Julia präsentiert Crown & Glory Band 2

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WIEDERSEHEN IM SCHLOSS DER TRÄUME von CARA COLTER

Es war eine sinnliche Urlaubsromanze – bis ihr Geliebter spurlos verschwand. Jetzt bringt ein Job die schöne Jordan ins ferne Königreich Penwyck. Als sie im Schloss plötzlich ihrer Sommerliebe gegenübersteht, glaubt sie zu träumen: Ihr Flirt hat ihr verschwiegen, wer er ist … Kronprinz Owen!

MEIN RETTER - MEIN GELIEBTER? von PATRICIA THAYER

Wenn sie sich nur erinnern könnte! Prinzessin Anastasia hat einen Flugzeugabsturz knapp überlebt, aber ihr Gedächtnis verloren. Sie weiß nur, dass ihr Retter, der attraktive Jake, eine überwältigende Sehnsucht nach Nähe in ihr weckt. Doch was, wenn ihr Herz gar nicht frei für die Liebe ist?


DIE RÜCKKEHR DES GEHEIMEN PRINZEN von KAREN ROSE SMITH

Wo ist der verschwundene Thronerbe von Penwyck? Um das herauszufinden, fliegt die junge Amira, eine Vertraute der Königin, nach Chicago. Doch der Gesuchte bleibt unauffindbar – stattdessen wird Amira heiß von einem geheimnisvollen Fremden umworben …


  • Erscheinungstag 20.01.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525411
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

CARA COLTER, PATRICIA THAYER, KAREN ROSE SMITH

JULIA präsentiert Crown & Glory BAND 2

1. KAPITEL

Ein Schlüssel im Schloss, ein Riegel, der zurückglitt.

Auf dieses Geräusch hatte Owen gewartet.

Er spürte, wie sich seine Muskeln anspannten. Unwillkürlich hielt er den Atem an.

Die schwere Holztür quietschte in den Angeln. Er kauerte direkt dahinter, und als die Tür weiter aufschwang, achtete er auf den Lichtstrahl, der die Dunkelheit seiner Zelle durchschnitt.

Auf den kalten Steinboden fiel der Schatten eines Mannes, der sein Gewehr über die Schulter geworfen hatte. Der scharfe Winkel, in dem sein Ellbogen abstand, verriet Owen, dass er etwas in den Händen trug.

Genau, wie er gehofft hatte.

Der Schatten hielt inne. Doch bevor der Mann bemerken konnte, dass etwas nicht stimmte, sprang Owen hinter der Tür hervor und stürzte sich auf ihn. Der Mann hatte ein Tablett getragen, und nun ergossen sich heiße Suppe und ein Becher Kaffee über ihn. Überrascht schrie er auf – und dann noch einmal, diesmal vor Schmerz, als Owen ihn mit aller Kraft in den Schritt trat.

„Mit aller Kraft“ war mehr Kraft, als man einem verwöhnten Prinzen auf Anhieb zutraute. Er hatte sie sich über die Jahre durch Klettern, Reiten und Wandern erworben.

Zu laut, dachte Owen bedauernd und machte einen Schritt über den Mann, der sich wimmernd auf dem Boden zusammenrollte. Von dem Schrei alarmiert, kamen Owens restliche Entführer bereits den Gang entlang. Er konnte ihre Schritte hören.

Owen würde nicht entkommen, diesmal nicht. Aber einfach aufgeben würde er auch nicht. Einen Moment lang war er dankbar für seine Jugend und Stärke. Er ballte die Fäuste, holte tief Luft und griff nach dem eisernen Bein der Pritsche, die er den Tag über mühsam in ihre Einzelteile zerlegt hatte.

Furchtlos und gelassen wie die Ritter, die sich unter seinen Vorfahren befunden hatten, trat er seinen Angreifern entgegen. Er blinzelte einmal, während sich seine Augen an die Helle des Gangs gewöhnten.

Beinahe sofort waren drei weitere Männer bei ihm, schwarz gekleidet, die Gesichter verdeckt. Owen schwang die Eisenstange, legte alle Kraft in die Bewegung. Sie krachte in das Gesicht des ersten Angreifers, der zu Boden stürzte. Mit dem gleichen Schwung traf er auch noch den zweiten Mann am Kopf, der zurückscheute und sich ungläubig die blutige Stirn rieb, wo das scharfe Ende von Owens improvisierter Waffe einen blutigen Kratzer hinterlassen hatte.

Der dritte Angreifer hatte sich an den beiden anderen vorbeigedrängt und war nun hinter ihm. Ein sehniger, unangenehm starker Arm legte sich um Owens Hals. Er ließ die Metallstange fallen und versuchte erfolglos, den Arm, der ihm die Luftzufuhr abschnitt, zu lösen. Heftig schlug er mit dem Kopf nach hinten und erwischte das Gesicht des Mannes, der ihn festhielt. Die Kollision war hart, aber im Adrenalinrausch spürte Owen keinen Schmerz. Er hörte ein Grunzen, und der Griff, mit dem der Mann ihn hielt, lockerte sich ein wenig. Owen schmetterte den Kopf erneut gegen sein Gesicht und trat gleichzeitig kräftig nach vorn, dem zweiten Angreifer, der auf ihn zukam, in den Bauch.

Endlich löste sich der Griff um seinen Hals, doch der Triumph währte nur kurz. Eine weitere Welle schwarz gekleideter Männer ergoss sich aus einem Seitengang in seine Richtung.

Der Mann hinter ihm versuchte, ihn an den Schultern zu packen. Von der Seite schlug er ihm mit der Faust hart ins Gesicht. Owen gelang es, sich zu ihm umzudrehen.

Der Mann trug Schwarz, genau wie die anderen, aber die Maske war verrutscht, sodass Owen sein Gesicht sehen konnte. Er verschwendete keine Zeit, sondern versetzte ihm einen heftigen Faustschlag, hörte Knochen brechen. Gleichzeitig versuchte er, sich die falkenartigen Gesichtszüge möglichst genau einzuprägen. Er hatte keine Chance, den Kampf zu gewinnen, aber irgendein Instinkt befahl ihm, nicht aufzugeben, forderte von ihm, so viel Schaden anzurichten wie möglich.

Owen stieß den Mann zu Boden, kniete sich über ihn und holte aus. Doch bevor er zuschlagen konnte, griff jemand seinen Arm. Ein anderer Mann warf sich von hinten auf ihn. Owen kämpfte erbittert, aber seine Gegner waren zu zahlreich. Sie fixierten ihn, zwangen seine Arme auf den Rücken und zogen ihn hoch, sodass der Mann unter ihm sich befreien konnte, dann pressten sie ihn hart auf den Boden.

„Okay“, sagte er mit kalter Verachtung. „Ich gebe auf.“

Das brachte ihm einen harten Schlag auf den Hinterkopf ein. Er schmeckte sein eigenes Blut, hörte das Klirren von Metall und spürte Panik, als er begriff, was sie taten. Er wehrte sich verzweifelt und mit aller Kraft, und einen Moment lang gelang es ihm sogar, seine Hände zu befreien. Aber dann schlug erneut jemand Owens Kopf auf den Steinboden, und er spürte, wie sich die Schellen um seine Handgelenke schlossen und einrasteten, erst um das rechte, dann um das linke.

Jemand fixierte seine Beine, dann legten sie ihm Fußfesseln an. Zu eng.

Seine Hilflosigkeit erfüllte ihn mit ohnmächtiger Wut.

Sie zerrten ihn auf die Füße. Er stand schwankend da, gefesselt, aber alles andere als gebrochen, und dann sprang er vor, mit aller Kraft, die ihm noch geblieben war. Er spürte einen Hauch von Genugtuung, als die Männer vor ihm unwillkürlich zurückwichen.

Für einen einzelnen Mann hatte er eine Menge Schaden angerichtet, stellte er befriedigt fest. Die Männer ringsum hatten Blessuren davongetragen und atmeten schwer. Aber Schadenfreude war ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte. Ihm war nur eins geblieben, und das war sein Verstand.

Er schaute die Männer an und machte im Stillen eine Bestandsaufnahme. Alle trugen sie schwarze Kleidung, wie in der Nacht, in der sie ihn entführt hatten. Die identischen schwarzen Hosen, Rollkragenpullover und Masken ließen sie dramatisch und unheilvoll wirken. Er versuchte, irgendeinen Hinweis auf ihre ethnische Herkunft auszumachen – zumindest ihre Haut- und Augenfarbe –, aber es war vergeblich.

Sie waren gut organisiert. Ihre Disziplin war schon beinahe militärisch.

Owen schaute sich um. Bei seiner Ankunft hatten sie ihm die Augen verbunden. Der Gang, in dem er sich befand, ähnelte einem mittelalterlichen Gewölbe, aber der Stein hatte eine ganz schwache rötliche Färbung. Sein Blick wanderte die Wand hinauf zu einem kleinen vergitterten Fenster ohne Scheibe. Er war sich sicher, das Meer riechen zu können.

Solches Gestein fand man in Majorco, dem Nachbarstaat seiner Heimat Penwyck. Die beiden Inselstaaten standen kurz davor, eine militärische Allianz einzugehen, die in die Geschichtsbücher Einzug halten würde.

