Komm zurück, Katherine

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Katherine kann der Versuchung einfach nicht widerstehen: Nur einmal will sie ihr stürmisches Begehren, den athletisch gebauten Calvin zu lieben, ausleben. Es werden wundervolle Stunden, von denen Katherine noch lange träumen wird. Eine Wiederholung soll es nicht geben - viel zu gefährlich ist es, sich emotional zu sehr zu binden! Katherine hält eine Beziehung zwischen ihnen für ausgeschlossen, denn Calvin ist erheblich jünger als sie …


  • Erscheinungstag 19.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757113
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Strahlende Sonne – glückliche Braut.“

Calvin Doyle, kurz „Bugs“ genannt, von der Fallschirm-Sondereinheit 4, starrte aus dem Fenster im zweiten Stock. Die Sonne hatte sich heute noch nicht gezeigt. Es regnete und regnete. Allmählich war er das unaufhörliche Trommeln auf das Dach leid.

Mit einem Mal, völlig ohne Vorwarnung, fühlte er sich niedergeschlagen. Zwar hatte er sich bereits seit Wochen, wenn nicht sogar seit Monaten irgendwie entmutigt gefühlt. Das war jedoch nichts im Vergleich zu der Traurigkeit, die ihn jetzt überkam.

Ihm war nach Weinen zumute. Und wenn es ihm möglich wäre, von hier wegzukommen, säße er in dieser Minute in irgendeiner verrufenen Kneipe, wo er ungestört einen kippen und in dem klagenden Text eines guten alten Songs schwelgen könnte. Und wenn er genug angesäuselt wäre, dann würde er ganz sicher mitmachen, würde sich heiser singen, um seinem betrübten Herz Erleichterung zu verschaffen.

Dass die Hochzeit stattfinden würde hatte er ja erwartet. Eigentlich war sie regelrecht überfällig gewesen. Die andauernden Bedenken der Braut und der ständige Aufenthalt des Bräutigams in irgendwelchen Rehakliniken hatten die Trauung hinausgezögert. Doyle war in die Hochzeitspläne nicht eingeweiht worden. Das machte ihm jedoch nicht so sehr zu schaffen wie seine eigene Unklarheit, ob er für Rita Warren noch immer etwas empfand oder nicht.

Wahrscheinlich empfand er doch immer noch etwas für sie. Sonst hätte er sich nicht so sehr darum bemüht, bei der Zeremonie in der Kirche dabei zu sein. Er musste für sie noch immer etwas empfinden, sonst hätte er keinen so großen Wert darauf gelegt, nichts Dummes anzustellen. Und vor allem hätte er ihr nicht so aufrichtig gewünscht, dass sie glücklich werden sollte. Denn das wünschte er ihr ganz ehrlich. Er hatte Rita in allen Lebenslagen erlebt – und zumeist in keinen sehr erfreulichen. Wenn jemand ein wenig Sonnenschein verdient hatte, dann war sie es.

Doyle lächelte verhalten.

Rita, Rita, dachte er, und schüttelte den Kopf. Keine ist wie du, Mädchen.

Zumindest hatte er es geschafft, ihr zum Abschied einen sittsamen Kuss auf die Wange zu drücken … unter dem wachsamen Blick des ihm vorgesetzten Offiziers, der – wie es sich nun mal so traf – ihr frisch angetrauter Ehemann war.

Lieutenant McGraw war ein ausgemachter Lump, der nur Glückstreffer zog. Er hatte einen Absturz mit dem Black Hawk überlebt, und er hatte Doyles Mädchen bekommen. Calvin „Bugs“ Doyle, der einzige andere Überlebende desselben Helikopterabsturzes, musste sich dagegen damit abfinden, schlicht und einfach der „Freund“ der Braut zu bleiben.

Er atmete tief durch. Reiß dich zusammen, Doyle!

Es gab absolut keinen Grund, sich deswegen so niedergeschlagen zu fühlen. Rita hatte ihn niemals hintergangen. Sie war ihm gegenüber immer offen gewesen, auch dann, als sie verlassen und ohne einen Cent vorübergehend zu ihm gezogen war. Sie hatte mit ihm zusammengelebt – zu ihren Bedingungen. Und sie war ihm für seine Hilfe dankbar gewesen. Sie hatte ihn jedoch nicht geliebt. Nicht so, wie er es sich gewünscht hatte.

