Liebesurlaub mit Folgen

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Kaum hebt das Flugzeug mit Kurs auf England ab, hat Lily bereits Sehnsucht nach Santiago. Die Nächte mit dem feurigen Spanier waren viel mehr als eine Urlaubsromanze: Er hat ihr gezeigt, wie erfüllend die Liebe sein kann und ihr mit seiner Zärtlichkeit das größte Geschenk gemacht! Als sie ihm einige Monate später erneut begegnet, sieht sie in seinen Blicken dasselbe Verlangen wie während ihres Urlaubs. Doch wird Santiago sie auch dann noch begehren, wenn Lily ihm eine schockierende Eröffnung macht?


  • Erscheinungstag 27.03.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773854
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Fast jeder würde wohl aufgeben, wenn er zehn Minuten lang erfolglos versucht hätte, einen anderen für etwas zu gewinnen. Nicht so Daniel Taylor, von dem einige Leute behaupteten, dass er das, was ihm an Gespür fehlte, durch Entschlossenheit ausglich.

Santiago Morais, dem ein ausgesprochen großes Gespür nachgesagt wurde, hörte dem jüngeren Mann geduldig zu, während dieser ihm erneut erklärte, warum es nicht nur notwendig sei, sondern seine Pflicht, ihm am Wochenende beizustehen. „Nein“, erwiderte er schließlich kategorisch, und in seinem markanten Gesicht war ein Anflug von Ärger zu sehen.

Dan war von der mangelnden Hilfsbereitschaft ein wenig überrascht. Santiago reagierte auf eine Weise, die er vor fünf Jahren von ihm erwartet hatte, als er in der Londoner Filiale von Morais International erschienen war und sich nur auf eine sehr entfernte Verwandtschaft zwischen den beiden Familien hatte berufen können. Damals hatte er damit gerechnet, dass sein Cousin ihn gleich wieder wegschicken würde. Auch hatte ihn fast der Mut verlassen, als er nach etlichen Schwierigkeiten endlich in das Büro von Santiago vorgedrungen war, der viel jünger und unnahbarer gewesen war, als er gedacht hatte.

Sein Cousin hatte ihn so finster und zynisch angesehen, dass er unwillkürlich seine sorgfältig zurechtgelegten Worte verworfen und einfach nur gesagt hatte: „Es ist absolut unbegründet, dass Sie mich einstellen sollten, weil meine Großtante einen entfernten Onkel Ihrer Mutter geheiratet hat. Ich besitze keine Qualifikationen und habe praktisch noch nichts im Leben beendet, was ich angefangen habe. Aber wenn Sie mir eine Chance geben, werden Sie es nicht bereuen. Ich werde mein Möglichstes tun und mehr. Ich muss etwas beweisen.“

„Sie müssen etwas beweisen?“

Dan zuckte beim Klang der tiefen Stimme zusammen. „Ich bin kein Verlierer.“

Santiago stand vom Schreibtisch auf und wirkte nur noch einschüchternder, denn er war enorm groß und zudem sehr athletisch gebaut. Stumm betrachtete er Dan, der sich immer unwohler fühlte.

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie belästigt habe …“ Er wandte sich um.

„Montag, acht Uhr dreißig.“

„Was haben Sie gesagt?“ Er drehte sich wieder um.

„Wenn Sie einen Job wollen, seien Sie am Montag um acht Uhr dreißig hier.“

Dan setzte sich auf den nächstbesten Stuhl. „Sie werden es nicht bereuen.“

Und er hatte sein Versprechen gehalten und sich hervorragend bewährt. Zwischen ihnen beiden hatte sich sogar eine Freundschaft entwickelt, die auch nicht zerbrochen war, als er vor zwei Jahren Morais International verlassen und sich selbstständig gemacht hatte.

Ein wenig gekränkt blickte er jetzt zu seinem spanischen Cousin hin. Dieser legte gerade eine Akte beiseite, in der er gelesen hatte, um etwas in seiner Muttersprache, neben der er noch vier weitere Sprachen beherrschte, auf Band zu diktieren.