Owen ließ sich nicht anmerken, dass er jetzt eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wo er war – und vielleicht auch einen Hinweis darauf, weshalb sie ihn festhielten.

Es gab Leute, denen diese Allianz ein Dorn im Auge war. Vielleicht waren es mehr, als er gedacht hätte.

Ihm blieb keine Zeit für weitere Beobachtungen. Ein Tritt in seinen Allerwertesten ließ ihn wissen, dass er in seine Zelle zurückkehren musste. Er wollte nicht schlurfen und versuchte, trotz der Fesseln normale Schritte zu machen. Arrogant hob er das Kinn.

„Königliche Hoheit“, sagte einer der Männer sarkastisch und verbeugte sich, als er die Zellentür aufhielt.

Owen stürzte sich unvermittelt auf ihn und erwischte ihn unvorbereitet. Sie gingen beide unsanft zu Boden.

Er kassierte einen Tritt gegen den Kopf und einen gegen die Rippen. Dann zerrten sie ihn hoch und schleuderten ihn unsanft in der Zelle zu Boden. Er drehte den Kopf, sodass seine Wange den kalten Stein berührte, und sah zu, wie sie die Überreste des Bettes und die Matratze hinausbeförderten.

Der Mann, der sich verbeugt hatte, verpasste ihm im Vorübergehen einen Tritt.

„Er kämpft wie das Mitglied einer Straßengang. Von wegen, ‚verwöhnter Prinz‘“, fluchte er.

Owen brachte ein Lachen zustande.

Dann sah er den Mann, der über ihm stand. Der, dem die Maske verrutscht war. Er hatte sie mittlerweile abgenommen und presste ein Taschentuch gegen seine blutende Nase. Ein teures Taschentuch, fiel Owen auf. Seine Augen waren dunkel, seine Lippen dünn und grausam. Eine schmale weiße Narbe zog sich von seinem Ohr zu seinem Kinn.

„Eine dumme Idee, Königliche Hoheit“, sagte der Mann milde. „Ihr Aufenthalt hier hätte so bequem sein können. Ja, geradezu angenehm.“

Owen starrte zu ihm auf. War er der Anführer?

Was bedeutete es, dass der Mann sich keine Mühe mehr gab, sein Gesicht zu verbergen? Es war kein gutes Zeichen.

„Ich hoffe, Sie kommen nicht noch einmal auf so dumme Ideen“, sagte der Mann mit seidiger Stimme.

Owen erwiderte nichts.

Der Mann ging neben ihm in die Hocke und legte die Arme auf die Knie. Dabei glitt sein Ärmel hoch und enthüllte einen Teil seines Unterarms. Owen versuchte, nicht zu auffällig auf seine Tätowierung zu schauen. Was er erkennen konnte, sah aus wie die Spitze eines schwarzen Dolches.

„Wie ist es, wollen Sie jetzt vernünftig sein?“

Owen sah ihm in die kalten, dunklen Augen, sagte aber immer noch nichts.

Der Mann lachte leise. Es war ein Laut, der Owen zum Frösteln brachte. „Sie sind nicht mein Prinz, sondern mein Gefangener. Und wenn ich eine Frage stelle, erwarte ich eine Antwort.“

Er klang gebildet. Sprach Englisch, wie es in Adelskreisen üblich war. Owen spuckte aus.

Der Schlag, auf den er wartete, kam nicht.

„Der Mann, der letzte Nacht Wache hatte, hat gesagt, Sie reden gern im Schlaf.“ Es klang beinahe freundlich.

Owen erstarrte. Der Mann vor ihm war viel gefährlicher als die übrigen, die glaubten, sie könnten ihn durch Schläge gefügig machen. Intelligent und skrupellos.

„Sie haben einen Namen gerufen. Einen Namen, der mir bis dahin fremd war und nicht im Zusammenhang mit Ihrer Familie steht.“

Er weiß zu viel über meine Familie. Owen ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken. „Wer sind Sie?“ Er ließ all die Jahre der Erziehung als Sohn des Königs in seine Stimme fließen, um ihr eine kalte Autorität zu verleihen. „Und was wollen Sie?“

Der Mann ignorierte ihn und schaute ihn nachdenklich an. „Was war es noch gleich? Ein ungewöhnlicher Name, meine ich. Laurie-Anne? Joanne?“

Der Mann spielte mit ihm.

Owen kämpfte darum, gelangweilt auszusehen, obwohl er fürchten musste, dass dieser Mann sein größtes Geheimnis entdeckt hatte – oder jedenfalls einen Teil davon.

„Nein. Jetzt erinnere ich mich.“ Der Mann sah ihm ins Gesicht und wartete offensichtlich auf seine Reaktion. „Jordan.“

Dunkle Augen leuchteten triumphierend auf, und Owen wusste, es war ihm nicht gelungen, seinen Schock komplett zu verbergen. Und das, obwohl er darauf vorbereitet gewesen war.

Sein Entführer lächelte schwach. „Ganz offensichtlich sind Sie ein Mann, der bereit ist, Schmerz in Kauf zu nehmen. Aber wollen Sie auch dafür verantwortlich sein, was ich anderen antue, wenn Sie es zu weit treiben?“

„Sie würden sie nie finden!“, schnappte Owen.

„Sie“, sagte sein Entführer zufrieden. „Und schon weiß ich mehr. Immerhin kann ‚Jordan‘ auch ein Männername sein.“ Owen verwünschte sich im Stillen. „Erstaunlich, dass jemand, der ständig im Licht der Öffentlichkeit steht, sich verlieben kann, ohne dass es jemand mitbekommt. Ich frage mich, wie Sie das geschafft haben.“

Owen starrte ihn an und sagte nichts.

„Wissen Sie übrigens, dass es eine Droge gibt, die Leute dazu bringt, einem alles zu erzählen? Amobarbital. Haben Sie je davon gehört, Eure Hoheit?“

Es war ein Psychospiel. Wenn Owen antwortete, würde er sich damit auf die Regeln seines Entführers einlassen. Wenn er nicht antwortete, würde der Mann den Einsatz erhöhen.

Jordan. Er schluckte seinen Stolz herunter.

„Nein, ich habe nicht davon gehört.“

„Nein?“ Der Mann neigte den Kopf. „Prinzen befassen sich nicht mit solchen Dingen, richtig? Sie durchtrennen Flatterbänder, tanzen auf Bällen, reiten zur Jagd aus. Obwohl ich zugeben muss, Ihr kleiner Ausbruchsversuch kam unerwartet. Aber ich warne Sie: Diese Droge bringt selbst den stärksten Mann dazu, zu plappern wie ein Baby. In kürzester Zeit würde ich alles über Ihre Jordan erfahren, was wichtig ist.“

„Okay. Ich habe Sie schon verstanden.“

„Sehr schön.“ Der Mann erhob sich. „Für heute sind wir hier fertig. Morgen habe ich ein paar Fragen an Sie. Zu den Diamanten.“

„Zu den Diamanten?“, wiederholte Owen verblüfft.

„Und wenn Sie weiterhin Scherereien machen, werde ich nicht Sie bestrafen, sondern das Mädchen finden. Haben Sie mich verstanden?“

Eine leere Drohung, sagte er sich. Zum einen, weil er dafür sorgen würde, dass sie ihn bei seinem nächsten Ausbruchsversuch nicht wieder einfingen. Zum anderen, weil er seinem Entführer gar nicht sagen konnte, wo Jordan war. Er hatte ja selbst keine Ahnung.

Allerdings waren in seinem Kopf wahrscheinlich genügend Hinweise auf ihren Aufenthaltsort versteckt. Sie kam aus Wintergreen, Connecticut.

„Haben Sie mich verstanden?“, fragte der Mann wieder.

„Ja.“

„Gut. Wenn Ihre Antworten zu meiner Zufriedenheit ausfallen, ist das auch für Jordan das Beste.“

Owen verachtete sich dafür, dass er seine Achillesferse so leicht preisgegeben hatte.

„Ich lasse Ihr Essen hier auf dem Boden, wo Sie es hingeworfen haben. Wenn Sie genügend Hunger haben, kommt vielleicht der Appetit …“

Owen kämpfte gegen die Wut und die Demütigung. Zumindest gelang es ihm, sich auf die Seite zu drehen und seinem Entführer den Rücken zuzuwenden.

„Einen schönen Abend, Eure Hoheit.“

Erst, als die Tür sich hinter dem Mann schloss, erlaubte sich Owen ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen.

Sein gesamter Körper tat weh. Seine Wange war geschwollen, seine Lippen bluteten. Er hätte gern sein Gesicht betastet, aber seine Arme waren noch immer hinter dem Rücken gefesselt. Also presste er die pochende Wange auf den kühlen Boden.

Sein Ausbruchsversuch war fehlgeschlagen. Der nächste würde schwieriger werden, vielleicht unmöglich.

Was, wenn Jordan Ashbury, wo auch immer sie war, wirklich in Gefahr geriet?

