Karibik, Küsse ... und mehr?

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Francesca braucht keinen Aufpasser auf ihrer Karibikreise! Doch so sehr sie sich über den attraktiven Security-Boss Felipe Lorenzi aufregt, wecken seine glühenden Blicke auch erotische Sehnsüchte. Aber kaum gibt Francesca sich seinen heißen Küssen hin, weist er sie eiskalt ab …


  • Erscheinungstag 06.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746971
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Hört ihr mir überhaupt zu?“ Francesca Pellegrini warf den beiden Männern, die mit ihr in einem der zugigen Zimmer des Familienschlosses saßen, wütende Blicke zu. Ungeduldig zog sie ihren Pferdeschwanz noch etwas straffer. „Macht ihr nun dabei mit, das Krankenhaus im Angedenken an Pieta zu bauen, oder nicht?“

Daniele warf genervt die Hände in die Luft. „Müssen wir das ausgerechnet jetzt besprechen, am Tag seiner Beerdigung?“

„Es geht um das Vermächtnis unseres toten Bruders!“, rief Francesca ihm gereizt ins Gedächtnis.

Sie hatte gewusst, dass bei Daniele und Matteo einiges an Überzeugungsarbeit nötig sein würde, aber sie zweifelte nicht daran, letztendlich ihre Zustimmung zu bekommen.

Hurrikan Igor hatte zehn Tage zuvor auf der Karibikinsel Caballeros gewütet. Zwanzigtausend Menschen waren dabei ums Leben gekommen, und es gab nur noch sieben funktionierende Krankenhäuser für acht Millionen Menschen. Als Pieta, der Älteste der Pellegrini-Geschwister, in den Nachrichten von der Zerstörung erfahren hatte, war er sofort aktiv geworden, um zu helfen. Es war typisch für ihn gewesen, sich so zu engagieren, und Francesca hatte ihren Bruder stets dafür bewundert.

Pieta hatte nicht nur eine internationale Anwaltskanzlei geführt, sondern sich auch immer wieder für notleidende Menschen in Katastrophengebieten eingesetzt. Er hatte Geld gespendet und Wohltätigkeitsveranstaltungen organisiert, aber auch selbst zugepackt. Gerade dafür hatte man ihn sehr verehrt, und Francesca war stolz gewesen, seine Schwester zu sein. Bei einem Hubschrauberabsturz war er nun ums Leben gekommen … Sie konnte immer noch nicht fassen, dass sie ihn nie wiedersehen würde.

„Ich bitte euch ja nicht um etwas Menschenunmögliches“, fuhr sie fort. „Nur darum, sein Projekt im Angedenken an ihn fortzusetzen. Das Krankenhaus, das er für diese Insel bauen wollte, war eine Herzensangelegenheit für ihn!“

Ihr Bruder Daniele verdiente ein Vermögen – er hatte gerade eine brandneue Jacht geliefert bekommen! –, aber tat er etwas Gutes damit? Nein! Er lebte nur für sein Geld!

Francesca war zwar bewusst, dass sie gerade ziemlich ungerecht war, aber das war ihr egal. Pieta war tot, und sie konnte diesen Verlust nur ertragen, wenn sie sein Projekt fortsetzte. Es war sein Vermächtnis.

„Ich sage ja nicht, dass deine Idee schlecht ist“, entgegnete Daniele gereizt. „Ich finde nur, dass wir nichts überstürzen sollten. Was ist mit deiner Sicherheit?“

„Das Land wurde dem Erdboden gleichgemacht! Was soll jetzt noch passieren? Die einzigen Probleme sind Ruhr und Cholera.“

„Sei nicht so naiv! Caballeros ist eins der gefährlichsten und korruptesten Länder der Welt! Und du verlangst, dass Matteo und ich einfach unsere Leute dorthinschicken!“