„Ich finde dich ziemlich herzlos.“

„Wenn du mit herzlos meinst, dass ich mich am Wochenende nicht um eine dicke, langweilige und psychisch labile Frau kümmern will – ich zitiere hier deine Worte –, damit du deine Rebecca für dich hast …, dann bin ich in der Tat herzlos.“

„Sie heißt Rachel, und ihre Freundin ist nicht wirklich psychisch labil. Sie hatte wohl einen kleinen Nervenzusammenbruch, durchlebt zurzeit eine schwierige Phase.“

„Dennoch lautet meine Antwort Nein.“

„Würdest du Rachel kennen, wärst du nicht so herzlos.“

„Ist deine Rachel hübsch?“

„Sehr und sieh mich nicht so an. Sie ist keine flüchtige Affäre, sondern die einzig richtige Frau für mich“, antwortete Dan und blickte seinen Cousin entrüstet an, als dieser ihn zynisch anlächelte. „Ich hätte dich für mitfühlender gehalten angesichts …“

Santiago gab den Versuch auf weiterzuarbeiten und strich sich das dichte schwarze Haar aus der Stirn. „Angesichts?“

„Wirst du nicht heiraten?“

„Irgendwann wird es wohl unvermeidlich sein.“ Welche Ironie, dass ausgerechnet er den Familiennamen bewahren sollte!

„Wirst du nicht die heiße kleine Sängerin heiraten, mit der du immer fotografiert wirst?“

„Diese heiße kleine Sängerin hat einen Agenten mit reger Fantasie. Susie ist nicht in mich verliebt.“

„Dann ist es also …“

„Nichts, was dich angeht.“

„Na schön, aber ich finde dich trotzdem sehr uneinsichtig. Ich bitte dich lediglich, das Wochenende in einem netten Cottage zu verbringen, und nicht etwa, Knochenmark zu spenden.“ Dan nahm ein Foto aus der Brieftasche und reichte es ihm. „Ist Rachel nicht hinreißend? Und dass sie ein wenig älter ist als ich, gefällt mir.“

Santiago seufzte und betrachtete pflichtschuldigst das etwas unscharfe Bild einer großen Blondine, die sich von vielen anderen nicht zu unterscheiden schien. „Ja, sie ist sehr …“ Er schwieg unvermittelt und wurde immer blasser, während er eingehend die Person studierte, die von Dans Freundin halb verdeckt wurde.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte dieser besorgt, denn er erinnerte sich an Santiagos Vater, der im Alter von fünfundfünfzig Jahren einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte. Vielleicht hatte sein Cousin nicht nur das Aussehen von ihm geerbt, sondern auch noch andere Anlagen.

„Ich bin völlig okay.“ Santiago hatte nicht die Absicht, ihm zu offenbaren, dass ihm die zweite Frau auf dem Foto nicht fremd war. „Ist das die Freundin, die am Wochenende da sein wird?“, erkundigte er sich wie nebenbei und deutete auf die Gestalt im Hintergrund.

„Ja, das ist Lily.“ Dan klang wenig begeistert. „Sie wohnt seit drei Wochen bei Rachel. Die beiden kennen sich schon eine Ewigkeit. Ich habe Rachel nie mehr für mich allein, seit sie bei ihr ist. Und sie hat wohl nicht viel für Männer übrig … Mich mag sie jedenfalls eindeutig nicht. Wahrscheinlich ist sie so sonderbar geworden, weil ihr Ehemann sich von ihr getrennt hat.“

„Ihr Ehemann hat sie verlassen?“

Dan nickte. „Ich weiß keine Einzelheiten, doch hat sie vermutlich deshalb ihr Gleichgewicht verloren.“

„Sind sie geschieden?“

„Wie ich schon gesagt habe, weiß ich keine Einzelheiten. Ich hatte einen Kollegen gebeten, sich um sie zu kümmern und sie uns etwas fernzuhalten, nur ist er jetzt ausgerechnet an Mumps erkrankt.“

„Wie rücksichtslos von ihm“, erwiderte Santiago leise, während er intensiv nachdachte.

