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Adoptionsagentin Claire ist empört! Der attraktive Milliardär Matt Patterson will sein elternloses Patenkind Bella nicht mit nach Hause nehmen – es sei denn, sie selbst begleitet ihn als Nanny. Ein unerfüllbarer Wunsch … oder stimmt ein Blick in seine grünen Augen sie doch noch um?


  • Erscheinungstag 04.03.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521703
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Keine noch so imposant vertäfelte Tür auf irgendeiner Vorstandsetage hatte Matt Patterson jemals so viel Respekt eingejagt wie diese gewöhnliche braune Bürotür vor ihm.

„Dysart-Adoptionsagentur“.

Die Brust wurde ihm eng, und sein Mund war trocken.

Da er sich jedoch niemals vor einer Verantwortung drückte, öffnete er die Tür und ging hinein.

Holzvertäfelte Wände, ein verlassener Schreibtisch und der Duft nach Babypuder empfingen ihn. Dann hörte er das glucksende Lachen eines Babys. Das freudige Jauchzen des hohen Stimmchens drang über den Flur.

Die Chancen standen eins zu zehn, dass es sich um Matts Baby handelte.

Mein Baby.

Das würde seinem Liebesleben einen gehörigen Dämpfer verpassen. Genau wie seinen Reisen. Und seine Haushälterin würde einen Anfall kriegen, wenn auch noch ein Kinderzimmer und eine Nanny zu dem ohnehin schon großen Haushalt hinzukamen.

Matt folgte dem Babylachen bis zu einem Büro am Ende des Flurs. Eine schlanke Frau, die mit dem Rücken zu ihm stand, hielt ein Baby auf dem Arm. Das schimmernde rotbraune Haar hatte sie zu einem eleganten Knoten aufgesteckt, das eng anliegende rote Kleid betonte ihre Rundungen.

Mit erhobenen Augenbrauen meinte Matt: „Irgendwie hatte ich mir die Frauen in einer Adoptionsagentur als grauhaarige alte Jungfern in biederen weißen Rüschenblusen vorgestellt.“

Das Baby hörte auf zu lachen, und die Frau am Fenster drehte sich schnell um.

Zum ersten Mal, seit Matt denken konnte, war er sprachlos.

Große braune Augen beherrschten ihr Gesicht. Sie hatte hohe Wangenknochen, eine gerade Nase und volle, üppige Lippen. „Kann ich Ihnen helfen?“

Interessiert betrat er den Raum. Sie war genau die Art Frau, mit der er gerne ausging, die er verführte, um sie dann mit einem Diamantarmband zum Abschied wieder loszuwerden. In diesem Augenblick wimmerte das Kind auf ihrem Arm. Bella, die sechs Monate alte Tochter von Ginny und Oswald. Und von nun an seine Verantwortung, weil er Pate für das Kind seiner Exfrau war.

Traurigkeit überfiel Matt. Vor einer Woche hatte Ginny ihn noch angerufen, um ihn zum Essen einzuladen, sobald er wieder in Boston war. Jetzt waren sie und Oswald tot. Nie wieder würde er Ginnys hübsches Lächeln sehen oder Oswalds herzliches Lachen hören.

Bella krähte erfreut. Die Frau schaute auf das Baby, ehe sie erstaunt Matt ansah. „Ich bin Claire Kincaid, Bellas Sachbearbeiterin. Sind Sie Matt Patterson?“

Die Hände in den Hosentaschen seines Maßanzugs vergraben, kam er auf sie zu. „Ja.“

„Na, so was. In den letzten vier Tagen hat Bella auf kaum jemanden reagiert. Sie weint nicht mal. Sie isst und schläft und lacht, wenn ich mit ihr spiele. Aber Sie sind der Erste, mit dem sie spricht.“

„Für mich hörte sich das eher wie ein Quäken an“, entgegnete er.

Claire lachte. „So sprechen Babys eben.“

Ihre schönen braunen Augen funkelten belustigt. Sein Puls beschleunigte sich. Sie war einfach hinreißend.

„Bella kennt mich ein bisschen“, erklärte er.

