Liebling, heut verführ ich dich

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Ein heißer Kuss der süße Erinnerungen weckt! Genau wie damals in der Highschool liegt Dana in Sams Armen. Viele Jahre sind seitdem vergangen, aber das Begehren brennt erneut zwischen ihnen. Dass Sam damit beauftragt wurde, sie zu beschützen und in ihr Haus zu ziehen, kommt ihr sehr entgegen. Doch jedes Mal, bevor die Zärtlichkeiten intensiver werden, zieht sich Sam zurück. Glaubt er, dass sie, die bekannte Politikerin, und er, der Personenschützer, nicht zusammenpassen? Nach einem romantischen Abendessen in ihrer Luxusvilla ergreift Dana die Initiative: In dieser Nacht soll Sam endlich ihr Geliebter werden ...


  • Erscheinungstag 15.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747282
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Fünfzehn Jahre war es her, dass Sam Remington sein Abschlusszeugnis an der High School erhalten hatte. Eine Stunde vor der feierlichen Verleihung hatte er seine paar Habseligkeiten in drei Einkaufstüten gestopft und sie auf den Rücksitz seines ölfressenden Pacers, Baujahr 1977, geworfen. Fünf Minuten nach Ende der Zeremonie knatterte der Auspuff die Abschiedsmelodie, mit der Sam aus der Stadt verschwand.

Heute kehrte er mit einem nagelneuen schwarzen Mercedes zurück. Bar bezahlt. Aber Sam war nicht gekommen, um mit seinem Erfolg zu prahlen. Er hatte den Tag für die Rückkehr in seine Heimatstadt bewusst gewählt. Natürlich hätte er auch an jedem anderen Tag kommen können. Vielleicht wäre das sogar besser gewesen. Doch mit der Nachricht vom Klassentreffen stand das Datum fest. Viel zu lange hatte er damit gewartet, reinen Tisch zu machen. Zwei Menschen wollte er sehen. Von dem einen kam er gerade. Jetzt war er auf dem Weg zu dem anderen.

Sam manövrierte den Wagen durch die kurvenreichen Straßen von Miner’s Camp, einer kleinen Ortschaft am Fuß der Sierra Nevada in Nordkalifornien. Er schaute stur geradeaus, als er die Abfahrt passierte, die zu seinem Elternhaus führte – dem Haus, aus dem er geflohen war. Dennoch konnte er es nicht verhindern, dass der ungewöhnlich kühle Augustabend ihn in die Abende seiner Kindheit zurückversetzte. Abende, an denen er ruhelos durch die Gegend gestreift war auf der Suche nach etwas, das er nie gefunden hatte.

Er verdrängte die düsteren Erinnerungen und steuerte auf das Restaurant Elks Lodge zu. Der Parkplatz war fast voll, die Zaunpfähle mit roten und goldfarbenen Luftballons geschmückt, den Farben der Prospector High School. Langsam brachte er das Auto zum Stehen. Der Kies knirschte unter den schweren Rädern. Die Party war bereits in vollem Gange. Gelächter drang durch die geöffneten Türen und Fenster nach draußen, während Madonnas Achtziger-Jahre-Hit „Like a Virgin“ erklang.

Es war nicht so, dass Sam von nostalgischen Gefühlen überwältigt wurde. Dennoch, es gab da eine Person, die er wiedersehen wollte. Eine einzige. Er war sicher, dass sie dabei sein würde. Dana Cleary. Nein, Dana Sterling, verbesserte er sich. Sie trug den Namen ihres Mannes. Dann würde er das Buch seiner Vergangenheit für immer schließen können.

Sam atmete tief durch, stellte den Motor ab und stieg aus dem Wagen. Er hatte schon einiges durchgemacht, lebensgefährliche Situationen überstanden. Solche Herausforderungen liebte er, berauschte sich an den Risiken und sonnte sich in seinen Erfolgen. Normalerweise konnte er mit den Adrenalinschüben umgehen, aber der Gedanke, Dana wiederzusehen, erregte ihn auf eine Weise, die er nicht kontrollieren konnte.