Der Boden kam ihm mit jedem Moment härter und kälter vor. Owen versuchte, es nicht wahrzunehmen, ebenso wenig wie den Hunger, den er mittlerweile verspürte.

Jordan.

Letzte Nacht hatte er ihren Namen gerufen.

Er schloss die Augen. Und erinnerte sich. Wie sie im Mondlicht am Strand entlanggelaufen war, ihr blondes Haar wie ein Banner hinter ihr und mit einem Leuchten in den Augen, das die Sterne verblassen ließ. Er erinnerte sich daran, wie er sie geküsst hatte, zum ersten Mal. Auf ihren Lippen und ihrer Haut hatte er das Salz geschmeckt.

Die Erinnerung ließ ihn erneut aufstöhnen: Dieser Schmerz ging tiefer als der körperliche.

Von Anfang an hatte er gewusst, dass eine Beziehung mit ihr unmöglich war.

Unmöglich …

Und es war unmöglich gewesen, ihr zu widerstehen. Unmöglich, sich zu beherrschen.

Aber am Ende war der Abstand zwischen ihnen zu groß gewesen. Die Kluft zu breit, um sie zu überspringen.

Draußen vor der Tür erklang Gelächter. Wachablösung? Owen hatte keine Ahnung, wie spät es war. Wieder schloss er die Augen und gab sich den Erinnerungen hin.

Wie sie seinen Namen gesagt hatte.

Oder eher das, was sie für seinen Namen gehalten hatte …

Er fragte sich, ob seine Entführer ihn töten würden. Es war das erste Mal, dass er diesen Gedanken in Betracht zog.

Es hieß jedenfalls nichts Gutes, dass sein Entführer ihm erlaubt hatte, sein Gesicht zu sehen, das Tattoo auf seinem Arm.

Angesichts der tödlichen Gefahr, in der er schwebte, erlebte Owen einen Moment der Eingebung, einen Moment jäher Klarheit.

Er hatte die eine Sache in seinem Leben aufgegeben, die es wert gewesen wäre, an ihr festzuhalten.

Und nun tat er das, was er seit fünf Jahren vermieden hatte: Er dachte an sie.

Gerade achtzehn war er gewesen, in jenem Sommer der Rebellion.

Owen hatte immer gewusst, dass sein Leben nicht ihm gehörte. Jede Entscheidung, jedes Detail würde im Vorfeld erörtert und geplant werden. Dabei würden immer die Interessen des kleinen Inselkönigreichs Penwyck im Vordergrund stehen, niemals seine eigenen. Die wichtigsten Entscheidungen in seinem Leben, einschließlich der Frage, wen er heiraten würde, würden von anderen getroffen werden.

Mit achtzehn war ihm das Leben, das vor ihm lag, wie ein Gefängnis erschienen, aus dem er nicht ausbrechen konnte. Er hatte begriffen, dass höchstwahrscheinlich er den Thron erben würde, nicht sein Zwillingsbruder Dylan. Er sah, wie sehr das Dylan verletzte, und hasste das System dafür, dass es den einen Bruder dem anderen vorzog, nur weil sie unterschiedliche Stärken hatten.

Owen war stark, schnell und klug. Das war Dylan auch, aber nicht im selben Maße. Und Dylan hatte Stärken, die schnell übersehen wurden, weil das Scheinwerferlicht auf Owen fiel. Owen war groß, dunkel, gut aussehend und athletisch. Ganz Penwyck liebte ihn. Sein öffentliches Image wurde sorgfältig kultiviert, viel mehr als das von Dylan und auf ganz andere Weise. Sie arbeiteten darauf hin, ihn als den künftigen Monarchen darzustellen. Manchmal auf subtile und manchmal auf weniger subtile Weise.

Die meisten Männer, das wusste er, waren selbst für ihr Schicksal verantwortlich, doch ihm hatte man seins auferlegt.

Mit achtzehn hatte er das akzeptiert. Aber er hatte auch begriffen, dass er feilschen konnte. Und er hatte sich einen Sommer der Freiheit erkauft – einen Sommer in den Vereinigten Staaten. Einen Sommer, danach würde er in Penwyck die Rolle einnehmen, die ihm zugedacht war.

Es war ein harter Kampf gewesen, doch damals hatte er zum ersten Mal festgestellt, dass er kämpfen konnte und wollte.

Und es sogar genoss.

Nach zähen Verhandlungen hatten seine Eltern und das Royal Elite Team – die engsten Berater des Königs – schließlich zugestimmt, dass er fünf Wochen lang an einem Programm für Studenten der Politikwissenschaften in Laguna Beach in Kalifornien teilnehmen durfte. Ganz allein.

„Hey, Blondie.“

Das war das Erste gewesen, was sie zu ihm gesagt hatte, die Stimme voller Verachtung. Sie hatte gleich gesehen, dass seine Haarfarbe nicht natürlichen Ursprungs war.

Sie war smart und selbstbewusst, meldete sich dauernd, machte gewissenhaft ihre Hausaufgaben, kannte alle Antworten, wehrte sich gegen Sexismus. Sie hätte hübsch sein können, wenn sie es versucht hätte, aber es war ganz klar, dass sie es ablehnte, Zeit auf Oberflächlichkeiten zu verschwenden.

Sie hatte schulterlanges blondes Haar. Die Jeans und das T-Shirt, die sie trug, waren viel zu weit für ihre schlanke Figur, und die Krempe einer Baseballkappe verbarg ihr schönes Gesicht.

Fast.

Als Owen ihr das erste Mal in die Augen sah, spürte er ein seltsames Zittern. Diese Augen gehörten nicht der Streberin, nicht der Emanze, deren Worte einen Mann in Streifen schneiden konnten. Ihr Blick war stet und aufrichtig und verriet etwas über sie.

Sie war ehrlich, vertrauenswürdig, menschlich.

Ungebeten kam ihm das Wort ‚Schicksal‘ in den Sinn, als er sie ansah. Aber wie konnte das sein, wenn sein Lebensweg doch vorgezeichnet war und sie anscheinend dachte, Männer wären Schweine, vor denen man die ganze Zeit auf der Hut sein musste?

Owen verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.

„Was kann ich für dich tun, Blondie?“

Ein widerwilliges Lächeln. „Ich habe deinen Namen gezogen. Für die Hausarbeit. Ben Prince, richtig? Auch, wenn du aussiehst wie ein Filmstar oder ein Unterwäsche-Model, ich erwarte, dass du deinen Teil der Aufgabe erledigst.“

„Unterwäsche-Model?“, echote er entrüstet. So respektlos behandelte ihn sonst keiner.

Andererseits bedeutete das, dass sie hingeschaut hatte.

Er nahm die Brille ab, die ein Teil seiner Verkleidung war. Wenn sie ihn schon ansah, würde er ihr auch eine Show bieten.

„Ich weiß, dass du die Brille gar nicht brauchst“, sagte sie. „Warum trägst du sie? Damit du schlauer wirkst?“

Also hatte sie die Verkleidung, die das RET für ihn ersonnen hatte, durchschaut. Aber … damit er schlauer wirkte? Hieß das, sie hielt ihn für nicht besonders helle?

Na toll. Mit ihr zusammenzuarbeiten, würde ungefähr so viel Spaß machen, wie mit einem Stachelschwein zu ringen.

Damals hatte er nicht begriffen, dass auch sie verkleidet war. Zumindest nicht auf Anhieb.

„Keine Sorge“, sagte sie leichthin. „Mir ist nur wichtig, was hier drin steckt.“ Sie tippte ihm auf die Stirn. „Unter der Bleiche.“

„Welche Bleiche?“ Er war ein bisschen verwirrt. Ihre Berührung sagte etwas ganz anderes als ihr Benehmen. Sie gab sich kühl und tough, doch ihre Berührung verriet Hitze, Feuer.

„Blond aus der Flasche. Dein Haar.“

„Ich bin verkleidet“, sagte er kühl.

„Wirklich? Wirst du vom FBI gesucht?“

„Fast. Ich bin ein Prinz. Aus einem kleinen Inselstaat, von dem du noch nie gehört hast.“

Sie lachte laut und wirkte selbst ein bisschen überrascht darüber.

Ihr Lachen änderte alles. Es vertrieb das Misstrauen aus ihrem Gesicht, die Anspannung aus ihrem Körper.

„Also schön, Prinz Wichtig“, sagte sie, ohne das Gesicht zu verziehen. „Welchen Tyrannen sollen wir unter die Lupe nehmen? Vielleicht Stalin?“

„Dschingis Khan“, sagte er. Wenn er sie ließ, würde sie einfach über ihn drüber marschieren und ihm nie die Gelegenheit geben, ihr tiefer in die Augen zu sehen und das Mysterium darin zu ergründen.

„Wow. Und hast du vor, dich tatsächlich zu beteiligen? Oder willst du alle Arbeit mir überlassen und lieber am Strand Mädchen im Bikini begaffen?“

„So verlockend das klingt, aber ich bin hier, um tatsächlich etwas zu lernen.“

Mit widerwilligem Respekt sah sie ihn an und lächelte dann. Ein echtes Lächeln, das ihn verzauberte. Nicht, dass er sie das wissen ließ.

