Julia Best of Band 293

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DREI ROMANE von INDIA GREY

GLAUB AN DIE LIEBE, KIT!

Ein Hotel wie aus 1001 Nacht: Kits Besuch in Marrakesch ist ein Fest für die Sinne – vor allem wegen seiner betörenden Verlobten. Sophies Küsse lassen ihn den Grund seiner Reise fast vergessen: Nach Jahren soll er seine Mutter wiedersehen. Kit erlebt ein böses Erwachen. Soll er sich Sophie anvertrauen?

VERFÜHRUNG IN FLORENZ

Blitzlicht und brennende Blicke: Auf dem Laufsteg spürt Eve, dass der Fotograf Raphael Di Lazaro sie nicht aus den Augen lässt. Eine berauschende Sommerromanze beginnt! Doch Eve ist in Florenz, um das tragische Ende ihrer Schwester zu ergründen. Und nur Raphael weiß, was wirklich geschah …

SAG NIEMALS NIE!

Immobilientycoon Angelo Emiliani überläuft es heiß, wenn er Anna Delafield begegnet. Doch sie weigert sich, ihm ihren prächtigen Familiensitz in Südfrankreich zu verkaufen. Er lädt die widerspenstige Lady auf seine Jacht ein, um sie dort mit seinem italienischen Charme umzustimmen …


  • Erscheinungstag 05.07.2025
  • Bandnummer 293
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533669
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

India Grey

JULIA BEST OF BAND 293

India Grey

PROLOG

Der Artikel im Immobilienteil der Sonntagszeitung war nur kurz. Sophie saß auf dem Bett, das in den vergangenen drei Wochen zu ihrer Welt geworden war, und aß dick mit Erdbeermarmelade bestrichene Brioches. Als ihr Blick auf die Überschrift fiel, stieß sie einen spitzen Schrei aus.

„Hör dir das an!“

Unerwartete Wendung in der Erbschaftssache Fitzroy

Nach dem plötzlichen Tod von Ralph Fitzroy, dem achten Earl von Hawksworth und Eigentümer von Alnburgh, kam erst jetzt ans Licht, dass der erwartete Erbe nicht erbberechtigt ist. Eine anonyme Quelle, die der Familie nahestehen soll, bestätigte, dass sowohl Alnburgh Castle als auch die Ländereien in Northumberland sowie ein größeres Grundstück in Chelsea in den Besitz von Jasper Fitzroy übergehen, den jüngeren Sohn des Earls aus zweiter Ehe, und nicht an seinen älteren Bruder Major Kit Fitzroy.

Sophie steckte den letzten Rest Brioche in den Mund und las kauend weiter.

Major Fitzroy ist Soldat im aktiven Dienst und wurde erst vor Kurzem mit der George-Medaille für Tapferkeit ausgezeichnet. Den Einwohnern des Ortes zufolge wurde die Instandhaltung des Schlosses in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt, sodass auf den nächsten Besitzer eine große finanzielle Herausforderung zukommt. Gerüchte zufolge verfügt Kit Fitzroy zwar über ein nicht unerhebliches Vermögen, er will diese Rettungsmission jedoch vielleicht nicht übernehmen …

Sophie warf die Zeitung beiseite und leckte Marmeladenreste von ihren Fingern. Dann warf sie Kit einen überaus koketten Blick zu.

„Ein nicht unerhebliches Vermögen?“ Lächelnd schob sie die Daunendecke beiseite und küsste seine Schulter. „Klingt gut.“

„Das dachte ich mir“, seufzte er, drehte sich auf die Seite und blickte direkt in ihre funkelnden Augen. „Du bist nichts weiter als ein oberflächliches, junges Ding, das nur auf das Geld aus ist …“

„Stimmt.“ Sophie nickte ernst, musste dann jedoch die Lippen zusammenpressen, um nicht laut loszulachen. „Um ehrlich zu sein, bin ich wirklich nur an deinem Geld und deinem großartigen Haus in Chelsea interessiert.“ Sie machte eine ausladende Geste, die das gesamte Schlafzimmer mit dem Blick in den herrlichen Garten umfasste. „Nur deshalb ertrage ich deine langweilige Persönlichkeit und dein recht durchschnittliches Aussehen. Ganz zu schweigen von deiner miserablen Leistung im Bett …“

Sie stieß noch einen Schrei aus, als er mit der Hand übers Lake fuhr und ihr Bein streichelte.

„Entschuldigung. Wie war das?“

„Ich sagte …“, setzte sie an, „… ich bin nur interessiert an … deinem Geld.“ Er beobachtete, wie ihre Augen sich verdunkelten, als er seine Hand höher schob. „Ich wollte schon immer das Spielzeug eines reichen Mannes sein.“

Kit stützte seinen Kopf auf einem Ellenbogen auf, sodass er sie besser betrachten konnte. Ihr leuchtend rotes Haar hob sich in reizvollem Kontrast von dem Kissen ab. Sie trug kein Make-up. Nie hatte sie schöner ausgesehen.

„Nicht die Ehefrau eines reichen Mannes?“, fragte er gedehnt.

„Oh, nein. Heiraten würde ich nur, wenn auch ein Titel und ein wirklich großes Vermögen für mich herausspringen.“ Ihre Stimme nahm einen heiseren Klang an, als er ihren Hals, dann ihre Kehle küsste. „Und Ländereien natürlich auch …“

Kit lächelte. Er hatte alle Zeit der Welt. „Okay, das ist gut zu wissen. Da ich seit Kurzem weder über einen Titel noch Ländereien verfüge, hat es wohl keinen Sinn zu fragen.“

Er spürte, wie sie sich versteifte, hörte, wie sie vor Schock und Aufregung nach Luft schnappte. „Nun, es gibt da einen gewissen Verhandlungsspielraum“, erwiderte sie atemlos. „Und ich würde sagen, du befindest dich im Augenblick in einer verdammt guten Position …“

„Sophie Greenham“, sagte er. „Ich liebe dich, weil du wunderschön bist und clever und ehrlich und loyal …“

„Mit Schmeicheleien könnte das hier sehr lange dauern“, seufzte sie und schloss die Augen, als er seine Finger kreisend noch ein Stückchen höher schob. „Oh, du hast eine Abkürzung gefunden …“

Ihm wurde ganz eng um die Brust, als er sie jetzt betrachtete. „Ich liebe dich, weil du Unterwäsche für eine bessere Investition als Kleider hältst. Weil du mutig und lustig und sexy bist. Und da habe ich mich gefragt, ob du vielleicht in Betracht ziehen könntest, mich zu heiraten?“

Sie schlug die Augen auf und schaute ihn direkt an. Das Lächeln, das sich langsam auf ihren Lippen ausbreitete, bestand aus purem Glück. Es fühlte sich an, als würde er einen Sonnenaufgang beobachten.

„Ja“, flüsterte sie. „Ja, bitte.“

„Ich halte es allerdings für fair, dir zu sagen, dass meine Familie mich mittlerweile verleugnet …“

Sophie umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. „Dann gründen wir eben unsere eigene.“

Stirnrunzelnd strich er eine vorwitzige Haarsträhne hinter ihr Ohr zurück. Auf einmal fiel es ihm schwer zu sprechen, weil er von heftigen Glücksgefühlen überwältigt wurde. „Und ich besitze keinen Titel, kein Schloss und keine Ländereien …“

Lachend zog sie ihn in die Arme. „Glaub mir, anders würde ich es nicht haben wollen!“

1. KAPITEL

Vier Monate später

Britische Militärbasis

Donnerstag, 6.15 Uhr

Die aufgehende Sonne färbte den Himmel pink und den Sand golden. Kit rieb sich die schmerzenden Augen, ließ den Blick über die Wüste schweifen und fragte sich, ob er morgen noch am Leben sein würde.

Geschlafen hatte er eine Stunde, vielleicht zwei, und von Sophie geträumt. Beim Aufwachen pulsierte noch unerfülltes Verlangen durch seinen Körper. Seine Gedanken rasten, und fast meinte er, den Duft ihrer Haut riechen zu können.

