Lass mich nie wieder allein!

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Fassungslos starrt Marisa ihren totgeglaubten Ex-Geliebten Nikos an, der mitten in ihre Verlobungsfeier platzt! Hat sie eine Geistererscheinung? Dann umfängt sie tiefe Ohnmacht. Aber als sie wieder zu sich kommt, kniet der griechische Tycoon neben ihr und fleht sie an, ihm zuzuhören. Er musste untertauchen, um einer kriminellen Bande zu entkommen. Soll Marisa ihm glückselig um den Hals fallen? Ihre Verlobung mit dem anderen lösen? Oder darf sie sich nie wieder so verletzlich zeigen? Denn schließlich gibt es etwas in ihrem Leben, für das sie stark sein muss …


  • Erscheinungstag 22.02.2022
  • Bandnummer 2532
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509503
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nikos Manolas saß in seinem Auto im Schatten der Orangenbäume, die die ruhige Vorstadtstraße von Valencia säumten, den Ellbogen gegen das Fenster gelehnt und die Faust unter das Kinn gestemmt. Auf der anderen Straßenseite verlief ein imposant hoher Zaun über die gesamte Länge des Bürgersteigs und noch darüber hinaus. Mehrere Warnschilder hielten Eindringlinge auf Abstand.

Nikos’ starrer Blick ruhte auf dem zehn Meter entfernten Tor, dem einzigen Zugang auf das Grundstück hinter dem Zaun. Wahrscheinlich sollte er einfach weiterfahren, bevor er die Aufmerksamkeit der bewaffneten Wachen auf sich zog.

Schließlich hatte er bloß ein letztes Mal hier sein wollen. Jetzt war es Zeit zu gehen.

Er schaltete den Motor an und legte den Gang ein. Doch bevor er wenden konnte, öffnete sich das Tor.

Schnell stellte er den Schalthebel zurück in die Parkposition.

Ein gepanzerter Mercedes bahnte sich langsam seinen Weg auf die Straße. Nikos hielt den Atem an, als die Limousine an ihm vorbeirauschte. Getönte Scheiben machten es unmöglich, den Fahrer zu erkennen.

Im Rückspiegel beobachtete Nikos, wie der Mercedes am Ende der Straße nach rechts abbog. Dann verspürte er einen Adrenalinstoß, trat aufs Gaspedal und riss das Lenkrad seines Porsches herum.

Zum Glück war gerade nicht viel los auf der Straße, trotzdem achtete er darauf, dass drei Autos zwischen ihm und dem Mercedes blieben. Je weiter sie in die Stadt fuhren, desto dichter wurde der Verkehr.

Vor über anderthalb Jahren war Nikos zum letzten Mal im Herzen Valencias gewesen. Ein Großteil der Architektur wirkte mittelalterlich, die Straßen und Gassen schmal, aber auch moderne Bauten hatten hier ihren Platz. Als er am majestätischen Opernhaus Palau de les Arts Reina Sofia mit dem geschwungenen Dach vorbeifuhr, blinzelte er die Erinnerungen an den Abend weg, an dem er dort mit Marisa Tristan und Isolde gesehen hatte.

In den letzten anderthalb Jahren hatte Nikos das Leben eines Einsiedlers in der Wildnis Alaskas geführt. Er hatte in einer Blockhütte gewohnt, die nur mit einem kleinen Flugzeug erreichbar war.

Die Anpassung an die Gesellschaft erwies sich als schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte. Eigentlich hatte er mit einem Knall in die Zivilisation zurückkehren und sich wieder in sein Partyleben stürzen wollen, aber in den vergangenen zwei Wochen – seit dem Ende seines selbst auferlegten Exils – hatte er das Rampenlicht gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Wahrscheinlich war er schon zu sehr an die Isolation gewöhnt.

