Komm auf mein Schloss, Prinzessin

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Auf dem imposanten Schloss in Monte Estella beginnt für Phillippa ein Märchen der Liebe. Doch dann erfährt sie: Ihr Traummann Max ist der Thronfolger des kleinen Staates! Zweifel erwachen in ihr. Wird der Prinz sie, die bürgerliche Australierin, wirklich zu seiner Prinzessin machen?


  • Erscheinungstag 10.07.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507899
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

„Wir haben keine Wahl.“ Prinzessin Charlotte de Gautier ruhte auf einem der komfortablen Liegesofas und verfolgte beunruhigt ihren Sohn, der in ihrem eleganten Salon an den Champs-Élysées nervös auf und ab lief.

„Wir müssen es einfach tun“, sagte sie fest. „Es liegt in unserer Verantwortung.“

„Nein, das tut es nicht. Die Fürstenfamilie von Monte Estella ist seit Generationen nicht mehr als ein degenerierter Haufen von Schwächlingen und Versagern. Sei lieber froh darüber, dass wir sie endgültig los sind.“

„Ja, sie waren … korrupt und unfair, aber jetzt bietet sich uns endlich die Gelegenheit zur Wiedergutmachung.“

„Wiedergutmachung? Mit dem Tod von Prinz Bernard ist das letzte Band zwischen uns zerrissen. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, nach allem, was sie dir angetan haben …“

„Ich rede nicht von der Fürstenfamilie, sondern von der unterdrückten Bevölkerung Monte Estellas.“

„Was mit Monte Estella geschieht, ist nicht deine Angelegenheit.“

„Das ist nicht wahr, Max. Vergiss nicht, dass es hier um dein Geburtsrecht geht.“

„Nicht um meines“, wehrte er brüsk ab. „Ganz egal, was du darüber sagst oder denkst. Es wäre Thierrys Vorrecht und Pflicht gewesen, wenn ihn die Zugehörigkeit zu dieser dekadenten Familie nicht das Leben gekostet hätte. Von mir denkt jeder, dass ich nicht mehr bin als der uneheliche Sohn der Exfrau eines toten Prinzen“, schloss er bitter. „Ich kann gehen, wohin ich will. Wir können gehen.“

Seine Mutter war unter den harten Worten zusammengezuckt und bereute, sich auf diese Auseinandersetzung nicht besser vorbereitet zu haben. Sie hatte so sehr gehofft, dass Kronprinz Bernard einen Sohn und Erben bekommen würde, und nun war er tot. Damit blieb nur einer übrig … Maxime de Gautier – ihr geliebter Sohn.

Quasi seit seinem fünfzehnten Lebensjahr war Charlotte auf ihren Sohn angewiesen. Ohne aufzubegehren, hatte er sie gepflegt und war immer für sie da gewesen. Und jetzt … nachdem sie alles versucht hatte, ihn aus dem Blickfeld der Fürstenfamilie herauszuhalten, und besonders aus einer möglichen Erbfolge, schien es so, als bliebe ihm gar keine andere Wahl, als die Last der Regentschaft auf seine Schultern zu nehmen.

Max drehte noch nervös ein paar Runden, ehe er am Fenster stehen blieb und auf das geschäftige Treiben in der Pariser Prachtstraße hinunterstarrte. Wie konnte seine Mutter auch nur daran denken, etwas Derartiges von ihm und von sich zu verlangen? Dass es ihrer beider Leben beeinflussen würde, daran bestand für Max kein Zweifel. Charlotte de Gautier … zurück im gnadenlosen Rampenlicht des öffentlichen Interesses … als Mutter des neuen Prinzregenten …

Abrupt wandte sich Max um. „Ja, ich habe eine Verantwortung“, sagte er fest. „Und zwar dir gegenüber, niemandem sonst.“

„Du weißt, dass es nicht so ist, mein Junge“, erwiderte sie leise. „Du hältst das Schicksal eines ganzen Landes in deinen Händen.“

„Das ist nicht fair.“

„Nein …“, murmelte sie rau. „Das ist das Leben nie.“

Mit raschen Schritten lief er zum Sofa hinüber. „Tut mir leid, Mama“, versicherte er reuig. „So habe ich es nicht gemeint.“

