Liebe ohne Sicherungsseil

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Stefanie stockt der Atem! Vor dem Bürofenster im 20. Stock schwebt an einem Seil der absolute Traummann – und flirtet heftig mit ihr. Erst nach einer verrückten, wunderbaren Nacht mit Florian erfährt sie: Im Kampf um einen Millionenauftrag ist er ihr schärfster Konkurrent. Auf einmal hängt ihr Herz freischwebend in der Luft ...


  • Erscheinungstag 22.06.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733788032
  • Seitenanzahl 156
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Stefanie Clarin griff nach der Fernbedienung. Noch glänzte der wandgroße Plasmabildschirm im Creativ-Raum von light arts neutral silbergrau, aber das würde sich bald ändern. Ihr Schatten spiegelte sich im Bildschirm, sie glaubte sogar den Schimmer ihrer rotbraunen Haare zu erkennen. Sie lächelte sich zu. Vor drei Monaten hatte sie den internationalen Lichtkünstler Robert van Halen mit einer spontanen Bewerbung nachmittags um halb drei so überrascht und mit ihrer kleinen Präsentationsmappe so beeindruckt, dass er Stefanie vom Fleck weg als neue Marketing-Fachfrau eingestellt hatte. Nun leitete sie mit nur 26 Jahren bei light arts schon einen kleinen Stab von Mitarbeitern.

Ja, es gab sie wirklich, die Glückssträhnen im Leben, und Stefanie war fest entschlossen, sie nicht abreißen zu lassen. Gerade jetzt nicht, wo sie zum ersten Mal das Privileg erhielt, hier im „Allerheiligsten“ der Firma ihrem Chef Robert unter vier Augen vom neuesten Kunden zu berichten.

Der Creativ-Raum lag im siebzehnten Stock. Das natürliche Licht des Berliner Himmels flutete durch die riesigen Fenster. „Meine beste Inspirationsquelle“, meinte ihr Chef. Stefanie richtete ihr rotbraunes Haar und stellte sich an die Seite des schlichten hellen Holztisches. Mehr Möbel außer zwei Stühlen duldete der renommierte Lichtdesigner nicht. Auf besondere Lichtquellen hatte Robert zu Stefanies großer Verwunderung verzichtet. Die Außenwand des Creativ-Raums bestand nur aus Glas. Stefanie blendete der perfekt blaue Himmel ein wenig, kein Wunder, dass Robert selbst hier seine blaugetönte Sonnenbrille trug. Sie passte perfekt zu seinem eisgrauen kurzen, dichten Haar. Robert war fast ein Zwei-Meter-Mann und wirkte nur deshalb schlank, weil er immer nervös war, immerzu spielte er mit irgendetwas in den Händen. Heute war es ein transparenter grüner Filzstift.

Stefanie aktivierte den wandgroßen Plasmabildschirm: Wir sind nicht zu fassen – smart light art. So ganz sicher war sie sich auf einmal nicht mehr, ob sie ihren Chef überzeugen könnte. Sie räusperte sich: „Unser neuer Claim begeistert die Kunden …“

Robert unterbrach sie sofort. „Bitte nicht schon wieder eine Präsentation, ich hasse das.“ Er streckte die langen Beine unter dem Tisch aus und steckte den Filzstift in das Leinensakko. Der Endvierziger fixierte sie mit einer tiefen Falte auf der ansonsten noch immer glatten Stirn. „Ich denke, du willst mich überraschen?“

Vom ersten Tag an hatte sie bei light arts für Wirbel gesorgt und das ganze Material für die Kundenwerbung auf den neuesten Stand der Zunft gebracht. Roberts Designassistenten hatten ganz schön geschluckt. Wenn sie jetzt auch den Chef höchstpersönlich ein bisschen aufmischte, war sie nur konsequent. Stefanie straffte die Jacke des Kostüms. Ihr Chef liebte den weiten Überblick, deshalb hatte er sich hier den Creativ-Raum eingerichtet, von dem man über Berlin-Mitte und den Tiergarten hinweg bis zum Zoo sehen konnte. „Du musst einmal aus der Vogelperspektive gesehen haben, worum es geht. Nur ein Bild, Robert.“ Stefanie ignorierte seinen Seufzer und klickte es auf den Bildschirm. Auf den ersten Blick sah man goldenen Sand in kobaltblauem Meer, dann erkannte man die Form eines Halbmonds.