„Ich behaupte ja nicht, dass er es extra getan hat, aber ich habe dieses Wochenende verdammt noch mal seit Langem geplant, eben seit ich den Ring gekauft habe.“

„Du willst ihr einen Heiratsantrag machen?“, fragte Santiago und hoffte, dass Rachel kein Miststück war. Ihre Freundschaft mit Lily sprach nicht unbedingt für sie.

„Sechs Jahre sind kein großer Altersunterschied.“

„Nein“, bestätigte Santiago gehorsam und amüsierte sich, dass sein jüngerer Cousin sich wegen einer solchen Nebensächlichkeit sorgte. „Das ändert die Sachlage.“

„Ja?“, meinte Dan vorsichtig.

„Da ich selbst ein Romantiker bin …“

„Seit wann?“

„… werde ich kommen und diese … Lily beschäftigen.“

Dan war ihm so dankbar, dass Santiago zehn Minuten brauchte, bis er ihn endlich verabschiedet hatte. Sobald er allein war, nahm er das Foto heraus, das er heimlich in die Tasche geschoben hatte, und legte es vor sich auf den Schreibtisch. Angestrengt betrachtete er es, während sich seine auffallend ebenmäßigen Gesichtszüge verhärteten. Diese Ebenmäßigkeit faszinierte viele. Doch immer, wenn sie mit seiner Abstammung aus einem alten Adelsgeschlecht erklärt wurde, konnte er seine Belustigung nur schwer unterdrücken.

Lilys Haare wirkten auf dem Bild dunkel, aber er wusste, dass sie einen herrlichen Braunton hatten und von Goldblond bis Rotbraun schimmerten. Das herzförmige Gesicht – das schmaler geworden zu sein schien –, die großen blauen Augen und der weiche, verlockende Mund ließen nicht erahnen, dass sie eine Frau war, die mit jedem schlief.

Sie hatte ihn zum Narren gehalten.

Und doch hatte er noch Glück gehabt, wie er sich in den vergangenen Monaten oft klar gemacht hatte. Denn er war nicht mit der gefühllosen Betrügerin verheiratet, sondern jemand anderes. Jener Mann genoss es, von ihr atemberaubend geküsst zu werden, ihre nach Rosen und Vanille duftende samtige Haut zu berühren, seinen Kopf nachts auf ihre wunderbaren Brüste zu betten und morgens in ihren Armen aufzuwachen.

Ein anderer Mann hört sich ihre Lügen an, nicht du, ermahnte er sich wie schon so häufig zuvor. Aber auch jetzt stimmte ihn der Gedanke nicht froh, dass er noch einmal davongekommen war.

Im nächsten Moment fiel ihm wieder ein, was Dan erzählt hatte, und ihm wurde bewusst, dass sich zurzeit vielleicht niemand an Lilys umwerfend weiblichem Körper erfreute. Allerdings würde sich dies sicher bald ändern, dafür war sie einfach viel zu sinnlich.

Santiago blickte auf seine zu Fäusten geballten Hände und bewegte Kopf und Schultern leicht hin und her, um die verspannten Muskeln zu lockern. Du bist über diese Frau hinweg, dachte er, es ist nur die Erinnerung an deine sträfliche Leichtgläubigkeit, die dich quält und daran hindert, das Leben wieder voll zu genießen.

Ja, um sein Gleichgewicht endgültig zurückzugewinnen, musste er sich seinem Problem stellen und es bewältigen. Damit abschließen, nannten es die Psychologen, doch für ihn persönlich hieß es, danach zu trachten, dass Lily das erhielt, was sie verdiente. Und dank Dan bot sich ihm nun die Gelegenheit dazu.

Wie konnte er sich das, was er von seinem Cousin erfahren hatte, zunutze machen? Anscheinend ging es Lily gerade ziemlich schlecht. Santiago spürte, wie bei dem Gedanken an ihre Verletzbarkeit sein Beschützerinstinkt erwachte, und unterdrückte ihn energisch. Vielleicht war sie jetzt an der Reihe, etwas davon zu ernten, was sie gesät hatte. Er lächelte grimmig. Oder war ihr „Nervenzusammenbruch“ eventuell Teil eines raffinierten Plans? Bei ihr war alles möglich!