„Ich weiß, aber diese unerwartete Situation ist eine Herausforderung, der wir uns beide stellen müssen.“

„Aber du hast so viel aufgegeben, um mich aus der Erbfolge herauszuhalten, und jetzt so einfach nachzugeben …“

„Ich gebe nicht einfach nach und schon gar nichts zu“, unterbrach seine Mutter ihn energisch. „Ich werde das Geheimnis um deine Geburt mit ins Grab nehmen. Und dir hätte ich gar nichts darüber erzählen sollen, aber es erschien mir so wichtig, dass du die Regentschaft antreten …“ Ihre Stimme verebbte. „Vielleicht kommt es ja auch gar nicht dazu. Wenn dieses Kind nicht der neue Kronprinz werden kann …“

„Was dann? Rückst du dann etwa mit der Wahrheit heraus?“

„Nein“, kam es entschieden zurück. „Ich will auf keinen Fall, dass du die Krone übernimmst.“

„Aber ein unbekanntes Kind soll das deiner Meinung nach ruhig tun?“

„Ja, genau das ist es doch“, erklärte sie fast eifrig. „Der neue Thronfolger ist unbekannt. Ohne dass eine Geschichte voller Hass und Ablehnung auf ihm lastet. Möglicherweise ist genau das die Chance, auf die unser Land so lange gewartet hat.“

„Unser Land?“

„Ja, das ist es für mich noch immer … trotz allem.“ Charlotte schaute mit einem schmerzvollen Lächeln zu ihrem Sohn auf. „Ich war zwar fast noch ein Kind, als ich heiratete, aber ich lernte schnell, dieses Land zu lieben … in erster Linie die Menschen. Und die Sprache und die wunderschöne Natur … ach, eigentlich alles. Außer den Herrschern natürlich“, fügte sie trocken hinzu.

„Deshalb will ich auch, dass du die vorläufige Regentschaft übernimmst. Nur du kannst dem kleinen Prinzen helfen. Ich kenne die korrupten Politiker und die Gefahren, vor denen du das Kind beschützen musst. Denn wenn sie ihn in die Finger bekommen, ihn manipulieren und zu ihren Zwecken missbrauchen, wird alles nur noch schlimmer.“

Sie zögerte kurz, gab sich dann aber einen Ruck. „Wie ich es sehe, gibt es nur zwei Möglichkeiten – du akzeptierst die Regentschaft und tust dein Möglichstes, das Kind, und damit die Bevölkerung von Monte Estella zu beschützen, oder wir ziehen unserer Wege und überlassen das Land dem sicheren Untergang.“

„Und was ist mit der dritten Alternative …?“ Max ließ seine Mutter keine Sekunde aus den Augen. „Mit der Wahrheit?“

„Nein! Nicht nach all dem, was ich auf mich genommen habe. Du willst es doch gar nicht, und ich … ich könnte es nicht ertragen …“

„Nein“, stimmte er ihr mit rauer Stimme zu. „Nein, natürlich nicht.“

„Danke.“ Ihre Stimme klang wie erloschen. „Was wirst du jetzt tun? Hast du mir nicht erzählt, der Junge sei ein Waisenkind? Gut, das muss nicht automatisch bedeuten, dass er niemand hat, der sich um ihn sorgt. Was, wenn diese Person ihn nicht freigeben will?“

„Ich habe ein paar vorläufige Recherchen in dieser Richtung angestrengt“, gab Max fast widerwillig zu. „Sein rechtskräftiger Vormund ist eine Freundin der Familie, auf jeden Fall nicht mit ihm verwandt. Sie ist achtundzwanzig und scheint den Jungen zu betreuen, seit seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Keine schlechte Konstellation, würde ich sagen. Möglicherweise ist eine so junge Frau sogar froh darüber, die Verantwortung für ein fremdes Kind abgeben und sich wieder ihrem eigenen Leben widmen zu können.“

„Es ist eine große Verantwortung, einen Jungen seines Alters auf den Thron zu setzen, aber mit dir an seiner Seite …“

„Nicht wirklich an seiner Seite, Mama“, unterbrach er sie rasch. „Im Hintergrund, aus der Ferne. Ich kann nicht alles andere aufgeben, egal, wie du darüber denkst.“