Robert reagierte sofort, er sprang auf und stützte die Arme auf den hellen Tisch vor ihm. „Was für ein klares Licht, was für ein Farbenspektrum!“

Stefanie stellte den Fuß vor, der Rocksaum ihres Businesskostüms rückte ein wenig nach oben. „Abu Faira.“

„Wie bitte?“, fragte Robert und glitt langsam zurück auf den Stuhl.

„Das ist ein Emirat.“ Stefanie wagte es und klickte ein zweites Bild an.

Robert starrte wie gebannt darauf, elektrisiert fragte er: „Ich sehe Jachten, Häuser, grüne Gärten … Das Licht ist traumhaft, wozu brauchen die überhaupt einen Lichtdesigner wie mich?“

„Das Emirat Abu Faira schreibt einen internationalen Wettbewerb aus – für die Eröffnungsshow ihres neuen Sechs-Sterne-Plus-Luxus-Resorts, Robert. Wir sind eingeladen!“

„Das ist die Chance für den Sprung von light arts in die internationale Oberklasse“, flüsterte Robert.

„Genau das.“ Stefanie nickte, bei dem Karrieresprung wäre sie huckepack dabei. Sie klickte weiter.

Robert fraß die Bilder des luxuriösen Hotelpalastes, der sich aus üppigem Palmengrün erhob, mit den Augen auf. „Wir brauchen eine Idee … ein Lichtmärchen wie in Tausendundeiner Nacht …“ Er stand auf und deutete mit dem langen Arm zu einem kleinen intimen Jachthafen auf dem Bildschirm. „Dort brauchen wir Kristallsäulen, ich sehe es genau vor mir, dort an den Enden der Landungsstege …“ Er fuhr sich durch die eisgrauen Haare. „Erzähle mir, wie du das geschafft hast. Womit hast du die Leute von Abu … Abu Dingsbums geködert?“ Nervös legte er die Arme über die Brust und fasste die Revers. Sein grüner Filzstift rutschte dabei aus der Brusttasche und schlitterte über den Schreibtisch, stürzte über die Kante vor Stefanies Füße und rollte bis ans Fenster. Robert starrte fasziniert auf den Plasmabildschirm an der Wand.

Stefanie bückte sich nach dem Stift. „Wir verkaufen Licht …“, zitierte sie dabei die Firmenwerbung und presste die Knie im schmalen Rock aneinander. Sie fingerte nach dem Kuli vor der Panoramaglasscheibe. In diesem Moment bewegte sich draußen etwas, und sie hob den Kopf. Langsam schob sich etwas Braunes vor die Scheibe. Es war ein wunderbar kräftiger Unterarm, auf dem sich schwarze Härchen auf sonnengebräunter Honighaut im Wind leise kräuselten. Das feine Spiel der Muskeln faszinierte Stefanie, kräftige Finger tastete sich draußen an der Fuge der Glasfassade entlang. Sie hatte eine Halluzination, anders konnte das nicht sein, light arts residierte im siebzehnten Stock! Vermutlich hatte sie einfach zu viel gearbeitet.

„Wir verkaufen inszeniertes Licht, darauf bestehe ich …“, sagte Robert pikiert vor dem Plasmabildschirm.

