Keine Liebe ohne Risiko

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Liebe mich, Eve! Ich möchte, das du heute Nacht deine Fantasien mit mir auslebst. Genau das würde Eve am liebsten tun, doch noch sind ihre Bedenken zu groß. Sie weiß zwar, dass der faszinierende Bankier Drew Cummings ihr Traummann ist, aber sie befürchtet, für ihn nur eine Gespielin für eine Nacht zu sein. Und sie hat sich immer geschworen, nur mit dem Mann ins Bett zu gehen, den sie einmal heiraten wird. Noch vor kurzer Zeit schien ihr sehnlichster Wunsch, dass Drew derjenige sein könnte, in erreichbare Nähe gerückt zu sein. Aber seit Charlotte, seine Ex-Verlobte, aus Amerika zurückgekehrt ist, sind ihre Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft stark gesunken. Die ausgesprochen attraktive Frau lässt nichts unversucht, um Drew erneut an sich zu binden.


  • Erscheinungstag 27.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746377
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wir müssen es nicht tun … weißt du …?“

Eve hatte Mitleid mit dem halbwüchsigen Jungen. „Uns küssen? Bestimmt nicht“, antwortete sie in entschiedenem Ton. Der Anflug eines Lächelns lag auf ihren Lippen, als er sich mit einem wenig schmeichelhaften Seufzer, die schmalen Schultern hochgezogen, nach hinten in das lederne Chesterfieldsofa plumpsen ließ.

„Es ist nicht persönlich gemeint“, fügte er hinzu. Er warf einen kurzen Blick in ihre Richtung, nur um zu sehen, ob sie seine kolossale Zurückweisung auch verkraftete.

„Keine Sorge. Ich werd’s überleben.“ Das belustigte Leuchten in ihren lebhaften dunkelbraunen Augen strafte den Ernst ihrer Worte Lügen.

Es sagt viel aus über die Überredungskünste meines Bruders, dachte sie mit unfreiwilliger Bewunderung für ihr manipulatives Bruderherz, dass wir beide hier wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Sofa von Daniel Becks Eltern im Ehrfurcht gebietenden, prächtigen Haus von Daniel Becks Eltern sitzen. Eve gab sich alle Mühe, sich von ihrer Umgebung nicht einschüchtern zu lassen. Bis heute hatte sie nicht gewusst, aus welchen Verhältnissen der ruhige, ernste Freund ihres Bruders stammte. Alles in diesem prachtvollen Haus verriet Geschmack und Geld – enorm viel Geld.

Zweifellos hatte dieses Sofa noch kein Designerlabel gesehen, wie ihr schwarzer Seidenrock es eingenäht hatte. Und bestimmt war es das Einzige, das sie jemals trug – oder für diesen Zweck tragen würde.

Und das nicht nur, weil ihre Einkünfte einen solchen Luxus nicht erlaubten. Eve kleidete sich lieber bequem als auffallend. In ihrem Schrank hing das Prachtstück von einem Rock, den sie zu Hochzeiten, Beerdigungen und Gesprächen mit dem Filialleiter ihrer Bank herausholte. Wahrscheinlich fühlte sie sich genauso unbehaglich wie der arme Daniel, der aussah, als – nun, offen gesagt, er sah aus, als würde er sich am liebsten ganz schnell aus dem Staub machen.

Sie warf einen Blick auf ihre klobige Armbanduhr, die entschieden nicht zu ihrem aufreizenden Outfit passte. Nick hatte es geschafft, sie mit seinen ausführlichen Anweisungen auf die Folter zu spannen. „Jetzt dauert es nicht mehr lange.“

„Oje!“

Genau das denke ich auch! Sie brachte ein Lächeln zustande. Es sollte beruhigend und mütterlich sein. Was das Mütterliche betraf, so war es nicht allzu schwierig. Zeitlich trennten sie etwa fünf Jahre von diesem Jungen. Aber in jeder anderen Hinsicht fühlte sie sich um Jahrhunderte älter.