Als der Mercedes blinkte, um in einen riesigen Einkaufskomplex einzubiegen, verspürte Nikos einen Stich in der Brust. Hier machte Marisa gern Besorgungen …

Während die automatischen Sensoren sein Nummernschild scannten und er mit seiner Bankkarte ins Parkhaus eincheckte, verlor er den anderen Wagen aus den Augen.

Vielleicht besser so, dachte er und verzog das Gesicht. Es war ein seltsamer Anflug von Sentimentalität gewesen, der ihn überhaupt zum Lopez-Anwesen geführt hatte. Wieso sollte er seine frühere Geliebte in einer Tiefgarage beschatten? Es war höchste Zeit, seinem ursprünglichen Plan zu folgen, zum Flughafen zu fahren und sein altes Leben wieder aufzunehmen. Sein Flugzeug war aufgetankt, die Crew stand bereit, und Nikos wollte sich nicht länger vor der Welt verstecken.

Als er den Ausfahrtsschildern folgte, erblickte er den panzerartigen Mercedes plötzlich wieder, und zwar in der Reihe von Parkplätzen, die für Eltern und Kinder reserviert waren.

Er trat auf die Bremse, und das Auto hinter ihm hupte protestierend.

Warum zum Teufel sollte Marisa dort parken?

Sein Puls ging schneller, und er sah sich hektisch nach einer freien Lücke um. Durch die Windschutzscheibe hatte er freie Sicht, doch was er da beobachtete, ließ sein Blut gefrieren. Marisa, deren lockiges goldrotes Haar ihr weich um die Schultern fiel, hob ein kleines Kind vom Rücksitz des Wagens.

Das Hämmern in Nikos’ Schädel wurde von Sekunde zu Sekunde lauter.

Vorsichtig setzte sie das Kleine in einen Buggy, schnallte es an, griff dann wieder ins Auto und holte eine große Tasche heraus.

Die Aufzüge zum Einkaufszentrum befanden sich direkt gegenüber von Nikos’ Parkplatz. Regungslos blieb er sitzen, während seine ehemalige Geliebte sich in Bewegung setzte – zusammen mit dem Kind, von dessen Existenz er absolut keine Ahnung gehabt hatte.

Marisa Lopez verzog das Gesicht, als sie ihr Spiegelbild sah. Sollte sie ihr Haar offen lassen oder lieber hochstecken?

Offen, entschied sie und trug etwas Concealer auf. Ihre hellgoldene Haut war im Augenblick sehr bleich und die Ringe unter ihren Augen so dunkel, dass Marisa wie eine Leiche wirkte. Ihr schwarzes Kleid verstärkte diesen Effekt noch, und ihre Schwester Elsa lachte überrascht, als sie ins Ankleidezimmer kam. „Das nennt man wohl Beerdigungs-Chic“, scherzte sie.

„Mag sein“, murmelte Marisa und fand insgeheim, dass dieser Look zumindest ihr rotes Haar gut in Szene setzte.

Elsa stand hinter ihr. Sie schlang die Arme um Marisas Taille, ergriff ihre Hände und legte ihr Kinn auf die Schulter ihrer Schwester. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Der Kontrast zwischen ihnen war nie stärker gewesen. Elsa strahlte vor Gesundheit und Glück, doch sie schien auch leicht besorgt. „Alles in Ordnung? Du siehst gar nicht gut aus.“

Langsam öffnete Marisa den Mund. Sie wollte ihrer Schwester versichern, dass alles bestens war, aber die Lüge wollte ihr nicht über die Lippen kommen.

„Ich kann das nicht.“ Die Worte klangen erstickt.

Eine senkrechte Falte erschien auf Elsas Stirn.

„Ich kann Raul nicht heiraten“, flüsterte Marisa und drückte bekräftigend die Hand ihrer Schwester, als die Wahrheit ihrer Gefühle plötzlich – nachdem sie ihre Gefühle so lange verdrängt hatte – ans Licht kam. Mit stärkerer Stimme wiederholte sie: „Ich kann Raul nicht heiraten.“ Da. Sie hatte es gesagt. Hatte es endlich zugegeben und laut ausgesprochen!

