Komm, wir fahren ins Glück!

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Absichtlich hat die hübsche Meg ihrem Chef Nathan Forrest bei ihrer Einstellung in Providence verschwiegen, dass sie eine kleine Tochter hat. Aber nach einem Wochenende bei Nathans Eltern spürt Meg, dass sie ihn mit ihrem Schweigen irgendwie betrügt. So können sie nie eine glückliche Familie werden …


  • Erscheinungstag 10.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755850
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Meg bog in die Parklücke ein. Oh nein, sie kam schon wieder zu spät, zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen. Ihr Herz hämmerte wie wild.

Verzweifelt sprang sie aus dem Escort, klemmte ihre Handtasche unter den Arm und rannte über den überfüllten Parkplatz auf die Fabrik zu. Sie stürmte durch den Haupteingang, eilte am Informationsschalter vorbei und durchquerte die Halle zu den Fahrstühlen. Ungeduldig drückte sie auf den „Aufwärts“-Knopf, beobachtete die Anzeige und murmelte: „Nun komm schon. Komm schon!“ Schließlich ging sie die Treppe hinauf.

Meg keuchte heftig, als sie den vierten Stock erreichte. Erschöpft sank sie an die Wand, um sich einen Moment auszuruhen. Die Luftklappe im Treppenhaus war noch geschlossen nach dem ungewöhnlich warmen Septembertag von gestern. Die Bluse unter ihrer Kostümjacke klebte an ihrem Rücken.

Weshalb ist meine Schwiegermutter nicht schon gestern Abend zum Markt gefahren? überlegte sie verärgert. Weshalb erst heute Morgen, obwohl sie wusste, dass ich den Wagen zur Arbeit brauche? Es war richtig gedankenlos gewesen. Ebenso wie letzte Woche, als Vera in aller Frühe getankt hatte, um ihrer Schwiegertochter die Fahrt zu ersparen.

Sie hatte diese Stelle erst seit vier Monaten. Wollte Vera, dass ihr gekündigt wurde?

Meg bekam ein schlechtes Gewissen. Sie hatte kein Recht, sich zu beklagen. Schließlich gehörte der Escort Vera. Sie überließ ihr den Wagen aus reiner Menschenliebe. Und weshalb denke ich trotzdem so abfällig von ihr? überlegte sie. Weshalb bin ich so undankbar?

Meg schob ihre große schwarz gerahmte Brille höher und blickte auf ihre Armbanduhr. Elf Minuten über die Zeit. Stöhnend eilte sie weiter. Mit ein wenig Glück war ihre Vorgesetzte, Mrs. Xavier, noch in der Kantine und bemerkte ihre Verspätung nicht. Entschlossen öffnete sie die schwere Tür und sah sofort, dass sie vergeblich gehofft hatte.

Der oberste Chef und Besitzer von Forrest Jewelry, Nathan Forrest, stand am Schreibtisch der Empfangssekretärin. Er blickte von einer Aktennotiz auf, die er gerade las, und kniff die Augen leicht zusammen.

„Guten M…Morgen, Mr. Forrest“, brachte Meg atemlos hervor.

„Guten Morgen, Miss Gilbert.“ Er nickte ihr kurz zu, und ihr war, als hätte sie einen Schlag auf die Finger bekommen. Mit hochrotem Gesicht eilte sie in den Bürosaal.

Hier hatte sie allerdings wirklich Glück. Mrs. Xavier war noch in der Kantine. Natürlich bemerkten die anderen Kollegen ihre Verspätung. Doch sie begrüßten sie freundlich und fragten besorgt, ob etwas passiert sei.

„Probleme mit dem Wagen“, antwortete Meg und nahm es mit der Wahrheit nicht so genau. Sie setzte sich an ihren Computer und war bald in den Auftrag vertieft, an dem sie tags zuvor bis Dienstschluss gearbeitet hatte.

Zwei Stunden vergingen. Meg schloss ihre Arbeit ab, und Mrs. Xavier gab ihr eine weitere Aufgabe, wieder etwas Neues. Es war beinahe, als wollte sie die Angestellte testen und deren Grenzen ausloten.