„Wie lange sind deine Eltern noch weg, Daniel?“ Ich bringe Nick um, weil er mich zu dieser Sache überredet hat, dachte sie, als ihre Wangenmuskeln anfingen, vom angestrengten Lächeln wehzutun. Was mach ich bloß, wenn er mir ohnmächtig wird, bevor sie alle hier ankommen? Oder, schlimmer noch, wenn er sich übergeben musste auf diesem Teppich – einem Teppich, der, nebenbei gesagt, viel zu kostbar aussah, um betreten zu werden. Die Vorstellung vom drohenden Verhängnis nahm immer deutlichere Gestalt an.

„Mums Buchtournee in den Staaten dauert noch etwa eine Woche“, sagte Daniel teilnahmslos. „Dad kommt vielleicht ein paar Tage früher – das Geschäft, du weißt ja.“

Mir wäre es nur recht, wenn er genau jetzt durch diese Tür hereinspaziert käme, dachte sie und richtete den Blick hoffnungsvoll auf den holzvertäfelten Eingang. Bei den wenigen Gelegenheiten, die sie Alan Beck getroffen hatte, hatte er auf sie den Eindruck eines warmherzigen, freundlichen Mannes gemacht, der durchaus imstande schien, ohne fremde Hilfe die Probleme seines Sohnes zu lösen.

„Die Glücklichen. Ich hätte nichts dagegen, jetzt auch dort zu sein.“ Besser irgendwo sonst auf der Welt als hier. War sie weichherzig? Wohl eher doof!

„Mum ist nicht gern von zu Hause weg.“

Bei diesem Zuhause? Wer könnte ihr das verdenken? dachte Eve mit einer Spur Neid. Nächsten Monat würde sie es sich endlich leisten, ihre Küche frisch zu streichen. Eine neue Winterjacke brauchte sie eigentlich nicht, die alte tat es auch noch.

„Da ist sie ganz anders als Onkel Drew! Er war schon überall.“

Nicht Onkel Drew! Eves Stöhnen wich schnell einem leisen Laut, der Interesse signalisierte. Das genügte, und Daniel begann, sich eifrig über das Thema auszulassen – sie hatte es befürchtet. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich leicht, als Daniel immer mehr ins Schwärmen geriet, in seine blassen Züge Leben kam, während er die Tugenden seines Helden in den höchsten Tönen pries.

Eve wusste alles über Onkel Drew. Sie hätte eine Doktorarbeit schreiben können über diesen Mann und all die kühnen, mannhaften Taten, mit denen er sich offenbar hervortat. Seit der Onkel eingezogen war, um während der Abwesenheit seiner Eltern hier zu wohnen, war er Daniels Hauptgesprächsthema – nein, er war das einzige Gesprächsthema überhaupt. Ausgenommen das Dilemma, aus dem dieses verrückte Theater ihn herausholen sollte.

Für Eve hörte es sich an, als wäre Onkel Drew ein Spätentwickler. Sie konnte ihn sich gut als verwöhntes Kind reicher Eltern vorstellen, das sich zu genau jenem überheblichen, unreifen Macho entwickelt hatte, den sie partout nicht ausstehen konnte. Ein Exemplar für den Zoo!

Sie schüttelte sich angewidert, als sie im Geiste seinen sorgfältig gehegten und gepflegten Bizeps und sein übergroßes Ego vor sich sah. Sie hatte den starken Verdacht, dass die meisten seiner angeblichen Heldentaten reine Erfindung waren. Für einen empfindsamen Jungen wie Daniel, der wegen seiner fehlenden sportlichen Fähigkeiten schon zu Minderwertigkeitskomplexen neigte, war er ein geradezu abschreckendes Beispiel.

„Onkel Drew sagt …“ Daniel verstummte plötzlich mitten im Satz, und ihr blieben weitere Einzelheiten seines Personenkults erspart. „Sie kommen die Auffahrt herauf“, flüsterte er. Von Entsetzen gepackt, blickte er starr durch das Fenster auf die weit geschwungene Zufahrt hinaus. „Ich kann sie schon sehen! Was machen wir jetzt?“

„Nur keine Panik“, sagte Eve, als sie merkte, dass ihr die Nerven flatterten. „Zerzaus dir das Haar.“ Sie sah ihn an und krauste kritisch die Stirn. Die letzte Anweisung ihres Bruders schoss ihr in den Sinn: „Um Himmels willen, Evie, zeig ein bisschen Bein“, und schon schob sie den kurzen Rock ihres schwarzen Kleids höher.

