Julia Ärzte zum Verlieben Band 140

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LONDON, LIEBE - DR. LEWIS? von CAROL MARINELLI

Nach einer privaten Katastrophe beschließt die junge Hebamme Freya, fern von Schottland in London einen Neuanfang zu wagen. Wo ihr am ersten Tag ein gefährlich attraktiver Arzt über den Weg läuft! Ein heißer Flirt mit Dr. Lewis könnte direkt in die nächste Katastrophe münden …

DU HAST DAS GLÜCK VERDIENT von CHARLOTTE HAWKES

Sie ist Ärztin und alleinerziehende Mutter. Für eine Romanze hat Effie keine Zeit. Bis Neurochirung Dr. Tak Basu sie bittet, ihn auf eine Gala im Krankenhaus zu begleiten. Eigentlich ist es nur als Date zum Schein gedacht. Aber warum küsst Tak sie bloß zum Abschied so heiß?

PRINZ UND ARZT AUS LEIDENSCHAFT von KATE HARDY

Prinz Luciano ist Arzt aus Leidenschaft. Er will nicht auf den Thron, sondern in den OP! Um das Königshaus von seinen Plänen zu überzeugen, macht er der bürgerlichen Ärztin Kelly einen Antrag. Aus Vernunft - aber der Kardiologe hätte es wissen sollen: Herzen sind unberechenbar …


  • Erscheinungstag 26.06.2020
  • Bandnummer 140
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715571
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Charlotte Hawkes, Kate Hardy

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 140

CAROL MARINELLI

London, Liebe – Dr. Lewis?

Eigentlich ist er überzeugter Junggeselle. Bis Richard Lewis sich in die hübsche Hebamme Freya verliebt! Mit ihr kann er sich sogar eine gemeinsame Zukunft vorstellen. Doch dann begleitet er Freya in ihr heimatliches Schottland, und plötzlich ist er sicher: Seine warmherzige Geliebte gehört hierher. Während er seine Karriere weiter in London verfolgen muss …

CHARLOTTE HAWKES

Du hast das Glück verdient

Wenn er mit seiner schönen Kollegin Effie auf der Gala erscheint, lassen ihn seine aufdringlichen Verehrerinnen hof-fentlich in Ruhe! Aber Dr. Tak Basus Idee endet pikant. Denn als er Effie nach Hause bringt, ist in ihrem Apartment die Heizung ausgefallen. Spontan bietet er ihr an, mit zu ihm zu kommen. Wo er das macht, wovon er schon den ganzen Abend träumt …

KATE HARDY

Prinz und Arzt aus Leidenschaft

Du hast das Recht, wieder glücklich zu sein: Oft hat die verwitwete Kelly das von ihrer Familie gehört. Aber sie will sich nicht mehr verlieben, viel zu weh tat der Verlust. Da geht sie lieber für ein halbes Jahr eine Vernunftehe mit Dr. Bianchi ein, renommierter Kardiologe von königlichem Blut. So ist ihr Herz geschützt – glaubt sie!

PROLOG

„Freust du dich schon auf deinen großen Umzug nach London?“

Diese Frage hatte Freya Ross in den letzten Wochen schon unzählige Male gehört, und obwohl ihr flau im Magen wurde, wenn sie nur daran dachte, lächelte sie. „Ich freue mich sehr.“

Als Hebamme im Geburtszentrum des Cromayr Bay Hospital untersuchte Freya gerade Mrs. Roberts, deren drei Jungs in dem kleinen Zimmer Amok liefen. Die meisten Patientinnen ließen sich gern beim Vornamen ansprechen – nicht so Mrs. Roberts.

„Jamie!“, schimpfte sie, als der freche Dreijährige auf einen Stuhl kletterte.

Freya war daran gewöhnt, dass während ihrer Arbeit Kinder um sie herumwuselten – und auch, dass sie ihre Gedanken besser für sich behielt.

Sie hatte niemandem erzählt, wie mulmig ihr wegen des Umzugs nach London war. Nicht ihren Eltern, nicht ihrer besten Freundin, nicht ihren Kolleginnen. Und Patientinnen würde sie damit garantiert nicht belasten.

So wusste niemand, wie sehr Freya sich vor dem Tag fürchtete, an dem sie in Kürze aus dem kleinen schottischen Cromayr Bay nach London ziehen würde.

Alle waren überrascht gewesen, als sie es verkündet hatte. Niemand hatte gewusst, dass sie überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch gewesen war. Es war nicht einfach gewesen, ihre Schichten zu tauschen. Freya hatte nicht lügen und sagen können, sie müsse zum Zahnarzt, denn ihr Zahnarzt war der Mann von Betty, der dienstältesten Hebamme. Und wenn sie sich krankgemeldet hätte, wäre bestimmt jemand vorbeigekommen, um zu fragen, wie es ihr ginge.

Schließlich hatte Freya also behauptet, dass sie eine Freundin traf, mit der sie die Ausbildung gemacht hatte.

„Oh, wer ist es denn?“, hatte Betty gefragt.

Freya hatte das Gefühl, ihre Nase war nach all den Lügen um mindestens einen halben Meter länger geworden. Sie hatte den Zug nach Edinburgh genommen und dann den nächsten nach London – ins Primary Hospital, ein großes, modernes Krankenhaus.

Freya hatte ihre allgemeine Ausbildung in Cowdenbeath gemacht und war in Edinburgh einige Male als Vertretung eingesprungen, sodass geschäftige Krankenhäuser für sie kein Neuland waren. Aber das Primary war riesengroß und das Bewerbungsgespräch sehr gründlich.

Ihre Ausbildung war herausragend gewesen, und Freya hatte ihre Kenntnisse durch regelmäßige Schichten im Krankenhaus von Cromayr Bay, an das die Geburtsstation angeschlossen war, auf dem aktuellen Stand gehalten.

So hatte sie dann auch ein Angebot für einen sechsmonatigen Vertrag in dem Londoner Krankenhaus bekommen. Mitte Juli sollte sie anfangen. Freya wurde langsam nervös.

Aber statt ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, tastete sie Mrs. Roberts den Bauch ab und plauderte mit ihr. „Heute Abend gibt es eine Abschiedsfeier, drüben im Tavern“, sagte Freya. „Sie sind die letzte Patientin, bevor ich rübergehe.“

„Wie schade, dass Sie zur Geburt nicht da sein werden.“

„Das finde ich auch, Mrs. Roberts“, sagte Freya. „Aber es wird alles gut gehen.“

„Alison sieht das wahrscheinlich genauso wie ich?“

Freya hielt mitten in der Untersuchung inne. Alison hatte nicht gewollt, dass jemand schon etwas über ihre Schwangerschaft erfuhr.

„Wir sind beste Freundinnen.“ Das war eine unverbindliche Antwort für den Fall, dass sie die Frage falsch verstanden hatte. „Deswegen ist sie natürlich traurig, dass ich gehe. Aber ich komme ja regelmäßig zu Besuch.“

„Ich meinte wegen dem Baby“, sagte Mrs. Roberts. „Schon gut, Sie sollen hier keine Geheimnisse verraten. Ich habe erst gestern gehört, dass sie wieder in anderen Umständen ist. So eine schöne Nachricht.“

„Stimmt“, sagte Freya. Innerlich seufzte sie. Bislang hatten es nur ganz wenige gewusst, und auch wenn Alison schon im zweiten Trimester war, hatte sie es noch eine Weile für sich behalten wollen.

Aber hier blieb einfach nichts lange geheim.

„Ich hoffe nur …“ Mrs. Roberts sprach den Satz nicht zu Ende. „Na ja“, fuhr sie dann fort. „Ich hoffe, dass es dieses Mal besser für sie läuft.“

Freya nickte, aber wollte sich nicht in ein Gespräch über den Verlust des kleinen Andrew ziehen lassen.

Letztes Jahr war wirklich schwierig gewesen.

Nach einer ganz entspannten Schwangerschaft war Alison mit Wehen ins Geburtszentrum gekommen. Als Freya den Herzschlag des Fötus hatte prüfen wollen, war ihr aufgefallen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Alison war für einen Notfall-Kaiserschnitt ins benachbarte Krankenhaus verlegt worden. Der kleine Junge war wiederbelebt und nach Edinburgh geflogen worden, wo er einen Platz auf der Kinder-Intensivstation bekommen hatte.

Er war wunderschön und einfach perfekt gewesen. Ein properes Baby mit langen, dunklen Wimpern, Pausbacken und speckigen Händchen. Aber die Nabelschnur war um seinen Hals gewickelt gewesen, sodass er zu wenig Sauerstoff bekommen und unter Mekoniumaspiration gelitten hatte. Die Folge war ein schwerer Hirnschaden gewesen.

Trotz aller Bemühungen war Andrew zwei Tage später gestorben und hatte Alison, ihren Ehemann Callum und ihre beiden Familien todtraurig zurückgelassen.

Freya war seine Patin gewesen und wachte noch immer aus Albträumen auf, in denen das Piepen des Wehenschreibers ihr Schlafzimmer zu durchdringen schien. Es fühlte sich jedes Mal an, als würde ihr das Herz zerquetscht, wenn sie sich an Alisons Gesicht erinnerte in dem Moment, als sie begriffen hatte, dass etwas nicht gestimmt hatte.

„Freya?“, hatte sie bittend gefragt.

Die Angst in ihrer Stimme würde Freya niemals vergessen können.

Alison hatte ihr niemals die Schuld gegeben.

„Alles sieht gut aus“, sagte Freya, als sie die Position des Babys in Mrs. Roberts’ Bauch ertastete. „Der Kopf liegt unten, und es ist groß genug.“

„Schön.“

Freya gefiel die Arbeit in Cromayr Bay vor allem deswegen, weil sie die Frauen und ihre Familien immer so gut kennenlernte. Nachdem Mrs. Roberts sich gerade noch über Alisons Schwangerschaft hatte unterhalten wollen, war Freya jetzt über die knappe Antwort verwundert.

Freya hatte während der vergangenen Monate immer wieder Probleme gehabt, Mrs. Roberts’ Gefühle einzuschätzen.

Diese Schwangerschaft war sehr kurz auf die Geburt ihrer Zwillinge gefolgt, aber Mrs. Roberts hatte gesagt, dass es so geplant gewesen sei: Sie wollte, dass es keinen großen Altersunterschied zwischen ihren Kindern gab.

Freya war sich ziemlich sicher, dass Mrs. Roberts nicht ganz glücklich war, aber sie war auch eine sehr stolze Frau, der ihre Privatsphäre heilig war.

Jamie, der Älteste, wurde unruhig, und die Zwillinge kramten in der Handtasche ihrer Mutter herum. Mrs. Roberts würde nach Hause eilen, sobald ihr Termin hier vorbei war.

Freya ging zum Schreibtisch und notierte sich die Untersuchungsergebnisse. Mrs. Roberts zog sich an und setzte sich ihr dann gegenüber.

