etwas durchgehen lassen? Diesen Mangel an Respekt durfte man nicht hinnehmen.

Sie trat einen Schritt vor die Hütte und sah zu den Männern hin. Der Magen krampfte sich ihr zusammen, wenn sie nur daran dachte einzugreifen. Das hier war Patricks Kampf, nicht ihrer. Doch trotz ihrer Bedenken fühlte sie das Bedürfnis, sich einzumischen.

Isabel ging zu den Männern und stellte sich vor sie hin. Sie wusste sehr gut, wie zerzaust sie aussah. Auch wenn sie nicht viele von ihnen kannte, entdeckte sie doch einige vertraute Gesichter, darunter Sir Anselm, den Hauptmann ihres Vaters.

„Was ist mit euren Familien?“ Ihre Stimme war nicht sehr laut, doch einige der Männer sahen in ihre Richtung. „Wollt ihr, dass sie auf dem Boden schlafen, wenn sie kommen? Wenn das hier euer Heim werden soll, ist es schließlich nur vernünftig, um eure Hilfe beim Wiederaufbau zu bitten.“

Patrick tauchte hinter ihr auf. Wie eine stählerne Manschette legte sich seine Hand um ihren Arm. „Geht in die Große Halle.“ Es lag eine deutliche Drohung in seiner Stimme, Isabel hingegen wollte nicht einfach klein beigeben. „Mein Vater hat einen Waffenstillstand zwischen unseren beiden Völkern ausgehandelt“, sagte sie zu den Normannen. „Ihr werdet nicht nach England zurückkehren.“

„Trahern.“ Patrick nickte seinem Bruder zu. „Sieh zu, dass die Männer etwas zu essen bekommen. Zuerst die Unsrigen, dann den anderen. Jeder Mann mit Schnitten oder blauen Flecken wird nichts essen.“

Seine Worte erschreckten Isabel. Wollte er wirklich den Kämpfern das Essen verweigern? So schlimm standen die Dinge sicher nicht.

Ihr Mann fasste sie noch fester am Arm und zerrte sie fast zur Burg. Isabel wehrte sich nicht. Sie wollte kein Aufsehen erregen. Doch sie hatte vor, mit Patrick über einige Dinge zu sprechen, besonders über die Behandlung ihrer eigenen Leute.

Als sie eingetreten waren, schloss er sofort die Tür. „Was macht Ihr hier? Ich gab den Befehl, dass niemand Euch zum Festland bringen darf.“ Seine grauen Augen funkelten vor unterdrückter Wut.

„Niemand brachte mich her.“ Isabel hob das Kinn. „Ich schwamm nach Laochre, wenn Ihr es wissen wollt. Es war ein wenig kalt.“

„Habt Ihr den Verstand verloren? Ihr hättet ertrinken können.“

„Nein. Aber Ihr habt den Euren verloren, wenn Ihr glaubt, dass diese Männer Eure Befehle befolgen werden.“ Die Fäuste in die Hüften gestemmt, leistete sie ihm entschlossen Widerstand. Seine Methoden würden zu nur noch mehr Streit und noch mehr Zorn führen.

„Sie werden gehorchen, oder sie bekommen nichts zu essen.“

„Und das wird sie dazu bringen, Eure Autorität zu respektieren?“ Isabel konnte nicht glauben, dass er so grausam sein würde. „Ihnen das Essen zu verweigern schürt den Hass nur noch.“

„Wenn Ihr dann fertig seid, werde ich Euch zur Insel zurückbringen.“

„Das könnte Euch so passen.“ Sie stieß den Finger gegen seine Brust. „Ich bin Eure Frau, und ich gehöre hierher und nicht auf eine Insel begraben, weit weg von dem Ort, wo ich gebraucht werde.“

„Ihr werdet nicht gebraucht, Isabel.“

„Genau da täuscht Ihr Euch“, beharrte sie. „Wenn Ihr die Iren und die Normannen zusammenbringen wollt, kann ich Euch helfen. Ich kenne diese Männer.“

„Die Iren und die Normannen zusammenzubringen ist etwas, das ich nie wollte.“ Die Kälte in seiner Stimme schnitt ihr ins Herz. Was meinte er – etwas, das er nie wollte? War das nicht der Grund gewesen, warum er sie geheiratet hatte? Um den Streit zu schlichten und den Kampf zu beenden?

„Was geschehen ist, ist geschehen“, sagte sie leise. „Wir müssen das Beste daraus machen. Unsere Ehe eingeschlossen.“

Patrick schüttelte den Kopf. „Wir haben ein Abkommen, keine Ehe.“

Isabel straffte die Schultern. Auch wenn Patrick sie in keiner Weise berührt hatte, konnte sie seinen Zorn körperlich spüren. Er ballte die Fäuste, und irgendwie spürte Isabel, dass sich da noch mehr dahinter versteckte. Er trug die Last eines ganzen Stammes, kämpfte darum, seine Leute am Leben zu halten.

Sie trat zu ihm und legte die Hände um seine Fäuste. Die Geste ließ ihn vor Schreck erstarren. „Ich habe nichts Schlimmes getan. Ihr habt keinen Grund, mich so sehr zu verachten.“

Seine Hände entspannten sich, aber er wich nicht zurück. „Befehle zu befolgen ist nicht gerade Eure Stärke.“

Sie zuckte die Achseln. „Das mag sein. Aber wünscht Ihr Euch wirklich eine derart kalte Ehe? Wir könnten Freunde sein.“

Über sein Gesicht legte sich wieder die Maske kühler Unnahbarkeit, und er zog die Hände zurück. „Es gibt keinen anderen Weg.“

„Warum?“ Sie verstand nicht, was falsch an ihr sein sollte. „Passe ich nicht zur Ehefrau?“

Er senkte den Blick. „Zur Ehefrau eines anderen vielleicht. Doch zu meiner wart Ihr nie bestimmt.“

Isabel wurde das Herz schwer, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Tränen brannten ihr in den Augen, aber sie wollte sich nicht erniedrigen, indem sie bettelte. Wenn er sie nicht wollte, dann sollte es wohl so sein.

„Trocknet Euch am Feuer. Ich komme Euch bald holen.“ Einen Augenblick später umhüllte etwas Warmes ihre Schultern. Als sie aufblickte, war Patrick fort. Er hatte ihr seinen eigenen Mantel umgelegt.

Die Wärme seines Körpers hing noch daran und sein Geruch. Wieder hätte Isabel weinen können, diesmal vor Wut über Patricks Eigensinn. Sie ließ den Mantel zu Boden fallen und verfluchte sich dafür, je geglaubt zu haben, sie könnte ein Mitglied des Stammes werden.

7. KAPITEL

Lebte seine Mutter noch, sie würde ihm die Haut abziehen dafür, dass er eine Frau so behandelte. Patrick hämmerte Stifte in die Palisadenwand und ließ seine Wut am Holz aus. Isabel hatte Frieden zwischen ihnen gewollt. Sogar Freundschaft.

Dennoch, auch wenn ihre Bitte noch so unschuldig war, er konnte sich nicht vorstellen, dass sie Freunde wurden. Ihrer beider Leben war zu verschieden.

Er blickte zu seiner Wohnstatt hinauf und sah Isabel auf der Schwelle stehen, seinen Mantel um die Schultern. Selbst triefend nass hielt sie sich immer noch wie eine Königin. Sie erinnerte ihn an eine der Kriegerinnen aus alten Zeiten, furchtlos und kühn.

Er konnte immer noch nicht glauben, dass sie durch den Kanal geschwommen war. Etwas Tollkühneres hatte er noch nie gesehen.

Du lieber Himmel, jetzt kreisten bereits seine Gedanken um sie! Auch wenn er wusste, dass er nie das Bett mit ihr teilen würde, hielt ihn das nicht davon ab, sie zu begehren. Ihre unschuldige Berührung hatte das Verlangen in ihm auflodern lassen. Ihre dunkelbraunen Augen standen im reizvollen Kontrast zum sanften Gesicht und dem Gold ihrer Haare. Ihr Mund lockte ihn wie die Frucht des Gartens Eden.

Patrick schlug einen weiteren Stift ein und zersplitterte dabei das Brett. Fluchend warf er das Holz beiseite.

„Du solltest solche Arbeit nicht machen, Patrick“,belehrte ihn sein Bruder. „Du bist der König. Es ist unter deinem Stand.“

Patrick wusste es, aber er scherte sich den Teufel um alles Zeremonielle. Er war erst seit weniger als einem Jahr König, und zurückzustehen und zuzuschauen, wie die anderen schwitzten und schufteten erschien ihm dünkelhaft.

„Ich muss etwas tun.“

Er nahm seinen Hammer wieder auf und schlug einen weiteren Stift ein. Vor einer Stunde hatten die Normannen ihren Eid auf die Allianz abgelegt. Während jeder Einzelne seinen feierlichen Schwur leistete, waren Patrick nicht die Wut und der Ärger in ihren Augen entgangen, noch die blauen Flecke der letzten Schlägerei. Es war ein kleiner Schritt vorwärts, doch er traute keinem von ihnen. Zum Dank für ihr Entgegenkommen versprach er ihnen feste Unterkünfte. Vermutlich hatten die Männer deshalb dem Eid zugestimmt, denn alle schienen es müde zu sein, in Zelten zu leben. Und er vermutete auch, dass der Schwur ihnen wenig bedeutete. Im Herzen waren sie Thornwyck und ihren Landsleuten treu, nicht dem Stamm der Mac Egan.