Er näherte sich dem Gebäude, blieb jedoch vor dem Eingang kurz stehen, um sich zu sammeln. Durch eine geöffnete Tür bemerkte er noch mehr Luftballons und eine Lichtorgel, die den Saal in einen flirrenden Sternenregen tauchte. Erinnerungen an seine Schulzeit und an ein anderes Tanzfest stiegen in ihm auf: heimliche Blicke durchs Fenster, Musik und Lachen, eine unendlich starke Sehnsucht …

Im Jahr darauf hatte er Dana zum Ball geführt, doch nähergekommen waren sie sich dadurch nicht.

Fünfzehn Jahre später sollte das keine Bedeutung mehr haben. Sam betrat den Saal, als der DJ gerade eine Pause machte. Dafür sprang Candi James auf die Bühne und ergriff das Mikrofon. Mit der gleichen aufgekratzten Fröhlichkeit, die schon während der High-School-Zeit typisch für sie war, verlas sie von einer langen Liste so bemerkenswerte Informationen wie, wer die meisten Kinder hatte, wer am weitesten entfernt wohnte und so weiter.

Während aller Augen auf Candi gerichtet waren, bewegte sich Sam am Rande der Menge. Er stockte, als er Dana entdeckte, und nahm sich Zeit, sie zu betrachten. Sie war etwas größer als der Durchschnitt, eher schmal statt kurvig, ihr Haar weder blond noch brünett, sondern ein honigfarbener Mix aus beidem, jetzt schulterlang und nicht mehr wie früher, als es verlockend bis zur Taille reichte. Von seinem Standort aus konnte er ihre Augen nicht sehen, aber er wusste, dass sie glänzten – pechschwarze Augen, die ihn seit der Grundschule herausgefordert hatten.

Sie hatte ein hochgeschlossenes blaues Designerkleid und flache Schuhe an, unaufdringlich, schlicht und elegant, wie es zu ihrer Position passte – und lange nicht so aufregend wie das pinkfarbene Kleid, das sie auf dem Abschlussball getragen hatte.

„Und schließlich“, sagte Candi, während sie ihren Zettel zusammenfaltete, „unsere drei Mega-Erfolgsstorys. Harley Bonner, dem die achtgrößte Ranch im Staat Kalifornien gehört.“

Beifälliger Applaus. Sam dagegen gefror das Blut in den Adern. Wenn er ein rachsüchtiger Charakter wäre …

„Lilith Perry Paul, deren Radio-Talkshow jetzt im gesamten Land ausgestrahlt wird.“ Noch mehr Beifall und Jubelrufe. „Und Senator Dana Cleary Sterling. Dana, wir sind so stolz auf dich. Auf weitere sechs Jahre!“

So, dachte Sam, damit haben die Spekulationen ein Ende. Sie hat eine Entscheidung getroffen.

Sam beobachtete, wie Gratulanten Dana umringten. Dennoch schien ihr diese Aufmerksamkeit erstaunlicherweise unangenehm zu sein. Eine unsichtbare Barriere hielt die Menschen auf Distanz. Sie umfasste ihr Weinglas mit beiden Händen, ein stummes Signal: kein Händeschütteln, bitte. Keine Umarmungen. Nur ihre Freundin Lilith kam dicht genug heran, um sie mit dem Arm anzustoßen, und auch das dauerte nur eine Sekunde.

Danas Veränderung überraschte ihn. Wodurch war sie so reserviert geworden? Wann hatte sie die Freude am Leben verloren? Damals hatte sie die Menschen mit ihrer übersprudelnden Herzlichkeit berührt. Sie war zwar kein Cheerleader gewesen, aber so ziemlich alles andere, inklusive Vorsitzende der Schülervertretung. Er hatte immer bewundert, wie sie Schule, Sport und andere Aktivitäten außerhalb des Stundenplans unter einen Hut bekam.

