Kerzenglanz in deinen Augen

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Eigentlich wollte Jessica die Feiertage in Florida unter Palmen verbringen. Doch als Christopher Hamilton sie bittet, seinem Töchterchen Ellie ein schönes Fest zu bereiten, kann sie der Verlockung nicht widerstehen. Wird an Weihnachten ihr Traum vom Glück wahr?


  • Erscheinungstag 12.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504867
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jessica Patterson hatte mit Weihnachten abgeschlossen.

Sie brauchte weder einen Christbaum, der doch nur auf den Teppichboden nadelte, noch einen rot-grün geschmückten Kranz an der Tür. Und auf einen mit fröhlich tanzenden und karottennasigen Schneemännern bemalten Weihnachtsteller mit ungesunden Süßigkeiten und Plätzchen konnte sie erst recht verzichten.

Ihre Freundin Mindy Newcomb lehnte an der Theke von Jessicas Spielzeugladen, die Arme über der Brust verschränkt. „Heute ist der 20. Dezember, und in drei Tagen findet unser großes Winterfest statt. Es wird langsam Zeit, dass du dein Kostüm vom Dachboden holst. Außerdem sind deine Schaufenster noch nicht dekoriert. Was ist bloß los mit dir?“

Jessica rückte einige Teddybären im Regal zurecht. Weiße Bären waren dieses Jahr der große Renner unter den Plüschtieren, und zum Glück hatte sie sich rechtzeitig damit eingedeckt. „Ich habe dir hundertmal gesagt, dass ich dieses Jahr nach Miami Beach fliege. Deshalb brauche ich auch kein Kostüm und muss mich nicht als Mrs. Claus verkleiden, weil ich nämlich gar nicht da sein werde. An den Feiertagen werde ich mich in meinen neuen Badeanzug werfen und mich mit einer große Flasche Sonnenöl bewaffnet am Strand aalen.“

„Und ich dachte, darüber wärst du hinweg.“

„Was genau meinst du damit?“

„Na ja, deine komische Stimmung.“ Für einen Augenblick zögerte Mindy. „Komm schon, Jessica, du liebst doch Weihnachten. Was willst du denn in Miami?“

„Ich habe Weihnachten geliebt“, gab Jessica entschieden zurück. „Aber das ist vorbei.“

Als es nun zehn Uhr schlug, ging Jessica zur Ladentür und drehte das Schild an der Scheibe um, sodass es ‚Geöffnet‘ anzeigte. Anschließend überprüfte sie schnell, ob sich genügend Wechselgeld in der Kasse befand. Heute sollten die Schulferien anfangen: Es würde nicht mehr lange dauern, bis die jüngsten Bewohner von Riverbend bei ihr auftauchten, um ihr Taschengeld gegen Flummis, Spielkarten und andere verlockende Kleinigkeiten, die Jessica eigens für die Kinder auf einem Tisch ausgebreitet hatte, einzutauschen.

Mindy ließ sich auf den Hocker hinter dem Tresen fallen. Als ihre Freundin an ihre Seite trat, strich sie über Jessicas Hand und blickte sie voller Mitgefühl an. „Ich weiß, dass diese Zeit besonders schwierig für dich ist, seit Dennis nicht mehr da ist.“

Jessica nickte und musste schlucken. Bereits zwei Jahre waren vergangen, seit Dennis gestorben war – und trotzdem kam es ihr manchmal vor, als sei es erst gestern gewesen. „Ja, Weihnachten ist einfach nicht mehr dasselbe ohne ihn.“ Sie betrachtete die Bilder an der Wand. Die Fotos zeigten Dennis und sie in glücklicheren Tagen, verkleidet als Santa Claus und Mrs. Claus.

Schon bald nach ihrer Hochzeit vor fünfzehn Jahren hatten sie diese Tradition begonnen. In der ersten Zeit hatte Dennis sein Kostüm noch ausgestopft. Aber im Laufe der Jahre war er immer fülliger geworden und hatte die zusätzlichen Polster nicht mehr gebraucht. Es stand ihm gut, ließ ihn wie einen gemütlichen Teddy aussehen, an den Jessica sich kuscheln konnte.