Trahern sah zu dem Turm hin, wo Isabel stand. „Hattest du nicht gesagt, sie würde auf Ennisleigh bleiben?“

„Das sollte sie auch. Die Frau durchschwamm den Kanal.“

Trahern stieß einen bewundernden Pfiff aus. „Von einer Edelfrau hätte ich das nicht erwartet. Ich muss gestehen, sie hat Mut.“

„Sie folgt einfach keinem Befehl. Ich schwöre bei allen Göttern, ich werde sie noch anbinden müssen, damit sie mir gehorcht.“

Trahern lachte. „Wenn ich du wäre, Bruder, würde ich sie an mein Bett binden.“

Sich auszumalen, wie Isabel nackt auf seinem Bett lag, war gefährlich. Er konnte sich leicht einige Dinge vorstellen, die er gerne tun würde. Er musste sie unbedingt auf Ennisleigh zurücklassen, wo er sie nicht zu sehen brauchte. So würde es ihm leichter fallen, nicht an sie zu denken. Und auch, nicht von ihr in Versuchung geführt zu werden. „Ich bringe sie nach Ennisleigh zurück, sobald sie ihr Gewand am Feuer getrocknet hat.“

„Warum sie zurückschicken? Sie hat schließlich keinen Schaden angerichtet.“

Wenn er sie nicht weit fort schickte, würde er vielleicht doch fordern, was ihm rechtmäßig zustand. Er konnte sich selber nicht mehr trauen.

„Ich will nicht, dass sie ein Mitglied unseres Stammes wird. Nach Lughnasa werde ich mich von ihr trennen. Bis dahin haben wir die Normannen vertrieben und Thornwyck dazu.“

Jetzt machte sein Bruder ein besorgtes Gesicht. „Ich hoffe nur, dass du recht hast. Immerhin hast du sie auf englischer Erde geheiratet. Es wird nicht leicht sein, sich von ihr scheiden zu lassen.“

„Man kann alles machen, wenn man nur genügend Geld hat, um den Rat einer Kirche zu bestechen.“ Patrick belastete sich nicht mit der normannischen Politik. „Wir beide wissen, dass es für unser Volk das Beste ist, wenn eine Frau unseres Stammes unsere Königin wird.“

„Ist es das, was du willst?“, fragte Trahern ruhig.

Unwillkürlich fühlte Patrick sich ertappt. Offenbar wusste sein Bruder genau, wie sehr er Isabel begehrte. „Wir sprechen vom Wohl unseres Volkes.“

Trahern nahm sich einen anderen Hammer und half ihm bei den Reparaturen. „Weiß sie, dass die Ehe nicht von Dauer sein wird?“

„Nein. Und es gibt auch keinen Grund, es ihr jetzt schon zu sagen. Lass sie glauben, was sie will. Ich schwor, ihr die Freiheit zu geben. Und Freiheit gibt es auf Ennisleigh mehr als genug.“

Trahern schüttelte den Kopf. „Ich habe so das Gefühl, als hätte deine frischgebackene Ehefrau dazu eine Menge zu sagen.“

„Ich werde heute Nacht mir ihr darüber reden.“

„Du solltest mehr tun als nur reden, Bruder. Es würde deine schlechte Stimmung verbessern.“

Patrick verstand Traherns Wink nur zu gut. Aber er würde nicht mit Isabel das Bett teilen. Sie beide durften kein Kind bekommen. Er wollte nicht, dass sie nach ihrer Trennung noch irgendetwas verband.

Außerdem war ehrenhafter, sie als unberührtes Mädchen gehen zu lassen. So konnte sie als jungfräuliche Braut später eine standesgemäße Ehe mit einem normannischen Lord eingehen. Bei dem Gedanken, dass ein anderer Mann sie berühren würde, ballte Patrick die Fäuste.

„Ich muss sie zurückbringen.“ Er legte den Hammer beiseite und prüfte die Festigkeit der Palisadenwand.

„Ein guter Rat, Patrick.“ Trahern lehnte sich an den Zaun. Seine grünen Augen blickten belustigt drein. „Nimm die Schachfiguren mit.“

„Wieso?“

„Du musst den Schein wahren. Lass es, zumindest für den Augenblick, so aussehen, als würdest du ihr Bett teilen.“ Trahern zwinkerte ihm zu. „Und das Schachbrett bietet dir etwas Beschäftigung in diesen langen Nächten mit ihr.“

Patrick reichte seinem Bruder einen Ersatzpfosten. „Das klingt, als wärst du derjenige, der eine Frau braucht.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab, um zu Isabel zu gehen.

Verschmitzt rief Trahern ihm nach: „Ich hätte nichts dagegen.“

Patrick schenkte ihm einen mörderischen Blick. „Sammle Vorräte für meine Frau ein. Sie braucht Essen und Met für die nächsten zwei Wochen. Belade eines der Pferde damit. Ich werde alles mitnehmen.“

Durch die Neckereien seines Bruders hatte sich Patricks Laune etwas gebessert. Als er zum Turm kam, fand er Isabel drinnen in der Großen Halle. Sie hatte einen Besen entdeckt und war dabei, Spinnweben aus den Ecken zu kehren. Das feuchte Haar fiel ihr über die Schultern und ließ sie aussehen, als käme sie gerade von einem Bad. Sie erschien verletzlich und außerordentlich verlockend.

Zähneknirschend zwang Patrick sich, ihr nicht länger ins Gesicht zu sehen. „Es ist Zeit zu gehen. Sind Euer léine und Euer Überkleid trocken?“

Isabel senkte den Besen und zuckte die Achseln. „Trocken genug.“ Sie drehte sich um und betrachtete die Große Halle. „Ihr solltet diese Wand da einreißen und den Raum vergrößern. So würdet Ihr alle hier drinnen versammeln können.“

„Und warum sollte ich das wollen?“

„Diesen Ort hier könntet Ihr zu einem der mächtigsten Orte Erins machen. Er besitzt wunderbare Möglichkeiten.“

„Es ist ein rath. Kein Schloss.“ Sein Ringwall war halb so groß wie die normannischen Bauten, die er gesehen hatte, und er beabsichtigte nicht, sie zu kopieren. Isabels Einfall, das Innere der Großen Halle zu verändern, überraschte ihn. Er sträubte sich dagegen, sich ihre Veränderungen vorzustellen. „Wir brauchen hier nichts umzubauen.“

„Dieser Meinung bin ich nicht. Während des letzten Angriffs konntet Ihr die Anlage nicht verteidigen.“ Sie strich mit der Hand über das Holz und nickte. „Ihr habt die Burg meines Vaters gesehen. Wenn Ihr die Konstruktion verändert, würdet Ihr mehr Raum erhalten.“

„Und damit den inneren Hof verkleinern. Selbst wenn es mein Grund und Boden ist, möchte ich nicht die Behausungen meiner Leute zerstören.“

„Das habe ich nicht gesagt. Erweitert die Festung. Es gibt Platz genug. Und wenn Ihr den Palisadenzaun fertig habt, weißelt ihn. Aus der Ferne wird er wie Stein aussehen, und Eure Feinde werden sich fernhalten.“

Selbst wenn an ihren Vorschlägen durchaus etwas dran war, gefiel es ihm nicht, dass sie erklärte, die Burg wäre bei weiteren Angriffen gefährdet. „Wir haben solche Veränderungen nicht nötig. Wir werden das, was wir haben, wieder instand setzen und mit den Männern üben, damit sie bessere Kämpfer werden.“

„Im Kern ist diese Wohnstatt sehr solide. Könnt Ihr es Euch nicht vorstellen? Gobelins an den Wänden, Musiker, Tanz, Feste.“ Bei dem Gedanken lächelte sie.

„Ich mache aus meinem Heim keine normannische Burg. Der rath steht schon seit Jahrhunderten.“

„Bis letzten Sommer“, erwiderte sie ruhig. „Es werden noch mehr Normannen kommen. Der Earl of Pembroke wird nicht ruhen, bis er noch mehr Land erobert hat.“

Das wusste Patrick. Doch nie könnte er die Mauern, die sein Großvater gebaut hatte, einreißen. Sie hatten den Angriffen der Wikinger widerstanden und zahllosen Eroberungsversuchen zuvor.

„Wir müssen vorbereitet sein, wenn sie kommen.“, sagte Isabel.

Wir. Sie sprach, als hätte sie vor, mitten unter ihnen zu kämpfen.

„Wieso wollt Ihr auf unserer Seite stehen? Würdet Ihr Euren Vater verraten?“

Sie zögerte. Einen Moment lang konnte er Unsicherheit in ihrem Gesicht aufblitzen sehen.

„Ich hoffe, dass es nie so weit kommen wird.“ Sie versuchte ein Lächeln, doch dann presste sie die Lippen aufeinander. „Und mein Vater braucht Laochre auch nicht mehr anzugreifen. Als Eure Gattin …“

„Er glaubt, Ihr wäret meine Königin“, sagte Patrick. Bloß hätte nichts weniger der Wahrheit entsprechen können. Zu ihrem eigenen Schutz versuchte er Isabel von diesem Ort fernzuhalten. Früher oder später würden die Angriffe wieder beginnen. Und er befürchtete, dass die Normannen dann über sie herfallen würden.

Isabel zog den Mantel fester um ihre Schultern. „Ich weiß, warum Ihr mich geheiratet habt. Aber ich verstehe nicht, warum Ihr nicht wollt, dass ich Euch helfe? Ich habe Pflichten diesem Volk gegenüber. Ich kann nicht einfach auf Ennisleigh bleiben.“

Isabel trat näher. Ein zarter Salzgeruch umgab sie. Patrick ertappte sich dabei, dass er auf ihren Mund starrte. Ihre weichen, vollen Lippen faszinierten ihn.

