Julia Extra Band 577

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IM PALAZZO DES ITALIENISCHEN MILLIARDÄRS von CAROL MARINELLI

Atemlos schaut die junge Kellnerin Susie in Dante Casadios dunkle Augen. Sie ist doch nur in seinen Palazzo gekommen, um aus dem Sternerestaurant in Lucca ein exquisites Dinner zu liefern! Aber der Milliardär betrachtet sie voller Misstrauen – und mit überwältigendem Verlangen …

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  • Erscheinungstag 11.11.2025
  • Bandnummer 577
  • ISBN / Artikelnummer 0820250577
  • Seitenanzahl 432

Leseprobe

Carol Marinelli, Jessica Gilmore, Heidi Rice, Caitlin Crews

JULIA EXTRA BAND 577

Carol Marinelli

PROLOG

Ein neues Jahr hatte begonnen.

Beruflich hatte Dante Casadio alles erreicht. Er hatte es bis ganz an die Spitze geschafft.

Während draußen der Schneeregen vom Himmel fiel, ging es im Konferenzraum seiner bedeutenden Rechtsanwaltskanzlei in Mailand gerade so hitzig zu, dass die Menschen ihre Krawatten lockerten und Wasser tranken. Dantes Seidenkrawatte jedoch blieb akkurat geknotet und sein Glas unangetastet.

Es war das Ende der zweiten Woche nach der Weihnachtspause. Abgesehen von einem kurzen Abstecher nach Lucca war Dante fast die ganze Zeit in seinem Büro gewesen.

Das neue Jahr hatte genauso begonnen, wie das letzte geendet hatte – mit einem zornigen „Das kann sie doch nicht machen!“ seines außerordentlich berühmten Mandanten.

„Niemand macht hier irgendetwas“, antwortete Dante in klangvollem Italienisch. „Das ist ein sehr vernünftiges Angebot.“

„Das soll der Richter entscheiden!“

Vincenzo, Dantes leitender Rechtsanwaltsgehilfe, wechselte einen besorgten Blick mit Dante.

„Das ist mein voller Ernst!“, polterte der Mandant weiter. „Ich bring sie vor Gericht!“

Dante sagte nichts dazu. Er ließ die hochkochenden Emotionen anderer Menschen immer an sich abprallen. Grundsätzlich. Ob seine Mandanten ausflippten oder beim ausschweifenden Liebesspiel mit einer schönen Frau: Dante wahrte stets die Fassung. In allen Lebenslagen. Und nie redete er über seine Gefühle.

Sein Mandant war jedoch das krasse Gegenteil. Und wurde dabei auch noch ganz schön laut. Dantes hochmütiges Gesicht blieb während des Wutanfalls des Klienten jedoch völlig ausdruckslos. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Niemals!“, tobte sein Mandant weiter. „Niemals kriegt sie das Chalet in der Schweiz! Sie fährt doch noch nicht mal Ski, verdammt noch mal!“

Dante sagte immer noch nichts.

„Nicht zu fassen, dass ich Sie für diesen Dreck auch noch bezahlen muss!“, fuhr der Mandant wütend fort und warf Dante den Ordner mit den Unterlagen hin. „Ich dachte, Sie sind der beste Anwalt Italiens!“

Der Konferenzraum war voller Menschen. Es waren die Besten der Besten ihres Fachs. Anwälte, Rechtsanwaltsgehilfen, ein Psychologe, der Pressesprecher von Dantes Mandant sowie Dantes Assistentin … Dieses Meeting kurz vor Torschluss war gut besucht. Und trotzdem waren sie noch kein Stück vorangekommen.

Dantes unbeirrbares Bauchgefühl verriet ihm, dass sein Mandant noch immer nicht fertig war mit seinem Wutanfall. Es wurde sogar noch schlimmer.

„Ich habe doch nur einen Fehltritt begangen!“, brüllte er. „Einen einzigen!“

Als ein Kollege versuchte, mit ein paar beruhigenden Worten die Wogen zu glätten, widerstand Dante der Versuchung, genervt die Augen zu verdrehen. Ein Fehltritt nur? Also bitte! Als überaus gefragter und berühmt-berüchtigter Anwalt für Familienrecht war Dante extrem zynisch – er glaubte niemandem auch nur ein Wort. Er wusste ganz genau, dass jeder Mensch log, egal, ob direkt oder indem er wichtige Informationen unterschlug. Er schloss sich da nicht aus. Aber zurück zur Sache …

„Das ist irrelevant“, entgegnete er ruhig.

Sein knapper, sachlicher Einwand erboste seinen Mandanten nur umso mehr. Eine Ader wölbte sich auf seiner Stirn. Er konnte die Tatsache, auf die Dante ihn so ruhig hinwies, einfach nicht akzeptieren: dass es in Italien bei Scheidungen kein Schuldprinzip gab.

„Rechtlich gesehen spielt Ihre außereheliche Affäre keine Rolle.“ In der emotional aufgeheizten Welt des Familienrechts war Dantes kalte Logik von unschätzbarem Wert. Unter anderem deshalb war er trotz seiner enormen Gebühren so unglaublich gefragt. Wofür er jedoch nicht bekannt war, war, Händchen zu halten. Das überließ er anderen Menschen.

„Sie haben mich dafür engagiert, dass ich mich um die Aufteilung des Eigentums und des Vermögens kümmere. Das ist meine Aufgabe. Falls Sie vielleicht noch etwas mehr Zeit mit Ihrem erfahrenen Psychologen verbringen wollen …“

„Ich brauche keinen scheiß Psychologen! Ich will mit meiner Frau sprechen!“

„Das ist das Letzte, das Sie tun sollten“, warnte Dante seinen Mandanten. „Das Allerletzte. Kontaktieren Sie auf gar keinen Fall Ihre baldige Ex-Frau.“

Der Mann keuchte entsetzt auf, als Dante ihn an den prekären Status seiner Ehe erinnerte. „Sie sind wirklich ein eiskaltes Arschloch!“

Das war Dante Casadio in der Tat, und er stand dazu. Er verzog keine Miene, als sein Mandant mit der Faust auf den hochglanzpolierten Tisch schlug. Vincenzo, sein Anwaltsgehilfe, aber zuckte erschrocken zusammen, und ein paar der anderen Anwälte setzten sich ruckartig auf. Wahrscheinlich fragten sie sich, wie sie reagieren sollten, sollte ihr außerordentlich berühmter Mandant endgültig die Beherrschung verlieren.

Doch statt die anderen rauszuschicken oder seinen Mandanten zur Ruhe zu ermahnen, erhob Dante sich zu seiner vollen Körpergröße von fast eins neunzig. Ohne jede Spur von Kampflust. Er sah seinen Mandanten kaum an. Und verließ auch nicht den Raum. Stattdessen nahm er die Unterlagen, die Gegenstand dieser so hitzigen Diskussion waren, und ordnete sie erst mal in aller Seelenruhe.

Dante war Ordnung nämlich sehr wichtig. Seine Anzüge ließ er hier in Mailand nach Maß anfertigen, seine Schuhe ebenso. Seine Hemden und Krawatten wurden etwas weiter weg geschneidert – in Paris. Er mochte den Schnitt von Charvet-Hemden und hielt ihnen daher schon lange die Treue. Sein volles schwarzes Haar ließ er einmal wöchentlich schneiden, und er rasierte sich täglich, sogar an den Wochenenden. Vor wichtigen Veranstaltungen sogar zwei Mal.

Nachdem er die Unterlagen mehrfach hochkant sanft auf den Tisch geschlagen hatte, bis sie wieder perfekt aufeinanderlagen, legte er sie in die dicke marineblaue Hülle zurück.

Ein angespanntes Schweigen breitete sich im Konferenzraum aus. Alle warteten auf seine Reaktion, fragten sich vielleicht, ob er den Fall jetzt niederlegen würde …

Aber natürlich würde er das nicht. Dante war an Szenen wie diese schließlich gewöhnt.

