Julia Herzensbrecher Band 16

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

KEINE KÜSSE FÜR DEN BOSS! von NATALIE ANDERSON
Wild klopft Danielles Herz, als sie mit ihrem Boss Alex Carlisle im Aufzug stecken bleibt und es heftig zwischen ihnen knistert. Schon lange schwärmt Danielle für Alex und kämpft verzweifelt gegen ihre Gefühle an. Schließlich ist es tabu, seinen Chef zu küssen, oder?

ZWISCHEN VERNUNFT UND SEHNSUCHT von ANNIE WEST
Chloe liebt ihren Job als Haushälterin auf dem herrschaftlichen Landsitz von Declan Carstairs. Heiß prickelt es zwischen ihr und ihrem attraktiven Boss. Doch wenn Declan erst einmal ihr Geheimnis entdeckt, wird er sie bestimmt ohne Skrupel wieder aus seiner Welt verstoßen!

FALSCHE ZEIT, FALSCHER ORT – RICHTIGER MANN? von KATE HARDY
Heiße Küsse im eisigen Norwegen! Auf einer Geschäftsreise gibt Lydia sich ihrem attraktiven Boss Jake hin. Eine Nacht in seinen Armen – weiter will Lydia nicht denken. Auch nicht daran, dass Jake kein Mann zum Heiraten ist. Darf Lydia trotzdem auf ein Happy End hoffen?


  • Erscheinungstag 25.03.2022
  • Bandnummer 16
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512367
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Natalie Anderson, Annie West, Kate Hardy

JULIA HERZENSBRECHER BAND 16

1. KAPITEL

„Sie können das bis um drei für mich erledigen? Super!“

Beim Klang der tiefen, männlichen Stimme erstarrte Dani.

„Gern“, erwiderte die Sekretärin atemlos, die das Gewünschte sicher spätestens um zwei fertig haben würde – Dani hätte es genauso gemacht, wenn er denn sie gefragt hätte.

Wieder einmal drehte Alex Carlisle seine Runden durch das Großraumbüro und bezauberte seine Angestellten, sodass sie noch mehr und noch besser arbeiteten.

Auch Dani war es unmöglich, ihn nicht anzustarren. Denn Alex sah so gut aus, dass sie ihn schon die ganze Woche lang beobachten musste. Manchmal verließ er sein luxuriöses, riesiges Büro im obersten Stock des Gebäudes, um sich mit den einfachen Angestellten zu unterhalten – die dann alle noch schneller auf ihren Tastaturen tippten, um die Arbeit für ihn fertig zu bekommen. Ja, der Geschäftsführer des Finanzunternehmens bekam alles, was er wollte, und zwar immer. Und wenn die Gerüchte stimmten, die Dani gehört hatte, dann waren Frauen ein ganz beträchtlicher Teil davon: bildschöne, erfolgreiche High-Society-Frauen. Offenbar vergnügte Alex sich gern. Und seine gesamten Mitarbeiterinnen wünschten sich bestimmt, er würde sich einmal mit ihnen vergnügen.

Das konnte Dani nur allzu gut verstehen, obwohl sie es niemals zugegeben hätte: Auch sie war hin und weg von ihm. Sie blickte auf die Uhr und stellte fest, dass sie in wenigen Minuten zum Mittagessen gehen würde. Normalerweise sah sie selten auf die Uhr, weil ihre Arbeit ihr großen Spaß machte. Doch seit einiger Zeit hatte sie noch eine andere wichtige Aufgabe. Außerdem war jetzt Alex da – und Dani schrecklich nervös und unruhig.

Sie konnte sich seiner übermächtigen Anziehungskraft nicht entziehen und blickte erneut zu ihm hinüber. Du bist wirklich albern, schimpfte sie mit sich selbst und kam sich vor wie ein verliebter Teenager. Nicht einmal in ihrer Jugend hatte Dani so für jemanden geschwärmt. Schon beim Klang seiner Stimme begann ihr Herz, wie verrückt zu schlagen.

Jetzt konzentriere dich, ermahnte sie sich innerlich.

Die ganze Aufregung war ohnehin umsonst, denn Dani wusste, dass Alex sich zwar gern und oft innerhalb seiner gesellschaftlichen Kreise vergnügte, sich aber niemals mit Mitarbeiterinnen einließ. Jetzt beobachtete sie, wie er sich mit ihrem direkten Vorgesetzten unterhielt. Der große, durchtrainierte Alex hatte sich das Jackett ausgezogen und die Ärmel seines hellblauen Hemds hochgekrempelt. Sein Anblick erinnerte an eine Werbeanzeige für exklusive Businessmode. Dann drehte er sich plötzlich um – und ertappte Dani dabei, wie sie ihn beobachtete. Sein Blick begegnete ihrem und hielt ihn fest.

Plötzlich nahm sie nur noch Alex’ Gesicht wahr. Auch die laute Geschäftigkeit des großen Büros hörte Dani nur noch als entferntes, leises Summen. Eben noch ganz kribbelig vor Unruhe, war sie jetzt ganz ruhig und ließ sich von seinem intensiven Blick wärmen. Grün war Danis Lieblingsfarbe. Und Alex Carlisles Augen waren sehr grün.

Er machte einen kleinen Schritt in ihre Richtung, doch im selben Moment rief jemand seinen Namen. Alex wandte sich um, und plötzlich war alles vorbei: die Stille, die Wärme, die Ruhe.

Was ist eigentlich mit mir los? fragte Dani sich entgeistert. Einen Moment lang hatte sie sich weder rühren noch ein Wort herausbringen können! Das war doch wirklich zu albern. Zum Glück war Alex nicht zu ihr gekommen. Denn als er sie angesehen hatte, war ihr Kopf vollkommen leer gewesen. Sie hätte keinen einzigen vernünftigen Satz formulieren können. Wie schafften es die anderen Mitarbeiterinnen bloß, irgendetwas auf die Reihe zu bekommen, wenn er in der Nähe war?

Eigentlich waren es noch zwei Minuten bis zu ihrer Mittagspause, doch Dani war an diesem Tag wie immer früh ins Büro gekommen und hatte bereits zugesagt, heute länger zu bleiben. Ein schlechtes Gewissen erübrigte sich also, wenn sie jetzt schon ihren Arbeitsplatz verließ. Sie brauchte dringend frische Luft.

Dani ging in Richtung Fahrstuhl. Sie war klein, sodass sie nicht besonders auffiel, und außerdem war sie hier die einzige Mitarbeiterin einer Zeitarbeitsfirma. Normalerweise nahm sie immer die Treppe, aber jetzt stand Alex dort in der Nähe. Und sosehr sie sich auch von ihm angezogen fühlte – eine innere Stimme sagte ihr ziemlich deutlich, dass sie sich besser von ihm fernhalten sollte. Diese Stimme war fast genauso laut wie diejenige, der zufolge sie kleine, enge Räume meiden sollte. Ich werde das schon schaffen, dachte Dani. Ganz bestimmt.

Doch als sie vor dem Fahrstuhl stand und den Knopf drückte, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. Beim Warten zählte sie leise bis zehn und versuchte, sich zu beruhigen. Es war doch nur ein Fahrstuhl! Jeden Tag fuhren Millionen von Menschen damit hinauf und hinunter, ohne irgendwelche Zwischenfälle und ohne darin stecken zu bleiben.

Trotz aller Vernunft machte sich bei Dani das beklemmende Gefühl breit, das sie immer unter einer dieser riesigen, viel zu heißen Trockenhauben beim Friseur bekam, unter denen sie sich immer wie gefangen fühlte. Mit aller Macht unterdrückte sie ihre Angst und konzentrierte sich darauf, einen Plan zu schmieden. Wenn sie unterwegs essen würde, hätte sie Zeit, in die Bücherei zu gehen und sich die Foren im Internet anzusehen. Die Suche war das Allerwichtigste.

Als der Fahrstuhl kam, nahm Dani all ihre Kraft zusammen, stieg hinein und schloss die Augen, als die Türen sich schlossen. Sei nicht albern, ermahnte sie sich, es ist ja gleich wieder vorbei.

Aber dann vernahm sie plötzlich eine innere Stimme, die sie vor einer sich nähernden Gefahr warnte. Dani öffnete die Augen und sah, wie die Fahrstuhltüren wieder aufgingen. Jemand hatte einen Arm hineingeschoben, damit sie offen blieben.

„Ich bin gleich wieder da. Bitte schick Lorenzo die Gästeliste per E-Mail. Und stellen sicher, dass die Catering-Mitarbeiter diesmal wissen, wie viele Vegetarier es sind, damit wir diesmal niemanden vor den Kopf stoßen.“

In dieser Zeit hätte der Fahrstuhl schon nach unten und wieder nach oben fahren können. Endlich stieg der Mann ein und entschuldigte sich lächelnd.

Meinte er das ernst? Oder war das nur eine anerzogene Höflichkeit, die darüber hinwegtäuschte, dass seine Zeit mehr wert war als die anderer Menschen? Dani hatte nur eine Stunde Pause, die noch dazu unbezahlt war. Wie schnell all diese Gedanken doch vergessen waren, als die Türen des Fahrstuhls schließlich zugingen.

Angstvoll presste sie sich mit dem Rücken gegen die Wand. Würde diese Panik denn nie aufhören?

Der Mann betrachtete sie unverhohlen und eindringlich. Dani hielt den Blick starr auf die Türen gerichtet, die immer näher zu kommen schienen. Zum Glück waren die Aufzüge in diesem Gebäude unglaublich schnell – wenn sie denn endlich losfuhren. Schon jetzt hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Als der Mann den Knopf betätigte, setzte sich der Fahrstuhl endlich in Bewegung.

Vor Anspannung biss Dani die Zähne zusammen.

Plötzlich war eine Art metallisches Ächzen zu hören, dass immer lauter wurde. Der Fahrstuhl stoppte, fuhr dann wieder einen halben Meter und hielt erneut an. Dani spürte, wie sich ihr der Magen zusammenzog.

Eine Sekunde lang herrschte absolute Stille.

„Bestimmt geht es gleich weiter“, versuchte ihr Mitfahrer sie zu beruhigen.

„Ja, bestimmt“, erwiderte Dani gespielt gelassen, warf ihm einen kurzen Blick zu und sah dann schnell wieder zu den Fahrstuhltüren, als sie bemerkte, dass er lächelte. Denn sein Lächeln tat ihrem Blutdruck nicht gut. Und noch schlechter war es für sie, in kleinen, engen Räumen eingesperrt zu sein. Als ihr übel wurde, fing sie an, tief einzuatmen. Ich kann meine Angst überwinden, redete sie sich ein.

„Ehrlich, es dauert bestimmt nicht lange.“

Dani begann, am ganzen Körper heftig zu zittern, und ihr Herz schlug immer schneller.

„Mit diesen Fahrstühlen gibt es nie Probleme!“

„Wahrscheinlich haben sie den Aufzug verwirrt, als Sie so lange den Arm zwischen die Türen gehalten haben“, erwiderte sie aufgebracht und vergaß einen kurzen Moment lang ihre Panik.

„Es handelt sich um eine Maschine, und die kann man nicht verwirren, im Gegensatz zu Menschen.“

Zum Beispiel mich, dachte Dani, die völlig neben sich stand, keinen klaren Gedanken fassen konnte und von einer plötzlichen Übelkeit erfasst wurde.

„Sie sind neu hier“, stellte der Mann fest.