„Was?“

„Einfach so.“ Sie fuhr sich ungeduldig mit den Fingern durch das kurze, gewellte schwarze Haar. „Komm, lass mich mal machen“, sagte sie, der Verzweiflung nah. Sie beugte sich vor und verwuschelte dem Jungen die blonden Locken. „Und jetzt leg den Arm um mich, damit es so aussieht, als hätten wir uns gerade … geküsst.“

Daniel rückte unbeholfen ein Stückchen näher an sie heran. „Das kann ich nicht. Ich habe noch nie …“

Wir zwei beide, Kumpel, dachte sie und lächelte ironisch. „Macht nichts, ich zeige dir, was du tun musst.“ Das war der klassische Fall, in dem der Lahme den Blinden führte!

„Darauf möchte ich wetten, Süße.“ Die tiefe, eiskalte Stimme ließ sie augenblicklich erstarren. „Aber ich glaube nicht, dass Daniel Anleitungen von einer wie Ihnen braucht.“

Auf geradezu beleidigende Art ließ er den messerscharfen Blick über ihre große, athletisch schlanke Figur gleiten.

Er taxierte sie: Sie war kein linkisches Schulmädchen, sie war eine Frau, die wusste, was sie tat. Und dass sie die Absicht hatte, es mit seinem Neffen zu tun, trieb Drew Cummings’ Beschützerinstinkt zu fieberhaften Aktivitäten an.

„Einer wie mir?“ Was, zum Donnerwetter, meinte er damit bloß? Eve sah den Eindringling entrüstet an. Sie musste nicht studiert haben, um zu wissen, dass es ihr nicht gefallen würde, was immer er auch damit meinte.

Noch während er sie kurzerhand vom Sofa zerrte, dämmerte Eve, dass sie nun endlich die Bekanntschaft mit jenem schrecklichen Onkel Drew machte. Selbst wenn es ihr nicht gedämmert wäre, hätte Daniels zögerliches „Ich dachte, du wärst weg“ den entscheidenden Ausschlag gegeben.

Wie sich zeigte, hatte Daniel bei der Beschreibung der körperlichen Attribute seines Onkels nicht übertrieben. Seine Armmuskeln, mit denen sie gerade Bekanntschaft machte, waren ausgesprochen gut entwickelt, und die Brust, gegen die sie gerade stieß, war hart wie ein Fels – und noch nass. Onkel Drew war ganz offensichtlich geradewegs von der Dusche hier hereinspaziert. Ein Handtuch hatte er sich um die schmalen Hüften geschlungen, viel zu lässig, wie sie fand, ein zweites hing über seinen Schultern. Ihre empfindlichen Nasenflügel bebten leicht, als sie einen Schwall durchdringenden, frischen Dufts wahrnahm.

„Eines Tages wirst du noch froh sein, dass ich heute nicht weg war, Dan.“ Drew Cummings lächelte seinen Neffen ironisch an, bevor er sich wieder Eve widmete. Sofort wurde sein Ausdruck verächtlich. „Tut mir leid, Süße.“ Augen, groß und sanft wie die eines verschreckten Rehs, sahen ihn an, voller Erstaunen und Unschuld. Unschuld? Das war stark! „Aber im Gegensatz zu Dan bin ich nicht daran interessiert, mit einer wie Ihnen etwas anzufangen.“

In ihren braunen Augen blitzte Wut auf. Doch sie musste zugeben, dass wohl jeder diese Situation falsch ausgelegt hätte. Er würde sich ziemlich albern vorkommen, wenn er wüsste, was genau sich abspielte. Und es war Zeit, die Dinge klarzustellen.

„Es ist nicht so, wie es aussieht, Mr Cummings.“

„Sie kennen meinen Namen?“ Argwöhnisch kniff er die blauen Augen zusammen.

Name, Schuhgröße, Lieblingsfarbe … „Daniel redet die ganze Zeit nur von Ihnen.“

Darauf möchte ich wetten, dachte Drew und ließ den Blick über die unglaublich langen, schlanken Beine des Mädchens gleiten. Den Halbwüchsigen, der einer so verdammt sexy aussehenden Frau nicht alles erzählen würde, was sie wissen wollte, müsste er erst noch kennenlernen. Er konnte sich nur allzu gut daran erinnern, wie es war, wenn die Hormone verrücktspielten.

