Liebesmond über den Highlands

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In den schottischen Highlands, 1297. Ebenholzschwarzes Haar, milchweiße Haut und sanfte Kurven, die sich verführerisch unter dem dünnen Hemd abzeichnen – seit Camron in einer mondhellen Nacht heimlich die schöne Anna beobachtet hat, brennt er vor Verlangen! Als er mit seinem Zwillingsbruder eine übermütige Wette abschließt, wer von ihnen zuerst heiratet, weiß er, dass Anna seine Braut werden muss. Doch sie ist nicht nur fünf Jahre älter als er, sie ist auch widerspenstig, unabhängig und ignoriert ihn. Um sie zu erobern, muss der Highlander ihr beweisen, dass sie ihm unendlich viel mehr bedeutet als eine Wette – dass er sie liebt …


  • Erscheinungstag 10.06.2025
  • Bandnummer 429
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531658
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nicole Locke

Liebesmond über den Highlands

1. KAPITEL

April 1297, das Clanland der Grahams

„Es ist spät“, lallte Camron vom Clan Graham. „Wir sollten ins Bett gehen.“

„Nein“, widersprach sein Bruder Hamilton undeutlich. „Es ist früh. Siehst du nicht, dass die Sonne gleich aufgeht?“

Camron hob den Kopf von der Schulter seines Bruders und blickte in die Richtung, in die Hamilton schwach deutete. „Das ist doch nur ein Lagerfeuer, das noch nicht ausgegangen ist.“

„Unseres ist aus.“ Hamilton stieß mit dem Fuß auf die Erde vor ihnen und Camron wäre beinahe vornübergefallen. Mühsam hielt er sich aufrecht, bis sein Bruder wieder ruhig saß und er sich erneut anlehnen konnte.

Er spürte, wie sich die kalte Aprilnacht um sie legte. Das war auch der Grund, warum man drei zusätzliche Feuer außerhalb des Dorfes errichtet und Baumstämme und Bänke aufgestellt hatte. Der Clan Graham hatte sich versammeln wollen, um die Rückkehr von ihm, seinem Bruder und den anderen zu feiern und sich von den Spähern zu verabschieden, die ihren Platz an den Grenzen ihres Landes einnehmen würden.

Jetzt konnte er allerdings keine Stimmen mehr hören. Waren die anderen schon vor Stunden gegangen oder war es wirklich noch so früh, wie Hamilton dachte?

Ihr Feuer war ausgegangen. Und von allen Zechern saßen nur noch er und sein Bruder zusammengesunken auf ihrem Baumstamm, aneinander gelehnt, einander aufrecht haltend, Seite an Seite.

„Wir sollten ins Bett gehen“, sagte er wieder.

„Ich weiß nicht, ob ich meine Beine gebrauchen kann“, gab Hamilton zu bedenken.

Camron wusste, dass er seine Beine nicht gebrauchen konnte. Aber alle anderen waren gegangen. Wenn er aufstehen wollte, mussten sie ihm wohl einfach gehorchen. „Wie viel Ale haben wir getrunken?“

„Wir sind die letzten Grahams auf der Welt“, lallte sein Bruder.

Das stimmte mit ziemlich großer Sicherheit nicht, aber Camron war zu müde, um zu widersprechen.

„Lass dich nie auf ein Wetttrinken gegen einen Graham ein. Wir gewinnen immer“, fuhr Hamilton fort.

„Ich bin auch ein Graham.“ Camron hatte irgendwie das Gefühl, Hamilton habe so etwas schon einmal gesagt.

Vielleicht in der letzten Nacht. Schließlich hatte es so angefangen. Die meisten ihrer Wettkämpfe, Mutproben und Wetten fingen so an. Seitdem sie begriffen hatten, dass sie genau gleich aussahen – von der Größe bis hin zur Farbe ihrer Zehen – versuchten sie einander ständig zu übertrumpfen, um ihre Unterschiedlichkeit zu beweisen.

Nicht sich selbst gegenüber, aber dem Clan gegenüber. Er selbst hatte sich immer anders als Hamilton gefühlt. Außerdem war es auch offensichtlich, sobald man sie beide einmal kannte. Er war reservierter, während sein Bruder gern damit angab, wie mutig oder kühn er war oder welches lächerliche Wort er sonst dafür gebrauchte. In Wirklichkeit war er vor allem ein Unruhestifter.

Hamilton war es auch, der normalerweise mit den Wetten anfing. Camron versuchte sich die Stirn zu reiben, aber er griff daneben.

„Au!“, rief Hamilton. „Warum schlägst du mich ins Auge?“

„Du hast nichts anderes verdient“, erwiderte Camron.

„Vielleicht hättest du nicht so viel Met trinken sollen.“

Hatte er das? Deswegen hämmerte sein Kopf so! Er hatte Seocs Met getrunken. Der Mann war so hoch wie ein Baum und auch genauso breit. Er braute Met, damit er auch einmal betrunken wurde. Andere Menschen sollten sein Gebräu allerdings besser nicht in größeren Mengen zu sich nehmen.

„Ich dachte, wir haben Ale getrunken?“

„Haben wir ja auch. Aber du wolltest wohl gern mit Kopfschmerzen aufwachen.“ Hamilton legte seinen Kopf auf Camrons Schulter. „Ich muss schlafen.“

Camron musste das auch. Doch stattdessen saßen sie auf einem hohlen Baumstamm und die Feuchtigkeit des Nebels durchdrang ihre Kleider.