Unendlich erleichtert über die Ablenkung, erwiderte Dani mit halb erstickter Stimme: „Ja.“ Endlich wagte sie es, ihn anzusehen.

Seine tiefgrünen Augen drückten Besorgnis aus. Er kam einige Schritte auf sie zu und sagte: „Ich heiße …“

„Ich weiß, wer Sie sind“, schnitt Dani ihm das Wort ab. Für ein Gespräch konnte sie momentan nicht klar genug denken.

„Tatsächlich? Dann haben Sie mir etwas voraus. Ich habe nämlich keine Ahnung, wer ich bin“, erwiderte er und stand plötzlich direkt vor ihr.

Sein leicht bitterer Tonfall überraschte Dani und ließ sie wieder einen Moment lang ihre Angst vergessen. „Sie sind Alex, und S … Sie sind mit dem Fahrstuhl stecken geblieben.“

Ob ihnen schon der Sauerstoff ausging?

„Es besteht wirklich kein Grund zur Panik. Alles ist in Ordnung!“

Als er ihr die Hände auf die Schultern legte, blickte Dani ihm wieder ins Gesicht. Dann konnte sie wieder nur seine von dunklen Wimpern umgebenen tiefgrünen Augen wahrnehmen. Sie beschloss, sich auf diesen Anblick zu konzentrieren. Doch dann glitt sein Blick plötzlich zu ihren Lippen, und sie bemerkte, wie trocken diese waren. Während sie die Zunge darüber gleiten ließ, betrachtete sie seinen Mund – einen außerordentlich sinnlichen, wunderschönen Mund, den ein Lächeln umspielte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Alex.

Doch Dani konnte weder den Blick abwenden noch antworten.

„Sweetheart?“

Wie benommen blickte sie zu ihm auf. Alex umfasste ihre Taille.

„Es ist alles in Ordnung“, beruhigte er sie noch einmal. Und dann neigte er – so langsam, dass sie sich leicht hätte abwenden können – den Kopf.

Aber Dani wandte sich nicht ab.

Alex’ Lippen waren warm und fest, aber nicht aufdringlich, sondern sanft. Er sah ihr in die Augen. „Siehst du?“

Dani war nicht in der Lage zu antworten, und sie merkte auch nicht, dass er plötzlich die vertrauliche Anredeform verwendete. Leise seufzend schmiegte sie sich an ihn.

Als die starken Hände um ihre Taille sie hochhoben, hielt sie sich automatisch an Alex fest und spürte seinen durchtrainierten Körper. Wärme drang durch den Baumwollstoff seines Hemdes. Beeindruckt stellte sie dann fest, wie stark er war. Hören konnte sie nur den eigenen Atem, der zu schnell und zu heftig ging.

Ihre Blicke hielten einander fest, als Alex sie gegen eine Wand drückte, sodass ihre Augen sich auf einer Höhe mit seinen befanden. Danis Herz klopfte wie verrückt. Er küsste sie erneut, und diesmal löste er den Mund nicht von ihrem, sondern liebkoste sie weiter zärtlich.

Oh … Dani schloss die Augen und konnte nun endgültig keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie entspannte sich ein wenig, öffnete die Lippen weiter und sehnte sich nach mehr. Und Alex kam ihrem Wunsch nach. Er ließ ihr die Zunge in den Mund gleiten, wo sie mit ihrer zu verschmelzen schien. Dani nahm plötzlich all das wahr, was sie am allerliebsten mochte: die Hitze eines warmen Sommertages, die kühle Frische einer Meeresbrise und das Gefühl, in tiefes, warmes Wasser zu springen. Nur dass das hier noch besser war. Und es war echt.

Vorsichtig strich sie mit ihren Händen an seinen kräftigen Armen hinauf zu seinem breiten Rücken und dann durch das dichte, dunkle Haar, genoss die Wärme, bevor sie sein Gesicht umfasste und die Küsse tiefer, fordernder und sehnsüchtiger wurden.

Sofort sehnte Dani sich danach, Alex’ ganzen Körper an ihrem zu spüren. Doch sie brachte es nicht fertig, den Mund von seinem zu lösen. Denn sie wollte nicht, dass dieses unglaubliche Gefühl aufhörte, das sie erfüllte. Es war, als wäre plötzlich eine Sehnsucht enthüllt worden, von der sie bisher nichts geahnt hatte.

Und Alex’ Sehnsucht schien ebenso groß zu sein wie ihre: Voller Leidenschaft wanderten seine Lippen zu ihrem Gesicht und ihrem Hals, bis ihre Münder einander wieder zu einem tiefen Kuss fanden.

Er umfasste ihren Po und zog sie eng an sich. Ohne zu überlegen, schlang Dani die Beine um seine Taille – und war überwältigt davon, wie gut es sich anfühlte, ihn so nahe bei sich zu spüren. Alex war schlank, durchtrainiert und ganz offensichtlich sehr erregt. Zügelloses Verlangen ergriff von ihr Besitz. Erfüllt von dem übermächtigen Wunsch, seine Haut an ihrer zu spüren, erwiderte sie seinen Kuss noch leidenschaftlicher und zerrte an seinem Hemd.

Plötzlich schob Alex sie von sich und ließ sie wieder auf den Boden sinken. Dani bemerkte, wie sich unter ihren Füßen etwas bewegte. Ach ja, dachte sie, noch immer leicht benommen. Wir sind ja im Fahrstuhl …

Dieser hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, und jetzt glitten die Türen auf.

„Ich …“

Alex konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, denn draußen standen zahlreiche Leute – Mitarbeiter, Techniker –, und alle riefen nach ihm.

Dani war zwar außer Atem, doch dank ihres heftigen Adrenalinstoßes gelang es ihr, sich schnell davonzumachen. Als sie durch die große Glastür gegangen war, blickte sie sich um. Alex sprach noch immer mit den anderen. Er lächelte nicht mehr, sondern runzelte die Stirn. Sie ging weiter, spürte jedoch, dass er ihr dann und wann nachsah.

Dani beschloss, die Zeitarbeitsfirma anzurufen und sich auf eine andere Stelle vermitteln zu lassen. Den Chef zu küssen war absolut tabu. Doch der eigentliche Grund dafür war ihre Angst vor der tiefen Sehnsucht, die Alex zum Vorschein gebracht hatte. Und eine Wahrheit, die Dani zu ignorieren versuchte: Es war nicht nur ein Kuss gewesen, sondern ein geradezu himmlisches Erlebnis.

Alex trank einen Schluck Kaffee und schüttelte sich innerlich. Da saß er nun in der luxuriösen Lounge für Passagiere erster Klasse, aber der Kaffee war trotzdem das für Flughäfen typische dünne Gebräu.

Sein Blick fiel auf seinen Laptop. Eigentlich hätte Alex arbeiten oder sich über das Sorgen machen sollen, was er in der letzten Woche erfahren hatte – und sich den Testergebnissen zuwenden.

Stattdessen gab er sich einer sehr erotischen Fantasie hin und überlegte, wie er diese verwirklichen könnte. Die zwei kurzen Minuten im Aufzug mit der zierlichen kleinen Zeitarbeiterin waren einfach fantastisch gewesen und hatten in ihm die Sehnsucht nach mehr geweckt. Es war äußerst ungewöhnlich für Alex, einfach eine wildfremde Frau zu küssen. Und dann auch noch eine Mitarbeiterin!

Zuerst hatte er vorgehabt, sie so von ihrer Panik abzulenken. Doch daraus war schnell heftige Leidenschaft geworden. Wie also würde er noch mehr von ihr bekommen?

Als Lorenzo auf seinem Handy anrief, nahm Alex das Gespräch sofort entgegen.

„Wo bist du?“, wollte sein bester Freund wissen.

„Am Flughafen von Sydney.“

„Meine Güte, bist du bist ja kaum noch zu Hause!“

Alex seufzte. „Ich weiß.“

Er hatte diese Geschäftsreise nach dem unerwarteten Anruf von Patrick geplant. Jahrelang hatten sie einander nur gelegentlich geschrieben. Dann hatte Patrick plötzlich angerufen, um ihm die Wahrheit zu sagen – dreißig Jahre zu spät. Alex hatte ihm zuerst nicht geglaubt. Doch nach Erhalt des Testergebnisses hatte er nur noch weggewollt.

Nachdem die geschäftliche Angelegenheit jetzt abgeschlossen war, wollte er unbedingt sobald wie möglich nach Auckland zurück. Er hatte da noch etwas zu erledigen, und das hatte nichts mit dieser Vaterschaftsgeschichte zu tun, die ihn so erschüttert hatte.

„Ich habe dir einen Link zu einem Video geschickt, das du dir ansehen solltest.“

„Was denn?“, fragte Alex, denn statt des üblichen trockenen Humors schwang in Lorenzos Stimme Anspannung mit. Er öffnete die E-Mail. „Ein YouTube-Video? Ein blöder Scherz? Oder ein Porno?“

Lorenzo lachte unbehaglich. „Sieh es dir einfach an.“

Alex klickte auf den Startknopf. Ein Schwarz-Weiß-Film in schlechter Qualität begann, der in einem sehr engen Raum spielte. Und plötzlich erkannte er, dass es sich um einen Fahrstuhl handelte – den einen Moment später jemand betrat. Der Magen zog sich ihm zusammen.

Verdammt.

Die Musik, die jetzt ertönte, war während des Vorfalls vor fünf Tagen nicht zu hören gewesen. Wer auch immer den kleinen Film hochgeladen hatte, musste auch die musikalische Untermalung hinzugefügt haben, die wohl eine erotische Atmosphäre suggerieren sollte und deshalb überhaupt nicht passte. Die Überwachungskameras in den Fahrstühlen zeichneten nur Bilder auf, keinen Ton. Doch Alex wusste auch so genau, was gesagt wurde. In den schlaflosen Nächten seit jenem Tag war er das viel zu kurze Gespräch unzählige Male in Gedanken durchgegangen.

Und auch das Gesicht der jungen Frau kannte er nur zu gut. Schließlich hat er sich ständig durch das Großraumbüro bewegt, nachdem sie ihm dort mit ihrem glänzenden dunklen Haar und dem etwas zu langen Pony aufgefallen war – und der strengen hellblauen Bluse, die wohl professionell wirken sollte, unter denen sich aber offenbar sehr weibliche Kurven verbargen.

Alex hatte wirklich Besseres zu tun, als jeden Tag unzählige Male wegen einer jungen Frau durch das Großraumbüro zu schlendern. Doch während er auf die Ergebnisse der Blutuntersuchung gewartet hatte, war ihm diese Ablenkung sehr recht gewesen. Als er die bildhübsche junge Frau dann berührt hatte, konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alex hatte sich immer ausgemalt, wie sie sich wohl anfühlen würde. Davon träumte er noch immer.

Und jetzt konnte er sehen, was sich so unglaublich angefühlt hatte.

„Dein kleines Abenteuer hat übrigens ziemlich gute Bewertungen bekommen“, stellte Lorenzo ironisch fest.

Als Alex einige der Kommentare las, wurde er so rot, als wäre er von seiner Großmutter beim Knutschen mit der ersten Freundin ertappt worden.