Und so fing es an. An einem Tisch im Klassenraum, in der Mensa bei einem schnellen Hamburger, über Bücher und Blöcke gebeugt.

Er liebte die Art, wie sie dachte – ihren trockenen Humor, ihre Intelligenz, ihre Ausdrucksweise.

Den Geruch ihres Haars. Das Funkeln in ihren Augen. Die atemberaubende Figur, die sie unter all den Schichten Kleidung versteckte.

Und zum ersten Mal konnte er jemandem zeigen, wer er wirklich war. In gewisser Weise hatte er das noch nie getan. Es war ein Geschenk. Jordan erlaubte ihm, normal zu sein. Eigene Träume und Ziele zu enthüllen, ein ganz normaler achtzehnjähriger Junge zu sein.

Sie nannten sich gegenseitig „Blondie“, und als sich an seinem Haaransatz die ersten braunen Wurzeln zeigten, zog sie ihn gnadenlos damit auf.

Wie schnell er lernte, ihre innere Schönheit zu sehen, ihren scharfen Verstand zu bewundern, ihren wunderbaren Sinn für Humor und ihre Güte …

Schon kurz darauf waren sie beste Freunde, ihre Beziehung basierte auf gegenseitigem Respekt.

Dabei musste es bleiben, das wusste er. Er durfte sich nicht in sie verlieben.

Doch es war unausweichlich.

Owen Michael Penwyck, alias Ben Prince, verliebte sich in Jordan Ashbury – und zwar, ohne dass die Presse dabei zusah oder der Nachrichtendienst sie durchleuchtete beziehungsweise ihren Stammbaum unter die Lupe nahm.

Er war ein normaler junger Mann mit einer normalen jungen Frau.

Aus Respekt wurde Bewunderung, aus Worten wurde einvernehmliches Schweigen, dann kamen feurige Blicke, schließlich Händchenhalten. Aus Freundschaft wurde mehr, einfach so.

Und erst jetzt und hier, in seiner Zelle, mit der beunruhigenden Aussicht, sein Leben könnte vielleicht bald vorbei sein, begriff Owen, wie sehr er ihn bereute, seinen einzigen Fehler.

Damals hatte er sie nicht verlassen können. Er hatte darum gebettelt, seinen Aufenthalt verlängern zu dürfen. Zwei Wochen waren ihm gewährt worden. Zwei Wochen an abgelegenen Stränden, Hand in Hand, ihre Lippen auf seinen Augenlidern, seine Hände an Stellen, die kein anderer je berührt hatte.

Danach hatte er am Telefon noch einmal darum gefleht, länger bleiben zu dürfen. Als man ihm die Erlaubnis verweigerte, hatte er das getan, was jeder Achtzehnjährige an seiner Stelle getan hätte: Er war dageblieben und in Jordans winziges Kellerapartment gezogen.

Er erinnerte sich an die letzte Nacht, als er schon geahnt hatte, dass das Ende bevorstand, dass seine Tage gezählt waren.

„Sag mir eine Sache, die du noch niemandem sonst auf der Welt erzählt hast“, hatte er gebettelt. „Dein größtes Geheimnis.“ Etwas von ihr, was er für immer behalten konnte.

Sie lagen in Jordans schmalem Bett. Gab es etwas Wunderbareres, als mit einem Menschen zusammen im Bett zu liegen? Ihre nackte Haut an seiner, ihr Haar, weich und seidig, auf seinem Oberkörper.

„Ich bin insgeheim eine Romantikerin“, flüsterte sie.

„Wie bitte?“

„Ich weiß! Unter all dem Sarkasmus habe ich mich unendlich nach Liebe gesehnt, Ben Prince. Unendlich. Unter meinem Bett zu Hause liegen drei Kisten mit Liebesromanen. Und historische Liebesromane mag ich am liebsten.“

Er zog sie fester an sich und küsste ihre Schläfe, denn er wusste, was sie ihm eigentlich sagen wollte: Sie war einsam gewesen. Und es machte ihn krank, dass sie bald wieder einsam sein würde.

Sie seufzte. „Es ist, als ob zwei Frauen in mir leben würden. Die eine würde gern die erste Bürgermeisterin von Wintergreen, Connecticut werden. Und die andere würde gern bei Nacht in einer Kutsche durch einen dunklen Wald fahren, wo aus dem Unterholz ein mysteriöser Wegelagerer hervorbricht …“

Danach liebten sie sich, wild und leidenschaftlich, vollkommen ungehemmt.

„Danke, dass du mich so glücklich machst“, sagte sie schläfrig, vertrauensvoll.

Danach lag er wach und wusste, dass er ihr die Wahrheit sagen musste. Doch er konnte es nicht.

Am nächsten Morgen stand er vor ihr auf. Er ging zu ihrem Lieblingscafé, wollte ihr ein Croissant und einen Kaffee holen, wie sie ihn am liebsten mochte. In dem Moment dachte er nur daran, sie mit einem Kuss zu wecken – und lief prompt in die Falle.

Wahrscheinlich war er einmal zu oft in diesem Café gewesen. Mitarbeiter des königlichen Geheimdienstes fingen ihn ab. Sie waren geschickt worden, um ihn nach Hause zu bringen. Sein Urlaub war vorüber.

„Ich muss noch eine Sache erledigen. Allein. Ich verspreche, ich komme wieder. Eine Stunde, bitte.“

„Wir können Sie begleiten, Sir“, bot man ihm an.

Aber dann hätten sie von Jordan erfahren und sie unter die Lupe genommen, ihr gesamtes Leben an die Öffentlichkeit gezerrt. Und was, wenn jemand etwas ausplauderte? Was, wenn die Presse davon erfuhr?

„Nein, keine Begleitung“, verlangte er deshalb.

Dabei sah er anscheinend ganz so aus, als würde er gleich davonstürmen, denn sie nahmen ihn in die Mitte. Breit gebaute, einschüchternde Männer, die zwar mitfühlend, aber dennoch entschlossen wirkten.

„Bitte, Sir, machen Sie uns unsere Arbeit nicht schwerer, als sie ohnehin schon ist.“

Kein Abschied, keine Erklärung. Vielleicht war es besser so. Vielleicht war es besser, wenn Jordan ihn hasste.

Er hatte ein Versprechen gegeben und musste es nun halten.

Danach hatte Owen diesem Teil seines Lebens den Rücken gekehrt. Auch den Erinnerungen. Es hätte ihn verrückt gemacht, weiter darüber nachzudenken, also tat er es nicht.

Stattdessen spielte er in Penwyck die Rolle, für die er geboren war, die Rolle, die zu spielen er sich bereiterklärt hatte, im Austausch für einen einzigen magischen Sommer.

Er nahm an Zeremonien teil, absolvierte öffentliche Auftritte, sammelte Spenden und arbeitete an Projekten, die der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes dienten. Dabei versuchte er, sich der Liebe und Bewunderung, die man ihm entgegenbrachte, würdig zu erweisen. Wenn der Penberne River Hochwasser führte, füllte Prinz Owen vor Ort Sandsäcke. Wenn die Pfadfinder ihr jährliches Sommerfest feierten, kaufte er das erste Stück Kuchen. Er durchtrennte Bänder, hielt Reden und tanzte auf jedem Wohltätigkeitsball den ersten Tanz.

Die Kluft zwischen ihm und seinem Bruder vertiefte sich. Dylan verstand nicht, dass es Owen nicht darum ging, um die Krone zu streiten, sondern er lediglich versuchte, sein gebrochenes Herz zu heilen.

Nur seine Mutter konnte er nicht überzeugen. In ihren Augen hatte immer schon ein bisschen Traurigkeit gelegen, wenn sie ihn ansah, aber jetzt war ihr Blick noch wehmütiger.

Der Weg, den er eingeschlagen hatte, hatte ihn ganz von selbst weiter weg von einem normalen Leben hin zum Thron geführt.

Und dann war mitten in der Nacht seine Tür aufgesprungen, jemand hatte ihm einen Lappen auf Mund und Nase gepresst und ihn entführt.

Und jetzt, in dieser Zelle, wo er sonst nichts mehr hatte, hatte er alles.

Er hatte die Erinnerung an sie, die ihn tröstete.

Einmal mehr konnte er sie riechen, das Salz auf ihren Lippen schmecken, ihr weiches Haar in seinen Händen spüren.

„Wenn ich sterbe“, murmelte er, „dann sterbe ich glücklich, solange ich an sie denke.“

Als in der Ferne ein Geräusch erklang, das sich beinahe wie ein Feuerwerk anhörte, wollte er erst gar nicht in die Gegenwart zurückfinden.

Schüsse, wurde ihm bewusst. Es musste eine Rettungsmission sein. Dazu musste er seinen Teil beitragen. Er kämpfte sich auf die Füße. Als sich seine Zellentür öffnete, war es einer der Entführer, der in den Raum kam. Owen senkte den Kopf und stürmte auf ihn zu, um ihn zu rammen, wehrte sich so heftig und ausdauernd, dass es seinem Angreifer nicht gelang, ihn zu überwältigen. Der Mann konnte gerade noch flüchten, bevor die Royal Navy Seals den Korridor fluteten.