Sie ist deine Gattin, drängte ihn sein Körper, und eine schöne Frau.

„Ich möchte Euch nicht verletzen“, sagte Patrick.

Lügner, beschuldigte ihn sein Gewissen. Er wollte nicht von ihr in Versuchung geführt werden.

„Es ist an der Zeit, aufzubrechen.“ Entschlossen drehte er sich um und brach die Verzauberung, die Isabel auf ihn ausübte.

„Wartet.“ Sie senkte den Blick und nahm seine Hand. „Ich sah heute die Kinder.“ Sie schlang die Finger um die seinen. „Um sie zu retten, habt Ihr mich geheiratet.“

Ihre Berührung schien sich durch seine Haut zu brennen, und er wollte seine Hand fortreißen. Auch wenn es nur die bittende Geste einer Frau war, weckte sie trotzdem ein ungewolltes Verlangen in Patrick. Dass sie ihn berührte, ließ ihn erstarren. Was war nur los mit ihm? Sie war eine Normannin. „Das wusstet Ihr doch schon an unserem Hochzeitstag.“

„Aber ich hatte Euch nicht verstanden.“ Ihre Augen waren voller Mitgefühl, und Patricks Unbehagen verstärkte sich. Sie verstand nicht, konnte nicht verstehen, was seinem Volk geschehen war. Es war jenseits dessen, was sie je erlebt hatte.

„Ich möchte ihnen helfen“, sagte sie. „Ihr habt meine Mitgift noch nicht holen lassen, nicht wahr?“

„Ich habe keine Verwendung für Hausrat.“

„Was ist mit dem Gold und dem Silber?“, fragte sie. „Ich könnte helfen, Eure Vorräte wieder aufzufüllen.“

Er wollte nichts, weder von ihr noch von ihrer Familie. Und selbst wenn sie das Angebot in gutem Glauben machte, er konnte es nicht annehmen. Es war seine Aufgabe, für sein Volk zu sorgen, nicht die ihre. Er würde sie da nicht mit hineinziehen, schon gar nicht, wo diese Ehe nicht von Dauer sein würde. Er wollte Isabel nicht benutzen.

„Ich brauche Eure Mitgift nicht.“ Er ging einige Schritte. „Wir brechen jetzt auf.“

„Mich nach Ennisleigh zu bringen bedeutet nur, dass ich eben erneut hierherschwimmen werde.“

Keinen Augenblick bezweifelte er, dass sie ihre Drohung wahr machen würde. Er packte ihre Hand. „Trahern schlug vor, dich anzuketten. Der Gedanke gefällt mir.“

„Versucht es, Ire, und es wird Euch leidtun.“

Als er sie nach draußen führte, entgingen ihm nicht die wütenden Blicke seiner Landsleute. Die Gesichter der Frauen waren hasserfüllt, während die Männer Isabel misstrauisch beäugten.

Niemand lächelte. Niemand sprach ein Wort. Mit hocherhobenem Kinn tat Isabel so, als kümmere sie das nicht. Doch Patrick bemerkte das leichte Zittern ihrer Hand und sah, dass sie niemanden anblickte.

„Ist das unsere Königin?“, fragte ein Kind und deutete mit dem Finger auf sie.

Seine Mutter bedeutete ihm, still zu sein und murmelte: „Nein, sie ist normannisch, wie die anderen auch.“

Patrick wies die Frau nicht zurecht. Sie sagte ja nur, was auch er dachte. Auch wenn Isabel jetzt seine Frau war, gehörte sie immer noch zu seinen Feinden. Und anstatt Mitleid mit ihr zu haben, durfte er diese Tatsache nicht vergessen.

Er musste sie zurück nach Ennisleigh bringen, fort von seinem Stamm und ganz besonders fort von ihm.

Ruarc blieb vor seiner Hütte stehen. Von drinnen drang ein seltsamer Laut an sein Ohr. Unwillkürlich griff er nach seinem Dolch, während er die Tür öffnete.

Drinnen kauerte Sosanna neben einem niedrigen Holztisch und weinte. Ihre Tränen riefen Ruarc sofort an ihre Seite.

„Was ist? Soll ich nach der Heilerin schicken?“

Sosanna schüttelte den Kopf und schmiegte die Wange an die kalte Erde des Bodens. Sie legte die Hand auf den Bauch, sagte aber nichts.

Ruarc half ihr auf die Liegestatt. Es bekümmerte ihn, sie so bleich und zerbrechlich zu sehen. Es war, als wäre sie dem Tode nahe, und er konnte nichts tun, um ihn aufzuhalten.

Sie trug ihren léine lose, ohne Gürtel. Stirnrunzelnd betrachtete Ruarc seine Schwester genauer. Ohne Vorwarnung legte er ihr die Hand auf den Bauch.

Entsetzten zeigte sich auf ihrem Gesicht. Ruarc konnte seinen Schrecken nicht verbergen. Bei allen Göttern! Sie erwartete ein Kind. So wie es aussah, würde sie es Ende dieses Sommers zur Welt bringen. Wie hatte er nur so blind sein können?

„Wer hat dir das angetan?“, fragte er, und seine Stimme verriet, wie wütend er war. „Nenne mir den Namen des Bastards und, bei Lug, ich schwöre, ich schneide ihm die Kehle durch.“

Seine Schwester sagte nichts. Das musste sie auch nicht. Ruarc wusste bereits, dass einer der Normannen ihr ein Leid angetan hatte.

„Sosanna?“, fragte er und dämpfte die Stimme.

Eine Träne rollte über ihre Wange, und sie drehte sich von ihm weg. In die Felle gekauert, weigerte sie sich zu sprechen.

Der Tod war noch zu gut für die Normannen. Mit geballten Fäusten ging Ruarc nach draußen. Dort traf er sofort auf einen feindlichen Krieger. Er wollte Blut sehen und seine Wut austoben. Sein Schlag ließ den Kopf des Mannes nach hinten fliegen.

Überrascht zögerte der Normanne noch einen Moment, bevor er den Schlag erwiderte. Ruarc duckte sich drunter weg und landete einen Hieb in die Rippen seines Gegners.

Er war völlig außer sich. Er dachte nur noch daran, wie er den unbekannten Mann, der seiner Schwester ein Leid angetan hatte, verletzen konnte. Einer dieser Männer hier hatte seiner Schwester die Stimme und den Stolz genommen. Und dafür würden sie teuer bezahlen.

Er schmeckte Blut, erlitt schmerzhafte Wunden, konnte aber selbst etliche gute Schläge landen. Wenn er nur ein Schwert hätte, er würde sie alle abschlachten!

Ein anderer Normanne mischte sich ein. Ruarc trat dem Mann in den Bauch und wirbelte herum, um auf den nächsten einzuprügeln. Eine Rippe brach, und Ruarc stürzte sich wieder auf den ersten Mann und hieb ihm die Faust gegen das Kinn.

Dann traf etwas seinen Kopf. Er sah alles nur noch verschwommen und fiel zu Boden. Dumpf nahm er wahr, dass man ihm die Hände band und über den Boden schleifte. Sie zwangen ihn, sich mit dem Rücken an einen Pfosten zu setzen. Lederriemen schlossen sich um seine Handgelenke, während seine Clansleute ihn betrachteten.

„Du bleibst hier, bis unser König zurück ist“, ordnete Bevan Mac Egan an. „Und ich glaube nicht, dass das vor Sonnenaufgang sein wird. Du tätest gut daran, die Götter um Gnade anzuflehen. Denn Patrick wird dir keine gewähren.“

Ruarc hob den Blick und sah Bevan an. „Sie haben meiner Schwester Gewalt angetan. Sie sollten brennen für das, was sie ihr angetan haben.“

Er sah Verständnis in Bevans Augen aufblitzen. Von allen Männern verstand sein Cousin ihn am besten. Er hatte die eigene Frau durch die Eindringlinge verloren.

„Sie verdient gerächt zu werden“, sagte Ruarc leise. „Keiner von denen sollte leben.“

Bevan stand auf und betrachtete mit verschränkten Armen die Normannen. Sosanna trat aus Ruarcs Hütte. Ihre Wangen waren nass von Tränen, und sie hatte die Arme um den Körper geschlungen. In ihren Augen stand nichts als Hoffnungslosigkeit.

„Ich stimme dir zu“, sagte Bevan ruhig. „Die Normannen werden eine Menge Fragen zu beantworten haben.“

Während Patrick zur Insel ruderte, hielt Isabel sich am Rand des Bootes fest. Sie fühlte sich wie ein Kind, das die Strafe von Vater oder Mutter erwartete. Im Gesicht ihres Mannes konnte sie lesen, dass er immer noch sehr zornig war.

„Ich kann nicht glauben, dass Ihr so weit geschwommen seid“, sagte Patrick. Am Spiel seiner Armmuskeln konnte sie sehen, wie kräftig er gegen den Sog der Flut anrudern musste. Das Sonnenlicht zauberte rote Streifen auf das sich kräuselnde Wasser. Die See war ruhig geworden, ganz im Gegensatz zu Isabels Gatten. „Ihr hättet ertrinken können!“

„Hätte ich, ja.“ Es gelang ihr ein reuevolles Lächeln zu zeigen, doch auch das besänftigte seinen Groll nicht. „Ich merkte es, als ich die Hälfte der Strecke hinter mir hatte. Aber da war es zu spät, um umzukehren.“

„Macht so etwas Dummes nicht wieder“, warnte er. Seine Ruder durchschnitten das Wasser und brachten sie der Insel immer näher.