Max vergrub die Hände tief in den Hosentaschen und trat wieder ans Fenster, um erneut auf die Straße zu starren. „Es mag ja sein, dass dieser Junge nach Jahrhunderten der erste anständige Regent von Monte Estella wird. Was auch keine Kunst ist, bei den Vorgängern“, schloss er zynisch. „Aber du hast recht. Wir können ihn nicht sich selbst überlassen. Ich werde stellvertretend für ihn die Geschicke des Landes lenken, bis er einundzwanzig ist.“

„Dann willst du in Monte Estella leben?“

„Nein. Nein, und wenn nicht diese fatale familiäre Verbindung zu dem Fürstenhaus bestünde, würde ich mich der Aufgabe leichten Herzens entledigen. Aber heute Morgen hat mich Charles Mevaille aufgesucht. Wahrscheinlich der letzte nicht korrupte Politiker, der das Land verlassen musste, weil Levout es ihm unmöglich gemacht hat zu bleiben. Er hat mir sehr deutlich vor Augen geführt, was passieren muss, um Monte Estella wieder auf die Beine zu helfen. Die Gesetzeslage ist zwar ziemlich kompliziert und undurchsichtig, aber wie es scheint, darf ich als Halbbruder des letzten Thronerben durchaus die Zügel in die Hand nehmen. Und als Prinzregent auf Zeit werde ich es eben von hier aus tun.“

„Aber das Kind …“

„Wir werden das beste Kindermädchen engagieren, das verspreche ich dir, Mama. Er wird in einem Schloss aufwachsen, mit allem, was man sich nur wünschen kann.“

„Aber …“ Charlotte zog Hannibal an sich und kraulte sein weiches Fell. Der Pudelmischling war ihr liebster Gefährte, wenn sie mal eine treue Seele an ihrer Seite brauchte. „Der Gedanke ist einfach fürchterlich, ein armes unschuldiges Kind in diese Lage zu bringen und …“

„Er ist ein Waisenkind, Mama“, erinnerte Max sie sanft. „Ich weiß zwar nicht, unter welchen Bedingungen er in Australien lebt, aber was du anfangs sagtest, stimmt schon. Wenn Monte Estella erst einmal wieder zum Leben erweckt, die Wirtschaft angekurbelt und die Menschen wieder voller Hoffnung sind, bedeutet es für den Jungen die Chance seines Lebens.“

„Wohlhabend zu sein, meinst du?“, flüsterte Charlotte. „Berühmt? Max, ich dachte wirklich, ich hätte dir andere, höhere Werte vermittelt.“

„Natürlich hast du das“, sagte er zerknirscht. „Ich wollte es dir doch nur leichter machen. Soweit ich weiß, hat der Junge keine Familie in Australien, nur die Frau, die sich um ihn kümmert und ihn vielleicht doch nicht loswerden will. Sie könnte mit hierherkommen und ihm das Einleben erleichtern. Und falls nicht, finden wir das beste Kindermädchen der Welt. Wir werden für ihn sorgen“, versicherte Max noch einmal.

„Aus der Ferne …“

„Es wird alles gut werden.“

„Wenn die Frau das Kind herausgibt.“

„Warum sollte sie nicht?“, fragte ihr Sohn aufrichtig erstaunt.

„Vielleicht hat sie ja mehr Verstand, als ich es vor vierzig Jahren bewiesen habe“, murmelte Charlotte kaum hörbar.

„Du warst damals blutjung, Mama. Viel zu jung, um zu heiraten.“

„Wann ist man denn deiner Meinung nach alt genug dafür?“

Der milde Spott in ihrer Stimme entlockte ihm ein Lächeln. „Achtzig, vielleicht …? Oder niemals. Heirat bedeutet für mich nicht mehr als ein unberechenbares Risiko. Wie im Leben soll man je wissen, ob man nicht wegen des Geldes oder des Titels genommen wird?“ Das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden. „Genug davon. Lassen wir die Dinge einfach auf uns zukommen.“

„Wirst du nach Australien fliegen?“

„Die notwendigen Formalitäten kann ich auch von hier aus in die Wege leiten.“

„Du wirst nach Australien fliegen.“ Das war ein Befehl. Und wenn seine Mutter in diesem Ton mit ihm sprach, dann wusste Max, dass es keinen Sinn hatte, mit ihr zu diskutieren.