Beinahe war ihm seine Schlaflosigkeit lieber.

Fünf Monate. Zweiundzwanzig Wochen. Einhundertundvierundfünfzig Tage. Eigentlich hätte seine Sehnsucht mittlerweile verblassen müssen, aber sie schien sogar noch stärker geworden zu sein. Angerufen hatte er Sophie nie, obwohl der Wunsch, ihre Stimme zu hören, heiß wie Feuer in ihm brannte. Doch er wusste genau, dass mit dem ersten Wort aus ihrem Mund, die Flammen nur noch höher emporlodern würden. Und gleichzeitig wusste er, dass es nichts gab, was sie einander mit sechstausend Meilen zwischen sich sagen konnten, um sein Leid zu lindern.

Nur noch ein Tag.

In vierundzwanzig Stunden würde er nach Hause fliegen. Unter den Männern seiner Einheit herrschte eine gewisse Aufregung, eine Mischung aus Erleichterung und Hochgefühl.

Kit teilte diese Gefühle nicht.

Seit vielen Jahren arbeitete er bei der Bombenentschärfung. Es war nur ein Job, nichts anderes, ein schmutziger, unangenehmer und sehr anstrengender, aber notwendiger Job. Allerdings stammte diese Einschätzung noch aus der Zeit, als er mehr gedacht als gefühlt hatte. Damals hatte er seine Emotionen so tief in sich vergraben, dass er gar nicht mehr wusste, ob er überhaupt noch etwas empfand.

Nun hatte sich alles geändert. Er hatte keine Ahnung, wer er war – diesen Umstand hatte er vor allem den Lügen des Mannes zu verdanken, den er sein bisheriges Leben für seinen Vater gehalten hatte. Dazugewonnen hingegen hatte er die Liebe zu Sophie. Dank ihr hatte er ihm bislang gänzliche unbekannte Seiten an sich kennengelernt. Und jetzt kam ihm sein Job viel schmutziger vor, viel mehr schien auf dem Spiel zu stehen – und die Chance zu überleben schien viel geringer zu sein. Sehr viel geringer.

Noch ein Tag. Würde sein Glück anhalten?

„Major Fitzroy … Kaffee, Sir. In wenigen Minuten sind wir marschbereit.“

Kit wandte sich um. Gefreiter Lewis kam mit einem Kaffeebecher in den Händen auf ihn zu, ein ernster, ein wenig unbeholfener Junge von neunzehn Jahren. In seiner Gegenwart fühlte Kit sich uralt. Er nahm die Tasse entgegen, trank einen Schluck und verzog das Gesicht.

„Danke, Lewis“, murmelte er. „Andere Männer bekommen ihren Kaffee von kurvigen Sekretärinnen gebracht. Ich hingegen habe Sie, der mir etwas anschleppt, was wie frisch aufgebrühter Schlamm schmeckt.“

Lewis grinste. „Sie werden mich vermissen, wenn Sie nach Hause kommen.“

„Das bezweifle ich.“ Kit nahm noch einen Schluck und schüttete den restlichen Kaffee auf den Boden. Dann setzte er sich in Bewegung. „Glücklicherweise sind Sie ein besserer Infanterist als ein Barista. Vergessen Sie das nicht, wenn Sie nach Hause kommen“, rief er dem jungen Mann über die Schulter hinweg zu.

„Ja, Sir!“ Lewis eilte ihm nach. „Ich möchte Ihnen noch sagen, wie großartig es war, mit Ihnen zu arbeiten, Sir. Ich habe so viel gelernt. Bevor ich zu Ihrer Einheit kam, war ich nicht sicher, ob ich überhaupt in der Armee bleiben möchte. Jetzt habe ich mich entschieden, mich bei der Bombenentschärfung zu verpflichten.“

Kit blieb stehen. „Haben Sie eine Freundin, Gefreiter?“

Von einem Fuß auf den anderen trippelnd, schwankte Lewis’ Miene zwischen Stolz und Verlegenheit. „Ja. Sie heißt Kelly. In zwei Monaten kommt unser Kind zur Welt. Sobald wir uns wiedersehen, werde ich ihr einen Heiratsantrag machen.“

„Lieben Sie sie?“

„Ja, Sir. Wir kennen uns noch nicht lange, aber … ja, ich liebe sie wirklich.“

„Dann lassen Sie mich Ihnen einen guten Rat geben. Lernen Sie, einen anständigen Kaffee zu kochen und suchen Sie sich einen Job bei Starbucks, denn Liebe und das Entschärfen von Bomben passen nicht gut zusammen.“ Lächelnd reichte Kit dem jungen Mann die leere Tasse. „Schön, rücken wir aus und bringen es hinter uns.“

„Tut mir leid, dass ich so spät komme.“

Grinsend bahnte Sophie sich ihren Weg zwischen den Tischen hindurch und ließ sich Jasper gegenüber auf einen Stuhl fallen.

Misstrauisch beäugte er ihre Einkaufstüten. „Wie ich sehe, warst du leider unabkömmlich …“ Er zog die Augenbrauen hoch, als sein Blick auf das diskrete Logo eines bekannten Geschäfts für erotische Dessous fiel. „Kit steht eine angenehme Überraschung bevor.“

Hastig schob sie ihre Tüten unter den Tisch und bemühte sich, endlich aufzuhören, wie ein verschossener Teenager zu grinsen.

„Zumindest habe ich eine ziemlich unanständige Summe ausgegeben“, gab sie zu, schob die Sonnenbrille in ihr Haar und griff nach der Karte. Der Tisch, den Jasper ausgewählt hatte, stand im Schatten einer roten Markise, die seiner poetischen Blässe ein gesundes Leuchten verlieh. Er und Kit waren so verschieden, es war unglaublich, dass sie so lange geglaubt hatten, Brüder zu sein.

„Für ziemlich unanständige Klamotten, ich kenne den Laden.“ Jasper schielte in die Tüte.

„Es ist nur ein Nachthemd“, erwiderte Sophie rasch und hoffte, er würde nicht den dazu passenden winzigen Slip aus silber-grauer Seide herausholen und den Gästen im Restaurant präsentieren. „Ich kam zufällig an dem Geschäft vorbei und habe gerade die Gage für diesen Vampirfilm bekommen, und Kit kommt morgen nach Hause, und da dachte ich … Was soll’s? Eigentlich war es viel zu teuer.“

„Unsinn. Die Tage, in denen du Klamotten auf Flohmärkten und Brot vom Vortag kaufen musstest, sind vorbei.“ Er blickte sich nach einem Kellner um. „In ein paar Stunden ist dein Leben als Single wieder vorbei, und du verwandelst dich in eine hauptberufliche Verlobte. Planst du noch ein paar wilde Partys?“

„Die spare ich mir für Kit auf, wenn er in …“ Sie schaute auf ihre Armbanduhr. „… in achtundzwanzig Stunden nach Hause kommt. Mal sehen … dort drüben sind sie uns fünf Stunden voraus, also sollte er seine Schicht ungefähr jetzt beenden.“

Jasper musste den ängstlichen Unterton in ihrer Stimme gehört haben, denn er nahm tröstend ihre Hand. „Denk nicht daran“, sagte er. „Du hast dich fantastisch gehalten. Ich wäre vor Sorge verrückt geworden, wenn Sergio Kits Job hätte. Du bist sehr tapfer.“

„Nicht im Vergleich zu Kit.“ Plötzlich fühlte ihr Mund sich ganz trocken an. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Kit jetzt aussah: verschwitzt, schmutzig, erschöpft. Fünf Monate hatte er sich um ein Bataillon Männer gekümmert, hatte ihre Bedürfnisse über seine gestellt. Sie wollte nur noch, dass er nach Hause kam, damit sie sich endlich um ihn kümmern durfte.