„Weil Sie ein Freund ihrer Eltern sind?“

„Ja.“ Vorsichtig trat er noch einen Schritt näher. Die kleine Bella mit ihrem dunklen Haarschopf und den großen blauen Augen streckte die Ärmchen nach ihm aus.

Verblüfft fuhr Matt zurück.

Claires Lächeln schwand. „Sie möchte zu Ihnen.“

„Ja, und ich werde mich auch um sie kümmern.“ Er atmete tief durch. „Aber ich kann sie nicht halten.“

„Wie bitte?“

Hilflos hob er die Hände. „Ich weiß nicht, wie.“

„Das ist ganz einfach.“

Beim Klang von Claires melodischer, angenehmer Stimme überlief ihn ein warmes Prickeln. Doch als sie ihm das kleine Mädchen hinhielt, wich Matt erneut zurück.

„Das ist Ihr Kind“, versetzte sie leicht gereizt.

„Und ich werde mich um sie kümmern. Nächste Woche.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das geht auch nicht. Da muss ich zu einem Familientreffen nach Texas.“

„Es ist mir egal, ob Sie der König der Welt sind und irgendwo Hof halten müssen“, meinte Claire unbeeindruckt. „Bella gehört jetzt zu Ihnen. Außerdem gibt es keinen Grund, Angst zu haben. Sie ist so ein süßes Kind. Für sie zu sorgen, wird ein Klacks, glauben Sie mir.“ Sie hielt ihm das Baby hin, und wieder streckte Bella die Ärmchen nach ihm aus.

„Ich …“ Seit vier Tagen wusste Matt nun, dass seine Exfrau gestorben war und er Bellas Vormund sein würde. Er wollte die Kleine gerne nehmen. Aber sie war Ginnys und Oswalds Kind. Ein Baby, das es verdient hatte, geliebt und verwöhnt zu werden. Matt dagegen hatte schon seit einer Ewigkeit niemanden mehr geliebt oder verwöhnt. Deshalb hatte er Ginny auch verloren. Er war einfach nicht der Typ dafür.

„Ich kann sie jetzt wirklich noch nicht mitnehmen. Ich war drei Wochen in London. Als ich von dem Unglück erfuhr, bin ich früher nach Hause gekommen. Mein gesamtes Personal hat allerdings noch frei, ich wollte ja sechs Wochen lang unterwegs sein. Meine Leute befinden sich in einem dringend benötigten Urlaub. Selbst wenn ich sie zurückrufen würde, wäre frühestens am Freitag jemand da“, verteidigte er sich. „Außerdem habe ich nicht die geringste Ahnung von Babypflege.“

„Haben Sie keine Neffen und Nichten?“

„Nein. Selbst wenn, ich bin kein Familienmensch, wissen Sie“, gab er zurück.

Entrüstet funkelte Claire ihn an. Liebevoll rieb sie über Bellas Rücken, um sie zu beruhigen. „Sie haben sich bereit erklärt, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, obwohl Sie keine Ahnung davon haben?“

„Ich habe mich bereit erklärt, Pate zu sein. Mir war nicht klar, dass ich dann auch der Vormund des Babys bin, falls den Eltern etwas zustößt“, antwortete Matt. „Ich hielt das eher für eine Art Ehrentitel.“

Claires Züge wurden sanfter. „Offenbar haben Ihre Freunde die Sache ernst gemeint, denn Sie sind in ihrem Testament als Bellas Vormund eingesetzt.“

„Schon. Leider haben sie versäumt, mir das zu sagen, und ich bin einfach noch nicht bereit dafür.“

„Trotzdem müssen Sie sie mitnehmen.“

Ungläubigkeit und Zorn über diese Ungerechtigkeit stiegen in Matt auf. Ginny war tot, Bella seine Verantwortung. Was für eine verfahrene, geradezu absurde Situation. Für so etwas eignete er sich überhaupt nicht. Er konnte Bella nicht mal halten, geschweige denn eine Windel wechseln. Und er war der Letzte, dem die Rolle zufallen sollte, der Kleinen die Liebe zu geben, die sie verdiente.

Da Bella zu jammern anfing, rieb Claire tröstend ihre Wange an der des Babys.