„Owen“, sagte einer der Männer und kam auf ihn zu. Ein Lächeln erhellte sein mit Tarnfarbe verdunkeltes Gesicht. Die Stimme klang vertraut, und als Owen näher hinschaute, erkannte er seinen Cousin Gage Weston. Nun, Gage war schon immer gern dort aufgetaucht, wo etwas los war. „Alle Achtung. Du kämpfst, als wärst du dazu geboren.“

Owen lächelte schwach. „Das hab ich schon mal gehört.“

Er schaute zurück in seine Zelle und spürte eine tiefe Erleichterung. Jordan war in Sicherheit, und seine Geheimnisse waren es auch.

Bis auf das eine, das er so lange vor sich selbst verborgen hatte: Er hatte nie aufgehört, sie zu lieben.

2. KAPITEL

Jordan Ashbury schlug das Herz bis zum Hals, als sie aufwachte.

Der Traum war so real gewesen, dass sie Bens Kuss noch auf den Lippen spüren konnte. Sie ließ die Zunge darüber gleiten in der Erwartung, Salz zu schmecken. Als sie es nicht tat, streckte sie die Hand aus, auf der Suche nach ihm, seiner warmen Haut.

Ihre Finger berührten nur kalte Leere.

Jordan wachte vollends auf und roch die Mischung aus Holzrauch und Herbstlaub, die durch das offene Fenster drang. Ihre Bettwäsche zierte ein Muster aus gelben Rosen, und kein Mann hatte je darin geschlafen.

Der Schmerz hielt an, so real, als wäre es gestern gewesen und nicht vor fünf Jahren, dass sie aufgewacht und Ben fort gewesen war. Für immer. Ohne auch nur ein Wort des Abschieds.

Er hatte sie gewarnt, dass es so sein würde. Aber die Warnung hatte es nicht leichter gemacht, damit umzugehen.

Jordan setzte sich auf und traktierte ihr Kissen mit ein paar wütenden Faustschlägen. Dann schaute sie auf ihren Wecker. Es war erst halb vier, noch mitten in der Nacht. Sie kniff die Augen zusammen und befahl sich, wieder einzuschlafen.

Es war schon länger her, dass sie so einen Traum gehabt hatte, und sie hatte geglaubt, ihr Herz würde nun endlich langsam heilen.

Sie wäre nicht so weit gegangen zu behaupten, dass sie glücklich war. Jordan misstraute dem Glück. Es war der Gipfel einer atemberaubenden Welle, die einen trug und dann mit voller Wucht auf die scharfen, zerklüfteten Felsen schleuderte. Aber sie war zumindest zufrieden.

Sie hatte ihre Freundinnen – junge, unverheiratete Mütter, mit denen sie ehrenamtlich arbeitete. Sie hatte den Job bei ihrer Tante. Sie hatte ein eigenes kleines Haus, gerade erst gekauft. Und natürlich hatte sie Whitney, ihre vier Jahre alte Tochter, deren Glück für sie beide reichte.

Außerdem gab es einen neuen Mann in ihrem Leben. Da war er schon, stolzierte in ihr Schlafzimmer, sprang elegant aufs Bett und rollte sich schnurrend neben ihrem Kopf zusammen.

Jay-Jay, benannt zu Ehren von Jason, mit dem sie einmal ausgegangen war, und Justin, mit dem sie sich zweimal verabredet hatte. Beide hatte sie schnell wieder aus ihrem Leben entfernt.

„Keine Zeit“, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt, die die Verabredungen für sie organisiert hatte.

„Aber bist du nicht einsam?“

„Natürlich nicht.“ Jordan gab sich stark und selbstbewusst. „Es ist ein neues Jahrtausend, Mutter. Frauen brauchen keine Männer, um sich vollständig zu fühlen.“

„Mit all diesen Mädchen zu arbeiten, lässt dich noch zur Männerhasserin werden“, warf ihre Mutter ihr vor.

Das vielleicht nicht. Aber es erinnerte Jordan an die eine Lektion, die sie nicht vergessen durfte.

Liebe tat weh.

Nicht die Liebe zu Whitney. Oder zu Mom und Dad oder zu Jay-Jay. Die andere, dieses Mann-Frau-Ding.

Nur mitten in der Nacht überfiel sie das Gefühl der Einsamkeit mit voller Macht. Es tat weh, zog sie runter und erfüllte sie mit schmerzlicher Sehnsucht.

„Sei kein Schwächling“, tadelte sie sich. Sie öffnete die Augen, um auf den Wecker zu sehen, und schloss sie dann wieder. Schlafen. Jetzt.

Stattdessen fröstelte sie auf einmal. Und daran war nicht die kühle Septemberluft schuld. In dem Stadium zwischen Schlafen und Wachen fragte sie sich, ob es irgendetwas zu bedeuten hatte, dass sie von Ben geträumt hatte.

Warum verkrampfte sich ihr Magen so? Steckte er in Schwierigkeiten? War er tot?

Sie zitterte, in etwas gefangen, was sich beinahe wie eine düstere Vorahnung anfühlte.

Ben Prince existierte nicht, erinnerte sie sich voller Bitterkeit. Wie konnte er tot sein, wenn er nie existiert hatte? Und doch lebte er, in den saphirblauen Augen ihrer Tochter. Seiner Tochter. Ihrem gemeinsamen Kind, von dem er nichts wusste.

Jordan hatte versucht, es ihm zu sagen … und hatte im Büro des Instituts, an dessen Programm sie beide teilgenommen hatten, herausfinden müssen, dass es keinen Ben Prince gab.

Außer sie alle anzuschreien, dass eine Halluzination sie nicht hätte schwängern können, hatte sie nichts tun können. Er war nicht zurückgekehrt. Außer in ihren Träumen.

Ruhelos stand sie auf, ging zum Fenster hinüber und schloss es. Sie schaute auf die Maple Street hinaus. Es war nicht der beste Stadtteil in Wintergreen, Connecticut. Aber er war alt, und die Ahornbäume waren riesig. Die volle Pracht des Herbstlaubs begann gerade erst, sich zu entfalten. Die Häuser entlang der Straße waren winzig und mit Asphaltschindeln gedeckt, aber sie hatten große Gärten, und das war ihr wichtig gewesen.

Früher hatte Jordan immer gedacht, sie würde eines Tages in einem Stadtviertel leben wie dem ihrer Eltern, in einem großen holländischen Kolonialhaus, ein Stück ab von der Straße und mit einer großen Veranda, auf der man die Sommerabende verbringen konnte.

Auch ihre Eltern hatten davon geträumt.

Diese Träume hatte sie zunichte gemacht, indem sie vor fünf Jahren schwanger und ohne Ehemann bei ihnen aufgetaucht war. Allerdings hatte Whitneys Geburt erheblich dazu beigetragen, dass sie sich damit ausgesöhnt hatten.

Als Jordan vor sechs Monaten das kleine Haus gekauft hatte, hatten ihre Eltern protestiert. Natürlich wäre es praktischer gewesen, weiterhin bei ihnen zu leben, schließlich war sie eine alleinstehende Mutter mit geringem Einkommen. Ihre Optionen waren begrenzt, ganz im Gegensatz zu früher, als ihr die Welt offengestanden hatte.

Trotzdem gefiel ihr das Leben hier. Sie war damit zufrieden. Neunzig Prozent der Zeit.

Sie starrte auf die stille Straße hinaus, die friedlich im Mondlicht schlief. Was war aus der Jordan geworden, von der es im Jahrbuch geheißen hatte, sie sei ein „Karrieretyp“? Aus der Jordan, die Bürgermeisterin von Wintergreen hatte werden wollen?

Genau dieser Traum hatte sie damals dazu bewogen, sich für das Programm in Laguna Beach zu bewerben, im Sommer nach ihrem Highschool-Abschluss.

Dort hatte sie Bekanntschaft mit dem Schicksal gemacht – und war sich nicht sicher, dass sie sich davon schon erholt hatte. Was es für sie bereitgehalten hatte, sah ganz anders aus als ihre ambitionierten Pläne damals. Jetzt arbeitete sie als Hilfsköchin für ihre Tante. Ein Job, der dafür, dass sie ihn ursprünglich aus Mangel an Alternativen angenommen hatte, erstaunlich viel Spaß machte.

Jordan wollte nicht mehr Bürgermeisterin werden. Sie wollte Whitney eine gute Mutter sein und anderen Frauen helfen, die sich, ebenso wie sie, von der Liebe zerschmettert am Boden wiederfanden.

Jordan ermahnte sich, dass sie am nächsten Morgen zur Arbeit musste, und kletterte wieder ins Bett. Doch dort warf sie sich weiterhin unruhig hin und her, bis irgendwann das Telefon klingelte.

Verdutzt schaute sie auf ihren Wecker. Es war erst sechs. Wer rief so früh morgens an? Waren bei Marcella die Wehen losgegangen?

„Hallo?“ Sie griff nach ihren Jeans.