„Jamie!“, schimpfte sie erneut. Ihr Sohn hatte nach einem Glas mit Wattebäuschen gegriffen. „Tut mir leid, Freya.“

„Kein Problem. Ich hätte sie nicht da stehen lassen sollen.“ Mrs. Roberts wollte aufstehen und sie ihm abnehmen, aber Freya hielt sie auf. „Lassen Sie ihn ruhig damit spielen.“ Nicht nur, weil sie die Watte sowieso wegwerfen würde, sondern auch, weil der Junge damit eine Weile beschäftigt war.

„Er lässt keinen Stein auf dem anderen“, sagte Mrs. Roberts. „Ich bräuchte hinten am Kopf Augen.“

„Wenn das neue Baby kommt, wird es bestimmt noch stressiger“, sagte Freya. „Haben Sie jemanden, der Ihnen helfen kann?“

„Ach, ich will niemandem zur Last fallen. Ich muss da einfach durch.“ Mrs. Roberts setzte sich aufrechter hin.

Freya hatte Mitgefühl mit ihr. Sie selbst wollte sich schließlich vor anderen Menschen auch keine Blöße geben.

Freya war – neben ihren zwei jüngeren Brüdern – immer „die Vernünftige“ gewesen. Ihre Mutter Jean hatte sich darauf verlassen, dass Freya nach den Jungen schaute und deren Wehwehchen verpflasterte statt ihrer eigenen.

Während Freya noch schrieb, fragte sie sich, wie sie wohl auf ihre Patientinnen wirkte. Ihre langen, dunklen Locken hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sie wusste, dass sie mit ihren grünen Augen oft eher zurückhaltend wirkte. Sie war ruhig, und das gefiel ihren Patientinnen meist sehr gut.

Aber, genauso wie Mrs. Roberts, konnte Freya hier und da einen reservierten Eindruck machen, manchmal sogar ruppig wirken. Sie redete nicht viel über sich selbst, aber das war in Cromayr Bay nicht schlimm, weil sowieso alle alles über ihre Mitmenschen wussten.

Dennoch wollte sie jetzt wissen, ob es Mrs. Roberts gut ging. Also entschied sie sich, selbst etwas offener zu werden.

„Ich sage zwar allen“, fing sie an, „dass ich mich auf London freue, aber in Wahrheit bin ich doch sehr nervös. Das ist so ein großes Krankenhaus, und ich kenne dort keinen Menschen.“

„Das wird schon …“, sagte Mrs. Roberts, aber Freya sprach leise weiter.

„Wahrscheinlich fragen Sie auch alle, ob Sie sich auf das Baby freuen, oder?“

Mrs. Roberts nickte. „Nicht mehr lange!“ Sie ahmte die Sätze nach, die sie jeden Tag zu hören bekam. „Nach drei Jungen hoffen Sie bestimmt auf ein Mädchen.“

„Tun Sie das?“, fragte Freya. Sie wusste, welches Geschlecht das Baby hatte.

„Natürlich nicht. Ich bin doch nicht schwanger geworden, um endlich ein Mädchen zu bekommen. Eigentlich bin ich …“ So nahe war Mrs. Roberts dem Eingeständnis, dass die Schwangerschaft ein Unfall war, noch nie gekommen. Aber sie riss sich schnell zusammen. „Hauptsache gesund.“

„Natürlich“, stimmte Freya zu, und Mrs. Roberts wechselte das Thema.

„Sie sind also nervös?“

„Panisch“, gab Freya zu. „Ich habe keine Ahnung, wie ich da reinpasse.“

„Das wird bestimmt schnell gehen.“

„Ich hoffe es“, sagte Freya. „Aber ich frage mich, ob ich nicht einen Fehler gemacht habe.“

„Das Gefühl kenne ich nur zu gut.“

Mrs. Roberts schloss die Augen und gab es endlich zu: „Es ist ja nicht so, dass ich es nicht will. Ich meine, es ist bestimmt toll, wenn das Baby erst mal da ist. Ich weiß nur ehrlich gesagt nicht, wie ich das schaffen soll. Die Zwillinge sind immer aktiv, und Jamie ist sowieso ein ganz Wilder. Davey ist überhaupt keine Hilfe. Ach, er versucht es, aber unter der Woche muss er um sieben anfangen und ist nicht vor sechs zurück. Da will er dann sein Abendessen. Ich werde wohl etwas einfrieren, das er sich warm machen kann, wenn das Baby kommt.“

„Das ist gut.“

„Aber wir brauchen mehr als nur ein paar Abendessen, um das zu schaffen.“

Mrs. Roberts schossen Tränen in die Augen, und sie fing an zu weinen.

„Mum!“ Jamie tapste zu ihr und zog an ihrem Rock. „Mum!“

„Deine Mummy ist ein bisschen müde“, sagte Freya und reichte Mrs. Roberts ein Taschentuch.

Jamie richtete seinen neugierigen Blick auf das Stethoskop, das Freya um den Hals gelegt hatte. Sie nahm es ab und gab es ihm, damit Mrs. Roberts noch etwas Zeit für sich hatte.

„Tut mir leid, Freya“, sagte Mrs. Roberts und schnäuzte sich. „Wie soll ich das nur schaffen mit noch einem Kind? Ich habe ja so schon nie auch nur einen Moment Zeit für mich selbst.“

„Haben Sie überlegt, Ihre Schwester zu fragen? Vielleicht kann sie die ersten Wochen bei Ihnen wohnen?“

Freya wusste, dass die beiden ein enges Verhältnis hatten.

„Habe ich“, sagte Mrs. Roberts. „Aber das ist zu viel verlangt.“

„Hat sie das gesagt?“

„Nein, nein, sie hat sogar angeboten zu kommen. Aber ich will das nicht.“

„Sie brauchen Hilfe, Mrs. Roberts. Nehmen Sie sie ruhig an, sonst sind sie irgendwann ganz überfordert und kaputt. Wenn Sie jetzt mit ihr darüber sprechen, kann sie alles planen.“

Mrs. Roberts sah Freya aufmerksam an. „Außerdem gibt es eine kleine Krippe in der Nachbarschaft“, sagte sie nachdenklich. „Vielleicht können die Großen dorthin, einmal pro Woche am Nachmittag zum Beispiel, damit ich ein bisschen mehr Zeit für das Baby habe.“

„Das hört sich gut an. Ich habe übrigens Mrs. Hunt gebeten, sich um mein Haus zu kümmern, bevor die neuen Mieter einziehen.“

„Ich brauche keine Putzfrau.“

„Ich möchte es trotzdem erwähnen. Mrs. Hunt ist sehr gründlich und auch gar nicht teuer.“

Dieser Termin hatte viel länger gedauert als geplant, aber jede Minute war es wert gewesen, denn Mrs. Roberts lächelte, als sie den Inhalt ihrer Tasche auf dem Boden zusammensuchte.

„Ihr kleinen Äffchen“, sagte sie zu den Zwillingen. „Jamie, gib Freya bitte ihr Stethoskop zurück.“

Bevor Freya die Tür öffnete, sagte sie: „Wenn Sie sich einmal überfordert fühlen mit dem Baby …“

Mrs. Roberts unterbrach sie. „Dann spreche ich mit Betty. Wirklich. Es geht mir jetzt schon viel besser.“

Mrs. Roberts schnappte sich ihre drei Söhne, und Freya brachte sie noch zum Tresen. Dort trug sie einen Termin für nächsten Donnerstag ein.

„Vielen Dank, Freya.“

„Gern, Mrs. Roberts.“

„Nennen Sie mich doch Leah.“

Freya lächelte. Es war eine große Ehre, Mrs. Roberts beim Vornamen nennen zu dürfen.

„Alles Gute für Sie in London.“

„Danke.“

Als Mrs. Roberts gegangen war, kam Betty herüber, und Freya erzählte ihr, was geschehen war.

„Es ist ihr bestimmt nicht leichtgefallen, das zuzugeben“, sagte Betty. „Gut gemacht, Freya. Und keine Sorge: Ich werde sie gut im Auge behalten.“

Freya sah Bettys wissende Augen und ihr liebes Gesicht und wusste, dass Mrs. Roberts wirklich in besten Händen war. Betty war schon seit fast vierzig Jahren als Hebamme tätig. Sie hatte sogar Freya auf die Welt gebracht.

„Jetzt ist aber Feierabend. Ich fahre die Computer runter. Kannst du die Behandlungsräume in Ordnung bringen?“, fragte Betty. „Nicht, dass wir zu spät zu deiner Abschiedsparty kommen.“

Im Behandlungsraum sah es nach Jamies Wattespiel aus, als ob es geschneit hätte. Freya räumte auf, und als sie fertig war, hatte Betty schon die meisten Lichter ausgemacht.

„Alles fertig“, sagte Betty. „Ich schließe ab.“

Das war es also – ihr letzter Tag im Geburtszentrum von Cromayr Bay war vorbei.

Freya blickte sich noch einmal im Wartezimmer um, ging zum Tresen und sah zu den zwei Geburtsräumen dahinter. Dann holte sie sich ihre Jacke. Sie musste noch schnell nach Hause, um sich umzuziehen.

Hoffentlich tauchte ihr Ex nicht auf.

Aber Alison würde da sein. Sie hatte geweint, als Freya ihr gesagt hatte, dass sie nach London gehen würde.

„Ich komme aber dauernd wieder“, hatte Freya ihr versichert.

„Das ist nicht dasselbe.“

Damit hatte sie recht. Aber zwischen ihnen war es ohnehin nicht mehr dasselbe gewesen, seit Andrew gestorben war.

Alison war die Einzige gewesen, der Freya sich hatte öffnen können, aber weil Alison so trauerte, hatte Freya versucht, für ihre Freundin der Felsen in der Brandung zu sein. Da hatte sie nicht von ihren eigenen Problemen sprechen können.

Sie verabschiedete sich kurz von Betty, die auch zum Tavern kommen würde, und fuhr in ihrem kleinen lila Auto nach Hause.

Es war Juli. Die Touristen waren zurück, und es war viel los in der Stadt.

Sie parkte vor ihrem kleinen Cottage, das zwar nach einer Renovierung schrie, aber ihr Zuhause war.

Die Häuser entlang des Küstenvorlands hatten alle verschiedene Farben. Freyas war in einem hellen Blau gestrichen und hatte eine dunkle Holztür. Sie trat ein. Der überraschend große Raum hatte einen offenen Kamin, auf den Freya ihre liebsten Bilder und kleine Souvenirs gestellt hatte.

Sie ging in den Alkoven, in dem die kleine Küche untergebracht war. Die musste eigentlich komplett neu gemacht werden, aber alles funktionierte, und Freya war sowieso keine große Köchin. Ihr ganzer Stolz war die große Kaffeemaschine, die sie leider hierlassen musste. Das Auto ihres Vaters war zu klein.

Aber die Mieter würden sich darüber freuen, überlegte Freya, während sie sich schnell eine Tasse machte.