Ihm war nicht unbedingt kalt, aber er wusste nicht, ob es daran lag, dass das Feuer, das zu ihren Füßen gebrannt hatte, erst vor Kurzem ausgegangen war, dass der Met seinen Körper betäubte oder dass der schwere Körper seines Bruders, der sich an ihn lehnte, den Wind abhielt.

Er schlang die Arme um sich. Wäre es kalt gewesen, wäre er aufgestanden. Aber da es das nicht war …

„Es ist gut, wieder zu Hause zu sein“, sagte Hamilton mit leiser Stimme.

Camron schreckte auf. War er eingeschlafen? Hamilton ließ ein Schnarchen hören. Eigentlich kam es gar nicht darauf an, ob es seine eigene Stimme gewesen war oder die seines Bruders. Die Worte beschrieben genau, was Camron empfand.

In den letzten Jahren war es schwierig gewesen, das friedliche Leben seines Clans aufrechtzuerhalten.

Es lag nicht nur an den Spannungen zwischen England und Schottland oder an König Edward und der Schlacht von Dunbar im März letzten Jahres, bei der Sir Patrick vom Clan der Grahams gefallen war.

Er und Hamilton waren bei dieser Schlacht in den Wald geflohen und hatten ihren Freund Seoc hinter sich hergezogen. Seoc war in der Brust verwundet worden. Die Wunde hatte ein furchtbares Fieber ausgelöst und ihr Freund wäre beinahe gestorben.

Nein, der Friede wurde auch von den Clans um sie herum gestört. Die meisten Clans lebten in einem freundschaftlichen Konkurrenzkampf miteinander. Manche, wie die Buchanans und die Colquhouns, waren allerdings nicht so friedfertig. In letzter Zeit hatte die Spannung zwischen den beiden zugenommen und nicht einmal eine Heirat zwischen den beiden Clans hatte etwas daran ändern können.

Camron und Hamilton hatten mit allen anderen die Hochzeit gefeiert, aber das Fest war von einer düsteren Vorahnung auf etwas überlagert gewesen, mit dem der Clan Graham lieber nichts zu tun haben wollte. Glücklicherweise waren er und Hamilton nicht in die Streitereien hineingezogen worden.

Der zunehmende Konflikt zwischen England und Schottland genügte schon, um sie beschäftigt zu halten. Seit der Schlacht von Dunbar war es unerlässlich, ja, vielleicht sogar lebensnotwendig geworden, regelmäßig Patrouillen loszuschicken und Botschaften zu übermitteln, um Informationen zwischen den Clans auszutauschen.

Er fragte sich, ob das wirklich etwas half. William Wallace beabsichtigte derzeit trotzdem, einen Schlag gegen die Engländer zu führen. Zwar in Stirling, doch keine Schlacht konnte weit genug entfernt stattfinden, um wirklich ungefährlich zu bleiben.

Camron und sein Bruder waren unverheiratet und gut geübt im Schwertkampf. Darum waren sie oft diejenigen, die losgeschickt wurden, um mit anderen Clans zu reden oder auf Patrouille zu gehen. Dies war die erste Nacht seit Langem, in der sie und viele ihrer Freunde wieder einmal zu Hause waren. Daher auch ihr feuchtfröhliches Fest.

Doch nun kam wieder diese beinahe verzweifelte Niedergeschlagenheit über ihn, die ihn stets erfasste, wenn er hier war. Er war gern zu Hause, aber es bedeutete auch Qual. Ein dauerhaftes Leiden, das nichts mit Kriegen zwischen Völkern zu tun hatte, sondern allein mit Anna, einer Frau, in die er sich verliebt hatte, als er erst zehn gewesen war.

„Du hast wieder so schwer geseufzt, Bruder.“ Hamilton hob den Kopf, doch dann legte er ihn an Camrons Schulter zurück. „Denkst du schon wieder an sie? Wir sind noch nicht einmal einen ganz Tag lang hier.“

Kam es darauf an, ob sie seit einer Stunde hier oder viele Jahre fortgewesen waren? Seine Gedanken kehrten immer zu ihr zurück.

„Ich werde sie heute sehen. Es ist besser, an sie zu denken und vorbereitet zu sein, als ihr unverhofft zu begegnen und überrascht zu werden.“

„Und ich hatte schon gedacht, du seist betrunken genug, um es wenigstens bis zum Morgen zu schaffen“, erwiderte Hamilton mit einem Seufzen.

„Hast du deswegen mit mir darum wetten wollen, wer mehr Ale schafft?“

Hamilton setzte sich etwas auf und rutschte herum, bis er eine bessere Position gefunden hatte. Dann lehnte er sich wieder gegen seinen Bruder. Camrons Arm, in den das Gefühl gerade hatte zurückkehren wollen, wurde wieder taub.

Sein Bruder war ein kräftiger Mann. Das Gleiche konnte man natürlich auch über ihn selbst sagen. Sie hatten genau die gleichen braunen Haare und die gleichen braunen Augen. Sie waren nicht so groß wie einige der anderen Männer ihres Clans, waren aber als doppelt so stark bekannt. Nicht einmal ihren Eltern gelang es, sie immer auseinanderhalten. Das hatten sie schon oft ausgenutzt.

Selbst wenn er an das Äußere von ihnen beiden dachte, sah er beim Anblick seines Bruders nie sich selbst. Wenn überhaupt, sah er eher sein genaues Gegenteil.

Die Einzige, die sie beide stets hatte auseinanderhalten können, war Anna. Sie wusste immer, wer er war. Natürlich mochte das auch daran liegen, dass er sie seit seinen Kindertagen anstarrte und noch nie dazu in der Lage gewesen war, seinen Blick von ihr loszureißen.