Stefanie riss die Augen auf: Dort draußen hing ein Mann! Jetzt sah sie einen aufgerollten Hemdsärmel, einen langen sehnigen Hals, der schwarze Bartschatten prangte auf einem Kinn … Eine zarte Ohrmuschel ragte aus windzerzausten schwarzen, kurzen Locken. Stefanie musste den Impuls unterdrücken, nach dieser Wange zu tasten. Hastig raffte sie den Filzstift vom Boden. Draußen sah sie immer noch nur diesen Hinterkopf, der sich immer noch nicht rührte, nur die Finger des Mannes tasteten weiter, als gehörten sie gar nicht dazu. Oder war sie von den letzten Wochen tatsächlich total überstresst?

„Stefanie, wie kommst du überhaupt zu diesem Emirat in wer-weiß-wo?“

Siedendheiß fiel Stefanie ein, dass ihr Chef Robert in ihrem Rücken am Tisch saß und auf ihre groß angekündigte Story wartete. Dieser Kopf dort draußen konnte gar nicht existieren! Wie sollte ein Mann so hoch über der Erde allein außen an der Fassade hängen können? Vielleicht hätte sie doch besser auf ihre beste Freundin hören sollen … Drehte sie jetzt durch, weil sie seit zwölf Wochen nichts anderes mehr machte als arbeiten und dabei ihr Privatleben, nun, zu kurz kommen war gar kein Ausdruck: Sie hatte gar keines mehr.

Stefanie drehte sich um, schüttelte die Schultern aus und lächelte Robert etwas gezwungen an. „Wo war ich? Ach ja, der Wettbewerb von Abu Faira …“

„Wieso erfahre ich davon erst jetzt?“ Er riss ihr den grünen Filzstift fast aus der Hand.

„Weil du bis gestern die Villa von Brockenhill & Velten in Düsseldorf ausgeleuchtet hast und für niemanden erreichbar warst.“ Robert knurrte nur. Stefanie wollte sich konzentrieren, sie klickte das nächste Bild an. „Ich habe Abu Faira vorgeschlagen, mit variablen Laserprojektoren und luminiszenten Fensterfolien anzufangen und dann …“, Stefanie fühlte sich sofort wieder sicher, ihr Konzept war durchdacht. „Und dann würde light arts die Fassade optisch in Bewegung setzen, als ob man Steine in Wasser wirft, damit …“ Halb drehte sie sich vom Plasmabildschirm weg, auf den Robert unentwegt starrte. Der Himmel über Berlin, draußen vor dem Fenster, schien einen Moment genauso Wellen zu schlagen. Stefanies Stimme erstarb in einem Flüstern: „Damit alles wie eine Fata Morgana aussieht …“

Draußen prangten Männerbeine, oben im Winkel unter der Decke, Kletterstiefel mit kurzen Wollsocken, darin die festesten, schönsten Waden, die sie je gesehen hatte. Besser als Fußballerwaden und nicht so mädchenhaft haarlos wie bei Radlern, einfach nur perfekt. Ein Oberschenkel zeichnete sich ab, Stefanie hoffte einen Moment, dass der Mann dort draußen nackt herumturnte und sie einen Blick auf den Po …

Heftig sog sie die Luft ein. Sie durfte jetzt nicht abdrehen, gerade jetzt nicht – nur weil es etwas länger her war, dass sie ein paar nackte Männerbeine live gesehen hatte. Stefanie, dort draußen gibt es keinen Mann, ermahnte sie sich – und schon gar keinen, der exakt ihren Träumereien beim Einlassen des täglichen Entspannungsbades entsprach. Das war physikalisch unmöglich!

„Fata Morganas sind Luftspiegelungen“, brummte Robert hinter ihr, „der Ansatz ist nicht schlecht. Dann könnte ein Sturm aufziehen …“

Stefanie holte tief Luft und drehte sich zu ihrem Chef um, der die Spitze seines Filzstiftes betrachtete. „Genau, ich habe in der Bewerbungsmappe skizziert, dass wir zum Beispiel das Luxus-Resort zum Schein wie eine Sandburg zu einer Düne zerblasen lassen würden …“ Stefanie hatte sich zwanzig verschiedene Motive ausgedacht.