„Das nächste Mal borge ich mir ein Boot.“ Das hieß, wenn sie eins finden würde. Sie hatte keine Lust, noch einmal mit dem kalten Wasser Bekanntschaft zu machen.

„Es wird kein nächstes Mal geben.“

Isabel war langsam seiner anmaßenden Art müde. Ihm ging es nicht etwa um ihre Sicherheit, er wollte sie mit seinen Befehlen nur kontrollieren. „Seid Euch dessen nicht so sicher.“

Sein Gesicht verdüsterte sich. Er ließ die Ruder auf dem Rand ruhen. „Was wollt Ihr beweisen, Isabel?“

Sie klemmte die Hände zwischen ihre Knie. Plötzlich war sie sich seiner starken Ausstrahlung bewusst. Was für ein Zorn lag in seinen stahlgrauen Augen! In seinem Gesicht konnte sie kein Mitgefühl erkennen. Es war das Gesicht eines wilden Kriegers.

„Ich will nicht von einem Mann herumkommandiert werden, der beschlossen hat, mich ins Exil zu schicken.“

„Wollt Ihr nicht?“ Er stützte die Arme auf die Knie, wobei die ledernen Armbänder noch seine ausgeprägten Muskeln unterstrichen.

„Nein.“

Eigentlich sah er ziemlich gut aus. Wie er wohl war, wenn kein Zorn ihn erfüllte? Isabel war nicht entgangen, mit welchen Blicken ihn die irischen Frauen betrachteten.

„Wart Ihr mit einer verlobt, bevor Ihr mich heiratetet?“, fragte sie.

Patrick schüttelte den Kopf. „Warum fragt Ihr?“

Weil die Frauen ihn angestarrt hatten, als wäre er ein köstlicher, von Honig triefender Kuchen. „Ihr seid nicht gerade hässlich“, meinte sie. „Und Ihr seid ein König.“

„Nicht gerade hässlich?“ Es zuckte um seinen Mund. „Und ich glaubte, ich sei ein barbarisches Monster.“

Sie nickte bejahend und verzog den Mund zu einem Lächeln.

Sein durchdringender Blick jagte ihr kleine Schauer über den Rücken.

Sie wechselte das Thema. „Erin ist sehr schön bei Nacht.“

„Das ist es.“ Sein Mund wurde weicher. Die grauen Augen sahen sie fest an, seine Stimme klang voll und verführerisch. „Sehr schön.“

Isabel errötete und zwang sich, wegzuschauen. Mit dem dunklen Himmel über ihnen und rundherum nichts als dem Meer schien plötzlich alles andere so weit weg.

Wie es wohl war, von ihm geküsst zu werden? Sie bedeckte den Mund mit den Händen und verdrängte den Gedanken. Die Drohung ihres Vaters verfolgte sie. Er wollte, dass sie von Patrick ein Kind bekommen sollte. Was würde er tun, wenn er erfuhr, dass sie immer noch Jungfrau war? Er hatte geschworen, zur Erntezeit hierherzukommen. Und das war schon in ein paar Monaten. Würde er die öffentliche Beischlafzeremonie fordern? Sie würde ihm zutrauen, sie derart zu demütigen.

„Ich weiß, dass Ihr mich nicht heiraten wolltet“, begann sie, ohne recht zu wissen, was sie sagen sollte. „Doch das, was ich gesagt habe, habe ich ehrlich gemeint. Mir wäre es lieber, wir wären Freunde.“

Die entsetzliche Stille schien kein Ende nehmen zu wollen. Patrick ergriff wieder die Ruder und hielt auf den Strand zu. „Trahern will, dass ich heute Nacht bei Euch bleibe, um den Schein zu wahren.“

Das war nicht ganz das, was sie sich vorstellte, aber es war besser als nichts. Wenn sie zusammen aßen und sich unterhielten, konnte sie vielleicht herausfinden, was für ein Mann ihr Gatte in Wirklichkeit war.

„Es ist sicher ein großes Opfer, die Zeit mit mir zu verbringen“, stellte sie trocken fest.

„Ein größeres, als Ihr ahnt“, murmelte er.

Isabel tauchte die Hand ins Wasser und spritzte es ihm ins Gesicht.

Tropfen des salzigen Nass liefen ihm über die unrasierten Wangen. „Das war kindisch.“

„Es war auch nicht nett, was Ihr gesagt habt“, gab sie zurück.

Einen Herzschlag später traf ein kalter Wasserschwall ihr eigenes Gesicht. Patricks nasse Hand verriet ihn als den Schuldigen. Seine Augen funkelten verschmitzt.

„Fangt ja nicht so an.“ Isabel tauchte drohend die Hand ins Wasser. „Einen Krieg gibt es bereits zwischen uns.“

Bevor sie eine Bewegung machen konnte, packte er ihre Hand. Sein Gewicht ließ sie zurücksinken. Mit beiden Schenkeln umschlang er ihre Beine, und seine breite Brust drückte sie nieder.

Kaltes Wasser tropfte von seinem Hals auf ihre Haut und ließ die Knospen ihrer Brüste hart werden. Das schwarze Haar umrahmte sein Gesicht, und wieder musste sie auf seinen Mund blicken. Seine festen Lippen nahmen sie gefangen.

Beim Wiegen des Bootes drückte sich sein Körper an sie, und Isabel fühlte sein starkes Begehren. Bei dieser überraschenden Erkenntnis wurde ihr ganz heiß, und ihr Körper verlangte nach mehr, wollte sich noch enger an ihn schmiegen.

Patrick legte ihre Arme um seinen Nacken, und sie klammerte sich Halt suchend an ihn. Sie spürte nicht länger die Kälte des Wassers. Stattdessen brannte ihr ganzer Körper auf eine Weise, die sie nicht verstand. Sie sehnte sich danach, seine Haut auf der ihren zu spüren. Bei dem Gedanken errötete Isabel.

Er würde sie nicht küssen. Das konnte sie in seinen Augen lesen. Er kämpfte dagegen an.

Doch er ließ sie auch nicht los. Er streichelte ihren Rücken und hielt sie von dem harten Holz fern. Ein geheimer Teil von ihr sehnte sich danach, ihn willkommen zu heißen. Seine Hände sollten sie überall berühren und liebkosen. Sie brauchte mehr als nur das. Doch er hielt sich zurück.

Zitternd presste sie die Brüste an ihn. Sie öffnete die Lippen voller Verlangen nach dem, was Patrick ihr nicht geben wollte.

Und dann hob sie das Gesicht und küsste ihn.

8. KAPITEL

Als ihr Mund ihn sanft berührte, wurde Patricks Verlangen übergroß. Der unschuldige Geschmack ihrer Lippen raubte ihm den Verstand. Er küsste sie voller Leidenschaft, wollte all die verbotene Süße kosten. Sein Verstand versuchte, ihn zu warnen, doch er hörte nicht darauf. Er wollte diese Frau, die ihn zum Wahnsinn trieb, küssen, um sie endlich aus seinen Gedanken zu vertreiben.

Er presste den Mund auf den ihren und spürte, wie sie zitterte. Ein wenig zog er sich zurück und knabberte zärtlich an ihrer Unterlippe. Isabel öffnete ihre Lippen seiner Zunge.

Patrick wollte sich nicht eingestehen, dass das, was er tat und fühlte, einem Liebesakt glich. Isabels Zunge berührte seine und er merkte, wie er hart wurde. In diesem Moment konnte er an nichts anderes denken, als seiner Frau die Kleider vom Leib zu reißen und sie hier im Boot zu lieben.

Er küsste ihre Wange und die kleine, empfindliche Stelle hinter dem Ohr. Als er die seidige Haut zwischen Hals und Schulter küsste, kam ein unterdrückter Schrei von Isabels Lippen.

„Patrick“, flüsterte sie. Er zwang sich, die Lippen von ihrer verführerisch weichen Haut zu lösen und küsste sie, um sie zum Schweigen zu bringen. Nichts sollte diesen Augenblick unterbrechen.

Der Sonnenuntergang badete ihren Körper in goldenen Strahlen. Das Boot schaukelte im sanften Rhythmus der Wellen. Isabel ließe die Hand unter Patricks Tunika gleiten und streichelte seine Brust. Bei allen Göttern, sie ließ ihn fast seine Ehre vergessen. Und sie zu lieben wäre auch gar nicht so schlimm, dachte er. Er konnte sie später immer noch fortschicken, und sie konnte dann einen anderen heiraten.

Doch wenn er ein Kind zeugte, wäre er auf immer an sie gebunden. Er durfte den Eid, sie nie ein Kind seines Blutes tragen zu lassen, nicht brechen. Wenn er dieser Versuchung erlag, konnte er genauso gut gleich alles den Normannen übergeben. Auf keinen Fall wollte er, dass sein Stamm ihnen in die Hände fiel und so verloren ging, wofür seine Landsleute gestorben waren. Wenn er Isabel ein Kind schenkte, bedeutete das, Edwin de Godred auch noch für seine Eroberung zu belohnen. Das konnte er nicht tun.

„Es tut mir leid.“

Isabels Lippen waren von seinem Kuss gerötet, und sie griff sich an den Hals, als hätte sie Angst vor ihm. Und das sollte sie auch. In diesem Augenblick war er kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.

„Ich hätte das nicht tun sollen“, flüsterte sie.

„Nein, das hättest du nicht tun sollen.“

Bei den harschen Worten schloss sie bestürzt die Augen. Er erkannte, dass er ihre Gefühle verletzt hatte, doch er konnte sich nicht dazu durchringen, sie zu trösten.