Auf einmal hatte Matt die rettende Idee. „Sie können doch gut mit Kindern umgehen. Was haben Sie heute Abend vor, Ms Kincaid?“

„Claire.“ Sie zupfte den Kragen von Bellas rosa Bluse zurecht. „Ich bin schon verplant.“

Seine Augen wurden schmal. „Das heißt, Sie wollen uns nicht helfen?“

„Wir sind eine Adoptionsagentur, kein Nanny-Dienst.“ Sie ging an ihren Schreibtisch, kramte ein paar Visitenkarten hervor. „Hier sind die Adressen einiger sehr angesehener Agenturen. Dort können Sie eine hervorragende Nanny bekommen.“

Als Claire ihm die Karten gab, senkte Bella die langen schwarzen Wimpern, und ihre großen blauen Augen füllten sich mit Tränen, als wüsste sie, dass sie wieder abgeschoben werden sollte.

Tiefes Mitgefühl erfüllte Matt. Er war etwa drei Jahre alt gewesen, als ihm bewusst geworden war, dass irgendetwas zwischen ihm und seinem Dad nicht stimmte. So, als ob er und Cedric Patterson nicht zusammenpassten. Als hätte er tief in seinem Innern schon immer gewusst, dass er nicht Cedrics Sohn war und nicht wirklich zur Familie Patterson gehörte.

Auch wenn Bella noch viel kleiner war, bekam sie unbewusst sicher alles mit. Matt erkannte es an ihrem Blick. Vielleicht verstand sie nicht genau, was geschah, aber sie hatte Angst. Schließlich hatte sie ihre Eltern seit einer Woche nicht mehr gesehen. Sie war allein. Verängstigt.

Und plötzlich waren ihm Bellas Gefühle wichtiger als seine Sorge über schmutzige Windeln.

„Ich will keine Nanny. Jedenfalls jetzt noch nicht“, sagte er. „Ich möchte sie nicht schon wieder einer Fremden überlassen.“

Im Augenblick war Claire Kincaid der einzige Mensch auf der Welt, der Bella nicht fremd war.

Matt sah sie an. „Ich zahle Ihnen jeden Preis, wenn Sie während der kommenden Woche bei mir wohnen.“

Claire wusste, es ging hier nur um Nanny-Dienste. Dennoch wurde ihr plötzlich heiß, und ihr Herz machte einen Satz. Matt Patterson war einfach unglaublich attraktiv und mit seinen eins fünfundachtzig so groß, dass sie sogar trotz ihrer hohen Absätze zu ihm aufschauen musste.

Er hatte kurz geschnittenes hellbraunes Haar, sehr professionell und geschäftsmäßig. In seinen grünen Augen lag ein belustigtes Funkeln, wenn er lächelte, und eine frostige Kälte, wenn er seinen Willen nicht durchsetzen konnte. Immer wirkte sein Blick prüfend, als ob alles, was Claire sagte, von größter Bedeutung wäre. Sobald er sie ansah, durchzuckte sie jedes Mal ein elektrisierendes Prickeln, sodass sie sich geradezu magisch zu ihm hingezogen fühlte.

Seit Jahren hatte sie kein Mann mehr interessiert. Und ausgerechnet dieser Kerl löste eine solche Reaktion bei ihr aus? Ein Mann, der das ihm anvertraute Baby vier Tage lang bei einer Adoptionsagentur ließ und es auch jetzt anscheinend nicht mitnehmen wollte? Das war doch völlig verrückt.

„Tut mir leid, Mr Patterson. Wie ich schon sagte, wir haben eine Adoptionsagentur, keinen Nanny-Service“, beschied sie ihn kühl.

Er machte einen Schritt auf sie zu. Sofort beschleunigte sich ihr Pulsschlag heftig. „Aber Sie können sehr gut mit ihr umgehen.“

Claire trat zurück. „Ich liebe Kinder eben.“

„Nein, das allein ist es nicht.“ Nachdenklich musterte er sie. „Ich vermute, Sie sind in diese Agentur gekommen, weil Sie früher einmal als Nanny gearbeitet haben.“ Sein Blick wurde noch eindringlicher. „Wahrscheinlich während Ihrer College-Zeit, die wohl noch nicht allzu lange her ist.“

Matt stand jetzt so dicht vor ihr, dass sie ihn hätte berühren können. Sämtliche Nervenenden ihres Körpers schienen plötzlich zu vibrieren.