Die Musik setzte wieder ein, Sting mit „Every Breath You Take“. Sam bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Nebenbei schnappte er Bemerkungen über sein Erscheinen auf.

„Wer …?“

„Ich glaube, das ist Sam Remington.“

„Was? Aber er ist so …“

„Umwerfend. Das kann nicht Sam sein. So gut angezogen.“

„Er hat sich ohne Zweifel herausgemacht.“

Sam verlangsamte seinen Schritt nicht. Als er es dann doch tat, verstummte das Gemurmel. Unverhohlene Freude breitete sich auf Danas Gesicht aus, was ihn wunderte. Der Frust, den er jahrelang mit sich herumgetragen hatte, löste sich in Nichts auf, und übrig blieb nur, was gut zwischen ihnen gewesen war.

Er streckte die Hand nach ihr aus, durchbrach die unsichtbare Barriere. Dann wartete er ab. Den nächsten Schritt musste sie tun.

Wenn es nicht wegen seiner unverwechselbaren türkisblauen Augen gewesen wäre, hätte Dana Sam nicht erkannt. Nichts erinnerte mehr an den schlaksigen Jungen von damals. An seiner Stelle stand ein Mann, der Aufmerksamkeit erzwang, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Sie hatte auf den bisherigen Treffen zum fünften und zehnten Jahrestag ihres Schulabschlusses insgeheim gehofft, er würde erscheinen. Vergebens. Ihm jetzt so plötzlich gegenüberzustehen verschlug ihr die Sprache.

Er sah gefährlich aus. In den schwarzen Jeans und der Lederjacke strahlte er ungeheure Selbstsicherheit aus. An einem Abend, an dem niemand ihr nahegekommen war, wagte er es, einen Fußbreit an sie heranzutreten und ihr seine Hand so hinzustrecken, dass sie sie entweder schütteln oder sich von ihm auf die Tanzfläche führen lassen konnte.

Sie wollte tanzen – aber wollte er es auch? Ihr Herz klopfte, als sie sich ihres Dilemmas bewusst wurde, denn sie hatte bereits fünf andere Aufforderungen abgelehnt. Wie würde es aussehen, wenn sie jetzt mit ihm tanzte? Sie fühlte die Herausforderung in seinem Blick. Seine Hand bewegte sich ein Stückchen weiter auf sie zu.

Dana hatte keine Zeit mehr, seine wahre Absicht zu ergründen. Sie reichte Lilith ihr Weinglas und legte ihre Hand in Sams. Fünfzehn Jahre hatte sie auf die Gelegenheit gewartet, mit ihm zu reden.

„Ich würde gern tanzen“, sagte sie lächelnd.

Sam antwortete nicht, zog sie jedoch auf die Tanzfläche und dann in seine Arme, wobei er einen gerade noch akzeptablen Abstand zwischen ihrem und seinem Körper ließ. Trotzdem, so intim war sie über zwei Jahre lang nicht mit einem Mann zusammen gewesen, und selbst da war es eine eher freundschaftliche Nähe gewesen, ohne diese atemberaubende Spannung.

Dana hob das Gesicht, entschlossen, sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen. Sie war gut darin, ihre Gefühle zu kontrollieren. Aber jetzt fingen ihre Lippen unter seiner intensiven Musterung zu zittern an.

„Also“, begann sie mit einem gezwungenen Lächeln, „der verlorene Sohn ist endlich zurückgekehrt.“

Sein Blick wurde weich. Warm. „Wie geht es dir, Rosenrot?“

Die Verwendung des alten Spitznamens weckte Erinnerungen. Sie spürte, dass sie wie damals errötete, doch sein wissendes Lächeln holte sie zurück in die Gegenwart.

„Es geht mir gut“, antwortete sie. „Was hast du gemacht, Sam?“

„Du möchtest fünfzehn Jahre in einem Absatz zusammengefasst haben?“

„Hast du so wenig getan?“, fragte sie leichthin, verwundert über sich selbst. Sie flirtete und konnte es nicht ändern.