Freya wollte ihr Haus über den Sommer vermieten und im Oktober dann endgültig verkaufen.

Im Keller hatte sie einige ihrer Sachen in Kartons verpackt. Das kleine Gästezimmer sah ein bisschen kahl aus, war aber mit dem hübschen Metallbett und einer Kommode für die ersten Touristen bereit.

Freya ging ins Schlafzimmer, um ihre Uniform loszuwerden und sich für die Party vorzubereiten. Einen Moment hielt sie inne.

Die Aussicht hinaus auf den Firth hatte sie gleich bei ihrem ersten Besuch des Häuschens überzeugt. Oft lag sie am Abend einfach im Bett und blickte aus dem Fenster. Sie hatte beobachtet, wie die neue Queensferry Crossing gebaut worden war. Die beeindruckende Brücke mit den Schrägseilen war von beiden Seiten begonnen worden, bis sich beide Enden schließlich in der Mitte getroffen hatten.

Das hier war die schönste Aussicht der ganzen Welt. Warum zum Teufel hatte sie sich entschlossen zu gehen? Hier hatte sie eine tolle Arbeit, sie hatte Freunde, die sie seit ihrer Kindheit kannte, und ihre Familie, mit der sie sich gut verstand.

Und doch waren genau diese Dinge, die sie an Cromayr Bay so liebte, der Grund, warum sie gehen musste.

Der Verlust von Alisons Baby hatte alle hart getroffen.

Danach war es oft geschehen, dass Freya in ein Café oder einen Laden gekommen war und die Leute plötzlich verstummt waren.

Alle wussten alles über ihre Nachbarn. Heute Abend zum Beispiel war es sehr wahrscheinlich, dass ihr Ex Malcolm im Tavern sein würde. Sie dachte nicht mehr oft an ihn, aber es war trotzdem unangenehm, ihn zu treffen und die Verletzung und Wut in seinen Augen zu sehen, bevor er sich von ihr wegdrehte.

Aber es ging nicht nur um Malcolm. Freya wollte mehr Erfahrungen sammeln und gleichzeitig noch einmal von vorn anfangen.

Bald wurde sie dreißig. Wenn sie jetzt nicht wegzog, würde sie es nie mehr tun.

Tief im Innern wusste sie allerdings, dass sie flüchtete.

Es würde schwer sein zu gehen, aber für Freya war es noch schwerer, hier zu bleiben.

1. KAPITEL

„Sitzt hier …“

Freya blickte auf und verstand, dass die Frau in Operationsklamotten sich nicht zu ihr setzen, sondern nur den freien Stuhl haben wollte.

Hier redeten die Leute nicht einmal in ganzen Sätzen.

„Kannst du haben.“ Freya nickte.

Heute war der Orientierungstag am Primary Hospital. Freya hatte ihren Namen gesagt und erfahren, wo sie hinmusste, aber seitdem hatte sie mit niemandem mehr gesprochen. In der Kaffeepause hatte sie es versucht, aber Rita, neben der sie während der Vorträge gesessen hatte, musste ihren Ehemann anrufen gehen.

Der Zeitplan war vollgestopft. Zuerst hatte es eine Einführung ins Primary gegeben – ein großes allgemeines Krankenhaus mit einem wichtigen Unfallzentrum. Hier kamen pro Jahr so viele Menschen in die Notaufnahme, dass Freya die Zahl immer noch nicht glauben konnte. Und Geburten? Letztes Jahr waren es siebentausend gewesen.

In Cromayr Bay hatte es keinen Orientierungstag gegeben. Dort wurden neue Mitarbeiterinnen herumgeführt und willkommen geheißen. Hier jedoch saß Freya mit etwa fünfzig Krankenschwestern, Verwaltungsmitarbeitern und anderen Angestellten zusammen, die allein in diesem Monat anfangen würden.

Freya fühlte sich wie ein winziger Fisch in einem sehr großen Meer.

Sie hatte sich vorher schon ihre Uniformen und ihr Ausweisband abgeholt und sich auf dem Weg nach draußen ziemlich verlaufen. Heute hatte sie gelernt, dass der rote Streifen an den Korridorwänden sie in die Notaufnahme und zum Hauptausgang brachte. Das war gut zu wissen. Der gelbe Streifen führte in die Entbindungsstation und der blaue zu den ambulanten Patienten.

„Das hilft nicht nur Mitarbeitern und Patienten“, sagte die Admin-Managerin, „sondern ist auch nützlich, wenn Sie Besuchern den Weg beschreiben müssen. Bald werden wir noch einen grünen Streifen für die Radiologie einführen. Danach sehen unsere Wände dann aber auch wirklich wie Regenbögen aus.“

Nach weiteren Vorträgen und Filmen war eine Mittagspause angekündigt worden, um eins sollten sie wieder zurück sein. Zur Kantine führte leider kein Streifen, aber dank der Ausschilderungen hatte Freya sie trotzdem gefunden.

Es war voll gewesen, und Freya war aufgefallen, dass die meisten anderen sich etwas zu essen mitgebracht hatten. Vielleicht saß sie deswegen jetzt allein hier.

Sie hatte auch kein Kleingeld für die Automaten gehabt, sodass sie sich hatte anstellen müssen, um einen Salat-Wrap, Käse und Cracker und einen Kaffee zu kaufen.

Fast alle Tische waren besetzt gewesen. Sie war auf einen freien Stuhl zugesteuert.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, hatte sie gefragt.

„Wir gehen gerade“, hatte der Mann geanwortet. Sie hatten ihre Teller, Gläser und Becher stehen lassen.

Freya musste aufhören, die Dinge mit Cromayr Bay zu vergleichen, aber hier war alles so seltsam.

Seit ihr Vater sich vor vier Tagen in ihrer Einzimmerwohnung von ihr verabschiedet hatte, hatte sie sich mit niemandem richtig unterhalten, nur mit ein paar Verkäuferinnen und einem Arbeiter in der U-Bahn, der ihr gezeigt hatte, wo sie das richtige Ticket bekam.

Sie hatte ihre Mutter angerufen und ihr versichert, dass alles ganz fantastisch sei.

„Dein Dad meinte, die Wohnung ist ziemlich dunkel.“

Das war sie wirklich, aber Freya hatte gesagt, dass sie das mit ein paar Teppichen und Bildern schon hinbekommen würde. Und die Wohnung war gut gelegen – nur zehn Minuten bis zur U-Bahn.

„Sitzt hier …“

Freya blickte auf, als wieder jemand seine Frage nicht zu Ende brachte. Es war ein älterer Mann in Pförtneruniform.

„Nein.“ Freya machte eine Handbewegung. „Können Sie gern haben.“

Er antwortete nicht, setzte sich an den Tisch, holte ein Sandwich aus seiner Dose und begann, Zeitung zu lesen.

Auch er sprach nicht mit ihr.

Als Freya ihren Wrap aufgegessen hatte, öffnete sie den Käse und die Cracker. Eigentlich hatte sie gar keinen Hunger mehr. Sie schob die Verpackung von sich.

Sie hatte noch fünfzehn Minuten Zeit, bis es weiterging.

„Sitzt hier …“, fragte eine tiefe, versnobte, aber keineswegs unangenehme männliche Stimme.

Freya hatte langsam wirklich genug von diesen halben Fragen.

„Sitzt hier was?“, fragte sie, doch als sie aufsah, erlosch ihre Streitlust abrupt beim Anblick des großen, attraktiven Mannes in Krankenhauskleidung. Seine glatten braunen Haare waren durcheinander, und er sah so zerknautscht aus, als ob er gerade erst aufgestanden wäre. Um den Hals hatte er ein Stethoskop, und in den Händen trug er ein überladenes Tablett.

Freya bereute ihre unfreundliche Reaktion, aber wahrscheinlich hatte er sowieso kein einziges Wort von dem verstanden, was sie gesagt hatte.

Oder doch?

„Sitzt hier jemand?“, fragte er noch einmal, höflicher, aber mit einem säuerlichen Lächeln.

„Nein“, sagte Freya. „Bitte schön.“

Er stellte das Tablett ab. Als er um sich blickte und wieder ging, nahm Freya an, dass er nach einem Stuhl für einen Kollegen suchte. Er hatte zwei Becher Tee, eine Packung Milch und sechs kleine Packungen Cerealien dabei – solche, wie ihre Mutter immer für ihren Campingurlaub als etwas Besonderes gekauft hatte und um die Freya und ihre Brüder sich immer gestritten hatten.

Doch er kam allein zurück. Mit einem Löffel.

„Hallo, Len“, grüßte er den Portier. Zurück kam nur ein „Hm“, aber das schien den gut aussehenden Fremden nicht zu beeindrucken.

Während Freya ihren Kaffee trank, versuchte sie, ihn nicht anzusehen. Sie reagierte auch nicht, als er nacheinander die kleinen Packungen öffnete und alle zusammen in eine Schüssel kippte. Cornflakes, Schoko-Pops und bunte Kringel vermischten sich, und er goss die Milch darüber.

Er schüttete in beide Teebecher Zucker und trank einen von beiden in einem Zug aus.

Freya versuchte noch immer, sich nichts anmerken zu lassen.

Ein Angestellter kam mit einem Rollwagen vorbei und nahm die leeren Kartons sowie das Geschirr derjenigen mit, die zuvor dort gesessen hatten.

„Fertig?“, fragte sie Freya und griff nach ihrem Teller.

„Ja, danke.“ Sie zuckte fast zusammen, als der Portier plötzlich etwas sagte.

„Würd Ihnen das was ausmachen?“ Er zeigte auf ihren Teller.

„Entschuldigung?“

„Essen Sie die nicht mehr?“ Er meinte den Käse und die Cracker, die Freya nicht angerührt hatte.

„Nein.“

„Darf ich die haben?“

„Natürlich.“ Was sollte sie auch sonst sagen?

„Danke schön“, sagte Len und zog ein Stück Küchenpapier aus der Tasche, um das Essen darin einzuwickeln.

Der Angestellte schien sich kein bisschen zu wundern und ging weiter.

Da sprach der Mann mit seinen Frühstückscerealien. „Hier, Len.“ Er schob dem Portier einen Müsliriegel hin.

„Cheers!“ Len steckte seine Beute ein und ging ebenfalls.

Die Leute hier waren wirklich merkwürdig. Sie würde nie einen Fremden nach seinen Essensresten fragen.

Die tiefe, versnobte Stimme lieferte eine Erklärung: „Er spricht nur mit den Tieren.“

„Wie bitte?“

„Len“, sagte der Mann. „Mit Menschen kann er nichts anfangen, aber in seiner Freizeit geht er immer ins Tierheim und bringt ihnen Leckerlis mit.“

„Ach so!“ Freya lachte.

„Sie sind neu.“ Er blickte auf den Mitarbeiterausweis, den sie um den Hals trug.