„Wir reden in meinem Büro weiter“, sagte er zu seinem Mandanten und ging mit dem Ordner in der Hand zur Tür. „Sofort.“

Er hatte die Nase voll von dem Drama – und außerdem musste er noch einen privaten Anruf erledigen. Vor diesem Meeting hatte ihm seine Assistentin Antonia nämlich mitgeteilt, dass Sev, sein älterer Bruder, angerufen und um schnellstmöglichen Rückruf gebeten hatte.

Dante und sein Bruder hatten kaum Kontakt. Dante fand die Tatsache, dass nicht Sevs Assistentin Helene angerufen hatte, sondern Sev persönlich, daher ziemlich beunruhigend. Er hatte sofort an Gio denken müssen, ihren Großvater.

„Handelt es sich um einen Notfall?“

Antonia hatte den Kopf geschüttelt. „Nein, aber Signore Casadio hat trotzdem darum gebeten, ihn noch heute zurückzurufen, falls möglich …“

Und genau das hatte Dante vor – sobald er die Zeit dafür fand.

Als er sein Büro betrat, fragte er sich nicht zum ersten Mal, warum Menschen nur so an Dingen hingen, obwohl ihnen das doch offensichtlich nur Leid brachte. Abgesehen von einem kleinen Umschlag in seinem Bürosafe gab es nichts, was ihm etwas bedeutete. Und ehrlich gesagt wäre er sogar den gern los gewesen.

Dante hatte weder auf seinem Schreibtisch noch in seinem Regal Fotos stehen und auch sonst keine Erinnerungsstücke. In seinem luxuriösen Penthouse in Mailand und seinem wunderschönen Haus in Lucca war es genauso.

Früher einmal hatte er die malerische Stadt in der Toskana als seine Heimat bezeichnet. Inzwischen war sie der Ort, um den er einen Bogen machte. Es sei denn, ein Besuch war … unvermeidbar. So wie Weihnachten oder Familienfeiern. Warum wollen Menschen nur ständig an irgendetwas erinnert werden? fragte Dante sich. Er persönlich könnte gut auf seine Erinnerungen verzichten.

Er war nicht immer so leidenschaftslos gewesen, im Gegenteil sogar. Als Kind war er sehr fröhlich gewesen und von einem fast überwältigenden Charme. Wenn er gelächelt hatte, waren alle förmlich dahingeschmolzen. In seiner Jugendzeit und als junger Mann hatte er das richtig ausgenutzt. Sein Lächeln hatte ihm jede Menge Vorteile verschafft. Da er Sex schon immer geliebt hatte, hatte er jede Menge davon gehabt, hatte die Frauen gewechselt wie die Unterhemden, ihnen aber immer gleich am Anfang gesagt, dass sie von ihm nicht mehr erwarten konnten als Sex … Guten Sex allerdings. Und viel davon, garniert mit einer großzügigen Portion Charme.

Aber diese Zeiten waren längst vorbei.

Seine Eltern waren tot und die früher so enge Beziehung zu seinem Bruder zerstört. Aber wozu alten Zeiten hinterhertrauern? Manche Dinge musste man einfach akzeptieren. Seine Beziehungen zu Frauen waren inzwischen kürzer und unpersönlicher denn je. Er traute niemandem, und seine Karriere kam für ihn an erster Stelle.

Sein Mandant stürmte ins Büro und knallte die Tür hinter sich zu. Dante blieb ruhig sitzen. Trotz des hohen Status des Mannes gelang es ihm mühelos, seine Autorität zu wahren.

Sie waren wie Eis und Feuer. Und Dantes Erfahrung nach war Eis Feuer haushoch überlegen. Nichts konnte ihn zum Schmelzen bringen. Die Wut seines Mandanten glitt an ihm ab wie eine brennende Fackel an einem riesigen Gletscher …

Der Mann wollte die Diskussion offensichtlich dort fortsetzen, wo sie aufgehört hatten. Anscheinend war ihm nicht bewusst, dass er inzwischen in Dantes Büro war.

„Das ist mein voller Ernst! Niemals kriegt sie …“

„Schluss damit!“

Der aufgewühlte, verletzte Mandant sah Dante wütend an, zweifellos, um ihn daran zu erinnern, mit wem er es zu tun hatte, schwieg jedoch. In Dantes braunen Augen lag etwas, das eine ganze Armee zum Stillstand bringen könnte, wenn er es darauf anlegte.

„Setzen Sie sich.“ Dante zeigte auf den Sessel vor seinem Schreibtisch und wartete, bis sein Mandant seiner Aufforderung gefolgt war. „Sollten Sie auf meinen Schreibtisch schlagen, werde ich Sie auffordern zu gehen. Und wenn Sie mich schlagen, sehen wir uns vor Gericht wieder.“

„Ich wollte doch nur …“

„Ich habe genug gehört“, fiel Dante seinem Mandanten ins Wort. Er schob ihm die frisch sortierten Unterlagen hin und stand auf. „Wir reden erst weiter, wenn Sie den vorgeschlagenen Vergleich der Gegenseite komplett durchgelesen haben.“

Dante stand auf und ging zum Fenster, um die eindrucksvollen Konturen des Mailänder Doms zu betrachten. Es würde eine Weile dauern, bis sein Mandant alles durchgelesen hatte, aber Dante konnte warten.

Seine Gedanken wanderten zu dem rätselhaften Anruf seines Bruders.

Was kann Sev nur von mir wollen?

Hoffentlich war Gio nichts passiert. Sein Großvater, Gio Casadio, war der einzige Mensch, für den Dante noch Gefühle hatte. Und der einzige Grund, warum Dante gelegentlich nach Lucca zurückkehrte. Auch wenn es ihm zutiefst widerstrebte. Dante hasste die Stadt.

Seine Eltern waren immer davon ausgegangen, dass ihre beiden Söhne eines Tages gemeinsam das erfolgreiche Familienunternehmen bei Lucca übernehmen würden – ein großes Weingut in den Hügeln der Toskana.

Aber wie so oft im Leben war alles anders gekommen. Als Dante mit achtzehn nach Mailand gezogen war, hatte er ursprünglich Wirtschaftsrecht studieren wollen, während Sev im Hotelgewerbe angefangen hatte. Ihre Eltern – vor allem ihr Vater – waren davon ausgegangen, dass sie mit ihren kombinierten Fähigkeiten das Gut erfolgreich modernisieren würden. Damals hätte sich niemand vorstellen können, dass sich die Brüder am Vorabend von Sevs Hochzeit heillos zerstreiten würden. Dass Dante, der Trauzeuge, während der Trauung eine frisch genähte Platzwunde und ein blaues Auge zur Schau stellen würde, das fast genauso dunkel war wie sein Anzug. Oder dass die Finger des Bräutigams zu geschwollen für seinen Ehering sein würden.

Noch nicht mal der plötzliche tragische Tod ihrer Eltern und von Sevs Frau Rosa bei einem Hubschrauberabsturz hatte sie wieder versöhnen können. Wenn überhaupt, hatte die Tragödie die Brüder nur noch mehr voneinander entfernt. Klar tauschten sie sich gelegentlich über das Weingut, ihren Großvater in Lucca oder dessen gesundheitlichen Zustand aus, aber für gewöhnlich nur über ihre Assistentinnen. Persönliches erwähnten sie so gut wie nie und falls doch, beschränkten sie sich auf das Allernötigste.

Was kann Sev nur wollen?

Dantes Mandant riss ihn aus seinen Gedanken. „Ich vermisse sie so …“

Dante verspürte einen für ihn ungewöhnlichen Anflug von Mitgefühl, reagierte jedoch nicht.