„Wer ist die Frau?“

„Sie kommt von einer Zeitarbeitsfirma und hat letzte Woche hier angefangen“, erwiderte Alex widerstrebend. „Wie sie heißt, weiß ich allerdings nicht.“

Lorenzo lachte leise. „Tja, das solltest du aber schleunigst herausfinden. Das Video hat nämlich schon im ganzen Unternehmen die Runde gemacht.“

„Meinst du das ernst?“

„Leider ja. Mir hat man das Video heute Vormittag allein schon dreimal zugeschickt. Einmal kam es von einem Kollegen in Hongkong.“

Alex wurde wütend. Er konnte so etwas nicht gebrauchen, und die junge Frau hatte das nicht verdient. Das Ganze war ein völlig verrückter, leidenschaftlicher Ausrutscher gewesen. Normalerweise ließ er sich niemals mit Angestellten ein, doch die bildhübsche Unbekannte hatte eine unwiderstehliche Anziehung auf ihn ausgeübt – und tat das noch immer.

„Was wohl dein alter Herr dazu sagen würde?“, überlegte Lorenzo amüsiert. „Im Büro mit einer Angestellten herumzumachen! Du bist wirklich ein ganz schlimmer Finger.“

Bei seinen Worten erstarrte Alex. Er hatte Lorenzo noch nicht erzählt, was er herausgefunden hatte: dass nicht Samuel Carlisle sein Vater war, sondern dessen bester Freund. Der Ersatzonkel und väterliche Freund aus Alex’ Kindheit, der ihm durch seine Jugend begleitet und ihm Rat gegeben hatte, als Alex unsicher gewesen war, ob er ins Familienunternehmen einsteigen wollte.

„Du bist ein Carlisle, es liegt dir im Blut.“ Ganz leicht und mühelos war Patrick die Lüge über die Lippen gekommen.

Dass Samuel nicht sein leiblicher Vater sein konnte, hatte Alex erst wenige Jahre zuvor erfahren. Sein angeblicher Vater wurde krank, und er bot an, ihm Blut zu spenden. Doch seine Blutgruppe passte überhaupt nicht. Alex’ Mutter flehte ihn an, dies nicht zu verraten, weigerte sich jedoch, den Namen seines wirklichen Vaters zu nennen. Und dieses Geheimnis nahm sie schließlich mit ins Grab.

Alex hatte es nicht fertiggebracht, Samuel zu fragen und damit dessen letzte Lebensjahre zu zerstören. Doch die Kränkung und das Gefühl, betrogen worden zu sein, hatten heftig in seinem Innern gelodert. Er hatte nicht mehr vertrauen können, und in dunklen Stunden hatte die unbeantwortete Frage ihn sehr gequält.

Aber jetzt wusste Alex Bescheid: Patrick war der Liebhaber seiner Mutter, von ihm stammte ihr Kind. Jahrelang hatten die beiden den Mann belogen, mit dem sie verheiratet war. Und auch ihren Sohn. Das würde Alex keinem von ihnen jemals verzeihen. Noch konnte er mit niemandem darüber sprechen, noch nicht einmal mit seinem besten Freund.

Alex’ Blick fiel wieder auf den Computerbildschirm, und fast hätte er gelacht. Es war doch wirklich eine Ironie des Schicksals, dass er dabei ertappt worden war, wie er das einzige Mal bei der Arbeit gegen seine Regeln verstieß. Sozusagen das i-Tüpfelchen der ganzen vergangenen Woche, dachte er.

„Ich fliege gleich zurück. Wir treffen uns nachher bei mir.“ Mit diesen Worten legte er auf, bevor Lorenzo etwas erwidern konnte. Dann blickte er wieder starr auf den Bildschirm.

Alex wünschte, er könnte sofort in die Sicherheitsabteilung des Unternehmens stürmen, die Schuldigen zur Rede stellen und umgehend feuern. Doch damit würde er die Situation vermutlich nur noch schlimmer machen.

Verdammt, dachte er noch einmal.

Und die junge Frau konnte er ebenfalls nicht entlassen, denn dann könnte sie ihn verklagen. Aber es würde ziemlich heikel für sie werden, wenn sämtliche Mitarbeiter sich dieses Video ansahen. Wie sollte er sie nur beschützen? Er wusste ja noch nicht einmal, wie sie hieß!

2. KAPITEL

Dani fragte sich, was sie wohl falsch gemacht hatte. Seit über einer Woche arbeitete sie nun schon hier, und bisher waren alle sehr freundlich und höflich zu ihr gewesen – bis auf Mr. Alex Carlisle. Aber an ihn dachte sie nicht, ebenso wenig wie an die verrücktesten Minuten ihres Lebens. Dani würde das Ganze einfach vergessen.

Er hatte das offenbar schon getan: Seit dem Vorfall im Fahrstuhl war er nicht mehr aufgetaucht. Sie versuchte zu ignorieren, wie sehr sie das kränkte. Und einen anderen Einsatz über ihre Zeitarbeitsfirma hatte sie auch nicht finden können. Zumindest keinen, der ebenso lange dauerte und ebenso gut bezahlt wurde. Also würde Dani wohl oder übel erst einmal hierbleiben müssen.

Die anderen Mitarbeiter warfen Dani sehr merkwürdige Blicke zu und gingen auffallend oft an ihrem Schreibtisch vorbei.

Vielleicht habe ich ja noch mein halbes Frühstück im Gesicht, dachte sie, duckte sich hinter ihrem Computerbildschirm und rieb sich mit einem Taschentuch den Mund ab. Von dem Vorfall im Fahrstuhl konnten die anderen Mitarbeiter unmöglich etwas wissen. Sie und Alex waren doch allein gewesen! Und als die Fahrstuhltür aufgegangen war, hatten sie sich schon voneinander gelöst. Alex war so geistesgegenwärtig gewesen, auf Abstand zu gehen – im Gegensatz zu ihr. Offensichtlich hat er nicht gewollt, dass man sie zusammen ertappte. Außerdem lag der Vorfall nun bereits mehrere Tage zurück.

Dennoch fühlte sie sich von den anderen Angestellten beobachtet. Und gegen ihren Willen musste sie immer wieder an Alex denken. Dass er bei Frauen gut ankam, hatte sie schon gehört. Wie groß seine Anziehungskraft war, war ihr jedoch nicht bewusst gewesen.

Aber Dani wusste, dass auch sie Schuld an dem hatte, was passiert war. Schließlich hatte sie seinen Kuss erwidert. Und sie hatte jeden einzelnen Moment genossen – viel mehr, als sie je für möglich gehalten hätte. Das machte ihr ziemliche Angst, denn eine derart starke Sehnsucht machte verletzlich.

Als ein Raunen durch das Großraumbüro ging, näherte sich die Leiterin der Personalabteilung, die Dani insgeheim den Drachen nannte, ihrem Schreibtisch.

„Würden Sie bitte mitkommen, Danielle?“

Irgendetwas war nicht in Ordnung, denn sämtliche Mitarbeiter hielten plötzlich inne und beobachteten sie. Jetzt keine Schwäche zeigen, dachte Dani und hob das Kinn.

„Sollen wir den Fahrstuhl nehmen?“ Die Augen des Drachen schienen einen merkwürdigen Glanz zu haben.

Auf gar keinen Fall! dachte Dani. „Ich gehe lieber zu Fuß“, erwiderte sie leise.

Jetzt war sie ganz sicher, den Anflug eines höhnischen Lächelns auf dem Gesicht des Drachen gesehen zu haben. In eisigem Schweigen gingen sie die Treppe zur Etage der Geschäftsleitung hinauf. Im Büro der Personalleiterin angekommen, wurde Dani kein Stuhl angeboten.

„Ihre Zeitarbeitsfirma hat sich bei uns gemeldet“, begann der Drache jetzt. „Es scheint ein Problem mit ihrer Personalakte zu geben.“

„Was für ein Problem denn?“ Plötzlich wurde Dani kalt. Es konnte doch wohl nicht um ihren Vater gehen? Sie hatte trotz seiner kriminellen Machenschaften in Australien nie Probleme mit den Sicherheitschecks gehabt. Man hatte festgestellt, dass Dani ebenso wie die anderen, die er ausgenommen hatte, sein Opfer gewesen war. Gab es in Neuseeland vielleicht andere Bestimmungen?

„Das weiß ich nicht genau“, erwiderte die Frau so gefühllos wie ein Roboter. „Es bedeutet allerdings, dass wir Sie nicht weiter bei uns beschäftigen können.“

„Was?“ Dani durfte diese Stelle auf keinen Fall verlieren! Sie besaß nur noch fünfzig Dollar, weil sie übereilt nach Neuseeland gekommen war, ohne vorher etwas anzusparen. Sie war einfach so einsam gewesen und hatte sich so sehr gewünscht, ihn zu finden.

„Sie können sich bei der Zeitarbeitsfirma das Geld für die Tage abholen, die Sie bei uns gearbeitet haben“, fuhr die Frau kühl fort, für die die Angelegenheit offenbar schon abgeschlossen war. „Räumen Sie bitte umgehend Ihren Schreibtisch.“

„Ich soll jetzt sofort gehen?“ Dani war fassungslos. Als sie sich umwandte und hinausging, spannte sie ihren ganzen Körper an, damit man ihr Zittern nicht bemerken würde. Sie war absolut sicher, dass mit ihrer Akte alles in Ordnung war. Die Zeitarbeitsfirma war von ihren Fähigkeiten und ihrer Arbeitserfahrung sehr angetan gewesen. Die einzige mögliche Erklärung war, dass irgendjemand etwas gegen sie hatte – jemand Wichtiges.

Dani blieb stehen. Dann schluckte sie, drehte sich um und ging zu der Frau Mitte fünfzig mit der Bibliothekarinnenbrille, die wie eine Wächterin vor dem Allerheiligsten saß.

„Ist Mr. Carlisle da?“ Obwohl Dani sehr entschlossen war, brachte sie kaum mehr als ein Flüstern zustande.

„Mr. Carlisle ist außer Landes“, erwiderte seine Assistentin kühl, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Wie praktisch für ihn, dachte Dani misstrauisch. „Wann kommt er wieder?“

Die Frau betrachtete sie einen Moment lang durchdringend. „Soweit ich weiß, heute am frühen Nachmittag“, sagte sie dann.

Wenn ich schon weg bin, dachte Dani. Das konnte doch kein Zufall sein! War Alex der Vorfall so peinlich, dass er sie einfach loswerden wollte? Hatte er Angst davor, dass sie sich als Stalkerin entpuppen würde?

Ohne noch etwas zu sagen, drehte Dani sich um, marschierte den Gang entlang und dann die Treppen hinunter zum Großraumbüro. Sie beschloss, zur Zeitarbeitsfirma zu fahren und die Sache aufzuklären.

„Hallo, Danielle!“, sagte einer der jungen Banker, der nie zuvor mit ihr gesprochen hatte. Dann grinsten er und einige der anderen sich vielsagend an. Bestimmt hatten sie eine Wette geschlossen, die auf Danis Kosten ging. So etwas war für Dani nichts Neues. Doch sie warf ihm nicht einmal einen kühlen Blick zu, so sehr zog sich ihr vor Angst der Magen zusammen. Denn sie war noch keine zwei Wochen in Neuseeland, hatte so gut wie kein Geld mehr, und jetzt hatte sie auch noch ihren Job verloren!

Als Dani Jacke und Tasche holte und ihren Computer ausschaltete, war es in dem riesigen Büro so leise, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Sämtliche Mitarbeiter starrten sie an, und die am anderen Ende des Raums waren sogar aufgestanden, um besser sehen zu können. Was um alles in der Welt war eigentlich los?