Patrick warf einen Blick über die Schulter und sah, wie nahe sie dem Strand waren. Ohne nachzudenken, sprang er aus dem Boot. Das hüfttiefe Wasser brachte seine Lust zum Erlöschen. Zu Patricks Erleichterung ließen die eisigen Wellen augenblicklich sein Verlangen erkalten.

Er zog das Boot an den Strand und half Isabel beim Aussteigen. Nachdem er das Fahrzeug so weit an den Strand gezogen hatte, dass die Flut es nicht erreichte, nahm er die beiden großen Vorratsbündel und schritt den Weg zum Ringwall hinauf.

Isabel war an derselben Stelle stehen geblieben, an der er sie zurückgelassen hatte. Der Wind spielte mit ihren Haaren und bauschte den brat um ihre Schultern. Sie sah aus wie eine Göttin aus den uralten Geschichten, das Meer schien sie geboren zu haben. Erst als eine Welle beinah ihre Knöchel umspülte, trat sie vom Ufer weg.

Patrick zwang sich, den Hügel hinauszusteigen und den rath zu betreten. Endlich erklangen hinter ihm ihre Schritte. Er ging zur Steinhütte, die sie letzte Nacht miteinander geteilt hatten, stieß die Tür auf und ließ die Vorratsbündel hinter dem Eingang auf die Erde fallen. Es brauchte Zeit, ein Feuer zu entzünden, doch es gelang ihm eine kleine Flamme zu entfachen und sie mit Zunder zu füttern. Zum Schluss fügte er das Stück Torf hinzu.

Er hörte, wie sich die Tür schloss. Isabel stand im Eingang und beobachtete ihn. Ihr Haar schimmerte im schwachen Licht. Graziös trat sie ans Feuer.

Bei allen Heiligen, er wusste nicht, wie er eine ganze Nacht mit ihr in seiner Reichweite ertragen sollte.

„Was haben wir zu essen?“, fragte Isabel und kniete sich neben den Vorräten nieder.

„Ich habe keine Ahnung, was Trahern eingepackt hat. Ich sagte ihm, er solle uns genug für zwei Wochen mitgeben.“

Während sie die Bündel losschnürte, stand er am Feuer und wärmte sich. Einen Augenblick später hörte er, wie sie vor Freude aufschrie. Hatte Trahern ein Stück Hammelfleisch eingepackt? Oder gebratenes Geflügel?

„Ein Kamm!“ Isabel zeigte ihre Beute mit einem Lächeln, als hätte man ihr einen Schatz geschenkt. An so einfache Bedürfnisse hatte Patrick überhaupt nicht gedacht. Er runzelte die Stirn. Seine Frau hielt den Kamm hoch, als hätte Trahern ihr einen Sack voll Gold geschickt.

„Was ist mit dem Essen?“, fragte er.

„Oh, es gibt Brot und getrocknete Äpfel. Auch etwas Fleisch.“ Ihre Augen leuchteten vor Freude. „Aber der Kamm! Allen Heiligen sei Dank!“

Sie kniete sich neben das Feuer und zog den aus einem Hirschgeweih geschnitzten Kamm durch ihre Haare. Sanft entwirrte sie die Strähnen, wobei sie das Haar über ihre eine Schulter zog.

Wie es sich wohl anfühlte, wenn man dieses Haar berührte? Vermutlich seidig, wie gesponnenes Sonnenlicht.

Es fiel ihr bis auf die Hüften. Patrick stellte sich vor, wie sie auf der Matratze lag mit nichts bekleidet als ihrem Haar.

Er betete, dass Trahern auch das Schachspiel eingepackt hatte. Sonst würde er heute Nacht noch einmal ins Wasser gehen müssen.

Der eisige Wind strich über seine nackte Brust, während Ruarc an seinen Lederfesseln zerrte. Bevan hatte ihn hier nackt bis zur Taille zurückgelassen. Vom Kampf gegen die Fesseln waren seine Handgelenke mit Blut verkrustet. Sein Gesicht schwoll immer mehr an, seine Lippen waren aufgeplatzt.

Ihm war das alles egal. Doch er hatte Angst um seine Schwester. Vor einiger Zeit hatte Sosanna nach ihm gesehen. Zuerst hatte sie seinen Kopf berührt, dann seine Wange. Sie hatte den Kopf geschüttelt, als wollte sie ihn tadeln, und ihre Augen waren voll Trauer gewesen. Kurz darauf hatte sie den Ringwall verlassen.

Ruarc hatte ihr hinterhergerufen, um sie aufzuhalten, aber sie tat, als hörte sie ihn nicht. Er hatte nach seinen Freunden geschrien, damit sie ihr folgten. Doch die hatten sich nicht um ihn gekümmert.

Einer der Normannen, Sir Anselm, war Sosanna gefolgt. Críost, er musste von diesem verdammten Pfosten freikommen! Denn nach alledem, was er wusste, konnte der Hauptmann sehr wohl derjenige sein, der ihr das angetan hatte. Er durfte nicht zulassen, dass es erneut geschah.

Er keuchte, als ein stechender Schmerz durch seinen Arm schoss. Durch seine Anstrengungen hatten sich die Fesseln nur noch enger zusammengezogen. Einige der Normannen sahen zu ihm her und redeten dann in ihrer ungewohnten Sprache miteinander.

Ruarcs Stimme war heiser vom Schreien. Endlich trat Bevan aus der großen Halle und näherte sich dem Holzpfahl. Er streckte ihm einen Becher Met hin und hielt ihn so, dass Ruarc trinken konnte.

„Meine Schwester“, brachte Ruarc mühsam hervor. „Sie ist weggegangen. Schicke jemanden hinter Sosanna her.“

„Das ist bereits geschehen. Sie war mit einigen anderen Frauen auf den Feldern. Es geht ihr ganz gut.“

Ruarc entspannte sich ein wenig. „Schicke eine der Frauen. Sie soll für mich bei ihr vorbeischauen.“

Bevan nickte. „Ich werde Patrick von dem Kind erzählen.“ Seine Stimme klang rachsüchtig. „Wer werden herausbekommen, wer ihr das antat.“

„Ich möchte ihn tot sehen.“

„Ich kann deinen Wunsch verstehen. Wenn ich an deiner Stelle wäre, hätte ich das Gleiche getan.“

Bevan holte ein Stück Brot hervor und schob es seinem Cousin in den Mund. „Iss. Und sagt Patrick nicht, dass ich dir etwas gegeben habe. Sonst werde ich morgen hier angebunden.“ Er grinste ihm zu und verschwand wieder in der großen Halle.

Ruarc beugte den Kopf und wappnete sich gegen die lange Nacht, die vor ihm lag. Still betete er, seine Schwester möge wohlauf sein.

„Du bist dran.“ Patrick schob seinen Bauern vorwärts und wartete auf Isabel. Seine Frau saß ihm gegenüber. Zwischen ihnen stand ein niedriger Tisch. Konzentriert runzelte sie die Stirn.

Patrick hatte die letzte Partie nur mit Mühe gewinnen können. Er konnte sich nicht erinnern, wann je er beim Schach so sehr hatte aufpassen müssen. Besonders, da sie ihn mit der Art, wie sie sich über den Tisch lehnte und dabei den Ansatz ihrer Brüste zeigte, sehr verwirrte.

Was noch schlimmer war, er erinnerte sich daran, wie sie schmeckte. Sogar an ihren sinnlichen Duft, der ihn an Geißblatt erinnerte. Wäre sie eine Frau seines Stammes gewesen, er hätte die Nacht nicht damit verbracht, Schach mit ihr zu spielen. Oh nein, er hätte sie auf die weichen Felle gelegt und beobachtet, wie sie sich wand, während er sie liebte.

„Schach.“

Schach? Verdammt, sie hatte stattdessen den Turm bewegt. Patrick starrte wütend auf das Brett und brachte seine Königin auf einen sicheren Platz.

Einige Züge später hatte Isabel das Spiel gewonnen. Ein Siegerlächeln spielte um ihre Lippen.

„Möchtest du weiterspielen?“

Er wollte spielen. Aber kein Schach. „Nein.“ Er stand auf, reckte sich und verdrängte die Gedanken an ihre verführerische Nähe. Die Verantwortung für seinen Stamm war wichtiger als die Verantwortung für seine Frau. Wieso war er bloß hergekommen? Anstatt bei seinen Männern zu bleiben, spielte er Schach mit Isabel. Und er hatte auch noch Spaß daran.

Zum ersten Mal seit vielen Monden hatte er sich beim Spiel entspannt. Sie war ein würdiger Gegner und ihre erbarmungslose Art zu spielen forderte ihn heraus.

Es gefiel ihm.

Schuldbewusst schob er den Gedanken beiseite. Ihr Vater hatte seine Männer getötet, das Leben seiner Familie zerstört. Er verdiente es nicht, mit ihr beisammen zu sein, nicht, wenn er die Schande der Niederlage zu tragen hatte.

Seine Beinlinge waren noch nicht ganz trocken. Deswegen stellte er sich nahe ans Feuer, das den würzigen Geruch brennenden Torfs verströmte.

„Patrick?“, fragte Isabel. Ihre seidenweiche Stimme weckte in ihm Visionen, wie sie nackt vor ihm lag. Nicht sicher, was sie wollte, schloss er die Augen. Er hörte, wie sie hinter ihn trat. Sie legte die Hände auf seine Arme. Auch wenn es nur eine unschuldige Geste war, um seine Aufmerksamkeit zu wecken, entflammte sie ihn.