Aber die überschüssigen Pfunde hatten auch sein Herz arg in Mitleidenschaft gezogen. Achtlos hatte Dennis die Warnungen des Arztes in den Wind geschlagen und selbst seiner Frau nichts davon erzählt. Statt die Ratschläge ernst zu nehmen, wollte er sich nicht durch Vorschriften und Diäten einschränken lassen und lebte, wie er es gewöhnt war, aus dem Vollen.

Jedoch forderte seine unbändige Lebenslust ihren Tribut: Kurz nach seinem achtundvierzigsten Geburtstag verstarb Dennis. Mit siebenunddreißig Jahren war Jessica Witwe geworden.

Den Kindern zuliebe und im Andenken an Dennis hatte Jessica noch ein einziges Mal das Kostüm der Ehefrau des Weihnachtsmannes angelegt. Doch die Kinder von früher waren groß geworden, und die neue Generation war ihr fremd.

Jessica wandte sich von den Bildern ab. „Diese ganze Sache macht mir einfach keinen Spaß mehr. Die Kinder sind heutzutage so ungezogen. Der Gipfel war, als Andrew Weston meine Figur von Frosty, dem Schneemann, verunstaltet hat.“

„Das war doch nur ein dummer Streich.“

„Mindy, er hat Frosty immerhin grün angemalt und mitten in der Stadt an der alten Eiche aufgehängt. Dann behauptete er auch noch, er habe ihn auswildern wollen! Und dann diese Sarah Hamilton …“ Jessica schüttelte den Kopf. „Ich gebe mir wirklich alle Mühe, nie schlecht von Kindern zu denken. Aber dieses Mädchen kostet mich noch den letzten Nerv.“

„Ich gebe zu, sie ist …“

„… eine Nervensäge“, beendete Jessica Mindys Satz und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Sarah konnte ja nichts dafür, war sie doch einfach das Ergebnis ihrer unkonventionellen Erziehung. „Das sage ich nicht oft von einem Kind.“

„Jessica, sie hat erst vor zwei Monaten ihre Mutter verloren. Was erwartest du?“

Mit einem Seufzer ließ Jessica sich auf den zweiten Hocker sinken. „Du hast ja recht. Außerdem muss es hart für sie sein, dass sie jetzt bei ihrem Babysitter wohnen muss.“

Sarah hatte sich in letzter Zeit angewöhnt, nach der Schule in Jessicas Laden zu kommen und sie mit Fragen zu löchern – vorzugsweise im größten Andrang, wenn sie überhaupt keine Zeit hatte. Das Mädchen trieb sie damit manchmal beinahe in den Wahnsinn. Denn wenn die Kleine das Gefühl hatte, dass Jessica ihr nicht die volle Aufmerksamkeit schenkte, reagierte sie mit Wutanfällen.

„Falls sie noch irgendwo einen Vater hat, lässt der sich jedenfalls nicht blicken. Aber sie kann doch nicht auf Dauer bei der Nachbarin bleiben“, bemerkte Mindy missbilligend. Wie konnte man nur ein Kind auf diese Weise sich selbst überlassen!

„Kiki hat nie ein Wort über den Vater verloren. Seltsame Person.“ Jessica dachte an Sarahs Mutter, die in der Stadt als Bedienung gearbeitet und je nach Laune ihre Haarfarbe geändert hatte. Nicht zuletzt wegen ihrer direkten Art war Kiki immer eine Außenseiterin in Riverbend geblieben.

Bei einer solchen Mutter aufzuwachsen, erklärte natürlich, weshalb Sarah sich so entwickelt hatte. Jessica hatte Kiki gut genug gekannt, um zu wissen, dass Ordnung und Disziplin für sie Fremdwörter gewesen waren. Kikis Lebensstil war Jessica nicht nur ungewöhnlich erschienen, sondern regelrecht verrückt.