Dass sie hier angestellt war, war nicht zu übersehen, aber sie wäre ihm bestimmt aufgefallen, wenn sie schon länger hier gewesen wäre.

Sie trug ein dunkelgraues Etuikleid, das ihre hellen Arme betonte, und ihre dunklen Locken fielen ihr auf die Schultern. Sie machte den Eindruck, als wäre sie noch nicht richtig angekommen.

„Ich bin zum Orientierungstag hier“, sagte sie.

Er verzog das Gesicht. „Davon habe ich auch schon so einige mitgemacht. Der Brandschutz, die Gewerkschaft …“

„Brandschutz war noch kein Thema“, sagte sie. „Das kommt gleich. Zuerst ein Film, dann eine Vorführung.“

„So ein Spaß“, sagte er und verdrehte die Augen. „Wobei ich einmal eine Patientin hatte, die die Station in Brand setzen wollte …“

Sie wartete, aber er war schon wieder mit seinen Cornflakes beschäftigt.

„Frühstück?“, fragte Freya.

„Und Mittagessen.“ Er trank seinen zweiten Tee. „Sind Sie auch neu in London?“

Freya nickte. „Ich bin letzte Woche angekommen.“

„Ich habe mal in Glasgow gearbeitet.“

„Wie lange?“

„Ein Jahr. Hab keinen verstanden. Hab immer nur Wie bitte gesagt.“

„Das gleiche Problem habe ich hier – nur andersherum“, gab Freya zu. „Ich muss ständig alles noch mal sagen.“

„Ich verstehe Sie.“

„Dann sind Sie der Erste.“

„Aber Sie sind nicht aus Glasgow?“

Dafür hatte sie einen zu sanften Dialekt. Auch wenn sie selbst nicht sanft war. Ihre Reaktion auf seine Frage nach dem Stuhl war deutlich gewesen. Richard liebte die Herausforderung einer widerborstigen Frau.

„Nein, aus Cromayr Bay.“

„Nie gehört.“

„Fife“, sagte Freya. „Mit Blick über den Firth.“

„Nie gehört“, wiederholte er.

Aber dieses Mal lächelte er ein wenig, damit sie verstand, dass er Spaß machte.

„Wie gefällt Ihnen London?“

„Bin noch nicht lang genug hier.“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Ach, nach ein paar Nächten werden Sie es lieben.“

Erst jetzt bemerkte sie seine Augen – oder bemerkte sie richtig.

Es gab so viel zu sehen in seinem schönen Gesicht. Wenn sie ihn Alison hätte beschreiben müssen, hätte sie zuerst die Wangenknochen genannt und die attraktiven, vollen Lippen. Dann seine Augen. Sie waren braun, aber glänzten wie Bernstein und hatten kleine goldene Flecken. Freya hatte das Gefühl, in ein offenes Feuer zu blicken.

Er hielt ihren Blick fest.

Nach ein paar Nächten werden Sie es lieben.

War das eine Einladung gewesen?

Freya hielt den Augenkontakt. Sie nahm nur noch ihn wahr. Die Kantine war weit weg und der Lärm auch.

„Wo arbeiten Sie?“, fragte er und riss sie aus ihrer Erstarrung.

„Entbindungsstation. Ich bin Hebamme. Ich heiße Freya.“ Sie wollte den Namen dieses attraktiven Fremden wissen, doch das Stethoskop hing über dem Namensschild.

Aber sie musste warten. Sein Pager piepte.

Er blickte darauf, aß die restlichen Löffel seines merkwürdigen Mahls, trank den letzten Schluck Tee und stand auf. „Wenn wir uns das nächste Mal sehen, werden Sie sich vermutlich hervorragend in der Bedienung des Feuerlöschers auskennen.“

„Ich werde mich bemühen“, antwortete Freya, doch er war schon weg. Er schob seinen großen Körper zwischen den Tischen hindurch, und die Leute machten ihm Platz.

Sie blickte ihm hinterher.

Der Alarm an der Decke ging an, und Freya hörte, dass das Team für Herzstillstand in der Notaufnahme gebraucht wurde.

Durch die Glasfenster der Kantine konnte sie sehen, wie er den Korridor entlanglief. Dann sah sie wieder auf das leere Geschirr. Freya wusste nicht, wie er hieß. Nur dass er unglaublich war. Unglaublich sexy.

Und zu viel für sie.

Sie war ja keine achtzehn mehr. Tatsächlich stand ihr dreißigster Geburtstag kurz bevor. Und etwas an ihm sagte ihr, dass er genau wusste, wie man flirtete. Da war während des Gesprächs ein Funkeln in seinen Augen gewesen, besonders, als er von den Londoner Nächten gesprochen hatte.

Na, mit ihm würde sie die garantiert nicht verbringen. Dazu war sie viel zu vorsichtig.

Die Mittagspause war vorbei. Freya kehrte in den Vorlesungssaal zurück. Wie erwartet, kam der Brandschutz an die Reihe. Sie sah den Film an und musste sich ein Lächeln verkneifen, als erklärt wurde, wie die Feuerlöscher funktionierten.

Freya hätte gern gewusst, wie die Patientin ihres Tischgenossen versucht hatte, die Station in Brand zu setzen. Und wie er hieß.

Endlich wusste sie alles, was es über die Feuerschutzrichtlinien des Primary zu wissen gab, sowie die Notfallcodes für verschiedene Szenarien und welche Vorschriften für Gesundheitsgefahren galten. Danach sollte es Kaffee geben. Wahrscheinlich würde Freya wieder fünfzehn Minuten allein in der Gegend herumstehen.

„Das ist eine ganze Menge Input“, sagte Rita, die Frau, die zuvor neben ihr gesessen hatte.

„Absolut“, stimmte Freya zu. „Wo wirst du arbeiten?“

„Ich war bis jetzt als Reinigungskraft auf der Entbindungsstation. Ich hoffe, dass sie mich wieder dahin schicken, aber bis jetzt habe ich noch nichts gehört. Du?“

„Ich bin Hebamme. Ich hoffe also auch, dass ich auf die Entbindungsstation komme“, witzelte Freya.

„Entschuldigung?“

„Entbindungsstation“, wiederholte sie.

„Hoffentlich sehen wir uns dann da.“

Im letzten Vortrag drehte sich alles um die Zahlstelle und Alterszulagen. Rita schrieb eifrig mit, während Freya sich anstrengen musste zuzuhören.

Schließlich war der Orientierungstag vorbei, und die rund fünfzig neuen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Primary gingen nach Hause.

Freya folgte der roten Linie und kam tatsächlich in der Notaufnahme heraus.

Dort stand er.

Der Mann, der ihren Dialekt verstanden hatte.

Er ist wohl schon wieder hungrig, dachte Freya, denn er fütterte den Automaten mit Münzen.

Mann, er sah wirklich gut aus – groß und muskulös. Selbst von der Seite zeigte sich seine Präsenz. Ob sie sich in den nächsten Sekunden wohl etwas Witziges zum Thema Feuerlöscher ausdenken konnte, bevor sie sich trafen?

Aber dafür war es schon zu spät – er hatte eine Flasche Wasser und einen Schokoriegel aus dem Automaten gezogen und ging zurück in die Notaufnahme, ohne Freya zu bemerken.

Freya stieg – mit ungefähr fünfzig Millionen anderen – in die U-Bahn hinab und quetschte sich die vier Stationen zu ihrer Haltestelle zwischen sie in den Wagon. Die fünfzig Millionen anderen stiegen natürlich mit ihr aus und wollten alle dieselbe Rolltreppe benutzen. Wenn sie nur ihr kleines lila Auto noch hätte … Aber das hätte die lange Fahrt auf der Autobahn nicht überstanden. Sie dachte an die kurze Fahrt vom Krankenhaus zu ihrem kleinen Cottage und der Aussicht, die sie dort erwartet hätte.

„Immer lächeln“, rief ein Mann hinter einem Blumenstand. „Das Leben ist schön!“

Freya zuckte zusammen: Er meinte sie. Voller Verwirrung antwortete sie nicht, sondern eilte weiter.

Endlich öffnete sie die Tür zu ihrer winzigen Wohnung und seufzte. Trotz ihrer Anstrengungen in den letzten vier Tagen hatte sich nicht viel verbessert. Die Wände brauchten unbedingt einen Anstrich – oder mehrere übereinander. Sie hatte die Vorhänge gewaschen, aber dabei waren sie leider eingelaufen. Jetzt ließen sie sich nicht mehr ordentlich schließen und reichten nicht einmal mehr bis zu Boden. Ein hässliches Bild mit Pferd und Wagen hing an der Wand.

Morgen, entschied Freya. Dann würde sie sich auch einen Teppich kaufen, um die senffarbene Auslegeware zu verstecken.

Die Küche war noch schlimmer als die in Cromayr Bay.

Aber es war nicht nur die Wohnung, die sie störte. Abgesehen von dem attraktiven Kerl in der Mittagspause, hatte sie immer noch mit niemandem richtig gesprochen.

Hoffentlich würde sich das bald ändern. Sobald sie anfing zu arbeiten, würde sie Kollegen und Freunde finden, oder nicht?

Das Leben ist schön? Im Moment konnte sie nicht glauben, dass der Blumenhändler damit recht hatte.

Es war ein Fehler gewesen hierherzukommen.

2. KAPITEL

„Fiona, kannst du bitte in den Kreißsaal gehen? Ach, ich meine Freya.“

Freya nickte. Sie gewöhnte sich langsam daran, dass Stella, die stellvertretende Stationsleiterin, sie immer mit dem falschen Namen ansprach.

„Klar.“

„Deine Partnerin ist Kelly.“

Freya arbeitete jetzt schon seit vierzehn Tagen hier. Heute sollte sie zum zweiten Mal in den Kreißsaal. Eine Partnerin zu haben, bedeutete, dass sie und Kelly gegenseitig ihre Messungen des Wehenschreibers überprüfen würden, um sicherzustellen, dass zwei Paar erfahrene Augen dasselbe sahen. Selbst nach zwei Wochen fühlte Freya sich nicht sicherer als am Anfang.

Die erste Woche hatte sie in der vorgeburtlichen Abteilung verbracht, die letzten Tage auf der Entbindungsstation, und nun war der Kreißsaal an der Reihe.

Es gab so viele Mitarbeiterinnen, und jeden Tag schienen neue dazuzukommen. Gestern hatte Freya sich gut mit einer der Hebammen verstanden, die aber leider nur als Vertretung da gewesen war, sodass Freya nicht wusste, ob sie sie jemals wiedersehen würde.

Alle waren immerzu beschäftigt, und auch wenn es freundlich und professionell zuging, war die Stimmung kein bisschen so wie zu Hause.

Auf dem Weg zum Kreißsaal zog Freya ihre Hose hoch. Sie saß viel zu locker. Als Uniform gab es hier dunkle Hosen und hellblaue Oberteile. Alles andere als figurschmeichelnd. Eigentlich war ihr das egal, aber sie hatte die falsche Größe erwischt. Allerdings hatte sie, seit sie hier war, auch etwas abgenommen, weil sie ständig auf den Beinen war und nicht einmal Zeit hatte, richtig einzukaufen.