„Ich habe nicht mit dem Wetttrinken angefangen“, sagte Hamilton.

Aber es war doch immer Hamilton, der ihre Wettkämpfe anzettelte – oder zumindest fast immer. „Kannst du dich bei dem Hämmern in deinem Kopf überhaupt daran erinnern?“, gab Camron zurück.

Dein Kopf hämmert. Meiner ist nur müde.“

Sein ganzer Körper war müde – und von einer vertrauten, vorsichtigen Erwartung erfüllt. „Ich werde sie heute sehen“, sagte er noch einmal.

Eine lange Pause. „Wir werden nicht so lange hierbleiben wie letztes Mal.“

Das war der Grund für seine Sorge. Er sehnte sich schon so lange nach ihr. Würde es je einen Zeitpunkt geben, an dem er sie wirklich haben konnte?

Er wusste nicht mehr, warum er damals als Zehnjähriger an diesem Abend vor so langer Zeit draußen gewesen war. Es war eine dieser Nächte gewesen, in denen die Luft von Feuchtigkeit gesättigt, aber auch warm war. Er erinnerte sich daran, dass der ganze Clan geschlafen hatte. Der dunkle Himmel war vom Vollmond erleuchtet gewesen.

Mit einem kurzen Hemd bekleidet, war er aus dem Bett gestiegen und hatte seine Hände ausgestreckt, um nach der Feuchtigkeit zu greifen und zu beobachten, wie sich das Mondlicht auf den Tropfen spiegelte. Er war so von dem Zauber gefangen gewesen, dass er erst bemerkt hatte, wie weit er, vom Wasser und den Mondstrahlen angezogen, gelaufen war, bis er das kleine Wäldchen am Flussufer durchquert hatte.

Und in diesem Moment hatte er sie gesehen. Sie hatte allein auf einem Felsen gesessen und war halb abgewandt gewesen, sodass er nur ihr Profil sehen konnte.

Anna vom Clan Graham war fünf Jahre älter als er, und obwohl sie noch jung war, hatte es damals schon mehrere potenzielle Freier gegeben, die auf sie gewartet hatten. Das war etwas, über das die Erwachsenen sprachen, und er hatte sich nie die Mühe gemacht, es zu verstehen.

Vielleicht war es die Stunde gewesen, vielleicht auch der Zauber, der ihn aus seinem Bett gelockt hatte. Vielleicht auch die Stille, die nur vom leisen Plätschern der Wellen unterbrochen wurde, oder das helle Mondlicht, das sich im ganzen Wasser brach, sodass es aussah, als wären lauter Edelsteine zu ihren Füßen verstreut.

Doch nichts davon war so schön wie die junge Frau, fast noch ein Mädchen, die mit einem Kamm durch ihr feuchtes Haar fuhr. Sie hatte die Arme erhoben und ihr weißes Hemd schmiegte sich an ihren feuchten Rücken und verbarg die Füße, die sie unter sich gezogen hatte. Er hatte ihre blauen Augen schon immer faszinierend gefunden, aber nun erkannte er, dass der Vorhang aus seidigen schwarzen Haaren, der jeder dunklen Nacht Konkurrenz machte, ebenso schön war.

„Schläfst du wieder?“, fragte Hamilton.

„Ich bin betrunken“, gestand Camron. Hamilton kannte die Geschichte von Anna und der Nacht damals. Er wäre nicht davon begeistert, sie schon wieder hören zu müssen.

„Ich spüre meine Beine jetzt“, sagte Hamilton.

„Willst du aufstehen?“ Sein Bruder musste Platz machen, bevor Camron irgendeine Chance hatte, sich von dem Baumstamm wegzubewegen, auf dem sie saßen.

„Nein“, sagte Hamilton.

Das war … eine Überraschung. Nicht die Antwort selbst, sondern die Art, wie er es sagte. Sein Bruder klang nachdenklich. Dabei dachte Hamilton sonst nie nach.

„Also bleiben wir hier“, schlussfolgerte Camron.

„Wir müssen bald wieder zurück an die Grenze.“

Sie waren noch nicht einmal einen Tag zu Hause und schon schweiften ihre Gedanken wieder zu den Herausforderungen, die vor ihnen lagen. Ihre Zeit hier war kurz, aber wie es schien, würde selbst dieser Friede von dem Zwist getrübt sein, der andernorts herrschte. König Edwards Forderungen waren unwillkommen und schienen kein Ende zu nehmen.

„Murdag ist eine kecke Maid, nicht wahr?“, sagte Hamilton. „Ich freue mich auf die nächsten Tage, das kann ich dir sagen.“

Murdag war eine Gespielin aus ihrer Kindheit. Sie war so alt wie die Zwillinge und Annas jüngere Schwester. Die Zwillinge hatten bei allen Spielen und Streichen der Kinder gut mithalten können, aber Murdag hatte immer noch ein paar Tricks mehr auf Lager gehabt. Sie war mit den Jahren nicht zahmer geworden.

„Stimmt. Sie war diejenige, die gestern Abend angefangen hat, die Becher zu zählen“, stöhnte Camron.

Hamilton lachte leise. „Das hat sie.“

In der Stimme seines Bruders lag Bewunderung. Das war neu und musste man erst einmal verstehen. So nah sie sich alle standen, konnte es einem schon zu denken geben, dass noch keiner von ihnen verlobt war oder eine Familie gegründet hatte.