„Genial.“ Wie ein Prediger breitete Robert die Hände vor dem Bildschirm aus. „Sei jetzt mal ganz ruhig, ich lasse eine Vision in mir aufsteigen.“ Er kniff die Augen fest zu und wandte sich zum Fenster.

Stefanie drehte sich mit – und schaute direkt in zwei schwarze glänzende Augen, darunter lächelte ein männlich sinnlicher Mund und zeigte weiße Zähne. Stefanie hätte diese vollen Lippen am liebsten sofort geküsst. Und dabei die Arme so eng um die schmale Taille geschlungen, wie es dort draußen dieser lederne Haltegurt mit den zig Metallösen tat, in denen Halteseile verankert waren. Daran hielt sich der Mann mit den tiefschwarzen kurzen Locken rechts und links wie bei einer Schaukel fest. Seine perfekten Sportlerbeine baumelten im Nichts.

„Es dauert noch, Stefanie“, flüsterte Robert und drehte sich mit geschlossenen Augen vom Fenster weg, „ich visualisiere alles, das Licht fließt um die Halbmond-Insel, die Palmen, das Luxus-Resort.“

Erst als der Mann da draußen den Kopf schräg legte und sie anlachte, begriff Stefanie: Dieser Traummann war echt. Er ließ die Hände an den Seilen los, dann machte er sich blitzschnell klein, zog die nackten Ellenbogen vor die Brust und kugelte sich nach unten, sein Kopf sackte weg.

Stefanie stürzte zum Fenster. Aber der Mann hatte sich nur in den Halteösen gedreht und in der Luft einen Purzelbaum gemacht. Er lachte aus vollem Hals. Doch Stefanie hörte keinen Ton, die Isolierscheiben waren zu dick. Dann streckte er wie ein Zirkusclown mit verdrehten Augen die Zunge heraus. Das war einerseits so süß wie bei einem kleinen Jungen, andererseits schaute das gleiche tiefbraune Gesicht jetzt mit einer ehrlichen Begeisterung im Blick, den nur ein erwachsener Mann haben konnte, der ganz genau wusste, was er wollte. Sie.

Sein Mund lächelte wieder sinnlich. Einfach unkompliziert. Dieser Mann machte sich nicht allzu lange Komplexe, wenn er eine Frau gut fand. Stefanie konnte nicht mehr anders, sie lächelte zurück.

„Einen Moment noch, Stefanie, ich sehe den Abend heraufziehen, die Nacht, höre Zikaden zirpen …“ Roberts Stimme war höher geworden, er stieß die Worte aus, als sei er außer Atem. Dabei presste er die Finger an die Schläfen, noch immer hielt er die Augen geschlossen.

Draußen spreizte der Mann Daumen und Zeigefinger dieser rauen, staubigen Hand ab, die wohl den ganzen Tag Seile, Taue und Stangen an der Fassade verankerte. Er wiederholte die Geste, machte mit gespitztem Mund ein Bitte-Bitte wie ein ungezogener Junge. Und schon in der nächsten Sekunde war da gar nichts Kindliches mehr, nur noch ein Blick, der jetzt an ihrer Gestalt bewundernd entlangglitt, über ihr Kostümoberteil, das einen Tick zu eng saß. Telefonieren wollte er mit ihr, das war klar.

„Sternenlicht rieselt wie Schnee auf das Resort, wir zeigen es auch in einer Schneewehe, paradoxe Situationen begeistern immer, wie schwarzes Licht …“, murmelte Robert wie in Trance hinter ihr.