Meg beruhigte sich allmählich und war ziemlich sicher, dass ihre Verspätung ohne Folgen bleiben würde. Doch als sie den Kopf hob, erblickte sie Mr. Forrest auf der Schwelle. Er beobachtete sie stirnrunzelnd.

Oh nein, verwünschte sie sich im Stillen und tippte entschlossen weiter. Sie durfte diesen Job nicht verlieren. Schließlich hatte sie finanzielle Verpflichtungen. Außerdem mochte sie ihre Arbeit. Sie war das Beste, was ihr jemals passiert war – abgesehen von Gracie natürlich.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Mr. Forrest sich von der Tür löste und auf sie zukam. Ihr Herz begann, heftig zu pochen. Kurz darauf fiel sein Schatten auf ihr Keybord, und er stützte die Fingerspitzen auf ihre Schreibtischplatte.

Meg sah auf und lächelte gequält. „Kann ich etwas für Sie tun?“

„Würden Sie bitte in mein Büro kommen, Margaret?“

Ihr Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Rasch schloss sie die Köpfe ihrer Kostümjacke und stand auf. Ihre Kolleginnen verstummten wie auf Kommando, während sie an ihnen vorübereilte.

Oh nein, dachte sie erneut.

Meg folgte ihrem Arbeitgeber durch das Empfangssekretariat mit den großen, beleuchteten gläsernen Schaukästen, in denen Musterstücke von Forrest-Schmuck ausgestellt waren, und erreichte das Büro des Chefs. Im Gegensatz zum Sekretariat mit seinem glänzenden Kunstmarmor war Mr. Forrests Büro mit dickem saphirblauem Veloursteppich ausgelegt, der dieselbe Farbe wie seine Augen hatte. Die Wände waren in Creme gehalten und bildeten den perfekten Hintergrund für das grazile Mobiliar im Stil des 18. Jahrhunderts, das er bevorzugte. Hinter dem Mahagonischreibtisch gab ein riesiges Fenster den Blick auf Providence frei, die Hauptstadt von Rhode Island und das Zentrum der Schmuckindustrie im Nordosten der Vereinigten Staaten.

Nathan Forrest hatte das ganze Stockwerk renovieren lassen, als er die Firma vor vier Jahren von seinem Vater übernommen hatte. Hier oben merkte man kaum, dass sich auf den drei unteren Etagen eine Fabrik befand. Im vierten Stock arbeiteten die Schmuckdesigner. Die kaufmännischen Angestellten kümmerten sich um den Geschäftsablauf, und Nathan Forrest überwachte alles von seiner Büroflucht in der Mitte.

„Nehmen Sie Platz, Margaret“, sagte er und ging um seinen Schreibtisch herum.

Meg setzte sich vorsichtig in einen Ohrensessel, straffte den Rücken und faltete die Hände im Schoß.

Ihr Chef drehte seinen bequemen Lederstuhl in ihre Richtung und sah sie fest an. Wie immer brachte der eindringliche Blick seiner saphirblauen Augen sie beinahe aus dem Gleichgewicht. Doch sie war sicher, dass sie mit ihrer Reaktion auf diesen Mann fertig werden würde. Energisch riss sie sich zusammen und erwiderte seinen Blick.

Dabei war es fast unmöglich, nicht für Nathan Forrest zu schwärmen. Er war der Traum von einem Mann, sah unwahrscheinlich gut aus und besaß den erlesenen Geschmack eines italienischen Topdesigners. Außerdem war er charmant und weltgewandt. Das Ocean State Journal, das regionale Monatsblatt, brachte häufig Fotos von ihm, die ihn auf gesellschaftlichen oder politischen Veranstaltungen zeigten. Normalerweise war eine elegante Erbin oder ein Model an seiner Seite.

Als reichten sein gutes Aussehen und seine gesellschaftliche Popularität nicht, damit jedes normale weibliche Wesen die Augen nach ihm verdrehte, galt Nathan Forrest außerdem als die herausragende neue Kraft der Schmuckindustrie. Die Ware, die seinen Namen trug, zählte zur feinsten ihrer Art in Qualität und Design. Das war sein Verdienst. Als Ergebnis hatte sich der Umsatz seit seinem Amtsantritt bereits vervierfacht.