„Sie ist recht anmutig“, sagte Camron vorsichtig, um herauszufinden, ob die Gedanken seines Bruders in diese Richtung gingen. Er selbst nahm Murdag nicht so wahr, da sie praktisch eine Schwester für ihn war. Aber er war ja auch nicht Hamilton.

Hamilton prustete. „Besonders gestern, als sie ihren Kelch in unsere Richtung geschwenkt hat.“

Gestern Abend hatte Murdag auf einem Felsblock gestanden, die Beine gespreizt, das Feuer hinter ihr. Ihre Herausforderung an sie beide war nicht die einzige Überraschung gewesen.

„Du hast nicht weggeschaut“, rügte Camron seinen Bruder.

„Bestimmt nicht, wenn sie ein solch dünnes Gewand trägt und uns zum Wetttrinken auffordert.“

Die fraulichen Kurven von Annas jüngerer Schwester waren für alle sichtbar gewesen. Ohne Zweifel hatte jeder Mann es gesehen. Jeder bis auf Camron, der sich nach Anna umgeschaut hatte, die jedoch nie aufgetaucht war.

„Ich begehre sie“, seufzte Hamilton.

Es war nicht das erste Mal, dass er das über eine Frau sagte.

„Tu es nicht“, warnte ihn Camron. Doch sein Bruder hatte gestern Abend einen Ausdruck auf dem Gesicht gehabt, als würde er Murdag mit ganz neuen Augen sehen. Er war bereits verloren.

„Warum nicht? Das ist perfekt, Bruder. Sie ist so alt wie wir und wir sind genau im richtigen Moment zurückgekommen. Sie ist immer noch niemandem versprochen. Ich bin ein Glückspilz.“

Der Grund, warum Murdag noch nicht verlobt war, lag wahrscheinlich darin, dass kein Mann den Mut hatte, sie zu zähmen. Und der Grund, warum Hamilton keine Frau hatte, lag darin, dass es keine Frau gab, die ihn zähmen konnte.

Die beiden waren sich viel zu ähnlich und sie war praktisch wie eine Schwester. Es war sicher Einbildung, dass Hamilton Interesse an ihr hatte. Oder er machte nur Witze.

Sein Magen rumorte. „Warum haben wir eigentlich Met getrunken?“

„Weil wir immer noch auf unseren Beinen standen“, meinte Hamilton.

„Hat Murdag mit uns getrunken?“

„Sie war schon lange weg, als du uns den süßen Nektar eingeschenkt hast.“ Hamilton schnaubte. „Aber Seoc war noch da. Glaube ich.“

Das wollte er ihm auch geraten haben. „Wir müssen ins Bett, damit wir endlich schlafen können.“

„Zu spät. Die Sonne geht schon auf.“

Camron bemühte sich, seine schweren Augenlider zu öffnen. Das Dunkel der Nacht hatte sich in Grau verwandelt. Er war zu einem Tag mit aufgewühltem Magen, ständigem Durst und Erschöpfung verdammt. Vielleicht würde ihm das ja genug Ablenkung bescheren, um Anna einen weiteren Tag lang aus dem Weg gehen zu können.

Der Schmerz, der seine Brust bei diesem Gedanken durchfuhr, war Beweis genug, dass dieser Vorsatz nicht lange anhalten würde. Es tat weh, ihr aus dem Weg zu gehen, aber es tat noch viel mehr weh, sie zu sehen und nicht haben zu können.

Mit einem Schlag auf seine Oberschenkel stand Hamilton auf. „Na gut, sagen wir, es war unentschieden. Aber ich warne dich, Bruder – bei der Wette, die wir uns für heute vorgenommen haben, werde ich weder nachgeben noch ein Unentschieden akzeptieren.“ Mit kribbelndem Arm und einem Körper, der sich entschieden dagegen wehrte, stemmte sich Camron von seinem Sitz hoch.

„Haben wir gewettet, wer länger auf den Beinen bleibt?“, erkundigte sich Camron. „Dann erkläre ich dich gleich zum Gewinner, damit ich mich hinlegen kann, bis ich von jemandem aus dem Bett gezerrt werde.“

„Gute Idee. Dann geh du mal schlafen“, erwiderte Hamilton etwas zu frohlockend. Ein deutliches Zeichen, dass er nicht so viel von Seocs Met getrunken hatte wie Camron. Aber auch ein sicherer Hinweis darauf, dass er irgendetwas im Schilde führte.

Camron wankte zum nächsten Baum, knüpfte sein Untergewand auf und erleichterte sich rasch. „Warum freust du dich so, weil ich schlafen gehen will? Hast du Disteln in mein Bett gelegt?“

Als das dringende Bedürfnis erledigt war, wandte er sich seinem Bruder zu, der gerade seine eigenen Gewänder wieder zuschnürte.

Hamilton machte das immer ganz anders als er. Warum konnte sie nur niemand auseinanderhalten?

„Weil mir das einen Vorsprung gibt“, sagte Hamilton. „Während du schläfst, werde ich mich um die Frau bemühen, die ich liebe.“

Die Frau, die er liebte. Jetzt wusste er, dass sein Bruder wegen Murdag nur scherzte.

„Dann wünsche ich dir viel Spaß dabei“, sagte er. Er musste jetzt wirklich schlafen gehen.

„Es geht nicht um Spaß. Und du wirst verlieren“, erwiderte Hamilton. „Findest du nicht, dass du lange genug gewartet hast?“

Wieder dieser nachdenkliche Unterton.