„Sarah hat es wirklich nicht leicht“, sagte Mindy. „Sie hatte schon mit ihrer Mutter nicht das große Los gezogen, aber dann so früh praktisch Waise zu werden …“

„Und normalerweise würde mir das Kind auch leidtun.“ Wieder plagte sie ihr Gewissen, und sie schwor sich, nie wieder schlecht über andere Menschen zu reden, besonders nicht über Kinder. „Aber für dieses Jahr scheint mein Vorrat an Geduld aufgebraucht zu sein. Jedes Mal, wenn ein Kind den Laden betritt, bin ich sofort nervös und gereizt.“

„Das sieht dir gar nicht ähnlich.“

„Ich weiß. Vielleicht liegt es daran, dass die Kinder heute anders sind als früher. Sie haben gar nichts Kindliches mehr an sich, sondern sind so …“ Hilflos hob Jessica die Schultern.

„Abgestumpft? Verroht? Gepierct und tätowiert?“

Zwar lachte Jessica nun auf, doch es klang nicht unbeschwert. Insgeheim sehnte sie sich nach den vergangenen Zeiten, nach Dennis und seinem grenzenlosen Verständnis für Kinder. Weihnachten war sein Fest gewesen, nicht ihres. Nur um seinetwillen hatte sie die Tradition im letzten Jahr fortgeführt. Aber ihr fehlten seine starke Ausstrahlung und seine Fähigkeit, aus der Situation heraus zu improvisieren, aus dem Nichts etwas Besonderes zu zaubern.

„Dennis und ich haben immer gesagt, dass wir unsere Kostüme an den Nagel hängen, sobald wir keinen Spaß mehr daran haben.“ Sie zog die bunte Broschüre unter der Kasse hervor, die sie aus dem Reisebüro mitgenommen hatte. „Genau das tue ich jetzt.“ Ganz gleich, was andere davon hielten: Ihr Entschluss, die Stadt zu verlassen, stand felsenfest. „Klingt das nicht verlockend? Unberührter Sandstrand. Sanftes Meeresrauschen. Heiße Sonnenstrahlen auf der Haut. Junge, braun gebrannte Männer, die mir Drinks mit kleinen Schirmchen darin servieren …“ Mit dem Finger deutete sie auf die Bilder im Prospekt, die ein wahres Urlaubsparadies versprachen. „Und das Beste kommt erst noch: In der Anlage sind keine kleinen Kinder zugelassen.“

„Aber du liebst Kinder. Und du liebst Weihnachen.“

Vehement schüttelte Jessica den Kopf. Nein, keine Macht der Welt konnte sie von ihrer Reise abbringen. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie sie Süßigkeiten verteilen und in ihrer Verkleidung vor Kameras posieren müsste, wenn sie blieb.

Die Weihnachtszeit hatte ihren Zauber für sie verloren. Wahrscheinlich würden sie die Erwachsenen mit ihren sentimentalen Erinnerungen beim Winterfest vermissen. Aber die Kinder würden ihr Fehlen vermutlich nicht einmal bemerken. Da machte sie sich nichts vor.

In diesem Jahr fiel die Vorstellung aus. Punkt. Ein schlechtes Gewissen hatte sie deshalb nicht. Vielleicht würde sie sogar nie wieder als Mrs. Claus auftreten: Ohne einen Weihnachtsmann an ihrer Seite sah sie keinen Sinn mehr darin. „Nichts zu machen. Die Koffer sind gepackt, am 23. Dezember geht es los.“

Mindy seufzte. „Und du lässt dich durch nichts überreden, wenigstens noch ein einziges Mal mitzumachen?“

Direkt sah Jessica ihrer Freundin in die Augen. „Mindy, selbst wenn der echte Weihnachtsmann höchstpersönlich vom Nordpol käme und mich auf Knien anflehen würde: Es würde nichts nützen.“

Nur aus einem einzigen Grund suchte Christopher Hamilton Riverbend in Indiana auf: Er wollte seiner Tochter Sarah das schönste Weihnachtsfest bereiten, das sie je erlebt hatte.

Allerdings musste er sich eingestehen, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte. Feiertage gehörten nicht gerade zu seinen Stärken. Mit Weihnachten hatte er ungefähr so viel Erfahrung wie andere Leute mit dem Kamelreiten. Aber er hatte ein kleines Mädchen, das dringend Aufmunterung brauchte. Allein dieser Gedanke spornte ihn an, alles zu versuchen, was in seiner Macht stand.