„Ich habe gelebt.“

Die Art, wie er das sagte, ließ sie einen Moment schweigen. Sie hätte wetten können, dass die lange Version der Geschichte faszinierend wäre. „Fang einfach am Anfang an. Wo bist du nach der High School hingegangen?“

„Zum Militär.“

Verblüfft starrte sie ihn an. „Warum?“

„Es ergab sich so.“

Das machte keinen Sinn. Seinem Mathematiklehrer Mr. Giannini zufolge war Sam ein Genie auf diesem Gebiet der Wissenschaft. Brillant hatte er Sam stets genannt. Sie schüttelte den Kopf. „Jedes Jahr, wenn die Nobelpreise vergeben wurden, habe ich damit gerechnet, deinen Namen zu hören.“

„Die Dinge ändern sich.“

„Du warst nicht bei der Beerdigung deines Vaters.“ Sie dachte daran, wie traurig es gewesen war. Kaum Leute, und keiner der Anwesenden hatte wirklich getrauert.

„Aber du.“

Aha. Offenbar hatte er während seiner Abwesenheit verfolgt, was in seinem Geburtsort vor sich gegangen ist. „Warum bist du hier, Sam?“

„Um dir zu danken.“

„Dass ich bei der Beerdigung war?“

„Nein.“

Dana schaute weg. Sein intensiver Blick irritierte sie. Dankbarkeit war das Letzte, womit sie gerechnet hätte. Er war wütend auf sie gewesen bei der Abschlussfeier, und das mit Recht. Und sie hatte keine Chance gehabt, für klare Verhältnisse zu sorgen oder um Verzeihung zu bitten. Als sie sich nach der Zeremonie auf die Suche nach ihm machen konnte, hatte er die Stadt bereits verlassen.

„Wie kannst du mir danken?“ Die Anstrengung, vor den neugierigen Zuschauern locker zu wirken, kostete Nerven. „Meinetwegen wurdest du verprügelt. Du konntest bei der Zeugnisverleihung kaum gehen. Dein Auge war zugeschwollen, durch meine Schuld.“

„Das veränderte mein Leben, so wie ich es nie erwartet hätte.“

”Erzähl mir, wie“, forderte sie ihn auf.

„Das ist eine lange Geschichte.“

Seine Hand glitt ein wenig an ihrem Rücken hinab. Sein Daumen berührte dabei leicht ihre Wirbelsäule durch den seidigen Stoff ihres Kleides.

„Ich habe Zeit für eine lange Geschichte.“ Ihre Stimme brach bei dem letzten Wort, als er mit dem Finger gegen einen Rückenwirbel drückte. Seit wann war diese Stelle bei ihr eine erogene Zone?

„Ich nicht. Ich bin schon länger geblieben, als ich eigentlich vorhatte. Mal davon abgesehen, dass jeder in diesem Saal jeden unserer Schritte beäugt.“

Dana wich ein wenig zurück. „Ich bin daran gewöhnt, wie unter einem Mikroskop beobachtet zu werden.“

„Und ich bin daran gewöhnt, die Menschen unters Mikroskop zu legen.“

„Du sprichst in Rätseln. Möchtest du mir das vielleicht erklären?“

„Nein.“

Das Lied endete. Da sie befürchtete, die Gelegenheit zu verpassen, stieß sie hastig ihre Worte hervor. Sie hatte nur noch wenige Sekunden, um zu sagen, was sie all die Jahre hatte sagen wollen. „Es tut mir leid, Sam. Du hast mich beschützt und wurdest deswegen verletzt. Ich wurde mir erst hinterher der Folgen meines Tuns bewusst. Und wurde umso klüger.“

„Ist das der Grund, weshalb du Randall Sterling geheiratet hast? Weil es klug war?“

2. KAPITEL

Bevor Dana antworten konnte, stolperte sie, weil Sam abrupt zu tanzen aufhörte. Ohne sie loszulassen, drehte er sich zu dem Mann um, der ihm auf die Schulter getippt hatte, um ihn abzulösen. Dana fühlte Sams Anspannung. Wie ein Tier, das seine Beute erblickt, dachte sie. Oder seinen Feind. Harley Bonner war der Feind. Und sie hatte ihn bereits zwei Mal an diesem Abend abgewiesen.

