Malibu wartet auf dich

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Ein einziger leidenschaftlicher Kuss hat alles verändert. Denn plötzlich ist Garrett nicht mehr nur der Mann ihrer verstorbenen Schwester und Vater ihres geliebten Neffen Brian. Plötzlich ist Garrett Kingham gegen den sie all die Jahre so viele Vorbehalte hegte, das Ziel ihrer sehnsuchtsvollen Träume …


  • Erscheinungstag 25.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756611
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Bist du meine Mutter?“

Sarah blickte von dem halb fertigen Bild auf, das den Küstenabschnitt zeigte, an dem sie stand. Sie wollte gerade höflich, aber entschieden verneinen, als ihr Blick auf ihr blasses Gegenüber fiel. Der Junge mochte vielleicht fünfzehn oder sechzehn sein. Er trug helle Jeans, ein weites T-Shirt und einen grauen Pullover, den er wegen der Hitze um die Hüften geknotet hatte. Das dichte blonde Haar war kurz geschnitten, helle, fast weiße Strähnen zeigten, dass er viele Stunden in der Sonne verbrachte. Und er hatte grüne Augen, Garrett Kinghams Augen.

Sarah hatte Brian – und es konnte sich nur um Brian handeln – zuletzt als Fünfjährigen gesehen. Ein Junge mit besorgt blickenden grünen Augen, der zutiefst verstört über die Streitigkeiten zwischen seinen Eltern gewesen war. Inzwischen war er zu einem gut aussehenden Teenager herangewachsen, vielleicht noch ein bisschen ungelenk, aber das würde sich in den nächsten Jahren legen. Eines Tages würde er genauso breitschultrig und muskulös sein wie sein Vater, davon war Sarah überzeugt.

Garrett Kingham … Sie erinnerte sich noch immer an ihre letzte Begegnung mit ihm und an seinen Gesichtsausdruck. Grenzenlose Verachtung hatte sich auf seinen Zügen widergespiegelt, als sie sich schreiend auf ihn gestürzt, ihn getreten, gekratzt und mit den Fäusten gegen seine Brust getrommelt hatte, weil er beschlossen hatte, Brian mitzunehmen.

Und nun war Brian zurückgekommen. Sarah konnte es kaum fassen.

„Entschuldigung.“ Das zerknirschte Lächeln ließ ihn plötzlich sehr jung wirken. „Sie könnten gar nicht meine Mutter sein. Sie ist tot, und Sie sind viel zu jung, um meine Mutter zu sein. Ich … Sie sehen ihr nur so ähnlich, dass ich sofort an sie denken musste“, fügte er verlegen hinzu.

„Brian …“

„Sie kennen meinen Namen?“ Misstrauisch blickte er sie an. „Wer sind Sie?“

Sarah legte den Pinsel beiseite und griff nach einem mit Farbflecken übersäten Lappen, um sich die Hände abzuwischen. „Wen suchst du denn?“, fragte sie sanft.

„Meinen Großvater und … Du musst meine Tante Sarah sein!“, rief er erleichtert. „Einen Moment lang glaubte ich, einen Geist vor mir zu haben.“

Amanda wäre dann bereits seit zehn Jahren ein Geist. So lange war ihre Schwester nämlich schon tot. Eigentlich war die Ähnlichkeit zwischen Sarah und Amanda nur oberflächlich. Beide hatten dichtes schwarzes Haar, dunkelblaue Augen und eine zierliche Figur, aber ihre Gesichter ähnelten einander nur entfernt. Brian war allerdings erst fünf Jahre gewesen, als seine Mutter starb, und vielleicht waren die Gemeinsamkeiten inzwischen ausgeprägter als damals.

Sie lächelte ihren Neffen an und stand auf. „Ja, ich bin deine Tante Sarah“, bestätigte sie. „Warst du schon im Cottage? Dein Großvater wird sich freuen, dich zu sehen.“

Ein wenig unbehaglich schüttelte Brian den Kopf. „Dort ist niemand.“

„Er sagte vorhin, er wolle in den Ort gehen, um Tabak zu kaufen“, erwiderte sie tröstend. „Warum hast du uns nicht über dein Kommen informiert? Weiß dein Vater, dass du hier bist?“, erkundigte sie sich besorgt.

Garrett Kingham hatte die Familie seiner Frau nicht unbedingt in sein Herz geschlossen gehabt, und Sarah hatte keinen Grund zu der Annahme, dass sich daran etwas geändert haben könnte.

Statt zu antworten, schob Brian die Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans und wandte sich dem Meer zu. „Kann man hier surfen?“ Stirnrunzelnd betrachtete er die flache Brandung.

„Du meinst Wellenreiten? Nein.“ Sie lachte bedauernd. „Hier ist nur Windsurfen angesagt.“

Er drehte sich wieder zu ihr um. „Ist es in dieser Gegend immer so windig?“

„Die englische Ostküste ist dafür berühmt“, erklärte sie ironisch. „Brian …“

„Meinst du, mein Großvater ist wieder zurück?“, unterbrach er sie. „Ich würde ihn wirklich gern sehen.“

„Er wird dich auch sehen wollen.“ Rasch packte sie ihre Sachen ein. „Trotzdem musst du mir sagen, ob dein Vater weiß, dass du uns besuchst“, beharrte sie.

Ein trotziger Ausdruck erschien auf dem jugendlichen Gesicht. „Ich bin sechzehn …“

„Erst nächsten Monat“, erinnerte Sarah in sanft.

Garrett Kingham hatte offenbar nicht die leiseste Ahnung vom Aufenthaltsort seines Sohnes. Und so, wie sie ihn kannte, würde er nicht gerade begeistert sein, wenn er hörte, wo Brian war.