Das Problem dabei war nur, dass er Sarah genauso wenig kannte wie sie ihn. Als er sie zuletzt gesehen hatte, war sie genau drei Tage alt gewesen. Damals hatte er es für die beste Lösung gehalten, einfach zu gehen.

Tatsächlich war es die einzig mögliche Entscheidung gewesen. Im Krankenhaus hatte Kiki in ihrem Bett gesessen und ihm kühl erklärt, er sei nicht der Vater. Es hatte ihm fast das Herz gebrochen, als er, mit dem winzigen Baby auf dem Arm, diesen anderen Mann in Kikis Zimmer kommen sah – den Mann, der Sarahs Vater sein sollte.

Aber dann hatte sich in der letzten Woche ein Rechtsanwalt mit ihm in Verbindung gesetzt und ihm mitgeteilt, dass Kiki bei einem Autounfall ums Leben gekommen war – und dass sie ihn damals belogen hatte. Christopher war Sarahs leiblicher Vater. Und nun wurde von ihm erwartet, dass er die Sechsjährige zu sich holte und ihr eine Familie herbeizauberte – für den Anwalt stellte die Kleine nur ein Problem dar, das gelöst werden musste.

Um Sarah und auch sich selbst an die neue Situation zu gewöhnen, hatte er zunächst bei der Nachbarin angerufen, bei der seine Tochter wohnte. Doch Sarah lehnte es ab, ans Telefon zu kommen. Auch die beiden Versuche auf seiner Reise von Kalifornien hierher nach Indiana blieben ohne Erfolg: Sie weigerte sich, auch nur ein Wort mit ihm zu sprechen.

Selbst als er dann vor ihrer Tür stand, schwieg die Kleine eisern. „Vielleicht sollten Sie ihr ein kleines Geschenk kaufen“, schlug die Nachbarin vor. Sie hieß LuAnn und hatte Sarah bei sich aufgenommen, solange das Gericht nach leiblichen Verwandten suchte. „Und lassen Sie ihr Zeit. Sie ist wirklich ein liebes Mädchen.“

Ein liebes Mädchen, das mehr als deutlich zu erkennen gab, dass es von ihm nichts wissen wollte.

Christopher parkte seinen Truck vor dem kleinen Spielwarenladen in Riverbend, in dem Sarah sich am liebsten aufhielt. Ein Schild im Schaufenster wies darauf hin, dass dies die Heimat von Mrs. Claus war. „Reden Sie mit Jessica Patterson, und Sie bekommen Ihr perfektes Weihnachtsfest“, hatte LuAnn ihm empfohlen. „Sie kann Ihnen garantiert weiterhelfen. Hier in Riverbend gehören Jessica und Weihnachten untrennbar zusammen.“

Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich auf LuAnns Worte zu verlassen: Bei seiner mangelnden Erfahrung mit Festtagen hatte er einen Experten auf diesem Gebiet bitter nötig.

Und so stieg er aus und drückte die Ladentür auf. Ein melodisches Glockenspiel begleitete sein Eintreten.

Es dauerte eine Weile, bis er sich an die Beleuchtung gewöhnt hatte. Doch dann kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus: Er befand sich in einem wahren Paradies für Kinder. Der ganze Raum war vom Boden bis zur Decke vollgestopft mit bunt gekleideten Puppen und Plüschtieren jeder Größe, mit glänzenden Autos und allen Spielsachen, die man sich nur vorstellen konnte. In den Regalen saßen kleine Engel, und von der Decke schwebten Mobiles mit Flugzeugen und allerlei Tieren. An die hintere Wand war ein komplettes Igludorf gemalt – wie beim Weihnachtsmann am Nordpol.

Sein durch die Arbeit in Hollywood geübtes Auge nahm jedes liebevolle Detail, jede fantasievolle Kleinigkeit wahr. Kein Wunder, dass Sarah so gern hierherkam. Wäre er dreißig Jahre jünger gewesen, hätte er sich auch nichts Schöneres vorstellen können, als den ganzen Tag an diesem zauberhaften Ort zu verbringen.

„Ich wollte gerade schließen“, ertönte eine Stimme aus dem hinteren Teil des Geschäfts.