„Jordan, du wirst es nicht glauben!“

Sie warf die Jeans wieder hin. „Ich glaube es jetzt schon nicht. Seit wann bist du so früh wach?“

„Bin ich nie!“, gab ihre Tante zu. „Aber das ist es wert. Habe ich dich geweckt? Egal. Du wirst es hören wollen.“

„Sind wir für den Ball des Präsidenten gebucht?“, fragte Jordan spöttisch.

„Besser. Sie sind uns zeitlich voraus, deshalb haben sie so früh angerufen.“

„Wer hat angerufen, Tante Meg?“

„Lady Gwendolyn Corbin. Die Hofdame von Königin Marissa von Penwyck.“

Jordan starrte verwirrt auf ihren Kalender. Es war September, nicht der erste April.

Sie seufzte. Ihre Tante war ein wunderbarer Mensch. Eine inspirierte Köchin, brillant und ein bisschen exzentrisch, aber …

„Jordan, hör zu! Sie will, dass ich – wir! – das Catering im Palast übernehmen. In einem echten Palast! In Penwyck! Sie zahlen alle Reisekosten. Jordan, das wird unser Durchbruch. Ich habe dir doch gesagt, dieser kleine Artikel in Up and Coming People wird Wellen schlagen. Ich habe es dir gesagt!“

Es war ein schrecklicher Artikel gewesen. Er hatte ihre Tante verrückter dastehen lassen, als sie war, und das wollte etwas heißen. Es war um Megs Experimente mit essbaren Blumen gegangen. Kulinarische Fantasie treibt wilde Blüten!, hatte die Überschrift gelautet, und von da an war es bergab gegangen.

„Mal langsam, Tante Meg.“ Wahrscheinlich hatte sich jemand einen Telefonstreich erlaubt. „Wohin sollst du fliegen? Und was sollst du tun?“

Ihre Tante holte tief Luft. „Du hast es in der Zeitung gelesen, nicht wahr? Oder im Fernsehen gesehen?“

„Im Fernsehen wurde über dich berichtet?“

Hatte jemand ihre Tante der Lächerlichkeit preisgegeben?

„Nicht über mich, Jordan. Dieser Prinz, der nach seiner Entführung wieder aufgetaucht ist? Während sein Vater, der König, im Koma liegt? Es soll eine Feier geben, zum Anlass seiner Befreiung. Ich soll das Catering übernehmen. Und du kommst mit!“

Das kann doch nicht wahr sein. „Ist das ein Scherz?“

„Nein! Es ist eine Feier für die engsten Freunde und Verwandten. Nur hundertsiebzig Leute. Ein Abendessen und ein Ball. Wie bei Cinderella …“

Jordan erwähnte das Märchen häufig, wenn sie mit jungen werdenden Müttern sprach: um ihnen klarzumachen, dass der Prinz niemals kommen und sie vor der Wirklichkeit retten würde.

Manchmal wünschte sich Jordan, ihre Geschichten hätten ein besseres Ende.

„Kein Scherz. Sie wollen auch einen Mitternachtssnack“, sagte ihre Tante. „Was denkst du? Mein Elch-Ta-Ta als Hauptgericht?“

So bizarr der Name war, das Gericht, das sich dahinter verbarg, war genial. Roastbeef mit einer geheimen Soße, von der Meg behauptete, sie enthielte den Bast eines Hirschgeweihs.

Konnten sie auf die Schnelle überhaupt so viel Bast auftreiben? Bei diesem Gedanken begriff Jordan, dass sie schon dabei war, sich vom Enthusiasmus ihrer Tante anstecken zu lassen.

„Ich kann dir nicht helfen, Tante Meg.“

„Wie bitte?“

„Nein“, sagte Jordan mit fester Stimme. „Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich nicht auf Reisen gehen kann. Ich will meiner Tochter Stabilität bieten.“

„Was du deiner Tochter bietest, ist Langeweile. Fürchterliche Langeweile.“

„Außerdem steht Marcella kurz vor der Entbindung. Ich kann sie nicht einfach hängen lassen.“

„Jordan, wer aus deiner Gruppe hat als Letztes entbunden? Stacey? Es waren neun von euch im Kreißsaal. Ein Baseballteam.“

„Den Mädchen ist es wichtig, dass ich für sie da bin.“ Weil es niemand sonst war.

„Ich denke, du solltest vielleicht über eine ehrenamtliche Tätigkeit nachdenken, die nicht dazu beiträgt, deinen Ärger auf Männer zu vergrößern.“

Amateurpsychologie von der Frau, die ihr Gericht Elch-Ta-Ta nannte. Jordan fuhr sich mit der Hand über die Augen.

„Ich mag mein langweiliges Leben und meine ehrenamtliche Arbeit.“ Das Gegenteil davon hatte sie schon kennengelernt: Euphorie, Magie, Staunen … das war erschöpfend. Und der Schmerz, wenn man diese Dinge verlor, legte sich nie.

Langeweile dagegen … sie war verlässlich. Man stürzte nicht ab.

„Sicher, Schätzchen“, sagte Meg beruhigend. „Aber du musst wirklich mitkommen. Deiner alten Tante zuliebe, die ohne dich einfach nicht mehr zurechtkommt. Wem sonst könnte ich die Rezeptur für die ‚Tanzende Schokoladen-Ekstase‘ anvertrauen?“

„Ich lasse nicht meine Tochter und Marcella im Stich, nur um deine Joghurtkultur zu hüten.“

„Schätzchen, du hast mich ja gar nicht richtig aussprechen lassen! Whitney kann mitkommen. Sie haben mir einen Blankoscheck ausgestellt. Ich und meine Entourage werden morgen Abend in Penwyck erwartet. Lady Gwendolyn hat das Wort benutzt, Entourage. Und sie sorgen für eine Nanny!“

„Ich kann nicht“, sagte Jordan. Es fühlte sich auf unerklärliche Weise gefährlich an. „Das klingt nach viel zu viel Aufregung für ein kleines Kind. Das ist zu spontan, zu chaotisch, zu … du weißt schon.“

„Nein. Du kennst mich. Und ich lasse mich nicht mit einem Nein abspeisen. Ich komme zu dir und erzähle Whitney, dass ihre Mutter die Gelegenheit hat, ihr einen echten Palast zu zeigen. Eine Königin. Einen Prinzen. Prinzessinnen.“

„Wag das ja nicht! Sie …“

„… wird quengeln, bis du nachgibst“, vollendete Meg ihren Satz. „Zwing mich nicht dazu, Jordan. Sag einfach Ja. Lass dich ausnahmsweise auf ein Abenteuer ein!“

„Ich habe schon einmal Ja zu einem Abenteuer gesagt“, erinnerte Jordan ihre Tante steif.

„Und zur Belohnung hast du eine wunderhübsche Tochter bekommen. Außerdem zahle ich das Doppelte. Und eine großzügige Zulage. Wolltest du nicht eine Mikrowelle für den Raum anschaffen, in dem ihr euch immer trefft? Damit du all den zukünftigen Müttern heiße Suppe servieren kannst? Wenn du willst, spendiere ich sogar die Suppe dazu.“

Manchmal hatte es einfach keinen Zweck, mit Meg zu streiten.

Und plötzlich, ganz ohne Vorwarnung, überkam Jordan die Sehnsucht, Ja zu sagen. Sich auf ein Abenteuer einzulassen, selbst wenn es seinen Preis hatte. War es das nicht wert?

Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich immer noch daran erinnern, wie sie sich angefühlt hatten, diese sieben Wochen im Juli, als sie in Flammen gestanden hatte.

„Also schön“, gab sie nach. „Meinetwegen. Ich komme mit.“

Ihre Tante jubelte so laut, dass ihr beinahe das Trommelfell geplatzt wäre. Und dann folgte eine Flut von Arbeitsanweisungen. Sie mussten unbedingt schnell alle Vorbereitungen treffen.

Als Jordan aufgelegt hatte, starrte sie auf ihr Telefon.

„Warum nur habe ich das Gefühl, dass ich das bereuen werde?“, fragte sie den leeren Raum.

Aber wenn sie ehrlich sein sollte, war es nicht Reue, die sie empfand, vielmehr war sie aufgeregt. Ein Gefühl, das sie lange nicht mehr gehabt hatte.

Nicht, seit sie sich vor fünf Jahren unvermittelt der erschreckenden Erkenntnis hatte stellen müssen, dass sie schwanger war – und mit dieser Bürde ganz allein dastand.

„Meg, es gibt keine Kapuzinerkresse“, sagte Jordan. „Ich finde keine. In ganz Penwyck nicht.“

„Aber mit Geranienblättern ist es einfach nicht dasselbe“, jammerte ihre Tante. „Können wir welche importieren? In Orange. Orange, kein Gelb.“

Jordan starrte ihre Tante an. Und fühlte sich erschöpft.

Sie waren vor weniger als vierundzwanzig Stunden in Penwyck angekommen, quasi mitten in der Nacht. Jordan hatte nicht viel von der Insel gesehen, während man sie in den Palast gebracht hatte, in einen Flügel in der Nähe der Palastküche. Ihre Zimmer waren schlicht und funktional, nicht gerade herrschaftlich.