Sie war nicht der Typ, auf den er persönlich stand. Er bevorzugte kleine blonde Frauen. Aber es war unschwer zu erkennen, was Dan in ihr sah. Das Mädchen selbst hatte offensichtlich einen Riecher für Geld. Er mochte zynisch sein, aber Gefühle auf ihrer Seite schloss er mit ziemlicher Sicherheit aus. Eines stand fest: Sie würde ihre Schlingen nicht noch enger um seinen Neffen ziehen.

„Dann sind Sie mir gegenüber im Vorteil.“ Eve fand sein Lächeln viel bedrohlicher als alle Beschimpfungen, die er ihr an den Kopf hätte werfen können. „Nein, sagen Sie mir Ihren Namen lieber nicht.“

Wenn Katie jemals von der Sache erfuhr, wäre er geliefert. Seine Schwester war sehr besorgt – übermäßig besorgt, wie manche fanden – um ihr einziges Kind. Ihr Ehemann hatte seine ganze Überredungskunst aufbieten müssen, um sie davon zu überzeugen, dass ihr jüngerer Bruder durchaus geeignet war, sich vorübergehend um das körperliche und sittliche Wohl ihres Sohnes zu kümmern. „Ich wollte nicht …“

Wie er sie ansah! Sie schauderte und schüttelte den Kopf, während sie es aufgab, sich bei ihm entschuldigen zu wollen. So wie er hatte bisher noch kein Mann sie angesehen.

Dieser muskelbepackte Tyrann war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte – er war noch viel schlimmer! Wenn er nur angezogen gewesen wäre. Es war nahezu unmöglich, den Blick von dieser nackten, goldbraunen Brust abzuwenden, die, wie auch die Schultern, so breit war im Vergleich zu den schmalen Hüften. Die wiederum waren so schmal, dass man befürchten musste, das Handtuch würde jeden Moment darüber rutschen. Wenn das Undenkbare geschah, würde es ihn vermutlich nicht einmal in Verlegenheit bringen. Schamgefühl schien keine seiner Charaktereigenschaften zu sein, wenn man ihn sich genauer betrachtete! Unerträgliche Arroganz und Überheblichkeit dagegen schon eher.

War die Körperbehaarung eines Mannes normalerweise eine Schattierung dunkler als seine Kopfbehaarung? In seinem Fall ja. Rasch hob sie den Blick.

Selbst mit ihren hohen Absätzen musste sie noch zu ihm aufblicken. Diese Erfahrung war ihr neu und gefiel ihr gar nicht. Sie schätzte ihn auf etwa eins neunzig. Ihre Abneigung gegen ihn wurde auch dann nicht weniger, als sie sein Gesicht musterte. Sein kantiges Kinn ließ auf wenig Kompromissbereitschaft schließen. Und seine Züge, die blauen Augen und der feste, wie gemeißelte Mund vereinten auf wundersame Weise Ebenmäßigkeit mit Individualität, was es unmöglich machte, ihn anders als gut aussehend zu bezeichnen.

Wenn er sie jetzt noch einmal so spöttisch anlächelte, würde sie dem immer stärker werdenden Wunsch nachgeben und ihm ganz undamenhaft eine reinhauen.

„Oh doch, Sie wollen – nämlich gehen, und zwar sofort.“

„Onkel Drew, nein!“ Daniel fand seine Stimme wieder, als sein Onkel die Hand schwer auf Eves Schulter fallen ließ. „Du verstehst nicht.“

Die Härte schwand aus seinem Blick, als er ihn auf Daniels entsetztes Gesicht richtete. „Ich verstehe sehr gut. Bestenfalls ist sie ein Flittchen mit Herz, Dan – schlimmstenfalls ein berechnendes kleines Miststück, das es auf Jungen wie dich abgesehen hat, weil jeder mit etwas mehr Erfahrung sehen kann, was hinter ihrem unschuldigen Blick, ihrem hübschen Gesicht und sexy Körper steckt.“ Sein verächtliches Lächeln ließ keinen Zweifel daran, welche Version er bevorzugte.

Sexy Körper! Sie traute ihren Ohren nicht.