Sie drückte auf den grünen Knopf, und die Tür zur Station öffnete sich. Eine Frau schob einen Infusionsständer neben sich her, gestützt von ihrem Mann. Freya lächelte sie an.

Sie sah auf die Tafel: Heute war Dr. Mina die diensthabende Ärztin. In ihrer kurzen Zeit hier hatte Freya schon einige Male mit der Geburtshelferin gearbeitet und mochte ihre Effizienz und ruhige Art.

Bei der Übergabe wurden auch kleinste Details berichtet, damit alle Patientinnen gut weiterbetreut werden würden – diejenigen, die schon da waren, aber auch solche, die für diese Schicht noch angekündigt waren.

„Freya, kannst du Angela in D5 übernehmen?“, fragte Pat, die leitende Hebamme. „Sie wartet auf eine PDA, aber es ist heute besonders schwierig, einen Anästhesisten zu finden.“

„Habt ihr die Vertretung angepiept?“, fragte Freya und bekam als Antwort ein trockenes Lachen.

„Wir haben alle angepiept, aber auf der M25 war einen Unfall mit fünf Autos, außerdem gab es ein Bauchaortenaneurysma und einen Zusammenbruch in der Pädiatrie. Vor einer halben Stunde brauchten wir dann das Notfallteam für einen Kaiserschnitt. Die Anästhesie ist also total überlastet, und solange eine Patientin schreit, lebt sie wenigstens noch.“

Freya atmete tief ein. So viele Patientinnen hatten sie in Cromayr Bay vielleicht in einer Woche im Hochsommer, aber im Primary war das ein ganz normaler Vormittag.

Oder auch nicht. Pat erklärte, dass auch in der Notaufnahme der Stress ausgebrochen war.

„Sag Kathy in D5 bitte, dass wir sie nicht vergessen haben. Ihr Mann, Ben, regt sich langsam auf.“

Freya überprüfte die Daten ihrer Patientin noch einmal und ging dann in den Kreißsaal. Das Licht war gedimmt. Kathy kniete vor dem Bett und hielt sich am Fußende fest. Angela drückte ihr ein warmes Kissen gegen den Rücken.

„Hallo, ich bin Freya, ich bin …“

„Sind Sie Anästhesistin?“, unterbrach Kathys Mann sie gleich.

„Nein, ich bin Hebamme.“

„Meine Frau wartet schon seit zwei Stunden auf ihre Betäubung.“

„Bitte, Ben“, sagte Kathy, verzog das Gesicht und beugte sich weiter nach vorn, als die nächste Wehe kam.

Angela half ihr hindurch, während Freya die Geräte überprüfte. Angela brachte sie auf den neuesten Stand, was Kathys Fortschritt anging, zeigte dann aber mit dem Kopf zur Tür. Freya folgte ihr nach draußen.

„Der Mann wird immer aufgeregter, und das macht Kathy zu schaffen“, sagte Angela.

„Das sehe ich.“

„Er ist ein ganz lieber Kerl, er hat nur furchtbare Angst. Kathy braucht aber noch eine ganze Weile. Ich habe schon in der Notaufnahme angerufen, aber da werden gerade zwei Patienten auf die Intensiv verlegt, deswegen sind sie total beschäftigt. Unser eigener Anästhesist ist unterwegs und vielleicht in einer halben Stunde hier.“

„Okay …“

„Du könntest die Zentrale anrufen und sie fragen …“

„Nicht nötig.“ Freya erkannte die Stimme, obwohl sie sie seit ihrem Orientierungstag nicht mehr gehört hatte. Sie drehte sich um.

„Oh, Richard!“ Angela seufzte erleichtert. „Wie schön, dich zu sehen.“

„Das werden deine Patientinnen bestimmt auch gleich sagen. Welcher Raum?“

„Zuerst D5“, sagte Angela. „Es ist schon alles vorbereitet.“

„Danke, Angela“, sagte er. „Freya.“

Sie lächelte ihn an. „Richard.“

Endlich kannte sie seinen Namen.

Und er sah immer noch so umwerfend aus.

Als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, hatte er seine Krankenhauskleidung getragen, aber dieses Mal stand er in einem dunklen Anzug und weißem Hemd mit einer silbergrauen Krawatte da. Seine Haare waren feucht und mussten noch dringender geschnitten werden als zuvor. Er war unrasiert.

Es brauchte nur wenige Sekunden, all diese Details aufzunehmen, und das letzte passte nicht dazu. Er sah so gepflegt aus, dass die Bartstoppel irritierten.

Statt gleich in den Kreißsaal zu eilen, nahm er sich die Unterlagen der Patientin und ging zum Tresen. Der frische Duft seines Rasierwassers blieb zurück. Freya sah, wie er das Jackett auszog, und folgte Angela dann zurück in den Kreißsaal.

„Gute Nachrichten“, sagte Angela. „Der Anästhesist ist da.“

„Wo denn?“, fragte Ben fordernd.

„Dr. Lewis liest sich noch schnell alle Infos durch.“ Angela lächelte Kathy an. „Freya wird sich jetzt um Sie kümmern. Sie machen das ganz toll, Kathy.“

Kathy nickte und wollte sich verabschieden, aber eine neue Wehe überkam sie. Freya stellte sich neben sie und rieb ihr den Rücken. Sie wollte schnell eine Beziehung zu der Frau und ihrem Ehemann herstellen.

„Möchten Sie ihr den Rücken reiben?“, fragte Freya, aber Ben stand gegen die Wand gelehnt und schüttelte knapp den Kopf. Hier war wirklich alles anders als zu Hause. Dort hatte Freya ihre Patientinnen und oft auch deren Partner meist schon vor der Geburt kennengelernt.

„Gut gemacht, Kathy“, sagte Freya, als die Wehe abklang. Sie schlug ihr vor, wegen der bevorstehenden PDA ihre Blase zu leeren, und führte sie zu der angeschlossenen Toilette.

„Er ist nervös“, sagte Kathy, um Bens Verhalten zu erklären.

„Kein Wunder“, sagte Freya. „Für die Frauen ist es harte Arbeit, aber für die Männer ist es die Hölle.“

Das brachte Kathy zum Lachen. Freya wartete draußen, und als Kathy fertig war und die Hände gewaschen hatte, kam sie heraus. „Haben Sie Kinder?“

„Nein“, antwortete Freya. „Ich habe Neffen und Nichten, und meine beste Freundin ist auch gerade schwanger. Aber irgendwann will ich auch unbedingt welche haben.“

Es war schön, Kathy kennenzulernen und sich Fremden gegenüber zu öffnen. Wenn sie zu Hause so etwas gesagt hätte, hätte der ganze Ort bald getuschelt, dass sie und Malcolm versuchten, ein Baby zu bekommen.

„Wir haben es lange versucht …“ Kathy seufzte. „Ich hatte schon befürchtet, dass es nie mehr passieren würde.“

„Die Angst hat sich wohl nicht als begründet erwiesen.“

„Danke, Freya“, sagte Kathy, während Freya wieder den Infusionsständer neben ihr herschob. „Bitte machen Sie sich nichts aus Ben. Man sagt doch immer: Hunde, die bellen …“

„Ich weiß schon. Ihnen wird es gleich besser gehen, und dann beruhigt er sich bestimmt auch.“

Als sie Kathy gerade auf das Bett half, wurde die Tür geöffnet, und der attraktive Mann, der Richard hieß, kam herein.

„Wo waren Sie zum Teufel?“, fuhr Ben ihn an.

„Ich bin Dr. Lewis“, sagte er. „Facharzt für Anästhesie.“ Er lächelte seine Patientin an. „Hallo, Mrs. Hudson.“

Aber Ben war noch nicht fertig. „Sie sollte schon vor Stunden eine PDA bekommen. Sie hat furchtbare Schmerzen!“

„Das weiß ich, Mr. Hudson, und das ist wirklich eine unangenehme Situation. Aber jetzt bin ich ja hier.“

„Was ist denn das für eine Entschuldigung?“

„Ben, bitte …“ Kathy wollte ihn beruhigen, aber Ben tobte weiter.

„Wo waren Sie?“

Richard krempelte seine Ärmel hoch. „Ich war im Bett und wurde von einem Anruf geweckt. Ob ich reinkommen könne. Meine Schicht beginnt erst um acht.“

Es war kurz nach sieben. Jetzt wusste Freya auch, warum er nicht rasiert war.

„Also …“ Er sah zu seiner Patientin hinüber und zog sich eine Plastikschürze über. „Soll ich Sie Mrs. Hudson oder Kathy nennen?“

„Kathy bitte.“

„Gut, Kathy. Gleich geht es Ihnen besser.“

Er arbeitete sehr sorgfältig und sah sich alles genau an, das schon für ihn vorbereitet war. Freya half Kathy unterdessen, sich an den Bettrand zu setzen.

„Alles klar“, sagte er wie zu sich selbst und sprach dann wieder mit Kathy. „Sie werden ein Piksen spüren und dann ein wenig Druck. Das ist für die lokale Betäubung. Sie müssen bitte so ruhig wie möglich bleiben, okay?“

„Was, wenn eine Wehe kommt?“

„Das kriegen wir schon hin. Daran bin ich gewöhnt.“

Während er ihr noch weitere Kleinigkeiten erklärte, kam tatsächlich eine neue Wehe. Richard zog sich Handschuhe an und wartete, bis der Schmerz weniger wurde. Dann begann er mit der Behandlung.

„Tut mir leid“, sagte Ben plötzlich.

„Schon gut“, antwortete Richard. „Es ist schlimm zu sehen, wenn jemand, den wir lieben, leidet. Aber Ihre Frau hat das ganz wunderbar gemacht. Der Rest wird jetzt einfacher.“

Wow: Er hatte Bens Entschuldigung angenommen und ihn gleichzeitig daran erinnert, wer hier die wichtigste Person war.

„Kommen Sie doch hier an Kathys Seite“, sagte Freya zu Ben. Er sah immer noch nervös aus. „Sie können ihr die Hand halten.“

Dieses Mal schüttelte er nicht den Kopf, sondern trat zu ihnen. Richard arbeitete ruhig und hatte die PDA bald an Ort und Stelle. Kathy legte sich zurück.

„Sie müssen jetzt im Bett bleiben“, sagte Richard, als er Schürze und Handschuhe auszog. „Danke, Freya. Kann ich dir meine Unordnung hier überlassen? Ich muss jetzt in die D3.“

„Klar.“

Freya überprüfte Kathys Werte und die des Babys. Als sie mit dem Aufräumen fertig war, ging es Kathy tatsächlich schon besser.