„Sophie?“

„Was? Tut mir leid.“ Sie blickte auf und sah einen Kellner mit gezücktem Stift an ihrem Tisch stehen. Eilig bestellte sie einen Salat Niçoise, weil er an erster Stelle auf der Karte stand.

„Kit versteht sein Handwerk“, murmelte Jasper abwesend, während er dem Kellner verträumt nachschaute. „Seit Jahren tut er nichts anderes. Wie geht es ihm denn?“

„Oh … weißt du … er klingt okay“, flunkerte sie. „Aber jetzt möchte ich alles über dich hören. Habt ihr alles für die Reise nach Hollywood gepackt?“

Jasper lehnte sich zurück und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. „Wir sind noch nicht ganz fertig, aber ich habe mich noch nie in meinem Leben zu etwas bereiter gefühlt. Nach allem, was in den vergangenen sechs Monaten passiert ist … Dad ist gestorben, ich hatte mein Coming-out, Alnburgh gehört mir und nicht Kit … ich kann es kaum erwarten, in ein Flugzeug zu steigen und alles hinter mir zu lassen. Die nächsten drei Monate werde ich nichts anderes tun, als am Pool zu liegen und Cocktails zu schlürfen, während Sergio arbeitet.“

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du versuchst, mich eifersüchtig zu machen!“

„Ertappt.“ Jasper schenkte dem Kellner ein Lächeln, der sich gerade wieder mit einem Tablett ihrem Tisch näherte. „Funktioniert es?“

„Nein.“ Der Kellner stellte ein hohes Glas mit Gin Tonic vor sie, in dem leise Eiswürfel klirrten. „Pool und Cocktails klingen großartig, aber zum ersten Mal in meinem Leben verspüre ich nicht den Wunsch, woanders zu sein. Na ja, nicht direkt hier.“ Sie nickte und meinte damit das Restaurant. „Aber zu Hause. Mit Kit.“

Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, musterte Jasper sie und tippte mit einem Finger nachdenklich auf seine Unterlippe. „Entführung durch Außerirdische – das muss die Ursache für diese Veränderung sein! Früher wolltest du nicht einmal ein Handy mit Vertrag, weil das zu viele Verpflichtungen mit sich brachte. Jetzt bist du eine Frau, der es Spaß macht, Wäsche zu waschen! Mir fällt einfach kein anderer Grund ein.“

„Liebe“, erwiderte Sophie. „Und vielleicht auch die Tatsache, dass ich mein Leben lang unterwegs war. Ich habe das Gefühl, angekommen zu sein. Ich stöbere sogar schon durch Möbelgeschäfte“, bekannte sie mit einem schuldbewussten Blick. „Und ich stehe total auf diese Farbkarten. Wahrscheinlich sehne ich mich einfach nach einem Zuhause.“

„Tja, Kits Bude in Chelseas begehrtestem Gartenviertel ist kein schlechter Anfang“, meinte Jasper und türmte Krabbenpâte auf eine Scheibe Roggenbrot. „Zumindest besser als Alnburgh. Dem Schloss bist du knapp entkommen.“

„Das kannst du laut sagen. Was ist mit euch? Plant ihr, nach eurer Rückkehr aus L. A. dort einzuziehen?“

Jasper verzog das Gesicht. „Um Gottes willen, nein. Northumberland ist nicht gerade das Zentrum der Filmindustrie. Und ich kann mir nur schwer vorstellen, wie Sergio Mrs. Watts nach Foie gras oder der neusten Ausgabe des Empire Magazins fragt.“

Sophie nippte an ihrem Drink, um ihr Grinsen zu verbergen. Als Sergio bei der Beerdigung von Jaspers Vater in Alnburgh aufgetaucht war, war er aufgefallen wie ein bunter Hund. „Was wird dann aus dem Schloss?“

Jetzt, da nicht länger die Möglichkeit bestand, selbst dort wohnen zu müssen, interessierte sie, was mit dem alten Gemäuer geschah.

„Ich weiß es nicht“, seufzte Jasper. „Die rechtliche Situation ist verworren, und die Finanzlage sieht noch schlimmer aus. Alles ist ein einziges Chaos. Ich kann Dad immer noch nicht verzeihen, dass er eine solche Bombe in seinem Testament platzen lassen musste. Die Tatsache, dass Kit nicht sein leiblicher Sohn ist, ist eigentlich nur eine Formalität – schließlich ist er in Alnburgh aufgewachsen und hat in den vergangenen fünfzehn Jahren die Verantwortung für das Schloss übernommen. Ich will gar nicht wissen, wie es ihm bei der ganzen Sache geht. Hat er irgendetwas in diese Richtung in seinen Briefen erwähnt?“

Ohne ihren Freund anzuschauen, schüttelte Sophie den Kopf. „Nein, er hat nichts geschrieben.“

Tatsächlich stand kaum etwas in seinen wenigen Nachrichten. Vor seinem Abflug hatte er sie gewarnt, wie frustrierend Anrufe sein konnten. Deshalb hatte sie auch nicht mit einem gerechnet. Also schrieb sie ihm mehrere Briefe pro Woche, in denen sie ihm alle Neuigkeiten und Anekdoten aus ihrem Alltag erzählte und wie sehr sie ihn vermisste. Seine seltenen Antworten bestanden in kurzen unpersönlichen Zeilen, nach denen sie sich noch einsamer fühlte.

„Ich hoffe nur, er hasst mich nicht zu sehr“, murmelte Jasper unglücklich. „Alnburgh hat ihm so viel bedeutet.“

„Unsinn. Es ist nicht deine Schuld, dass Kits Mutter mit einem anderen Mann durchgebrannt ist, als er ein kleiner Junge war, oder? Außerdem ist das alles schon lange her. Und, wie meine verrückte Mutter sagen würde, nichts geschieht ohne Grund. Wenn Kit das Schloss geerbt hätte, würde ich ihn auf gar keinen Fall heiraten. Dann würde er nämlich eine adelige Ehefrau brauchen – komplett ausgerüstet mit kostbarem Familienschmuck, diamantenbesetztem Diadem inklusive, und einer dreijährigen Garantie, einen Sohn zu gebären. Ich versage in allen Punkten.“

Sie sagte das in einem fröhlichen Tonfall, aber ihr Lächeln gefror ein wenig, als sie zu dem Teil mit dem Kind kam. Jasper schien davon nichts mitzubekommen.

„Du schneidest immer noch besser als Sergio ab. Ihr seht zwar beide gut mit einem Diadem aus, aber du gewinnst, was die Kinderfrage angeht.“

„Darauf würde ich nicht wetten.“ Mehr ertrug sie nicht, ihre Stimme brach. Hastig presste sie die Hand vor den Mund.

„Sophie?“, fragte Jasper besorgt. „Was ist los?“

Sie griff nach ihrem Glas und trank einen Schluck. Der Gin schmeckte kalt, bitter und gut. Er schien ihren Kopf zu klären, was wahrscheinlich eine ironische Illusion war.

„Alles in Ordnung. Ich bin nur endlich wegen der grauenhaften Krämpfe, die jeden Monat meine Periode begleiten, zu einem Arzt gegangen.“

Jaspers Augen weiteten sich. „Oh, Sophie, Liebes … es ist doch nichts …?“

„Nein, nein, nichts Ernstes. Wie ich schon vermutet habe, leide ich an Endometriose. Die gute Nachricht lautet, das ist nichts Lebensbedrohliches – die schlechte, es gibt nicht viel, was man dagegen machen kann. Aber es könnte ein Problem sein, schwanger zu werden.“

„Oh, mein Engel, ich wusste nicht, dass es dir so viel bedeutet, Kinder zu haben.“

„Ich auch nicht. Bis ich Kit getroffen habe.“ Sie seufzte. „Der Arzt meinte, es sei nicht unmöglich, aber es könne länger dauern, und ich solle am besten keine Zeit verschwenden.“

Jasper griff nach ihrer Hand. „Wann willst du anfangen?“

Sophie betrachtete das Display ihres Handys, dann breitete sich ein entschlossenes Lächeln auf ihren Lippen aus. „In ungefähr siebenundzwanzigeinhalb Stunden.“

Zitternd vollendete der Minutenzeiger seine Runde. Auf einem Plastikstuhl im Flur der Intensivstation sitzend, beobachtete Kit müde die Uhr. Die nächste Runde, dachte er, würde der Zeiger nicht mehr schaffen.