Nein, er brauchte sich nichts zu beweisen, doch tat es bestimmt gut, sich zu bestätigen, was er bereits wusste – nämlich, dass er über sie hinweg war.

„Du hast geweint.“

Lily zuckte in ihrem Sessel zusammen. Sie hatte geglaubt, noch allein zu sein, und zog verstohlen die Nase hoch, bevor sie aufblickte. „Nein.“ Sie lächelte ihre Freundin an. „Es ist der verflixte Heuschnupfen.“

„Du hast noch nie Heuschnupfen gehabt.“ Achtlos stellte Rachel die Designerhandtasche auf den Boden und streifte sich mit einem Seufzer der Erleichterung die hochhackigen Schuhe ab, während Lily sich herausfordernd schnäuzte.

„Nun habe ich ihn eben.“

Rachel stöhnte theatralisch auf. „Wenn du es sagst.“ Nacheinander rieb sie die schmerzenden Füße an den schlanken Waden. „Was unternehmen wir heute Abend?“

„Ich möchte mich gern früh schlafen legen.“

„Das hast du schon die ganze letzte Woche gemacht.“ Kritisch betrachtete sie die jüngere Freundin und warf im Geist deren Pulli weg, der selbst für eine Altkleidersammlung nicht mehr geeignet war. Am liebsten hätte sie ihn durch ein ausgeschnittenes rauchblaues Oberteil ersetzt, das Lilys wunderschöne Augen herrlich unterstreichen würde. „Es wird allmählich Zeit, dass du wieder zu leben anfängst. Das würde uns beiden gut tun.“

Schuldbewusst bemerkte Lily zum ersten Mal die dunklen Ränder unter Rachels Augen. „War es ein schlimmer Tag?“

„Zuweilen frage ich mich, was mich dazu getrieben hat, Wirtschaftsprüferin zu werden.“

„Vielleicht das sechsstellige Einkommen?“

Rachel lächelte. „Ich erhalte es, weil ich ausgezeichnet bin. Und wie sexy Zahlen sind, werde ich bestimmt niemandem erklären, der sogar mit Taschenrechner noch falsch addiert. Was den heutigen Abend angeht … Dan hat einen wirklich netten Kumpel, der ledig und nicht arm ist. Er ist zugegebenermaßen kein Brad Pitt, aber …“

„Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen?“

„Eigentlich wollte ich sagen, ‚aber wer ist das schon‘“, antwortete Rachel mit gespielt ernster Miene. „Doch da du es ansprichst … Frauen, die ihr Äußeres nicht regelmäßig pflegen, müssen realistisch sein. Allerdings hast du in Anbetracht der Tatsache, dass du deinem Gesicht bloß Wasser und Seife gönnst, einen unverschämt tollen Teint“, fügte sie neidvoll hinzu. „Eine leichte Tönungscreme würde deine Sommersprossen völlig überdecken. Obwohl manche Männer Sommersprossen mögen. Soll ich Dan anrufen und …“

Ja, sie kannte einen Mann, dem ihre Sommersprossen gefallen hatten. Nur würde er wohl diese inzwischen, wie alles an ihr auch, widerwärtig finden. „Nein!“, protestierte sie energisch und fuhr sanftmütiger fort, als Rachel erstaunt die Brauen hochzog: „Ich weiß es ehrlich zu schätzen, was du zu tun versuchst. Aber offen gestanden ist ein Mann jetzt das Letzte, was ich brauche.“

„Brauchen und wollen sind nicht immer das Gleiche.“

„Dieses Mal schon“, meinte Lily leise.

„Was hast du vor? Ein Keuschheitsgelübde ablegen?“

„Ich glaube, ich sollte allmählich nach Hause zurückkehren.“ Doch wie lange würde es noch ihr Zuhause sein? Dem Makler zufolge interessierte sich ein Ehepaar für das Objekt, was an ein Wunder grenzte, wenn man bedachte, wie der Besichtigungstermin vor drei Wochen verlaufen war.