Er unterdrückte ein Stöhnen. „Was willst du?“

„Ich weiß es nicht. Aber wir – wir könnten reden“, stammelte sie. „Oder ich könnte uns einen Tee machen, wenn wir Kräuter haben.“ Mit den Fingerspitzen streichelte sie seine Arme, und selbst diese zarte Berührung steigerte seine Erregung. „Ich würde dich gerne besser kennenlernen.“

„Besser nicht.“ Er verbarg sein Gesicht vor ihr und konnte sich kaum noch beherrschen. Viel zu lange war es her, dass er die süße Umarmung einer Frau genossen hatte. Er konnte schon nicht mehr klar denken.

„Bleib mir fern, Isabel.“ Sie ließ die Hände sinken, und Patrick fuhr herum. „Ich habe dich jetzt etliche Nächte allein gelassen. Ich habe meine Grenzen.“

Bei seinen offenen Worten wurde sie blass. War sie wirklich so unschuldig, dass sie nicht wusste, welche Gefühle sie bei ihm weckte, wenn sie ihn berührte?

„Ich dachte, du würdest vielleicht gerne deine nassen Kleider ausziehen. Das muss doch unbequem sein.“

Er sah sie scharf an. Was für ein Spiel trieb sie da mit ihm? Fragte sie ihn etwa, ob er das Bett mit ihr teilen wollte? Sie müsste doch wissen, dass das nicht der richtige Weg war.

„Besser, ich behalte meine Kleider an.“ Und es wäre auch besser, die Hütte zu verlassen und die nächste Stunde im kalten Wasser zu verbringen. Seine Hose spannte, und er versuchte, diese unerwünschte Reaktion seines Körpers endlich zu meistern.

„Ich bin deine Frau“, flüsterte sie. „Es ist nicht nötig, es meinetwegen unbequem zu haben.“ Sie zitterte und bedeckte die Brust mit den Armen.

Du hast ja keine Ahnung, hätte er gerne gesagt. Sein Unbehagen hatte nichts mit der feuchten Wolle an seinem Leib zu tun. Eher etwas mit dem wilden Verlangen in seinem Innern, das gestillt werden wollte.

„Wenn es dich stört, werde ich nicht hinschauen“, versprach sie.

Da musste er lächeln. „Du wirst es müssen.“

Isabel hatte Patrick noch nie zuvor lächeln sehen. Alle Heiligen, auf eine wilde Art sah er ja hübsch aus! Seine grauen Augen verdunkelten sich verheißungsvoll. Statt sie zu ängstigen, fühlte sie sich von ihm angezogen. Das schwache Licht des Feuers schuf eine wohlige Atmosphäre, und einen Augenblick lang wünschte sich Isabel, diesen Mann besser kennenzulernen.

Er war ein Fremder, klug und voll stolzer Treue zu seinem Volk. Das bewunderte sie an ihm, sogar wenn sie sich über ihn ärgerte.

Sie setzte sich auf einen Hocker, der aus einem kurzen Stück Stamm geschnitzt war und drehte ihm den Rücken zu. Schließlich musste sie gar nicht hinschauen. Sie wusste bereits, dass er kraftvolle, muskulöse Schenkel besaß. Und was den Rest betraf … vermutlich würde ihre Vorstellungskraft ihm nicht gerecht werden. Der Gedanke machte sie verlegen und ließ ihre Wangen erwartungsvoll erglühen.

Die Strohmatratze raschelte unter seinem Gewicht. Isabel legte das Gesicht in die Hände. Schon vor Langem hatte er ihr gesagt, dass er nicht das Bett mit ihr teilen wollte. Und er hielt sein Wort.

Sie wusste, dass von ihr erwartet wurde, ein Kind zu gebären. Und Patrick erschien ihr ganz und gar nicht mehr so abweisend. Er hatte ihren spontanen Kuss im Boot erwidert, hatte sie einen Blick auf die wilden Freuden erhaschen lassen, die sie beide erwarteten. Der Hunger in ihm hatte alle ihre Sinne in Aufruhr versetzt.

Doch dann hatte er sich abrupt von ihr abgewandt, hatte es vorgezogen, durchs eisige Wasser zu waten, statt noch länger bei ihr zu bleiben. So sehr sie ihn auch begehrte, in diesem Augenblick wäre sie am liebsten vor Scham gestorben.

Jetzt fragte sie sich, ob sie seine Reaktion vielleicht missverstanden hatte. Er wollte, dass sie ihm fernblieb, behauptete, auch er habe seine Grenzen. Vielleicht, weil er sie so begehrte wie sie ihn? Hielt er wegen eines falsch verstandenen Begriffs von Ehre Abstand zu ihr? Sie verstand einfach nicht, warum er wollte, dass sie Jungfrau blieb.

Die unerträgliche Einsamkeit lastete auf ihr. Sie sehnte sich nach menschlicher Gesellschaft. Hinter ihr lag ihr nackter Ehemann und erwartete sie im Bett. Ihr Kleid fühlte sich schwer an, das grobe Gewebe kratzte auf ihrer Haut. Unter dem Kleid trug sie weiterhin ihr Hemd, auch wenn das hier bei den Frauen nicht üblich war.

Konnte sie es wagen, sich Patrick anzubieten? Oder würde er sie wieder abweisen? Sie griff nach dem Krug mit Met und nahm einen langen Zug, um ihren Mut zu stärken. Du lieber Himmel, es hungerte sie nach seiner Berührung! Es war seltsam, dass sie nun solch ein Verlangen nach dem Mann empfand, den sie einmal gefürchtet hatte. Sie stand auf und drehte sich zu Patrick um. Er hatte ihr den nackten Rücken zugewandt. Beine und Gesäß bedeckte eine wollene Decke.

Er hielt seinen Schwur, sie nicht anzurühren. Sie kannte den Grund dafür: Weil sie eine Normannin und Tochter seine Feindes war. Doch vielleicht begann er, seine Meinung zu ändern? Nach der Plänkelei im Wasser und dem Schachspiel schien er sie nicht mehr zu hassen.

Wenn sie sich nun als seine Ehefrau zu ihm legte, würde er dann seiner Begierde – und ihrer – nachgeben?

Sie betete um Mut. Hatte Patrick ihr erst einmal die Jungfräulichkeit genommen, würde der Handel mit ihrem Vater perfekt sein. Und sie fürchtete ihren Ehemann nicht länger.

Ohne ein Wort streifte sie sich das Kleid über den Kopf und ließ es zu Boden fallen. Er sah es nicht, hatte sich immer noch abgewandt.

Barfuß ging sie zur Liegestatt. Ihre Brustknospen rieben sich an dem Hemd. Ein unbeschreibliches Verlangen ließ sie sich aufrichten. Isabel holte tief Luft, dann zog sie das Hemd aus und stand nackt da. „Patrick?“

„Was ist?“ Er rollte sich herum. Als er sie erblickte, sah sie den Hunger in seinen Augen. Isabel kniete sich auf die Matratze und legte die Hand auf sein schwarzes Haar. In seinen grauen Augen entdeckte sie Spuren von Blau und Grün.

Er umfasste ihr Handgelenk und hielt es fest, sodass ihre Hand über seinem Gesicht schwebte. Die dunklen Bartstoppeln seiner unrasierten Wange kratzten an ihrer Handfläche. „Was tust du da, Isabel?“ Sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren.

„In wenigen Wochen wird mein Vater den Beweis dafür fordern, dass ich keine Jungfrau mehr bin.“ Sein heißer Blick jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Ich möchte lieber jetzt diese Vereinbarung erfüllen.“

Auch wenn er sie nicht berührte, ließ er keinen Blick von ihrer nackten Haut. Ein Muskel zuckte an seiner Wange, als versuchte er, sein Verlangen zu zügeln.„Du willst es nicht, Isabel“, sagte er mit leiser Stimme. „Und ich auch nicht.“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. So streifte sie sich hastig wieder das Hemd über. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen, doch bei Gott, sie würde nicht vor ihm in Tränen ausbrechen! Der Kuss zuvor hatte sie fälschlicherweise blind gemacht.

Es war dumm von ihr zu denken, er könnte seine Meinung geändert haben. Wahrscheinlich fand er sie nicht anziehend. Verdammt sollte er sein.

„Isabel“, sagte er, und seine Stimme klang rau vor Mitleid.

„Nein. Sag nichts.“ Sie zog wieder das abscheuliche Kleid an und setzte sich so weit weg von ihm wie möglich. Zorn und Kränkung lasteten schwer auf ihr. Zweimal schon in dieser Nacht hatte sie sich vor ihm erniedrigt. Am liebsten hätte sie sich auf dem Boden zusammengerollt und einfach nur geweint. Bei den Gebeinen der Heiligen Petrus, wenn er sie denn nicht wollte, dann sollte es eben so sein.

Sie hörte, wie er sich anzog, drehte sich aber nicht um. Kurz darauf spürte sie, dass er hinter ihr stand. Dann umfasste eine warme Hand ihr Kinn.

Isabel schob ihn fort. „Lass mich allein. Du hast mir sehr deutlich gezeigt, dass du mich nicht willst.“

Patrick widersprach nicht. Sein Schweigen machte aus ihrem Selbstvertrauen einen Scherbenhaufen. „Es ist besser so, a stór. Glaube mir.“

„Kehr in deine Burg zurück“, sagte sie kalt. „Ich habe nicht den Wunsch, dich noch einmal zu sehen.“

In der Morgendämmerung saß Sir Anselm wartend auf seinem Pferd. Hoch oben auf der Klippe beobachtete er im Schutz der Bäume die junge Frau. Sie nannten sie Sosanna. Er hatte sie am Abend zuvor fortgehen sehen. Doch keine Stunde später war sie wieder nach Hause gekommen.