Der Mann vor dem Fenster nestelte sein Handy aus einer Brusttasche, während er mit den Stiefelspitzen gegen die Scheibe balancierte. Gegen ihren Willen bewunderte Stefanie die muskulösen Oberschenkel. Der Unbekannte hielt sein Handy in die Luft und deute mit den Fingern der Linken auf die Tasten. Lächelnd zwinkerte er ihr zu. Das war so unverkrampft spontan und natürlich, dass in Stefanies Kopf das schöne alte Wort Charme widerhallte.

Doch der Klang war nicht gut. Oh ja, das kannte sie. Nett auf den ersten Blick, und dann drehten die Kerle sich nur um ihre Hobbys. Stefanie schüttelte den Kopf. Sie hatte sich nach dem Desaster mit dem charmanten Peer geschworen, nie wieder, hörst du Stefanie?, nie-wie-der, eine Affäre mit einem Sportler oder sonst wie körperlich arbeitenden Mann anzufangen. So gern sie ihre Hände über feste Six-Pack-Bauchmuskeln gleiten ließ, so gern sie in starken Armen geborgen war, nach dem Sex musste sie einfach über mehr reden können, als über Training, die Kumpels oder Basketball. Sie flüsterte stumm dem Mann in den Seilen vor den Fenstern ein „Sorry, no“ zu.

Der hingegen nahm das von ihren rot geschminkten Lippen geformte no ganz anders, als gehauchten Kuss. Er legte sich in gespielter Rührung die Hand an die Brust, küsste seine Fingerspitzen und warf ihr die Erwiderung zu.

„Eine Sekunde noch, Stefanie, dann …“ Roberts Stimme hatte Tiefe und Kraft zurückgewonnen.

Stefanie warf die Stirn in Falten und zeigte mit beiden Daumen hinter sich auf ihren Chef, den Mann draußen winkte sie mit beiden Händen weg. Sie konnte gar nicht so schnell hinschauen, wie sich die Muskeln der Arme und Beine spannten, die Seile vor dem Fenster stürzten, schwankten, wie die ganze Takelage vor den Fenstern verrutschte. Dann berührten die schwarzen Locken auf der anderen Seite der Scheibe das Glas zu ihren Füßen. Sie sah, wie seine Finger einen Stift hielten, rasch schrieb er eine Handynummer spiegelverkehrt auf die Scheibe, nur eine Drei falsch herum.

Das macht der also nicht zum ersten Mal, war Stefanies erster Gedanke, doch dann krachte es hinter ihr auf dem Tisch. Sie fuhr herum.

Robert strahlte sie an, die großen schmalen Hände auf die Tischplatte gelegt, die Unterarme aufgestützt. „Wir beteiligen uns am Wettbewerb! Wann müssen wir liefern?“

Das war die Crux. „Übermorgen“, sagte Stefanie leise. Aber ihr Chef fiel nicht aus allen Wolken, er schimpfte nicht, wie sie es befürchtet hatte. „Dann hat light arts ja alle Zeit der Welt. Freie Bahn für Stefanie Clarin. Wir stellen sofort ein Team zusammen!“ Robert war schon an der Tür. Dort drehte der Chef sich um und sah von seinen fast zwei Metern auf sie herab. „Wenn es klappt, mache ich dich zu meiner persönlichen Assistentin.“ Dann war er draußen.

„Ja!“ Stefanie tanzte einmal um den Tisch herum. Es lohnte sich, etwas zu riskieren. Er hätte sie ebenso gut rauswerfen können, weil sie ihm nichts davon gesagt und das Büro für die Vorbereitungen hatte arbeiten lassen. Die Freude darüber, dass light arts in den Wettbewerb einsteigen würde, spülte ihre leisen Zweifel darüber hinweg, wie Robert das mit dem „persönlich“ gemeint haben könnte.

Draußen leuchteten ein paar weiße Wolken im Blau des Sommerhimmels. In rotem Leuchtstift glänzte unten an der Scheibe vor dem Lüftungsschlitz im Parkett diese Handynummer.