Als Lily die beiden gerade von Zimmer zu Zimmer geführt hatte, war Rachel unerwartet aufgetaucht. Nach einem Blick in Lilys Gesicht hatte sie den überraschten Leuten ruhig erklärt, dass sie an einem anderen Tag wiederkommen sollten, und sie mit höflicher Bestimmtheit nach draußen begleitet. Danach hatte sie für die Freundin eine Tasche gepackt und eine Nachbarin gebeten, die Blumen zu gießen. Sie, Lily, hatte bloß teilnahmslos dagesessen und das Geschehen beobachtet und war schließlich mit Rachel weggefahren.

Ja, der Tapetenwechsel hatte gut getan, denn sie fühlte sich inzwischen etwas stärker … nicht mehr so losgelöst von allem. Nur war sie nicht sicher, ob sie darüber froh sein sollte. Sich wieder mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, war qualvoll. Man musste über unangenehme Dinge nachdenken und Entscheidungen treffen. Während der letzten Monate hatte sie sich einfach treiben lassen. Sie hatte sich noch nicht einmal um eine neue Wohnung gekümmert, hatte nichts getan, außer alles zu unterschreiben, was Gordons Anwalt ihr zugesandt hatte.

Es ist zweifellos an der Zeit, wieder auf eigenen Füßen zu stehen, dachte sie, als Rachel protestierte.

„Du kannst noch nicht nach Hause zurückkehren. Ich habe einiges geplant.“

Lily runzelte die Stirn und wünschte sich, ihre Freundin wäre nicht mit solchem Feuereifer in die Rolle der Freizeitgestalterin geschlüpft. „Einiges?“

Rachel ignorierte die Frage. „Große Güte, diese Schuhe sind mörderisch“, schimpfte sie, während sie die hochhackigen Sandaletten mit den schwarzen und pinkfarbenen Riemchen ordentlich nebeneinanderstellte.

„Dann zieh sie nicht an.“ Auch sie, Lily, hatte viel für Mode übrig, machte sich allerdings weniger als Rachel zu deren Sklavin.

„Das ist nicht dein Ernst! Sie lassen meine Beine umwerfend aussehen.“

„Deine Beine würden sogar in Gummistiefeln umwerfend aussehen.“

„Ja, nicht wahr, das würden sie.“

Lily lächelte flüchtig. Die selbstgefällige Eitelkeit ihrer Freundin fand sie irgendwie liebenswert.

„Genug der Rede von meinen Beinen.“ Rachel strich sich über den kurzen Sommerrock und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Lily zu, die sie argwöhnisch anblickte – wie immer, wenn die Unterhaltung persönlich zu werden drohte.

Warum war die Freundin bloß so verschlossen? Wäre sie wie diese durch die Hölle gegangen, würde sie sich nur zu gern jemandem anvertrauen. Doch all ihre Versuche, Lily dazu zu bewegen, waren kläglich gescheitert.

„Glaubst du nicht, dass du dich viel besser fühlen würdest, wenn du darüber sprechen würdest?“

Sie wussten beide, was mit „darüber“, gemeint war: Lilys gerade erfolgte Scheidung und die Fehlgeburt, die sie vor einigen Monaten erlitten hatte.

2. KAPITEL

Einen flüchtigen Moment lang spürte Lily den Drang, der Freundin alles zu erzählen, aber dann war dieser auch schon wieder vorbei.

Rachel kannte noch nicht einmal die halbe Geschichte, und die Wahrheit war so schockierend, dass sie, Lily, nicht sicher war, wie selbst ihre tolerante Freundin darauf reagieren würde. Außerdem war es schwer, mit lebenslangen Gewohnheiten zu brechen. Und über Gemütsregungen zu reden, dazu war sie in ihrer Kindheit nicht gerade ermutigt worden.

„Keiner bekommt gern etwas vorgejammert“, hatte ihre Großmutter ungeduldig erklärt, wenn sie Gefühle gezeigt hatte. Und so hatte sie gelernt, nicht zu klagen und nur hinter verschlossenen Türen zu weinen.