„Du hattest recht“, fuhr sie fort. Ihre Wirbelsäule richtete sich wie durch Zauberhand auf. „Ich muss immer wieder daran denken, was du neulich gesagt hast. Dass du ihm nicht über den Weg traust. Und damit liegst du richtig. Er hat mich belogen. Raul will Niki kein Vater sein, ihn interessiert nur das Geschäft.“

Marisas Beziehung zu Raul hatte einen sehr praktischen Hintergrund. Nachdem ein kriminelles Kartell die Reederei ihrer Familie ins Visier genommen hatte, um ihre Drogen um die Welt zu schmuggeln, war das Chaos ausgebrochen. Die Weigerung ihrer Eltern, den Forderungen nachzukommen, hatte zur Ermordung ihres Vaters geführt.

Nur wenige Monate zuvor war Marisas Geliebter ertrunken, und sie hatte entdeckt, dass sie schwanger war. Plötzlich hatte sie es mit einem Netzwerk brutaler Gangster zu tun, ihr Vater war tot, das internationale Familienunternehmen ging auf sie über, sie hatte ein vaterloses neugeborenes Baby zu versorgen, ihre Schwester lebte in einem anderen Land und ihre Mutter erstickte an ihrer eigenen Trauer.

In ihrer Verzweiflung hatte Marisa sich auf eine arrangierte Ehe mit Raul Torres eingelassen, einem Mann, den sie flüchtig kannte und der ein ähnliches Geschäft wie Lopez Shipping leitete.

Sie hatte ihm ganz offen gesagt, was sie wollte: einen Vater für ihren Sohn und Hilfe bei der Führung des stark vernachlässigten Familienunternehmens. Die Wahl war auf Raul gefallen, weil sie geglaubt hatte, er sei einer von den Guten. Und dass sie das Zeug zu einem guten Team hätten und er ihrem vaterlosen Sohn ein guter Stiefvater sein würde.

Ihre Hoffnung unterschied sich leider stark von der Realität.

Vor einem Monat hatte das Kartell offenbar herausgefunden, dass die Lopez mit internationalen Behörden zusammenarbeiten, und wollte daraufhin Elsa aus ihrem Haus in Österreich entführen. Santi, ein Mann, der praktisch zur Familie gehörte, hatte ihr zur Flucht in ein Versteck verholfen.

Marisa, ihr Sohn und ihre Mutter waren auf ihrem schwer bewachten Anwesen geblieben, in ständiger Angst um Elsa. Sie waren praktisch von den Gangstern belagert worden. Dann, vor zwei Wochen und nach fünfzehn Monaten der Ungewissheit, war das Kartell endgültig von verschiedenen Sicherheitsbehörden zerschlagen worden – nach großen internationalen Anstrengungen in nicht weniger als zwölf Ländern.

„Und was die letzten Monate betrifft …“, überlegte Marisa weiter. „Raul hat uns überhaupt keinen Schutz geboten. Er hat das Baby, von dem er geschworen hat, es zu lieben und zu beschützen, einfach seinem Schicksal überlassen.“

Seine immer offensichtlicher werdende Gleichgültigkeit ihrem Sohn gegenüber war unverzeihlich.

Sie ließ Elsas Hand los und rieb sich die Stirn. „Was soll ich jetzt tun?“

„Beende es!“

„Aber wie?“ Sie trat näher an den Spiegel und starrte das hässliche Kleid an, das sie sich unterbewusst ausgesucht haben musste. Ihr Bauchgefühl hatte schon vorher gesagt, dass sie Raul nicht heiraten konnte.

„Ruf ihn an! Sofort“, drängte Elsa.