Doyle schloss die Augen und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie schön Rita heute ausgesehen hatte. Er wollte auch nicht an ihre Flitterwochen denken. Er war so müde, und seine Beine fingen wieder an zu schmerzen. Wenn er nicht bald aufstand und herumging, würde er es bereuen. Er hatte geglaubt, dass die Schmerzen nachlassen würden, sobald man ihm den Gipsverband abgenommen hatte. Falsch. Ohne Gipsverband mussten die Muskeln härter arbeiten. Und das bedeutete: noch größere Schmerzen.

Der Wind drehte sich, und der Regen klatschte gegen die Scheiben.

„Strahlende Sonne – glückliche Braut“, murmelte er.

Die Braut war auch ohne Sonne glücklich gewesen. Die Eltern des Bräutigams hatten dem Brautpaar zwar nicht gerade ihren Segen gegeben. Die Familie hatte es vorgezogen, der Trauung fernzubleiben. Ritas kleine Tochter, Olivia, war dabei gewesen. Olivia hatte es großen Spaß gemacht, herausgeputzt zu werden, Küsschen zu werfen und Rosenblüten zu streuen. Rita hatte sonst niemanden, dem sie nahe stand – bis auf den treuen und braven „Bugs“ Doyle. Auch er hätte wegbleiben können. Doch er hatte dabei sein wollen.

Allein ihretwegen.

Ein höllischer Schmerz durchzuckte sein Bein, und Doyle zog es ruckartig an. Der Gehstock rutschte vom Stuhl und fiel zu Boden. Doyle stieß eine Verwünschung aus und versuchte vergeblich, ihn aufzuheben. Dann starrte er wieder aus dem Fenster, atmete tief ein und aus, damit der Schmerz ihn nicht übermannte.

Doch der Schmerz wich nicht. Doyle musste aufstehen und umhergehen – und das sofort. Immerhin, er konnte seine Beine wieder bewegen! Das durfte er nicht vergessen. Denn bei dem Grad seiner Verletzungen und dem Auf und Ab seiner sich dahinziehenden Genesung waren die Chancen, wieder laufen zu können, nicht allzu groß gewesen. Er machte Fortschritte, wenn auch langsam. Sein einziger Trost war, dass Lieutenant McGraw es geschafft hatte. Und auch er – „Bugs“ Doyle – würde es schaffen.

Er konnte den Stock nicht sehen, und schon gar nicht vom Stuhl aus an ihn herankommen. Er müsste aufstehen, sich auf den Boden runterlassen und sich dann schließlich wieder aufrichten. Das Tagespensum mit den Kniebeugen hatte er bereits hinter sich. Er könnte von Glück sagen, wenn er dieses kleine Vorhaben bei Sonnenuntergang erfolgreich beendet hatte.

Allein sich vom Stuhl zu erheben würde ihn reichlich Anstrengung kosten. Den Gedanken, seine Vermieterin um Hilfe zu rufen, gab er schnell wieder auf. Natürlich würde die kleine alte Mrs. Bee ihm sofort zur Hilfe eilen. Nur war sie wahrscheinlich mit dem Hinknien nicht viel besser dran als er.

Liebe alte Mrs. Bee … Kate Meehan, eine der Krankenschwestern im Krankenhaus, hatte es für ihn geregelt, dass er in das oben gelegene Apartment in Mrs. Bees Haus ziehen konnte, nachdem die Ärzte ihn zum ambulanten Patienten erklärt hatten. Er hätte sonst nicht gewusst, wo er abbleiben sollte.

Er hatte den Wohnwagen aufgegeben, in dem er eine kurze Zeit mit Rita gehaust hatte. Das war gewesen, noch bevor er und der Lieutenant mit dem Black Hawk Bruch gemacht hatten. Und der Sinn stand ihm wirklich nicht danach, sich mit einem Haufen anderer Soldaten eine Unterkunft zu teilen. Er würde den Jungs nur leidtun, ob sie es nun zugaben oder nicht.