„Zeit für einen Partnerwechsel, Remington.“

Dana hielt sich weiter an Sam fest und rückte an ihn heran in der Hoffnung, er würde merken, dass sie mit Harley nichts zu tun haben.

„Abklatschen ist ein überholter gesellschaftlicher Brauch“, erwiderte Sam, während ersten Takte von „Girls Just Want To Have Fun“ erklangen. Er führte Dana von der Tanzfläche, wobei seine Hand immer noch auf ihrem schmalen Rücken ruhte, eine Geste, die zugleich verführerisch und beschützend war.

Dana wusste nicht, welcher Aspekt ihr mehr gefiel.

„Danke“, stieß sie erleichtert hervor. „Ich stehe schon wieder in deiner Schuld.“

„Wir sind quitt. Niemand schuldet irgendjemandem irgendetwas.“ Sam ließ sie los, als sie etwas abseits standen „Ich muss gehen, Dana. Es war schön, dich zu sehen.“

Jetzt schon? Sie konnte sich diese Bemerkung gerade noch verkneifen. Instinktiv hielt sie ihn am Ellbogen fest.

„Ich habe deine Abschiedsmedaille für dich aufbewahrt“, sagte sie. „Sie ist im Haus meiner Eltern.“ Als Dana nach der Abschlussfeier in ihr Auto gestiegen war, hatte die Medaille am Rückspiegel gebaumelt. Dana hatte pausenlos geweint, während sie nach Sam suchte. Sie hatte es nicht glauben können, dass er ihr seine Medaille gegeben hatte.

„Ich habe sie damals nicht gewollt“, antwortete er. „Und ich will sie auch jetzt nicht.“

„Bitte, Sam.“ Sie war sich der lärmenden Menge um sie herum peinlich bewusst, doch die Lautstärke der Musik sorgte dafür, dass ihre Unterhaltung privat blieb. „Komm mit mir. Es wird nur ein paar Minuten dauern. Meine Eltern sind nicht in der Stadt. Wir werden ungestört sein.“

„Ich muss gehen“, wiederholte er.

War das Bedauern in seinen Augen? Zögern? Obwohl ihre einzigartige Beziehung schon in der Grundschule angefangen hatte, waren sie nur einmal in der High School zusammen ausgegangen. Eine Verabredung, von der sie jahrelang geträumt hatte. Eine Verabredung, die wundervoll begonnen und entsetzlich geendet hatte. Sie hatte nie begriffen, was schief gelaufen war, und wodurch sie den Abend verdorben hatte, aber sie hatte es offenbar getan.

Sie hatte so viele Fragen an Sam und hatte sich diese Szene schon so oft in ihrem Kopf ausgemalt. Wie konnte er jetzt einfach gehen, wo es so viele unbeantwortete Fragen gab?

„Läufst du wieder davon?“ Sam vernahm eine tiefe Stimme.

Harley tauchte ein zweites Mal neben ihnen auf, die Hände zu Fäusten geballt. Dana hasste diesen Mann. Ein Rüpel damals auf der High School und ein reicher Rüpel heute.

„Geh zur Seite“, befahl Sam leise und drohend.

„Oho! Du fühlst dich anscheinend wohl sehr stark, was, Remington? Du glaubst wohl, du kannst es diesmal mit mir aufnehmen.“

„Im Zweikampf hätte ich dich damals geschlagen. Fünf gegen einen war keine faire Voraussetzung.“

Dana hörte dieses brutale Detail zum ersten Mal. Die meisten Leute hatten damals geglaubt, Sams Vater hätte ihn wieder verprügelt, aber Dana hatte gewusst, dass Harley und seine Freunde die Schuldigen waren. Sie hatte nur nicht geahnt, wie viele daran beteiligt waren.