Auf keinen Fall wollte Dani sich anmerken lassen, dass ihr Herz wie verrückt schlug. Vor Verlegenheit war sie errötet, aber gehen konnte sie noch. Also ging – oder besser gesagt, rannte – sie zur Tür und dann die Treppen hinunter nach draußen.

Die Zeitarbeitsfirma war nur zehn Minuten entfernt – heute schaffte Dani den Weg in sieben. Dort angekommen, mit geröteten Wangen und außer Atem, musste sie eine Weile warten, was ihr wie eine kleine Ewigkeit vorkam.

„Was stimmt mit meiner Akte nicht?“, fragte sie, sobald sie hineingebeten wurde.

„Es gibt da verschiedene Probleme“, erwiderte ihre Ansprechpartnerin, ohne ihr in die Augen zu sehen. „Eins davon ist Fehlverhalten Ihrerseits.“

Verwirrt runzelte Dani die Stirn. „Was meinen Sie damit?“

Das Lächeln der Frau war alles andere als freundlich. „Haben Sie das hier noch nicht gesehen?“

Sie drehte ihren Computerbildschirm herum.

Oh nein, dachte Dani entsetzt. Das konnte doch nicht wahr sein!

Doch die Schwarz-Weiß-Aufnahme in schlechter Qualität zeigte sie, Dani Russo, und Alex Carlisle: Eng umschlungen küssten sie sich und …

Dani spürte, wie ihr heiß wurde. In ihrem Kopf drehte sich alles. „Woher haben Sie das?“, flüsterte sie.

„Wir haben es per E-Mail bekommen. Im Unternehmen hat es wohl auch schon die Runde gemacht.“

Das erklärte die merkwürdigen Blicke der anderen Angestellten. Dani war so beschämt, dass sie sogar ihren Ärger vergaß. Die Mitarbeiterin der Zeitarbeitsfirma hielt den kurzen Videoclip nicht an, sondern saß einfach da und wartete ab.

Dani dagegen blickte wie gebannt auf den Bildschirm. Waren Alex und sie wirklich so leidenschaftlich gewesen? Hatte sie sich so voller Sehnsucht an ihn geschmiegt?

Du wirst nicht weinen, ermahnte sie sich innerlich. Das hatte sie seit Jahren nicht getan und würde es auch jetzt nicht – zumindest nicht, bis sie allein wäre.

„Dieser Vorfall ist allerdings nicht der Grund, warum wir keinen anderen Einsatzort für Sie haben“, sagte die Frau, als der kurze Film zu Ende war. „Es liegt daran, dass wir keinen Nachweis für Ihren Schulabschluss haben.“

Schulabschluss? dachte Dani verwirrt. Der war doch völlig unwichtig! Schließlich hatte sie einen Sicherheitsnachweis von der Bank in Australien, bei der sie die letzten drei Jahre gearbeitet hatte. Das war doch sicher viel wichtiger als ein Abschlusszeugnis von der Schule!

„Ich kann die Schule gerne anrufen, damit sie Ihnen die notwendigen Unterlagen schickt“, bot sie an.

„Nicht nötig, wir kümmern uns selbst darum.“ Die Frau lächelte kühl. „Allerdings können wir Sie nicht wieder vermitteln, bis die Sache geklärt ist.“

Jetzt endlich verstand Dani: Die Zeitarbeitsfirma versuchte gar nicht, die „Sache“ zu klären. In Wirklichkeit ging es einzig und allein um die Videoaufnahmen von dem Vorfall im Fahrstuhl. Dani wurde so wütend, dass sie ihre Verlegenheit vergaß.

„Sie können sich natürlich bei anderen Zeitarbeitsfirmen vorstellen. Allerdings kann es sein, dass sie dort dasselbe Problem haben werden.“

Ja, dachte Dani, als sie wieder auf den Bildschirm blickte und sah, wie oft das Video schon aufgerufen worden war. Ihr blieb nichts übrig als ein würdevoller Abgang. Sie musste erst in Ruhe nachdenken und sich eine Strategie zurechtlegen. Also stand sie auf und rang sich ein Lächeln ab. „Danke, dass Sie mich informiert haben. Bitte melden Sie sich, wenn Sie die notwendigen Nachweise erhalten haben. Ich möchte sobald wie möglich weiterarbeiten.“

„Selbstverständlich“, sagte die Frau, obwohl sie ebenso gut wie Dani wusste, dass dies niemals geschehen würde.

Nachdem Dani sich das Gehalt für die vergangenen Tage abgeholt hatte, ging sie ins nächste Café und bestellte sich den größten, schwärzesten Kaffee, den es gab. Verzweifelt schloss sie die Augen, denn ihr Geld würde nicht einmal mehr für eine Woche reichen. Dabei hatte sie doch vorgehabt, während ihrer Suche zu arbeiten, damit sie nicht noch länger warten musste. Aber sie brauchte Geld, um sich Essen zu kaufen und ihre Unterkunft zu bezahlen. Wie um alles in der Welt sollte sie Eli jetzt finden? Wie sollte sie das Versprechen halten, das sie ihrer Mutter gegeben hatte?

Ihre Mum hatte dieses Geheimnis wenige Tage vor ihrem Tod mit ihr geteilt und dann eine allerletzte Bitte geäußert. Es war das Einzige, was Dani jetzt noch für sie tun konnte. Mehr als alles andere wünschte sie sich, ihrer Mutter diesen letzten Wunsch erfüllen zu können.

Sie rief bei einer zweiten Zeitarbeitsfirma an, dann bei einer dritten. Doch sobald sie ihren Namen genannt hatte, bekam sie eine Absage. Musste sie etwa in eine andere Stadt umziehen, um sich dort Arbeit zu suchen? Nein, dachte Dani, ich habe ja nicht einmal genug Geld für die Fahrt. Außerdem gab es in Auckland die besten Jobs im Finanzbereich.

Was ist eigentlich mit Alex Carlisle und seinem Fehlverhalten? dachte Dani aufgebracht. Er hatte seinen Job bestimmt nicht verloren, und dank ihrer Entlassung hatte er jetzt auch wieder ein entspanntes Arbeitsumfeld, in dem ihn nichts mehr an den peinlichen Vorfall erinnerte.

„Alex Carlisle, du schuldest mir etwas“, sagte Dani wütend. Und er würde die Verantwortung für das übernehmen müssen, was er getan hatte.

Alex rief seine Assistentin in sein Büro. „Kelly, es geht um die Aushilfskraft, die letzte Woche noch am Huntsman-Projekt gearbeitet hat …“

Er unterbrach sich, denn die stets absolut professionelle Kelly war fast unmerklich errötet. Doch sie zog die Augenbrauen hoch, als hätte sie keine Ahnung, wovon er sprach.

„Eine junge Frau, klein, brünett, mit halblangen Haaren.“ Es war Alex sehr unangenehm, dass er nicht einmal wusste, wie die Frau aus dem Fahrstuhl hieß. „Du hast den Videoclip doch sicher gesehen, oder?“, fragte er und spürte, wie nun seine Wangen Farbe annahmen.

Kelly nickte. „Die Frau arbeitet nicht mehr hier.“

„Und warum nicht? Das Projekt ist doch erst in mehreren Monaten abgeschlossen!“

Alex brachte es nicht fertig, seiner Assistentin in die Augen zu sehen. Nie zuvor war ihm so etwas passiert. Im Privatleben hatte er viele Frauenbekanntschaften, aber bei der Arbeit war das etwas anderes. Und Kelly hatte schon für Samuel gearbeitet und davor für dessen Vater, sodass sie die Firma in- und auswendig kannte. Alex wusste noch, wie er als Kind einmal auf Samuel gewartet und sie ihm Papier gegeben hatte, damit er beschäftigt war. Alex hatte Papierflieger daraus gebastelt und damit auf Mitarbeiter gezielt. Kelly hatte ihn sehr strafend angesehen – ganz ähnlich wie jetzt.

„Ich weiß“, sagte sie jetzt ruhig. „Aber wir haben eine neue Aushilfskraft.“

Ihr vorwurfsvoller Blick gefiel Alex nicht. „Sage bitte Jo Bescheid, dass ich mit ihr reden möchte.“

Innerhalb einer Minute stand die Personalleiterin vor ihm.

„Wo ist die Zeitarbeiterin, die letzte Woche mit dem Huntsman-Projekt beschäftigt war?“

„Ihre Dienste wurden hier nicht mehr benötigt“, erwiderte Jo unbehaglich.

„Ach nein? Und warum wurde dann Ersatz für sie eingestellt?“

Gleich nach seiner Rückkehr war Alex, begleitet von wissenden Blicken, ins Großraumbüro geeilt. Doch zu seiner Enttäuschung hatte er dort eine ihm unbekannte Blondine entdeckt und nicht die zierliche Brünette, an die er seit Tagen ununterbrochen denken musste.

„In wessen Auftrag haben Sie die andere entlassen? Und warum, wenn ich fragen darf?“

Jo schien sich immer unbehaglicher zu fühlen. „Die Zeitarbeitsfirma hat sie abberufen, weil der Nachweis für ihren Schulabschluss fehlte.“

Alex spürte, wie er immer wütender wurde. „Dann arbeitet sie also nicht mehr für die Firma?“

„Nein, ich glaube nicht.“

Er musste tief einatmen, um sich zu beruhigen. „Schulabschluss?“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Aber wir hatten doch Nachweise für ihre Bankausbildung?“

„Ja.“

Mit anderen Worten: Das Ganze war nur ein Vorwand gewesen, um sie loszuwerden.

„Hiermit hat es also nicht zufällig etwas zu tun?“ Alex drehte den Bildschirm herum, sodass die Personalleiterin das Standbild der Videoaufzeichnungen aus dem Fahrstuhl sehen konnte. Sofort lief sie tiefrot an.

Alex lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme, sodass man seine zu Fäusten geballten Hände nicht sehen konnte. „Ich nehme an, inzwischen haben alle im Unternehmen diese Aufnahmen gesehen. Und Sie wollen mir erzählen, die Frau sei entlassen worden, weil der Nachweis ihres Schulabschlusses fehlt?“

„Wir sind abgesichert, Alex“, versicherte Jo. „Die Agentur hat das Arbeitsverhältnis beendet. Es hatte nichts mit … mit diesem Vorfall zu tun.“

Fassungslos sah Alex sie an. Die junge Frau hatte ihre Arbeit verloren und keinerlei Schuld daran.

„Hat sie denn eine neue Stelle?“

„Das weiß ich nicht.“

„Dann sollten Sie schleunigst bei der Zeitarbeitsfirma anrufen und das herausfinden“, erwiderte Alex kühl, denn er wusste, wie angespannt der Arbeitsmarkt momentan war.

In diesem Moment kam Kelly herein und schloss schnell die Tür hinter sich. „Entschuldige bitte, Alex. Ich weiß, dass du nicht gestört werden möchtest. Aber die ehemalige Aushilfe will unbedingt mit dir sprechen.“

Alex war wie erstarrt. „Sie ist hier?“

Kelly nickte.

Heftiges Verlangen ließ ihn innerlich erbeben. „Raus!“, herrschte er Jo an, die sofort die Flucht ergriff. Dann wandte Alex sich an die Frau, die alles wusste, was in diesem Gebäude vor sich ging.

„Wie heißt sie, Kelly?“, fragte er fast flehend.

Kelly betrachtete ihn mit ungerührter Miene durch ihre Lesebrille. „Das solltest du inzwischen wirklich wissen“, sagte sie nur, wandte sich um und ging hinaus.