Vom Apartment war es nicht weit zum Krankenhaus, und die Miete war für einen einfachen Soldaten mit geringem Sold erschwinglich. Kate Meehan hatte ihn ganz direkt gewarnt, dass Mrs. Bees Haus rauch- und alkoholfrei sei und dass sie für ihn nur bürgen würde, wenn er ihr versprach, sich zu benehmen.

Als ob er in der Lage wäre, etwas zu tun, was dem entgegenstand. Die Zeiten, wo er nackt mit einer Rose zwischen den Zähnen tanzte, waren vorbei. Seine Hände konnte er wieder gebrauchen, doch ihm waren immer noch Grenzen gesetzt.

Was sein alter Drill-Sergeant immer gesagt hatte, stimmte nicht ganz: Wo ein Wille ist, da ist nicht immer ein Weg. Manchmal war er versucht, einen Höllenaufstand zu machen, aber dann beruhigte er sich wieder und entspannte sich mit Essen, Schlafen und dem Zupfen seiner Gitarre – was ihn große Mühe kostete.

Sich benehmen? Kein Problem.

Und so hatte er in dem großen viktorianischen Haus von Mrs. Bee im zweiten Stock eine Kombination aus Wohnraum, Essraum, Kochnische und einem auf der Rückseite gelegenen Schlafzimmer bezogen. Keine Zigaretten. Kein Whiskey. Keine willigen Frauen. Keine wilden Partys. Ach ja, es wäre wirklich schön, wenn er das Fluchen aufgäbe.

Er hatte seinen eigenen Eingang über die Hintertreppe, er durfte aber jederzeit durch die Vordertür kommen. Ein einziges Mal hatte er den Fehler gemacht, den Vordereingang zu nehmen, als Mrs. Bee und die Damen von der Kirchengemeinde ihr wöchentliches Treffen bei ihr hatten. Noch nie in seinem ganzen Leben war er so vielen Glucken ausgeliefert gewesen. Sie stürzten sich regelrecht auf ihn. Nichts ahnend, ganz in Gedanken versunken ging er die Treppe rauf, und im nächsten Moment fand er sich von den Frauen umringt in Mrs. Bees Wohnzimmer wieder, saß in einem Ohrensessel mit hoch gelegten Füßen und aß Schokoladenkuchen, salzige Erdnüsse, Gewürzgürkchen und trank irgendein Gemisch aus Kirsche, Cola und Ananas dazu. Es war urkomisch gewesen.

Es waren ganz liebe alte Damen – bis auf eine, die glaubte, dass jeder, der beim Militär war, zu irgendeinem Ausschuss gehörte. Und sobald Mrs. Bee das Zimmer verließ, hielt sie damit auch nicht hinterm Berg.

Doch gleichgültig, ob er den vorderen oder hinteren Eingang nahm, er musste sich jeden Tag aufs Neue die Treppen hinauf- und hinunterquälen, was ihm allerdings die Anerkennung seiner verschiedenen Chirurgen einbrachte. Alle hatten sie ihm genau das verschrieben. Die harte Anforderung, die Mrs. Bees Haus an seine Beine stellte, fand Doyle in Ordnung. Er fand es auch okay, dass er sich gut benehmen musste, da er es ja versprochen hatte. Er musste vernünftig sein, wenn er wieder ganz gesund werden wollte.

Zuerst musste er aber den verdammten Stock aufheben.

Doyle schaffte es, gleich beim ersten Versuch auf die Beine zu kommen.

„Nicht schlecht“, lobte er sich selbst. Er musste sich dabei nur auf das Ziel konzentrieren und die Anstrengung und Schmerzen, die von ihm bis dahin abverlangt werden würden, unbeachtet lassen.

Und jetzt, wo er aufrecht stand, konnte er in den Garten vom Haus nebenan sehen. Kate Meehans Haus.

Manchmal konnte er auch Kate Meehan sehen, meistens wenn sie sich morgens auf den Weg zur Arbeit machte. Manchmal frühstückte sie auf der Terrasse – seit Kurzem mit irgend so einem Kerl. War wohl ein neuer Freund, einer von der Chefetage. Er kam immer mit Kaffee und einer weißen Tüte an, aus der er kleine runde Milchbrötchen herausholte. Dann redete er eine Weile auf Rita Meehan ein, brachte sie zum Lachen und verschwand wieder.