Stefanie betrachtete die falsch herum geschriebene 3. Auf dem Tisch lag noch ihr Schreibzeug bei den Unterlagen. Ohne nachzudenken griff sie zu, zog an ihrem Rocksaum, ging in die Knie und notierte die Handynummer auf den Rand des Ausdrucks ihrer Wettbewerbspräsentation.

2. KAPITEL

Florian Talhofer wartete im Flur des Amtsgerichts Charlottenburg auf seinen Anwalt. Im Büro hatte ihm Frau Olgert noch schnell die Mappe mit den Prozessunterlagen zugesteckt. „Was für ein Papierberg“, stöhnte Florian leise. Seine Gedanken kreisten zwar ständig um diese tolle Frau im siebzehnten Stock, aber er las jetzt besser ganz genau, was ihm sein Anwalt aufgeschrieben hatte. Noch einmal durfte er sich vor Gericht von seiner Wut nicht leiten lassen. Aber wie sollte er ruhig bleiben, wenn ein betrügerischer Kunde ihn mit einem Schadensersatzprozess überzog? Als ob es an ihm und seinen Männern gelegen hätte, dass die halbe Multimediafassade des Geschäftshauses in der Friedrichstraße abgestürzt war. Dieses Hightech-Diffusionsglas war extrem schwierig zu handeln gewesen. Seine Leute hatten sich exakt an die Herstellervorgaben gehalten.

Florian starrte zu den hohen dunkelbraunen Türen im Gerichtsflur. Irgendwie musste er es schaffen, nachzuweisen, dass jemand an der Fassadenreinigungsmaschine die Schrauben für die Aufhängung gelockert hatte. Und deshalb die Seilführungen abgesackt waren, die die Multimedia-Elemente mit in die Tiefe gerissen hatten.

„Die sollen mich kennenlernen“, knurrte er. Die Männer seiner Firma leisteten nie Pfusch, dafür sorgte er persönlich mit regelmäßigen Schulungen und Kontrollen. Schließlich hatte er nicht nur Fassadenklettern gelernt, sondern auch seine Lektionen in Unternehmensführung kapiert. Ohne Verantwortungsgefühl für die Seilschaft war man kein Bergsteiger, und das war Florian mit Leib und Seele. Er rieb sich das Kinn, das er im Büro noch schnell rasiert hatte, und schaute zum Sitzungszimmer. Sonst war sein Anwalt pünktlich.

Hätte er vor zweieinhalb Jahren gedacht, dass er einmal in Anzug und Krawatte hier stehen würde? Florians Leben hatte sich so schnell verändert. Endlich hast du die Kurve gekriegt, wird mit achtundzwanzig Jahren auch mal Zeit, hatte sein Vater geseufzt. Da hatte Florian seine Firma Senkrecht & Seil gegründet, allerdings in Berlin und nicht zu Hause am Ammersee. Die Jahre zuvor hatte sein bayerischer Vater kein Wort darüber verloren, dass er sich jahrelang lieber am Mittelmeer herumgetrieben und bei den Brüdern seiner türkischen Mutter gejobbt hatte, die dort eine große Ferienanlage in Side führten. Mutter aber hatte regelmäßig am Telefon gezetert, wie lange er noch sein Leben verschwenden, sich die Hörner abstoßen und nichts lernen wolle. Hätte sie damals in der Türkei nicht Courage gezeigt und wäre Stewardess geworden, sie hätte nie seinen Vater kennengelernt …

Florian lachte leise, die ganze Predigt hatte sie jahrelang wiederholt, irgendwann sogar mit bayerischem Akzent. Aber jetzt war Mutter einfach nur stolz, dass er schon fünf Männer fest und eine Anzahl projektweise beschäftigte. Falls er nicht bald durch diesen miesen Betrüger in die Pleite getrieben wurde, allein die Verteidigung ruinierte ihn ja schon fast.