„Als ich hereinkam, sah es so aus, als hättet ihr euch gerade anders entschieden. Habe ich recht, Dan?“

„Ja. Aber nein … Sie ist …“, begann Daniel und warf Eve erschrocken einen entschuldigenden Blick zu.

Eve sah zu Daniel hinüber und wünschte, er würde endlich mit der Erklärung herausrücken. Aber seit wann brauchte sie jemanden, der für sie sprach?

„Die alten Tricks, die sie dir beibringen kann, willst du doch gar nicht lernen, Dan. Eines Tages wirst du feststellen, dass Fummeln viel Spaß machen kann, vor allem wenn beide fummeln.“

Eve, überrascht von seiner unerwarteten Empfehlung, fand ihn einen Augenblick lang sogar beinahe menschlich. Hatte die Erinnerung an ein Mädchen, mit dem er einst gefummelt hatte, diesen fast traurigen Ausdruck in seine Augen gebracht? Nein, wahrscheinlich hat er Magenschmerzen, dachte sie. Er war nicht der Typ, der bei der Erinnerung an eine alte Flamme rührselig und wehmütig wurde.

Die Erwähnung, dass sein perfekter Onkel persönlich mit Fummeln vertraut war, verschlug Daniel vollends die Sprache.

Zweifellos wäre Eve auf schmähliche Weise vor die Tür gesetzt worden, wenn nicht in diesem Augenblick Nick und seine Freunde den Raum betreten hätten. Freunde, die man sorgfältig ausgesucht hatte, weil sie sich so gut darauf verstanden, Klatsch zu verbreiten.

Nick Gordon brauchte nicht seine hervorragenden schauspielerischen Fähigkeiten herbeizuzitieren, um schockiert zu wirken. Nach einem kurzen Moment des Erstaunens und der Befürchtung, sein grandioser Plan könnte baden gegangen sein, erfasste er die Situation und fand seine Gelassenheit wieder. Das Beste, worauf er jetzt hoffen konnte, war Schadensbegrenzung.

„Verzieht euch, die ganze Bande!“, sagte er wie nebenbei.

Es kam Nick nicht in den Sinn, dass seine Freunde nicht gehorchen könnten. Er blickte sich nicht einmal um, um zu sehen, dass sie hinausgingen. Und Eve beneidete insgeheim ihren Bruder um seine Fähigkeit, sich Respekt zu verschaffen.

„Was geht hier vor?“

„Nick?“ Drew Cummings sah den großen jungen Mann mit dem dunklen Haar anerkennend an. „Hast du mit dieser kleinen Einweihungsfeier irgendetwas zu tun?“

„Ist alles in Ordnung, Eve?“, fragte Nick besorgt, ohne den älteren Mann zu beachten. Sie wirkte ein bisschen angespannt. Eve nahm immer alles so ernst. Sie sollte die Dinge wirklich etwas leichter nehmen, dachte er missbilligend. Aber wenn er gewusst hätte, dass die Sache sie so mitnehmen würde, hätte er sie nie um ihre Hilfe gebeten.

„Sieht es so aus, als wäre mit mir alles in Ordnung?“ In Ordnung? Eve unterdrückte ein hysterisches Kichern. „Wirst du jetzt alles klären, Nick?“ Ihre sanfte, angenehme Stimme klang ein wenig hoch.

„Dann kennst du dieses Mädchen also?“ Drew blickte von Bruder zu Schwester, und ihm kam ein arger Verdacht. Verschwörungstheorien nahmen Gestalt an.

„Natürlich kenne ich sie. Sie ist meine Schwester.“

„Lassen Sie Ihren kleinen Bruder oft den Zuhälter für Sie spielen, Engelchen?“

Mitten hinein in die erwartungsvolle Stille schnappte jemand empört nach Luft. Eve drehte sich um und glaubte für einen kurzen Moment, siedend heiße Verachtung in diesen unmöglich blauen Augen zu entdecken. Wenn Nicks Pläne schiefgingen, dann aber gründlich.

Sollte er doch sehen, wie er damit klarkam. Sie würde jetzt von hier verschwinden.

Die Tür, an die sie fast fünf Minuten lang gehämmert hatte, wurde endlich aufgerissen. Eve sah Theo an, der sie zuerst nicht gleich wiedererkannte und dann vor Staunen den Mund gar nicht mehr zubekam.