„Wovon sprichst du?“

Hamiltons Grinsen wurde schief. „Ach komm schon, du kommst aus der Wette auch nicht raus, wenn du so tust, als hättest du sie vergessen. Nicht dieses Mal. Endlich habe ich dich so weit, dass du etwas unternehmen musst, und nachdem ich sie in diesem dünnen Hemdchen gesehen habe, muss ich auch bei Murdag deutlicher werden. Ich war bestimmt nicht der Einzige, der diese Hüften im Feuerschein gesehen hat. Genau das haben wir gebraucht, um loszulegen.“

Wollte sein Bruder wirklich Annas Schwester den Hof machen? Irgendetwas in Camron veränderte sich. Eine Warnung, wie ein Schwertschlag in den Bauch oder ein Fausthieb an den Kopf. Heftig. Aufrüttelnd. Gefährlich für Leib und Leben.

„Was genau haben wir gebraucht, um loszulegen?“

Hamiltons Grinsen verwandelte sich erst in ein Lachen, doch dann zuckte er zusammen. Camron spürte eine gewisse Befriedigung. Vielleicht hatte sein Bruder doch so viel getrunken wie er.

„Hast du die Wette wirklich vergessen?“, fragte Hamilton. „Das ist aber gut. Viel zu gut.“

„Erzähl mir, worum wir gewettet haben.“ Er hatte heute keine Geduld für die Scherze seines Bruders. Eigentlich wollte er jetzt ins Bett gehen und bis zur Abendmahlzeit dort liegen bleiben.

Hamilton drohte ihm mit dem Finger. „Du kommst da nicht raus. Nicht dieses Mal. Denn wenn du das machst, dann … dann erzähle ich ihr, wie viele Jahre du schon nach ihr schmachtest. Nein, ich erzähle ihr von der Wette. Dann will sie nichts mehr mit dir zu tun haben.“

Es gab nur eine, die er damit meinen konnte. „Was hast du getan?“

„Nicht ich. Du wolltest das. Du hast mich herausgefordert“, wehrte Hamilton ab.

Camron brach nie Wetten vom Zaun … oder fast nie. Und er konnte keinen Rückzieher machen, wenn es seinem Bruder so todernst war. In Hamiltons Augen glitzerte zwar der Schalk, aber unter seinem herausfordernden Spott hörte man immer noch diesen nachdenklichen Ton.

„Bruder …“

„Schwör es mir.“ Hamiltons Augen hatten sich verengt. Jeder Spott war verflogen. „Schwöre, dass du die Wette ernst nimmst. Sag’s, oder ich werde dir jede Chance bei ihr ruinieren. Es hat jetzt lange genug gedauert. Wir haben keine Zeit mehr. Du hast den Rat des Clans gehört. Du weißt, was auf uns zukommt. Was auf jeden Schotten zukommt.“

„Sag mir endlich, was wir gewettet haben!“

„Du hast gewettet, dass du vor mir heiraten wirst.“

„Vor dir heiraten?“, wiederholte Camron. „Aber was …? Wen willst du denn heiraten?“

„Murdag. Ich heirate Murdag.“ Hamilton zeigte ein rasches Lächeln. „Das ist perfekt. Denn du hast geschworen, bevor wir wieder gehen müssen, heiratest du ihre Schwester …“

„Anna“, ergänzte Camron.

2. KAPITEL

„Fliegen! Ich will fliegen!“, rief Lachie und zog an Murdags Hand.

Ihre Schwester stöhnte.

„Du hättest gestern nicht so viel trinken sollen.“ Anna vom Clan Graham griff nach der anderen Hand ihres jüngeren Bruders.

Lachie – Lachlan – war viel jünger als sie beide. Er war erst zehn, während Anna schon sechsundzwanzig war. Murdag war mit ihren einundzwanzig Jahren die Mittlere. Lachie war das letzte Kind ihrer Mutter gewesen und für sie alle ganz besonders kostbar, da sie bei seiner Geburt gestorben war.

Nie würden sie erfahren, ob ihre Mutter noch etwas von dem verkrümmten linken Fuß ihres Sohnes mitbekommen hatte. Sie hatten ihn in Tücher und aus Ästen zurechtgeschnitzte Schienen eingebunden. Das half zwar ein wenig, aber er wurde doch nie so gerade wie sein rechter Fuß.

Lachies Temperament wurde dadurch jedoch nicht gebremst. Das geschah nur, wenn man seine Behinderung zur Sprache brachte und ihm ständig helfen wollte. Einige aus dem Clan taten das immer noch, obwohl die Schwestern schon viele Vier-Augen-Gespräche geführt und die Leute gebeten hatten, es nicht zu tun.

Rennen, fliegen. Rennen, fliegen. Lachie wurde langsam zu groß für dieses Spiel, aber so lange er darum bat, würden Anna und ihre Schwester es mit ihm spielen.

„Wie geht’s deinem Kopf?“, neckte sie diese nun.

„Besser als meinem Bauch.“ Murdag ließ ihren Bruder los, schüttelte ihre Hand aus und griff dann wieder nach Lachie. „Du hättest gestern Abend auch kommen sollen. Sie haben drei Feuer gemacht. Die meisten unserer Freunde sind wieder da. Seoc, die Zwillinge …“

„Ich fand es besser, zu Hause zu bleiben.“ Anna blickte demonstrativ auf ihren Bruder hinab.

„Vater ist früh nach Hause gekommen“, sagte Anna.