Im Gerichtsflur quietschte ein Aktenwagen. Florian klappte die Mappe zu, wozu bezahlte er einen Anwalt. Er konnte sich sowieso auf nichts mehr richtig konzentrieren, seit er dort im siebzehnten Stock diese Frau arbeiten gesehen hatte. Ihre rotbraunen Haare hatten seinen Blick magisch angezogen, dazu ihre lässige Art, mit den Armen die Fernbedienung auf diesen seltsamen Riesenbildschirm hin auszustrecken. Der Stoff ihres schicken Kostüms hatte sich über ihre wunderbar gerundeten Hüften gespannt, ihre Brüste hatte sie unwillkürlich vorgestreckt – und nichts dabei wirkte irgendwie berechnet.

Florian fühlte wieder dieses seltsame Kribbeln im Bauch, als hätte er ewig nichts gegessen. Wovon gar keine Rede sein konnte bei der zünftigen Brotzeit, die er mit seinen Leuten auf dem Dach des Büroturms eingelegt hatte. Klettern machte hungrig. Er hatte es einfach nicht lassen können, diese schmale Gestalt zu bewundern, die sich so selbstbewusst durch den Raum bewegte und diesen nervösen Riesen von Chef domptierte wie einen Seelöwen. Dabei predigte Florian seinen Leuten, dass man so etwas als seriöser Fassadenkletterer niemals tat: in die Räume von außen hineinspannen. Aber ihre Anziehungskraft war stärker gewesen, er hatte nicht einmal an seine Prinzipien gedacht.

Und dann hatte sie sich umgedreht. Als er diese hellblauen Augen und dieses kleine Muttermal unter dem linken Ohrläppchen gesehen hatte, hätte er am liebsten die Scheibe abgeschraubt und die Frau unter den Arm geklemmt und mitgenommen wie King-Kong.

Richter gingen vorbei, ein Bürodiener fuhr einen Aktenwagen den Flur entlang. Sonst war es still.

Wie ein Affe in den Seilen vor dem Fenster war er herumgeturnt, damit sie auf ihn aufmerksam geworden war. Was sollte sie nun von ihm denken, außer dass er sich idiotisch wie ein Fünfzehnjähriger benahm? Seine Handynummer an die Scheibe zu kritzeln, wie peinlich. Diese Business-Frau rief ihn bestimmt nicht an. Aber so war es schon immer gewesen, schon in der Schule, später in den heißen Partyzeiten am Mittelmeerstrand. Solange ihn die Frauen nicht wirklich interessierten, war er cool und wusste immer im richtigen Moment das Richtige zu sagen. Auch wenn er viel öfter freundlich und nett Nein gesagt hatte, als ihm alle unterstellten. Insgeheim war er wohl so romantisch wie der Dichter Salahattin Batu.

Florians Blick verlor sich im Flurfenster. Was sollte er machen? Wenn er eine Frau wirklich gut fand, wenn dieses Kribbeln nicht mehr aus dem Bauch verschwand und sich allein schon beim ersten Gedanken gefährlich weit in seinem Leib nach unten verbreitete, dann fiel ihm nichts ein, als vor lauter Nervosität den Clown zu geben. Irgendwo musste die entfachte Energie hin, er konnte einfach nicht mehr still sitzen.

Sein Handy vibrierte. Florian holte es aus der Innentasche seines Sakkos. Das Display zeigte keinen Namen an. „Florian Talhofer, Senkrecht & Seil, guten Tag.“

Die dunkle, klare Stimme überraschte sie, so geschäftsmäßig kühl klang es. „Oh, Entschuldigung, bin ich da bei einer Firma gelandet?“ Stefanie hatte eigentlich noch die Videos für die neue light arts DVD checken wollen, die es in Zukunft regelmäßig geben sollte. Eigentlich. Aber dann hatte sie doch nicht das Blatt mit der Handynummer weggeworfen, auch wenn sie es schon über dem Papierkorb hatte schweben lassen, sondern spontan die Nummer getippt. Jetzt antwortete ihr Schweigen. Dann hörte sie rau: „Ja, sicher.“

„Ich wollte eigentlich jemanden sprechen, der mir seine Handynummer …“, Stefanie wurde plötzlich klar, dass es sehr seltsam klingen musste, wenn sie jemanden Wildfremdes in der Leitung hätte, „hinterlassen hat.“

„Das … das ist schon richtig. Sie sprechen mit mir.“

So distanziert, auf einmal? Stefanie runzelte die Stirn, dann war es ihr auf einmal klar. Wahrscheinlich war er nicht allein.