1. KAPITEL

Direkt vor seinem Wagen hatte sich offenbar ein Lieferwagen festgefahren.

Galt Australien nicht als sonnenverwöhnter Kontinent? Maxime de Gautier, zukünftiger Prinzregent von Monte Estella, befand sich erst seit sechs Stunden auf australischem Boden und hatte den starken Verdacht, dass sich das ganze Land um ihn herum in einen Binnensee verwandelte.

Endlich war es ihm gelungen, die gesuchte Farm aufzuspüren, die sich aber ganz anders als erwartet präsentierte. Vor seinem inneren Auge hatte er eine Anlage mit einem soliden Haupthaus und etlichen Nebengebäuden und Stallungen gesehen, umgeben von üppigen grünen Weiden, die mindestens bis zum Horizont reichten.

Doch die Gegend hier war karg und steinig, das Tor zur Farm hing lose in den Angeln, und auf einem verblichenen Schild war zu lesen DREAMTIME. Im strömenden Regen und angesichts der deprimierend aussehenden Umgebung erschien ihm der Name wie purer Hohn. Und jetzt konnte er auf dem holprigen Weg nicht einmal mehr weiterfahren. Vor dem festgefahrenen Lieferwagen sah er ein Metallgitter, das nicht mehr richtig in seinem Rahmen lag und den Weg versperrte. Es gab kein Durchkommen.

Das bedeutete wohl, er musste den Rest zu Fuß gehen … oder schwimmen.

Oder er konnte im Auto sitzen bleiben, bis es aufhörte zu regnen. Aber dann war ja immer noch dieses ramponierte Fahrzeug im Weg.

Nach dem vierundzwanzigstündigen Flug hatte er einen Mercedes gemietet, der ihn in fünf Stunden Fahrt sicher und bequem bis hierher gebracht hatte. Doch leider konnte auch ein Mietwagen der Luxusklasse weder fliegen noch war er ein Amphibienfahrzeug.

Ob es eine Hintereinfahrt zur Farm gab? Falls dieser Truck dauerhaft hier abgestellt war, musste es wohl so sein. Max griff nach der Gebietskarte, die ihm der Detektiv in die Akte über das gesuchte Kind gesteckt hatte, und entfaltete sie. Sie wies aber nur eine Zufahrt zur Farm aus.

Max seufzte frustriert. Aber jetzt war er seinem Ziel zu nahe, um aufzugeben.

Dann würde er eben klatschnass werden, auch wenn das wenig fürstlich war. Unverhofft meldete sich sein ausgeprägter Sinn für Humor. Wo waren sie denn, die treuen Vasallen, die verhinderten, dass „gekrönte Häupter“ überhaupt erst nass werden konnten? Jedenfalls nicht im australischen Outback! beantwortete er sich seine rhetorische Frage gleich selbst.

Leise vor sich hinfluchend, öffnete Max die Tür des Mercedes und stellte sich den Elementen. In dem Mietwagen gab es zwar auch einen Regenschirm, aber der erwies sich gegenüber den Naturgewalten als völlig nutzlos. Und so war er schon bis auf die Haut durchnässt, ehe er die Wagentür wieder schließen konnte. Obwohl die undurchdringlichen Regenschleier die Sicht behinderten, wandte sich Max hoffnungsvoll in die Richtung, in der er das Haus vermutete.

Es war etwas schwierig, über das rutschige Viehgitter an dem abgestellten Fahrzeug vorbeizubalancieren, aber er meisterte die Herausforderung mit Bravour. Dann wandte er sich noch einmal um und schaute in die Fahrerkabine.

Max erstarrte.

Anders als erwartet, war sie nicht leer. Durch die Frontscheibe schauten ihn drei Augenpaare aufmerksam an. Sie gehörten einer Frau, einem Kind und einem riesigen braunen Hund. Sie starrten ihn an und er sie. Alle gleichermaßen erstaunt und verwirrt.