Auch an seinem alltäglichen Verhalten in der Firma gab es viel zu bewundern. Nathan Forrest arbeitete mindestens ebenso hart wie die anderen und hatte meistens einen Zehn- oder Zwölfstundentag. Da er sich mit allen Gebieten der Produktion befasste, konnte man ihn sowohl beim Experimentieren mit Entwürfen in der Designer-Abteilung als auch an der Seite eines Vormanns finden, den er bei der Reparatur einer Maschine beriet.

Er reiste ausgiebig, segelte, flog seine eigene Maschine, spielte Polo und sprach fließend drei Sprachen.

Ja, es war nicht schwer, für Nathan Forrest zu schwärmen. Außerdem war es so harmlos wie die Anhimmelei eines Rockstars oder eines Filmidols, denn der Mann war absolut unerreichbar. Er lebte wirtschaftlich und gesellschaftlich auf einem anderen Stern und hielt sich eisern an die Grundregel, niemals eine Affäre am Arbeitsplatz zu beginnen.

„Mr. Forrest führt zwar ein lebhaftes gesellschaftliches Leben außerhalb seiner Firma“, hatte Mrs. Xavier Meg gegenüber kurz nach ihrer Einstellung erklärt. „Aber hier ist er ausschließlich der Chef. Er sieht es nicht einmal gern, wenn Kollegen untereinander eine intime Beziehung pflegen. Seiner Ansicht nach schadet es der Arbeitskraft und der Konzentration. Sollten Sie also versuchen, mit ihm zu flirten oder ihn sonst wie auf sich aufmerksam zu machen, könnten Sie sich leicht an der frischen Luft wieder finden.“

Meg war diese Verhaltensweise sehr recht. Sie hatte weder Zeit noch Lust zu einer Romanze. Dazu hatte sie viel zu viel zu tun. Und was Nathan Forrest betraf, besaß sie Verstand genug, um Wirklichkeit und Fantasie zu unterscheiden. Außerdem schätzte sie ihr Gehalt viel zu sehr, um es aufs Spiel zu setzen.

„Ich habe eine Bitte an Sie, Margaret“, sagte Nathan Forrest jetzt.

Meg sah ihn erstaunt an. Ihr Chef hatte sie kommen lassen, um eine Bitte zu äußern?

„Ich muss nächstes Wochenende zu meinen Eltern nach Bristol“, fuhr er fort. „Die Familie feiert am Sonnabend den Geburtstag meines Vaters.“

Er wollte sie nicht tadeln, weil sie sich erneut verspätet hatte? Meg atmete erleichtert auf.

„Diese Veranstaltung am ersten Wochenende im September ist so etwas wie Tradition bei uns geworden“, fügte er hinzu. „Es ist eine Kombination aus Geburtstagsfeier, Familientreffen und Verabschiedung des Sommers.“

„Das klingt sehr nett.“

„Ja. Ist es auch.“ Die Einschränkung war seiner Stimme deutlich anzuhören. „Ehrlich gesagt, ich würde lieber hier bleiben und am Frühlingskatalog arbeiten. Die endgültige Fassung muss spätestens am Montag in der Druckerei vorliegen, wenn der Katalog rechtzeitig zur ersten Herbstpräsentation erscheinen soll. Da ich nicht hier bleiben kann, habe ich die Absicht, die zweitbeste Lösung zu wählen und auf der Farm zu arbeiten. Und damit kommen Sie ins Spiel, Margaret.“ Er machte eine kurze Pause. „Bisher habe ich Sie noch nie gebeten, an einem Wochenende zu arbeiten. Ich kenne Ihre Vereinbarung mit Mrs. Xavier – keine Überstunden. Trotzdem möchte ich Sie fragen, ob Sie an diesem Wochenende eine Ausnahme machen können, um mich als meine Assistentin zu begleiten.“

Meg sah ihn erstaunt an. „Ich? Sie möchten, dass ich Sie zu Ihrem Familientreffen begleite?“

„Ja.“ Nathan Forrest lehnte sich entspannt zurück und schlug die Beine übereinander. Der Mann fühlte sich in seinem Körper ebenso wohl wie in der Welt, in der er lebte. Die Sonne schien auf ihn und umgab sein seidiges schwarzes Haar mit einem Lichtkranz. „Wir würden morgen Abend losfahren und bis Sonntag bleiben. Falls Sie also …“ Er sprach nicht weiter, denn sie schüttelte langsam den Kopf. „Was ist?“

„Es tut mir leid, aber ich kann nicht.“ Meg gab ihrem Chef ungern eine Absage. Schließlich tat sie ihr Bestes, um sich als zuverlässige, pflichtbewusste Angestellte zu erweisen. Aber die Wochenenden gehörten Gracie.