Jetzt hatte sie erneut ihr Heim verlassen. Er wusste nicht, was sie dazu gebracht hatte, allein so weit zu gehen. Doch es bedeutete sicher nichts Gutes. Sein Instinkt riet ihm, sie nicht aus den Augen zu lassen.

Er hatte den Zorn und die Sorge auf dem Gesicht des Iren gesehen. Und wenn er auch froh war zu sehen, dass Ruarc bestraft worden war, wollte er den Mann eigentlich ausgepeitscht wissen wegen seines Ungehorsams. Mehr als einer seiner Untergebenen hatte über Ruarcs Angriff gemurrt.

Allerdings bemerkte Anselm auch die Angst des Mannes um seine Schwester. Deswegen war er dieser Sosanna ein zweites Mal gefolgt. Denn er spürte, dass sie etwas vorhatte.

Er stieg aus dem Sattel und ging zu ihr. Sie stand dicht am Rande eines zerklüfteten Granitfelsens und starrte auf die dunklen schaumigen Wellen tief unten.

„Seid gegrüßt“, sagte er zu ihr.

Voll Panik blickte sie ihn mit weit aufgerissenen Augen an und trat einen Schritt näher an den Rand. Anselm hob die Hände und zeigte, dass er keine Waffen bei sich führte. „Ich will Euch nicht wehtun. Mein Name ist Sir Anselm Fitzwater.“

Die Verwirrung in ihrem Gesicht erinnerte ihn daran, dass sie seine Sprache nicht verstand. Und er konnte auch kein Wort Irisch.

Schützend legte sie die Hand auf ihren Bauch und machte noch einen Schritt. Anselm hätte am liebsten laut geflucht. Aus dieser Entfernung konnte er sie nicht daran hindern, über den Rand zu springen. Er bezweifelte nicht, dass Ruarc einen Krieg zwischen den beiden Lagern anzetteln würde, wenn die Frau sich umbrachte. König Patrick hatte strikten Befehl gegeben, den Frieden aufrecht zu erhalten. Doch die Chance auf Erfolg war nur sehr gering.

Er riskierte sein Glück, setzte sich hin, rupfte einen Büschel Gras aus und drehte ihn spielerisch in der Hand. „Ich weiß, Ihr könnt mich nicht verstehen, aber ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr von der Klippe da wegtreten würdet.“

Die Frau erbleichte und warf wieder einen angstvollen Blick auf das Wasser hinunter.

Anselm fuhr fort zu sprechen. Es war ein sanfter Strom von Worten, der von einem Thema zum anderen dahinplätscherte. Während er sprach, betrachtete er sie. Trotz des vernachlässigten Äußeren entdeckte er eine verblüffend hübsche Frau mit hohen Wangenknochen und Lippen, so rot wie reife Kirschen. Er versuchte, sich ihre frühere Schönheit vorzustellen.

Die fortgeschrittene Schwangerschaft, die sich unter ihrem blauen Kleid abzeichnete, konnte der Grund für ihr Vorhaben sein. Doch Anselm glaubte nicht, dass ihr Stamm sie deswegen ausstoßen würde.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber solange er sich ihr nicht näherte, schien sie weniger Angst vor ihm zu haben. Er winkte ihr, mit ihm zurückzugehen, sie hingegen schüttelte bloß den Kopf.

„Ruarc“, erinnerte er sie und hielt die Hände hoch, als wären sie an den Handgelenken aneinandergefesselt. Bei der Erwähnung ihres Bruders wurde die Frau blass. Sie blickte zu den Klippen, und ihre ganze Haltung drückte Traurigkeit aus.

„Kommt.“ Er ging auf die Baumgruppe zu und lockte sein Pferd zu sich. „Wollt Ihr reiten?“ Er versuchte sich ihr durch Gesten verständlich zu machen, doch Sosanna schüttelte den Kopf.

„Wie Ihr wünscht.“ Anselm wartete, bis sie die ersten Schritte tat. Leise vor sich hin pfeifend, führte er sein Pferd am Zügel. Langsam und zögernd folgte sie ihm, immer noch auf große Distanz zwischen ihnen bedacht.

Erst als sie weit genug von der Klippe entfernt war, atmete er erleichtert auf. Diese Frau strahlte etwas sehr Zerbrechliches aus, und wenn er auch ahnte, was man ihr angetan hatte, so wollte er nicht glauben, dass seine Männer dafür verantwortlich waren. Dazu waren sie zu gut gedrillt, zu diszipliniert.

Er blickte hinter sich, um zu sehen, ob sie ihm noch folgte. Sosanna war stehen geblieben. Er erkannte das Entsetzen in ihren Augen. Anselm folgte ihrem Blick und erblickte eine kleine Gruppe seiner Männer, die sich im Waffengang übte.

Einer der Berittenen kam auf ihn zu. Anselm hob rasch die Hände, um den Mann aufzuhalten.

Es war zu spät. Sosanna wirbelte herum und begann zu laufen. Er fluchte, sprang aufs Pferd und trieb es zur Eile an.

Wenige Augenblicke später stand die Frau am Rand der Klippe. Einen Herzschlag lang zögerte sie, bevor sie sprang.

Anselm zügelte seinen Wallach und stieg hastig ab. Er warf einen Blick in den Abgrund und sah, wie sich Sosannas blaues Kleid auf dem Wasser blähte. Er dachte nicht lange nach, sondern sprang und tauchte in die eiskalte See. Das Wasser traf ihn mit der Wucht eines Steins. Gott sei Dank hatte er kein Kettenhemd an. Das Gewicht hätte ihn unter Wasser gezogen.

Anselm schwamm zu Sosanna, die mit dem Gesicht nach untern im Wasser trieb. Er wusste nicht, ob sie noch am Leben war. Als er sie berührte, reagierte sie nicht. Atmete sie noch? Bemüht, sie über Wasser zu halten, kämpfte er sich ans Ufer.

Sobald sie den Strand erreicht hatten, taumelte er über den Sand und legte die Frau nieder.

„Atme!“, flehte er, während er ihr die Wangen rieb. Er wusste nicht, wie er sie retten sollte. Und, lieber Herr Jesus, wie war sie bleich! Leise murmelte er ein Gebet.

Einen Moment später erhörte Gott sein Flehen. Hustend spuckte sie Wasser. Die Anstrengung ließ ihren zarten Körper erbeben.

Anselm hielt ihr Haar zurück und streichelte ihr den Kopf, während sie keuchend um Atem rang. Selbst nachdem sie sich beruhigt hatte, hielt er sie fest. Ihm war, als wäre er derjenige gewesen, der fast ertrunken wäre.

Die Frau schloss die Augen, und er hob sie hoch. Wenn er sie nach Laochre zurückbrachte, würde Ruarc davon Kenntnis bekommen. Die Wut des jungen Heißsporns würde jedem Frieden zwischen den beiden Lagern ein Ende machen. Er musste Sosanna helfen, doch nicht um diesen Preis.

Anselm blickte sich um und entdeckte ein kleines Boot, das außer Reichweite des Wassers am Ufer lag. Und jetzt wusste er, wohin er sie bringen würde.

9. KAPITEL

Isabel schmerzten die Arme, trotzdem setzte sie noch einen Stein auf die Mauer. Seit einem halben Tag arbeitete sie daran, die Außenseite der zerstörten Palisade wieder aufzubauen. Da die Wände aus Holz waren, gab es genug Kalksteine auf der Insel, um drei Türme zu bauen. Und sie hatte es satt, in der Hütte anderer Leute zu leben, wo sie doch einen eigenen Unterschlupf besaß, so baufällig er auch sein mochte.

Leider war ihre Steinmauer erst zwei Hand hoch.

Die Arbeit half ihr, nicht an Patrick zu denken. Sie sehnte sich danach, seinen Schädel auf einen dieser Felsbrocken zu schlagen, weil er sich immer noch weigerte, sie als seine Frau anzusehen und nicht bloß als eine Normannin. Was sollte sie denn noch tun?

Um sich herum sah sie die Gesichter der Inselbewohner, die sie beobachteten. Keiner sprach ein Wort, doch sie sahen ihr beim Palisadenbau zu, behielten sie abwechselnd im Auge, während sie ihrer eigenen Arbeit nachgingen. Isabel kam sich wie eine vom fahrenden Volk vor, die den Leuten Unterhaltung bot.

Mit der Rückseite ihrer Hand wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Eine kleine Bewegung weckte ihre Aufmerksamkeit. Ein kleines Mädchen von vielleicht zehn Jahren trat heran. Die blonden Haare waren zu einem Zopf geflochten. Sie trug ein graues léine und war barfuß.

Das Mädchen sprach ein singendes Irisch, Worte, die Isabel nicht verstand. Doch sie verstand, was der Tonbecher bedeutete, den die Kleine ihr entgegenstreckte.

„Danke“, sagte sie und nahm den Trunk. Das Bier war zwar nicht gekühlt, aber es war das erste Mal, dass jemand eine gastfreundliche Geste zeigte. Sie gab den Becher zurück, nachdem sie ihn geleert hatte, und lächelte das Mädchen an. Auf den Stapel Steine deutend fragte sie: „Willst du mir helfen?“

Das Mädchen schaute zu seiner Mutter, die den Kopf schüttelte. Isabel verbarg ihre Enttäuschung. Stattdessen fuhr sie mit ihrer Arbeit fort und setzte weiter Stein auf Stein.