„Wir waren doch früher so glücklich …“

Dante schloss die Augen und sah sich und Sev als kleine Jungs durch die Weinberge laufen und auf der schönen Stadtmauer von Lucca spielen, die die mittelalterliche Stadt umgab. Sie hatten sich damals so gut verstanden. Manchmal vermisste er diese Zeiten …

Dante riss sich aus seinen Erinnerungen und konzentrierte sich wieder auf seinen Job.

„Hören Sie …“ Er räusperte sich, um die Heiserkeit aus seiner Stimme zu vertreiben, als er sich vom Fenster abwandte und sich wieder hinsetzte. „Die Zeit läuft uns allmählich davon. Wenn Sie beide sich nicht einigen können, landet der Fall in sechs Wochen vor Gericht, und dann entscheidet der Richter.“

Abwehrend hob er eine Hand, als sein Mandant protestierend den Mund öffnete. „Ich will nichts mehr von Ihrer Reue oder Ihren Fehltritten oder darüber hören, wie sehr Sie Ihre Frau vermissen. Nicht in diesem Büro. Ich kümmere mich um die Aufteilung Ihres Besitzes und regle alles Rechtliche. Ich habe mich ausgiebig mit den Anwälten Ihrer Frau auseinandergesetzt, und das hier ist ein sehr fairer Deal. Sollte Ihr Fall vor Gericht landen, bezweifle ich, dass der Richter Ihnen gegenüber auch nur annähernd so großzügig sein wird wie die Anwälte Ihrer Frau. Obwohl ich natürlich mein Bestes geben werde, Ihre Interessen zu vertreten.“ Er zeigte auf den Ordner. „Wenn Sie dann noch meine Gebühren hinzuzählen, verlieren Sie erheblich mehr als nur ein Chalet in der Schweiz.“

„Ich habe doch schon das Wichtigste verloren!“ Dantes Mandant vergrub das Gesicht in den Händen. „Was soll ich denn nur machen? Ich liebe sie doch!“

Aber Dante war der Letzte, der imstande wäre, hilfreiche Beziehungstipps zu geben.

„Sie sind hier an der falschen Adresse“, sagte er so freundlich wie möglich. Er würde nie jemanden treten, der schon am Boden lag.

„Bitte …“ Sein Mandant hob den Blick und sah ihn flehentlich an. „Sagen Sie mir, was ich …“

„Ich bin wirklich der falsche Ansprechpartner. Ich hatte noch nie eine längere Beziehung und werde auch nie eine haben.“

„Dante …“

Mit Beziehungen kannte Dante sich zwar nicht aus, aber mit Fehltritten schon …

„Manche Fehler kann man eben nicht wiedergutmachen.“

„Es war doch nur ein einziges Mal!“

Dante wollte das Gespräch endlich beenden, aber da wurde sein Mandant auf einmal ehrlich. „Na gut, ich bin öfter fremdgegangen. Aber ich bereue es mehr, als Sie ahnen.“

Dante lächelte grimmig. „Das bezweifle ich.“

„Was soll ich denn jetzt nur machen? Bitte …“

„Okay.“ Dantes Gedanken schweiften schon wieder zu seinem Bruder ab. „Sie sollten versuchen, Ihre Frau mit Würde gehen zu lassen. So weh es auch tut.“

„Und wenn ich das nicht schaffe?“

„Dann endet die Ehe vor Gericht.“

Bevor der Mandant sein Büro endlich verließ, hielt Dante ihm noch die Hand hin und schenkte ihm einen letzten Rat. „Kontaktieren Sie nicht Ihre Frau.“

Als er endlich allein war, griff er zu seinem Handy.

„Hallo?“, meldete Sev sich sofort.

„Du hast mich um einen Rückruf gebeten?“

„Ja. Warte mal kurz.“

Sev schickte irgendjemanden weg und schaltete auf Videoanruf um. Kurz darauf sah Dante sich einer etwas älteren Version seiner selbst gegenüber.

Natürlich gab es auch Unterschiede zwischen ihnen. Sevs Augen waren grau, während Dantes tiefbraun waren, und er hatte eine Narbe über der linken Augenbraue. Außerdem trug Sev sein Haar etwas länger. Ansonsten waren sie beide großgewachsen und breitschultrig und hatten ähnliche Gesichtszüge – ein markantes Kinn und die typische gerade römische Nase. Sie waren eindeutig aus demselben Holz geschnitzt. Früher einmal hatte Sev als der Ernste von ihnen gegolten, aber inzwischen standen sie sich da in nichts nach.

„Was macht Dubai?“, fragte Dante. Er hasste Smalltalk, wollte jedoch höflich bleiben.

„Es ist heiß hier“, antwortete Sev kurz angebunden. „Und wie ist es so in Mailand?“

„Kalt.“

Sev nervte das Wortgeplänkel offensichtlich genauso, denn jetzt kam er direkt zur Sache.

„Ich wollte ein paar Dinge mit dir besprechen. Helene hat gesagt, dass du noch nicht für den Ball zugesagt hast, und ich kann dieses Jahr nicht.“

„Also, ich gehe da nicht hin.“ Dante ging zu vielen Events des Weinguts ihres Großvaters, aber nicht zum Frühlingsball in Lucca.

„Gio wäre es aber sehr wichtig, wenn wenigstens einer von uns käme. Wir sind immerhin die Hauptsponsoren.“

„Na und? Mir gehört das Weingut nicht und dir genauso wenig.“

„Dante …“ Auf dem Papier mochte ihr Großvater der Alleineigentümer des Weinguts sein, aber die Brüder kümmerten sich ums Management und würden das Gut eines Tages erben – in hoffentlich nicht allzu naher Zukunft. „Hast du ihn in letzter Zeit zufällig mal besucht?“

Dante schüttelte den Kopf. Er hasste es, nach Lucca zu fliegen – vor allem zum Weingut. Vor seinem inneren Auge tauchte wieder das brennende Hubschrauberwrack in den Weinbergen auf … Obwohl sie sonst nie miteinander sprachen, lag es ihm plötzlich auf der Zunge, seinen Bruder zu fragen, ob er auch manchmal solche Flashbacks hatte, ob auch ihn der Albtraum von damals bei jeder Rückkehr zum Weingut wieder einholte. „Ich komme einfach nicht dazu.“

„Jaja, wir wissen, wie vielbeschäftigt du bist, Dante“, sagte Sev ungehalten. „Wann fliegst du das nächste Mal hin?“

„Keine Ahnung. In zwei Wochen vielleicht. Warum fragst du?“

„Weil ich Gio gestern angerufen habe … spontan.“

Keiner der beiden Brüder sagte Nonno zu ihrem Großvater. Als Dante noch ein Herz gehabt hatte, hatte er seinen Großvater eines Tages mit dessen Vornamen angesprochen und nicht verstehen können, warum man ihn deswegen ausschimpfte.

„Aber er ist doch Gio …“, hatte er protestiert und seinen Nonno so liebevoll umarmt, dass es von da an bei der Anrede geblieben war.

„Er war irgendwie nicht ganz bei der Sache“, fuhr Sev fort.

„Vielleicht war er nur abgelenkt, weil er noch nicht mit seinem neuen Smartphone zurechtkommt. Ich habe Weihnachten versucht, es ihm zu erklären.“

„Und wie war er da drauf?“

„Eigentlich wie immer. Vielleicht ein bisschen …“, Dante dachte kurz nach, „… trübsinnig? Er wollte schon Pläne für den zehnjährigen Todestag schmieden, aber ich habe ihm gesagt, dass es noch viel zu früh ist. Da wirkte er jedenfalls völlig klar im Kopf.“

„Als ich ihn gestern anrief, war er ganz allein. Anscheinend hat er dem Personal zwei Extrawochen freigegeben.“

„War Mimi denn nicht da?“ Mimi war die Haushälterin ihres Großvaters.