Die Nanny, Trisha, hatte sich am nächsten Morgen pünktlich bei ihnen vorgestellt. Sie war noch jung und ein absolutes Goldstück. Mit einer Offenheit und Begeisterung, wie sie nur ein kleines Kind aufbrachte, hatte Whitney sich ihr sofort in die Arme geworfen. Nun kam sie bloß noch ab und an zu kurzen Besuchen in die Küche, um ihrer Mutter zu erzählen, dass sie „einen echten Thron mit echten Juwelen“ oder „eine echte, wunderschöne Prinzessin“ gesehen hatte.

Jordan wiederum hatte ausschließlich ihr Zimmer, die Küche und das kleine Büro daneben gesehen, in dem ein Telefon stand, das noch aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen schien. Sie entwickelte langsam einen Hass darauf und fürchtete sich fast davor, damit ins Ausland telefonieren zu müssen, um irgendwo Kapuzinerkresse aufzutreiben.

Sie hatte sich um alles gekümmert, was angefallen war: Ordnung ins Chaos gebracht, ihre Tante besänftigt, versucht, schwer erhältliche Zutaten aufzutreiben, und die Joghurtkultur gefüttert – die geheime Zutat, die die „Tanzende Schokoladen-Ekstase“ ihrer Tante so unglaublich lecker machte.

„Nur orangefarbene Kapuzinerkresse“, wiederholte sie resigniert.

„Ms. Jordan! Ms. Jordan!“ Trisha kam in die Küche gerannt, den Tränen nahe. „Ich habe sie verloren! Ich habe Whitney verloren!“

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft wünschte sich Jordan verzweifelt, sie hätte nicht nachgegeben.

„Ich wusste, ich würde es bereuen. Ich wusste es.“

„Sei nicht so dramatisch, Jordan“, sagte Meg im Vorbeieilen, die Hände voll mit etwas, das verdächtig nach dem Moos aussah, das hier an den steinernen Palastwänden wuchs. „Whitney ist nur auf Erkundungstour. Das ist ganz normal für ein Kind in dem Alter. Weißt du, ein bisschen gelbe Kapuzinerkresse wäre auch in Ordnung.“

„Meine Tochter ist verschwunden, und sie ist vier Jahre alt. Entschuldige bitte, wenn gelbe Kapuzinerkresse für mich gerade keine Priorität hat!“

Meg warf ihr einen gekränkten Blick zu, während sie das Moos in einen großen Topf legte.

„Den einen Moment war sie noch da, Ma’am“, sagte Trisha aufgelöst. „Und im nächsten nicht mehr. Ich habe überall gesucht.“

„Wie lange?“, fragte Jordan.

„Fast eine Stunde.“

Eine Stunde. In einem riesigen Schloss voller Gefahren. Rüstungen, die umstürzen konnten, Schwerter, die einfach so an der Wand hingen. Und unzählige Leute. Vor zwei Wochen erst war der Prinz aus dem Palast entführt worden!

Jordan zwang sich, tief Luft zu holen, und band sich die Schürze ab.

Ihre Tante schaute auf. Aus dem Topf, in dem sie rührte, stiegen grüne Dämpfe auf.

„Ich wünschte, du würdest dich um die ‚Tanzende Schokoladen-Ekstase‘ kümmern! Ein Fehler in diesem Stadium, und sie ist ruiniert!“

Jordan starrte sie böse an und wandte sich wieder dem aufgelösten Kindermädchen zu.

„Wo haben Sie meine Tochter das letzte Mal gesehen?“, wollte sie wissen. „Bringen Sie mich dahin.“

Zum ersten Mal betrat Jordan den eigentlichen Palast. Trotz ihrer Sorge um Whitney war sie unwillkürlich beeindruckt von all der Pracht. Dicke Teppiche auf dem steinernen Boden. Wandbehänge und Ölgemälde. Antike Möbel, deren poliertes Holz glänzte. Kronleuchter und Blattgold. Es war opulent. Ein bisschen überwältigend.

„Wir waren dort drüben, Ma’am“, sagte Trisha nach einer ganzen Weile.

Sie waren im privaten Flügel des Palastes angelangt und eine Treppe in den zweiten Stock hinaufgestiegen. Hier oben standen keine Wachen. Im Gang hingen nur ein Wandteppich in gedämpften Farben und das Porträt eines Mannes zu Pferd. Jordan sah nichts, was ihre Tochter vielleicht interessieren würde.

„Ich war ein Stück hinter ihr, im Treppenhaus, und habe mich mit Ralphie unterhalten, einem der Gärtner. Als ich wieder nach ihr gesehen habe, war sie weg.“

Jordan entschied, dass sie lieber nicht wissen wollte, was ein Gärtner im zweiten Stock des Privatflügels getan hatte.

Es gab von hier aus nur eine Möglichkeit, wohin Whitney gegangen sein konnte.

„Und diese Tür da?“

„Sie führt zu Prinz Owens Gemächern, Ma’am.“

„Haben Sie ihr das gesagt? Dass dort ein echter Prinz wohnt?“

Trisha riss die Augen auf. „Ähm … ja, das habe ich erwähnt.“

Jordan wollte schon die Klinke drücken, aber das Kindermädchen warf sich dazwischen. „Sie können da nicht einfach hineingehen!“

„Meine Tochter ist vielleicht dort drin!“

„Bestimmt nicht.“ Jetzt wirkte Trisha entsetzt.

„Was ist denn? Warum haben Sie solche Angst? Frisst der Prinz kleine Kinder? Ist er ein hässlicher Griesgram?“

Röte stieg dem Mädchen in die Wangen. „Nein, Ma’am. Er ist nicht alt. Und er sieht wahnsinnig gut aus! Er ist wunderbar. Aber Sie können nicht einfach in sein Zimmer gehen.“

So viel zu Ralphie, dem Gärtner.

„Ich könnte niemals einfach an die Tür klopfen“, flüsterte Trisha. „Wenn er herausfinden würde, dass ich ein Kind verloren habe, auf das ich aufpassen sollte … das würde ich nicht ertragen. Er wird irgendwann König!“

„Was für ein Unsinn!“ Jordan hämmerte gegen die Tür und drückte die Klinke, bevor eine Antwort kam. Das Aufkeuchen der Nanny ließ sie kalt. Prinz oder nicht, ihr Kind war verschwunden!

„Verzeihung …“, begann sie.

Dann erstarrte sie, und ihr wich das Blut aus dem Gesicht.

Whitney war da. Sie saß an einem riesigen Tisch und schob Schachfiguren aus Kristall auf dem Brett hin und her.

Aber ihre Tochter munter und wohlbehalten zu sehen, brachte nicht die erwartete Erleichterung mit sich. Stattdessen spürte Jordan so etwas wie Panik in sich aufsteigen.

Das bilde ich mir nur ein, sagte sie sich.

Natürlich tat sie das.

Ein Mann saß ihrer Tochter gegenüber. Ganz offensichtlich war er nicht der Prinz, denn er trug verblichene Jeans und ein Hemd, das am Ellbogen dreckig war. Er hatte die Figur eines Preisboxers und sah auch wie einer aus: Er hatte mindestens ein blaues Auge und einige nur halb verheilte Kratzer.

Die Ähnlichkeit mit dem Mann, den sie damals geliebt hatte, musste sie sich nur einbilden. Auf keinen Fall war er es wirklich. Er konnte es nicht sein. Er hatte viel breitere Schultern als Ben. Und dunkles Haar, obwohl Bens Haar gefärbt gewesen war.

So etwas war Jordan früher schon ab und an passiert. Sie warf einen Blick auf einen Fremden, und ihr Herz schlug auf einmal schneller, ein Moment vermeintlichen Wiedererkennens …

Der Mann schaute auf. Das Haar, ein ganz klein wenig zu lang, fiel ihm in die Augen. Jordan machte instinktiv einen Schritt zurück.

Und dann trafen sich ihre Blicke.

Augen in der Farbe von Saphiren. So leuchtend blau wie die des Mädchens, das ihm gegenübersaß.

Es musste ein Traum sein, eine Einbildung.

Aber sein Gesichtsausdruck belehrte sie rasch eines Besseren. Wiederkennen. Schock. Und dann sprang er auf die Füße.

„Verlassen Sie bitte den Raum“, sagte er zu der zutiefst bestürzten Nanny.

„Sie müssen nicht gehen“, schnappte Jordan. „Ich bin sicher, Sie müssen von einem Gärtner keine Befehle entgegennehmen.“

Trisha sah aus, als würde sie gleich umkippen.

„Nein, Ma’am“, sagte sie. „Aber das hier ist nicht Ralph …“

„Gehen Sie“, sagte er.

Trisha machte einen Knicks und lief dabei so rot an, dass sie Jordan an die Rote Bete erinnerte, die sie vorhin erst in der Küche für ihre Tante herausgelegt hatte.

„Ja, Königliche Hoheit“, flüsterte sie und ergriff die Flucht. Beinahe wäre sie gestolpert, während sie rückwärts aus dem Zimmer eilte.

Königliche Hoheit? Der Schock war beinahe zu viel. Der Mann, den sie geliebt hatte, war … ein Prinz.

Ein echter, lebender, umwerfend aussehender Prinz.