„Schön, dass Sie anrufen“, sagte er plötzlich.

Die dunkle Stimme schien sich um zwanzig, dreißig Grad erwärmt zu haben, Stefanie wurde heiß, sie spürte, wie dieser Klang in ihr nachschauerte. „Ihre …“ Sie musste schnell etwas sagen. „Ich habe wirklich geglaubt, Sie stürzen ab.“ Es war ewig her, dass sie einen Mann einfach so anrief. Na ja, so lange nun auch wieder nicht. „Ich fand das wirklich lustig.“

„I…ich bin übrigens Florian.“

Warum bekamen die sportlichen Männer bloß nie den Mund auf? Sie hätte beinahe geseufzt. „Mein Name ist Stefanie. Es war doch nicht wirklich gefährlich?“

„Oh. Nein, nein. Ich … ich habe das schon gelernt, weißt du. Das ist … ist wie Bergsteigen. Nicht schwer.“

Sie musste lachen. Die Jungs konnten sich nie vorstellen, dass nicht jeder hundert Kilo stemmen konnte. „Ich würde nicht so leicht an unserem Hochhaus hochklettern können.“

„Wenn ich dich ins Schlepptau nehme, schon.“

Einen Moment fühlte Stefanie, wie sie in den Armen Florians, die sie so bewundert hatte, draußen vor ihrem eigenen Bürofenster hing. Dann irritierten sie die Worte doch, schleppen oder gar abschleppen wollte sie sich von keinem lassen. „Aha“, sagte sie bloß.

„Das heißt bei uns Fassadenkletterern wirklich so.“

Jetzt hatte er es auch noch gemerkt. „Soso. Ihr habt wohl eure Geheimsprache.“ Irgendwie mochte sie seinen süddeutschen Akzent und den Gänsehaut-Effekt seiner Stimme. Der jedes Mal neu einsetzte, wenn sie ehrlich war.

„Ich … ich würde dich gern ohne Scheibe sehen, also ich meine, ohne Trennscheibe, also nicht im siebzehnten Stock“, verhaspelte er sich. Sein Lachen war wieder ein bisschen jungenhaft und ein bisschen zu dunkel, als ob er nicht doch genau wüsste, dass er flirtete. „Dein Job da im Büro ist sicher anstrengend, aber heute ist ja Freitag und wenn du Lust hättest …“ Etwas klang durch den Hörer, als ob er ein Lachen oder Glucksen verschluckt hätte. „Weißt du, Fassadenklettern macht hungrig, und ich esse nicht gern allein. Vielleicht um acht Uhr?“

Da war sie frühestens mit den DVD-Videos durch. Und gleich essen gehen war irgendwie einen Tick zu viel für einen Mann, der wohl wirklich die Zähne nicht zum Reden auseinanderbrachte. Beim Gedanken an Florians sinnlichen Mund stand Stefanie vom Stuhl auf. „Lieber um zehn. Kennst du die Bar Breitwandklang im Friedrichshain? Simon-Dach-Straße. Sie spielen meist electronic lounge. Manchmal ist dort auch After-Work-Party.“ Vielleicht mochte er diese Musik nicht, aber der Laden war so stylish, dass sie sich dort trotzdem immer wohlfühlen konnte. „Bist du noch dran?“

„Klar. Ich probiere gern mal was Neues.“

Autor

Merle Faber
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