Diese verflixten Hormone. Wieso mussten sie sich ausgerechnet jetzt melden? Claire wich noch einen Schritt zurück. „Die ersten drei Jahre meines Studiums habe ich mir tatsächlich als Nanny finanziert, Mr Patterson. Das ist kein Geheimnis.“

Er lächelte, und seine grünen Augen blitzten belustigt. „Wie schade. Eine hübsche Frau wie Sie sollte ein Geheimnis haben. Das macht Sie rätselhaft und interessant.“

Sie spürte, wie sie rot wurde. Ein sinnlicher Schauer überlief sie. Matt Patterson war einfach umwerfend. Und charmant. Doch als sie sich das letzte Mal auf einen charmanten Mann eingelassen hatte, hatte sie mit einem gebrochenen Herzen dafür bezahlt. Das war vor fünf Jahren gewesen. Seitdem hielt sie sich von Männern fern.

„Die Dysart-Adoptionsagentur wurde durch den Anwalt von Bellas Eltern engagiert, um das Baby bis zu Ihrer Rückkehr zu betreuen“, erklärte Claire. „Sie sind da, damit ist unser Auftrag beendet.“

Matt schloss kurz die Augen. „Na schön.“

Fest entschlossen, den resignierten Ton in seiner Stimme zu ignorieren, fragte sie: „Haben Sie einen Kindersitz im Wagen?“

„Mein Fahrer hat einen besorgt und eingebaut.“

Mit Bella auf dem Arm bückte Claire sich nach der Windeltasche neben ihrem Schreibtisch. „Sehr gut.“ Sie gab ihm die Tasche. „Das sind die Dinge, die Bella für die vier Tage gebraucht hat, als sie bei mir war. Ich nehme an, in ihrem Elternhaus sind noch mehr Sachen.“

„Was denn?“

„Ein Kinderbettchen, ein Hochstuhl, eine Babyschaukel. Alles, was sie zum täglichen Leben benötigt.“ Zielstrebig ging Claire aus dem Zimmer und den Flur entlang, in der Erwartung, dass Matt ihr folgte. „Ich komme mit zu Ihrem Wagen und helfe Ihnen, Bella anzuschnallen.“

Wortlos öffnete er ihr die Bürotür und schwieg auch im Aufzug. Als Claire in der engen Kabine seine Schulter streifte, spürte sie erneut dieses elektrisierende Prickeln.

Möglichst unauffällig blickte sie zu Matt hinüber. Sie war schon häufiger attraktiven Männern begegnet, so etwas hatte sie allerdings noch nie erlebt. Irgendetwas an Matt Patterson zog sie unwiderstehlich an, was allerdings nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien. Zwar hatte er ein bisschen mit ihr geflirtet, aber nur, weil er ihre Hilfe brauchte.

Zum Glück war er gleich weg, dann brauchte sie nicht mehr zu befürchten, sie könnte etwas Dummes sagen oder tun.

Seit ihrem großen Fehler an der Universität, als sie sich in einen ihrer Professoren verliebt hatte, hatte Claire sich kaum noch mit Männern verabredet. Es war eine heimliche Affäre gewesen, die wunderbar angefangen hatte, aber in dem Moment endete, als er sie bei der Abschlussfeier seiner Frau vorstellte. Was für eine Demütigung.

Eigentlich hätte Claire die Anzeichen erkennen müssen, dass er verheiratet war. Er entzog sie ihren Freundinnen, wollte sich immer nur in ihrer Wohnung mit ihr treffen, und sie gingen nie miteinander aus. Doch durch die Einsamkeit nach dem Tod ihres Vaters war sie verletzlich und bedürftig gewesen und hatte es deshalb nicht gemerkt.