„Keine Ahnung. Dante, es war schon Mittag, aber er trug nur einen Bademantel und war noch unrasiert.“

„Was? Gio?“ Dante schüttelte ungläubig den Kopf.

„Warte mal kurz, ich schick dir einen Screenshot. Dann kannst du dich mit eigenen Augen überzeugen.“

Beim Anblick des Screenshots stieß Dante einen heftigen Fluch aus.

Ihr Großvater war ein sehr förmlicher Mensch. Er stand immer mit den Vögeln auf und war bei seinem täglichen Morgenspaziergang auf der Mauer immer tadellos gekleidet. Gios unrasierter Anblick im Bademantel legte nahe, dass etwas nicht stimmte.

„Lösch das Foto bitte gleich wieder“, bat Sev. „Ich mach das auch.“

„Okay, ich flieg zu ihm. Am besten, ohne mich vorher anzukündigen.“

„Wann?“

Dante hatte eigentlich einen vollen Terminkalender und heute Abend ein Date, obwohl er sich ehrlich gesagt kaum an den Namen der Frau erinnern konnte. Seine Termine waren im Grunde auch nicht wichtig.

„Ich könnte sofort aufbrechen.“

„Ich habe nur ein komisches Gefühl. Du musst deswegen nicht gleich alles stehen- und liegenlassen.“

„Aber es geht um Gio“, widersprach Dante.

„Stimmt …“

Sie verzichteten beide auf Abschiedsfloskeln.

Nachdenklich betrachtete Dante den Screenshot seines Großvaters. Er schien in den letzten zwei Wochen um zehn Jahre gealtert zu sein. Als Erstes sagte er sein Date ab. Und da er schon mal dabei war, beendete er auch gleich die Beziehung. Gio hatte jetzt Vorrang.

Er schaltete die Gegensprechanlage ein.

„Es gibt eine kleine Planänderung“, sagte er zu Antonia. „Ich fliege noch heute nach Lucca.“

1. KAPITEL

Susie Bilton lächelte etwas angestrengt.

Sie hatte sich die blonden Locken hochgesteckt, ihr schwarzes Arbeitskleid saß wie angegossen, und die schwarze Schürze mit dem eleganten goldenen Pearla’s-Logo auf der linken Tasche war ordentlich zugebunden. Sie trug auch die verlangte schwarze Strumpfhose und, weil sie die nächsten sechs Stunden lang auf den Beinen sein würde, vernünftige schwarze Schuhe.

Das Team wurde gerade von Pedro, dem Oberkellner, gebrieft. Ihr Blick wanderte jedoch immer wieder in Richtung Küche – zu Cucou, dem Chefkoch, der gerade lachend frische Pasta wirbelte, als sei sie ein Springseil.

„Susie?“

„Sorry.“ Sie riss den Blick von der Küche los und richtete ihn wieder auf Pedro. Da sie schon seit vier Wochen in Lucca wohnte, über Weihnachten und Neujahr fast nonstop gearbeitet hatte und unter der Woche zur Sprachschule gegangen war, verstand sie inzwischen fast alles, was er sagte.

„Wir haben heute eine Geburtstagsfeier. Die Torte soll eine Überraschung werden, also vorerst keine Glückwünsche bitte. Und eine Verlobung wird auch gefeiert.“

Er lächelte erfreut, genauso wie das Personal. Das sehr elegante, auf der Stadtmauer von Lucca gelegene Restaurant war für solche Anlässe immer sehr gefragt.

Pedro zählte auf, was heute auf der Speisekarte stand. „Cucou hat Ricotta- und Spinatravioli mit Walnusssoße vorbereitet …“

Wieder ertappte Susie sich dabei, den Blick Richtung Küche wandern zu lassen, zu jenem quirligen Ort, an dem man sich gerade auf einen geschäftigen Abend vorbereitete. Es ging immer hoch her in dieser Küche, in der viel gerufen und gelacht wurde. Was würde Susie nicht dafür geben, zum Küchenteam zu gehören. Eines Tages vielleicht … Aber anscheinend nicht bei Pearla’s.

Als sie sich hier beworben hatte, hatte sie dem Manager sofort mitgeteilt, dass sie am liebsten in der Küche arbeiten würde. Dass sie bereit wäre, dort alles zu tun. Absolut alles. Sogar Teller waschen oder Zwiebeln schälen. Es war ihr unbegreiflich, dass man sie auf die Gäste losließ, aber nicht in die Küche. Obwohl, irgendwie verstand sie es schon …

Der Grund war der, aus dem sie überhaupt hier war: Die wirklich guten italienischen Restaurants, sogar die in England, verlangten, dass man fließend Italienisch sprach, wenn man in der Küche arbeiten wollte.

Sie hatte versucht, die Sprache zu Hause zu lernen. Ihr Ex-Freund hatte in Anbetracht ihrer Bemühungen nur die Augen verdreht. Er hatte einfach nicht verstanden, dass kochen für sie nicht nur ein Job, sondern ihre Leidenschaft war. Aber da war er nicht der Einzige gewesen. Weder ihre Eltern und Schwestern noch ihre Freundinnen hatten nachvollziehen können, warum es für sie so frustrierend gewesen war, als Köchin in einem italienischen Ketten-Restaurant zu arbeiten. Klar hatte sie dort kochen dürfen, aber immer nur die gleichen festgelegten Gerichte. Und der Großteil ihrer Arbeit hatte darin bestanden, vorgefertigtes Essen aufzuwärmen oder das Standarddressing über den Standardsalat zu gießen.

Sie hatte sich einfach nach mehr Kreativität gesehnt. Aber dafür musste sie erst mal die Sprache lernen …

Deshalb war sie nach Lucca gezogen und nahm dort jeden Vormittag an einer Sprachschule Italienischunterricht. Und um das alles zu finanzieren, kellnerte sie im Pearla’s, wann immer sie eine Schicht bekam.

„In der Bar gibt es heute nur eine eingeschränkte Speisekarte“, fuhr Pedro fort. Susie verkrampfte sich unwillkürlich, als er hinzufügte, dass die Küche heute Abend unterbesetzt sein würde. Schon wieder. So etwas kam sogar in den exklusivsten Restaurants vor.

Als Pedro fertig war, kamen die ersten Gäste. Susie blieb als Einzige bei ihm zurück.

„Ja, Susie?“, fragte Pedro leicht irritiert.

„Ich könnte doch aushelfen“, schlug sie ihm auf Italienisch vor, womit sie Pedros Geduld sichtlich strapazierte. Sie könnte seine Entscheidung ja nachvollziehen, wenn sie immer noch hilflos herumstammeln würde, aber ihr Italienisch hatte sich in den letzten Wochen doch bestimmt verbessert?

„Du hilfst uns doch schon aus“, antwortete er auf Englisch. „Auch wenn ich weiß, dass es etwas ungewöhnlich ist, dich zu bitten, Essen auszuliefern …“ Eigentlich machten sie so etwas nicht, aber manche Gäste bekamen anscheinend eine Sonderbehandlung.

„Gio … Ich meine, Signore Casadio hat zwar noch nicht angerufen, aber das kommt bestimmt noch.“

„Ich meinte in der …“ Susie verstummte, als ihr bewusst wurde, dass Pedro sie vielleicht absichtlich missverstanden hatte. Er wusste schließlich genau, dass sie sich nach einer Chance in der Küche sehnte. Sie hatte ihn oft genug darum gebeten.

„Susie, bitte!“ Pedro seufzte ungeduldig. „Die Gäste warten schon.“

„Natürlich.“

Ihre Wangen brannten vor Enttäuschung und Verlegenheit, als sie zu ihrem ersten Tisch ging.