„Ich bin …“ Murdag stockte. „Warte mal. Er hat mir irgendetwas gesagt, das ich dir ausrichten soll.“

„Was denn?“ Anna wartete auf die Antwort. Als Murdag mit den Schultern zuckte, weil sie sich nicht mehr erinnerte, fügte sie hinzu: „Offensichtlich bist du nicht früh genug nach Hause gegangen.“

Murdag schnaubte. „Ich war zu Hause, bevor die anderen …“

„… nach Hause getorkelt sind, wolltest du sagen“, schoss Anna zurück und merkte, dass sie bitter klang.

Murdag hörte auf, ihren Bruder durch die Luft zu schwingen, und auch Anna blieb stehen. Lachie zog an ihnen beiden, aber sie bewegten sich nicht mehr. Trotzdem ließ er sie nicht los. Stattdessen lehnte er sich, sicher von ihren Händen gehalten, nach vorn und wieder zurück.

Anna warf ihrer Schwester einen vorsichtigen Blick zu. Sie würde sich entschuldigen müssen. Es hatte sie nicht gestört, mit Lachie zu Hause zu bleiben. Sie genoss die Zeit mit ihrem Bruder. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie ihn gern als Ausrede gebrauchte, um sich vom Rest des Clans fernzuhalten. Sie fühlte sich in solchen Situationen nicht mehr wohl. Nicht mehr so wie früher, als sie noch jünger gewesen war.

„Ich hoffe, es hat Spaß gemacht“, sagte sie in dem Versuch, ihre letzte Bemerkung abzuschwächen. „Ich mache mir nur Sorgen um dich.“

Murdag versuchte, Lachies Hand abzuschütteln. „Du musst dir etwas anderes einfallen lassen, Brüderchen. Mein Arm fällt gleich ab.“

Lachie umklammerte ihre Hand noch fester, bis Murdag ihn sanft in den Arm boxte.

„Au!“ Lachie lachte.

„Soll ich noch mal?“, fragte Murdag. „Oder gehst du von selbst?“

Lachie schüttelte Annas Hand ab und lief humpelnd davon.

Anna spürte einen Stich in ihrem Herzen, als sie sah, dass er nicht zu den Jungen lief, die mit Stöcken und Steinen spielten, sondern genau in die entgegengesetzte Richtung humpelte.

Als er kleiner gewesen war, hatten die Kinder alle miteinander gespielt. Doch dann waren sie größer geworden und irgendwann hatte Lachie nicht mehr mit ihnen mithalten können. Nun wurde ihr Bruder von den anderen meistens ignoriert. Sie fürchtete, dass sie ihn auch verspotteten, aber davon erzählte Lachie nie etwas. Doch sein Gesichtsausdruck war nicht mehr so fröhlich wie früher.

„Na?“, fragte Murdag. „Willst du wieder damit anfangen?“

Anna wusste, was – oder vielmehr wen – sie damit meinte: Alan vom Clan Maclean. Ein Mann, der viele Jahre der Freund ihres Freundes Seoc gewesen und vor drei Jahren in ihrem Dorf zu Besuch gekommen war. Gut aussehend und charmant war er wie ein Komet durch den Clan Graham gefegt. Und Anna hatte sich verliebt. Hals über Kopf. Bis über beide Ohren. Eine Zeit lang hatte sie über nichts anderes mehr sprechen können. Aber vor etwas mehr als einem Jahr hatte sie sich geschworen, seinen Namen nie wieder in den Mund zu nehmen.

„Ich meine ja nur … Wenn du betrunken bist und die Männer, die gerade nach Hause gekommen sind, das ausnutzen …“

Als sie sah, wie sich Murdags Gesichtsausdruck verdüsterte, wusste Anna, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Aber sie würde sich nicht entschuldigen. Sie hatte ihre Lektion mit Alan gelernt, und sie musste versuchen, ihre Schwester davor zu beschützen, etwas Ähnliches zu erleben.

„Du warnst mich vor jedem Mann, der auch nur in meine Richtung blickt“, erwiderte Murdag kühl.

„Ist das so schlimm?“, entgegnete ihre Schwester. „Ich hätte eine solche Warnung gut gebrauchen können.“

„Bei Fremden magst du ja recht haben.“ Murdag presste ihre Lippen zusammen. „Aber wem vom Clan Graham traust du nicht, Anna? Und warum schwirrst du ständig um Lachie herum? Du weißt, dass er seinen Stolz hat und sich nicht von seinem Fuß bremsen lassen will.“

„Wenn ich damals am Feuer auf ihn aufgepasst hätte, statt das June zu überlassen, wäre er vielleicht nicht hineingefallen und hätte sich verbrannt!“

„Das ist Jahre her. Jetzt ist er viel sicherer auf den Beinen.“

„Wirklich?“, erwiderte Anna. „Ich glaube, ich habe ihn gerade hinfallen sehen. Wenn ich …“

„Wenn, wenn, wenn!“, stöhnte Murdag gequält. „Es geht gar nicht um Lachie und seine Fähigkeiten, und das weißt du genau. Wir haben sogar versucht, ihm das Schwimmen beizubringen. Wann bekomme ich meine Schwester zurück? Ja, Alan vom Clan Maclean hat dich belogen. Er hat uns alle belogen. Aber du klammerst dich daran und benutzt es uns allen gegenüber wie eine Waffe. Manchmal frage ich mich, wer du überhaupt bist. Und du stößt Lachie immer weiter weg.“

Anna wollte sich nicht mit ihrer Schwester streiten. Es kam ihr vor, als hätten sie im letzten Jahr nichts anderes getan. Anna wusste, dass es ihre Schuld war; irgendwie konnte sie einfach nichts dagegen tun. Etwas in ihr konnte das, was geschehen war, nicht loslassen.

„Weißt du, Murdag …“

„Da seid ihr ja!“, rief eine männliche Stimme.