„Mach keine Szene“, sagte Dana zu Harley. „Geh einfach weg.“

Harley brauste auf. „Dies ist mein Revier. Du hast hier gar nichts zu melden.“

Sam trat einen Schritt auf Harley zu. „Man sollte meinen, dass dich zwei gescheiterte Ehen etwas über Frauen und Machtverteilung gelehrt hätten, Bonner.“

Harley holte mit seinem Arm aus. Bevor Dana blinzeln konnte, lag er allerdings schon am Boden, eher verwirrt als verletzt. Falls Sam zugeschlagen haben sollte, war es so schnell gegangen, dass sie es nicht gesehen hatte.

„Was ist passiert?“, fragte jemand.

„Harley ist hingefallen, glaube ich“, lautete die Antwort.

Dana fühlte Sams Blick auf sich. Sie schaute ihn an. „Bist du sicher, dass du nicht mitkommen und deine Medaille holen möchtest?“ Geh nicht. Bitte geh nicht. Es gibt so viel, worüber wir reden sollten.

Er ignorierte ihre unausgesprochenen Signale und zog stattdessen seine Visitenkarte hervor. „Du kannst sie mir schicken, wenn dich das glücklich macht.“

„Das würde es.“ Wenigstens hatte sie jetzt seine Adresse, seine Telefonnummer. Ihr fiel noch etwas ein, als er sich zum Gehen umwandte. „Danke für die Beileidskarte, die du mir nach dem Tod meines Mannes geschickt hast.“

„Ich habe ihn bewundert, Dana.“ Er schaute ihr einige Sekunden lang tief in die Augen, dann ging er.

Dana schaute ihm nach. Zwar hatte sie die Chance bekommen, sich zu entschuldigen, wie sie es immer gewollt hatte, aber es war noch nicht zu Ende. Sam wusste noch nicht alles. Und jetzt kam etwas Neues hinzu – die Reaktion ihres Körpers auf ihn. Heißes Verlangen, Herzklopfen. Bilder von damals mischten sich mit neuen Eindrücken und verwirrten sie.

Sie hatte zu lange keinen Mann gehabt. Seit über zwei Jahren war sie jetzt verwitwet. Zwei hektische Jahre. Sie hatte keine Zeit für Verabredungen gehabt, ihr Job verlangte ihr zu viel ab. Außerdem hatte sie niemand ernsthaft genug an jemandem interessiert gewesen, um mit ihm auszugehen. Für Sam Remington jedoch würde sie sich die Zeit nehmen …

Dana holte tief Luft, als ihre langjährigen Freundinnen Lilith, Candi und Willow neben ihr auftauchten.

Candi beugte sich über Harley. „Du solltest dich von irgendjemandem nach Hause bringen lassen, damit du deinen Rausch ausschlafen kannst.“

Mühsam rappelte er sich auf. „Ich habe viele Freunde“, fuhr er Dana boshaft an. „Freunde, die dir die finanzielle Unterstützung entziehen werden, auf die du angewiesen bist. Glaub mir, ich werde das hier nicht vergessen.“

Dana wich keinen Deut zurück, als Harley bis auf Zentimeter an sie herantrat. „So wie ich nicht vergessen habe“, schoss sie zurück, während Erinnerungen sie zu überwältigen drohten. Was er ihr angetan hatte, war schlimm genug. Was er Sam angetan hatte, war unverzeihlich. „Damals glaubte ich deinen Drohungen, weil ich jung und naiv war. Die Zeiten sind vorbei.“

„Du bist auf den Füßen gelandet. Hast dir einen reichen, mächtigen Mann geangelt. Bist in seinen Job geschlüpft, als hättest du es verdient.“

„Ich wurde gewählt.“

„Doch nur aus Mitleid.“

Bevor Dana antworten konnte, zog sie jemand am Ärmel fort. „Mach ein nettes Gesicht für deine Wähler, Senator“, sagte Lilith, während sie sie durch den Saal führte. „Irgendjemand wird diesen Vorfall erfreut der Boulevardpresse melden. Es gibt Leute, die auf so einen Zusammenstoß gewartet haben.“