Es war viel los an diesem Freitagabend – so viel, dass ihr die blonden Locken irgendwann aus den Nadeln rutschten und Pedro sie in den kleinen Umkleideraum für das Personal schickte, um sich neu zu frisieren. Als sie ihr gerötetes Gesicht im Spiegel betrachtete, fiel ihr auf, dass sie Tränen in den leuchtend blauen Augen hatte – etwas, das bei ihr nur sehr selten vorkam.

„Susie?“, rief Pedro, als sie wieder rauskam. „In die Küche!“

Sie verspürte einen Anflug von Hoffnung … Aber nein, Cucou legte nur letzte Hand an die Geburtstagstorte, bevor sie sie rausbringen würden. Sie sah einfach fantastisch aus.

„Fast zu schön zum Essen“, versuchte Susie, auf Italienisch Konversation zu machen, aber Cucou hörte gar nicht richtig hin.

„Meine Schwestern haben heute auch Geburtstag“, fügte sie hinzu, als Pedro die Kerzen auf der Torte anzündete. „Aber ihre Geburtstagstorte ist bestimmt nicht annähernd so …“

„Meine Schwester!“, korrigierte Pedro sie kurz angebunden. „Und hat.“

Die Korrektur war völlig überflüssig, denn ausnahmsweise hatte Susie mal nicht die Artikel oder was auch immer durcheinandergebracht. „Nein, ich meinte wirklich Schwestern“, betonte sie. „Es sind Zwillinge.“

Zum ersten Mal überhaupt schenkte Cucou Susie Aufmerksamkeit, als sie etwas zu ihm sagte. Er stellte ihr sogar eine Frage: „Eineiige Zwillinge?“

Das fragte jeder. Wirklich ausnahmslos jeder!

Sì.

Und dann stand sie wieder nur unbeachtet herum, während Pedro und Cucou anfingen, sich über irgendwelche eineiigen Zwillingsbrüder zu unterhalten, die in der Nähe wohnten. Darüber, dass sie, selbst wenn sie einzeln zu Pearla’s kamen, oft die gleichen Gerichte bestellten und manchmal sogar das Gleiche anhatten.

Typisch, dachte Susie. Irgendwie schien sie immer nur dann interessant zu sein, wenn es um ihre Schwestern ging.

Sie verließen die Küche. Cucou ging stolz mit seiner Kreation voran, und Pedro, Susie und der Weinkellner folgten ihm mit dem Sekt, um dem Geburtstagskind zu gratulieren, das einen entzückten Schrei ausstieß.

„Wie wunderschön!“ Die Frau lächelte ihrem Partner gerührt zu. „Du hast tatsächlich an meinen Geburtstag gedacht.“

Susie schossen schon wieder die Tränen in die Augen. Himmel, bin ich heute dicht am Wasser gebaut, dachte sie. Aber es war nicht diese kleine Feier, die sie so traurig stimmte. Eher die Party, die zweifellos heute Abend in London stattfand …

Sie beschloss, die Gefühle, die bei diesem Gedanken in ihr aufstiegen, lieber nicht zu deuten. Für so etwas hatte sie jetzt sowieso keine Zeit, denn der wundervolle Signore Casadio hatte mal wieder Gebrauch von seinem neuen Smartphone gemacht, sodass sie ihm sein Essen bringen musste.

Silvester hatte er das erste Mal im Restaurant angerufen. Sie waren so beschäftigt gewesen, dass sie sämtliche Anrufe auf den Anrufbeantworter umgeleitet hatten, doch beim Klang der Stimme Signore Casadios war Pedro sofort rangegangen.

„Selbstverständlich, Signore Casadio! Es ist uns ein Vergnügen, Ihnen etwas zu essen zu bringen.“

Susie hatte verwirrt die Stirn gerunzelt, als Pedro auflegte.

„Ich dachte, wir liefern kein Essen aus?“

„Wenn Gio Casadio darum bittet, schon“, hatte Pedro nur geantwortet und war in die Küche geeilt, um mit Cucou zu reden.

Damals hatte Susie noch gedacht, dass man sie nur mit dem Ausliefern beauftragte, weil sie noch neu war und deswegen am entbehrlichsten. Aber vielleicht traute man ihr tatsächlich ein paar kulinarische Fähigkeiten zu, denn man hatte sie auch gebeten, erst vor Ort die Pasta zu kochen, die Trüffel und den Parmesan zu reiben und Signore Casadio einen Wein aus dessen Vorräten dazu vorzuschlagen.

„Aber das dauert doch bestimmt eine Ewigkeit!“, hatte sie eingewandt.

„Es dauert so lange wie nötig“, hatte Pedro beharrt. Dass sie unterbesetzt waren, schien ihm in diesem Fall nichts auszumachen.

Und das war heute, zwei Wochen später, immer noch so. Susie zog sich ihren Trenchcoat an und wickelte sich rasch ihr Tuch um den Hals, als Pedro die Tüten brachte.

„Ich habe auch Früchtekompott und einen leichten Joghurt eingepackt.“ Pedro senkte vertraulich die Stimme. „Für sein Frühstück morgen …“

Diesmal war Susies Lächeln sogar natürlich. Sie fand es irgendwie rührend, wie gut sich die Leute in diesem Restaurant um den alten Mann kümmerten, der sich so plötzlich allein in seinem großen Haus wiedergefunden hatte. Aus Gründen, über die niemand sprechen wollte.

„Willst du gleich hinterher Pause machen?“, fragte Pedro.

Susie nickte. „Ja, gern. Danke.“

Für eine Pause hatte sie gar keine Zeit. Sie würde nämlich nicht nur das Essen ausliefern und servieren müssen. Nein, sie musste auch noch den Morgenkaffee vorbereiten, Decken auf das Sofa legen …

Sie trat in die kühle Abendluft hinaus und ging auf der wunderschönen Mauer entlang, welche die mittelalterliche Stadt umgab.

Mein ganzes Leben lang gehe ich schon auf Mauern, dachte Susie, wenn auch nicht auf so schön breiten und von Bäumen gesäumten wie dieser. Hundebesitzer gingen mit ihren Tieren Gassi, Fahrradfahrer rasten an ihr vorbei … Sie ging auf der richtigen Seite, betrachtete die Lichter der sehr alten Stadt und lauschte der Opernmusik, die man hier überall hörte.

Wie so oft hatte sie das Gefühl, nicht dazuzugehören. Eine unbeteiligte Zuschauerin zu sein, der niemand Beachtung schenkte. Außen vor zu sein, obwohl sie doch solche Sehnsucht danach hatte, dazuzugehören.

Knapp dreizehn Monate nach bildhübschen eineiigen Zwillingsmädchen geboren, war sie eigentlich daran gewöhnt, nicht beachtet zu werden, noch nicht mal an ihrem Geburtstag, den sie immer zusammen mit ihren Schwestern hatte feiern müssen. Heute jedoch fühlte sie sich besonders außen vor. Auch ihre Freunde waren weit weg. Noch dazu stand sie wieder ganz unten auf der Karriereleiter, und das auch noch in einer Stadt, in die sie nicht gehörte.

Irgendwie fühlte sie sich einsam.

Aber im Grunde hatte sie sich schon immer so gefühlt.

„Schluss damit“, ermahnte Susie sich selbst und ging etwas schneller. Selbstmitleid brachte nichts. Außerdem hatte sie auch Grund zur Freude. Nach ihrem Sprachkurs hier würde sie in Florenz einen Kochkurs machen, und davor würden ihre Eltern sie in Lucca besuchen. Und das Schönste daran war, dass ihr Besuch mit Susies Geburtstag zusammenfiel.

Und was Männer anging … Ihre bisher einzige Beziehung hatte sie vor ihrem Umzug beendet und war seitdem allein. Aber sie mochte ihr Leben als Single … oder bildete sich das zumindest ein.