Manchmal, an ihren freien Tagen, machte sie sich draußen zu schaffen, pflanzte Blumen in Tontöpfe und auf Seitenbeete, hing Weidekörbchen mit Hängeblumen auf, wässerte und düngte sie. Offensichtlich liebte sie Gewächse. Und Glockenspiele. Nachts konnte Doyle das Geklingel hören, wenn er die Klimaanlage ausschaltete und die Fenster öffnete.

Gelegentlich saß Meehan in einem Liegestuhl und las. Sie hatte hübsche Beine, das musste Doyle ihr lassen. Und das war für ihn Grund genug, ihr Kommen und Gehen zu verfolgen. Sie winkte ihm immer zu, wenn sie ihn am Fenster entdeckte. Sonst hielt sie sich zurück. Soweit er es mitbekam, kontrollierte sie auch nicht, ob er mit seinem Benehmen womöglich die alte Mrs. Bee aufregte. Offensichtlich verließ sie sich darauf, dass er zu seinem Wort stand.

Seit einigen Tagen hatte er Meehan nicht allzu oft gesehen. Es überraschte Doyle ein wenig, dass sie nicht zu Ritas Hochzeit gekommen war. Er wusste, dass sie eingeladen worden war, und er wusste auch, dass sie Rita und Lieutenant McGraw mochte. Meehan gehörte sogar zu den wenigen Leuten, die ganz offen die Warren-McGraw-Liebesromanze bejaht hatte. Ganz im Gegensatz zu ihm. Schließlich hatte jedoch auch er sich damit abgefunden. Auch wenn es noch immer ganz schön schmerzte.

Doyle verlagerte sein Gewicht, um einen besseren Blick aus dem Fenster zu haben. Meehan und ihr Freund waren gerade aus dem Haus getreten. Sie ging mit gekreuzten Armen bis zur Einfahrt. Dort stand sie, während der Freund rastlos auf und ab lief – und redete. Hin und wieder machte er mit beiden Händen eine verständnislose Geste.

Offensichtlich wollte Meehan nichts von ihm, weil es nicht so aussah, als ob sie ihm antwortete. Sie schaute ihn nicht mal an. Sie stand nur da, während der Regen auf sie herabströmte.

Der Freund hörte nicht auf zu reden und fuchtelte nach Doyles Geschmack ein wenig zu viel mit den Armen.

Drohte er etwa?

Nein. Meehan schien jedenfalls nicht von ihm eingeschüchtert zu sein. Sie schien aber auch nicht die Meehan zu sein, die Doyle kannte.

Doyle hatte viele Monate lang als Patient auf ihrer Station gelegen. Meehan war nicht auf den Mund gefallen. Sie konnte knallhart sein. Hart genug, um sich nichts gefallen zu lassen und es dem anderen zurückzugeben, wenn die Situation es verlangte. Doch im Augenblick sah es ganz danach aus, als ob sie dem Kerl zumindest eine schlagfertige Antwort schuldig blieb.

Der Freund sagte noch etwas, dann drehte er sich um und marschierte zu seinem Wagen.

Meehan starrte ihm nach, versuchte jedoch nicht, ihn zurückzuhalten. Er knallte die Tür zu und fuhr davon, beschleunigte für die Wetterverhältnisse zu doll das Tempo, sodass Matsch und Kies auf dem ganzen Weg bis zur Straße nach allen Seiten spritzte.

Meehan blieb noch eine Weile stehen. Doyle dachte, sie würde ins Haus gehen. Falsch gedacht. Trotz des Regens setzte sie sich auf die Steinbank gleich bei der Einfahrt.

Weinte sie?

Nein, sie weinte nicht.

Nun, zum Teufel, vielleicht war sie …

Doyle humpelte vom Fenster weg. Wie auch immer, es war vorbei. Der Freund war abgeschwirrt, und Meehans augenblickliche Seelenlage sollte ihm gleichgültig sein. Er hatte genug eigene Probleme.

Doyle hielt sich an den Möbeln fest, während er dahin steuerte, wo der Gehstock liegen musste. Der Stock war doch nicht ganz auf den Boden gefallen, wie Doyle angenommen hatte, sondern hatte sich im Querstab des Stuhls verfangen. Es gelang ihm, ihn ohne große Mühe herauszuholen.