Zaghaft lächelte Marisa. „Ich kann eine Stunde vor unserer Verlobungsfeier nicht einfach mit ihm Schluss machen. Das wäre, als würde man in ein Hornissennest stechen. Diese Familie braucht keine neuen Feinde.“

Raul würde vielleicht nicht gleich die Bremsen an ihrem Auto manipulieren oder ihren Hund ertränken – geschweige denn die Entführung ihrer Schwester planen –, aber Marisa hatte mittlerweile erkannt, dass er einen starken Hang zum Narzissmus hatte und ziemlich cholerisch war. Außerdem kannte er genug Geheimnisse über Lopez Shipping, um sie und die Familie zu ruinieren.

„Tja, warte nicht zu lange“, warnte Elsa.

„Das werde ich nicht“, versprach Marisa. Nun war ihr Entschluss gefasst, sie würde es so schnell wie möglich tun. Diese Gewissheit brachte ein weiteres kleines Lächeln zum Vorschein. „Obwohl, mit etwas Glück könnte dieses Kleid ihn dazu bringen, von sich aus Schluss zu machen.“

Auf Zehenspitzen schlich Marisa in das dunkle Kinderzimmer, das an ihr eigenes Schlafzimmer grenzte.

Ihr Herz schwoll an, als sie ins Bettchen spähte. Ihr kleiner Sohn, ihr Herzchen, schlief tief und fest. Lautlos küsste sie ihre Finger und legte sie dann sanft an seine seidenweiche Wange.

Wie konnte jemand dieses Kind ansehen und nicht den Drang verspüren, es zu lieben und zu beschützen? Traurig betrachtete sie das Foto auf dem Schrank neben dem Kinderbett. Es zeigte die Liebe ihres Lebens, den Vater ihres Sohnes, mit einem fröhlichen, schiefen Lächeln. Nikos.

Tot.

Heiße Tränen brannten in ihren Augen, und sie blinzelte sie hastig zurück, bevor sie dem Bild einen Luftkuss zuwarf.

Die Erinnerung an ihn lebte mit jedem Schlag ihres Herzens schmerzhaft in ihr weiter. Nur indem sie ihren Kummer meistens verdrängte, bis die Dunkelheit hereinbrach und sie allein war, hatte sie gelernt, die Tage zu überstehen. Der Schmerz über diesen unbeschreiblichen Verlust schien nie weniger zu werden.

Nachdem sie sich einen Moment Zeit genommen hatte, um sich zu sammeln, verließ sie das Kinderzimmer durch den Hauptflur und klopfte an die Tür gegenüber. Estrella, ihre Haushälterin, öffnete. Sie arbeitete schon für die Familie Lopez, seit Marisa acht Jahre alt war, und hatte glücklich zugestimmt, für die Nacht zu babysitten.

„Wir gehen jetzt“, verkündete Marisa und verschränkte ihre Finger ineinander. „Können Sie bitte prüfen, ob das Babyphon funktioniert?“

Marisa war nur ungern von ihrem Sohn getrennt. Seit seiner Geburt hatte sie ihn nur selten aus den Augen gelassen. Dies war das erste Mal, dass sie ihn mit jemand anderem als ihrer Mutter allein ließ, und dann gleich eine ganze Nacht!

„Es funktioniert gut.“ Estrella hielt sich das Babyphon ans Ohr. „Ich kann sogar seinen Atem hören.“

Marisa widerstand dem Impuls, ihr das Gerät aus der Hand zu reißen und selbst zu lauschen. Sie wusste, dass sie eine überfürsorgliche Mutter war, aber das half ihr auch nicht weiter.

„Sie versprechen, bei Problemen gleich anzurufen?“

„Es wird keine Probleme geben, aber ich verspreche es.“

„Ich bin spätestens um zehn Uhr morgens zurück.“

„Keine Eile, also lass dir Zeit.“ Estrella lächelte mitfühlend. „Viel Spaß beim Ausschlafen.“

Allein der Gedanke daran verursachte erneut ein flaues Gefühl in Marisas Bauch. Sie liebte die frühmorgendliche Kuschelstunde mit ihrem Baby, während der Rest des Haushalts noch schlief.