Matteo Manaserro, ihr Cousin, besaß zahlreiche Privatkliniken für Menschen, die sich weigerten, in Würde zu altern. Er hatte auch eine Produktreihe verjüngender Kosmetik entwickelt, die ihn so reich wie Krösus gemacht hatte. Francescas Mutter benutzte sie selbst und schwor, dass sie seitdem kaum etwas an sich hatte machen lassen müssen. Pieta hatte oft gesagt, dass Matteo einer der besten Chirurgen weltweit sein könnte, wenn er sein Talent nicht daran verschwenden würde, immer nur dem Geld nachzujagen …

„Ich fliege morgen nach Caballeros. Dann werde ich euch zeigen, dass eure Sicherheitsbedenken unbegründet sind“, fauchte Francesca.

Daniele lief vor Wut hochrot an. „Das wirst du nicht tun!“

„Oh doch, das werde ich! Es ist schon alles organisiert.“

„Du wirst nicht fliegen! Du hast gar nicht die Befugnis, Pietas Arbeit fortzusetzen.“

„Doch, die habe ich“, spielte sie ihren Trumpf aus. „Natasha hat mich schriftlich bevollmächtigt, sie als Pietas nächste Angehörige zu vertreten.“

Ihre Schwägerin, die bis jetzt wie ein stummer Geist dem Meeting beigewohnt hatte, hob benommen den Blick, als ihr Name fiel. Francesca war bewusst, dass sie den fragilen Zustand ihrer Schwägerin schamlos ausgenutzt hatte, um an diese Vollmacht zu kommen, verdrängte ihr schlechtes Gewissen jedoch. Hier ging es um Pietas Vermächtnis, und sie würde alles tun, um das zu verwirklichen. Sie musste einfach! Wenn sie Pieta Werk vollendete, würde sie vielleicht endlich ihre Schuldgefühle loswerden.

Es tut mir so schrecklich leid, Pieta. Ich habe es nicht so gemeint. Du warst der Beste von uns, und ich habe dich aufrichtig geliebt. Verzeih mir. Bitte!

„Das ist viel zu gefährlich!“ Daniele schlug so heftig mit einer flachen Hand auf den alten Eichentisch, dass sogar Matteo zusammenzuckte.

Doch Francesca hörte nicht auf die Stimme der Vernunft. Sie konnte einfach nicht. Sie wollte das Projekt nun mal durchziehen – schon allein, um Abbitte zu leisten. „Ihr könnt ja mitkommen und auf mich aufpassen, wenn ihr euch solche Sorgen macht. Aber das Krankenhaus wird mit oder ohne euch gebaut werden, und wenn ich es mit meinen eigenen Händen errichten muss!“

Daniele sah aus, als würde er gleich platzen vor Wut. Was vielleicht sogar passiert wäre, wenn Matteo nicht einlenkend eine Hand gehoben hätte. „Ich bin dabei. Falls Daniele einverstanden ist, werde ich nach Fertigstellung des Baus persönlich für die nötige Einrichtung sorgen, aber nur einen Monat lang, und nur, weil ich Pieta geliebt habe.“

„Ausgezeichnet.“ Wenn Francesca dazu imstande gewesen wäre, hätte sie gelächelt.

„Aber ich stimme Daniele zu, dass deine Sicherheit oberste Priorität hat. Du unterschätzt die Gefahr. Ich schlage vor, wir holen Felipe ins Boot.“

Daniele richtete die Aufmerksamkeit auf Matteo und nickte langsam. „Ja, das ist eine gute Idee. Er wird für Francescas Sicherheit sorgen, während sie Diktatoren herumkommandiert. Und um die Sicherheit unserer Angestellten wird er sich auch kümmern!“

„Moment mal“, schaltete Francesca sich verdutzt ein. „Wer ist Felipe?“

„Felipe Lorenzi ist ein spanischer Sicherheitsexperte. Pieta hat oft seine Dienste in Anspruch genommen.“

„Ich habe noch nie von ihm gehört.“ Was vermutlich nicht weiter überraschend war. Sie hatte erst vor ein paar Monaten als Referendarin in Pietas Kanzlei angefangen und bis jetzt nie mit seiner Wohltätigkeitsarbeit zu tun gehabt.