Als die Sonne den höchsten Stand erreichte, legte sie eine Pause ein, um ein paar Bissen zu essen. In dem Augenblick vernahm sie erregte Stimmen. Viele der Kinder huschten aufgeregt plappernd durch den Eingang des Ringwalls.

Isabel erhob sich und sah Sir Anselm, der eine junge Frau trug. Beide waren bis auf die Haut durchnässt. Sie fragte sich nicht lange, warum er nach Ennisleigh gekommen war, sondern eilte auf ihn zu. Nach einem Blick in das blasse Gesicht der Frau, erkannte Isabel sie. Es war Sosanna, die stumme Frau von Laochre.

„Was ist geschehen?“, fragte Isabel.

„Sie sprang von der Klippe“, erwiderte Anselm grimmig. „Ihr Bruder ist einer der irischen Rebellen. Wenn er herausbekommt, was mit ihr passiert ist, wird er meinen Männern die Schuld geben.“

Isabel verstand. „Bringt sie in die Hütte. Helft mit, Feuer zu machen. Dann werden wir nach ihr sehen.“

Die Inselbewohner folgten Sir Anselm und scharten sich um den Eingang zur Hütte. Isabel schickte ihn vor und hinderte dann die Leute daran, die Hütte zu betreten.

„Macht euch keine Sorgen“, sagte sie. Eine der Frauen trat vor und bedeutete ihr, dass sie eintreten wolle. Es war die Mutter des Mädchens, das das Bier gebracht hatte.

Isabel erkannte, dass die Inselbewohner ihr nicht glauben würden, dass sie Sosanna helfen wollte, bis sie es mit eigenen Augen gesehen hätten. Sie winkte die Irin und ihre Tochter hinein. „Kommt und helft mir.“

Wenn sie zusammenarbeiteten, würde die Mutter vielleicht anfangen, ihr zu vertrauen. Isabel stieß die aus einer Tierhaut gefertigte Tür auf und wartete. Ohne zu zögern ging die Frau hinein, und Isabel ließ die Tür offen stehen. Anselm hatte Sosanna auf die Matratze gelegt.

Isabel stellte sich und den normannischen Ritter vor. Sie erfuhr, dass der Name des Kindes Orla und der seiner Mutter Annle war.

Annle kniete neben Sosanna nieder. Mit der Gewandtheit einer erfahrenen Heilerin untersuchte sie Sosanna nach gebrochenen Knochen oder anderen Verletzungen. Isabel saß still neben ihr und betete stumm für das Leben der jungen Frau und das ihres ungeborenen Kindes. „Wann ist es geschehen?“, fragte sie Sir Anselm.

„Heute Morgen, gerade vor einer Stunde. Ich sah sie weggehen und bin ihr gefolgt.“

„Weiß irgendjemand davon?

Sir Anselm schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Sie werden wissen, dass man sie vermisst und dass ich eines der Boote genommen habe.“

„Würdet Ihr gehen und es Patrick sagen? Sagt ihm, dass wir uns hier auf Ennisleigh um sie kümmern.“

„Haltet Ihr das für klug? Der König könnte mir die Schuld an dem Unfall geben. Ich war der Einzige, der sie springen sah.“

„Ihr hattet keinen Grund, ihr ein Leid anzutun. Und wir alle können bezeugen, wie Ihr sie hierhergebracht habt.“ Sie winkte mit der Hand.„Geht. Wir werden uns jetzt um sie kümmern.“

Die Augen auf Sosanna gerichtet, zögerte er noch immer. Er macht sich Sorgen, erkannte Isabel. Aus irgendeinem Grund wollte der Kämpfer sicher sein, dass es Sosanna gut haben würde.

„Ihr könnt später kommen und sie sehen“, sagte Isabel freundlich und begleitete ihn hinaus.

Nachdem er gegangen war, half Annle ihr, Sosanna auszuziehen. Die bewusstlose Frau reagierte nicht. Ihre Haut war kalt. Annle tastete den Bauch der jungen Frau ab, und auch Isabel legte ihre Hand darauf. Sie warteten, und nach einiger Zeit war da eine kleine, flatternde Bewegung unter Isabels Hand zu spüren.

Erstaunt, dass sie fühlen konnte, wie das ungeborene Kind sich bewegte, zog Isabel die Hand zurück. Sie hatte noch nie zuvor eine schwangere Frau berührt. Eine bedrückte Stimmung übermannte sie. Sosannas Anblick schien sie zu verhöhnen, weil sie daran denken musste, was Patrick ihr nicht geben wollte. Nur wollte sie sich nicht erneut demütigen lassen. Sollte Patrick doch die Konsequenzen tragen, wenn ihr Vater kam und herausfand, dass sie noch Jungfrau war.

Isabel betrachtete Sosanna, die beängstigend still dalag. Annle zog eine Decke über die Frau, um ihren zerbrechlichen Körper zu wärmen. Sie machte Isabel ein Zeichen, sie solle warten und ging aus der Hütte. Isabel schürte das Feuer, damit es drinnen warm blieb.

Als Annle zurückkehrte, trug sie einen Korb. Sie nahm Mörser und Stößel und einige Kräuter daraus und befahl Isabel mit Gesten, die Kräuter zu zerreiben. Isabel wusste, dass die Mischung aus Beinwell und Wintergrün gut gegen Prellungen war. Sie zerstieß die Kräuter und reichte den Mörser wieder Annle.

Annle verstrich etwas von der Mixtur auf eine geschwollene Stelle an Sosannas Arm. Als all die kleinen Schnitte und Prellungen behandelt waren, konnten sie nicht viel mehr tun, als sie warm zu halten.

Die Heilerin hob einen Topf mit heißem Wasser vom Feuer und holte Gemüse aus ihrem Korb. Sie reichte Isabel ein Bündel und deutete ihr an, sie sollte das Essen vorbereiten.

Isabel wickelte Erbsen aus dem Tuch und erkannte, dass Annle eine Suppe zubereiten wollte. Sie wünschte, sie hätte fragen können, ob auch anderes Gemüse zur Verfügung stand. Vielleicht hatten sie Zwiebeln, um den Geschmack zu verbessern.

Ihr Zorn stieg. In all den Tagen seit ihrer Ankunft auf Erin hatte keiner ihr angeboten, sie die Sprache zu lehren. Nun, vielleicht war jetzt die Zeit gekommen, mit dem Lernen zu beginnen.

„Wie heißt das Wort für Schale?“, fragte sie Annle und hielt eine aus Holz geschnitzte Schale hoch. Die Frau runzelte die Stirn. Sie verstand Isabels Frage nicht.

„Schale“, wiederholte Isabel.

Babhla?“, fragte Annle.

Isabel hielt die Schale hoch. „Babhla?“ Als die Frau mit dem Kopf nickte, strahlte Isabel. Allen Heiligen sei Dank, das war wenigstens ein Anfang.

Sie ging im Raum umher, deutete auf jedes Ding und fragte Annle nach dem Namen. Dann wiederholte sie ihn. Auch wenn Annle manchmal zu zögern schien, so beantwortete sie doch Isabels Fragen.

Stunden vergingen, und einige der Inselbewohner schauten vorbei. Isabel bemühte sich, einige Worte zu erkennen. Aber so sehr sie sich auch bemühte, der Redestrom blieb ihr unverständlich.

Schließlich kam Patrick. Seine mächtige Gestalt schien den ganzen Türrahmen auszufüllen. Das schwarze Haar fiel ihm auf die Schultern, einige Schnitte zeichneten sein Gesicht, und eine Hand war mit einem Stück Leinen verbunden, als hätte er einen Kampf hinter sich.

Isabel konnte nicht alle seine Fragen verstehen, Patrick schien indes mit Annles Antworten zufrieden zu sein. Dann entließ er alle. Isabel stand auf, um ebenfalls zu gehen, doch er hielt sie zurück. „Ich möchte, dass du bleibst.“

„Ich halte es für besser, ebenfalls zu gehen.“ Es fiel ihr schwer, ihn anzusehen, denn sie erinnerte sich voller Verlegenheit an die vergangene Nacht.

Patrick legte seinen dunkelroten Mantel ab und setzte sich neben Sosanna. „Was hat Anselm dir erzählt? War er schuld an ihrem Sturz?“

„Sie stürzte nicht. Sie sprang und er hinterher, um sie zu retten.“ Patrick verzog zweifelnd das Gesicht.

„Du glaubst mir nicht“, stellte Isabel fest.

„Nein.“

Sie biss die Zähne zusammen. Wieso sah er nicht die Qual der Frau? Konnte er nicht erraten, dass ihr wahrscheinlich Gewalt angetan worden war? Das Kind, das in ihr heranwuchs, erinnerte sie täglich an das, was sie erlitten hatte.

„Anselm brachte sie hierher“, erinnerte sie ihn. „Er rettete sie.“

„Er hätte den Sturz verhindern sollen.“

„Und wie hätte er das tun sollen? Ihr hinterherfliegen und sie packen?“

„Sie hätte nicht allein dort draußen sein dürfen.“

Hinter allem Zorn verbarg sich die Sorge um Sosanna. Isabel schöpfte Suppe in eine Schale und gab sie ihm. „Sie ist verletzt, und es geht um mehr als nur um das Kind oder die körperlichen Wunden. Seit wann redet sie nicht mehr?“

Autor

Michelle Willingham

Michelle schrieb ihren ersten historischen Liebesroman im Alter von zwölf Jahren und war stolz, acht Seiten füllen zu können. Und je mehr sie schrieb, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass eines Tages ihr Traum von einer Autorenkarriere in Erfüllung gehen würde.
Sie besuchte die Universität von Notre Dame im Bundesstaat...

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