Christopher ließ einen fröhlich bunten Kreisel tanzen. „Eigentlich wollte ich auch nichts kaufen“, gab er zurück. „Ich suche nach Jessica Patterson.“

„Das bin ich.“

Er sah auf. Wow! Wenn dies tatsächlich die Frau des Weihnachtsmanns war, musste er dringend einiges in seiner Vorstellung zurechtrücken. Jessica Patterson war groß und schlank, hatte langes blondes Haar und grüne Augen, in denen das Licht beinahe zu tanzen schien. Ihre Lippen waren von einem einladenden Rot, und auch die anziehenden Rundungen ihrer Figur ließen nichts zu wünschen übrig.

Ihre attraktive Erscheinung ließ sich für Christopher so gar nicht mit der Herkunft der Frau des Weihnachtsmanns, den eisigen Nordpolregionen, verbinden.

Sie sind Mrs. Claus?“

„Nur zu Weihnachten“, gab sie trocken zurück und lachte. Dann streckte sie ihm die Hand entgegen. „Und dieses Jahr nicht einmal das.“

Er spürte, wie warm und angenehm sich ihre Hand anfühlte. „Wie meinen Sie das?“

„Ich habe als Mrs. Claus ganz offiziell meinen Rücktritt eingereicht. Aber wenn Sie einen Teddybären oder ein anderes Spielzeug brauchen …“

„Nein. Ich brauche Sie.“ Christopher war zu dem Schluss gekommen, dass er mit einem bloßen Geschenk nicht weiterkommen würde. Um Sarah für sich zu gewinnen, musste er mit etwas wirklich Großem aufwarten. Und nach LuAnns Ansicht gab es in Riverbend nichts Einmaligeres als Mrs. Claus.

Abrupt ließ sie seine Hand los und trat einen Schritt zurück. Mit einem Mal verschwand die Wärme aus ihrem Blick, und in ihren Augen funkelte nun Misstrauen auf. Sie sah ihn an, als hätte er ihr soeben gestanden, ein gesuchter Serienmörder zu sein.

„Sie brauchen mich?“

„Ja. Rein beruflich natürlich. In Ihrer Tätigkeit als Mrs. Claus.“

„Tut mir leid, aber dafür bin ich nicht mehr zu haben. Ich kann nicht …“

„Sie müssen einfach!“, flehte er. „Ohne Sie bin ich verloren. Sogar die Rentiere habe ich schon besorgt – alles wartet nur auf Sie.“ Vermutlich hielt sie ihn jetzt endgültig für übergeschnappt. Christopher holte tief Luft. „Am besten fange ich von vorne an. Ich heiße Christopher Hamilton, und ich arbeite beim Film. Dabei baue ich Filmsets, konstruiere alle möglichen technischen Dinge und besorge Requisiten.“ Er wies durch das Schaufenster nach draußen zu seinem Pick-up, an dessen Tür eine leuchtend rote Aufschrift seine Kontaktadresse in Kalifornien verriet.

„Aha. Aber wozu benötigt ein Bühnenbildner die Frau des Weihnachtsmanns? Mit dem Filmgeschäft habe ich nichts zu tun, falls Sie das annehmen. Und ich gedenke auch nicht, das zu ändern.“

„Ich bin nicht beruflich hier, sondern um meine Tochter zu besuchen. Ich möchte ihr unbedingt ein paar unvergessliche Weihnachtstage bereiten. Mein Problem dabei ist nur, dass ich in solchen Dingen leider nicht viel Übung habe.“

„Nehmen Sie sie doch mit ins Einkaufszentrum und setzen sie dem Weihnachtsmann auf den Schoß. Hören Sie gut zu, wenn sie ihm erzählt, was sie sich wünscht. Das legen Sie dann unter den Weihnachtsbaum. Ganz einfach.“ Jessica wandte sich ab und rückte ein paar Brettspiele im Regal zurecht.

„Ich habe mir sagen lassen, dass Sie geradezu eine Fachfrau in Sachen Weihnachten sind. Genau diese Kompetenz brauche ich.“ Und zwar sofort: Er hatte nicht viel Zeit. Außerdem musste er eine Tochter, die nichts von ihm wissen wollte, in diesen wenigen Tagen für sich gewinnen und nicht zuletzt auch sich selbst an diese große Veränderung in seinem und Sarahs Leben gewöhnen.