Er kannte das Gefühl.

Seit dem späten Nachmittag englischer Zeit saß er bereits hier. Seit der Rettungshubschrauber gelandet und Kyle Lewis nach Hause gebracht hatte. Ins künstliche Koma versetzt, mit Kugeln in Kopf und Brust, entsprach es wohl kaum der Heimkehr, auf die der junge Mann sich gefreut hatte.

Kit ließ den Kopf in die Hände sinken. Wieder verspürte er das nun bereits vertraute Gefühl der Taubheit, das seine Fingerspitzen kribbeln ließ.

„Kaffee, Major Fitzroy?“

Abrupt richtete er sich auf. Die vor ihm stehende Krankenschwester lächelte freundlich. Natürlich hatte sie keine Ahnung, welche seelische Qual ihre Frage in ihm auslöste.

„Nein, danke.“

„Kann ich Ihnen etwas gegen die Schmerzen bringen?“

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Wusste sie, dass er der Grund war, weshalb Lewis an eine Beatmungsmaschine angeschlossen in dem Zimmer dort drüben lag, während seine Mutter leise weinend seine Hand hielt und seine Freundin, von der er so stolz erzählt hatte, mit gesenktem Blick danebensaß?

„Ihr Gesicht“, fuhr die Schwester fort. „Die Medikamente, die Sie im Militärhospital bekommen haben, müssen allmählich aufhören zu wirken.“ Sie neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn mitfühlend. „Auch wenn es nur oberflächliche Verletzungen sind, Schrapnellwunden sind oft sehr schmerzhaft.“

„Es sieht schlimmer aus, als es ist.“ Er hatte sein Gesicht im Spiegel des Waschraums gesehen. Mit dumpfer Überraschung hatte er die Wunden auf seinen Wangen und um die Augen herum betrachtet. „Ein großer Whiskey reicht als Medizin.“

„Ich fürchte, damit kann ich Ihnen hier nicht dienen. Aber wenn Sie möchten, können Sie nach Hause gehen.“ Sie deutete auf die Tür zu Lewis’ Zimmer. „Seine Familie ist jetzt hier. Fünf Monate haben Sie auf Ihre Männer achtgegeben, Major“, meinte sie dann einfühlsam. „Es ist Zeit, dass Sie sich auch um sich selbst kümmern.“

Kit konnte einen kurzen Blick auf die Gestalt im Bett werfen, als die Krankenschwester das Zimmer betrat. Schuldgefühle nagten an seinem Gewissen.

Nach Hause.

Zu Sophie.

Der Gedanke an sie raubte ihm beinahe das letzte bisschen Selbstkontrolle. Wieder wanderte sein Blick zu der Uhr. Obwohl er seit Stunden auf das Zifferblatt starrte, hatte er keine Ahnung, wie spät es war.

Es war sechs Uhr abends, und er befand sich fast dreihundert Meilen von London entfernt. Sein Herz klopfte wie wild, als er stolpernd auf die Füße kam. Plötzlich verspürte er nur noch den Wunsch, bei Sophie zu sein. Sie in die Arme zu schließen, sich in ihr zu verlieren und zu vergessen …

Unvermittelt öffnete sich hinter ihm eine Tür und holte ihn in die Gegenwart zurück. Er wirbelte herum. Lewis’ hochschwangere Freundin kam aus dem Krankenzimmer. Sie ließ sich gegen die Wand sinken und wirkte dabei unglaublich jung.

„Sie sagen mir nichts. Ich will doch nur wissen, ob er wieder gesund wird.“ Ihr Tonfall klang trotzig, doch Kit konnte die Angst in ihren Augen sehen.

„Commander Randall ist der zuständige Arzt hier. Ihm zufolge hat Lewis das Schlimmste überstanden“, erwiderte Kit knapp. „Wenn ein Soldat den Transport übersteht, betragen seine Überlebenschancen bereits neunundsiebzig Prozent.“

Die Miene des Mädchens verfinsterte sich. „Ich will nicht wissen, ob er überlebt. Ich meine, wird er wieder gesund? Wieder normal? Wie früher? Weil ich glaube nicht, dass ich es ertragen könnte, wenn …“ Sie verstummte, und wandte den Kopf ab. Dann schluckte sie mehrmals, um die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. „Wir kennen uns noch gar nicht so lange, als das hier passiert ist.“ Sie deutete auf ihren gerundeten Bauch. „Wir haben es nicht geplant, aber jetzt muss ich irgendwie damit zurechtkommen.“ Mit ausdruckslosem Blick wandte sie sich wieder an Kit, Tränen liefen ihr über die Wangen. „Aber wenn er … verletzt bleibt, dann … ich weiß nicht … sitze ich wirklich in der Klemme, oder? Und wessen Schuld ist das?“

Meine, hätte Kit am liebsten geantwortet. Ganz allein meine.

Welches Recht hatte er, das auch nur eine Sekunde zu vergessen?

Abrupt schlug Sophie die Augen auf.

Ganz still lag sie im Bett und starrte in die Dunkelheit, während sie darauf wartete, das Geräusch noch einmal zu hören, das sie geweckt hatte.

Vielleicht hatte sie gar nichts gehört? Vielleicht hatte sie nur geträumt?

Sie setzte sich auf. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Von draußen drang nur die üblichen Klangkulisse der nächtlichen Stadt zu ihr hinein: der Verkehr auf der King’s Road, eine weit entfernte Sirene, ein Wagen auf dem Platz vor dem Haus …

Doch da war noch etwas anderes. Und zwar im Haus. Ein gedämpfter Laut, als würde etwas Großes fallen gelassen, gefolgt von leisen Schritten, als schliche jemand die Treppe hinauf.

Sophie erstarrte.

Dann flüsterte sie eine Verwünschung, hastete aus dem Bett und blickte sich verzweifelt nach einer Waffe um. Auf einmal wünschte sie sich, sie würde Kricket oder Baseball spielen. Ihr Herz raste. Es hatte keinen Sinn, im Schlafzimmer gab es keinen Gegenstand, mit dem sie sich wirkungsvoll gegen einen Eindringling verteidigen konnte. Zu spät wurde ihr klar, dass sie sich am besten unter dem Bett versteckt hätte.

Ein Schatten erschien auf der Türschwelle. Jetzt half nur noch pure Unverfrorenheit.

„Nicht bewegen!“, krächzte sie. „Ich habe eine Waffe.“

Der Unbekannte gab so etwas wie ein Seufzen von sich und machte einen Schritt ins Zimmer.

„Wo ich herkomme, nennt man das keine Waffe, sondern eine Fernbedienung.“

Seine Stimme klang müde, sexy wie die Hölle und unglaublich vertraut.

„Kit!“

Binnen einer Sekunde stürmte Sophie auf ihn zu und schmiegte sich eng an ihn, als ihre Lippen sich zu einem wilden Kuss trafen. Fragen und Halbsätze formten sich in ihrem Kopf, nur um sofort wieder vergessen zu werden. Denn das Gefühl, ihn niemals wieder loslassen zu wollen, löschte alles andere aus.

Ohne den Kuss zu unterbrechen, ließ er sich mit ihr aufs Bett sinken. Sie fuhr mit den Händen durch sein Haar, über sein Gesicht – und spürte etwas Raues. Er roch nach Erde und Desinfektionsmittel, nur schwach erkannte sie den Duft, der unverwechselbar zu Kit gehörte und der ihre Sinne betörte: jenen trockenen Zedernduft, nach dem sie sich so gesehnt hatte.