Dani saß auf dem Stuhl, der dem Ausgang am nächsten war. Ich hatte nicht herkommen sollen, dachte sie, denn sie war so aufgebracht und aufgelöst, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen könnte. Als die Personalleiterin – diese widerwärtige Person – vorbeiging, ohne Notiz von ihr zu nehmen, reichte es Dani. Wie war sie überhaupt auf die absurde Idee gekommen, hier aufzutauchen? Ach ja: aus Verzweiflung …

Plötzlich stand die Assistentin vor ihr. „Mr. Carlisle wird Sie jetzt empfangen.“

Dani schluckte und versuchte, sich ein wenig zu beruhigen, doch als sie sein Arbeitszimmer betrat, passierte genau dasselbe wie in der ganzen vergangenen Wochen: Eine riesige Hand schien ihr Herz fast zu zerdrücken, und weiter unten in ihrem Körper wurde ihr plötzlich sehr heiß.

Alex Carlisle trug einen eleganten Anzug und sah einfach unglaublich gut aus. Ich bin genauso schlimm wie die ganzen anderen Frauen, die sich ihm praktisch vor die Füße werfen, dachte Dani: atemlos und völlig aus dem Häuschen. Sie versuchte, ihre Empfindungen zu unterdrücken und klar zu denken.

Dann hörte sie, wie die Tür hinter der Assistentin ins Schloss fiel. Nun war sie also allein mit ihm.

„Ich heiße …“, begann er.

„Ich weiß, wer sie sind“, unterbrach Dani ihn.

Ihre Blicke begegneten sich. Und trotz Alex’ ausdrucksloser Miene wusste sie, dass auch er jetzt an das dachte, was nach diesen Worten bei ihrer letzten Begegnung geschehen war. Damals hatte sein bitterer Gesichtsausdruck Dani erstaunt. Sie hatte lange über mögliche Gründe nachgedacht.

„Bitte setzen Sie sich doch“, forderte Alex sie höflich auf und verwendete dabei wieder die förmliche Anredeform.

Irgendwie gelang es Dani, zu den Stühlen zu gehen und sich zu setzen. Von den Sätzen, die sie sich auf dem Weg hierher zurechtgelegt hatte, brachte sie jedoch keinen einzigen heraus. Sie fühlte sich wie ein in Ehrfurcht erstarrter Teenager, der seinem angebeteten Idol gegenüberstand. Aber dann sah sie es.

Und sofort war ihr ganzer heißer Zorn wieder da. „Sind Sie stolz auf Ihr nettes kleines Video?“, fragte sie aufgebracht und wies mit dem Kinn auf den Computerbildschirm.

Dort war als Standbild zu sehen, wie sie ihre Beine um ihn geschlungen hatte und sie einander leidenschaftlich küssten. Vermutlich hatte er sich gerade mit seiner Assistentin darüber amüsiert. Dani wurde so wütend, dass sie sich nicht mehr beherrschen konnte.

„Warum sehen Sie sich das an? Und wie ist es überhaupt dazu gekommen?“

„Zu dem Kuss oder zu dem Video?“ Alex setzte sich neben sie und lächelte leicht.

Aber Dani war nicht zum Scherzen aufgelegt. „Zum Video“, erwiderte sie kurz angebunden.

„In den Fahrstühlen sind zur Sicherheit Überwachungskameras installiert. Offenbar hat uns jemand auf dem Band gesehen und aus den Aufnahmen einen kleinen Film gemacht“, antwortete Alex.

„Und diesen dann gleich an die gesamte Belegschaft geschickt“, ergänzte Dani bitter. „Stammt dieser miese Scherz von Ihnen?“

„Natürlich nicht! Ich leite ein großes Finanzunternehmen und habe Besseres zu tun, als mir solche Späßchen auszudenken.“

Alex sah sie eine Minute lang prüfend an. Dani erwiderte seinen Blick und hob das Kinn, fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

„Wo sind Sie eigentlich die letzten Tage gewesen?“

„Im Ausland.“

„Wie praktisch!“, stellte Dani ironisch fest. „Sie waren also gar nicht hier, als die unbequeme Aushilfe gefeuert wurde, die nun in der ganzen Stadt keine andere Stelle finden kann!“

„Was soll ich Ihrer Ansicht nach denn tun?“

„Mir meine Stelle wiedergeben!“, rief Dani.

„Das geht nicht.“ Alex schüttelte den Kopf. „Sie können doch nicht wieder zwischen all den Leuten arbeiten, die gesehen haben, wie ich Sie geküsst habe!“

Das Wort „geküsst“ schien über Danis Haut zu streichen und ihre Sinne zu wecken. Unruhig rutschte sie ein wenig auf ihrem Stuhl zur Seite. „Es war doch nur ein Kuss, Mr. Carlisle. Ein kurzer Moment, der nichts zu bedeuten hatte.“ Sie brauchte diese Stelle einfach!

„Nein, Sie können unmöglich wieder hier arbeiten.“

„Aber ich brauche diesen Job!“, sagte Dani, der Verzweiflung nah. „Und wegen dieses Videos finde ich auch keine andere Stelle! Die Zeitarbeitsfirmen hier in Auckland kennen sich alle untereinander. Und, wer hätte das gedacht – manchmal schicken sie sich auch E-Mails!“ Dani atmete tief ein. „Durch diesen einen dummen Kuss habe ich alles verloren. Sie sitzen in ihrem schönen Büro, während mein Leben in Trümmern liegt!“ Sie stand auf. „Das ist einfach nicht fair! Ich suche mir jetzt einen Anwalt! Dann werden wir ja sehen, ob Sie zu dem auch ‚das geht nicht‘ sagen können!“

Dani marschierte in Richtung Tür. Sie hatte zwar keine Ahnung, wo sie einen Anwalt auftreiben und wie sie ihn überhaupt bezahlen sollte. Aber das würde sie schon noch herausbekommen!

Doch als sie die Tür aufriss, wurde diese sofort wieder zugeschlagen. Alex hielt sie mit seiner großen Hand ziemlich weit über ihrem Kopf zu.

„Sie werden nicht einfach verschwinden, ohne dass ich die Gelegenheit hatte, zu antworten.“

„Oh doch!“ Dani zog mit aller Kraft an der Tür, die sich jedoch keinen Millimeter weit rührte.

„Wir tun jetzt Folgendes: Wir reden miteinander, verhandeln – und Sie werden nicht verschwinden, bis ich mir eine Alternative überlegt habe.“

Dani drehte sich um und wollte Alex einen finsteren Blick zuwerfen. Dabei stellte sie fest, dass er ihr viel zu nahe war – so nahe, dass sie nur seinen Körper sah: seinen breiten, muskulösen Oberkörper unter dem blendend weißen Hemd. Sie spürte seine Körperwärme und war sehr versucht, sich ihm noch mehr zu nähern. Doch das wäre ein furchtbarer Fehler.

„Was für eine Alternative?“, fragte sie und fühlte, wir ihr Alex’ Nähe zu Kopfe stieg. Als sie den Kopf hob, wurde es noch schlimmer, denn seine tiefgrünen Augen waren geradezu hypnotisierend.

„Setzen Sie sich wieder hin, damit ich es erklären kann. Wenn Sie möchten, bitte ich die Personalleiterin dazu.“

Abrupt und unsanft kam Dani wieder in der Realität an. „Das ist nicht nötig“, versicherte sie.

Um Alex’ Mund zuckte es. „Dann meine Assistentin?“

Auf die Anwesenheit der an eine Gouvernante erinnernden Matrone konnte Dani auch gut verzichten. „Nein. Sollten Sie es wagen, mich zu berühren, werde ich einfach laut schreien.“

Als sich ein unverschämtes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, erklärte sie schnell: „Natürlich vor Entsetzen!“

„Aber sicher“, erwiderte Alex mit nachsichtigem Blick. „Vor Empörung natürlich und nicht aus Ekstase.“

Bevor die aufgebrachte Dani etwas erwidern konnte, hob er die Hände mit den Handflächen nach vorn, als wolle er sie bitten, nicht zu schießen. Dazu noch sein freches Lächeln – er war einfach unwiderstehlich.

Dani ertappte sich dabei, wie sie sehnsüchtig den Blick über diesen atemberaubenden Mann gleiten ließ. Sie gab sich einen Ruck und versuchte noch einmal, die Tür zu öffnen. Doch Alex hatte den Fuß davorgestellt.

„Ich war wirklich im Ausland“, sagte er jetzt. „An dem Nachmittag, als wir uns im Fahrstuhl begegnet sind, bin ich aufgebrochen. Nach meiner Rückkehr wollte ich dann mit Ihnen sprechen.“

Als er die Hand auf seine Hüfte sinken ließ, betrachtete Dani wie gebannt seine schlanken Finger.

„Von dem Video habe ich erst heute Vormittag erfahren und von Ihrer Entlassung vor zwei Minuten.“

Dani ging einen Schritt zur Seite, damit sie aus sicherer Entfernung sein Gesicht betrachten konnte. „Sie wussten gar nichts davon?“

„Nein. Die Aufnahmen stammen ja von einer der Überwachsungskameras in den Fahrstühlen. Ich weiß nicht, wer den kleinen ‚Film‘ verbreitet hat. Aber sobald ich es herausfinde, wird derjenige sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen müssen.“

In seinen Augen funkelte es aufgebracht. Dani wünschte sich, dass dies so blieb und er die Auswirkungen verstand, die diese Sache auf ihr Leben hatte.

„Das Video ist schon mehrere Hundert Mal angeklickt worden und wurde auch an meine Zeitarbeitsfirma geschickt“, sagte sie eindringlich. „Die Stelle hier habe ich aber angeblich verloren, weil irgendwelche Nachweise in meiner Akte fehlen.“ Kopfschüttelnd ging sie zur Zimmermitte. Je mehr Abstand sie zu Alex hatte, umso besser konnte sie denken.

„Ich weiß.“

„Und was werden Sie jetzt unternehmen?“ Dani war hergekommen, weil sie Hilfe brauchte und niemand anders hatte, an den sie sich wenden konnte. Es war ihr nicht leichtgefallen.

„Das weiß ich noch nicht.“

Als Dani sich umwandte, sah sie wieder das freche Lächeln auf Alex’ Gesicht. Fand er die ganze Sache etwa witzig? Wütend marschierte sie auf ihn zu.

„Ihretwegen habe ich keine Arbeit mehr und auch nicht die geringste Chance, eine neue Stelle zu finden! Ihretwegen bin ich völlig pleite!“, rief sie. „Ich bin in einem fremden Land, wo ich niemanden kenne. Dann bin ich plötzlich auch noch die Hauptdarstellerin in einem Erotik-Clip – und Sie finden das Ganze lustig!“ Wütend sah sie ihn an.

Sofort war Alex’ Lächeln verschwunden. „Nein, das tue ich nicht. Es war schließlich kein Witz.“ Er sah sie eine Weile eindringlich an.

Angespanntes Schweigen breitete sich aus, und Dani merkte, dass auch sein ganzer Körper sich anspannte. Sie konnte seine Energie förmlich spüren.

Eine innere Stimme sagte ihr, sie solle sofort die Flucht ergreifen, doch sie unterdrückte diesen Impuls sofort. Dani schien Alex mit ihrem ganzen Körper wahrzunehmen. Als sein Blick zu ihrem Mund glitt, war es, als würde er sie berühren. Er dachte an das, was im Aufzug passiert war – ebenso wie sie. Plötzlich war die Luft zwischen ihnen wie aufgeladen, und Danis mühsam aufrechterhaltene Beherrschung schwand langsam dahin. Doch sie würde nicht zulassen, dass diese unwiderstehliche Anziehung ihr Leben noch weiter zerstörte. Den letzten Rest Glaubwürdigkeit, den sie noch besaß, wollte sie sich nicht nehmen lassen, indem sie ein weiteres Mal schwach wurde.