„Falls Sie befürchten, dies könnte zur Gewohnheit werden, verspreche ich Ihnen, dass es nicht der Fall ist“, versicherte er ihr.

„Nein, das ist nicht der Grund. Ich … Ich habe bereits andere Pläne.“ Meg bemerkte den leichten Schatten in seinem Gesicht. Wahrscheinlich glaubte Mr. Forrest, dass sie so egoistisch sei, ihre Freizeit über alles zu stellen.

Er wusste ja nichts von Gracie. Wie sollte er auch? Nicht einmal die Kolleginnen ahnten, dass sie eine Tochter hatte.

Bevor sie bei Forrest Jewelry anfing, hatte Meg drei Jahre nicht gearbeitet. Ihre letzte Stelle hatte sie während der Schwangerschaft gekündigt und die anschließende Zeit mit ihrer Tochter verbracht. Nachdem ihre Schwiegermutter kürzlich in Pension gegangen war und als Babysitter einspringen konnte, hatte sie beschlossen, wieder zu arbeiten. Doch sie war auf unerwartete Schwierigkeiten gestoßen.

Die Personalchefs waren von ihrem Können durchaus beeindruckt gewesen. Doch ihr Interesse hatte sich merklich abgekühlt, sobald sie erfuhren, dass sie eine allein erziehende Mutter mit einem Vorschulkind war. Zwar hatten sie es nicht direkt ausgesprochen – das wäre gegen das Gesetz gewesen –, aber Meg wusste, was in ihrem Kopf vor sich ging. Ein Kind im Vorschulalter bedeutete einen überdurchschnittlich hohen Ausfall der Mutter wegen Krankheit, unzuverlässiger Babysitter und anderer kleiner Ungelegenheiten, die bei allen Kindern auftraten. Diese Ausfälle verstärkten sich noch, wenn die Arbeitnehmerin nicht mit der Unterstützung eines Ehemanns rechnen konnte.

Meg hatte versichert, dass solche Probleme bei ihr nicht auftreten würden. Ihre Schwiegermutter wohnte im selben Haus wie sie und war vierundzwanzig Stunden am Tag „abrufbereit“. Trotzdem hatte sie keine Zusage erhalten.

Nach wochenlangen vergeblichen Versuchen hatte sie sich zu einem Experiment entschlossen. Beim nächsten Bewerbungsgespräch würde sie ihre Tochter nicht erwähnen, um endlich eine Chance zu erhalten, sich zu beweisen. Dieses Gespräch hatte zufällig bei Forrest Juwelry stattgefunden.

Die ersten vier Monate hatte es keine Schwierigkeiten gegeben. Meg war sogar sicher gewesen, dass die Kolleginnen sie bewundern würden, wenn sie die Wahrheit erfuhren. Schließlich erledigte sie ihre Arbeit tadellos.

Inzwischen sah sie jedoch ein, dass sie sich falsch verhalten hatte. Wie sollte sie den Kollegen jetzt noch beibringen, dass sie alle getäuscht hatte? Was würde Mrs. Xavier dazu sagen? Oder Mr. Forrest? Wie weit würde er ihr anschließend noch vertrauen? Je länger sie die Wahrheit verschwieg, desto größer wurde ihre Lüge und desto schwieriger würde es werden, die Sache wieder zurechtzurücken. Sie hatte sich im eigenen Netz verfangen.

Plötzlich merkte Meg, dass Mr. Forrest ihr eine Frage gestellt hatte. „Entschuldigung. Was haben Sie gesagt?“

„Ich habe Sie gefragt, ob Sie absolut sicher sind, dass Sie an diesem Wochenende nicht arbeiten können.“

„Ja, so leid es mir tut“, wiederholte sie und befeuchtete sich die trockenen Lippen mit der Zungenspitze. „Sie finden sicher jemand anders, der an meiner Stelle mitfährt. Vielleicht Mrs. Beeden oder Mrs. Hall.“ Die beiden Frauen arbeiteten schon länger in der Firma und waren äußerst kompetent.