„Er war früher mal bei einer Spezialeinheit der spanischen Armee“, erklärte Matteo. „Nach seiner Entlassung hat er eine Sicherheitsfirma für Firmen und Privatpersonen gegründet, die in gefährliche Länder reisen müssen. Er verdient ein Vermögen damit. Pieta hielt große Stücke auf ihn. Ich kann mir gut vorstellen, dass er ihn auch für dieses Projekt engagiert hätte, wenn er …“

Wenn er noch leben würde.

Eine schmerzliche Gesprächspause entstand. „Dann nehmen wir ihn“, brach Francesca irgendwann das Schweigen. Sie würde das zwar nie zugeben, aber die Vorstellung, allein nach Caballeros fliegen zu müssen, hatte ihr ganz schön Angst gemacht. Sie war bisher noch nie allein gereist.

„Du wirst dich vielleicht ein paar Tage lang gedulden müssen, bis er alles organisiert hat“, wandte Matteo ein.

„Das geht nicht. Ich will wirklich keine Schwierigkeiten machen, aber morgen habe ich ein Meeting wegen des Grundstückskaufs. Wenn ich das absage, kriege ich vielleicht nicht so schnell wieder eine Chance. Wir können uns keine Verzögerungen erlauben.“

Das ganze Projekt hing vom Erwerb des Grundstücks ab. Ohne Grundstück kein Krankenhaus … und kein Vermächtnis. Sie musste es einfach haben!

Danieles Augen blitzten wütend auf. „Und du kannst dir nicht erlauben, unnötige Risiken einzugehen!“

„Pieta hat das doch auch ständig gemacht“, protestierte sie. „Ich entscheide selbst, welche Risiken ich eingehe. Außerdem überschätzt ihr die Gefahren bestimmt.“

„Du wirst nicht …“

Matteo hob wieder einlenkend eine Hand. „Francesca, wir wissen beide, dass du Pietas Andenken ehren willst – das wollen wir alle –, aber du musst verstehen, dass wir uns Sorgen um deine Sicherheit machen. Lass uns mit Felipe telefonieren. Er hat genug Leute. Er kriegt es schon irgendwie hin, bis morgen alles Nötige vorzubereiten.“

Francesca entging sein warnender Blick in Danieles Richtung nicht.

Daniele nickte und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Francesca. „Du wirst tun, was Felipes Leute dir sagen. Auf keinen Fall wirst du dich unnötigen Risiken aussetzen, hast du das verstanden?“

„Heißt das, ihr macht mit?“

Daniele seufzte tief. „Ja, wir machen mit. Können wir jetzt zum Rest unserer Familie zurück? Unsere Mutter braucht uns.“

Francesca nickte. Der Druck, der seit einer Woche auf ihrer Brust lastete, löste sich etwas. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Jetzt wollte sie nur noch zu ihrer Mutter und sie tröstend in die Arme nehmen. „Noch mal zusammengefasst – ich kümmere mich um die Verträge, Daniele um alles Bauliche und Matteo um die Technik. Und was ist mit dir, Natascha? Übernimmst du die PR?“

Natasha zuckte lustlos die Achseln. „Kann ich machen.“

„Tja, dann sind wir hier fertig.“ Francesca stand auf und reckte ihre verkrampften Schultern. Jetzt, wo sie Daniele und Matteo auf ihrer Seite hatte, konnte sie endlich um den Bruder trauern, den sie so geliebt hatte. Wenn auch nur für eine Nacht.

Denn ab morgen würde sie alle Hände voll zu tun haben.

Francesca stieg die Stufen zu Pietas Privatjet hoch, die Augen von einer Sonnenbrille gegen das grelle Sonnenlicht geschützt. Die Crew begrüßte sie in gedämpfter Stimmung. Ihr Bruder war von seinem Personal sehr verehrt worden, und die offensichtliche Trauer der Menschen hier rührte Francesca.