Trotzdem war er völlig außer Atem. Er stützte sich schwer auf den Stock und freute sich, dass das ganze Manöver ohne zu starke Schmerzen abgelaufen war. Ihm kam wieder das Drama im Garten von nebenan in den Sinn, und er humpelte zum Fenster zurück. Meehan saß noch genau da, wo er sie zuletzt gesehen hatte.

„Verdammt, Meehan“, murmelte er, „wie lange willst du da noch sitzen?“

Am liebsten hätte er gegen die Fensterscheibe geklopft, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und ihr dann zugerufen, sie solle sich endlich vor dem Regen schützen.

Doch Doyle klopfte nicht, und er rief ihr auch nichts zu. Er humpelte zum Sessel, um sich zu setzen. Er hatte genug von der traurigen Frau da unten, und er hatte auch Rita satt. Und er fühlte sich zu angeknackst, um sich als edler Ritter zu betätigen. Dieser Tag war bereits schwer genug gewesen, und es war noch nicht mal dunkel.

Doyle seufzte und schaute auf die Uhr. Es war die gewohnte Zeit für Mrs. Bees Sonntagsritual. Was auch immer geschehen mochte, am Sonntagnachmittag gab es Eistee und Kuchen.

Außerdem hatte er die Übung nötig. Er würde sich nach unten begeben, und bis er es bis zur Diele geschafft hatte, würde Meehan längst wieder im Haus sein. Dann brauchte er sich nicht mehr zu beunruhigen und konnte stattdessen mit Mrs. Bee in der Küche gemütlich bei Tee und Kuchen sitzen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er unten war. Vor Anstrengung fingen seine Beine an zu zittern. Er musste stehen bleiben und tief Atem holen. Er konnte Mrs. Bee allerdings nirgendwo entdecken. Die Vordertür stand sperrangelweit auf, nur die Fliegentür war zugehakt. Also war Mrs. Bee nicht draußen auf der Veranda.

Er konnte den Regen hören, wie er auf die Steinstufen prasselte. Mrs. Bee stellte in ihrem Teil des Hauses niemals die Klimaanlage an, und es war heiß in der Diele. Nur ein altertümlicher Ventilator aus Messing und Holz eierte an der Decke. Es war zu stickig, um viel zu nützen.

Doyle blieb in der Küchentür stehen, dann humpelte er zum Fenster. Er zog seinen linken Fuß nach. Kein gutes Zeichen. Er war viel angestrengter, als er angenommen hatte. Endlich stand er vor dem Fenster und schob die Gardine zur Seite, um hinaussehen zu können.

„Ist Katie immer noch draußen?“, fragte Mrs. Bee plötzlich hinter ihm.

„Ja“, antwortete Doyle und war froh, dass er nicht zusammengezuckt war, als die kleine alte Dame sich so von hinten an ihn heranschlich.

„Es geht Sie eigentlich nichts an, wenn Katie draußen im Regen sitzen will“, tadelte Mrs. Bee und guckte an seinem Ellbogen vorbei in Richtung Steinbank.

„Sie haben recht“, stimmte Doyle ihr ohne Zögern zu. Genau das war auch seine Meinung.

„Aber …“

Doyle konnte es regelrecht spüren, dass Mrs. Bee ihn ansah, doch er zog es vor zu schweigen.

„Calvin?“, sagte Mrs. Bee nach einem kurzen Schweigen.

„Auf keinen Fall, Mrs. Bee“, wehrte Doyle ab, um ihr zuvorzukommen.

„Jemand müsste sich wirklich um sie kümmern.“

„Sie meinen nicht irgendjemand, Mrs. Bee, Sie meinen mich.“

„Ja, Calvin, ich meine Sie. Ich kann es nicht tun. Es würde aussehen, als ob ich mich einmischen wollte. Wenn Sie es tun, dann sieht es aus, als ob Sie es nicht besser wüssten.“

Doyle warf ihr einen skeptischen Blick zu.

„Das wird es wirklich“, beharrte sie. „Männern sind diese Dinge fremd – vor allem Soldaten. Meehan kennt Sie, Calvin. Sie mag Sie. Sie wird nicht beleidigt sein, wenn Sie zu ihr gehen.“

Da war Doyle sich gar nicht so sicher. Er hatte es nicht nur ein Mal erlebt, wo Meehan beleidigt war, und er legte keinen Wert darauf, das wieder zu erleben.