„Nein, das möchte ich nicht. Es wäre mir lieber, wenn Sie diese besondere Aufgabe übernehmen würden, Margaret. Erstens sind Sie ein Single. Die anderen müssen sich am Wochenende um ihre Familien kümmern.“

Meg blickte auf ihre Hände und hatte den Eindruck, die Lüge würde ihr im Gesicht geschrieben stehen.

„Und zweitens: In den wenigen Monaten, die Sie bei uns arbeiten, hat mich Ihre Tätigkeit sehr beeindruckt. Sie sind bemerkenswert tüchtig und geschickt, Margaret. Außerdem sind Sie gescheit. Sie tippen nicht nur. Ich habe gesehen, dass Sie die Texte selber einteilen und wenn nötig redigieren. Jemanden mit dieser Fähigkeit benötige ich, wenn ich am Wochenende am Katalog arbeiten will. Auch Ihre Genauigkeit ist von Vorteil, denn die Preisliste muss ebenfalls fertig gestellt werden.“

Meg richtete sich auf, und um ihre Lippen zuckte es vor Stolz.

„Am wichtigsten für mich ist jedoch …“ Er zögerte einen Moment und sah sie nachdenklich an. „Ich vertraue Ihnen, Margaret. Sie besitzen eine Reife, die selten ist bei einer Frau Ihres Alters. Sie sind ruhig und verschwiegen. Sie beteiligen sich nicht am Büroklatsch. Sie sind mit Ihren Gedanken bei der Arbeit und kümmern sich nicht um anderer Leute Angelegenheiten. Ich will damit sagen …“

„Dass ich nicht über das Wochenende reden werde, nachdem wir zurück sind?“, schlug sie vor.

Er lächelte, und ein äußerst liebreizendes Grübchen bildete sich in seiner linken Wange. „Genau.“

Meg wunderte sich, dass Nathan Forrest solche Eigenschaften bei ihr bemerkt hatte. Schließlich war sie nur ein winziges Rädchen innerhalb eines großen Betriebs, und er … Nun, er war der Besitzer und nicht nur der Geschäftsführer. Der Eigner. Der Vorstandsvorsitzende. Ein großes Tier.

„Womit ich nicht andeuten will, dass etwas Skandalöses passieren könnte“, fügte er lächelnd hinzu, und seine Augen funkelten vergnügt. Meg musste den Blick abwenden. Der Mann sah einfach zu gut aus. „Nur wäre es mir lieber, wenn Einzelheiten aus meinem Privatleben … Nun, nicht in den Betriebsklatsch geraten würden.“

Meg hatte volles Verständnis für den Wunsch ihres Chefs. Trotzdem brachte sie es nicht fertig, ein ganzes Wochenende mit Gracie zu opfern, damit ihre Kollegen nicht erfuhren, was er am Sonnabend und Sonntag zum Frühstück aß.

„Ich würde Ihnen wirklich gern helfen, Mr. Forrest“, sagte sie. „Aber ich kann nicht. Ich … Ich bin bereits eine andere Verpflichtung eingegangen.“

Offensichtlich ließ er kein Nein gelten. „Also gut, ich will offen zu Ihnen sein. Es geht mir nicht nur um die Arbeit.“ Er beugte sich vor und verringerte den Abstand zwischen Meg und sich. „Ich brauche jemanden, der mir aus einer persönlichen Klemme hilft.“

„Und das soll ausgerecht ich sein?“, fragte Meg verwirrt.

„Ja. Ich benötige Sie, um … Um eine unangenehme Situation zu vermeiden.“

Meg schob ihre Brille höher und runzelte die Stirn. „Bitte etwas genauer.“

„Wie soll ich Ihnen das erklären?“ Nathan Forrest seufzte leise. „Sie wissen, dass ich ledig bin?“

„Ja.“

„Dann haben Sie gewiss auch gehört, dass ich mein Junggesellendasein genieße.“

Meg zögerte einen Moment. Wenn sie die Frage bejahte, musste er glauben, dass sie auf den Büroklatsch hörte. Zum Glück wartete er ihre Antwort nicht ab.