„Er macht mir Vorwürfe, Lilith. Mir. Dabei war er es, der von Beginn des Abends an Probleme gemacht hat.“ Dana senkte ihre Stimme. „Mich zum Tanzen aufzufordern, obwohl er weiß, dass ich nichts mit ihm zu tun haben will.“

„Beruhige dich.“

„Ich möchte gehen.“

Lilith tätschelte ihr den Arm. „Bald, meine Liebe. Du musst deine Show noch ein Weilchen spielen, bevor du mich, deine im siebenten Monat schwangere Freundin, als Vorwand zum Gehen benutzen kannst. Ich sage Candi und Willow Bescheid, dass wir etwas eher als geplant aufbrechen werden.“

Sie hatten eine Schlummerparty wie in alten Zeiten im Haus ihrer Eltern vor. Dana hatte sich darauf gefreut. Jetzt wollte sie nur noch allein sein.

Es dauerte noch vier Stunden, bis Dana endlich Zeit für sich hatte. Im Morgenmantel trat sie auf die Veranda ihres Elternhauses und setzte sich auf die Schaukel. Das sanfte Schwingen beruhigte sie. Ihre Eltern besuchten Verwandte in Florida, aber Dana konnte ihre Anwesenheit spüren. Wie oft hatten sie hier gesessen, geredet und in den Sternenhimmel geschaut?

Die friedlichen Erinnerungen beruhigten sie etwas, aber in ihren Augen schimmerten Tränen bei dem Gedanken an das emotionale Durcheinander dieses Abends. Der boshafte Wortwechsel mit Harley und ihr wiedererwachtes sexuelles Verlangen nach Sam machten sie nervös, sie, die für ihr besonnenes Verhalten bekannt war. Hatte Sam verstanden, warum sie sich entschuldigt hatte, oder war sie nicht deutlich genug gewesen?

Wofür er sich bei ihr bedankt hatte, war ihr allerdings auch nicht ganz klar.

Dana steckte ihre Hand in die Tasche ihres Morgenmantels und fühlte Sams Visitenkarte. Sie fuhr mit dem Daumen über den goldfarben geprägten Firmennamen, ARC Security & Investigations. Eine Adresse in Los Angeles. Die Karte listete eine Telefon- und Faxnummer, die Nummern eines Handys und eines Funkrufempfängers auf. Unter seinem Namen stand kein Titel. Weil die Firma zu klein war? Vielleicht nur ein Ein-Mann-Betrieb? Sam Remington, Privatdetektiv. Faszinierend.

„Kannst du auch nicht schlafen?“

Dana schreckte auf, als Lilith sich neben sie auf die Schaukel setzte.

„Ich habe das Gefühl, das Baby macht Breakdance in meinem Bauch. Es muss an all diesen Hits aus den Achtzigern liegen“, meinte Lilith scherzhaft. „Was ist deine Entschuldigung?“

„Normalerweise lese ich Sitzungsprotokolle als Einschlafhilfe. Diesmal habe ich mir keine Arbeit mitgenommen.“ Dana lehnte sich zurück und sah Lilith an. „Es ist schön, hier mit dir zu sein“, sagte sie. „Seit du letztes Jahr geheiratet hast, hatten wir keine Zeit mehr allein füreinander.“

„Es tut mir leid.“

„Nein, entschuldige dich nicht. Das war keine Kritik. Ich weiß, was es bedeutet, frisch verheiratet zu sein und gleichzeitig einen anstrengenden Beruf zu haben. Ich habe dich vermisst, das ist alles. Als du in den ersten Wochen nach Randalls Tod bei mir warst, habe ich mich daran gewöhnt, dich um mich zu haben.“

Einige Minuten lang schaukelten sie schweigend. Dana schloss die Augen und lauschte den Geräuschen der Grillen, Frösche und anderen Tiere, die in der bewaldeten Umgebung ihr Abendkonzert anstimmten.