Dani nahm all ihre Kraft zusammen und ging einige Schritte in Richtung Tür.

„Finden Sie wirklich keine andere Stelle?“ Alex’ Stimme klang merkwürdig heiser.

„Glauben Sie im Ernst, ich wäre sonst hier?“

Er zog die Augenbrauen zusammen, ging zum Fenster und sah nach draußen.

„Vielleicht hätte ich eine Stelle für Sie. Aber nicht hier im Unternehmen.“

Als er sich umwandte, war seine Miene absolut ausdruckslos. „Und jetzt schlage ich vor, dass wir uns an einem anderen Ort weiter unterhalten, wo wir entspannt miteinander reden können.“

3. KAPITEL

Dani hielt einen Meter Abstand zu Alex, als dieser an seiner Assistentin vorbeiging.

„Bitte sagen Sie meinen letzten Termin heute ab, und nehmen Sie Nachrichten für mich entgegen, Kelly. Ich komme heute Nachmittag nicht mehr ins Büro.“

„Wo wohnen Sie?“, fragte er, als sie die Treppen hinuntergingen.

Dani nannte ihm den Namen des Hostels.

„Sie kennen sich in Auckland wohl nicht aus“, sagte Alex stirnrunzelnd. „Das ist keine sehr gute Gegend.“

Aber billig, dachte Dani.

Auf dem Parkdeck angekommen, schloss Alex seinen Wagen auf, der genau zu seinem Besitzer passte: elegant, attraktiv und mit einer Aura von Stärke und Autorität.

Dani nahm auf dem Beifahrersitz Platz, und innerhalb weniger Sekunden hatten sie das Gebäude verlassen und fuhren nun durchs Stadtzentrum. Alex hatte die Musik ausgeschaltet. Wie sollte Dani da nicht an ihre aussichtslose Lage denken? Das trübe, regnerische Wetter drückte ihre Stimmung noch mehr.

„Ähm …“, sagte er nach einer Weile und trommelte unruhig mit den Fingern aufs Lenkrad. „Ich … Wie heißen Sie eigentlich?“

„Wie bitte?“, fragte Dani verblüfft.

„Ich weiß nicht, wie Sie heißen.“ Alex hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. „Wir … wir haben uns einander ja nicht richtig vorgestellt“, fügte er hinzu und errötete ein wenig. „Außerdem habe ich ziemlich viele Mitarbeiter.“

„Verstehe. Ich war ja auch nur eine Aushilfe“, ergänzte Dani ironisch. Dennoch hatte Alex sie geküsst – und zwar ziemlich ausgiebig. Oder tat er das mit allen Mitarbeiterinnen? Gekränkt und voller Wut, wäre sie am liebsten sofort ausgestiegen. Dani war zu Alex gegangen, weil sie niemand anders hatte, den sie um Hilfe hätte bitten können. Ihre Hoffnung, er würde auf irgendeine Art Verantwortung übernehmen, hatte sie hinter ihrer Wut versteckt – ebenso wie die winzige Hoffnung, er habe sie vielleicht ein ganz kleines bisschen gemocht …

Ganz schön dumm von mir, dachte Dani jetzt. Denn offenbar hatten ihm die Küsse nicht das Geringste bedeutet, sonst hätte er ihren Namen inzwischen sicher in Erfahrung gebracht. Er hätte ja nur seine Assistentin zu fragen brauchen! Und während das Video ihr Leben zerstört hatte, bescherte es ihm den Ruf des heiß begehrten Casanovas.

„Ich habe es mir anders überlegt, Mr. Carlisle“, sagte Dani. „Ich möchte den tollen Job gar nicht, den Sie mir anbieten wollten.“

„Aber …“, begann er, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Ich meine es ernst. Lassen Sie mich bitte an der nächsten Ecke raus.“

Als die Zentralverriegelung klickte, warf Dani ihm einen wütenden Blick zu.

„Ich werde Sie zu dem Hostel fahren.“ Alex wirkte aufgebracht, dabei hatte er doch sie gekränkt!

Sobald er den Wagen angehalten und die Türen entriegelt hatte, stieg Dani aus. Angespannt stellte sie fest, dass er ebenfalls ausstieg. „Sie brauchen mich nicht zur Tür zu bringen.“

„Das ist doch das Mindeste, was ich tun kann“, erwiderte Alex und betrachtete missbilligend das Hostel.

Dani stapfte vor ihm die Stufen hinauf und wünschte, er würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen und einfach wegfahren. Aber er folgte ihr.

„Entschuldigung“, rief die Frau an der Rezeption. „Danielle Russo?“

Dani ging zum Empfangstresen und erreichte ihn gleichzeitig mit Alex. Jetzt wusste er immerhin, wie sie hieß.

„Wir möchten Sie bitten, für diese Woche zu bezahlen. Das hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun. Wir hatten nur in letzter Zeit öfter das Problem, dass Kreditkarten nicht funktionierten oder Gäste einfach abgereist sind, ohne zu bezahlen. Von ihnen scheinen wir keine Kreditkartennummer zu haben.“

Das lag daran, dass Dani unangenehme Erfahrungen mit Kreditkartenmissbrauch gemacht hatte. „Ich habe bar bezahlt“, sagte sie kaum hörbar.

„Gut. Wollen wir die Sache dann gleich regeln?“

Daniel schluckte. „Ich … ich habe schon für die letzte Woche bezahlt.“

„Ich weiß.“ Die Frau lächelte entschuldigend. „Wir möchten jetzt das Geld für diese Woche.“

Unbewegt stand Alex daneben und bekam jedes Wort dieses demütigenden Gesprächs mit. Noch schlimmer konnte der Tag jetzt wirklich nicht mehr werden …

„Also, ich … ich muss mein Gehalt abwarten, bevor ich für diese Woche bezahlen kann.“

„Ach so. Dann bezahlen Sie doch jetzt erst einmal für die bisherigen Tage und den Rest dann morgen“, schlug die Frau freundlich vor.

„Ist gut, danke.“ In Wirklichkeit würde Dani natürlich am nächsten Tag kein Gehalt bekommen. Sie hatte nur das Geld für die vergangenen zwei Tage, das sie von der Zeitarbeitsfirma bekommen hatte. Mit brennendem Gesicht gab sie der Mitarbeiterin des Hostels fast ihr ganzes letztes Geld. Was für ein Albtraum!

Als sie sich umwandte, bemerkte sie, dass Alex sie ernst und aufmerksam ansah. Wieder flammte eine innere Wut auf. Würde er jetzt seine dicke Brieftasche herausziehen und ihr ein Bündel Dollarscheine überreichen? Das Schlimme war: Sosehr es Dani auch in ihrem Stolz traf, sie würde es nicht ablehnen können.

Warum konnte er nicht endlich verschwinden? Sie blinzelte heftig, als ihr Tränen in die Augen traten. Auf keinen Fall durfte sie jetzt emotional werden, das machte sie viel zu verletzlich.

„Danke, dass Sie mich hergefahren haben“, sagte sie. „Es tut mir leid, dass ich Sie bei der Arbeit belästigt habe. Vergessen wir das Ganze doch einfach.“

Alex sah, wie sie mit hoch erhobenem Kopf wegging – oder besser gesagt, wegrannte. Nach kurzem Zögern folgte er ihr. Er konnte sie in dieser misslichen Lage doch nicht einfach sich selbst überlassen! Entgeistert blickte er sich in dem Schlafraum um: Du meine Güte, was für eine Absteige!

„Was wollen Sie hier?“

Dani stand neben einem Etagenbett und ballte die zitternden Hände zu Fäusten. Offenbar wollte sie nicht, dass er sie so aufgelöst sah.

Alex ließ den Blick durch den schäbigen Raum gleiten, damit sie Zeit hatte, sich ein wenig zu sammeln. Dabei entdeckte er Danis Tasche, aus der ein verführerisch aussehender BH hervorlugte.

Als er sich wieder zu ihr umwandte, sah Dani ihn an, als hätte sie ihn am liebsten zum Teufel gejagt.

Verdammt. Sie wohnte in einem finsteren Stadtteil in einer heruntergekommenen Absteige, aus der sie zu allem Übel auch noch hinausgeworfen würde. Alex fühlte sich schrecklich – und er fand, dass er verantwortlich war. Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte er. In seinem Leben gab es gerade schon genug Chaos, mit dem er sich beschäftigen musste.

„Danielle.“ Als sie die Augen zusammenkniff, zuckte er nur die Schultern. Es war doch ein schöner Name, und Alex wünschte, er hätte ihn früher gekannt. „Packen Sie Ihre Sachen zusammen. Hier können Sie nicht bleiben.“

„Oh doch“, entgegnete sie eigensinnig. „Es tut mir leid, dass ich Sie heute gestört habe. Ich habe neulich einen Fehler begangen, und ich werde mit den Konsequenzen zurechtkommen.“

„Aber ich nicht.“ Er kam einen Schritt näher. „Also packen Sie zusammen, dann suchen wir Ihnen eine andere Unterkunft.“

„Und wo?“

Tja … Sollte Alex sie in einem Hotel unterbringen? Und für wie lange? Denk nach, befahl er sich. Doch das fiel ihm schwer, denn er sah noch immer den spitzenbesetzten BH vor sich. Wie Danielle wohl darin aussah?

„Irgendwo anders.“

„Das kann ich mir nicht leisten.“

Warum habe ich ihr vorhin im Büro nicht einfach einen Scheck ausgestellt? überlegte Alex und gab sich selbst die Antwort: weil er immer alles zu Ende brachte. Und das bedeutete in diesem Fall: Er musste sicherstellen, dass Dani wieder auf die Beine kam. Eine andere Stelle konnte sie nicht bekommen, weil es keine gab. Alex’ Personalabteilung hatte für die einzige feste Stelle, die zu vergeben war, über hundert Bewerbungen bekommen. Dass Dani eingestellt worden war, bedeutete, dass sie ausgezeichnete Referenzen und Fähigkeiten hatte. Wegen dieses privaten Vorfalls zwischen ihnen hatte sie ihren Job wieder verloren, also war Alex ihr etwas schuldig.

Aber es gab noch einen anderen, wichtigeren Grund, warum er ihr helfen musste: die Verletzlichkeit und die Angst, die ihre Augen im Fahrstuhl ausgedrückt hatten. Auch an der Rezeption des Hostels hatte Alex es wieder gesehen. Dani war allein und ganz auf sich gestellt.

Nun meldete sich sein männlicher Beschützerinstinkt zu Wort. „Haben Sie Freunde in Auckland?“

Die Antwort war so offensichtlich, dass Dani sich gar nicht die Mühe machte, etwas zu erwidern.

„Kennen Sie irgendjemanden hier?“

Trotzig hob Dani das Kinn. „Ich bin vor zwei Wochen in Neuseeland angekommen und habe sofort angefangen zu arbeiten. Leider hatte ich bisher keine Zeit, Freundschaften zu schließen.“

Warum ist sie überhaupt hergekommen? überlegte Alex und beschloss, dieser Frage später nachzugehen. Jetzt kam es erst einmal darauf an, sie von hier wegzubringen – in Sicherheit.