Das war offenbar diese Phillippa, von der ihm der Detektiv berichtet hatte. Aber sie sah so … anders aus. Das Foto in der Mappe – offensichtlich ein Schnappschuss von einem Uni-Ball, auf dem Gianetta und sie als beste Freundinnen zusammen abgelichtet waren – musste fast zehn Jahre alt sein. Er hatte es lange aufmerksam studiert und dann entschieden, dass sie eine attraktive Frau war. Nicht schön im klassischen Sinn, aber sehr anziehend mit ihrem breiten Lächeln und den unzähligen Sommersprossen. Ihre roten Locken sahen aus, als ließen sie sich nur schwer zähmen, und ihre Figur konnte man eher als verführerisch weiblich denn als schlank und grazil bezeichnen.

Doch jetzt …

Okay, die Sommersprossen und roten Locken waren noch da, doch das schmale bleiche Gesicht, das sie ihm zuwandte, gehörte keinem unreifen Mädchen, sondern einer erwachsenen Frau, die offenbar schon lange keinen Schlaf mehr gefunden hatte. Es wirkte angestrengt, und die dunklen Schatten unter den großen Augen sprachen für sich.

Und der Junge an ihrer Seite? Das musste Luc sein. Er sah genau aus wie Thierry. Max spürte einen dicken Knoten in seinem Hals. Unzweifelhaft war er ein de Gautier.

Max versuchte, sich die Einzelheiten aus dem Bericht des Privatdetektivs in Erinnerung zu rufen.

Der Vormund des Jungen ist Phillippa Donohue. Sie leben auf einer Farm im Südwesten von Victoria, die den Eltern des Kindes gehörte, bis sie vor vier Jahren bei einem Autounfall ums Leben kamen.

Über Phillippa selbst hatte der Ermittler nur wenig herausgefunden. Offenbar war sie ausgebildete Krankenschwester, übte ihren Beruf in den letzten vier Jahren aber nicht mehr aus. In ihrer Ausbildungsakte war vermerkt, dass ihre Mutter starb, als Phillippa gerade mal zwölf war. Die Ausbildung hatte sie mithilfe eines Stipendiums absolviert, das nur durch herausragende Leistungen zu erlangen war.

Und über ihre derzeitigen Lebensumstände wusste Max noch weniger – eigentlich nur, dass sie zwischen ihm und dem zukünftigen Regenten von Monte Estella stand, auf den ein ganzes Volk hoffte und wartete.

Max wusste nicht, wie und wo er anfangen sollte, aber das brauchte er auch nicht, weil Phillippa Donohue die Initiative ergriff. Sie kurbelte die Seitenscheibe ein Stückchen herunter, sodass sie mit ihm reden konnte. Ein Zentimeter weiter, und die Insassen des Lieferwagens wären bald ebenso nass wie er.

„Sind Sie verrückt? Sie werden sich eine Lungenentzündung holen.“

Das konnte man schwerlich als herzliches Willkommen bezeichnen.

„Wo wollen Sie überhaupt hin?“

Offensichtlich hielt sie ihn für jemand, der nach dem Weg fragen wollte. Und so abgelegen, wie die Farm lag, mussten potenzielle Besucher schon ziemlich entschlossen sein, wenn sie ihr einen Besuch abstatten wollten. Und selbst dann war es noch möglich, dass sie ihr Ziel verfehlten.

Alles, was er bisher davon gesehen hatte, waren patschnasse Kühe, das kaputte Viehgitter, den stehen gebliebenen Lieferwagen und eine zerbeulte Milchkanne, die offenbar als Briefkasten diente. Auf einer Seite stand in ungelenken Lettern D&G Kettering.

Das G stand wohl für Gianetta.

Vier Jahre waren seit dem tödlichen Unfall von Gina und ihrem Mann vergangen. Und trotzdem war der Name in der Zwischenzeit nicht geändert worden. Was für eine Funktion mochte Phillippa Donohue hier genau haben? Schade, dass die Detektei nicht mehr über sie zu berichten gehabt hatte.