Es ist ja nur für eine Nacht, ermahnte sie sich. Morgen früh würde sie schnell nach Hause fahren, mit ihrem Sohn schmusen und genau planen, wie sie ihre Verlobung lösen könnte, ohne Raul zu kränken und Rachegefühle in ihm zu wecken.

Das Personal des exklusiven Hotels hatte den Veranstaltungsraum mit Bravour in eine glitzernde Partymeile verwandelt. Zweihundert Gäste plauderten und tanzten, ließen den Champagner in Strömen fließen und schlemmten Canapés und Krabbencocktails. Die Bar am hinteren Ende war reichlich bestückt, und niemand musste lange warten, um bedient zu werden. Ein weltberühmter DJ spielte ein Medley aus Melodien für jedes Alter und jeden Geschmack, und dem Lächeln nach zu urteilen, schienen alle Spaß zu haben.

Alle außer Marisa.

Ihr Blick fiel immer wieder auf Elsa und Santi, die buchstäblich aneinanderklebten. Vor zwei Tagen erst hatten sie sich endlich ihre Liebe gestanden. Marisa hatte seit Jahren gewusst, dass die beiden füreinander bestimmt waren, aber diese Liebe nun erblühen zu sehen, erwärmte und zerriss zugleich ihr Herz.

Sie selbst hatte auch einmal von ganzem Herzen geliebt.

Mühsam schluckte Marisa den Schmerz herunter und ließ sich von Raul quer durch den Raum führen, um ein paar andere Gäste zu begrüßen. Was sie aber extrem störte, waren die genervten Blicke von Raul, wann immer sie auf ihr Handy sah. Wie hatte sie jemals glauben können, dass er ein passender Ehemann und ein guter Vater sei? Sie musste verrückt gewesen sein.

Nein, nicht verrückt. Verzweifelt. Überfordert.

Als er anfing, sich mit seinen Golfpartnern zu unterhalten, floh Marisa zu einigen Freunden, die sie noch aus ihrer Schulzeit kannte. Doch ihre Atempause dauerte nur bis zum Ende des ersten DJ-Sets.

Raul nahm sie am Arm und führte sie zu dem erhöhten Podest. Er wollte eine Rede halten, und sie hatte keine andere Wahl, als mitzumachen. Im Vorbeigehen schnappte sie sich noch ein Glas Champagner vom Tablett eines zuvorkommenden Kellners und stieg dann die Stufen hinauf.

Die Musik verstummte, Raul griff nach dem Mikrofon und bat alle Anwesenden um ihre Aufmerksamkeit. Er hielt Marisas Hand fest in seiner, was ihr unangenehm war.

„Vielen Dank, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind trotz des Ersatztermins“, begann er. Ihre Party hätte schon zwei Wochen zuvor stattfinden sollen, aber die Zerschlagung des Kartells und die Gefahr, in die Marisa und ihre Familie geraten waren, hatten sie gezwungen, die Feier zu verschieben. „Die Entscheidung lag ja nicht bei uns, wie Sie wissen, und es war eine schwierige Zeit für mich und meine zukünftige Frau. Daher bedanke ich mich für Ihre Unterstützung und Ihr Verständnis.“

Marisa erstickte fast an ihrem Champagner. Zum Glück war Raul zu beschäftigt damit, sich im Applaus zu sonnen, um es zu bemerken. Eine schwierige Zeit für ihn? In Wahrheit hatte sich der Feigling versteckt, bis alles vorbei war!

„Ich bitte Sie alle, ein Glas auf meine Verlobte zu erheben. Auf Marisa!“

Doch die Menge verstummte mitten im Toast, abgelenkt durch etwas, das am Eingang vor sich ging.

Marisa folgte den Blicken mit Erstaunen. In der Doppeltür stand eine große, einsame Gestalt und starrte sie direkt an.

Ihr Herz raste plötzlich, und eiskalte Schauer liefen über ihren Rücken. Das musste eine Halluzination sein! Sie blinzelte und versuchte, zu Atem zu kommen, während ihre Beine heftig zitterten und sie damit aus dem Gleichgewicht brachten.