„Ein Wort, und du bist ein toter Mann“, drohte sie, als sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breitmachte. „Ich habe meinen Schlüssel vergessen.“

Das Grinsen verschwand. „Im neuen Look, Evie?“ Er schmunzelte anerkennend.

„Wenn wir schon von Veränderungen reden …“ Sie ließ den Blick vielsagend über die große, langgliedrige Gestalt ihres Untermieters gleiten. „… bringen die Worte ‚alternder Hippie‘ bei dir Saiten zum Klingen?“ Mit hocherhobenem Kopf, den schmalen Rücken kerzengerade, schritt sie stolz die Stufen hinauf und versuchte, nicht auf das unterdrückte Gelächter zu achten. „Ich hatte heute einen sehr schlechten Tag!“, rief sie warnend über die Schulter.

Der Teppich unter ihren Füßen fing an, fadenscheinig zu werden. Er war nicht das Einzige in dem alten viktorianischen Haus, das ersetzt werden musste – ein Umstand, der sie manche schlaflose Nacht kostete. Nach dem Tod ihrer Eltern vor fünf Jahren hatten die Anwälte als Erstes vorgeschlagen, das weitläufige alte Gebäude zum Verkauf anzubieten.

Wie aber hätte sie ihrem damals dreizehn Jahre alten Bruder das einzige Zuhause, das er je gekannt hatte, wegnehmen können? Er hatte schon seine Eltern verloren, und ein Umzug hätte auch einen Schulwechsel bedeutet. Sie hatte gewusst, dass nach dem Bezahlen der Schulden nicht genug Geld übrig geblieben wäre, um ein anderes Haus in der Gegend zu kaufen. Eve war fest entschlossen gewesen, dass Nick, was immer auch geschehen mochte, niemals leiden – sondern all die Vorteile genießen sollte, die sie selbst gehabt hatte, mit Ausnahme der liebenden Eltern.

Als sie den Anwälten von ihrem Vorhaben erzählt hatte, hatten die sie mit jener Überheblichkeit und Verachtung angesehen, die gewisse Leute Jugendlichen vorbehalten.

Unbrauchbar, hatten sie gesagt. Wirtschaftlich nicht rentabel. Nun, sie haben sich getäuscht, dachte sie mit Genugtuung. Fünf Jahre waren inzwischen vergangen, und Theo war ihr einziger Langzeituntermieter. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, hatten sie es gut getroffen mit den Leuten, die nacheinander die beiden anderen Zimmer gemietet hatten in dem scheußlichen viktorianischen Ungetüm, das sie stets ihr Zuhause genannt hatten.

Zurzeit hatten sie eine Bibliothekarin Anfang dreißig, einen Ingenieurstudenten um die zwanzig und Theo, den sie schon seit ihrer Kindheit kannten. Sie hätte nicht sagen können, seit wann genau sie und Nick ihn zu ihrer Familie gehörig zählten.

Einmal hatte Eve Theo gefragt, warum er bleibe. Lachend hatte er geantwortet, dass er zu faul zum Umziehen sei. Eine Zeit lang hatte er sich nach etwas Eigenem umgesehen, dann aber damit aufgehört und so getan, als wäre es nur eine kurzfristige Maßnahme gewesen. Es hatte ein bisschen Gerede gegeben, als er bei ihnen eingezogen war – sie war noch keine neunzehn und er nicht gerade altersschwach –, aber selbst damals war übler Klatsch die Ausnahme geblieben. Und nun gab es ihn gar nicht mehr. Vielleicht, dachte Eve, füllten sie – sie und die übrigen Bewohner der Acacia Avenue Nummer 6 – eine Lücke in Theos Leben. Eine Lücke, in der es ohne eine grausame Wendung des Schicksals heute Frau und Kinder geben würde.

Natürlich verbrauchte das alte Gebäude die gesamten Einnahmen, sodass sie letzten Endes finanziell nicht besser gestellt waren, aber sie kamen zurecht. Eigentlich war sie momentan sogar besser dran, als sie zu hoffen gewagt hatte, seit Nick ein hohes Stipendium bezog, das die finanzielle Belastung für sein dreijähriges Universitätsstudium erheblich erleichterte.