„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was Miss Donohue in dieser Einöde festhält“, hatte der Ermittler gesagt. „Zunächst nahmen wir an, die Farm sei so groß und ertragreich, dass es finanzielle Gründe wären. Es ist aber auch gut möglich, dass die Farm dem Jungen gehört, sodass ihre Position nur sicher ist, wenn sie bleibt und sich um alles kümmert. Auf jeden Fall aber nehmen wir an, dass ihr jedes wie auch immer geartete Angebot von Ihrer Seite nur willkommen sein kann.“

Soweit Max es jetzt schon beurteilen konnte, hatte sich die Detektei zumindest im ersten Punkt gründlich geirrt. Denn alles, was er sah, vermittelte einen maroden, heruntergekommenen Eindruck. Es war sicher besser, er ging behutsam vor, bis er die Lücken im Dossier über Phillippa Donohue selbst würde füllen können.

„Ich suche die Kettering Farm“, sagte er ruhig. „Und ich denke, ich habe sie gefunden. Sind Sie Phillippa Donohue?“

„Ich bin Phillippa, ja.“ Ihr Blick verfinsterte sich. „Kommen Sie von der Molkereigenossenschaft? Sie weigern sich, unsere Milch abzunehmen, haben die Zahlungen eingestellt … Was wollen Sie denn noch von uns?“

„Ich bin nicht von der Molkereigenossenschaft.“

Sie starrte ihn an. „Nicht?“

„Ich bin gekommen, um Sie kennenzulernen.“

„Niemand kommt hier raus, um mich kennenzulernen.“

„Nun, eigentlich auch in erster Linie den Jungen“, räumte Max ein. „Ich bin Lucs Cousin.“

Phillippa hob die Brauen. Offensichtlich fiel ihre strenge Musterung nicht zu seinen Gunsten aus, aber das konnte Max ja auch egal sein. Er wollte nur sagen, was er zu sagen hatte, ein Flugticket besorgen – oder zwei, falls sie mitkommen wollte – und dieses unwirtliche Australien so schnell wie möglich wieder verlassen.

„Die Kinder haben keine Cousins.“ Das Misstrauen in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Gina und Donald … ihre Eltern, waren beide Einzelkinder. Und alle Großeltern sind tot. Es gibt noch einige weitläufige Verwandte von väterlicher Seite, aber die kenne ich. Sie sind keiner von ihnen.“

Mehr als die spürbare Ablehnung irritierten ihn ihre ersten Worte. Kinder? Hatte sie wirklich Kinder gesagt. Es gab doch nur Luc … oder etwa nicht? „Ich bin ein Verwandter aus der Linie von Lucs Mutter“, sagte Max, um Zeit zu gewinnen.

„Gina war schon in der Schule meine beste Freundin. Ihre Mutter Alice hat mich wie ihre eigene Tochter behandelt, und ich war sehr viel mit den beiden zusammen. Aber ich habe nie irgendwelche Verwandte bei ihnen getroffen.“

Das hörte sich so abweisend an, dass Max lächeln musste. „Dann fällt es Ihnen also leichter zu glauben, ich komme von der Molkereigenossenschaft und versuche, mich mit Lügen über meinen familiären Hintergrund in Ihr Vertrauen zu schleichen? Denken Sie tatsächlich, ich riskiere eine Lungenentzündung, nur um mich mit einer Fremden über Kühe zu unterhalten?“

Forschend starrte sie ihn weiterhin an, bis sich ganz langsam ihre Mundwinkel hoben. Und damit wurde sie dem Mädchen auf dem alten Foto schon viel ähnlicher. Jetzt wusste Max auch wieder, warum sie ihm auf den ersten Blick gefallen hatte.

„Ich gebe zu, das wäre wirklich ziemlich lächerlich, aber Sie sind nicht ihr Cousin.“

Ihr Cousin! Da war es wieder. Mehrzahl! Er verstand nicht, was sie damit sagen wollte und redete einfach ruhig weiter.

„Ich bin tatsächlich ein Verwandter. Gianetta und ich hatten den gleichen Großvater … auch wenn wir ihn nie kennengelernt haben! Ich bin um die halbe Welt gereist, nur um Luc zu sehen.“

„Sie stammen also von dem fürstlichen Zweig der Familie ab?“ Es war, als erinnere sie sich plötzlich an etwas, das ihr vor langer Zeit mitgeteilt worden war.