Ihr war schwer ums Herz, und nach der kurzen Nacht im zugigen alten Schloss ihrer Kindheit fühlte sie sich schrecklich erschöpft. Sie hatte eindeutig zu viel Wein getrunken und zu wenig geschlafen!

Nun saß sie das erste Mal im Privatjet ihres verstorbenen Bruders. Unter anderen Umständen hätte sich Francesca auf die Reise gefreut. Aber so …

Zum Glück hatte sie die von Natasha unterschriebene Vollmacht in der Tasche. Sie erlaubte ihr, alles zu tun, um das Krankenhausprojekt Wirklichkeit werden zu lassen. Sogar auf Pietas Privatvermögen konnte sie damit zugreifen!

Daniele hatte sich zu Recht über die Vollmacht aufgeregt. In ihrer Trauer hätte Natasha wohl alles unterzeichnet, was man ihr vorgelegt hätte. Nach der Beerdigung hatte Francesca deswegen ihren Cousin zur Seite genommen und ihn gebeten, sich ein bisschen um ihre Schwägerin zu kümmern. Matteo, der von seinem dreizehnten Lebensjahr an zusammen mit ihr und ihren Brüdern aufgewachsen war, würde bestimmt gut für Natasha sorgen.

Man führte Francesca in die Hauptkabine des luxuriös ausgestatteten Jets, doch bevor sie sich gründlich umsehen konnte, sah sie zu ihrer Überraschung einen Mann in einem der Ledersessel sitzen, einen Laptop auf dem Tisch vor sich aufgeklappt.

Bei seinem Anblick blieb sie wie angewurzelt stehen.

Der Typ war mit Abstand der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Als er den Blick hob und sie aus kohlschwarzen Augen ansah, stockte ihr der Atem.

Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bevor der Fremde das Wort ergriff.

„Sie müssen Francesca sein“, sagte er mit schwerem spanischen Akzent.

Francesca blinzelte, als ihr bewusst wurde, wie fasziniert sie ihn anstarrte. „Ja. Und Sie sind?“

„Felipe Lorenzi.“

Sie sind Felipe?“

Als Matteo und Daniele ihr von einem ehemaligen Soldaten einer Sondereinheit der spanischen Armee erzählt hatten, war vor ihrem inneren Auge sofort ein vierschrötiger tätowierter Mann mit kahl rasiertem Kopf in ausgebeulter Kakihose aufgetaucht. Dieser Mann hier sah jedoch komplett anders aus. Er hatte volles, etwas längeres schwarzes Haar, das noch dunkler war als seine Augen, und trug einen offensichtlich teuren, maßgeschneiderten hellgrauen Anzug mit dazu passender Weste und Krawatte.

Er hob eine Augenbraue. „Haben Sie jemand anderen erwartet?“

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Francesca nervös, als sie ihm gegenüber Platz nahm und sich anschnallte. Es fiel ihr immer noch schwer, den Blick von ihm loszureißen. Sie versuchte, sich möglichst selbstsicher und ungerührt zu geben. „Nein, ich habe mit niemandem gerechnet. Man hat mir gesagt, dass ich erst auf Caballeros auf Ihre Leute treffen würde.“

Sie wusste, dass Daniele und Matteo alles Nötige für ihren persönlichen Schutz arrangiert hatten, hätte allerdings nicht mit Begleitschutz während ihres Hinflugs gerechnet. Wäre sie darauf vorbereitet gewesen, hätte sie etwas mehr auf ihr Äußeres geachtet. Sie hatte noch nicht mal geduscht oder sich das Gesicht eingecremt.