„Gib es nur unbesorgt aus, Evie“, hatte er ihr geraten, als sie vorschlug, das Geld, das sie für seine Ausbildung beiseitegelegt hatte, dafür zu verwenden, die undichte Stelle im Flachdach des Küchenanbaus reparieren zu lassen.

Unbesorgt, sagte sie empört zu ihrem Bild in dem alten Spiegel über der Frisierkommode aus Mahagoniholz. Mit dem Handrücken fuhr sie sich über die knallrot geschminkten Lippen. Das war das letzte Mal, dass sie sich von ihrem wortgewandten Bruder zu etwas hatte überreden lassen!

„Ich habe alles generalstabsmäßig geplant, Evie. Es kann gar nicht schiefgehen.“ Nick hatte ihre Gutmütigkeit geschickt ausgenutzt. Gutmütigkeit, dachte sie und schnaufte verächtlich – Gutmütigkeit ist immer ein Stück Dummheit! Nicks peinlich sauberer Plan war ordentlich danebengegangen – ein totaler Reinfall!

Es ärgerte sie maßlos, dass sie sich so einfach hatte hereinlegen lassen. Sie hätte wissen müssen, was sie erwartete, als Nick die teure Designerkleidung besorgt hatte – von der Schwester seiner letzten Freundin – und vorschlug, sie solle in die Küche gehen und sich dort umziehen. Sie hätte gleich Krach schlagen sollen, als die Freundin aus einem scheinbar bodenlosen Kosmetikkoffer Schminksachen herausholte. Zu ihrem Vergnügen war die Kleine geradezu entsetzt gewesen, als Eve ihr beiläufig erklärte, dass sie normalerweise gar kein Make-up verwendete.

Jawohl, hätte Daniel nicht ganz kläglich gesagt: „Sie muss es nicht tun, Nick“, sie hätte auf der Stelle gekniffen. Während sie sich nun die geborgten Sachen vom Leib streifte, wünschte sie, sie hätte genau das getan. Dann wäre ihr die schlimmste und erniedrigendste Demütigung ihres Lebens erspart geblieben.

Dieser Mann, schimpfte sie leise vor sich hin, als sie die Kordel im Bund der weiten Hose ihres Kampfanzugs enger zog. Kein Wunder, dass der arme Daniel seine persönlichen Probleme einem so gefühllosen, brutalen Kerl wie ihm nicht anvertraut hat.

Wenn sie an dieses Blitzen in den eiskalten blauen Augen dachte, fühlte sie sich gleich wieder durch und durch schmutzig und schuldig. Sie rieb sich die fröstelnden Unterarme und schauderte. Nein, sagte sie sich entschlossen, ich lasse diese Empfindungen nicht zu. Nicht ich sollte mich schuldig fühlen. Wäre Mr Wunderbar nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, sein aufgeblasenes Ego aufzupolieren, hätte er wohl bemerkt, dass sein Schützling beträchtliche Existenzprobleme eines Jugendlichen hatte.

Jetzt, natürlich, fielen ihr gleich mehrere Formulierungen ein, mit denen sie diesen Muskelprotz auf seinen Platz verwiesen hätte. Und was war ihr eingefallen, als es darauf angekommen war? „Es ist nicht so, wie es aussieht, Mr Cummings.“

„Ich fasse es immer noch nicht, dass ich das gesagt habe“, sagte sie laut.

Theo sah von der Pfanne mit dampfendem Inhalt auf, dem er verschiedene Gewürze hinzufügte.

„Warum benutzt du nicht die Abzugshaube? In der ganzen Wohnung riecht es nach Curry.“

„Curry“, wiederholte er beleidigt. „Dieses Wort beschreibt wohl kaum die ausgewogene Gewürzmischung in meinem Kunstwerk.“

„Na schön. In der ganzen Wohnung riecht es nach deinem Kunstwerk.“ Sie zog einen der Stühle hervor, die um den langen Tisch mitten im Zimmer herumstanden, und ließ sich niedergeschlagen darauf sinken.

„Willst du Onkel Theo nicht alles erzählen?“, fragte er und warf ihr kurz einen bedauernden Blick zu.

„Was erzählen?“

„Nun tu mal nicht so, Evie“, sagte er geradeheraus.