„Es gibt viele andere Leute, die Ihnen da helfen können, Mr. – wie war doch der Name?“

„Hamilton.“

Noch den Spielen zugewandt, die sie ordnete, hielt Jessica plötzlich inne. „Sie sind Sarahs Vater?“, fragte sie ungläubig. „Aber ich dachte …“

Dass sie den Satz nicht vollendete, nahm er ihr nicht übel. Seit seiner Ankunft in Riverbend hatten ihn fast alle Leute, die erkannt hatten, wer er war, deutlich spüren lassen, dass sie ihn für einen verantwortungsscheuen Rabenvater hielten. „Ich bin ausschließlich wegen Sarah gekommen, und nur das zählt. Sie hat es im Augenblick sehr schwer, und ich möchte sie einfach ein bisschen ablenken.“

„Ich verstehe.“

„Was sie im Moment braucht, und zwar dieses Jahr dringender als jemals zuvor, sind wirklich schöne Weihnachten.“ Ganz bewusst verschwieg Christopher ihr, dass er nicht nur keinerlei Übung in der Vaterrolle besaß, sondern auch seine Tochter erst dazu bringen musste, überhaupt mit ihm zu sprechen. Inständig hoffte er, dass ein unvergessliches Fest helfen würde, die Distanz zwischen Vater und Tochter zu überbrücken. Er benötigte ein kleines Wunder. „Wollen Sie mir helfen?“

Jessica zögerte, mied seinen Blick, während sie mit der Hand über einen Spielekarton strich. Durch ihr Schweigen schien sie der Frage ausweichen zu wollen.

Natürlich hatte Jessica recht: Er könnte es sich leicht machen und mit Sarah zu irgendeinem Einkaufszentrum fahren. Schließlich wurde Weihnachten überall gefeiert. Aber mit diesem Fest wollte er seiner Tochter neue und schöne Erinnerungen bereiten – in dieser Stadt, in der sie so viele unglückliche Tage verlebt hatte. Um alles in der Welt wollte er ihr zeigen, dass hinter all den düsteren Wolken, die im Moment ihr Leben verdunkelten, ein strahlender Regenbogen auf sie wartete.

Wenn ihm das gelang, bestand vielleicht sogar die Hoffnung, dass er für Sarah derjenige sein durfte, der er nie hatte sein können: ihr Vater.

Die Zeit bis zum Fest war kurz. Eine große Aufgabe lag vor Christopher. Eine Aufgabe, die wesentlich mehr von ihm forderte, als eine widerstrebende Blondine zu überreden, in einem roten Kostüm aufzutreten.

2. KAPITEL

Jessica verstaute ihren gestreiften Badeanzug im Koffer und sah sich prüfend im Zimmer um. Bis auf ihre Kleider hatte sie schon alles eingepackt. Zwar blieben noch ganze zwei Tage Zeit bis zu ihrem Abflug. Im Geiste war sie aber seit mindestens zwei Wochen bereit zur Abreise.

In kaum achtundvierzig Stunden würde sie sich faul am Strand rekeln und von der Sonne Floridas wärmen lassen. Weit weg von der winterlichen Kälte Riverbends könnte sie die Weihnachtszeit mitsamt ihren Erinnerungen wenigstens für eine Weile hinter sich lassen. Sie würde nichts vermissen: Für Jessica hatte das Fest längst seine ursprüngliche Bedeutung verloren und war zu einer einzigen Geschenkorgie verkommen.

Es klingelte, und Bandit, ihr kurzhaariger Setter, raste schwanzwedelnd die Treppe hinunter. Vorsichtshalber bellte er ein paar Mal furchterregend, obwohl er damit erfahrungsgemäß wenig Eindruck machte. Es war ein offenes Geheimnis in Riverbend, dass jeder Plüschhund gefährlicher als Bandit war.

Jessica öffnete die Tür und erwartete eigentlich Mindy. „Gib dir keine Mühe, du kannst mich nicht …“, begann sie und verstummte, als ihr Christopher Hamilton gegenüberstand. „Sie schon wieder.“

„So schnell gebe ich nicht auf.“

Autor

Shirley Jump
<p>Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
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