Das Gesicht ihr gegenüber brauchte offensichtlich keine Feuchtigkeitscreme. Francesca wurde fast schwindlig beim Anblick von so viel männlicher Schönheit. Der Mann hatte einiges durchgemacht, das erkannte man an den harten Linien um seine Augen und seinen Mund und an den weißen Haaren in seinem dichten Bart. Er hatte eine gefährliche Aura … die sie jedoch auf eine unerklärliche Art und Weise anzog.

„Die Situation auf Caballeros ist instabil. Es ist nicht ratsam, dort ohne Schutz hinzufliegen.“

Schon gar nicht für eine Frau wie diese, dachte Felipe. Er hatte ihr eigentlich zur Begrüßung die Hand schütteln wollen, aber ihr Anblick hatte ihn etwas überrumpelt.

Da die beiden Pellegrini-Brüder gut aussahen, hatte er bei ihrer jüngeren Schwester auch damit gerechnet, doch Francesca Pellegrini sah nicht nur gut aus. Sie war auch umwerfend sexy in ihrer engen zerrissenen Jeans, ihrer weiten weißen Bluse und den Glitzer-Sandalen an den hübschen kleinen Füßen.

„Ich wusste nicht, dass Sie persönlich auf mich aufpassen. Ich dachte, Sie stellen mir jemand anderen zur Seite.“

„Normalerweise mache ich das auch so, aber manchmal übernehme ich diese Aufgabe selbst. Das hier ist eine dieser Ausnahmen.“

Im Laufe seiner Karriere hatte Felipe so viele Verluste erlebt, dass er fast immun dagegen war. Sein Schock nach Pietas Tod hatte ihn daher ziemlich überrascht. Pieta, den er im Laufe der Jahre gut kennengelernt hatte, war ein außergewöhnlicher Mann gewesen, intelligent und von Natur aus vorsichtig. Er hatte genau gewusst, wie man sich in brenzligen Situationen verhalten musste.

Felipe war in einer Hotelbar im Mittleren Osten gewesen, als Daniele und Matteo ihm telefonisch mitgeteilt hatten, dass Danieles kleine Schwester gleich am nächsten Morgen nach Caballeros aufbrechen wollte – in ein Land, das in Anarchie zu versinken drohte. Er hatte sich Pieta gegenüber sofort verpflichtet gefühlt, seine Schwester persönlich zu beschützen. Zehn Stunden später war er in Pisa gelandet und in Pietas Jet gestiegen.

Francesca nahm ihre Sonnenbrille ab und verstaute sie in ihrer Handtasche. Als sie den Blick zu Felipe hob, durchzuckte es ihn heiß.

Ihre Körpergröße war das einzig Durchschnittliche an ihr. Alles andere war außergewöhnlich – angefangen von ihrem langen schwarzen Haar über ihre schimmernde bronzene Haut bis hin zu ihren vollen Lippen. Der einzige Makel waren ihre Augen, die so rot und geschwollen waren, dass die braune Iris kaum zu erkennen war.

Erst gestern hatte sie ihren Bruder beerdigt.

Er rief sich Danieles Warnung ins Gedächtnis, dass sie deswegen gerade ziemlich durch den Wind war. „Mein herzliches Beileid wegen Pietas Tod.“

„Warum waren Sie nicht bei seiner Beerdigung?“, fragte sie spitz. Ihre vom Weinen heisere Stimme zitterte etwas.

„Meine Arbeit hat Vorrang. Pieta hätte Verständnis dafür gehabt.“ Felipe hatte sich vorgenommen, bei seinem nächsten Besuch in Europa Pietas Grab zu besuchen und einen Kranz niederzulegen, um ihm seine Ehre zu erweisen.

„Wieso? Sie haben Ihre anderen Termine doch auch verschoben.“

„Das habe ich“, räumte er ein. Er hatte für seine Vertretung kurzfristig eine seiner Führungskräfte aus dem Urlaub zurückbeordern müssen. „Aber Caballeros ist eine gefährliche Insel.“

„Um eins klarzustellen – Sie arbeiten für mich, nicht für meinen Bruder“, sagte sie in jenem makellosen Englisch, das alle Pellegrinis sprachen. „Meine Schwägerin hat mir schriftlich Vollmacht gegeben, ihre Interessen bei diesem Projekt zu vertreten.“

Felipe musterte sie aus schmalen Augen. „Wie alt sind Sie eigentlich?“ Mit sechsunddreißig war er ein Jahr älter als Pieta, der Älteste der drei Pellegrini-Geschwister.