„Warum hast du mir nicht erzählt, dass du dich zur Wiederwahl stellen wirst?“, fragte Lilith.

Dana hörte den unterschwelligen Vorwurf heraus, dass Lilith es nicht als Erste ihrer Freundinnen erfahren hatte. „Was Candi gesagt hat, war reines Wunschdenken. Ich bin noch unentschlossen“, log sie.

„Warum hast du sie dann nicht korrigiert?“

„Sams Ankunft kam dazwischen. Die ganze Sache mit Harley.“ Lahm, Dana, wirklich lahm.

Lilith runzelte die Stirn. „Ich konnte es kaum glauben, als Sam aufgetaucht war. Er hat sich gar nicht verändert, nicht wahr? Platzt unangekündigt herein und geht dann, bevor man es begriffen hat. Spielt immer noch nach seinen eigenen Regeln, und ist immer noch unnahbar.“

„Was spricht dagegen, seine eigenen Regeln zu haben?“, gab Dana zurück.

„Verteidigst du ihn?“

Tat sie das? „Ich mochte ihn. Du weißt, dass ich mit ihm zum Abschlussball gegangen bin.“

„Richtig. Eine Verabredung aus Mitleid.“

„Sag das nicht.“ Als er ohne Abschied gegangen war, hatte sie das tief verletzt. Trotzdem hatte sie nach wie vor eine Schwäche für ihn. Vielleicht, weil sie sich lebhaft an den kleinen Jungen erinnerte, der im Alter von zehn Jahren seine Mutter verloren hatte. Vielleicht auch, weil sie sich an starke Gefühle ihrerseits erinnerte, die nie Erfüllung gefunden hatten. Sie war jahrelang ein bisschen verliebt in ihn gewesen.

„Ich meinte ja nur, dass er Freunde hätte haben können, aber er hat sich nie darum bemüht“, erklärte Lilith.

„Vielleicht. Wir wissen nicht, was er bei seinem Vater durchgemacht hat. Alles, was wir wissen, ist, dass er gut in der Schule war und bei erstbester Gelegenheit die Stadt verließ. Er scheint es zu etwas gebracht zu haben. Er sah fabelhaft aus, findest du nicht auch?“ Dana seufzte.

Die Schaukel knarrte, als Lilith sich aufsetzte. „Du machst Witze.“

„Du findest nicht, dass er ungeheuer sexy wirkte?“

„Nein.“ Fassungslosigkeit schwang in ihrer Stimme mit. „Absolut nicht. Wenn er mir auf der Straße entgegenkäme, würde ich versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen.“

Dana lachte. „Ich würde an seiner Seite gehen wollen. Da würde ich mich sicher fühlen.“

„Du fühlst dich zu ihm hingezogen!“

„Und wenn?“ Dana zog nur wenige Menschen ins Vertrauen. Sie sprach selten über persönliche Dinge, nicht einmal mit ihrer ältesten Freundin. Warum also sollte sie über Sam diskutieren?

„Ist er Single?“, fragte Lilith.

„Zumindest trug er keinen Ring.“

Lilith sah sie mitleidig an. „Ich weiß, dass du dich einsam fühlen musst, Dana, aber es gibt eine Menge anderer Männer, die eine gute Wahl wären. Ein Mann, der nicht in deine Welt passt, würde viel Gerede verursachen. Gerede, das deine Chance auf Wiederwahl gefährden würde. Du weißt das.“

„Ja sicher.“

„Dann wirst du ihn also nicht treffen?“

„Nein.“

„Was wirst du mit Harley machen?“

Autor

Susan Crosby
Susan Crosby fing mit dem Schreiben zeitgenössischer Liebesromane an, um sich selbst und ihre damals noch kleinen Kinder zu unterhalten. Als die Kinder alt genug für die Schule waren ging sie zurück ans College um ihren Bachelor in Englisch zu machen. Anschließend feilte sie an ihrer Karriere als Autorin, ein...
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