Anna warf einen Blick über ihre Schulter. Beileag, ihre Freundin, die in Murdags Alter war, kam schnellen Schrittes näher. Mit ihren langen Beinen brauchte sie für die gleiche Strecke nur halb so viel Zeit wie andere. Hamilton und Camron, die neben ihr gingen, konnten gut mithalten. Als Hamilton ihnen zuwinkte, winkte Anna lächelnd zurück.

Sie wusste schon, dass es Hamilton gewesen war, der hinter ihnen hergerufen hatte. Sie kannte nicht nur seine Stimme, die fast genauso klang wie die von Camron, sondern wusste auch, dass Camron, der andere Zwilling, der reserviertere von beiden war. Mit einundzwanzig waren die Zwillinge eher in Murdags Alter als in ihrem, aber sie waren auf ihre Art attraktiv. Es war eigentlich merkwürdig, dass sie noch niemandem versprochen waren.

Vielleicht würden sie gut zu ihrer Schwester oder zu Beileag passen? Für Anna war natürlich keiner von beiden etwas, und das hatte nicht nur damit zu tun, dass sie heute schon wieder ein graues Haar gefunden hatte.

Das Haar ihrer Mutter war auch früh grau geworden. Das hatte ihr Vater ihr erzählt. Aber das war gleichgültig. Es erinnerte sie nur daran, dass ihre Zeit vorbei war. Und nach der Erfahrung mit dem Mann, an den sie nicht mehr denken wollte, hatte sie ohnehin kein Interesse mehr an Verlobungen oder Küssen. Für Beileag hingegen …

Sie beobachtete, wie nah Camron neben Beileag herging. War da etwa etwas zwischen ihnen? Waren die Zwillinge deswegen mit ihrer Freundin unterwegs? Sie waren beinahe gleich groß; Beileag war hochgewachsen und gertenschlank, während Camron mit einer leichtfüßigen Anmut ausschritt, die sie bei einem Mann mit seiner Kraft immer wieder erstaunte.

Etwas nagte an ihrem Herzen, als sie die beiden zusammen sah. Wohl nur die Erinnerung an den Streit, den sie gerade mit Murdag gehabt hatte und der Vorwurf ihrer Schwester, dass sie sich im letzten Jahr verändert hatte. Doch was sie auch tat, sie würde nicht zulassen, dass die Vergangenheit ihre Freundschaften ruinierte.

Hamilton gesellte sich zu Murdag. „Wie geht’s dir heute, Murdag?“

„Ganz bestimmt besser als dir“, erwiderte Murdag.

Als ihre Schwester ihr einen kurzen Blick zuwarf, wusste Anna, dass ihr Gespräch vorläufig beendet war.

Hamilton lächelte sie gewinnend an. „Das klingt ja beinahe, als würdest du mir wünschen, nicht so fidel zu sein wie sonst, lass, aber tja, ich bin so gesund und munter wie immer.“

„Ist er nicht“, warf Camron ein. „Und er hat dir den ganzen Morgen die Schuld daran gegeben.“

„Mir?“ Murdag legte eine Hand auf ihre Brust. „Aber ihr wart doch beide einverstanden.“

„Einverstanden womit?“, erkundigte sich Anna.

Murdag machte wie im Scherz einen Schmollmund, aber ihre Augen verdunkelten sich, als sie ihre Schwester anblickte. „Kann sein, dass ich die Zwillinge zu einem Trinkspiel herausgefordert habe.“

„Sie ist sogar auf den großen Felsblock gestiegen.“ Beileag warf die Hände in die Luft.

Jemand musste sie also dort hochgehoben haben. Oder ihr Hinterteil war beim Klettern für alle sichtbar gewesen. „Du bist auf den Felsblock geklettert?“, wiederholte Anna.

„Wie hätten mich denn sonst alle hören sollen?“, begehrte Murdag auf.

Anna wollte ihr widersprechen, aber nicht vor allen anderen. Sie wusste, dass ihre Schwester immer verwegen sein und Risiken eingehen würde. Und die Zwillinge waren dafür bekannt, sich ständig miteinander zu messen, Wetten einzugehen und den Rest des Clans unter den Tisch zu trinken. „Keiner kann sie im Trinken schlagen.“

„Keiner schlägt mich“, sagte Camron.

„Ich glaube, du meinst mich“, lachte Hamilton.

Camron verdrehte die Augen. Dabei traf sein Blick den von Anna.

Wenn sie glaubte, dass er ihren Blick ein wenig länger festgehalten hatte, dann hatte sie sich das bestimmt nur eingebildet. Als Kind hatte Camron sie ständig angestarrt und alle hatten darüber geredet. Sie hatte es meistens niedlich gefunden, auch wenn sie sich sein Verhalten nicht erklären konnte. Doch als er älter wurde, hatte sie ihn immer seltener dabei ertappt, und während ihrer Zeit mit Alan hatte er ganz damit aufgehört.

Dass sie jetzt glaubte, er würde sie anschauen, konnte also nicht wirklich wahr sein, außer vielleicht, weil er ihre grauen Haare bemerkt hatte.

„Sie waren monatelang weg“, sagte Murdag. „Ich dachte, ich hätte vielleicht aufgeholt.“

„Keine Chance“, sagte Hamilton. „Aber es war unterhaltsam, dass du es versucht hast.“

„Unterhaltsam?“, erwiderte Murdag. „Ich habe gut mitgehalten, bis Camron Met vorgeschlagen hat!“

Camron gab einen erstickten Laut von sich. „Ich habe Seocs Met vorgeschlagen?“

Anna war genauso schockiert wie er. Camron mit den ruhigen, aufmerksamen braunen Augen hatte den Wettstreit weiter angekurbelt? Er war normalerweise derjenige, der Hamiltons Übermut und seine Folgen wieder ausglich.