Trotzig hob sie das Kinn. „Dreiundzwanzig.“

„Fast eine alte Frau“, spöttelte er. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie noch so jung war. Jetzt war Felipe doppelt so froh, sofort gekommen zu sein. Er hätte sie auf Mitte zwanzig geschätzt. Das war zwar nicht viel mehr als dreiundzwanzig, aber genau diese Jahre waren oft am entscheidendsten im Leben eines Erwachsenen. Zumindest war das bei ihm so gewesen.

Es waren die besten Jahre seines Lebens gewesen … jäh beendet von einer missglückten Geiselbefreiung, die mit dem Tod seines besten Freundes und einer Kugel in Felipes Bein geendet hatte. Und mit seiner sofortigen Entlassung aus der Armee …

Francesca erwiderte störrisch seinen Blick. „Ich mag noch jung sein, aber ich bin nicht blöd. Sie können sich Ihre Herablassung sparen.“

„Alter hat nichts mit Intelligenz zu tun“, räumte er ein. „Wo sind Sie bisher überall hingereist?“

„In viele Länder.“

„Ich nehme an, es handelte sich um Urlaubsreisen mit Ihrer Familie?“

Francescas verstorbener Vater, Fabio Pellegrini, war ein Nachfahre der alten italienischen Königsfamilie gewesen. Die Pellegrinis machten zwar längst keinen Gebrauch mehr von ihren Adelstiteln, aber ihnen gehörten immer noch ein Schloss in der Toskana und viel Geld. Vanessa Pellegrini, die Matriarchin, entstammte auch einer alten reichen Familie. Weder ihnen noch ihren Kindern hatte es je an etwas gefehlt.

Felipes eigene Kindheit hätte nicht gegensätzlicher sein können.

„Ja“, bestätigte Francesca. „Ich war fast überall in Europa, in den Staaten und in Australien. Ich würde sagen, ich bin weit gereist.“

„Und in wie vielen dieser Länder herrschte Krieg?“

„In Caballeros herrscht kein Krieg.“

„Noch nicht. In wie vielen Ländern war Hygiene ein Problem?“

„Ich habe wasserdesinfizierende Tabletten dabei.“

Felipe unterdrückte ein Lächeln. Anscheinend hatte sie auf alles eine Antwort, aber sie wusste nicht, worauf sie sich einließ. „Die werden Sie nicht brauchen.“

„Warum nicht?“

„Weil Sie nicht auf Caballeros bleiben werden. Ich habe für Sie ein Hotel auf Aguadilla gebucht.“ Aguadilla war eine spanisch-karibische Insel in der Nähe von Caballeros, wurde jedoch von Wirbelstürmen verschont und war politisch stabiler.

„Sie haben was?!“

„Ich habe Ihr Zimmer in der Absteige abgesagt, die Sie in San Pedro gebucht haben“, erklärte er ungerührt. „Ich habe eine Cessna vor Ort, mit der Sie zu Ihren Meetings pendeln können.“

Francesca errötete vor Wut. „Dazu hatten Sie kein Recht! Diese Absteige hat Pieta selbst ausgesucht!“

„Und er hätte meine Firma zum Personenschutz engagiert. Er war kein Idiot. Sie sind eine schutzlose Frau …“

„Bin ich nicht!“

„Betrachten Sie sich doch mal durch die Augen eines mittellosen Einheimischen. Sie sind jung, reich, schön und eine Frau, ob es Ihnen gefällt oder nicht.“