„Ich dachte …“, setzte sie an. „Du kommst … erst morgen … nach Hause.“

„Jetzt bin ich hier“, entgegnete er und intensivierte den Kuss noch weiter.

Und dass sie nun gemeinsam auf dem Bett lagen, war alles, was zählte.

Verlangen loderte in ihr auf, heiß und glühend. Er richtete sich auf und kniete einen Moment über ihr. Sein Gesicht befand sich im Schatten, dennoch konnte sie das Funkeln seiner Augen sehen. Eine weitere Woge der Lust brandete durch ihren Körper. Sophie kam ebenfalls auf die Knie und zog sich das T-Shirt über den Kopf.

„Geht es dir gut?“, fragte sie dann, als sie sich mit zitternden Fingern den Knöpfen seines Hemdes widmete.

„Ja.“

Das Wort glich einem primitiven Laut, der aus den Tiefen seiner Brust empordrängte. Kit wich ein wenig zurück, dann zerrte er das Hemd aus dem Hosenbund und streifte es über den Kopf. In diesem Moment bewegte sich der Vorhang, das Licht der Straßenlaterne fiel in den Raum und beleuchtete sein Gesicht. Sophie rang nach Luft.

„Nein, du bist verletzt. Kit, dein Gesicht …“

Vorsichtig legte sie die Hände an seinen Kopf und fuhr behutsam mit den Daumen über die Schnittwunden über seinen Wangenknochen.

„Es ist nichts.“

Er zog sie an sich und küsste sie auf den Mund. Das Gefühl seines harten männlichen Oberkörpers an ihren weichen Brüsten reichte aus, ihre Ängste zu vertreiben. Jeder Gedanke, der nichts damit zu tun hatte, ihre Beine um seinen Leib zu schlingen, verschwand. Jetzt existierte nur der Wunsch, ihn in sich zu spüren, um die vergangenen einhundertvierundfünfzig Tage, die sie getrennt waren, zu vergessen.

Seine Hände fühlten sich warm auf ihrem Rücken an. Der ruhigen Sicherheit, mit der er sie streichelte, vermochte sie nichts entgegenzusetzen. Ihr konnte es gar nicht schnell genug gehen. Mit fiebriger Hast versuchte sie, den Gürtel zu lösen, um endlich den vollen Körperkontakt ohne lästige Kleider genießen zu können. Sie stieß einen triumphierenden Laut aus, als sie den letzten Knopf der Hose geöffnet hatte. Eilig schlüpfte Kit aus der Kampfhose und ließ sie achtlos zu Boden fallen.

Alles verlief ganz anders, als sie es geplant hatte. Es gab keinen Champagner, kein Seidennachthemd, keine sinnliche Verführung, keine ausführlichen Gespräche, nur Haut und Hände und unendliches Begehren.

Die Zeit zum Reden würde schon noch kommen. Später. Morgen.

Dies hier war der beste Weg, die Distanz der letzten Monate zu überbrücken, Kit zu sagen, was sie ihn wissen lassen wollte und sein Innerstes zu erreichen. Genau wie in jener Nacht, als sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, nachdem sie herausgefunden hatte, dass Ralph Fitzroy nicht sein leiblicher Vater war. Sie hatte nichts sagen können, weil diese Enthüllung zu groß und gewaltig für Worte gewesen war, aber eine Weile hatte die sinnliche Leidenschaft die Lügen der Vergangenheit unwichtig und klein werden lassen.

Kits Körper fühlte sich hart und verspannt an, seine Schultern unnachgiebig wie Beton. Erst als er in sie eintauchte, spürte sie, wie er sich ein wenig entspannte – als empfände er dieselbe beglückende Richtigkeit, die auch sie fühlte. Sie hatte die Arme um seinen Nacken geschlungen, ihre Stirn berührte die seine. Sein Atem auf ihren Wangen zu spüren, seine Haut auf ihrer zu fühlen, reichte fast aus, um den Höhepunkt zu erreichen. Ein Schauer durchlief ihren Körper, doch sie hielt sich zurück und spannte die Muskeln tief in ihrem Inneren an.

Stöhnend schob er die Arme unter ihren Rücken und zog sie mit sich, als er sich aufsetzte. Wie von selbst legten sich ihre Beine um seine Taille. Und als er jetzt noch tiefer in sie eintauchte, als er seinen Oberkörper hart gegen ihre Brust presste, vermochte sie das Unvermeidliche nicht länger hinauszuzögern. Sie ließ sich fallen, ließ die Wogen des Glücks über sich zusammenschlagen und gab sich ganz ihrem Orgasmus hin.

Kit wartete, bis sie wieder in der Gegenwart angekommen war, dann presste er sein Gesicht an ihren Hals. Sie konnte ihn immer noch in sich spüren. Langsam begann sie, die Hüften kreisen zu lassen. Gleichzeitig streichelte sie unablässig sein Haar, bis er sich unvermittelte versteifte und ihren Namen schrie.

Arm in Arm ließen sie sich zurück aufs Bett fallen. Sophie zog Kits Kopf auf ihre Brust und lächelte in die Dunkelheit.

2. KAPITEL

Ganz plötzlich wachte Kit auf, ein Gefühl wilder Panik strömte durch seinen Körper.

Er brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, wo er sich befand. Das kühle bläuliche Licht eines englischen Morgens fiel durch die Fenster, weiße Laken fühlten sich weich auf seiner Haut an. Sophie hatte sich an ihn gekuschelt, eine Hand lag auf seiner Brust, genau über seinem heftig pochenden Herzen.

Die Tatsache, dass er sich in einem Bett befand und keine staubige Straße entlang auf eine Brücke zu marschierte, unter der eine Bombe befestigt war, verriet ihm, dass er geträumt haben musste. Nach einhundertvierundfünfzig schlaflosen Nächten kam ihm das wie ein Wunder vor.

Er rückte ein Stückchen zur Seite, um die schlafende Sophie ansehen zu können. Ihr Anblick versetzte ihm einen Stich. Sie war so wunderschön. Die Sonne hatte niedliche Sommersprossen auf ihre Nase gezaubert, ihre Wangen erstrahlten in gesundem Rosa. Oder vielleicht lag das an der vergangenen Nacht? Die Erektion, mit der er aufgewacht war, wurde fast schmerzhaft, als er sich erinnerte. Er betrachtete ihren Mund. Dank ihrer wilden leidenschaftlichen Küsse lag nun eine sinnliche Röte auf ihren Lippen.

Ein einzelner Lichtstrahl fiel durch die Vorhänge, der ihr Haar wie einen Heiligenschein wirken ließ. Kit griff nach einer Strähne und ließ sie langsam durch seine Finger gleiten. Er erinnerte sich an das letzte Mal, als sie so nebeneinandergelegen hatten. Damals hatte er sie gebeten, ihn zu heiraten.

Was für ein Narr er gewesen war! Was für ein selbstgerechter eingebildeter Narr!

Es hätte sonst etwas passieren können. Er dachte an Lewis’ Freundin, an die Angst in ihren Augen, an das Baby in ihrem Bauch. Was, wenn es nicht Lewis, sondern ihn erwischt hätte? Sophie und er hatten drei Wochen gehabt. Drei Wochen! Wie hatte er erwarten können, dass sie ihr restliches Leben an seiner Seite verbringen wollte, wenn sie sich doch gar nicht richtig kannten?

Die Locke entglitt seinen Fingern. Er verspürte ein Prickeln in den Spitzen, wie von tausend Nadeln. Er ballte die Hände zu Fäusten.

Schließlich traten die Fingerknöchel weiß hervor, doch das Gefühl der Taubheit blieb. Und auch den Film, der vor seinem inneren Auge wieder und wieder ablief, konnte er nicht abstellen. Die Straße flimmerte in der Hitze, gleißend spiegelte sich die Sonne in den Fensterscheiben der umliegenden Gebäude. Es herrschte eine unheimliche Stille. Es war, als würden sich die Ereignisse unter Wasser abspielen, wie in Zeitlupe. Seine Hände zitterten unkontrollierbar. Die Zange, mit der er gerade die entscheidenden Drähte durchschneiden wollte, glitt zu Boden, während die Stimme aus dem Kopfhörer immer eindringlicher wiederholte, dass ein Heckenschütze gesichtet worden war …

Und dann fielen die Schüsse.