„Mrs. Bee …“

„Es ist so … beunruhigend“, unterbrach sie ihn. „Katie sitzt da draußen im strömenden Regen. Gerade letzten Winter hatte sie eine Lungenentzündung.“

„Wir haben Juli, Mrs. Bee. Meehan bekommt keine Lungenentzündung.“

„Vielleicht“, meinte Mrs. Bee. „Vielleicht aber auch nicht. Könnten Sie nicht zu ihr gehen und sie ins Haus scheuchen? Es ist sogar möglich, dass sie sowieso gleich aufsteht und reingeht, wenn sie Sie kommen sieht. Dann könnten Sie ja gleich wieder umkehren. Den Versuch wäre es doch wert, meinen Sie nicht auch?“

Nein, Doyle meinte das nicht auch. Seine Beine schmerzten. Er war müde. Und er war hungrig auf ein Stück Torte.

Er warf einen weiteren Blick aus dem Fenster. Es regnete immer noch in Strömen, und Meehan saß immer noch auf der Steinbank. Er holte Luft und sah Mrs. Bee an. Sie wirkte so zerbrechlich, und ihr Blick drückte nur einen Wunsch aus: Bitte!

„Okay“, murmelte er. „Ich gehe und scheuche sie ins Haus. Sie wird es allerdings nicht schätzen. Ich werde dafür bitter bezahlen müssen. Aber ich gehe.“

„Ich hole Ihnen den Regenschirm“, bot Mrs. Bee an und huschte davon.

Doyle warf wieder einen Blick hinaus. Er hoffte, dass Meehan inzwischen weg wäre. War sie aber nicht.

Mrs. Bee kam mit einem bunten Regenschirm zurück. Doyle nahm ihn und humpelte zur Hintertür.

„Sie sind ein guter Junge, Calvin“, rief sie ihm hinterher, als er in den Regen hinaustrat.

Doyle öffnete den Regenschirm. Er konnte es förmlich spüren, wie Mrs. Bee ihm nachblickte, als er den Garten durchquerte.

Auf dem nassen, glitschigen Gartenweg stolperte er mehr, als dass er ging, aber er hatte keine Wahl, wenn er das Ganze schnell hinter sich bringen wollte. Wenn er erst Mrs. Bees Einfahrt bis zum Bürgersteig hinuntergehumpelt wäre, dann den Heckenzaun umrundet hätte, um zu Meehans Einfahrt zu kommen, wo sie immer noch auf der Steinbank saß, hätte es viel länger gedauert.

Was zum Teufel war mit Meehan los, dass sie so dasaß, obwohl sie völlig durchnässt war.

Nun gut, er würde es schnell genug erfahren. Er konnte sie durch die Hecken sehen. Sie schien völlig in Gedanken versunken zu sein. Natürlich hätte er sie rufen können, aber das wollte er nicht. Er mühte sich einfach weiter, zog bei jedem Schritt den Stock aus dem Schlamm.

Meehan bemerkte ihn erst, als er neben ihr stand und den Regenschirm über sie hielt. Ist ’ne gute Sache, dieser Regenschirm, dachte er. Das gab diesem Rettungsunternehmen – so unklug es auch sein mochte – einen weniger dramatischen Anstrich.

Meehan schaute hoch. Sie sagte nichts. Er auch nicht. Sie heulte nicht. Immerhin eine Erleichterung.

Doyle blieb stehen, auch wenn es ihn Mühe kostete, und hielt den Regenschirm über sie beide – in Meehans Fall vollkommen überflüssig. Sie war bis auf die Haut durchnässt.

„Also“, begann er freundlich, „was ist los?“

Meehan seufzte schwer. „Bugs, was tun Sie hier?“

„Ich halte den Regenschirm“, antwortete er gelassen.