„Ich bin nicht reich!“

„Aber Ihre Familie. Caballeros ist das sechstgefährlichste Land der Welt. Die Lage war schon schlimm genug, als die Leute noch ein Dach über dem Kopf hatten. Jetzt haben sie alles verloren. Man wird ein Kopfgeld auf Sie aussetzen, sobald Sie Landesboden betreten.“

„Aber ich will für die Bevölkerung ein Krankenhaus bauen!“

„Viele Einheimische werden Ihnen auch sehr dankbar dafür sein. Wie auf jeder Insel in der Karibik wimmelt es von wundervollen und gastfreundlichen Menschen, aber in der Vergangenheit gab es dort mehr Militärputsche als in jedem anderen von Spanien unabhängig gewordenen Land. Die Polizei und die Politiker sind durch die Bank korrupt.“

Francesca funkelte ihn wütend an. „Mir sind die Risiken durchaus bewusst“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Ich habe zugestimmt, mich von Ihrer Firma beschützen zu lassen, aber nicht, mich von Ihnen bevormunden zu lassen! Sie hatten nicht das Recht, meine Pläne zu ändern. Ich werde Ihnen Ihr volles vereinbartes Honorar zahlen, aber ich brauche Ihre Dienste nicht mehr. Nehmen Sie Ihre Sachen und steigen Sie aus. Ich kündige unseren Vertrag.“

Man hatte Felipe schon gewarnt, dass sie so reagieren würde. Sowohl Daniele als auch Matteo hatten Felipe auf ihr Temperament und ihr Pochen auf Unabhängigkeit hingewiesen. Und dass man sie manchmal vor sich selbst retten musste.

„Tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Sie haben nicht die Befugnis, mich zu feuern.“ Felipe zuckte nonchalant die Achseln und gähnte. Dios, war er müde! Er hatte zwei Nächte lang kein Auge zugetan und keine Lust auf Stress. „Ihre Schwägerin hat Ihre Vollmacht ergänzt. Sollte ich zu irgendeinem Zeitpunkt berichten, dass Sie meinen Rat nicht befolgen, was Ihre Sicherheit angeht, wird Ihnen die Vollmacht entzogen und das Projekt abgeblasen.“

Ihr schockierter Gesichtsausdruck war unbezahlbar. „Natasha hat das gemacht? Natasha?!“

„Ja, auf Danieles Bitte hin. Soweit ich weiß, wollte er die Vollmacht ganz rückgängig machen. Diese Lösung war ein Kompromiss.“ Noch während Felipe sprach, setzte sich das Flugzeug in Bewegung.

Wütend verzog Francesca das Gesicht. „Dieser dreckige, hinterhältige …“

„Ihr Bruder und Ihre ganze Familie machen sich große Sorgen um Sie. Sie halten Sie für zu emotional und zu impulsiv, um das Projekt reibungslos umzusetzen. Ich bin hier, umIhnen beizustehen.“ Er beugte sich vor. „Ich habe nicht die Absicht, Sie zu tyrannisieren, aber wenn Sie sich leichtsinnig verhalten, werde ich Sie umgehend nach Pisa zurückbefördern.“

Wütend presste sie die Lippen zusammen. „Ich will die Ergänzung sehen!“

„Natürlich.“ Felipe zog das Dokument aus seiner Jackettasche.

Francesca beugte sich vor und riss es ihm aus der Hand. Sie wurde ganz blass, als sie die Zeilen las.

„Das ist eine Kopie des Originals“, erklärte er, falls sie auf die Idee kommen sollte, das Schriftstück zu zerreißen.

Erbost funkelte sie ihn an. „Ich habe Jura studiert! Ich weiß, wie eine Kopie aussieht.“ Sie holte tief Luft und ballte die Hände zu Fäusten. „Glauben Sie nicht, dass ich mich von Ihnen herumkommandieren lasse, Mr. Lorenzi! Ich mag noch jung sein, aber ich bin kein Kind mehr. Dieses Projekt bedeutet mir alles.“

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
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