„Es gibt nichts, worüber ich sprechen sollte.“

„Niemand kann sich ständig beherrschen, und alles in sich hineinzufressen verursacht nur ein Magengeschwür.“

„Mein Magen ist völlig in Ordnung.“ Unwillkürlich legte sie die Hand auf ihren Bauch und stellte erstaunt fest, dass er ziemlich flach geworden war und sie auch von ihren ungeliebten, zu üppigen Rundungen einiges verloren hatte.

Sogleich wurden bittersüße Erinnerungen in ihr wach. Sie sah wieder Santiagos markantes Gesicht vor sich und den glühenden Ausdruck in den faszinierenden Augen, während er sich sexy lächelnd zu ihr beugte und sie fest an sich zog. Im Geiste hörte sie ihn rau sagen: „Eine Frau sollte weich und weiblich sein und nicht dürr und knochig.“

Ganze zwölf Monate waren seit jenem ersten leidenschaftlichen Kuss nun schon vergangen. Dennoch konnte sie nicht ohne Herzklopfen daran zurückdenken, was sie als schrecklich demütigend empfand.

„Lily?“, fragte Rachel leicht ungeduldig und riss sie aus ihren Gedanken.

„Entschuldige, ich …“ Ja, sie benahm sich mitleiderregend und sollte endlich begreifen, dass er sie nie geliebt hatte.

„Du warst abwesend.“ Forschend betrachtete sie Lilys gerötetes Gesicht. „Du wirkst ein bisschen …“

„Ich bin völlig okay.“ Sie rang sich ein Lächeln ab.

„Was du jetzt brauchst, ist ein edler Tropfen Wein. Warte, ich hole uns einen.“ Sie wandte sich zur Küche und kehrte wenig später mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück. „Einen Abend zu Hause zu verbringen, damit kann ich leben.“ Sie schenkte ihnen ein, setzte sich aufs Sofa und begann, die Zeitung durchzublättern, die auf dem Tisch lag. „Vielleicht gibt es etwas Nettes im Fernsehen.“ Unvermittelt hielt sie inne. „Du meine Güte, was für ein Wahnsinnsmann.“ Sie lächelte lüstern.

„Ich war der Meinung, du wärst in deinen wunderbaren Dan verliebt?“ Lily lachte.

„Das bin ich auch, nur bin ich deshalb nicht blind. Schau dir mal diesen Mund an und erst die Augen …“

Lily beugte sich vor und erstarrte innerlich, als sie das halbseitige Foto von Santiago erblickte. Er lächelte nicht, sondern machte eine ernste Miene, und obwohl die Schwarz-Weiß-Aufnahme seiner ungeheuer sexy und faszinierenden Ausstrahlung nicht gerecht wurde, zeigte sie ihn doch als enorm attraktiven Mann.

Jetzt reiß dich zusammen, ermahnte sie sich und räusperte sich. „Ja, er ist nicht ohne.“

„Er ist nicht ohne? Er ist umwerfend atemberaubend. Dieser Mann“, Rachel tippte auf das Bild, „sieht nicht nur so aus, als könnte er herrlich unanständig im Bett sein …“

Nie wieder werde ich mich über ihre Ahnungen mokieren, dachte Lily. Sie presste die Hände auf den Magen, der sich schmerzhaft zusammenkrampfte, während sie sich daran erinnerte, welch ein stürmischer und zugleich zärtlicher Liebhaber Santiago war.

„… er ist zudem ein echtes Finanzgenie. Sein Name ist Santiago Morais.“ Rachel runzelte die Stirn. „Er ist Italiener oder …“

„Er ist Spanier“, sagte Lily leise.

„Ja, richtig. Aber seit wann liest du den Wirtschaftsteil?“

„Man schreibt auch in den Klatschspalten über ihn“, antwortete sie und versuchte, nicht bitter zu klingen. Erst kürzlich war auf der Gesellschaftsseite ein Foto von ihm und dem Popstar Susie Sebastian veröffentlicht worden, auf dem diese ihren sinnlichen Schmollmund seinen begehrlich geöffneten Lippen entgegengehalten hatte.