„Was wollen Sie?“

„Was ich will? Okay, lassen Sie mich kurz nachdenken. Ein kaltes Bier, das als Erstes. Und ich möchte, dass mich jemand zu irgendeinem lauten, verräucherten, möglichst anrüchigen Lokal fährt, wo ich das Bier bekommen kann. Vielleicht mit einem großen dicken Steak dazu und einem Haufen frisch gerösteter Zwiebeln als Beigabe. Da dies ein frommer Wunsch ist, bleibe ich hier so lange stehen, bis ich Sie ins Haus zurückscheuchen kann.“

„Ich möchte nicht gescheucht werden“, versicherte Meehan ihm. „Und kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!“

„Oh, das tu ich auch. Ich habe ja versucht, mich rauszuhalten, glauben Sie mir. Ich kam aber damit nicht durch. Hören Sie, Ihr feines Benehmen stört mich ganz entschieden, und das hat seinen Grund. Mir klingt nämlich Ihre Mahnung immer noch im Ohr, mich ja zu benehmen, um Mrs. Bee nicht aufzuregen. Sollte das nur eine einseitige Sache sein?“

„Wovon reden Sie da?“

„Von Mrs. Bee! Sie macht sich große Sorgen um Sie, weil Sie hier im strömenden Regen sitzen.“

„Sie braucht sich keine Sorgen zu machen.“

„Tja, mag sein, aber Sie kennen sie doch. Ich gebe es nur ungern zu, doch ich fühlte mich selbst ein wenig beunruhigt. Das sieht Ihnen so gar nicht ähnlich.“

„Was haben Sie beide getan? Etwa am Fenster gestanden und spioniert?“

„So ungefähr“, gab Doyle zu. Sein Standpunkt war schon immer gewesen, dass es in den meisten Fällen leichter sei, einfach die Wahrheit zu sagen … nur nicht gerade, wenn es einen der übereifrigen Offiziere betraf. Eine Lüge durchzuziehen kostete Energie, und eine Lüge konnte nur allzu leicht widerlegt werden.

Doyle musterte Meehan. Sie wirkte geknickt, und er war froh, dass sie nicht heulte. Er wusste nie, wie er sich verhalten sollte, wenn Frauen weinten – vor allem starke Frauen. Frauen wie Rita. Oder Santos von der Fallschirm-Sondereinheit 4.

Santos war eine verdammt gute Soldatin, nur heulte sie immer, wenn sie vom Helikopter springen sollte. Doyle wusste nicht, warum sie heulte, und er war sich nicht sicher, ob sie es selbst wusste. Sie weinte so, als ob sie nicht weinte. Und keinem war klar, was das sollte. Ganz sicher waren die Ausbilder nicht gerade begeistert davon. Aber Santos stellte sich wie jedermann brav in die Reihe, und wenn sie dran war zu springen, dann sprang sie aus der offenen Helikoptertür. Genau so, wie sie es sollte. Ihr Heulen verunsicherte leider nur so sehr.

Doyle sah Meehan prüfend an, ob sie nicht vielleicht doch Tränen in den Augen hatte. Sie ertappte ihn dabei und wollte etwas sagen, hielt sich aber zurück. Sie blickte von ihm weg, zur Einfahrt hin, dann hinauf zur Straße, in die Richtung also, in die ihr Kerl verschwunden war.

Doyle wartete.

Und wartete.

Der Regen prasselte auf den Schirm. Ein Wagen fuhr vorbei, das Dröhnen der Bässe hämmerte aus dem Autoradio. Irgendjemand warf irgendwo irgendwas Schweres aus Metall in einen Abfalleimer.

„Also, wie ist’s? Hat man Ihnen den Abschied gegeben?“, fragte Doyle schließlich und weckte damit Meehans volle Aufmerksamkeit.

Sie starrte ihn lange an, ehe sie „Ja“ antwortete.

„Na ja. Der Tag heute ist für so was wie geschaffen.“

Er lehnte den Gehstock gegen die Steinbank, um die Hand an seinen Oberschenkel zu pressen. Beide Beine fingen inzwischen ziemlich an zu schmerzen. Er nahm den Stock und versuchte, sein Gewicht zu verlagern. Es half kein bisschen. Als er Meehan wieder ansah, blickte sie nicht mehr böse drein. Ihm fiel auf, dass sie viel hübscher wirkte, wenn sie die Brauen nicht so zusammenzog.

„Waren Sie bei der Trauung dabei?“, fragte sie.

„Ja, ich war dabei“, antwortete Doyle knapp.