Es konnte nicht sein.

Der Raum begann sich zu drehen. Etwas klirrte, und eine Sekunde später realisierte sie, dass ihr das Champagnerglas aus der Hand gerutscht war. Dann wurde die Welt schwarz.

Nikos durchbrach die fassungslose Stille, um zum Podest zu gelangen, auf dem dieser Idiot Raul über der liegenden Marisa stand und absolut nichts tat.

Ohne zu zögern, prüfte Nikos ihren Puls und vergewisserte sich, dass es ihr körperlich gut ging. Dann hob er sie auf seine Arme und trug sie quer durch die noch immer erstarrte Menge. „Sie braucht Luft.“

Ihre großen braunen Augen öffneten sich. Sie fixierte ihn, die Augen wurden noch größer, dann blinzelte sie und stieß einen wimmernden Laut aus. Kraftlos drückte sie einen Arm gegen seine breite Brust, aber er ignorierte ihren Versuch, sich zu befreien.

Eine Kellnerin des Hotels eilte zu ihnen. „Soll ich einen Arzt rufen, Sir?“

„Nicht nötig. Sie wurde ohnmächtig, nur ein Schock, nichts Ernstes. Könnten Sie für mich den Fahrstuhlknopf drücken?“

„Natürlich.“

Der Lift war sofort da, und die Türen öffneten sich.

„Oberstes Stockwerk“, sagte er. Marisa hatte längst aufgehört, sich gegen ihn zu wehren, und hielt die Augen wieder geschlossen.

Dabei hatte er sie doch gar nicht erschrecken wollen und auch keinen großen Auftritt geplant.

Nachdem man ihm am Morgen die Geburtsurkunde seines Sohnes übergeben hatte, war Nikos in eine Art Planungsmodus verfallen. Tot zu bleiben, das war keine Option mehr. Und Marisas Verlobungsfeier durfte nicht stattfinden.

Er war sofort nach Valencia aufgebrochen und hatte von unterwegs das Hotel angerufen, in dem die Feier stattfinden sollte, um das Penthouse zu reservieren. Wieso hatte sich das angeblich so glückliche Paar eigentlich nicht dort eingemietet? Wie glücklich waren sie überhaupt?

Er hatte seine Recherchen über Marisas Verlobten während des Rückflugs nach Valencia begonnen und ein paar Telefonate mit gemeinsamen Bekannten geführt, denen er versprechen musste, seine Rückkehr von den Toten zu einem späteren Zeitpunkt genauestens zu erklären.

Ihm war zugetragen worden, dass Rauls beste Eigenschaft sein immenser Reichtum war. Charakterlich hatte er wenig zu bieten. Ein Freund bezeichnete ihn sogar als durchtriebene Schlange.

Oben im Penthouse legte er Marisa vorsichtig auf das Sofa und trat einen Schritt zurück, um sie zum ersten Mal seit anderthalb Jahren in Ruhe zu betrachten.

Warum trug sie dieses wenig schmeichelhafte Kleid zu ihrer eigenen Verlobungsfeier? Die Marisa, die er kannte, begeisterte sich über alle Maßen für Mode. Und warum trug sie kein Make-up wie früher? Er hatte ihr immer versichert, dass sie keine Schminke brauchte, aber sie hatte lachend mit dem Concealer ihre süßen Sommersprossen überschminkt. Jetzt waren all ihre Sommersprossen zu sehen, wenn auch etwas schwach. Sein Herz pochte schneller, als er sich daran erinnerte, wie gern er neben diesem hübschen Gesicht aufgewacht war.

Bestimmt stand Marisa gerade unter Schock – wegen seiner Auferstehung. Er gab ihr eine Minute, um sich zu sammeln, und schenkte sich einen Whiskey ein, den er jetzt gut gebrauchen konnte.