Hamilton gab ihm einen Rippenstoß. „Alle wollten schlafen gehen, aber wir waren noch auf den Beinen. Du dachtest, der Met würde die Entscheidung bringen.“

„Nie wieder“, beteuerte Camron inbrünstig.

„Das sagst du jetzt“, lachte Hamilton.

Alle scherzten kameradschaftlich miteinander, verbunden durch die Erinnerungen des vergangenen Abends. In Annas Herzen gab es einen Stich, den sie zu ignorieren versuchte. Sicher war sie nur aufgebracht, weil sie sich mit ihrer Schwester gestritten hatte.

Sie hatte das Willkommensfest der Heimkehrer verpasst. Die alte Anna wäre mit ihrer Schwester mitgegangen. Vielleicht hätte sie sie vor ihren Eskapaden gewarnt, aber sie hätte sich unter die Leute gemischt.

Nur war sie nicht mehr die alte Anna. Sie war die ältere und klügere Anna, die sich von niemandem mehr zum Narren halten lassen würde. Und sie würde sich auch nicht mehr der Gnade ihrer ungehobelten Clansmitglieder ausliefern, die sie mit wissendem Grinsen und mitleidigen Augen betrachteten.

Außerdem war ihre Zeit für all das ohnehin vorbei. Ihre Freunde und ihre Schwester waren alle jünger als sie und sollten mittlerweile versprochen sein. Sie selbst würde sich um ihren Vater kümmern, wenn er älter wurde, und um Lachie, bis er erwachsen war, und alles würde seine geordneten Bahnen gehen. Sie musste nur das unruhige Gefühl des letzten Jahres loswerden.

„Oh!“ Murdag legte ihre Hand auf Annas Schulter. „Ich weiß wieder, was Vater dir sagen wollte.“

„Was hat Padrig denn nun schon wieder vor?“, erkundigte sich Hamilton.

Blieben seine Augen an ihrer Schwester hängen? Murdags Blick wanderte zu ihm und dann wieder zurück zu Anna. Aber der junge Mann blickte Murdag unverwandt an, und Camron stand immer noch dicht neben Beileag.

Durch ihre Ausbildung, das Abreiten der Ländereien und ihre Verhandlungen und Beziehungen mit den benachbarten Clans waren die Zwillinge in den letzten Jahren viel unterwegs gewesen. Wenn sie zurückkamen, waren sie jedes Mal ein wenig verändert. Jetzt waren sie wieder da, und vielleicht würde sich die Situation bald noch mehr ändern, als sie erwartet hatte. Sie konnte sich Hamilton und Murdag nicht zusammen vorstellen. Dazu waren sie sich zu ähnlich. Aber das hieß nicht, dass es nicht doch geschehen konnte.

Beileags und Camrons Arme hingen untätig herab, aber wenn man genau hinschaute, schien es, als würden sich ihre Handrücken beinahe berühren. Vielleicht gab es auch da Interesse.

Wieder bäumte sich die Unruhe in ihr auf. Und wieder zwang sie sie nieder.

„Hörst du überhaupt zu?“, wollte Murdag gereizt wissen.

Anna schüttelte ihre Gedanken ab. Sie war froh, dass Murdag überhaupt mit ihr sprach und sagte: „Ich bin ganz Ohr.“

„Cousine Ailis bekommt wieder ein Baby. Vater hat gesagt, dass unsere Mutter uns den Kopf abreißen würde, weil wir ihre Nichte immer noch nicht besucht haben. Und Tante Blair auch.“

Anna stöhnte. Die Mutter von Ailis vom Clan der Colquhouns war ihre Tante, und sie war genauso leidenschaftlich und entschlossen, wie ihre Mutter es gewesen war. Sie hätte schon früher daran denken sollen.

„Ich werde mitkommen“, sagte Hamilton. „Das ist ein recht langer Ritt. Ihr braucht eine Begleitung.“

Hamilton blickte wieder zu Murdag und schien zu erwarten, dass sie jeden Moment zustimmen würde. Währenddessen sah Beileag aus, als wäre sie gleichzeitig verwirrt und kurz davor, in Lachen auszubrechen, und Camron wirkte … verärgert.

Murdag blickte erstaunt drein. „Ailis braucht Anna und ihre Petersilienbrühe und was sie sonst noch so zusammenrührt, wenn es jemandem von uns nicht gut geht. Deswegen hat Vater gesagt, dass ich es ihr sagen soll. Ich hatte es nur vergessen. Ich werde nicht mitgehen.“

Eine lange Pause entstand, während der Anna erwartete, dass Hamilton lachen und stattdessen ihr seinen Begleitschutz anbieten würde. Zumindest hätte das der Anstand verlangt. Aber er tat es nicht.

Nun denn. Dann wusste sie ja, welche Rolle sie in diesem Freundeskreis spielte. Es war am besten so, sagte sie sich. Sie war älter als die anderen und ihr Ruf war durch einen Skandal beschmutzt worden. Vielleicht sollte sie einfach gehen. Angesichts des offensichtlichen Unbehagens zwischen ihr und allen anderen wäre das auf jeden Fall das Beste. 

„Wenn niemand von uns kommt, ist Tante Blair verärgert“, sagte sie. „Ich gehe und bereite alles vor.“

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