„Ich nehme an, die Gäste haben sich alle fein gemacht.“

„Oh ja.“

„Sie auch?“

„Vor allem ich. So toll wie ich aussah, war es ein Wunder, dass die Trauung überhaupt vorgenommen wurde.“

Meehan lächelte dünn.

„Wie war es?“, fragte sie so zartfühlend, dass es um seine gespielte Tapferkeit fast geschehen wäre.

„Es war …“ Er atmete tief durch. „Es war entsetzlich.“

„Armer Bugs“, murmelte sie.

Er grinste. „Zumindest sitze ich deswegen nicht im Regen.“

Zu seiner Überraschung lachte Meehan. Sie hatte ein nettes Lachen. Sie sollte öfter lachen.

„Ein Mal im Jahr erlaube ich mir eine Dummheit“, sagte sie nach einem kurzen Schweigen.

„Und das war die diesjährige?“

„Ja, das war sie.“ Sie lächelte wieder, aber nur ein wenig, und wollte aufstehen. Doyle versuchte, sich zur Seite zu bewegen. Der Schmerz in seinen Beinen wurde so unerträglich, dass er sich unwillkürlich krümmte.

„Was ist los?“, fragte Meehan und wich dem Regenschirm aus, der plötzlich zu dicht über ihrem Kopf hing.

„Es schmerzt“, war alles, was Doyle hervorbringen konnte.

„Kein Wunder. Sie hätten nicht bei dem Regen rausgehen dürfen.“

„Na klar, und wer hat … die Schuld daran?“

„Ist schon gut, ist schon gut. Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie. Meehan hatte mit arg mitgenommenen Soldaten genug zu tun gehabt, um zu wissen, dass Hilfe nicht immer willkommen war.

„Nein.“

„Wie lange ist es her, dass Sie etwas gegen Schmerzen genommen haben?“

„Etwa drei … Wochen“, stieß Doyle zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Sie nehmen die Mittel nicht, die Ihnen die Ärzte verordnet haben?“

„Mit denen werde ich … so schläfrig. Und Sie kennen … mich. Ich denke dann, ich … könnte etwas verpassen.“

„Wie lange ist es her, dass Sie etwas gegessen haben?“

„Ich habe Schmerzen … keinen Hunger“, entgegnete er heftig, was nicht so ganz der Wahrheit entsprach.

Er hatte ja vorgehabt, etwas zu essen. Er war ganz dicht an Mrs. Bees Torte mit der Ananas-Kokosnuss-Creme und dem Zuckerguss herangekommen. Dann hatte die alte Dame ihn drangekriegt, sich auf den Weg hierher zu machen. Und zu den Schmerzen in den Beinen kam nun auch noch der Ärger über Meehan hinzu.

„Sie sind erschöpft. Sie haben heute zu viel getan. Wahrscheinlich haben Sie vor lauter Selbstmitleid nichts gegessen.“

„Stimmt nicht! Ich habe gegessen!“, protestierte er.

Doyle wollte so schnell wie möglich von hier weg. Leider gelang ihm das nicht so recht.

„Okay“, sagte Meehan. „Lassen wir’s genug sein. Sie zittern ja. Bleiben Sie einen Moment stehen. Dann machen wir uns auf den Weg zu mir.“

„Nein … danke“, brachte Doyle hervor.

„Sie hätten eine Schmerztablette nehmen sollen – vor allem heute.“

„Ich nehme sie nicht, Meehan, es sei denn, ich muss. Nur bei besonderen Anlässen … und wenn es … wirklich schlimm schmerzt.“

„Und wie bezeichnen Sie dies hier?“

„Ein unbedeutender Rückfall … hervorgerufen von einer Person … die sich nicht zu … benehmen weiß.“

„Sehr komisch. Gehen wir.“

„Ich werde gleich … wieder okay sein. In einer Minute.“

„Sie kommen zu mir. Es ist näher, als wenn Sie den Weg zurückzulegen versuchen. Sie fallen nur auf die Nase. Ihre Muskeln sind verkrampft. Sie hätten nicht so lange stehen dürfen.“

„Ja, ich hätte es nicht … zulassen dürfen. Oh, verdammt!“

„Hören Sie auf zu fluchen. Sie ruhen sich eine Weile aus, und dann können Sie wieder zu sich rübergehen und Mrs. Bee alles berichten.“

Autor

Cheryl Reavis
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