„Sie sollten sich jetzt ausruhen“, schlug Freya vor. „Ich schaue immer wieder vorbei. Wenn etwas ist, klingeln Sie sofort, ja?“

„Freya?“ Sie hörte ihren Namen, sobald sie auf den Flur trat. „Kannst du das Baby in D7 entgegennehmen?“

Freya nickte und ging in den entsprechenden Saal. Ein Baby entgegenzunehmen war wirklich wunderbar. All die Freude und kaum noch Schmerzen. Die Atmosphäre war ganz friedlich. Kelly, eine der anderen Hebammen, war da sowie der zukünftige Vater, der die Arme um seine gebärende Frau gelegt hatte. Kelly wirkte so entspannt, dass die Mutter nicht einmal zusammenzuckte, als Kelly Freya berichtete, dass sie Dr. Mina und den Anästhesisten angepiept hatte.

„Das Baby ist zart für sein Alter und der Kopf kleiner als erwartet“, sagte sie. Die Instrumente und Geräte lagen bereit. Trotz dieser Sorge schien alles unter Kontrolle zu sein.

„Versuchen Sie, nicht zu pressen, Sita“, sagte Kelly. „Nur hecheln.“

„Okay.“ Sita kämpfte ganz offensichtlich gegen den Drang zu pressen an.

„Gut gemacht“, lobte Kelly. Sie war so auf die Geburt konzentriert, dass sie nicht aufblickte, als sich die Tür öffnete.

„Hallo zusammen“, sagte Richard leise, und Kelly erklärte ihm leise, warum sie ihn gerufen hatte. „Siebenunddreißigste Woche und kleiner als normal.“

Stella kam ebenfalls herein, gefolgt von Dr. Mina und einem Mann. Sie betraten gerade den Raum, als der Kopf zu sehen war. Es wurde voll.

„Gut gemacht, Sita“, sagte Dr. Mina. „Atmen Sie weiter, und machen Sie, was Kelly Ihnen sagt. Dr. Masters hier ist Kinderarzt und wird sich Ihr Baby anschauen.“

Der Kopf war wirklich winzig, und Freya hielt den Atem an, als der Babykörper herausglitt. Schon als sie den Jungen entgegennahm, begann er zu weinen. Er blinzelte mit großen Augen ins Licht, und sein Gesicht war ganz verschrumpelt. Er war unglaublich süß. Freya hielt das kleine Wesen vorsichtig in den Händen. Während sie ihn säuberte, untersuchte Guy Masters ihn bereits.

„Gut, dass er nicht länger dringeblieben ist“, sagte er.

Der Junge hatte in der Gebärmutter offensichtlich nicht genug Nährstoffe bekommen, aber er war wütend und tapfer und einfach perfekt.

„Ich glaube nicht, dass wir dich brauchen, Richard“, sagte Guy über das laute Brüllen des Winzlings hinweg.

„Bei den Lungen bestimmt nicht.“ Genau in diesem Moment ging Richards Pager. Er verließ den Kreißsaal, ohne dass ihm jemand weitere Beachtung schenkte. Außer Freya.

„Ich glaube, wir können ihm jetzt seine Mutter vorstellen“, sagte Guy. Freya zog dem Kleinen eine Mütze über, wickelte ihn in eine Decke und trug ihn zu den wartenden Eltern hinüber.

Sie lächelte. Eine neue kleine Familie. Freya liebte alles an Geburten, aber ein Baby entgegenzunehmen, war wirklich etwas ganz Besonderes. Meist versuchte man, es gleich der Mutter zu überreichen, aber wenn Komplikationen befürchtet wurden, zum Beispiel, weil das Kind zu klein war, musste es erst untersucht werden. Bei dem Kleinen hier war jedoch alles in Ordnung. Ein perfektes neues Leben.

Der Tag war nicht lang genug für die ganze Arbeit. Nach dem hektischen Vormittag konnte Freya nur kurz einen Kaffee trinken, bevor es weiterging. Am Tresen besprachen sich Dr. Mina und Richard, und Kelly unterhielt sich mit Stella über einen Film, den sie sich am Wochenende ansehen wollten.

„Der soll richtig gut sein“, sagte Freya in der Hoffnung, dass sie sie vielleicht bitten würden mitzukommen. Aber Kelly nickte nur.

Das Mittagessen aß Freya im Mitarbeiterraum, und gerade als sie fertig war, bekam sie die Nachricht, dass es bei Kathy so weit war. Als sie in den Kreißsaal kam, war Ben leichenblass vor Angst, und Freya lächelte ihm zu.

„Ich dachte, Sie sind schon zu Hause“, sagte er.

„Dann würde ich das hier ja verpassen.“

Ben erwies sich als große Hilfe, wenn es darum ging, Kathy zum Pressen zu animieren. Die Betäubung war hervorragend, denn sie fühlte, was geschah und auch den Druck, hatte aber keine Schmerzen.

„Noch einmal ganz kräftig“, sagte Freya. „Noch einmal bis ganz nach unten.“

Dieses Mal war Kelly da, um das Baby entgegenzunehmen. Es war ein großer Junge – ein richtiger Wonneproppen. Kathy und Ben weinten beide, als er auf Kathys Bauch lag und sich die Welt um sich herum ansah.

„Wollen Sie die Nabelschnur durchschneiden, Dad?“, fragte Kelly. Ben hatte immer noch Tränen in den Augen, als er diesen ganz besonderen Moment erlebte.

Baby Hudson hatte noch keinen Namen, aber als Freyas Schicht vorbei war, hatte er bereits getrunken, und Kathy hatte eine wohl verdiente Tasse Tee zu sich genommen. Freya war kaputt. Die Freude über die Geburt von Baby Hudson trug sie durch die U-Bahn-Fahrt, aber schon auf dem Fußweg nach Hause sank Freyas Laune. Sie war von so vielen Menschen umgeben und hatte sich noch nie so allein gefühlt.

Im Krankenhaus gab es einen Freizeitclub, aber Freya würde da bestimmt nicht allein hingehen. Es war viel schwieriger als gedacht, Freunde zu finden.

Als sie ihre Nudeln gegessen hatte, rief sie Alison an. Ihre Freundin.

„Wie läuft es?“, fragte Alison.

„Viel zu tun“, sagte Freya. „Bei der Arbeit zumindest. Was die Freizeit angeht … tja.“

„Aber du bist doch in London“, sagte Alison.

„Ich weiß.“ Freya seufzte. Alisons Vorwurf machte es nur noch schlimmer. „Ich versuche es ja. Ich habe einigen der Frauen bei der Arbeit gesagt, dass es da einen Film gibt, den ich gern sehen würde, aber sie haben gar nicht reagiert.“

„Versuch es einfach weiter. Und sag zu allem Ja, zu dem du eingeladen wirst.“

„Ist bis jetzt noch nicht passiert.“

„Das kommt schon noch.“

„Und du?“, fragte Freya. Sie spürte einen Kloß im Hals und schluckte, um ihn loszuwerden und ganz locker zu klingen. „Was macht das Baby?“

„Alles in Ordnung. Ich bin jetzt in der fünfzehnten Woche und habe schon einen Bauch. Auch wenn Callum sagt, dass es dafür noch zu früh ist.“

Freya zögerte. Bei manchen Frauen war die zweite Schwangerschaft schneller zu sehen als die erste, aber das konnte sie Alison nicht so sagen. Freya hatte jeden Tag mit schwangeren Frauen zu tun und immer wieder auch mit dem Tod. Sie war froh, dass sie selbst so gut damit zurechtkam. Nur, wenn es um ihre Freundin ging, hatte sie das Gefühl, völlig hilflos zu sein. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.

Freya hatte Angst, dass sie sich nicht zusammenreißen konnte, und das konnte Alison nicht gebrauchen. Natürlich hatten sie in den Tagen nach Andrews Geburt und nach seinem Tod zusammen geweint, aber im Moment war ein Tränenausbruch wirklich nicht angebracht.

„Wann hast du den Ultraschall?“, fragte Freya.

„In zwei Wochen. So richtig glauben kann ich es sowieso erst, wenn ich das kleine Herz schlagen höre.“

Nun brach Alisons Stimme, und Freya schloss die Augen.

„Es wird bestimmt alles gut“, sagte sie lahm.

„Das weißt du nicht, Freya“, gab Alison zurück.

„Stimmt. Aber …“

„Tut mir leid“, sagte Alison.

„Muss es nicht.“

Dann schaltete Freya ihre Hebammenstimme ein und sagte all die Dinge, die sie auch einer Patientin sagen würde. Aber Alison war ihre beste Freundin. Es war unangenehm und schwierig, und es hatte sich zwischen ihnen etwas geändert.

Das ließ sich nicht mehr ignorieren.

3. KAPITEL

Richard Lewis war beeindruckend.

Selbst während er schlief, schaffte er es, Freyas Herz zum Hüpfen zu bringen. Er lag im Mitarbeiterraum auf mehreren Stühlen, was bestimmt nicht besonders bequem war. Pat und Kelly waren in ein Gespräch vertieft und kümmerten sich überhaupt nicht um den schlafenden Mann.

Freya fühlte sich … gestört. Während sie ihre Suppe aufwärmte, versuchte sie, nicht zu ihm zu sehen, aber ihr Blick wanderte wie von selbst immer wieder dorthin. Er war schon wieder nicht rasiert, also hatte er bestimmt die ganze Nacht durchgearbeitet. Jetzt war später Vormittag.

Freya war nun schon einen Monat am Primary, und Richard war keineswegs weniger interessant oder attraktiv geworden. Freya sah ihn regelmäßig. Er hatte einen neuen Assistenzarzt, Dominic, der die PDAs noch nicht allein legen konnte, sodass Richard ihn im Kreißsaal oft anleitete. Und er wurde immer gerufen, wenn es Schwierigkeiten oder einen Kaiserschnitt gab.

Sie hatten jedoch kaum Zeit, sich zu unterhalten.

Freya fand ihre Arbeit auf der Entbindungsstation anstrengend genug, aber Richards Belastung war außerirdisch. Er wurde überall im Krankenhaus zu Notfällen gerufen, und für die Operationssäle und die Intensivstation stand er ebenfalls bereit.

In einem so großen Krankenhaus gab es natürlich jede Menge Anästhesisten, aber so sehr Freya sich selbst zu warnen versuchte: Sie war nur an einem interessiert.

Allerdings hatte ihr Instinkt sie nicht verlassen: Er war wirklich ein Herzensbrecher. Das fand sie über die anderen Hebammen heraus. Nicht, dass sie mit ihr geredet hätten, nein, Freya hatte immer noch Probleme, Anschluss zu finden, aber sie hatte einige Unterhaltungen mitgehört, und angeblich hatte er gerade erst eine kurze Affäre mit einer Krankenschwester in der Notaufnahme beendet. Außerdem hoffte Vonda, eine der Hebammen, immer noch, dass sie und Richard wieder zusammenkommen würden.