In den vergangenen fünf Jahren hatte sie ihre Gefühle immer unter Kontrolle gehalten. Sie war fest entschlossen, sich nie wieder so schnell und so intensiv auf einen Mann einzulassen. Das vergaß sie besser nicht. Auch wenn ihr verräterisches Herz in Matts Gegenwart gar nicht mehr aufhörte, zu hüpfen.

Nachdem sie den Lift verlassen hatten, durchquerten sie die Eingangshalle des Gebäudes. Matt drückte die Drehtür auf und ließ Claire vorangehen in diesen kühlen Nachmittag Ende September. Er folgte ihr auf die belebte Bostoner Geschäftsstraße und blieb neben einer schwarzen Luxuslimousine stehen, die dort parkte. Ein Mann in Uniform eilte herbei, um ihnen die Tür zu öffnen.

Staunend entdeckte Claire im Innern des Wagens eine Bar, einen Fernseher und auf der anderen Seite eine halbkreisförmige weiße Ledersitzbank. Darauf befand sich ein Kindersitz.

Schnell reichte sie Bella an Matt weiter, damit er nicht protestieren konnte. „Ich steige ein, dann können Sie mir Bella geben, und ich schnalle sie an.“

Als die Kleine sicher in ihrem Sitz saß und Claire sich aufrichtete, schaute sie in das niedliche Babygesicht: blaue Augen, Stupsnäschen, ein süßer kleiner Mund.

Ihr Herz zog sich zusammen. Vier Tage lang hatte sie dieses Baby rund um die Uhr bei sich gehabt. Sie hatte sich um das kleine Mädchen gekümmert, mit ihm gespielt, es zum Lachen gebracht, um es von seinem Verlust abzulenken. Claire war mit der Kleinen auf und ab gegangen, wenn sie aus Verzweiflung geschrien hatte, weil sie ihre Mom und ihren Dad vermisste. In der ersten Nacht hatte Bella so schrecklich geweint, dass Claire mitweinen musste. Ein Baby konnte den Tod nicht begreifen. Die Kleine wusste nur, dass sie sich nach den tröstlichen Armen ihrer Mom sehnte.

Claire musste schlucken. Dieses arme kleine Mädchen würde seine Mutter nie wiedersehen. Genau wie Claire ihre Mutter, die viel zu früh gestorben war.

Wie kann ich dieses süße Baby einfach einem Mann überlassen, der keine Ahnung hat, wie er mit ihm umgehen soll? Nein, das brachte sie nicht übers Herz.

Sie stieg aus und sah Matt Patterson an. „Haben Sie eine Visitenkarte mit Ihrer Adresse?“

Seine Augen wurden schmal. „Beabsichtigen Sie, mir einen Überprüfungsbesuch abzustatten?“

„Ich will nur das Büro abschließen. Dann treffen wir uns bei Ihnen zu Hause“, erwiderte Claire.

Er lächelte. Seine faszinierenden grünen Augen leuchteten auf. „Sie werden mir also doch helfen?“

„Ja, heute Abend“, sagte sie. „Damit Sie sich an die Kleine gewöhnen. Danach sind Sie auf sich allein gestellt.“

2. KAPITEL

Bella schlief während der ganzen Fahrt. Doch als Jimmy, Matts Fahrer, die Limousine anhielt, um den Öffner des großen schwarzen schmiedeeisernen Tors zu betätigen, das zu Matts Anwesen führte, wachte die Kleine auf. Verschlafen schaute sie um sich, verzog den kleinen Mund und zog das Näschen kraus. Dann stieß sie ein solches Geschrei aus, dass es Matt durch Mark und Bein ging.

Begleitet von Bellas durchdringendem Brüllen, fuhr Jimmy den braunen Ziegelweg hinauf. Das Laub der Bäume, die die kreisförmige Auffahrt säumten, fing gerade an sich zu verfärben. Rote, orange und gelbe Farbtupfer zeigten sich bis zu dem imposanten, aus Stein gemauerten Herrenhaus.

„Schsch“, meinte Matt beunruhigt. „Bitte nicht weinen.“

Aber Bella schrie weiter.