Abrupt richtete Kit sich auf und fluchte leise. Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und zuckte zusammen, als seine Finger die Verkrustungen streiften, die sich auf seinen Wunden gebildet hatten.

Er war wieder zu Hause. Bei Sophie. Warum hatte er dann immer noch das Gefühl zu kämpfen? Und weiter denn je von ihr entfernt zu sein?

Auf der Schwelle zur Küche blieb Sophie stehen.

Kit saß am Tisch, blätterte durch einen Stapel Briefe, die während seiner Abwesenheit eingetroffen waren, und trank Kaffee. Er trug Jeans, kein T-Shirt. Seine Haut schimmerte in einem warmen Mahagoni-Ton. Ihr Herz machte einen Sprung.

„Hi.“

Er schaute auf. Erst jetzt, im Licht des Morgens, konnte sie die Verletzungen in seinem Gesicht richtig erkennen. Schnitte und blaue Flecken zierten seine Wangen. Er sah erschöpft und wunderschön zugleich aus.

„Hi.“

„Du bist also wirklich da“, sagte sie vorsichtig, während sie zum Herd ging, um den Kessel mit Wasser zu füllen. „Ich dachte, ich hätte vielleicht alles nur geträumt. Es wäre nicht das erste Mal, dass mir das passiert … In manchen Nächten waren meine Träume so intensiv, dass es mir beim Aufwachen so vorkam, als müsste ich mich noch einmal von dir verabschieden.“ Sie hielt inne, um nicht wie eine vor Angst verrückte Verlobte zu wirken. Und damit er ihre Worte auch als Scherz auffassen konnte, fügte sie hinzu: „Haben sie dich wegen guter Führung einen Tag früher gehen lassen?“

„Leider nicht.“ Er legte den Brief, in dem er gelesen hatte, zurück auf den Tisch und fuhr mit einer Hand durch die Haare. Sie waren noch feucht von der Dusche, doch Sophie konnte sehen, dass die Wüstensonne helle Strähnen hinterlassen hatte. „Gestern ist ein Mann aus meiner Einheit schwer verletzt worden. Ich bin mit ihm nach Hause geflogen.“

„Oh, Kit, das tut mir so leid.“ Sie eilte an seine Seite. „Wie geht es ihm?“

„Nicht gut.“

Seine Stimme klang flach und tonlos; er schaute wieder auf den Brief, als sei das Thema damit erledigt.

„Was ist passiert?“, fragte sie sanft und berührte seine Wunden mit den Fingerspitzen. „War es eine Explosion?“

Einen Moment erwiderte er nichts, dann zuckten seine Lider, als würde er sich an etwas erinnern, was er am liebsten vergessen hätte.

„Ja …“

Ein gequälter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Einen Augenblick glaubte sie, er würde mehr sagen, doch als er aufblickte, lächelte er nur kühl. Jede Emotion war aus seiner Miene verschwunden.

Sophie ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber sinken. „Wie schlimm ist er verwundet?“

„Das ist im Augenblick schwer zu sagen“, entgegnete er. „Er wird wohl überleben, aber man weiß nicht, welche Spätfolgen auftreten können.“ Sein Lächeln verflüchtigte sich. „Er ist neunzehn.“

„Erst ein Junge“, murmelte sie. Der Kessel meldete sich pfeifend und spie eine Dampfwolke aus. „Es ist gut, dass du bei ihm geblieben bist. Es wird ihm und seiner Familie viel bedeuten zu wissen, dass sich jemand um ihn gekümmert hat.“

Sie verstummte, als Kit unvermittelt aufstand.

„Kaffee?“

„Ja, bitte.“ Sie bemühte sich, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sein kühles Verhalten sie kränkte. „Tut mir leid, wir haben nur Instantpulver. Ich wollte heute einkaufen.“

Sie dachte an all die Pläne, mit denen sie seine Rückkehr hatte feiern wollen, an das Essen, dass sie hatte kaufen wollen – hauptsächlich Dinge, die man im Bett hätte verspeisen können: Oliven, Wachteleier, gedämpfte Dim Sums und süße Pasteten aus der libanesischen Bäckerei um die Ecke, dazu Champagner und richtigen Kaffee, Croissants und Brioches. Und natürlich das nicht jungendfreie Nachthemd! Allmählich kam ihr alles wie eine dumme Fantasie vor, in der sie Kit die Rolle des Märchenprinzen zugedacht hatte.

Die Wirklichkeit stellte sich ein wenig anders dar.

„Wovon, um alles in der Welt, hast du gelebt?“, fragte er. „Ich wollte dir Frühstück ans Bett bringen, doch die Schränke sind leer.“

„Normalerweise esse ich unterwegs“, sagte sie und schlenderte zu dem Designerbrotkorb aus rostfreiem Edelstahl. „Aber schau, es gibt Toast und …“ Sie öffnete einen Schrank und nahm ein Glas heraus. „… Schokoladencreme.“

Schuldgefühle stiegen in Kit auf. Sophie tat alles, um zu überspielen, wie sehr ihr sein Verhalten wehtat. Sie hatte versucht, mit ihm zu sprechen – sich mit ihm wie mit einem normalen menschlichen Wesen zu unterhalten! Und er hatte er sich benommen, als habe sie etwas Unanständiges getan.

Es wird ihm und seiner Familie viel bedeuten zu wissen, dass sich jemand um ihn gekümmert hat

Wie sehr sie ihn überschätzte! In wie vielerlei Hinsicht!

Er sah zu, wie sie Brotscheiben in den Toaster gleiten ließ. Ihr glänzendes Haar war noch vom Schlaf zerzaust, sie trug ein altes Hemd von ihm, unter dem ihre langen schlanken Beine hervorragend zur Geltung kamen. Eine Mischung aus Reue und Verlangen breitete sich in ihm aus. Er besaß nicht den Mut, ihre Illusionen über ihn jetzt schon zu zerstören. Aber er konnte wenigstens versuchen wiedergutzumachen, dass er sich wie ein herzloser Idiot verhalten hatte.

Zärtlich nahm er ihr das Glas aus der Hand, drehte den Deckel ab und spähte hinein. Dann schaute er Sophie mit hochgezogener Augenbraue an.

„Du isst dieses Zeug?“

Schulterzuckend griff sie nach einem Messer. „Was sollte man sonst damit machen?“

„Es überrascht mich“, entgegnete er und entwandt ihr das Messer, „dass du mich das fragst.“

Ohne mit der Wimper zu zucken, begann er, die Knöpfe ihres Hemdes zu öffnen. Er spürte, wie sie unter der Berührung leicht zusammenzuckte. Doch als er die Arme um ihre Taille schlang und Sophie auf die Arbeitsplatte hob, funkelten ihre Augen vor Aufregung.

Er tauchte das Messer in das Glas. Als er es herauszog, tropfte dunkle Schokoladencreme von der Klinge. Dann schob er das Hemd beiseite und entblößte Sophies Brüste.

Es kostete ihn eine Menge Selbstkontrolle, sich die Lust nicht anmerken zu lassen, die in seinem Körper emporloderte. Trotzdem zitterte seine Hand ein bisschen, als er die warme Brust umfasste. Mit langsamen Bewegungen verteilte Kit die Schokolade auf der weichen Haut.

Als er die Lippen öffnete, um die Creme zu kosten, fiel ihm auf, wie wunderschön die Schokolade auf ihrer hellen Haut aussah. Doch als er die Knospe in den Mund nahm, sanft daran saugte und spürte, wie sie sich unter seinen Liebkosungen aufrichtete, verschwanden alle Gedanken aus seinem Kopf.