„Gehen wir“, sagte er.

„Nein, ich werde nicht mit Ihnen mitkommen.“

Dani wirkte fest entschlossen. Er würde sie wohl aus dem Schlafraum tragen müssen. Und er war durchaus dazu aufgelegt, das zu tun.

Doch Alex unterdrückte diesen Impuls und sagte lächelnd: „Danielle, Sie wissen doch selbst, dass Sie keine Wahl haben. Sie haben weder Geld noch Freunde, die Sie anrufen könnten. Und wenn Sie nicht in einer absoluten Zwangslage stecken würden, wären Sie doch niemals vorhin zu mir ins Unternehmen gekommen.“

Danis Augen wirkten plötzlich riesig. Als sie mehrfach blinzelte, fügte er sehr sanft hinzu: „Bitte packen Sie Ihre Sachen, damit ich Sie in ein anderes Hostel oder in ein Hotel bringen kann.“

Eine Weile sah es so aus, als wollte sie sich erneut weigern. Doch dann schluckte Dani, wandte sich um und nahm ihre Tasche vom Bett. Als er ihr helfen wollte, warf sie ihm nur einen kühlen Blick zu.

Fast hätte Alex gelächelt, doch er riss sich zusammen. Denn Dani musste ohnehin schon Unterstützung von ihm annehmen, obwohl ihr das sehr widerstrebte. Wieder ließ er den Blick schweifen und entdeckte eine kleine rote Kerze, die unter dem Bett stand. Er hob sie hoch und schnupperte daran: Sie roch einfach betörend.

„Gehört die Ihnen?“

Dani errötete. „Ja“, sagte sie kurz angebunden, nahm ihm die Kerze weg und schob sie in ihre Handtasche.

Hinter ihrer kühlen, defensiven Art versteckte sich also eine äußerst feminine Seite: Dani mochte hübsche Kerzen mit betörendem Duft – einem Duft, den Alex sich auch sehr gut in seinem Bett vorstellen konnte.

Nein, rief er sich sofort zur Vernunft, denn mit seinem verantwortungslosen Verhalten hatte er Dani schon genug Schwierigkeiten bereitet. Er fand sie zwar äußerst attraktiv, würde sich aber künftig dennoch von ihr fernhalten. Denn Alex konnte es sich derzeit nicht leisten, dass Verlangen seinen Verstand benebelte. Und genau das geschah, wann immer er in Danis Nähe war. Je eher er ihr Problem gelöst hatte, umso besser. Es gab größere Probleme, um die er sich kümmern musste.

Beim Blick auf die Uhr stellte er erstaunt fest, wie spät es war. Lorenzo wartete sicher schon. Alex beschloss, Dani einfach mit zu sich nach Hause zu nehmen und dann weiter zu überlegen.

Dani sah, wie die hohen Metalltore zur Seite glitten. Dann fuhr Alex den Wagen in die Garage. Als er seinen Sicherheitsgurt gelöst hatte, zog er die Augenbrauen hoch und sagte: „Hier sind Sie sicher.“

Ach ja? dachte Dani, als das schwere Garagentor zuging. Sie befand sich in einer Art Fort Knox, zusammen mit einem Mann, der sie vor Kurzem im Fahrstuhl fast vernascht hätte. Konnte man da wirklich von „sicher“ sprechen?

„Das ist kein Hotel“, stellte sie fest.

„Nein“, bestätigte Alex lächelnd.

„Wir sind bei Ihnen zu Hause.“

„Ja“, stimmte er ihr zu.

„Das halte ich für keine gute Idee.“

„Entspannen Sie sich“, sagte Alex und ging ihr voraus einige Stufen hinauf. „Ich möchte dieses Problem ebenso lösen wie Sie. Und hier können wir uns ungestört damit befassen.“

„Haben Sie überhaupt eine Stelle für mich?“

„Danielle …“

„Dani“, korrigierte sie ihn schroff, denn mit ihrem vollen Namen sprach sie schon seit Jahren niemand mehr an. Mit dem jungenhaften Namen „Dani“ hatte sie sich in ihrer Kindheit als kleiner Wildfang die Partner ihrer Mutter vom Hals zu halten versucht – bis in der Pubertät ihr Körper sie im Stich gelassen und Dani sich andere, drastischere Methoden hatte überlegen müssen.

„Dani“, wiederholte Alex und hörte auf zu lächeln.

Sofort bereute sie es, ihn korrigiert zu haben. Denn wenn Alex mit seiner typisch neuseeländischen Aussprache „Danielle“ sagte, klang das viel schöner. Dani spürte dann, wie ein leichter Schauer durch ihren ganzen Körper lief.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte jetzt eine fremde Stimme ziemlich trocken.

Am oberen Treppenabsatz stand ein großer Mann. Von wegen „ungestört“, dachte Dani.

„Noch nicht, aber bald“, erwiderte Alex und ging an dem Mann vorbei.

„Das will ich auch hoffen.“ Dani folgte ihm und versuchte, ihre aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. „Wer sind Sie?“

„Lorenzo“, antwortete er so knapp, wie sie gefragt hatte.

„Wohnen Sie hier?“, fragte Dani auf die herausfordernde Art, hinter der sie immer ihre Angst verbarg.

Die beiden Männer warfen sich einen Blick zu, dann sagte Lorenzo: „Gut, wir reden wohl lieber später miteinander.“

Er wollte gehen, doch Alex hielt ihn auf. „Nein, warte, ich möchte dir Dani vorstellen. Wenn Cara in den Mutterschutz geht, wird Dani für sie einspringen.“

Lorenzo schien etwas erwidern zu wollen, doch dann schloss er den Mund wieder.

„In Vollzeit natürlich, und sie fängt sofort an“, fügte Alex hinzu.

Misstrauisch blickte Dani zwischen den beiden Männern hin und her. Lorenzos Augen waren groß geworden, doch er sagte noch immer nichts.

„Sag Cara bitte Bescheid, damit sie Dani einarbeitet.“ Das war keine Frage, sondern eine Anweisung.

„Natürlich.“ Nun lächelte Lorenzo. „Und da Dani offensichtlich hier bei dir wohnen wird, kannst du sie ja morgen einfach ins Lager fahren.“

Jetzt wurden Alex’ Augen groß.

„Wir unterhalten uns dann morgen weiter“, fügte Lorenzo hinzu.

„Ja.“ Alex’ Gesicht wirkte völlig ausdruckslos.

Als Lorenzo erst Dani und dann wieder Alex ansah, wurde aus seinem Lächeln ein freches Grinsen.

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Dani. Dann also bis morgen.“

4. KAPITEL

Als die Tür hinter Lorenzo ins Schloss gefallen war, fragte Dani: „Was für eine Stelle ist das?“

„Sachbearbeitung für den Whistle Fund.“

Das war die Stiftung, die Alex mit seinem Unternehmen förderte. Er gehörte dem Stiftungsrat an.

„Lorenzo ist Geschäftsführer der Stiftung, die ihren Sitz in seinem Weinlager hat. Cara, die derzeit die Stelle innehat, ist schwanger und braucht Unterstützung.“

„Und es handelt sich um eine bezahlte Vollzeitstelle?“ Dani hatte bisher immer geglaubt, dass solche Tätigkeiten ehrenamtlich ausgeführt wurden – von den Ehefrauen reicher Unternehmer.

„Ja.“

Sie überlegte eine Weile und sagte dann: „Eigentlich habe ich mich bisher mehr mit Zahlen beschäftigt.“

„Das ist genau richtig, denn es geht ja im weiteren Sinne um die Verwaltung von Geld. Außerdem würden Sie Anrufe entgegennehmen, Anfragen bearbeiten und Informationsbroschüren verschicken, die Website auf dem neuesten Stand halten und so weiter. Bestimmt können Sie doch mit dem Telefon umgehen und nett mit anderen Leuten reden.“

Dani hatte als Kassiererin angefangen und mochte den direkten Umgang mit Kunden. Das lag ihr viel mehr als die etwas einsame Arbeit im Firmenkundengeschäft.

„Cara braucht wirklich Unterstützung“, fuhr Alex eindringlich fort. „Sie sind sehr gut und werden sich bestimmt schnell in die neue Aufgabe einfinden.“

„Woher wollen Sie wissen, dass ich gut bin? Sie wussten ja nicht einmal, wie ich heiße!“ Dani konnte nicht widerstehen und musste Alex bei all dieser Schmeichelei mal einen kleinen Seitenhieb verpassen.

„Ich weiß es, weil wir nur die Besten einstellen. Auch Aushilfskräfte müssen hoch qualifiziert sein und dem hohen Carlisle-Standard entsprechen.“

Carlisle-Standard? dachte Dani. Ob Alex auch im Bett einen gewissen Standard hatte? Wenn der mit seinem Standard beim Küssen vergleichbar war, dann wäre er nicht nur außergewöhnlich, sondern geradezu sensationell. Aber darüber sollte ich jetzt lieber nicht nachdenken, dachte sie und ging einen Schritt in Richtung Treppe.

„Wie wäre es, wenn Sie es einfach mal eine Woche lang ausprobieren?“, fuhr Alex unermüdlich fort, kam ihr einen Schritt nach und verkleinerte so den Abstand zwischen ihnen wieder.

Eigentlich hatte Dani gar keine Wahl. Abgesehen davon musste sie zugeben, dass die Stelle sie tatsächlich interessierte.

„Also gut“, gab sie nach und hoffte inständig, dass sie damit keinen furchtbaren Fehler beging. „Danke.“

Alex lächelte. „Gut. Und nachdem wir das geklärt hätten, lassen Sie uns zusammen etwas trinken.“

Er wandte sich um und ging Richtung Wohnzimmer, bevor Dani ablehnen konnte. Und wäre das nicht ohnehin sehr unhöflich gewesen, nachdem er ihr gerade eine Stelle gegeben hatte?

Außerdem war Alex’ Haus einfach wunderschön: eine alte Villa mit Holzfassade, die innen vollständig renoviert worden war. Hohe Decken und große Fenster machten die Räume hell, neutrale und dennoch warme Farbtöne schufen eine behagliche Atmosphäre. Über dem Kamin hing ein riesiges Gemälde, das Wohnzimmer war groß, und das Sofa wirkte äußerst gemütlich. Doch statt sich zu setzen, ging Dani zum Fenster und blickte nach draußen, wo die letzten Sonnenstrahlen die Wolken tieforange aufglühen ließen.

Dani kannte sich in Auckland nicht aus, hatte aber eher mit einem Blick auf Gebäude oder aufs Wasser gerechnet. Einen üppig grünen Garten, der fast an einen kleinen Wald erinnerte, hatte sie nicht erwartet.

„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

Dani drehte sich wieder um und kehrte dem kleinen Paradies den Rücken zu. „Nein, vielen Dank.“

Alex holte auch sich nichts zu trinken, sondern stand einfach weiter am Ende des ziemlich langen Couchtischs beim Sofa. „Setzen Sie sich doch, Dani.“

„Es ist mir nicht angenehm, hier zu sein.“

„Warum? Sie arbeiten doch gar nicht mehr für mich“, erwiderte Alex. „Von jetzt an ist Lorenzo Ihr Chef.“ Er strich sich durchs Haar und schloss einen Moment lang die Augen. „Es tut mir leid“, sagte er dann.