Als er seinen ersten Schluck trank, spürte er eine Bewegung hinter sich. In aller Ruhe trank er noch einen Schluck und drehte sich dann um. Marisa stand nur einen Meter von ihm entfernt.

In seiner Kehle bildete sich ein Kloß, während er ihrem stillen Blick standhielt.

Sie neigte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen und hatte ihre schönen, vollen Lippen fest aufeinandergepresst. Die goldroten Locken waren zerzaust und verliehen ihr ein wildes Aussehen. Die Marisa von früher hatte dagegen jedes erdenkliche Produkt verwendet, um ihre Locken zu bändigen.

Sie wirkte wie ein völlig anderer Mensch.

Marisa starrte den Geist vor sich an. Sie traute sich kaum zu blinzeln, aus Angst, er würde dann wieder verschwinden.

Nikos war tot.

Sie hatte anderthalb Jahre lang jede Nacht um ihn getrauert und sich in den Schlaf geweint. Morgens war sie mit pochendem Schmerz im Herzen aufgewacht, der niemals geheilt war. Sie hatte sein Kind zur Welt gebracht, es geliebt und ohne ihn großgezogen.

Und die ganze Zeit über war er am Leben?

Das war wirklich Nikos, der da vor ihr stand. Mit einem vorsichtigen Ausdruck auf seinem schönen Gesicht, das sie lange Zeit nur in ihrer Erinnerung gesehen hatte.

Die Emotionen, die sie durchfluteten, waren zu intensiv und überwältigend, um noch einen Moment länger unterdrückt zu werden. Mit einem Wutschrei ging Marisa auf ihn los.

2. KAPITEL

Nikos wich ihr nicht aus und versuchte auch nicht, sich gegen die Fäuste auf seiner Brust zu wehren. Stoisch blickte er über Marisas Kopf hinweg, entschlossen, dem Ansturm ihrer Wut nüchtern zu begegnen.

Marisa war sehr temperamentvoll. Warmherzig und leidenschaftlich. Er selber war dagegen eher kühl und analytisch. Als ihr Anfall allmählich abebbte, sah er sie endlich direkt an.

Kraftlos ließ sie sich zu Boden fallen, zog die Knie ans Kinn und weinte hemmungslos.

Nikos war völlig unvorbereitet auf solch einen heftigen emotionalen Ausbruch. Überfordert rieb er sich die Wange und schluckte. Dann stellte er eine Schachtel Taschentücher neben Marisa auf den Boden, bevor er mit einem langen Zug seinen Drink leerte.

Theos, er brauchte noch einen! Und dieses Mal gönnte er sich einen doppelten. Anschließend schenkte er die gleiche Menge Whiskey in ein zweites Glas und brachte es Marisa.

Ihr Schluchzen schien nachzulassen, aber er hielt trotzdem Abstand, als er sich zu ihr hockte. „Hier“, sagte er auf Englisch, eine Sprache, die sie beide fließend beherrschten. „Trink das. Es wird helfen.“

Marisa wollte sich die Ohren zuhalten. Nikos’ vertraute Stimme war einfach zu viel für sie. Es war wie ein wahr gewordener Albtraum.

Oh Gott, er war am Leben!

Sie fuhr sich mit zitternden Händen übers Gesicht und versuchte, tief einzuatmen. Dann nahm sie gleich eine ganze Handvoll Taschentücher und putzte sich die Nase, bevor sie zögernd das Glas annahm, das er ihr reichte.

Unter dem Ärmel seines Hemdes ragten dunkle feine Härchen hervor, und das reichte, um frische Tränen fließen zu lassen. Sie schüttete die goldene Flüssigkeit in ihren Rachen und musste husten. Der Whiskey brannte in der Kehle, aber er half, den Nebel in ihrem Gehirn zu durchdringen und ihre Sinne zu schärfen.

„Noch einer?“, erkundigte er sich.

Sie war immer noch nicht in der Lage, ihn direkt anzusehen, und nickte nur. Und auch den zweiten Drink trank sie auf ex.