Sie sah ihn an. Er musste sich rasieren und zum Friseur. Andererseits gefiel es Freya so. Mehr als das. Er war ein Bär. Kein dicker Bär, sondern eher einer, der gerade aus dem Winterschlaf aufgewacht war, abgezehrt, ruhelos, hungrig.

Sie musste über sich selbst grinsen.

Pat und Kelly sprachen schon wieder über den Film, den Freya immer noch nicht gesehen hatte. „Vielleicht gehe ich dieses Wochenende“, sagte Pat.

„Unbedingt“, sagte Kelly. „Er ist wirklich großartig.“

Freya nahm all ihren Mut zusammen: „Ich will ihn auch noch sehen.“

„Absolut.“ Kelly nickte. Dann stand sie auf. „Komm, Pat, wir müssen weiter.“

Als die beiden Frauen den Raum verlassen hatten, seufzte Freya. Wieder und wieder hatte sie erwähnt, dass sie ins Kino wollte, aber niemand biss an. Wie groß musste der Zaunpfahl, mit dem sie winkte, denn noch werden?

Sie starrte auf den Fernseher und führte einen Löffel ihrer widerlichen Fertigsuppe zum Mund. Da erklang eine tiefe Stimme – eine, die sie mittlerweile wirklich gern mochte.

„Ich geh mit dir in den doofen Film.“

Sie drehte den Kopf.

„Ich hab den Hinweis verstanden.“

„Wie bitte?“

„Du erwähnst es immer wieder, wenn ich in der Nähe bin. Frag doch einfach.“

„Ich will doch nicht mit dir hin.“ Freya merkte, wie sie rot wurde. „Ich wollte, dass die Mädels mich fragen.“

„Du bist zu subtil“, sagte er. Im Liegen lächelte er sie an. „Arme Freya, ganz ohne Freundinnen.“

„Hör auf.“ Aber sie musste selbst lächeln.

„Du musst dich selber einladen. Oder einfach mitgehen.“

„Wie denn das? Einfach vorm Kino auftauchen, wie ein Stalker?“

Er gähnte. „Vielleicht besser nicht.“

„Ich habe immer Freundinnen gehabt“, sagte Freya. „Aber mir ist aufgefallen, dass wir eben alle zusammen aufgewachsen sind. Ich musste nie neue Freunde finden.“

„Unsinn“, schnaufte er. „Du meinst, dass im Dorf alle miteinander zurechtkommen müssen?“

„Es ist kein Dorf.“

„Dann eben eine Kleinstadt. Aber da gibt es doch bestimmt auch Leute, die du nicht leiden kannst. Man ist doch nicht automatisch mit allen befreundet, mit denen man aufwächst. Gott, was habe ich Derek von nebenan gehasst, und wir mussten immer zusammen spielen.“

„Warum?“

„Das erzähle ich dir ein anderes Mal.“

Er reckte sich und setzte sich auf. Dann schüttelte er sich – wahrhaftig wie ein Bär. „Ich verhungere.“

„Suppe?“

„Nein, danke.“ Richard verzog das Gesicht. „Ich gehe runter in die Kantine. Wann hast du heute Feierabend?“

War es etwa kein Witz gewesen, dass er mit ihr ins Kino gehen würde? „Nicht vor neun.“

„Gut. Ich springe bis acht für Simon ein, also kann ich vorher sowieso nicht weg. Dann treffen wir uns am Eingang zur Notaufnahme.“

„Ich weiß aber gar nicht, ob der Film läuft“, sagte Freya. „Oder wann.“

„Egal, der läuft doch überall. Wir sind hier nicht in Cromayr Bay, wo sie noch reinkommen und die Filmrollen wechseln müssen.“

Er wollte sie ärgern, aber sie musste lachen. „So schlimm ist es da auch nicht.“

„Gib mir deine Nummer, dann schreibe ich dir, falls ich es nicht schaffe. Und wenn ich um viertel nach noch nicht da bin, fahr ruhig nach Hause. Das bedeutet nur, dass ich irgendwo aufgehalten wurde. Sitzen lassen würde ich dich nicht.“

„Ich freu mich schon“, sagte Freya und leierte ihre Nummer herunter. „Und keine Sorge, ich bin nicht traurig, wenn …“ In diesem Moment betrat Stella den Raum.

„Freya, du hast noch Pause, aber hier bricht gerade das Chaos aus.“

„Bin schon unterwegs.“ Freya aß die letzten Löffel Suppe und sah erstaunt auf, als Richard noch etwas sagte.

„Dann so um neun?“

Freya fühlte, wie ihr Gesicht glühte, als sie zurück zur Station ging. Nun hatte Stella ganz bestimmt mitbekommen, dass sie verabredet waren. Aber das bedeutete gar nichts, sagte sie sich. Sie waren Kollegen. Bei Kelly oder Pat oder jemand anders hätte sie sich auch nichts dabei gedacht.

„Siehst du Rose dort?“, fragte Stella und zeigte zu Rita hinüber, der Reinigungskraft, die Freya am Orientierungstag kennengelernt hatte.

„Sie heißt Rita“, sagte Freya.

„Okay, Rita. Es sieht aus, als ob sie den Müll ausleert, oder?“

„Ja.“

„Tut sie in Wahrheit aber nicht. Sie sammelt all die weggeworfenen Herzen auf.“

Freya presste die Lippen zusammen, als sie verstand, was Stella sagen wollte. Ihr gelang ein Lächeln.

„Oh, schau, jetzt sucht sie unter dem Bett. Da scheint sie noch eins gefunden zu haben. Weißt du, er eilt von einem Notfall zum nächsten. Mit Frauen macht er genau das Gleiche.“

„Stella“, sagte Freya und blieb stehen. Sie lächelte ihre Vorgesetzte an – weil sie Richards Ruf schon kannte und weil Stella ein wirklich schönes Bild gefunden hatte. „Wir gehen ins Kino. Sonst nichts.“

„Ich hab dich gewarnt …“

Für das Primary Hospital war es ein ruhiger Abend. Zu Hause wäre es eine halbe Katastrophe gewesen. Aber um neun stand Freya im Umkleideraum. Sie nahm das Handy aus dem Spind. Während der Arbeit wollte sie es nicht bei sich haben. Erleichtert atmete sie aus, als sie sah, dass Richard ihr nicht geschrieben hatte. Dann schluckte sie. Sie sollte nicht so erleichtert sein.

Freya war nervös.

Sie wünschte sich so sehr neue Freunde.

Nur dass sich das hier nicht wie die Freundschaften anfühlte, die Freya kannte.

Sie zog ihre furchtbare Uniform aus und ein graues Leinenkleid und Ballerinas an, die sie auf dem Arbeitsweg getragen hatte. Ihre Haare kämmte sie einmal mit den Fingern durch und ließ sie offen.

Schließlich war es Freya, die zu spät kam. Als sie den Eingang erreichte, sah er bereits auf sein Telefon. Er hatte auch seine Arbeitsklamotten ausgezogen und trug einen Anzug ohne Krawatte. Freya fühlte sich leicht underdressed.

Richard hingegen war von ihr beeindruckt. Sie trug dasselbe Kleid, das sie bei ihrem ersten Kennenlernen angehabt hatte.

Dieser Gedanke wunderte ihn. Normalerweise konnte er sich nicht einmal merken, was eine Frau am Tag zuvor getragen hatte, geschweige denn vor Wochen. Er hatte sogar einmal mit einem Freund gescherzt, dass er ganz schlecht darin wäre, eine vermisste Person zu beschreiben, weil er auch da nichts zur Kleidung hätte sagen können.

Eigentlich dachte er immer nur so etwas wie: Oh, die sieht nett aus. Aber nun hätte er der Polizei ganz genau sagen können, dass das Kleid dunkelgrau war und aus Leinen und dass es etwas lockerer saß als letztes Mal.

Also, Officer, sie trug schwarze, flache Schuhe und keine Strumpfhosen, ihre Beine sind blass und schlank. Ihr Haar trug sie offen. Es liegt ihr nicht wirklich auf den Schultern, weil es so wild und lockig ist. Sie hat grüne Augen, Officer, und weiche, volle Lippen.

Noch etwas? würde der Polizist fragen.

Sie war ein bisschen einsam, weil sie gerade erst hergezogen ist, würde er sagen. Damals habe ich nicht viel darüber nachgedacht.

Eine Lüge. Er hatte den ganzen Nachmittag immer wieder an sie gedacht.

„Der Film fängt um zehn an“, sagte er auf dem Weg nach draußen. „Wenn wir die Werbung sausen lassen, können wir vorher noch was essen gehen. Ich habe keine Lust mehr auf diese ständigen Zwischenmahlzeiten.“

„Klingt gut.“

„Hast du morgen früh Schicht?“

Freya nickte.

„Ich auch.“

Freya bekam noch eine Warnung, als in einem Auto Stella an ihnen vorbeifuhr. „Viel Spaß im Kino, Freya!“

„Danke!“

„Hat sie über mich gelästert?“, fragte Richard.

„Nein!“

Es war so viel los auf der Straße, wie es in Cromayr Bay nur an Samstagen der Fall war. Zum Glück war es schon dunkel, sodass er nicht sah, wie die Lüge sie hatte erröten lassen.

„Doch, bestimmt“, sagte Richard. „Aber es ist alles wahr.“

„Dann ist es ja gut, dass wir uns nur einen Film ansehen.“

„Allerdings.“

„Magst du Italienisch?“, fragte er. Als sie nickte, führte er sie in ein sehr gemütliches Restaurant in einer Nebenstraße.

Freya sog die köstlichen Gerüche ein und merkte erst jetzt, wie hungrig sie war. Sie bekamen einen Tisch mit Blick nach draußen.

„Möchten Sie zuerst einen Drink?“, fragte der Kellner.

„Nur Wasser“, sagte Freya.

„Ich auch.“

Alles auf der Speisekarte klang gut. Freya entschied sich für eine sahnige Carbonara, Richard für Ossobuco.

„Und?“, fragte er, nachdem sie bestellt hatten. „Wie gefällt es dir inzwischen im Primary?“

„Gut“, sagte Freya. Er sah sie skeptisch an. „Na ja, es ist natürlich ein bisschen überwältigend. Mir war schon klar, dass es viel zu tun geben würde, aber es ist richtig heftig.“

„Wie war es bei deiner letzten Arbeitsstelle?“

„Ich war in einem Geburtszentrum, das an das Krankenhaus angeschlossen ist. Die Mütter kamen schon zur Vorbereitung zu uns und später dann auch zur Nachuntersuchung.“

„Wie viele Geburten gibt es da?“

„Etwa hundert im Jahr. Hier gibt es die vielleicht innerhalb einer Woche. Aber genau das wollte ich ja auch erleben.“

„Das hättest du aber auch näher an zu Hause haben können“, sagte Richard und zupfte sich ein Stück eines Brötchens ab. „Das Women’s Hospital in Edinburgh hat doch bestimmt so viele Patientinnen wie wir.“

„Ja“, gab Freya zu. „Dort war ich eine Weile während meiner Ausbildung. Aber ich wollte noch einmal etwas ganz anderes.“

„Sind deine Eltern noch in deinem Heimatort?“

„Und meine Brüder.“

„Kommt ihr gut zurecht?“ Er fragte, weil es ihn wirklich interessierte. Vielleicht gab es noch einen anderen Grund, weshalb sie gegangen war, nicht nur einen beruflichen.