Als Jimmy die hintere Wagentür aufmachte, zuckte er leicht zusammen. „Ziemlich kräftige Lungen.“

„Allerdings“, bestätigte Matt. „Sie wissen nicht zufällig, wie man sie beruhigen könnte?“

Sofort wich Jimmy zurück. „Nein, Sir. Ich bin überzeugter Junggeselle.“ Er zupfte an seiner Fliege. „Glücklicher Single. Ich eigne mich nicht als Daddy.“

„Keine Neffen oder Nichten?“, fragte Matt.

„Doch, mehrere. Aber ich gebe mich erst mit ihnen ab, wenn sie alt genug sind, um allein auf die Toilette zu gehen und in die Casinos von Atlantic City reinzukommen“, gab Jimmy augenzwinkernd zurück.

Matt seufzte. „Hervorragender Plan.“

Bellas Geschrei wurde lauter, und er musste seine Stimme erheben. „Wie kriegen wir sie jetzt ins Haus?“

Erneut fuhr Jimmy zurück. „Sorry, das gehört nicht zu meinem Job. Ich schau mal nach, ob in der Garage alles in Ordnung ist.“ Rasch eilte er davon.

Finster blickte Matt ihm nach, ehe er sich wieder dem Baby zuwandte. „Und was jetzt? Willst du was essen? Eine Flasche?“ Er selbst hätte gut einen Scotch gebrauchen können.

Ein kalter Windstoß wehte durch die offene Tür herein, ein paar Tropfen trafen das Wagendach, und dann prasselte der Regen herunter.

Hastig schlug Matt die Tür zu, während Bella weiter laut weinte.

Plötzlich erschien Jimmy an der Fahrertür. „Wir fahren in die Garage!“

„Gute Idee!“

Bellas Geschrei und das Trommeln des Regens auf dem Wagendach verursachten einen Höllenlärm. Matt sah Bella an. „Komm schon, Kleine. Du hast mich doch vorhin im Büro erkannt.“ Er zeigte auf sich. „Ich bin Mommys Freund.“

Doch ihr Schreien verstärkte sich nur, sodass es von den Mauern der Garage widerhallte. Matt schaute in ihr Gesichtchen. Die blauen Augen traurig und voller Tränen, das Näschen gerötet, ihre Lippen zitterten.

Er konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen. Er musste irgendetwas tun.

Da Jimmy verschwand, kaum hatte er den Wagen geparkt, versuchte Matt, die Gurte des Kindersitzes zu lösen, was ihm auch recht schnell gelang. Als er alle geöffnet hatte, kippte Bella nach vorn, ihm direkt die Arme. Im nächsten Moment drückte sie das nasse Gesichtchen an den Kragen seines Seidenanzugs.

Matt stöhnte.

Bella klammerte sich an ihm fest. Sie benutzte seinen Kragen wie eine Strickleiter, krabbelte daran hoch und schmiegte ihr Köpfchen an seinen Hals.

Eine Mischung aus Angst und Trauer stieg in ihm hoch. Er wusste nicht, was er mit diesem kleinen Mädchen anfangen sollte.

Gleichzeitig empfand Matt auch tiefes Mitgefühl für Bella. Sie war allein, verloren. Er kannte dieses Gefühl. Am Morgen nach ihrem großen Streit hätte Cedric vielleicht die Forderung zurückgenommen, dass Matt das Haus der Pattersons verlassen sollte. Aber da waren schon zu viele harte Worte gefallen. Bis zu dem Tag hatte Matt geglaubt, Cedric wäre sein Vater. Doch bei diesem furchtbaren Streit hatte Cedric das Familiengeheimnis gelüftet.

Matt und seine Zwillingsschwester waren nicht Cedrics Kinder. Seine Mutter war schon einmal verheiratet gewesen. Sie hatte ihren ersten Mann verlassen, ohne zu wissen, dass sie schwanger war. Cedric hatte sie bei sich aufgenommen und ihre Kinder wie seine eigenen aufgezogen.

Das erklärte, weshalb Matt immer eine gewisse Distanz zwischen sich und Cedric gespürt hatte. Ein quälendes Gefühl, unerwünscht zu sein, keinen Platz zu haben. Kein echtes Zuhause.