„Das erstaunt mich nicht. Ich glaube, ich werde meinen nächsten Urlaub in Spanien verbringen. Wer weiß, möglicherweise begegnet mir ja Mr Umwerfend. Und dann entführt er mich in sein Bett und liebt mich mit glühender Leidenschaft.“

Lily senkte die Lider und sah vor ihrem geistigen Auge einen wunderbar muskulösen Körper, der in dem zum Fenster hereinfallenden Sonnenlicht goldbraun glänzte. „Fünf Tage lang?“

Amüsiert blickte Rachel sie an. „Hey, hab deine eigenen Fantasien!“, protestierte sie und lachte, als die Freundin errötete. „Oha, da tun sich versteckte Abgründe auf.“

Von denen du keine Ahnung hast, dachte Lily.

Als sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte sie eine Weile gemeint, dass sie nie mehr etwas empfinden könnte. Und vielleicht wäre es gar nicht das Schlechteste gewesen! Wann würde je wieder alles normal sein und sie weiter als Bibliothekarin in einer Kleinstadt an der Küste von Devon arbeiten?

Wie würde ihr Leben wohl heute sein, wenn sie an jenem Morgen vor etwa einem Jahr nicht zum Pool hinuntergegangen wäre? Es war eine belanglose Entscheidung gewesen, jedoch mit gravierenden Folgen.

Nach einer schlaflosen Nacht allein in der Hochzeitssuite eines spanischen Fünfsternehotels war es ihr keineswegs unheilvoll oder bedeutsam erschienen, als sie beim Aufstehen beschlossen hatte, einige Runden zu schwimmen, um wieder frei im Kopf zu werden.

Es wäre sicher etwas anderes gewesen, hätten die Gedanken, die sie wach gehalten hatten, ihrem abwesenden Ehemann gegolten. Dem Mann, der ihre Anrufe ignorierte und ihr am Morgen zuvor am Flughafen mitgeteilt hatte, dass sie nicht gemeinsam in die Ferien fahren konnten, weil das Problem am Arbeitsplatz sich zu einer Krise ausgeweitet hätte.

In dem festen Willen, das Beste aus ihrem Urlaub zu machen, hatte sie sich noch für den gleichen Tag zu einem Ausflug nach Baeza angemeldet. In der andalusischen Stadt aus der Renaissancezeit war sie dann überraschend auf Matt, einen Kollegen von Gordon und dessen Frau gestoßen, der sich nach dem ersten Hallo erwartungsvoll umgesehen hatte.

„Ist Gordon nicht mit dir hier?“

„Nein, er ist leider zu beschäftigt.“

„Das erstaunt mich nicht. Bestimmt steckt er bis über die Ohren in seinem neuen Projekt. Ich konnte es nicht glauben, als ich erfuhr, dass er gekündigt hatte. Offen gestanden hatte ich angenommen, dass er genauso wie ich für immer zum Inventar der Behörde gehören würde.“

Wundersamerweise gelang es Lily, weiter zu lächeln. „Ich ebenfalls, Matt.“

„Und er war ein sicherer Kandidat für die Beförderung.“

„Ja, er hat es mir erzählt.“ Allerdings viele andere Dinge nicht, wie es schien.

„Dennoch hat er das Richtige getan. Man muss zuweilen ein Risiko eingehen.“ Er ließ den Blick über den Parkplatz schweifen. „Ist das deine Reisegruppe, die dort drüben in den Bus einsteigt?“

Sie nickte. „Ich muss los. Es war schön, euch getroffen zu haben.“

„Grüß Gordon von uns!“, rief Matt ihr fröhlich hinterher, nicht ahnend, dass er mit wenigen Worten ihre Ehe zu einem einzigen Witz erklärt hatte. „Und sag ihm, dass wir ihm alles Glück der Welt wünschen!“

Das wird er auch brauchen, wenn ich ihn zu fassen kriege, dachte sie. „Ja, das mache ich.“

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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