Für Reumütigkeit ist es eindeutig zu spät, dachte Dani und war fest entschlossen, nicht darauf einzugehen. „Vielleicht sollten Sie sich nächstes Mal bemühen, Ihre Hormone besser unter Kontrolle zu halten“, entgegnete sie kühl. „Was sollte das Ganze eigentlich? Ist das ein Spielchen von Ihnen – jeden Tag eine andere Zeitarbeiterin küssen?“

„Sie verstehen mich falsch.“ Eindringlich sah Alex sie an. „Es tut mir nicht leid, Sie geküsst zu haben. Das werde ich niemals bereuen.“

„Ach, hören Sie schon auf.“ Er war schon wieder viel zu charmant für Danis Geschmack. Und angesichts seiner humorvoll funkelnden Augen hätte sie ihm das am liebsten auch gesagt. Zutiefst verlegen stellte sie fest, dass ihre Wangen brannten und sie wohl wie ein völlig verwirrter Teenager wirken musste.

Alex’ Blick wurde noch durchdringender. „Mir tut leid, dass die gesamte Belegschaft das Video gesehen hat und jetzt alle darüber tratschen.“

„Das Getratsche ist mir völlig egal“, behauptete Dani. „Sollen die Leute doch denken, was sie wollen.“

Alex hob eine Augenbraue, doch er zog nicht infrage, was sie gesagt hatte. „Umso besser. Aber mir ist es nicht egal, und ich werde nicht zulassen, dass Sie oder ich wegen dieser Sache in die Schusslinie geraten. Es tut mir sehr leid, was Ihre Zeitarbeitsfirma getan hat. Und das möchte ich wieder in Ordnung bringen.“ Er seufzte und schob sich die Hände in die Hosentaschen. „Wo wohnt denn eigentlich Ihre Familie – in Australien?“

„Ich habe keine Familie“, antwortete Dani unverblümt. „Meine Eltern sind tot.“

„Das tut mir leid.“

Als sie Alex’ Gesichtsausdruck sah, bereute Dani sofort, ihm das erzählt zu haben. Sie wollte kein Mitleid, und noch weniger wollte sie sich erinnern. Wann immer sie an ihre Mutter dachte, schien etwas in ihrer Brust eiskalt zu brennen, sodass Dani die Erinnerung so schnell wie möglich wieder verdrängte. Ihr Vater dagegen hatte, was sie betraf, nie gelebt.

Sie zwang sich mit aller Macht, sich auf Alex zu konzentrieren und an das zu erinnern, was sie im Büro über ihn gehört hatte. „Ihr Vater ist letztes Jahr auch gestorben?“

Das eintretende Schweigen sagte ihr, dass sie einen Nerv getroffen hatte. Alex’ Miene wurde absolut undurchdringlich. „Sie scheinen sich ja bestens informiert zu haben.“

„Tja, Sie waren eben Thema Nummer eins am büroeigenen Wasserspender“, erklärte Dani bemüht flapsig, um die leicht befangene Stimmung ein wenig aufzulockern. „Ich musste nicht einmal nachfragen.“

Jetzt erschien wieder ein leichtes Lächeln auf Alex’ Gesicht. „Hätten Sie das denn getan? Wollten Sie etwas über mich erfahren?“

„Natürlich nicht. Diese Informationen wurden mir allesamt aufgedrängt!“

Bei seinem leisen Lachen hellte sich plötzlich alles auf – Danis Laune eingeschlossen. Sie erwiderte sein Lächeln sogar.

Das machte Alex sich sofort zunutze, indem er weiter argumentierte: „Ich bin ohnehin kaum hier, weil ich so viel reise. Da wäre es gut, wenn sich jemand um das Haus kümmert. Sie könnten doch einfach eine oder zwei Wochen bleiben, etwas Geld zusammensparen und sich dann eine eigene Unterkunft suchen. Das ist wirklich die einfachste Lösung. Außerdem würden wir uns so gut wie nie sehen.“

Dani dachte darüber nach. Warum genau machte sie sich eigentlich solche Sorgen? Lag es an der unglaublichen Anziehungskraft, die Alex auf sie ausübte? Die würde sie ja wohl unter Kontrolle bringen können, wenn er wirklich so viel verreist war. Außerdem machte Alex nicht den Anschein, als wolle er sich im nächsten Moment auf sie stürzen. Er hatte zwar gesagt, er würde den Kuss nicht bereuen – um einen weiteren hatte er allerdings auch nicht gebeten. Es war nicht gerade schmeichelhaft, doch offenbar wurde er in erster Linie von Verantwortungsgefühl angetrieben und nicht von unbändigem Verlangen. Dani würde nicht der Versuchung nachgeben, zu viel in sein charmantes Verhalten hineinzuinterpretieren.

Alex zog kaum wahrnehmbar die Augenbrauen hoch, als wüsste er, dass er gewonnen hatte. „Dann ist es also abgemacht.“ Er streckte ihr die Hand entgegen.

Dani betrachtete sie zögernd. Ich habe nichts zu verlieren und viel zu gewinnen, dachte sie. Denn mit Arbeit und einem Dach über dem Kopf könnte sie endlich Eli finden.

Wie bei dem Vorfall im Fahrstuhl warnte sie eine innere Stimme vor einer unbekannten sich nähernden Gefahr, doch Dani ignorierte sie. Sie nahm Alex’ Hand und sagte: „Danke.“

Als bei der Berührung eine Art Stromschlag ihren Arm durchzuckte und sich Alex’ Finger fester um ihre schlossen, wurde ihr etwas klar: Er selbst – seine überwältigende Anziehungskraft – war die Gefahr, vor der ihre innere Stimme sie vergeblich gewarnt hatte. Alex löste ganz neue Empfindungen in ihrem Körper aus.

„Möchten Sie es denn gar nicht wissen, Dani?“, fragte Alex mit leiser, sanfter Stimme.

„Was möchte ich wissen?“, entgegnete sie betont energisch.

„Was passiert wäre, wenn die Kamera uns nicht gefilmt hätte – was der nächste Schritt gewesen wäre …“

„Es hätte keinen nächsten Schritt gegeben. Es war nur ein kurzer Moment, der nichts zu bedeuten hatte, das habe ich Ihnen doch schon gesagt.“

„Sind Sie sich da ganz sicher?“ Alex hielt ihre Hand weiter fest und kam nun um den Couchtisch herum, der zwischen ihnen gestanden hatte. Ich glaube nämlich sehr wohl, dass es einen nächsten Schritt gegeben hätte, Dani. Und zwar einen durchaus angenehmen.“

Verdammt. Er spürte es also genauso. Aber Dani blieb standhaft. „Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss, aber ich werde nicht Ihre nächste Geliebte werden.“

„Nein?“ Seine Augen funkelten übermütig.

„Nein.“ Dani schenkte ihm ein reizendes Lächeln. „Ich werde Ihre Mitbewohnerin sein. Und in Bezug auf Mitbewohner gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Man geht nicht mit ihnen ins Bett.“

Alex lächelte widerstrebend, aber er lächelte. Dani nutzte die Gelegenheit, um ihm ihre Hand zu entziehen. Sie hatte gelogen: In Wirklichkeit wollte sie unbedingt wissen, was als Nächstes passiert wäre. Aber bestimmt konnte sie Alex dazu bringen, dass er es sich anders überlegen und sie so schnell wie möglich in ein Hotel verfrachten würde.

„Haben Sie eigentlich keine Angst, dass ich Ihnen in die Quere kommen könnte?“

„Wie das?“, wollte Alex wissen.

„Mit wem sind Sie letzten Freitag ausgegangen?“

„Mit niemandem.“ Er zuckte die Schultern. „Ich war in Sydney und habe gearbeitet.“

„Also gut“, erwiderte Dani stirnrunzelnd. „Und eine Woche davor?“

Sein Zögern sagte alles.

„Also mit einer Frau. Natürlich“, fuhr sie in ebenso schmeichelnder Stimme fort, wie er es getan hatte.

Alex nickte langsam.

„Und am Freitagabend davor? Mit einer anderen Frau, stimmt’s?“

Er sah ihr direkt ins Gesicht. „Stimmt.“

„Und Sie haben mit ihnen geschlafen“, stellte Dani sachlich fest, sehr bedacht darauf, ihn nicht zu verurteilen.

„Nein.“

Seine Antwort ließ sie einen Moment lang stutzen. „Aber Sie haben ihnen einen Abschiedskuss gegeben.“

„Ja.“

Dani wusste, wie es war, von ihm geküsst zu werden. „Aber ist es dann nicht ein bisschen schwierig für Sie, eine Frau mit nach Hause zu nehmen, solange ich hier wohne?“

Sie musste ihn unbedingt davon überzeugen, dass es viel besser wäre, sie in einem Hotel unterzubringen. Denn bei der Vorstellung, mit ihm zusammen in diesem Haus zu wohnen, wurde ihr schwindelig.

„Wissen Sie was? Sie haben völlig recht“, sagte Alex lächelnd. „Es wäre tatsächlich etwas merkwürdig, wenn ich Frauen mit nach Hause bringe, solange Sie meine Mitbewohnerin sind. Aber ich habe schon eine Lösung für dieses kleine Problem.“ Als er schwieg und näher kam, hätte Dani schwören können, dass seine Augen geradezu diabolisch funkelten.

„Ich werde ganz einfach mit Ihnen ausgehen!“

„Was?“

„Ich muss zu einigen Feiern gehen“, erläuterte Alex gelassen. „Wie Sie ganz richtig erkannt haben, schätze ich dabei weibliche Begleitung. Und es spricht nichts dagegen, dass Sie diese Aufgabe übernehmen.“

Als Dani etwas erwidern wollte, legte er ihr den Finger auf den Mund.

„Im Moment ist da ohnehin niemand anders.“ Alex sah sie mit seinen tiefgrünen Augen eindringlich an, während er ihr auf nicht gerade subtile Weise mitteilte, dass er zu haben war.

„Diese Woche, meinen Sie.“ Das will ich auch hoffen, dachte Dani. Denn sonst hätte er sie auch nicht so küssen dürfen!

Doch Alex ging nicht auf ihren Seitenhieb ein. „Sie können also, sagen wir, eine oder zwei Wochen hierbleiben und sich ein bisschen Geld zusammensparen“, fuhr er ungerührt fort. „Bis Sie selbst Ihre Unterkunft bezahlen können. Morgen Abend bin ich zu einem Essen eingeladen – sehr schick, Abendgarderobe. Sie mögen doch bestimmt ein bisschen Glamour?“

„Nein.“ Dani warf ihm einen finsteren Blick zu. So hatte sie sich den Verlauf des Gesprächs nicht vorgestellt. Der Kerl hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, meinen Namen in Erfahrung zu bringen, rief sie sich in Erinnerung.

„Tun das denn nicht alle Frauen?“

„Ich nicht.“

Alex lächelte. „Dann muss ich mir wohl Mühe geben und Sie umstimmen. Wohltätigkeitsbälle wie dieser können nämlich ziemlich viel Spaß machen.“

„Sagten Sie nicht eben, es sei eine Essenseinladung?“

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
Mehr erfahren
Annie West
Mehr erfahren
Natalie Anderson
Natalie Anderson nahm die endgültigen Korrekturen ihres ersten Buches ans Bett gefesselt im Krankenhaus vor. Direkt nach einem Notfall-Kaiserschnitt, bei dem gesunde Zwillinge das Licht der Welt erblickten, brachte ihr ihr Ehemann die E-Mail von ihrem Redakteur. Dem Verleger gefielen ihre früheren Korrekturen und da es gerade einen Mangel an...
Mehr erfahren