Max räusperte sich. „So … in etwa. Ich muss mit Ihnen reden. Und ich muss Luc sehen.“

„Sie sehen ihn doch.“

Luc starrte Max an, und Max starrte zurück. „Hi“, sagte er etwas unbeholfen. „Ich muss mit dir reden.“

„Wir sind momentan nicht auf Besucher eingerichtet“, sprang Phillippa für ihn ein und legte wie beschützend einen Arm um die schmächtigen Schultern des Jungen. Er steckte in einem viel zu großen rotgelben Fußballdress und wirkte, als sei er zu schnell gewachsen – als bestehe er nur aus Armen und Beinen.

Seine Beschützerin musterte Max erneut mit einem scharfen Blick, doch wenn er sich nicht täuschte, klang sie schon viel weniger abweisend, sondern eher ein wenig neugierig. Er glaubte sogar so etwas wie Bedauern in ihrer Stimme zu hören. „Brauchen Sie ein Bett für heute Nacht?“

Das klang gut. „Ja.“

„In Tanbarook gibt es eine Pension. Kommen Sie morgen früh nach dem Melken wieder. Dann trinken wir eine Tasse Kaffee zusammen und können reden.“

„Äh … danke.“

Das Lächeln wurde breiter. „Tut mir leid, aber das ist alles, was ich Ihnen anbieten kann. Wir sind momentan ein wenig … gehandicapt. Also, wenn Sie am Ende der Straße rechts abbiegen, kommen Sie direkt nach Tanbarook.“

„Danke“, wiederholte Max, rührte sich aber nicht von der Stelle. Luc musterte ihn neugierig und ein bisschen abweisend, Phillippa mit ruhiger Freundlichkeit und der Hund mit der gütigen Nachsicht eines alten erfahrenen Haustiers.

„Warum sitzen Sie in einem Lieferwagen vor einem kaputten Viehgitter?“, fragte Max.

„Wir stecken fest.“

„Das sehe ich. Wie lange beabsichtigen Sie hier zu sitzen?“

„Bis es aufhört zu regnen.“

„Dieser Regen …“, sagte er bedächtig. „Vielleicht hört er ja nie mehr auf.“ Max schauderte, als ihm ein Schwall Wasser in den Kragen und dann den Rücken hinunterlief. Der Himmel wusste, was Phillippa von ihm halten mochte. Offensichtlich nicht viel, dachte er seltsam berührt.

Ein ungewohntes Gefühl für ihn. Normalerweise reagierten Frauen ganz anders auf Maxime de Gautier. Er war groß und muskulös, hatte schwarzes dichtes Haar und die dunklen markanten Züge, die für die Familie seiner Mutter typisch waren. Die internationale Regenbogenpresse bezeichnete ihn für gewöhnlich als umwerfend attraktiv und steinreich.

Doch Phillippa schien anderer Meinung zu sein. Offensichtlich wusste sie nicht, wen sie da vor sich hatte.

Und mit dieser Erkenntnis lag Max genau richtig. Nicht einmal sein Alter – Max war fünfunddreißig – konnte sie mit Sicherheit schätzen. Alles, was sie sah, war … Wasser.

„Vierzig Tage und vierzig Nächte am Stück ist ein Regenrekord“, informierte sie ihn. „Am besten, Sie gehen so schnell wie möglich zu Ihrem Wagen zurück.“

„Und warum gehen Sie nicht ins Haus, anstatt in dem engen Lieferwagen zu hocken?“

Bis jetzt hatte Luc noch keinen Ton von sich gegeben, doch offenbar hielt er es für notwendig, sich zu diesem Punkt zu äußern.

„Wir wollten uns gerade Fisch und Chips holen“, erklärte er ernsthaft. „Aber dann sind wir in dem Gitter stecken geblieben. Jetzt müssen wir warten, bis es aufhört zu regnen. Dann suchen wir Mr. Henges und bitten ihn, uns mit seinem Traktor rauszuziehen. Phillippa sagt, wir können genauso gut im Wagen sitzen bleiben, weil es hier wärmer ist als im Haus. Wir haben nämlich kein Holz mehr.“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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