Sie legte die Arme auf den so tröstlich massiven Eichentisch und stützte das Kinn auf die Arme. „In meinem ganzen Leben bin ich noch niemals so beschämt worden.“ Ihre Stimme klang gedämpft. „Und schuld daran war Nick.“

„So ist es wohl“, gab er zu und sprach wie einer, der von den ausgefallenen Ideen des Jungen nicht unverschont geblieben war. „Es wird dir guttun, darüber zu reden.“

Einfühlsam, wie er nun einmal war, lachte er nicht, als sie die ganze Geschichte erzählt hatte.

„Na bitte, ich hab’s ja gewusst – du glaubst, es sei ausgesprochen dumm von mir gewesen!“ Sie hob den Kopf und strich sich eine dunkle Locke von der Wange.

„Ich glaube“, beruhigte er sie, „es war ein typischer Fall von schlechtem Timing.“

„Ich konnte nicht Nein sagen, oder? Der arme Daniel hatte die Hölle in der Schule. Er ist ein so empfindsamer Junge.“

„Dann war es also dieses Mädchen – dieses männermordende Weib, das sich an ihn herangemacht hat –, dann hat sie in der Schule das Gerücht verbreitet, er sei schwul?“ Eve nickte. „Aber das ist er nicht …“

„Schwul? Natürlich nicht. Der arme Junge hatte nur schreckliche Angst vor ihr. Nicht alle Siebzehnjährigen sind wie Nick.“ Ihrem Bruder fehlte es nicht am Vertrauen zu dem anderen Geschlecht – eine Tatsache, die ihr in den vergangenen Jahren schon manche schlaflose Nacht verursacht hatte.

„Deshalb sollte Nick mit einem Publikum auftauchen, das garantiert die Story verbreiten würde – Daniel in den Armen einer Frau, die das Objekt aller jugendlichen Fantasien ist, einer begehrenswerten, reifen Frau. Und über Nacht hätte er den Ruf eines Sexprotzes gehabt.“

„Du hast es auf den Punkt gebracht …“ Sie presste die Finger an die pochenden Schläfen. „Eine Rolle mit der falschen Besetzung, ich weiß.“

„Ganz schön clever, wirklich“, sagte Theo mit widerwilliger Bewunderung.

Clever! Entschuldige, wenn ich nicht ganz deiner Meinung bin. Aber so würdest du wohl nicht reden, wenn dieses Ekel von Mann dich bedroht und beschimpft hätte. Weißt du, wie er mich genannt hat?“, fragte sie, und ihre Stimme bebte vor Wut. „Ein berechnendes, habgieriges kleines Flittchen, das mit echten Männern gar nicht umgehen kann.“

„Autsch!“

„Autsch – ist das alles, was dir dazu einfällt?“

„Na ja, ich denke, es muss den Mann ganz schön geschockt haben, seinen Neffen in den Klauen einer …“ Er sprach es nicht aus, sondern lächelte sie entschuldigend an. „In dieser Aufmachung hast du ziemlich – nun, sagen wir, du hast auch so ausgesehen. Nicht wie ein Flittchen, verstehst du“, fügte er rasch hinzu, „aber einfach …“

„Du gräbst dir ein sehr tiefes Loch, Theo“, stellte sie fest, froh, zu sehen, dass sie nicht als Einzige ins Fettnäpfchen trat. „Ganz offensichtlich hielt er mich für ein Flittchen. Und du denkst vermutlich, ich sollte mich deshalb auch noch geschmeichelt fühlen.“

Theo war viel zu klug, um auf diese Herausforderung zu reagieren. „Hast du es ihm nicht erklärt?“

„Wann hätte ich Gelegenheit dazu gehabt? Ich bin überhaupt nicht zu Wort gekommen. Außerdem“, fuhr sie in scharfem Ton fort, „tauchte Nick mit seinen Freunden ungefähr dreißig Sekunden später auf, nachdem Drew Cummings seinen Auftritt hatte. Das war vielleicht ein Zirkus. Und was Daniel betrifft, er glaubt offensichtlich, dieser Mann könnte übers Wasser gehen. Dieser Macho!“, fügte sie verächtlich hinzu. „Du hättest ihn erleben müssen.“

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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