Sie kam an dem schmiedeeisernen Tor von Signore Casadios Villa an – viel zu groß für einen alleinstehenden alten Mann. Auf Bitte seiner Haushälterin hin hatte Susie ein paar Möbel umgestellt und im Esszimmer eine Art Schlafgelegenheit geschaffen. Sie unterhielt sich gern mit ihm, während sie seine Mahlzeiten in der kleinen Küche nebenan zubereitete und das Abendessen servierte – auch wenn er gerade ziemlich down war.

Gestern Abend hatte er sogar vor Scham geweint, weil sein Enkel ihn angerufen und ihn im Bademantel erwischt hatte.

„Ich hasse diese neumodischen Handys“, hatte er geschluchzt. „Ich finde es schrecklich, dass Sev mich so gesehen hat!“

„Das macht doch nichts“, hatte Susie versucht, ihn zu trösten. „Ihm ist bestimmt nichts aufgefallen.“

Als sie auf das dunkle Haus zuging, passierte sie einen Brunnen, Steinbänke und unbelaubte Bäume. Hoffentlich hatte Gio auf sie gehört und sich wenigstens heute rasiert und angezogen.

Sie ging um das große Haus herum zu der schönen Terrassentür, hinter der das Esszimmer lag, klopfte gegen die Glasscheibe und drückte dann die Klinke hinunter. Als sie sah, dass Gio tatsächlich angezogen und rasiert war, breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht. Und das war noch nicht alles. Auf dem Esstisch hatte er Ketten und Ohrringe ausgebreitet … den Familienschmuck offensichtlich. Vielleicht bedeutete das ja …

Vielleicht bekam Mimi ja endlich ihren Ring! Seine Haushälterin war nämlich Silvester ausgezogen. Weil sie mehr wollte, wie sie Susie erzählt hatte. Anfangs hatte Susie noch gedacht, es ging ihr um mehr Gehalt, aber das stimmte nicht. Mimi wollte einfach nur nicht mehr Gios heimliche Geliebte sein.

„Hallo, Signore Casadio“, begrüßte sie ihn lächelnd.

„Ah, Susie …“

Er machte Anstalten aufzustehen, um sie zu begrüßen, aber sie bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. Erst dann fiel ihr auf, dass er nicht allein war.

„Ich habe unerwarteten Besuch bekommen“, sagte Gio. „Normalerweise informiert er mich vorher immer über sein Kommen“, fügte er nicht ohne Vorwurf in der Stimme hinzu.

„Mir war nicht bewusst, dass ich eine Erlaubnis brauche.“

Der unerwartete Gast kam näher. Er trug einen Mantel, und sein schwarzes Haar war noch feucht vom Regen. Offensichtlich war er gerade erst gekommen. Er musste einer der Enkel sein. Gio hatte Susie Fotos von ihnen gezeigt, wenn auch sehr alte. Sie stammten noch aus der Zeit, bevor Gios Familie von einer schrecklichen Tragödie auseinandergerissen worden war.

Vermutlich sollte sie froh sein, dass einer der Enkelsöhne endlich mal nach dem Großvater sah. Und in ein paar Sekunden war sie das vermutlich auch. Aber erst musste sie sich von ihrem Schock erholen, weil der Mann so schön war. Ihre brennenden Wangen mussten erst mal abkühlen, ihre Lippen wieder beweglich werden, und vor allem musste sie ihre verrücktspielenden Sinne in den Griff bekommen.

Kein Foto hätte sie auf die Ausstrahlung vorbereiten können, die dieser Mann hatte. Das lag nicht nur an seiner Schönheit, sondern auch an seinen tiefdunklen Augen und der Art, wie er stand. Er schien das Zimmer mit seiner Präsenz komplett auszufüllen.

„Das ist mein Enkel“, teilte Gio ihr mit. „Dante.“

„Ach“, sagte Susie lächelnd, immer noch wie geblendet von seiner Schönheit. „Der Vorlaute.“

Ihre humorvoll gemeinte Bemerkung fiel auf taube Ohren. Und sein missbilligendes Stirnrunzeln ließ ihr Lächeln erlöschen. Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, wie unpassend ihre Bemerkung gewesen war. Sie hatte mit diesem imposanten Mann auf die gleiche Art gesprochen wie Gio über ihn, als er in Erinnerungen geschwelgt hatte. Dante war sein jüngerer Enkel.

Der Vorlaute.

Der Fröhliche.

Der Liebevolle.

Am liebsten würde sie vor Scham im Erdboden versinken. Warum hatte sie das nur gesagt? Von dem fröhlichen, vorlauten kleinen Jungen, von dem Gio gesprochen hatte, war nämlich keine Spur mehr zu sehen. Der Mann wirkte kalt und distanziert und zeigte auch nicht die Spur eines Lächelns. Außerdem sah er sie fast feindselig an – als sei sie eine Art Eindringling.

„Sorry …“, entschuldigte sie sich errötend und wollte gerade in die kleine Küche neben dem Esszimmer fliehen, als Gio wieder das Wort ergriff.

„Zweifellos ist er nach Lucca gekommen, um hier nach dem Rechten zu sehen.“

„Ich wohne hier“, sagte Dante schroff und richtete den Blick von Susie auf seinen Großvater.

„Nein“, widersprach Gio, während er den Schmuck durchwühlte. „Du wohnst in Mailand. Dein Haus hier steht meistens leer. Du hast schon längst vergessen, dass Lucca eigentlich dein Zuhause ist.“

„Das stimmt nicht, Gio.“ Dante schloss für einen Moment die Augen. Ein Anflug von Erschöpfung und Schmerz huschte über sein Gesicht. „Ich war erst Weihnachten das letzte Mal hier.“ Er schlug die Augen wieder auf. „Wo ist eigentlich Mimi?“

Gio gab keine Antwort.

„Ich bereite dann mal das Abendessen vor“, brach Susie nervös das angespannte Schweigen. Sie war heilfroh, sich zurückziehen zu können. „Bleiben Sie zum Essen?“, fragte sie an Dante gewandt.

„Nein“, antwortete Gio an seiner Stelle. „Ich bin mir sicher, dass Dante schon etwas anderes vorhat.“

„Ja“, sagte Dante, den Blick immer noch auf seinen Großvater gerichtet. „Ich esse mit.“

„Schön.“

Susie beeilte sich. Sie hatte das Wasser für die Pasta schon auf dem Herd stehen, noch bevor sie ihr Tuch abgenommen hatte, und bereitete dann schon mal Gios Espressokocher für den nächsten Morgen vor, indem sie ihn mit Wasser und Kaffee füllte und auf die kleine Herdplatte stellte.

Sie knöpfte gerade ihren Trenchcoat auf, als Dante die Küche betrat.

„Was ist hier eigentlich los?“, fragte er gereizt.

Sie lachte verlegen. „Wie bitte?“

„Warum ist mein Großvater allein im Haus?“

Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er tat ja geradezu so, als sei diese Situation ihre Schuld!

„Warum haben Sie mich nicht darüber informiert?“

„Sie informiert?“, wiederholte sie perplex. Während sie ihn ansah, versuchte sie zu ignorieren, dass seine Augen so dunkel wie Schokolade waren. Wie sehr, sehr dunkle Schokolade …

„Wie denn?“

„Indem Sie einfach zu Ihrem Handy greifen.“ Er begann, die Schränke in der kleinen Küche zu öffnen. „Er sollte hier nicht allein sein.“

„Sehe ich genauso, aber …“

Statt sie ausreden zu lassen, warf er einen Blick in den fast leeren Kühlschrank und sagte: „Da drin ist ja kaum etwas zu essen!“

Susie wurde nur sehr selten ärgerlich, aber das hier ging ihr allmählich zu weit. „Er ist Ihr Großvater, nicht meiner!“, antwortete sie etwas schroffer als beabsichtigt. „Ich tue, was ich kann.“ Sie zog ihren Trenchcoat aus, hängte ihn an einen Haken und spürte Dantes Blick über ihr Outfit bis hin zu ihren klobigen schwarzen Schuhen gleiten.