„Besser?“

Sie atmete kurz aus, bevor sie es wagte, den Kopf zu heben.

Er hockte vor ihr und musterte sie mit seinen hellbraunen Augen. „Bist du bereit, mit mir zu sprechen?“

Stumm kniete sie sich hin, überwältigt von dem Bedürfnis, ihn zu berühren und sich zu vergewissern, dass er wirklich hier war. Sie streckte eine Hand aus und legte sie an seine Wange. Sie blickte in seine ausdrucksstarken Augen, rieb mit ihrem Daumen über seinen kantigen Kiefer und fühlte kleine Bartstoppeln. Danach strich sie über seine Lippen. Die Hitze seines Atems erwärmte ihre Haut, bevor sie ihre Erkundungstour fortsetzte: über seine leicht gerunzelte Stirn, die markante Nase entlang und über das Grübchen in seinem Kinn. Keinen Zentimeter seiner Haut ließ sie unerforscht.

Er regte sich nicht, auch nicht, als sie ihre Finger in sein dichtes Haar schob, um die Konturen seines Kopfes bis hinunter zu seinem Hals zu verfolgen. Als sie den Pulsschlag unter seinem Ohr an ihren Fingerspitzen spürte, ließ sie ihre Hände sinken und setzte sich auf ihre Fersen zurück.

Eine Ewigkeit aufgeladenen Schweigens verging, bevor Nikos aufstand und sich mit fast schwerfälligen Bewegungen in einen Sessel setzte.

Dort wartete er ruhig, bis Marisa ihm folgte und sich auf dem Sofa gegenüber niederließ. Sie presste ihre Knie an die Brust und stützte das Kinn darauf.

Nikos versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Doch über seine Haut tanzte noch das Gefühl, das ihre Finger dort hinterlassen hatten, als sie ihn berührt hatte. Theos, es war die erste menschliche Berührung seit anderthalb Jahren.

Mit zusammengebissenen Zähnen zwang er sich in die Gegenwart zurück. Viele Male hatte er sich ausgemalt, was er Marisa sagen wollte, doch ein Großteil seiner Ansprache hing von ihrer Reaktion ab. Natürlich war ihm klar, dass ein Wiedersehen hochemotional sein würde, aber er hatte nicht mit einem derart heftigen Zusammenbruch ihrerseits gerechnet. Das war erst mal ein Schock für ihn.

Ihre Affäre hatte viel länger gedauert als seine früheren Beziehungen, aber sie war nie wirklich … ernst gewesen. Nikos hatte sie nicht ernst genommen, hatte es nie getan und würde es auch nie tun. Ihm gefiel sein Junggesellenleben, und er wollte niemandem zur Rechenschaft verpflichtet sein. Diese Überzeugung stammte aus seinen Teenagerjahren. Damals hatte man den aufsässigen Vierzehnjährigen in ein strenges Internat im Ausland geschickt, weil er erste Anzeichen einer rebellischen Ader gezeigt hatte.

Nach zwei Semestern wurde er wieder hinausgeworfen. Beim nächsten hatte er nur vier Monate durchgehalten. Beim dritten hatte er den Verweis nur vermieden, weil sein Großvater ihn bestechen konnte: Wenn Nikos das Schuljahr ohne Sanktionen hinter sich brachte und seine Prüfungen bestand, durfte er seine Ausbildung abschließen und würde ganze fünfzigtausend aus seinem Treuhandfonds erhalten. Da war er sechzehn Jahre alt gewesen. Und anschließend hatte er sich auf keine Deals mehr eingelassen.

Neunzehn Jahre später lebte Nikos sein Leben immer noch ausschließlich zu seinen Bedingungen. Und bis zu seinem erzwungenen Exil war es einfach großartig gewesen. Er genoss es, viel Geld zu verdienen und viel Geld auszugeben. Dank seines Reichtums lagen ihm die schönsten Frauen der Welt zu Füßen.

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
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