„Nun, es entspricht der Wahrheit. Und ich habe die Absicht, daran die nächsten fünf oder sechs Jahre nichts zu ändern. Das Problem ist einzig – meine Mutter. Im Klartext, Margaret: Sie findet, dass ich schleunigst heiraten soll. Deshalb bestürmt sie mich mit unverheirateten Töchtern oder Nichten ihrer zahlreichen Nachbarn und Freunde, sobald ich bei ihr auftauche.“

„Ihre Mutter versucht, Sie zu verkuppeln?“ Meg sah ihn erstaunt an. Wenn jemand keine Hilfe benötigte, um zu einem Date zu kommen, dann Nathan Forrest.

„Nun, verkuppeln ist vielleicht ein zu starkes Wort. Sie erwartet, dass ich den Tischherrn oder ständigen Begleiter dieser Frauen bei ihren Festen spiele. Natürlich hofft sie, dass ich mich anschließend weiter mit ihnen treffe und mich eines Tages unsterblich in die eine oder andere verlieben werde.“ Er schwieg einen Moment. „Am nächsten Wochenende habe ich beim besten Willen keine Zeit für die Machenschaften meiner Mutter. Wenn Sie dabei sind, wird sie es gar nicht erst versuchen.“

Meg merkte, dass ihre Wangen zu glühen anfingen. „Mr. Forrest, Sie haben doch nicht vor, nun … die Leute in dem Glauben zu lassen, dass wir …“

Er sah sie verblüfft an. „Nein, natürlich nicht. Ich hätte einfach nicht die Zeit, mich um jemand anders zu kümmern. Es wäre unhöflich, Sie zwischen lauter Fremden allein zu lassen.“

Meg wäre vor Verlegenheit am liebsten im Boden versunken. Wie hatte sie so dumm sein und den Mann derart missverstehen können? Als ob irgendjemand glauben könnte, Nathan Forrest wäre an ihr interessiert!

Sie war zwar nicht hausbacken, aber sie war auch nicht hübsch. Sie war guter Durchschnitt. Ihre Haut war mittelhell. Ihr Haar und ihre Augen waren mittelbraun. Und mit ihren eins fünfundsechzig und sechsundfünfzig Kilo besaß sie ein mittleres Gewicht.

Vielleicht könnte sie mit etwas Make-up nachhelfen. Aber mit einem dreijährigen Wirbelwind im Haus fand sie morgens nicht die Zeit dafür. Ein bisschen Puder und etwas Lipgloss mussten genügen. Ihre Frisur war ebenfalls sehr schlicht. Meistens fasste sie das Haar im Nacken zusammen und wechselte höchstens die Spange oder das Band.

Niemand würde ihr vorwerfen, ein Modefan zu sein. Sie zog klassische Garderobe vor, die ordentlich aussah und sich gut für das Büro eignete. Sie war kaum der Frauentyp, mit dem Nathan Forrest ausging. Die Vorstellung war so lächerlich, dass sie am liebsten losgeheult hätte.

Als Gentleman, der er war, wechselte er rasch das Thema und nannte die Summe, die er ihr für die zusätzliche Arbeit am Wochenende zahlen wollte.

„Wie viel sagten Sie?“

Nathan Forrest wiederholte die Summe.

„Für zwei Tage Arbeit?“ Das Herz schlug Meg bis zum Hals.

Er nickte. „Falls Sie Bedenkzeit brauchen, können Sie mir die Antwort ebenso gut morgen geben. Allerdings ist morgen schon Freitag, und ich möchte gleich nach Dienstschluss losfahren.“

„Findet das Treffen nicht erst am Sonnabend statt?“

„Doch. Aber vielleicht können wir morgen Abend noch ein oder zwei Stunden arbeiten.“

„Und wo liegt diese Farm genau?“

„Nicht weit entfernt. Bei Bristol. Es ist ein großartiges, sehr erholsames Anwesen direkt am Atlantik.“

Meg merkte, dass ihr Entschluss ins Wanken geriet. Sie sollte ein wahres Vermögen für ein Wochenende am Atlantik bekommen? Noch dazu mit jemand wie Mr. Forrest? Das klang zu schön, um wahr zu sein.