„Und wie. Ich wohne alleine, aber ich sehe sie regelmäßig. Der ältere von beiden – der aber immer noch jünger ist als ich – hat zwei Kinder. Bei einem davon war ich bei der Geburt dabei.“

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, eine Schwägerin zu haben. Und mich auch noch gut mit ihr zu verstehen.“

„Hast du keine Geschwister?“, fragte Freya.

„Nein, ich bin Einzelkind.“

„Und kommst du aus London?“

„Aus Kent.“

„Fährst du noch oft hin?“

„Ab und zu.“ Richard zögerte. Er sprach nicht oft über seine Familie, aber Freya drängte ihn nicht nach Details, und es war nett, mit ihr zu plaudern.

„Manchmal treffe ich mich mit meinem Vater. Und meine Mutter lebt hier in London. Sie hat sich gerade verlobt.“ Er verdrehte die Augen. „Schon wieder.“

Nun kamen ihre Gerichte, dann der Pfeffer und der Parmesan, und Richard glaubte, dass sie jetzt bestimmt über das Essen oder den Film sprechen oder vielleicht – was Richard immer tat – mit dem Flirten anfangen würden. Trotzdem wollte er noch etwas über sie wissen.

„Fehlt dir deine alte Arbeit?“

„Ja und nein“, sagte Freya. „Ich habe oft Babys auf die Welt geholfen, mit deren Müttern oder Vätern ich in der Schule war. Und ich kenne wirklich viele Leute in der Stadt. Es ist zwar nett, aber …“

Er nickte. „Mein Vater ist Allgemeinarzt. Ich kenne die Nachteile nur zu gut. Er hatte nie frei – selbst wenn er mal zum Essen ging, so wie wir hier, war er immer im Dienst. Ich erinnere mich daran, dass wir ein einziges Mal im Urlaub waren, und selbst da wurde er angerufen.“

„Das finde ich nicht so schlimm“, gab Freya zu.

„Nicht?“, fragte Richard verblüfft.

„Ich finde es schlimmer“, erklärte sie, „dass alle immer alles wissen. Und wenn mit einer Schwangerschaft etwas schiefgeht, ist das in so einer Umgebung besonders schlimm.“

„Das gehört zum Job“, sagte Richard.

„Ja, aber es ist schwierig, wenn du die Patientin kennst.“

„Vielleicht …“

Sein Zögern war zu offensichtlich. „Da gibt es kein Vielleicht“, sagte sie.

Er wollte etwas antworten, ließ es aber bleiben. Der Tag war anstrengend genug gewesen. Sie wollten sich doch entspannen. Aber noch immer wollte er etwas wissen. „Gab es eine Trennung?“, fragte er also.

„Wie bitte?“

„Bist du deshalb gegangen? Gibt es einen Ex-Mann zu Hause?“

„Nein.“ Sie lachte. „Ich war nie verheiratet. Anfang des Jahres habe ich mich von jemandem getrennt, aber das hatte nichts mit meiner Entscheidung zu tun.“

„Sicher?“ Richard runzelte die Stirn. Sie unterhielten sich zwar ganz locker, aber Richard merkte, dass sie genau darauf achtete, was sie sagte. Jetzt wollte er die Wahrheit wissen.

„Na gut, vielleicht hatte er einen gewissen Einfluss“, gab sie zu. „Es gibt nichts Schlimmeres, als in ein Restaurant oder ein Pub zu gehen und zu wissen, dass dein Ex wahrscheinlich dort sitzen wird. Es war unangenehm geworden, würde ich sagen.“

„Wer hat denn Schluss gemacht?“

„Ich. Wir waren schon seit Ewigkeiten zusammen, und ich …“ Sie wollte nicht über Alisons Baby und die unglückliche Schwangerschaft reden, aber im Grunde war das der Anfang vom Ende für sie und Malcolm gewesen. „Ich hatte ein paar Schwierigkeiten, und er hat da nicht geholfen.“ Sie lächelte ihn knapp an. „Und bevor mich jedes Haar an ihm gestört hat, habe ich es eben beendet. Er war wohl nicht die Liebe meines Lebens.“

„So was gibt es ja auch nicht“, sagte Richard. „Die Arbeit ist die einzige Liebe meines Lebens, und der werde ich auch treu bleiben.“

„Wie machst du das nur?“, fragte Freya. „Ich fühle mich nach einem Notfall immer fix und fertig, und du machst die ganze Zeit nichts anderes.“

„Das ist mein Sauerstoff“, sagte Richard. „Ich mache nichts lieber als das. Auch wenn ich nicht so enden will wie mein Vater. Es muss ein Gleichgewicht geben. Wenn ich frei habe, fahre ich oft weg, um Abstand zum Krankenhaus zu schaffen.“ Er lächelte angestrengt. „Ich muss noch einige Entscheidungen treffen.“

„Welche denn?“

Er schüttelte kurz den Kopf. Darüber wollte er nicht reden. Als sie tatsächlich nicht nachhakte, hätte Richard sich am liebsten zu ihr hinübergebeugt und sie geküsst. Was er natürlich nicht tat. Aber der Gedanke war da, als sich ihre Blicke fanden.

Freya spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss. Dennoch sah sie nicht weg. Gott, er war gut, dachte sie. Er erregte sie, ohne dass er sie nur berührt hatte. Und obwohl sie heute Abend wirklich nur einen Film sehen wollte, dachte sie an Stellas Warnung.

Es war Lust auf den ersten Blick gewesen, das wusste sie.

Aber sie würde ihr nicht nachgeben.

So war Freya nicht. Sie hatte einen Freund gehabt, kurz bevor sie die Schule abgeschlossen hatte und bis zum Ende der Krankenschwesterausbildung. Dann zwei Jahre niemanden und danach Malcolm. Eine Affäre mit einem sexy Anästhesisten war nichts für sie. Denn natürlich würde es nicht mehr als eine Affäre sein, sie kannte ja die Geschichten.

Also nahm sie ihr Wasserglas und überlegte, was sie sagen könnte, was ihre Gedanken von Sex ablenken würden.

„Deine Mutter hat sich also verlobt?“, fragte sie. „Schon wieder?“

Was für ein Themenwechsel!

Sie sprachen über seine Familie, obwohl sie beide an Sex gedacht hatten. Richard wollte Freyas Haar streicheln und tief in diesen Augen versinken, die ihm so unterschiedliche Botschaften sendeten. Er mochte auch ihre stillen Momente, die von einem warmen Lächeln unterbrochen wurden.

Aber Freya hatte selbst zugegeben, dass sie einsam war, das würde er nicht ausnutzen. Das hatte sie nicht verdient.

Also besser auf ihre Frage antworten. Was hatte sie noch gesagt? Ach ja, die vielen Männer im Leben seiner Mutter.

„Meine Mutter wird zum vierten Mal heiraten. Mein Vater ist nicht ganz so schlimm, er hat erst zwei Hochzeiten und zwei Scheidungen hinter sich. Ich bezweifle, dass er es noch einmal versuchen wird.“ Er lächelte schief. „Zum Glück. Es ist echt anstrengend, sich jedes Mal eine neue Rede einfallen zu lassen.“

„Zum vierten Mal?“

Er nickte. „Sie hat uns verlassen, als ich fünfzehn war. Jetzt bin ich dreiunddreißig, also ist es nicht ganz so schlimm, wie es klingt.“ Freya riss die Augen auf. „Gut, vielleicht ist es wirklich so schlimm. Meine Mutter ist ein Drama für sich, und sie war wirklich nicht gemacht für das Leben einer Ehefrau auf dem Land. Sie hat es gehasst. Und seit sie sich von meinem Vater getrennt hat …“

Er verstummte – zum ersten Mal an diesem Abend.

„Freya?“, fragte er.

„Ja?“

„Wir haben den Film verpasst.“

„Oh!“

Sie sah sich im Restaurant um. Es waren kaum noch Tische besetzt. Auf der Uhr ihres Telefons war es kurz vor elf.

„Möchtest du Dessert oder einen Kaffee?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf.

Er begleitete sie zur U-Bahn-Station, und Freya nahm an, dass sich ihre Wege dort trennen würden.

„Ich bring dich nach Hause“, sagte er, als sie ihm die Adresse nannte.

„Es sind nur vier Haltestellen“, protestierte Freya. Aber nur kurz. Sie hatte sich an die U-Bahn immer noch nicht gewöhnt, und abends war sie besonders nervös. Es war schön, begleitet zu werden. Vor allem von ihm.

„Hier sind wir“, sagte Freya, als sie ihre Wohnung erreichten.

„Tut mir leid, dass du deinen Film immer noch nicht gesehen hast.“

„Schon gut“, sagte sie und überlegte, ob sie ihn hineinbitten sollte. Aber das wäre mehr als dumm. Ein Kuss lag in der Luft, das konnte sie ganz genau spüren, und als sie in sein Gesicht blickte, fragte sie sich, wie dieses unrasierte Kinn sich anfühlen würde.

„Ein anderes Mal“, sagte er und widerstand dem Drang, sie gegen die Wand zu drücken und zu küssen. Sie suchte schließlich nach Freunden. Nicht nach mehr.

„Danke für den netten Abend. Es war …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es war schön, einmal nicht über Babys zu reden.“

Sie nahm ihren Schlüssel heraus. Richard sah zu, wie sie ihn ins Schloss steckte. Deswegen war Freya so anders: Sie stand nicht da und wartete auf seinen Kuss. Sie wollte auch keine Komplikationen. Und doch war da dieses Verlangen.

Die warme Sommernacht war eigentlich dafür gemacht, im Bett zu enden, aber Richard benahm sich.

„Gute Nacht, Freya.“

„Nacht, Richard.“

Sie ging hinein, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Atmete tief ein. Wenn es noch ein Schloss gegeben hätte, hätte sie auch das zugeschlossen. Hier musste die Sicherheitskette reichen.

Um sich selbst einzusperren.

Wen wollte sie hier veralbern? Da hatte kein Kuss in der Luft gelegen, sondern Sex.

Aber es war richtig gewesen, ihn stehen zu lassen. Es war vernünftig. Morgen früh würde sie aufwachen und froh sein, dass sie all die Peinlichkeiten vermieden hatte, die garantiert auf so eine Nacht gefolgt wären.

4. KAPITEL

„Wie war es im Kino?“, fragte Stella auf dem Weg zur Station.

„Toll“, antwortete Freya. „Der Film lohnt sich.“

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

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Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert?
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