Ob Bella sich auch unerwünscht fühlte?

Reumütig presste er die Lippen zusammen und schloss sekundenlang die Augen. Dann hob er Bella hoch, damit sie einander ansehen konnten.

„Was dir in den letzten Tagen zugestoßen ist, tut mir furchtbar leid.“ Erneut schloss er die Augen, weil die Trauer über den Verlust von Ginny und Oswald ihn überflutete. „Sehr, sehr leid. Ich werde deine Mom auch vermissen. Aber jetzt gehörst du zu mir.“

Das Beste, was Matt für dieses kleine Mädchen tun konnte, war, eine großartige Nanny für es zu finden, oder ein ganzes Team von Nannys, oder die beste Nanny auf der Welt. Jedenfalls würde er seiner Verantwortung nachkommen und ganz sicher nicht kampflos aufgeben.

Mit Bella im Arm stieg er aus der Limousine und ging zur Tür, die ins Haus führte. Nun, da er sich entschieden hatte, überlegte er, was Bellas Weinen eigentlich ausgelöst hatte. Irgendwas stimmte nicht mit ihr, und er musste die Sache in Ordnung bringen.

Nur wusste er leider nicht, wie. Sie fühlte sich weder feucht an, noch roch sie unangenehm. Also keine neue Windel. Matt fragte sie, ob sie Hunger hatte, und nuckelte an einem imaginären Fläschchen. Doch sie weinte nur noch mehr. Dann probierte er es mit Tanzen. Als er ein paar Walzerdrehungen machte, hörte sie erstaunt auf zu weinen. Sobald er jedoch innehielt, fing sie wieder an.

Also tanzte er weiter. Rund um die Eingangshalle, danach zu seinem Arbeitszimmer, wo er die Windeltasche deponierte, sein Jackett ablegte und die Ärmel aufrollte. Dabei tanzte Matt die ganze Zeit mit dem Baby auf dem Arm um das Sofa herum.

Sie tanzten durch die leere Küche, den Flur, um den Tisch im Esszimmer und über die Veranda.

Verzweifelt wartete er auf die Frau aus der Adoptionsagentur. Auf Claire. Wo zum Teufel blieb sie nur so lange?

In diesem Augenblick ertönte der Summer am Einfahrtstor. Matt stürzte zur Sprechanlage und drückte auf den Knopf. „Claire?“

„Ja, ich bin’s.“

Beim Klang ihrer melodischen Stimme hatte er sofort ihr hübsches Gesicht und ihre verführerischen Kurven vor Augen. Normalerweise würde er nicht zögern, zu versuchen, sie ins Bett zu kriegen. Aber da er sie dringend für Bella brauchte, kam das nicht infrage. Wenn sie ihm mit dem Baby half, wurde sie faktisch zu seiner Angestellten. Ein kluger Mann ließ sich nicht mit einer Frau ein, die für ihn arbeitete. Schon gar nicht, wenn er unbedingt auf ihre Hilfe angewiesen war.

„Ich mache das Tor auf.“ Er betätigte zwei weitere Knöpfe, und Bella patschte ihm auf die Wangen, als wollte sie seine Aufmerksamkeit auf sich lenken. „Was, du willst noch mehr tanzen?“

Fröhlich krähte sie.

Ein seltsames Gefühl durchzuckte Matt, das er nicht beschreiben konnte. Eine Sehnsucht, die gegen eine schroffe Wand prallte.

Ein Kind aufzuziehen, nein, das war nicht sein Ding. Schließlich galt er als der Iceman der Wall Street. Unnachgiebig, eisern. Das Einzige, was er kannte, war Härte. Eiskalte Wahrheit. Er hatte absolut nichts Sanftes an sich.

Autor

Susan Meier
Susan Meier wuchs als eines von 11 Kindern auf einer kleinen Farm in Pennsylvania auf. Sie genoss es, sich in der Natur aufzuhalten, im Gras zu liegen, in die Wolken zu starren und sich ihren Tagträumen hinzugeben. Dort wurde ihrer Meinung nach auch ihre Liebe zu Geschichten und zum Schreiben...
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