Im nächsten Moment war sie entsetzt. Sie würde das Angebot doch nicht annehmen? Schließlich hatte sie Gracie einen Zoobesuch für Sonnabend versprochen.

Aber das Geld … Was könnte sie alles mit dem Geld machen!

Nein, der Preis war zu hoch. Meg nahm alle Kraft zusammen und erklärte: „Es tut mir leid. Ich muss trotzdem ablehnen.“

„Falls Sie sich Sorgen wegen Ihrer Garderobe machen …“

„Das ist nicht der Grund.“

„Freizeitkleidung reicht absolut aus“, fuhr Nathan Forrest unbeirrt fort. „Eine lange Hose und ein oder zwei Kleider genügen. Sonntagnachmittag sind Sie zurück.“

„Das ist ja alles sehr nett, aber ….“

„Mir ist klar, dass Ihnen nicht viel Zeit bleibt, um sich bis zum nächsten Tag zu erholen. Deshalb gebe ich Ihnen Montagmorgen bezahlten Urlaub. Wie finden Sie das?“

Es hörte sich nur zu gut an. „Sie sind sehr großzügig, Mr. Forrest. Trotzdem bleibt es bei meinem Nein.“ Bevor er etwas einwenden konnte, stand sie auf.

„Möchten Sie die Angelegenheit nicht noch einmal überschlafen?“, fragte er.

„Nein, das ist nicht nötig.“

„Meine Güte, das muss ja ein tolles Date sein.“

Meg schwankte einen Moment zwischen Lüge und Aufrichtigkeit. Dann unterdrückte sie die Worte, die sie gern gesagt hätte, und ließ ihren Chef bei seiner Meinung. „Ja, das ist es auch.“

Gegen halb sechs hatte Meg die Fahrt durch den Stoßverkehr vom Industriegelände zu dem Arbeiterviertel geschafft, in dem sie mit Gracie bei den Gilberts wohnte.

Vera und Jay Gilbert hatten sie vom ersten Tag an herzlich aufgenommen. Derek und sie hatten sich in der Kanzlei eines Steuerberaters in St. Louis kennen gelernt. Sie war eine achtzehnjährige Hilfskraft frisch aus der High School gewesen, die abends eine Sekretärinnenschule besuchte. Er hatte im letzten Jahr Betriebswirtschaft studiert und ein Praktikum in der Kanzlei absolviert.

Bis zu seinem Examen im Juni hatten sie sich regelmäßig getroffen. Anschließend hatte Derek sie gebeten, ihn in den Osten zu begleiten. Da ihre Tante Bea – die letzte Verwandte in dieser Gegend – kurz vorher gestorben war, hatte sie eingewilligt.

Dann war alles sehr schnell gegangen. Mit neunzehn war Meg verheiratet gewesen und hatte in dem gemütlichen Apartment gewohnt, das Dereks Eltern ihnen über der Garage gebaut hatten. Mit zwanzig hatte sie Gracie geboren. Das war der schönste Tag ihres Lebens gewesen. Mit einundzwanzig war der schwärzeste gefolgt, denn Derek war bei einem Autounfall ums Leben gekommen und hatte sie als Witwe zurückgelassen.

Rückblickend fragte Meg sich oft, was ohne Veras und Jay Gilberts Hilfe aus Gracie und ihr geworden wäre. Sie hatte weder eine Familie gehabt, an die sie sich hätte wenden können, noch ein eigenes Einkommen.

„Wir sind doch deine Familie“, hatten die beiden erklärt und darauf bestanden, dass sie mietfrei über der Garage wohnen blieb. Großzügig hatten sie die Schwiegertochter mit allem versorgt, was sie zum Überleben brauchte.

Am wichtigsten war Meg jedoch, dass die Großeltern Gracie regelrecht vergötterten. Derek war ihr einziges Kind gewesen, der Mittelpunkt ihrer Welt. Sie hatten schrecklich unter seinem Tod gelitten und betrachteten ihre Enkelin als ein Geschenk, für das sich das Weiterleben mehr als lohnte.

Meg parkte ihren Wagen in der winzigen Lücke am Bordstein, schaltete den Motor aus und griff nach ihrer Handtasche.