„Wer sind Sie überhaupt?“

„Ich arbeite bei Pearla’s. Ich bin hier, um eine Bestellung auszuliefern“, erklärte Susie.

Dante drehte sich wortlos um und verließ die Küche.

Ihr klopfte das Herz bis zum Hals, als sie die Pasta in das inzwischen kochende Wasser gab und frisches, noch ofenwarmes Olivenbrot in Scheiben schnitt. Sie presste die Lippen zusammen, als sie mitbekam, wie Dante Gio nebenan praktisch verhörte.

„Wo ist Mimi?“

„Sie ist zu ihrer Schwester gezogen.“

„Warum?“, verlangte Dante zu wissen. „Seit wann wohnt sie denn dort?“

Susie kniff die Augen zu und versuchte, sich rauszuhalten, als Gio die Ausrede brachte, dass Mimi eine Gehaltserhöhung wollte.

Dante kaufte ihm das offensichtlich nicht ab. „Und warum hast du ihr keine gegeben?“

„Sag mir nicht, was ich zu tun habe!“, brauste der alte Mann auf.

„Warum liegt hier eigentlich Bettzeug auf dem Sofa?“, fragte Dante weiter. „Schläfst du etwa hier?“

„Es ist besser, nur ein Zimmer zu heizen“, erwiderte Gio. „Wir müssen an die Umwelt denken, Dante.“

„Gio, jetzt mal im Ernst! Was zum Teufel ist hier los? Sev hat gesagt, du …“

In diesem Augenblick konnte Susie sich einfach nicht mehr zurückhalten.

„Autsch!“, quiekte sie, nahm ein Küchenhandtuch und wickelte es sich rasch um die linke Hand. „Au … au …“

Dante kam zur Tür geeilt, inzwischen ohne Mantel. Seine Krawatte war etwas gelockert, aber abgesehen davon sah er aus wie für ein stylisches Büro oder ein Fotoshooting gekleidet. Er war wirklich ein beeindruckend attraktiver Mann, aber leider nicht besonders mitfühlend. Genervt betrachtete er ihre eingewickelte Hand und sah dann hinter sich, als wolle er jemanden rufen.

Offensichtlich war er an Personal gewöhnt, denn erst jetzt schien ihm zu dämmern, dass es hier kein Personal gab, das er rufen konnte.

„Was ist passiert?“, fragte Gio.

„Nichts, Gio“, rief sie. „Ich habe mich nur geschnitten.“

„Susie …?“ Wenigstens er klang besorgt.

„Ist schon gut, Gio, Dante kümmert sich darum.“

Sie richtete den Blick wieder auf Dante und formte lautlos ein „Nicht!“ mit den Lippen.

„Was?“

„Erwähnen Sie ihm gegenüber bitte nicht, dass er gestern im Bademantel war“, flüsterte sie.

Dante runzelte irritiert die Stirn und machte Anstalten, die Küche wieder zu verlassen. Anscheinend würde er sie einfach verbluten lassen. Doch dann überlegte er es sich anscheinend anders, denn er stieß ein frustriertes Zischen aus und öffnete wieder die Küchenschränke, bevor er schließlich einen kleinen Verbandskasten zu Tage beförderte.

„Es ist ihm peinlich“, erklärte sie ihm flüsternd, während er den Kasten nach einem Pflaster durchsuchte. „Er war nach dem Telefonat mit Sev völlig aufgelöst. Ich konnte ihn nur beruhigen, indem ich ihm versichert habe, dass Sev bestimmt nichts aufgefallen ist.“

„Okay.“ Dante schloss gequält die Augen und seufzte tief. „Na ja, wenigstens ist er jetzt angezogen und rasiert.“

Susie nickte. Um Gios Vertrauen nicht zu brechen, verschwieg sie, dass sie Gio gestern sanft gedrängt hatte, sich in Zukunft etwas zurechtzumachen. „Sagen Sie ihm bitte nicht, dass Sev etwas aufgefallen ist.“

Er nickte. „Na gut. So, und jetzt kümmern wir uns um Ihre Hand.“

Als er danach griff, fiel ihr der Kontrast seiner olivbraunen Finger auf ihrem blassen Unterarm auf. Unter seiner rechten Manschette lugte das Ziffernblatt einer sehr teuer aussehenden marineblauen Uhr hervor. Sie beobachtete den Sekundenzeiger – er war deutlich langsamer als ihr Herzschlag. Die Wirkung von Dantes sicheren, geschickten Berührungen war für sie so unerwartet wie ungewohnt …

Auf ihrem Unterarm bildete sich eine Gänsehaut, und ihre Nase schien zu zucken, als versuche sie herauszufinden, ob es Dantes Haut oder sein Haar war, das so herrlich würzig und zitronig duftete.

Stumm stand Susie da, als Dante behutsam das Handtuch von ihrer Hand wickelte.

„Wo blutet es denn?“, fragte er und drehte ihre Hand hin und her. „Ich kann gar keine Wunde sehen.“ Er richtete den Blick von ihrer unversehrten Hand auf das saubere, weiße Handtuch und lachte humorlos auf. „Haben Sie etwa geschauspielert?“

„Ja.“ Susie nickte. Ihre Stimme klang irgendwie seltsam belegt … so, als habe sie Halsschmerzen. Und irgendwie fühlte es sich auch ein bisschen so an. „Gehen Sie bitte behutsam mit ihm um.“

Dante runzelte die Stirn. Susie hatte von Gio und Mimi ein bisschen über die unglückliche Familiengeschichte der Casadios erfahren und nahm an, dass Dantes jetzige Arroganz auf seine Sorge um seinen Großvater zurückzuführen war.

„Es geht ihm gerade nicht besonders.“

„Offensichtlich.“ Wieder seufzte er. „Okay, ich werde rücksichtsvoll mit ihm umgehen.“

„Gut.“

„Ich klebe Ihnen jetzt besser ein Pflaster auf die Hand, sonst wird er noch misstrauisch.“

„Garantiert“, stimmte sie zu, denn Gio entging so schnell nichts.

Ihr Herz hämmerte laut in ihrer Brust, als sie beobachtete, wie Dante mit seinen langen Fingern die Rückseite von einem kleinen Pflaster abzog. Unschlüssig hielt er es in der Hand, als frage er sich, wo er es am besten hinkleben sollte. Schließlich entschied er sich für ihre linke Handfläche, presste es sanft auf die Lebenslinie und beantwortete währenddessen, ohne es zu wissen, eine Frage, die Susie sich schon seit Monaten stellte. Warum sie eine eigentlich ganz gute zweijährige Beziehung beendet hatte.

Irgendetwas hatte gefehlt. Sie hatte nur nicht gewusst, was. Es war ganz okay gewesen, aber zu ihrem Ex-Freund hatte sie sich nie so stark hingezogen gefühlt wie zu diesem Mann. Kein Zweifel, das hier war reine, unverfälschte körperliche Anziehung. So spontan und so intensiv, dass es ihr fast normal vorkäme, wenn Dante sie jetzt küssen würde …

Sie betrachtete seinen Mund und senkte den Blick dann zu ihrer Hand, die er immer noch hielt. Irgendwie gelang es ihr, sie ihm zu entziehen, bevor sie sein Gesicht womöglich mit trunkenen Küssen bedeckte.

„Danke“, murmelte sie.

„Gern geschehen.“

Er schien nichts von der lebensverändernden Wirkung zu bemerken, die er auf sie hatte.

Plötzlich keuchte sie erschrocken auf. „Die Soße!“ Sie war bestimmt schon angebrannt. Doch als Susie zum Herd schoss, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, dass die Soße gerade erst anfing zu köcheln. „Ich vermische sie rasch mit der Pasta und dann …“ Sie versuchte, sich an Cucous Anweisungen zu erinnern. „Wein“, sagte sie. „Ein Sauvignon würde gut passen …“

„Danke für den Tipp“, sagte Dante trocken und verließ die Küche.