Die Schokolade schmeckte unglaublich süß und überdeckte den Geschmack ihrer Haut. Deshalb drehte er, ohne seine Neckereien zu unterbrechen, den Wasserhahn an und hielt eine Tasse darunter. Dann richtete er sich auf und beobachtete, wie Sophies Augen sich weiteten, als er das kühle Nass über ihre Haut rinnen ließ.

„Kit, du …!“

Bevor sie den Satz beenden konnte, versiegelte er ihre Lippen mit einem wilden Kuss. Auf der Arbeitsplatte sitzend, war sie genauso groß wie er. Er schob seine Hände unter ihren Po und zog Sophie ein Stück nach vorne, sodass ihr weibliches Delta seine harte Männlichkeit berührte.

Gott, wie sehr er sie liebte! Er liebte ihre Direktheit, ihre Großzügigkeit. Er liebte sie für ihr Verständnis und ihre Bereitschaft ihm zu geben, was er brauchte. Es war gar nicht nötig, Worte zu bemühen – nicht, wenn er ihr auch so zeigen konnte, wie er fühlte.

Gerade wollte er sie hochheben und zum Küchentisch hinübertragen, als es unvermittelt an der Wohnungstür klingelte.

Kit hielt inne und trat einen Schritt zurück.

„Geh nicht.“

„Ich muss“, murmelte er und wandte sich zur Tür. „Das ist unser Frühstück. Ich habe es bestellt, als du noch geschlafen hast. Und da die Lieferung ein ganz besonderer Gefallen ist …“

Allein in der Küche knöpfte Sophie als Erstes das Hemd wieder zu, dann sprang sie von der Arbeitsplatte. Durch den Nebel des Verlangens, der sich in ihrem Gehirn ausgebreitet hatte, drangen Stimmen … eine gehörte Kit, die andere kam ihr nur vage bekannt vor. Verträumt griff sie nach dem Glas mit der Schokoladencreme und tauchte den Finger hinein. Mit geschlossenen Augen steckte sie den Finger in den Mund.

„Dort?“

Die Stimme klang nun näher. Gerade noch rechtzeitig öffnete sie die Augen. Sie glaubte den Mann zu kennen, der jetzt die Küche betrat. Vielleicht war er ein Freund von Jasper?

„Hi. Sie müssen Sophie sein?“

Grinsend stellte der Mann einen Korb auf den Tisch. Schuldbewusst, weil ihr sein Name partout nicht einfallen wollte, schüttelte sie seine ausgestreckte Hand.

Unmittelbar hinter dem Unbekannten kehrte Kit in die Küche zurück. Er trug eine Flasche Champagner. „Danke. Ich weiß das sehr zu schätzen.“

„Kein Problem … Es ist das Mindeste, das ich tun kann. Immerhin hast du die vergangenen fünf Monate damit verbracht, ein Held zu sein. Es ist gut, dich in einem Stück zurückzusehen … na ja, fast.“

Er deutete auf die Wunden in Kits Gesicht. Sophie sah, wie Kits Miene sich nahezu unmerklich verdüsterte.

„Wie läuft es im Restaurant?“, wechselte er das Thema.

„Alles in Ordnung, allerdings verbringe ich nicht so viel Zeit dort, wie ich gerne würde. Ich bin selbst gerade aus den Staaten zurück, wo ich die neue Staffel fürs Fernsehen abgedreht habe.“

Entsetzen stieg in Sophie auf. Plötzlich wusste sie, weshalb er ihr so bekannt vorgekommen war. Sie stand mit einem der größten Promi-Köche des Landes in einer Küche, trug ein altes Männerhemd, das kaum ihren Po bedeckte, und aß billige Schokoladencreme mit dem Finger direkt aus dem Glas.

Verstohlen stellte sie das Glas ab und bemühte sich, hinter der Vase mit den Blumen, die sie gestern gekauft hatte, in Deckung zu gehen. Glücklicherweise war der berühmte Koch ganz in das Gespräch mit Kit vertieft. Erst auf der Schwelle zum Flur blieb er stehen und schaute sich nach ihr um.

„Es war schön, Sie kennenzulernen, Sophie. Sie müssen dafür sorgen, dass Kit Sie in naher Zukunft in mein Restaurant ausführt.“

Nur über meine Leiche! dachte sie, nickte jedoch und lächelte. Kaum waren die Männer aus der Küche gegangen, griff sie nach einem Löffel.

„Du hättest mich vorwarnen sollen“, stöhnte sie zwischen zwei Löffeln Schokoladencreme, als Kit zurückkam.

„Entschuldige“, murmelte Kit, „aber ich war reichlich abgelenkt.“

„Seid ihr befreundet?“

„Kommt darauf an, wie du Freundschaft definierst. Wir kennen uns ganz gut, weil sein Restaurant gleich um die Ecke liegt, und ich in den vergangenen Jahren oft dort gegessen habe.“

Abermals tunkte Sophie den Löffel in die Creme. Kein Mensch ging alleine in ein Restaurant. Sie stellte sich die glamourösen Frauen vor, mit denen Mr. Promi-Koch Kit gesehen hatte … und wie groß der Unterschied zwischen denen und ihr sein musste.

Unterdessen packte Kit den Korb aus. „Stell sofort dieses süße Zeug weg. Wir haben Bagels mit geräuchertem Lachs, Blaubeerpfannkuchen, Mandelcroissants, anständigen Kaffee … und natürlich das hier.“ Er deutete auf die Flasche Champagner. „Also möchtest du hier essen … oder im Bett?“

Sophies Widerstand schmolz dahin.

„Was glaubst du?“

Langsam schlenderte Sophie auf Kits Haus zu, wobei die Tüte des Öko-Supermarkts immer wieder gegen ihre Beine stieß. Nach dem unsäglichen Zwischenfall mit der Schokoladencreme heute Morgen war sie der Meinung, Wiedergutmachung leisten zu müssen.

Beim Gedanken an die Schokolade verspürte sie ein angenehmes Pochen an der Stelle zwischen ihren Beinen. Unablässig hielt sie den Blick auf das Haus mit der schwarzen Tür am Ende des Blocks gerichtet. Das Wissen, dass Kit sich dort aufhielt, sandte einen wohligen Schauer durch ihren Körper.

Als sie gegangen war, hatte er sich wieder der Post gewidmet. Und so wenig es ihr auch behagte, es war ihr wie eine Erleichterung erschienen, eine Entschuldigung zu finden, aus dem Haus zu kommen. Sie hatten gefrühstückt und sich ausgiebig geliebt. Eine Weile hatten sie einfach nur im Bett gelegen und den Wolken zugesehen, während der Mittag in den Nachmittag überging. Dann hatten sie sich noch einmal geliebt.

Alles war wunderbar, magisch. Warum nur beschlich sie dann das ungute Gefühl, er benutze ihr Liebesspiel als Ersatz fürs Reden?

Es gab so viel, was sie ihm erzählen wollte – und noch mehr, was sie gerne von ihm gehört hätte. Unwillkürlich musste sie an die Schachtel mit der Pille denken, die sie in den Müll geworfen hatte. Schuldgefühle stiegen in ihr auf – selbst das zu erwähnen hatte sie nicht geschafft. Es war, als trüge er ein Schild auf der Stirn: „Anfassen erlaubt, sprechen verboten.“

Ich benehme mich absolut lächerlich, schalt sie sich und angelte den Schlüssel aus der Hosentasche. Vor seiner Abreise hatten sie ganze Tage im Bett verbracht, und ganze Stunden waren verstrichen, ohne dass sie ein Wort gewechselt hatten.

Sophie steckte den Schlüssel ins Schloss und stieß die Tür auf.

Im Haus war es still, doch die Atmosphäre hatte sich verändert. Es lag eine Elektrizität in der Luft, die sie gleichzeitig freute und verunsicherte. Während sie in die ganz in Granit und Stahl gehaltene Küche ging, erinnerte sie sich an das, was sie zu Jasper über den Wunsch nach einem Zuhause gesagt hatte. Die Blumen, die sie gekauft hatte, standen auf dem Tisch – ein winziger Farbtupfer inmitten männlich nüchterner Farbgebung.