„Mommy!“, rief Gracie aufgeregt und eilte an den Metallzaun, der das Grundstück der Gilberts umgab. Sie trug ein schillerndes rosafarbenes Abendkleid, das auf ihre Größe gekürzt worden war, und eine schräg sitzende Krone aus Aluminiumfolie. Verkleiden war derzeit eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen.

„Hallo, Kleines!“ Meg kletterte aus dem Wagen, und ihr Herz schlug schneller vor Freude beim Anblick ihrer Tochter. Gracie war ein bildhübsches Kind. Sie hatte Dereks dichte blonde Locken, seine ausdrucksvollen blauen Augen und seine zarte Haut geerbt. Als Mutter war sie es gewöhnt, dass Fremde stehen blieben und Komplimente über ihre Tochter machten.

Doch nicht nur mit ihrer Schönheit erstaunte Gracie die Menschen, auch mit ihrer Persönlichkeit und ihrer Intelligenz. Als Dreijährige drückte sie sich hervorragend aus und ging furchtlos auf Fremde zu. „Sie ist sehr begabt“, erklärten die Leute.

So stolz Meg darauf war, sie spürte auch die Last der Verantwortung. Wie erzog man ein begabtes Kind? Welche Freizeitaktivitäten sollte es unternehmen? Welchen Sport, welches Musikinstrument lernen? Welche TV-Shows durfte es sehen und welche nicht? Tat sie das Richtige für Gracie? Tat sie genug?

Vera fand ihre Besorgnis höchstens amüsant. „Meine Güte, sie ist noch ein Kind“, erklärte sie. „Lass sie einfach spielen.“

Meg öffnete das Tor und hob Gracie hoch. „Hallo, Liebling. Du hast mir so gefehlt“, sagte sie und küsste die rosigen Wangen ihrer Tochter. „Was hast du heute gemacht?“

„Prinzessin gespielt.“ Gracie legte die Arme um Megs Nacken und schlang die Beine um ihre Hüften. Das Kleid rutschte nach oben und gab den Blick auf ihre buntbemalten Schuhe an den bloßen Füßen frei. „Ich gehe heute Abend zum Ball.“

„Wirklich? Und wo findet dieser Ball statt?“

„Im Schloss. Ich werde mit dem Prinzen tanzen.“ Gracie hatte in letzter Zeit viele Disney-Filme gesehen. Waren es zu viele gewesen?

Meg hielt ihre Tochter fester, was nicht ganz einfach war bei dem weiten Kleid, und eilte den Pfad hinauf. „Und wie willst du dort hinkommen?“

„Mit dem fliegenden Teppich.“

„Aha. Ich dachte, du würdest die Kürbis-Kutsche nehmen.“

„Nein“, antwortete Gracie traurig. „Die Kürbis-Kutsche hat eine Panne.“

„Wie schade. Was ist passiert?“

„Der Vergaser ist kaputt.“

Um Megs Lippen zuckte es. „Wie bei Großvaters Wagen letzte Woche?“

Gracie nickte feierlich.

„Nun, zum Glück hast du ja deinen fliegenden Teppich. Hör mal, meinst du, dass ich mitkommen könnte?“

Gracies betrübte Miene verflog sofort. „Natürlich“, antwortete sie ernsthaft. „Aber dafür brauchst du ein schönes Kleid.“

„Das habe ich. Werde ich auch den Prinzen treffen?“

„Hm.“ Gracie nickte, und ihre blonden Locken wippten auf und ab. Die Krone rutschte bedenklich zur Seite. „Aber du darfst kein Kaugummi kauen.“

„Nein?“ Meg unterdrückte mühsam ihr Lachen.

„Und auch nicht in der Nase bohren.“

Diesmal lachten sie beide.

Vera sah von dem Blumenbeet auf, das sie gerade in Ordnung brachte. Sie war eine untersetzte Frau mit runden rosa Wangen, einer Stupsnase und rötlich blondem, dauergewelltem Haar. „Was ist so lustig?“, fragte sie verwundert.

„Ach nichts“, antwortete Meg und ärgerte sich, dass ihre Schwiegermutter immer an allem Anteil nehmen wollte. „Ist Post für mich gekommen?“

„Ja, sie liegt auf dem Küchentisch.“

Meg stellte Gracie wieder auf die Füße. „Ist etwas von der Vorschule dabei?“

Autor

Shannon Waverly
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