Susie atmete erleichtert auf. Gott sei Dank!

Als sie kurz darauf die fertigen Teller ins Esszimmer brachte, saßen die beiden Männer am Esstisch, was sie freute, denn bisher hatte Gio immer auf dem Sofa gegessen. Die Gesellschaft seines Enkels schien ihm gutzutun.

Dante war in der Zwischenzeit anscheinend in der Hauptküche gewesen, um Wein zu holen, denn er füllte gerade zwei Gläser. Er bedankte sich, als sie ihm seinen Teller hinstellte. Als sie ihm anbot, Parmesan über seine Pasta zu reiben, nahm er ihr kopfschüttelnd die Reibe ab. „Ich mach das schon“, sagte er und sorgte zuerst für Gio.

Susie kehrte in die Küche zurück, um aufzuräumen und die Spüle mit heißem Wasser und Spüli zu füllen, so wie sie es jedes Mal machte, bevor sie ging. Es freute sie, aus dem Nebenraum lebhaftes Stimmengewirr zu hören, als sie sich ihren Trenchcoat anzog. Gio lachte sogar manchmal.

„Ich mache mich dann mal auf den Rückweg“, teilte sie den beiden Männern mit. „Im Restaurant ist noch viel zu tun.“

„Alles okay mit Ihrer Hand?“, erkundigte Gio sich.

Sie hob die Linke, um ihm das Pflaster zu zeigen. „Alles bestens. Es ist nur ein kleiner Schnitt.“

Sie schlang sich ihr Tuch um den Hals und trat hinaus in die winterliche Abendluft, die ihr angenehm das erhitzte Gesicht kühlte.

Es war eine Erleichterung, das große Tor hinter sich zu schließen und auf der Mauer entlangzugehen. Eigentlich hätte sie sich jetzt gern für einen Moment hingesetzt, um noch mal den Augenblick zu rekapitulieren, an dem die Zeit langsamer vergangen zu sein schien, um dann plötzlich stillzustehen.

Einfach nur ein paar Sekunden da sitzen und über einen großspurigen, arroganten Mann nachdenken, der seinen Großvater offensichtlich sehr liebte. Sie konnte nur hoffen, dass er auch wirklich Rücksicht auf Gio nahm.

Dank Susies Trick mit dem vermeintlichen Unfall nahm Dante sich tatsächlich etwas zurück.

„Du hast vorhin erwähnt, mit Sev gesprochen zu haben …?“, fragte Gio, als Susie fort war.

Dante war froh, dass sie ihn unterbrochen hatte. Das Letzte, was er wollte, war, seinen Großvater in Verlegenheit zu bringen.

„Was hat er dir erzählt?“

„Dass er es nicht zum Ball schafft.“

„Kommst du hin?“

Dante schüttelte den Kopf.

„Aber es muss ein Casadio da sein!“

„Warum gehst du nicht selbst hin?“, fragte Dante.

„Du weißt genau, dass ich deiner Nonna dort den Antrag gemacht habe.“

„Klar weiß ich das, aber …“ Dante wollte sagen, dass das schon eine Ewigkeit her war, aber da das sowieso nichts bringen würde, behielt er es für sich. „Ich kann wirklich nicht. Ich habe gerade einen wichtigen Fall, der wahrscheinlich vor Gericht landen wird.“

„Du meinst eine Scheidung?“ Sein Großvater kräuselte verächtlich die Lippen. „Die Ehe ist eine heilige Institution!“

„Wäre ich Anwalt für Strafrecht, würdest du mich dann auch für die Sünden meiner Mandanten verantwortlich machen?“

„Wahrscheinlich nicht.“ Gio lachte widerstrebend. „Wer ist denn der Mandant?“

„Das will ich nicht sagen.“ Dante sprach beim Abendessen grundsätzlich nicht über Berufliches. Außerdem würde Gio in ein paar Wochen sowieso aus den Nachrichten erfahren, wen sein Enkel Berühmtes vertrat.

Gio hatte jedoch gerade ganz andere Sorgen. „Und was hat Sev noch gesagt?“

„Nicht viel.“

„Schön, dass ihr wieder miteinander redet.“

„Natürlich reden wir miteinander.“

„Dante! Ich mag schon alt sein, aber ich bin kein Narr. Ihr habt nicht mehr richtig miteinander gesprochen, seit …“

Gio verstummte, doch sie hatten dieses Gespräch im Laufe der Jahre schon so oft geführt, dass Dante genau wusste, was Gio meinte. Den Unfall.

„Jeder trauert eben anders“, erklärte er. „Sev hat damals seine Frau verloren und …“

„Ihr habt euch schon lange vor dem Unfall zerstritten!“

Es schepperte laut, als Gio sein Besteck auf den Tisch warf, nachdem er die unausgesprochene Regel der drei überlebenden Casadios gebrochen hatte, nie dieses spezielle Tabuthema anzusprechen.

„Und zwar am Abend vor Sevs und Rosas Hochzeit.“ Gio stand auf, holte ein Foto und hielt es Dante vor die Nase. „Du hast deine Narbe nicht, weil du während der Trauung gestürzt bist! Und Sevs Hand war so geschwollen, dass Rosa ihm den Ring nicht anstecken konnte. Ich habe dir schon damals nicht geglaubt und glaube dir auch jetzt nicht. Du hast Sev gegenüber eine Bemerkung über Rosa gemacht, oder?“

Dante verrutschte fast sein Pokerface, so sehr überrumpelte ihn die direkte Frage seines Großvaters. Aber er hatte sich gut genug im Griff, um seine ausdruckslose Maske zu wahren. „Ich habe ihn nur gefragt, ob er sich mit dieser Hochzeit auch wirklich sicher ist.“

„Warum?“, fragte Gio.

Während Dante den Rest seiner Pasta mit seiner Gabel aufwickelte, spürte er ein schmerzhaftes Ziehen im Herzen. Gio hatte Rosa geliebt, davon war er fest überzeugt. Er konnte ihm daher unmöglich sagen, dass er zwei Jahre vor der Hochzeit mit ihr geschlafen und sie kurz danach behauptet hatte, von ihm schwanger zu sein, um ihn zur Ehe zu zwingen. Er hatte sich nur Sorgen gemacht, dass sie den Trick vielleicht auch bei Sev angewandt hatte.

„Ich dachte, ich tue ihm einen Gefallen.“

Gio stieß ein leises Zischen aus, das keinen Zweifel daran ließ, was er von Dantes Einmischung hielt. „Man sollte sich nie zwischen einen Mann und die Frau, die er heiraten will, stellen.“

„Das weiß ich jetzt auch“, erwiderte Dante ungehalten. „Dein Tipp kommt etwas spät.“

„Du hättest zu mir kommen sollen.“

Dante lächelte schmallippig.

„Hat Sev dir erzählt, dass ich ungepflegt aussah?“

„Was?“, mimte Dante den Verwirrten.

„Dante …“

Ohne Susies Bitte würde er jetzt ehrlich antworten – schließlich hatte Gio ihn explizit dazu aufgefordert. Aber während er seinen stolzen Großvater betrachtete, beschloss er, es behutsam anzugehen.

„Ich weiß nicht,...

Autor

Jessica Gilmore
Jessica Gilmore hat in ihrem Leben schon die verschiedensten Jobs ausgeübt. Sie war zum Beispiel als Au Pair, Bücherverkäuferin und Marketing Managerin tätig und arbeitet inzwischen in einer Umweltorganisation in York, England. Hier lebt sie mit ihrem Ehemann, ihrer gemeinsamen Tochter und dem kuschligen Hund – Letzteren können die beiden...
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