Abgesehen von den Dreharbeiten zu dem dummen Vampirfilm in Rumänien, war das hier fünf Monate ihr Heim gewesen. Jetzt, da Kit zurückgekommen war, schien es wieder ganz sein Haus zu sein – und sie ein Gast. Sogar ihre Blumen wirkten fehl am Platz, genauso wie das abgepackte Toastbrot im Designerbrotkorb und der Instantkaffee in den exklusiven Kaffeetassen.

Sophie setzte den Kessel auf und machte sich daran, richtigen Kaffee zu kochen. Sie nahm ein Tablett aus dem Schrank und stellte Tassen und Milch in einem zierlichen grauen Kännchen darauf. Dann fragte sie sich, ob sie es nicht völlig übertrieb. Nach einem Moment nahm sie die Tassen wieder von dem Tablett, schenkte den Kaffee ein und machte sich auf die Suche nach Kit.

Sie fand ihn oben in seinem Arbeitszimmer. Vor der halb geöffneten Tür blieb sie stehen und klopfte.

„Ich habe Kaffee gekocht.“

„Danke.“ In seiner Stimme lag ein amüsierter Unterton. „Muss ich ihn draußen abholen, oder kommst du rein?“

„Ich wollte dich nicht stören“, murmelte sie, während sie die Tür aufstieß.

Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Briefe, der Mülleimer quoll über vor Umschlägen. Bei Kits Anblick spürte sie eine Woge aus Lust und Liebe und Schüchternheit in sich aufsteigen. Die Verletzungen auf seinen Wangen sahen noch schlimm aus, die Haut um seine Augen war noch blau und lila gefärbt, was ihm ein unglaublich erschöpftes Aussehen verlieh.

„Hmm … gutes Argument“, sagte er und fuhr mit einem Finger ihr Bein unter dem geblümten Rock hinauf, als sie sich vorbeugte, um die Tassen auf seinen Schreibtisch zu stellen. „Du bist sehr verstörend.“

Verlangen flammte in ihr auf, das sie jedoch im Keim erstickte. Rasch trat sie einen Schritt beiseite, lehnte sich außer Reichweite gegen den Schreibtisch und musterte Kit über den Rand ihrer Tasse hinweg. Diesmal würden sie ein Gespräch führen, das nicht in einem Orgasmus endete.

„Steht irgendetwas Interessantes in den Briefen?“

Kit zuckte die Schultern, seine Miene wirkte wieder völlig verschlossen. „Nicht viel. Kontoauszüge, Berichte über Aktiendepots, ein paar Informationen über Alnburgh.“ Er hielt inne und nippte an seinem Kaffee. „Und das hier.“

Sophie las die ersten Zeilen, dann runzelte sie verwirrt die Stirn. „Was ist das?“

„Ein Schreiben von Ralphs Anwalt in Hawksworth. Sie haben einen Brief erhalten und an mich weitergeleitet.“

Er fischte ein Blatt aus einem der Stapel und schob es in ihre Richtung. Etwas an der Abgehacktheit seiner Bewegungen verriet ihr, dass die Angelegenheit wichtig war.

Vorsichtig entfaltete sie das blassblaue Papier und blickte auf eine ordentliche geschwungene Handschrift – die Schrift einer Person, die es gewohnt war, Briefe zu schreiben.

Mein lieber Kit,

ich weiß, dass dieser Brief eine Überraschung für Dich sein wird – und ich bin nicht so naiv zu glauben, dass es nach all der Zeit, die vergangen ist, eine angenehme ist. Doch ich muss meine Angst überwinden und mich den Dingen stellen, um die ich mich längst hätte kümmern müssen.

Sophies Herz begann, schneller zu schlagen. Sie blickte zu Kit und wollte gerade etwas sagen, aber er hatte den Kopf abgewandt und schien sich intensiv mit einem anderen Brief zu beschäftigen. Schweigend las sie weiter.

Es tut mir so leid … das möchte ich Dir als Erstes sagen, auch wenn die Worte ein bisschen sehr spät kommen. Es gibt so vieles, was ich hinzufügen möchte. Wie gerne würde ich Dir alles in der Hoffnung erklären, dass Du mein damaliges Verhalten verstehst und mir vielleicht sogar verzeihst. Und es gibt Dinge, die Du, um Deine Interessen zu wahren, wissen musst. Dinge, die sich auf die Gegenwart und die Zukunft Deiner Familie auswirken.

Beim Lesen dieser Zeilen strömte Adrenalin durch Sophies Adern. Ihr Blick huschte schneller über die Worte, sie konnte es kaum abwarten herauszufinden, was der Schreiber meinte.

Das Letzte, was ich tun möchte, ist, Dich zu einer Antwort zu drängen. Du bist jetzt im Besitz meiner Adresse. Deshalb möchte ich nur sagen, dass Du aufs Herzlichste eingeladen bist, mich, wann auch immer es Dir passt, zu besuchen. Die Entscheidung überlasse ich ganz Dir.

Dich wiederzusehen würde mir unendlich viel bedeuten.

Deine hoffnungsvolle Mutter

Juliet Fitzroy

Langsam ließ Sophie den Brief sinken, ihre Gedanken rasten.

„Deine Mutter will, dass du sie besuchst?“, fragte sie – nicht gerade die schlauste Eröffnung.

„So scheint es, Mr. Holmes.“

„Wirst du gehen?“ Sie schaute noch einmal auf den Brief, um die Adresse zu lesen. „Nach Imlil“, murmelte sie verwirrt und musterte die Zeile darunter. „Du meine Güte … Marokko?“

„Genau“, entgegnete Kit gelangweilt und warf den Brief in den Papierkorb. „Das ist nicht gerade um die Ecke, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sie mir zu sagen hätte.“

„Ich frage mich, wieso es sie dorthin verschlagen hat. Und weshalb sie ausgerechnet diesen Zeitpunkt gewählt hat, um Kontakt mit dir aufzunehmen.“

„Ich nehme an, sie weiß, dass ihr kleines Geheimnis durch Ralphs Tod ans Licht gekommen ist. Vielleicht möchte sie mir meinen richtigen Vater vorstellen … was bedeutet, dass sie ihn kennt. Soweit ich weiß, gibt es dafür ein Dutzend potenzielle Kandidaten.“

Plötzlich wurde Sophie ganz schwummrig vor Augen, als ihr nämlich der Brief wieder einfiel, den sie in der Bibliothek von Alnburgh gefunden hatte. Schon damals hatte sie gewusst, dass es falsch war, ihn zu lesen, aber nach einem Blick auf die ersten Zeilen hatte sie nicht widerstehen können. Jetzt wünschte sie, sie wäre stärker gewesen, dann würde sie sich nicht in der unangenehmen Situation befinden, mehr über Kits Vater zu wissen, als er selbst.

„Gibt es nicht.“ Sie atmete tief ein und aus. „Sie kennt ihn.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte Kit nach einer langen Pause.

„Erinnerst du dich an jenen Tag in Alnburgh, als ich … krank geworden bin?“ Völlig unvorbereitet hatte sie ihre Periode bekommen, und Kit hatte ihr die nötigen Utensilien aus dem örtlichen Krämerladen besorgt. „Ich habe in der Bibliothek auf dich gewartet.“

„Und?“

„Und ich habe mir die Bücher angesehen. In einem der moderneren Taschenbücher habe ich einen Brief gefunden.“ Eingehend betrachtete sie ihre Hand und vor allem den Fingernagel, den sie eigentlich vor Kits Rückkehr hatte feilen wollen. „Es war ein Liebesbrief. Die ersten Worte lauteten: Mein Liebling!“

Kit würdigte sie keines Blickes, sondern starrte aus dem Fenster.

„Anfangs dachte ich, der B...

Autor