Doch er blieb der Mann, der sie einfach verlassen hatte.

Ein Mistkerl.

Jordan starrte ihn an. Wünschte sich, er würde sich unter der Wut in ihrem Blick ducken, aber stattdessen spürte sie die vertraute Intensität seines Blicks. Die Hitze, die drohte, fünf Jahre eisigen Ärgers, der in ihr wie ein Gletscher gewachsen war, zu schmelzen.

Whitney schaute auf. „Hi, Mommy!“

Sie sah den Schock in seinem Gesicht.

„Mommy?“, sagte er, beinahe anklagend, als hätte er irgendein Recht zu erfahren, was in ihrem Leben in den letzten fünf Jahren vorgefallen war – als wäre es eine Überraschung, dass sie die Frechheit besessen hatte, ohne ihn weiterzuleben.

„Königliche Hoheit?“, schoss sie zurück, genauso anklagend.

„Prinz Owen!“, bestätigte Whitney.

„Ach, tatsächlich.“ Jordan gab sich keine Mühe, ihren Sarkasmus zu verbergen. „Und ich dachte, es wäre Prinz Ben. Oder Ben Prince?“

„Es war Blondie, oder nicht?“ Ein belustigtes Funkeln trat in seine Augen.

Wie konnte er es wagen, sie so anzusehen? Sie hasste dieses Funkeln. Es war ein Teil seines Charmes, seiner Lügen. Wahrscheinlich hatte es seit ihr ein Dutzend andere Frauen gegeben, die darauf hereingefallen waren, wenn er sie aus seinen umwerfenden Augen so angesehen hatte.

Natürlich war er wundervoll. Das sagte Jordan sonst gern zu den Mädchen, wenn sie spätnachts zu ihr kamen, um sich auszuheulen. Deshalb bist du in dieser Lage. Aber das ist kein Grund, sich wie ein Schwächling zu benehmen.

Und hier war sie nun und konnte ihre eigenen Lektionen direkt umsetzen. Sie würde Ben – Prinz Owen! – seinen Verrat nicht vergeben. Den Verrat, durch den aus einem unschuldigen, idealistischen jungen Mädchen eine zynische, verletzte Frau geworden war.

„Tja, Königliche Hoheit …“ Sie war versucht, ihn „Prinz Wichtig“ zu nennen, so wie damals, nur um ihm zu zeigen, dass sein Titel sie nicht beeindruckte. Doch das hätte er ihr vielleicht als Flirten ausgelegt, also gebrauchte sie lieber die förmliche Anrede. „Ich schätze, deine wahre Identität erklärt eine Menge – einschließlich der Tatsache, dass meine Tante diesen Auftrag bekommen hat.“

„Jordan“, sagte er leise, „meine wahre Identität erklärt gar nichts, schon gar nicht die Art, wie ich dich damals behandelt habe. Dich wiederzusehen, ist ein Schock. Ich kenne deine Tante nicht und weiß nichts von irgendeinem Auftrag.“

„Okay, klar.“ Sie versuchte, sorglos mit den Schultern zu zucken. Sie durfte sich von seiner vermeintlichen Aufrichtigkeit nicht entwaffnen lassen.

„Jordan, warum bist du in Penwyck?“

Sie hätte ihm so gern erzählt, sie wäre in Staatsangelegenheiten da. Als Bürgermeisterin einer bedeutenden Stadt. Als Chefdiplomatin der Vereinigten Staaten. Oder um irgendeine Auszeichnung entgegenzunehmen.

Wie kindisch, dass sie sich so erhöhen wollte, nur weil er ein Prinz war und sie eine Hilfsköchin.

„Ich arbeite mit meiner Tante an den Vorbereitungen für die Feier nächsten Samstag. Whitney, wir müssen gehen.“ Nur weg. Raus aus dem Zimmer und dem Palast, weg aus Penwyck.

Whitney warf ihr einen erstaunten Blick zu. „Ich will aber nicht!“

Nichts wäre im Moment schlimmer als ein Anfall kindlichen Starrsinns.

„Whitney“, sagte Jordan mit ihrer strengsten Mutterstimme, „wir gehen jetzt.“ Sie hielt ihr die Hand hin.

Whitney ignorierte sie und starrte auf die Schachfiguren.

„Wag es nicht zu lachen“, sagte Jordan warnend zu Ben. Owen. Dem Prinzen.

„Ich lache nicht“, beteuerte er. „Whitney, mach bitte, was deine Mutter sagt.“

„Ich bin Prinzessin Whitney“, erklärte sie entschieden.

„In Ordnung“, sagte Owen gelassen. „Prinzessin Whitney, ich denke, du solltest mit deiner Mutter mitgehen.“

Jordan fragte sich mit einer Spur von Beunruhigung, ob Whitney tatsächlich eine Prinzessin war.

Es gefiel ihr nicht, wie sein Blick an dem Kind hängen blieb und er auf einmal die Stirn runzelte.

„Whitney …“, sagte sie.

Auf einmal riss Owen die Augen auf. Und mit atemberaubender Geschwindigkeit hatte er den Abstand zwischen ihnen beiden überbrückt, nahm Jordan beim Ellbogen und sah ihr gerade in die Augen.

„Mein Gott, ist sie von mir?“ Sein Tonfall war eindringlich, voll von dieser prinzlichen Autorität, die Trisha dazu gebracht hatte zu flüchten.

Jordan empfand Wut – und einen Hauch von Beunruhigung.

„Wenn dich das interessiert, hättest du damals vielleicht nicht mitten in der Nacht verschwinden sollen.“

Wie konnte es sein, dass sich seine Berührung nach allem, was er ihr angetan hatte, immer noch so gut anfühlte? Sie rief ein Kribbeln in ihr wach – und mehr als das. Beinahe wäre ihr schwindlig geworden, doch sie würde auf keinen Fall so schwach sein wie damals.

Er ließ ihren Ellbogen los. „Wir müssen reden.“

„Weißt du was? Das denke ich nicht. Und im Gegensatz zu dem armen, verschreckten Mädchen gerade muss ich nicht einfach tun, was du befiehlst.“

„Jordan, das war kein Befehl“, behauptete er, aber aus nächster Nähe konnte sie die Veränderung in ihm sehen. Er war nicht mehr der sorglose Junge von damals. Stattdessen hatte er die Ausstrahlung eines Mannes, der erwartete, dass man ihm gehorchte. Der es als sein Recht sah, Anweisungen zu geben.

Aber ihn umgab auch die Aura der Einsamkeit, die mit so einer Position einherging. Er wirkte … distanzierter.

„Whitney, wir müssen gehen.“

Ihre Tochter warf ihr einen wütenden Blick zu, aber glücklicherweise glitt sie vom Stuhl und kam auf Jordan zu. Doch dann, auf einmal, drehte sie um und rannte los, durch eine offen stehende Tür.

Jordan schloss einen Moment lang die Augen und holte tief Luft. Sie schaute Owen bewusst nicht an, sondern folgte ihrer Tochter.

In der Tür blieb sie wie angewurzelt stehen.

Es war sein Schlafzimmer. Und es hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Zimmer im Keller, in dem sie vor so vielen Jahren für kurze Zeit zusammengelebt hatten.

Das Bett war riesig. Ein Himmelbett, natürlich. Alle Möbel waren aus dunklem, schwerem Holz, und in der Luft hing sein Geruch: süß, berauschend und männlich.

Jordan sah den schwarzen Absatz von Whitneys Schuh unter dem Bett hervorlugen. Sie ging hinüber und zog daran, aber Whitney riss sich los und verschwand tiefer unter dem Bett.

Jordan trug einen Rock, und nicht einmal einen besonders hübschen. Sie konnte nicht einfach auf Hände und Knie gehen und ihre Tochter unter dem Bett hervorziehen.

„Ich hole sie“, sagte Owen mit irritierender Gelassenheit.

Jordan überkreuzte die Arme vor der Brust. „Nur zu.“

Owen setzte sich neben dem Bett auf den Boden. „Prinzessin Whitney?“

„Ja, Prinz Owen?“

„Ich habe mich gefragt, ob du gern morgen zu mir zum Tee kommen würdest.“

„Tee?“, fragte Whitney unsicher. „Ich darf noch keinen Tee trinken. Ich bin noch nicht alt genug.“

„In Penwyck nennen wir es Tee, aber eigentlich gibt es Kuchen und Kekse. Oder Erdbeeren mit Sahne.“

„Erdbeeren?“, wiederholte Whitney.

„Und manchmal Scones.“

„Die mag ich nicht“, entschied Whitney, obwohl sie keine Ahnung haben konnte, was das überhaupt war.

„Und der Koch macht manchmal kleine Cupcakes, die wie Clowns aussehen.“

„Cupcakes mit Blumen?“, fragte Whitney.

„Blumen? Nein. Wer tut denn Blumen in seine Cupcakes?“

„Die Köchin, die das Catering für deine Party übernimmt“, sagte Jordan trocken.

„Oh.“ Er runzelte die Stirn. „Ich wollte eigentlich keine Party. Mein Vater ist krank, mein Bruder ist nicht hier. Nicht gera...

Autor

Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

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