„Ich bin alt genug, um meine eigenen Entscheidungen zu treffen“, behauptete Brian mürrisch.

Sosehr es sie auch interessiert hätte, zu erfahren, welche „Entscheidung“ ihn hergebracht hatte, schien ihr dies nicht der rechte Moment, um danach zu fragen. Brian wirkte – vorsichtig ausgedrückt – recht störrisch.

Am liebsten hätte Sarah ihn umarmt, aber er war inzwischen in einem Alter, in dem allzu offen zur Schau gestellte Gefühle ihm nur peinlich gewesen wären. Also benahm sie sich weiterhin völlig ungerührt, als wäre es die normalste Sache von der Welt, dass ihr Neffe nach zehn Jahren völlig unerwartet wieder aufgetaucht war.

„Könntest du das für mich tragen?“ Sie reichte ihm die Leinwand. „Vorsicht, die Farben sind noch feucht.“

„Wow! Das ist gut“, stellte er bewundernd und überrascht zugleich fest. „Bist du Malerin?“

„Nein.“ Sarah klemmte sich die Staffelei und den Klappstuhl unter den Arm und lächelte Brian dankbar an, als dieser den Kasten mit Ölfarben aufhob. „Ich habe keine Lust, von der Hand in den Mund zu leben und auf den ‚großen Durchbruch‘ zu warten. Normalerweise unterrichte ich Kunst, und nur in den Ferien male ich.“

Brian musterte sie erstaunt. „Du siehst gar nicht aus wie eine Schullehrerin.“

Diese Reaktion war Sarah von anderen Kindern seines Alters bereits vertraut. Lehrer repräsentierten eine Autorität, gegen die Jugendliche sich mehr oder minder auflehnten. „Tragen Lehrerinnen in Amerika keine Shorts und Bikinioberteile?“, neckte sie ihn.

„Jedenfalls nicht in der Schule“, konterte er.

„Das tue ich auch nicht“, versicherte sie, während sie nebeneinander den Strand entlang zu ihrem Heim gingen, das auf einer Anhöhe lag.

Es war eigentlich mehr ein Cottage als ein Haus: drei kleine Schlafzimmer und ein Bad über dem Wohnraum und der Küche. Sarah wusste, dass Brian und sein Vater in einem palastähnlichen Gebäude in Malibu wohnten. Fasziniert hatte sie Amandas begeisterte Schilderung des Hauses und des Swimmingpools gelesen, als ihre Schwester vor mehr als sechzehn Jahren zu Garrett Kingham gezogen war. Als Zehnjährige war Sarah damals zutiefst beeindruckt gewesen. Gewiss würde das Cottage auf Brian sehr klein wirken – Amanda jedenfalls hatte sich bei ihren seltenen Besuchen nach der Hochzeit regelmäßig über die beengten Verhältnisse beklagt. Für Sarah jedoch war es ein Zuhause, und sie liebte es.

„Es ist weniger deine Kleidung“, meinte Brian, noch immer verwundert. „Du siehst einfach nicht alt genug aus, um schon Lehrerin zu sein.“

Sarah warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Ich bin noch nie mit einer meiner Schülerinnen verwechselt worden.“ Sie öffnete die Haustür und verstaute ihre Utensilien in einer kleinen Kammer neben der Diele. „Hast du schon gegessen, oder soll ich dir eine Kleinigkeit machen?“

„Ich habe gegessen“, entgegnete er schulterzuckend und sah sich neugierig um. „Danke“, fügte er verlegen hinzu, als sie ihn betont erwartungsvoll anschaute. „Vielleicht bist du doch eine Lehrerin.“

„Vielleicht.“ Sie nickte. Ihre Augen funkelten. „Möchtest du etwas trinken?“

„Cola?“

„Wenn du willst.“ Sarah ging voraus in die Küche, einen langen Raum, der sich über die gesamte Seite des Cottage erstreckte. Die großen Fenster boten einen herrlichen Blick auf den Strand und die See. „Setz dich.“ Sie deutete auf die Hocker, die ordentlich aufgereiht vor dem Frühstückstresen am Fenster standen. „Hattest du eine weite Reise?“, erkundigte sie sich scheinbar gelangweilt, während sie den Kühlschrank öffnete.

Brian lächelte. Sein Gesicht wirkte auf einmal jungenhaft, das betont männliche Gebaren, das er seit seiner Ankunft an den Tag gelegt hatte, war verschwunden. „Du bist ziemlich hartnäckig, oder?“ Er nahm die Coladose entgegen, verzichtete auf ein Glas und trank gierig aus der Büchse.

„Und du weichst mir aus.“

„Meinst du, mein Großvater wird noch lange weg sein?“

Sarah runzelte die Stirn. Wäre Brian einer ihrer Schüler gewesen, hätte sie genau gewusst, wie sie mit ihm umgehen musste, aber er war der Neffe, den sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie freute sich viel zu sehr, ihn bei sich zu haben, und wollte ihn nicht wieder verlieren, nur weil sie ihn zu eindringlich befragt hatte. Zweifellos würde er ihr alles erzählen, wenn man ihm nur Zeit ließ. Eines stand für sie jedoch schon fest: Sein Vater hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er war, und so, wie sie Garrett Kingham kannte, würde er vor Wut schäumen, wenn er herausfand, dass Brian zu ihnen gekommen war.

„Er ist bestimmt gleich zurück“, versicherte sie, obwohl sie sich insgeheim über das lange Fortbleiben ihres Vaters wunderte. „Also …“ Sarah verstummte, als die Vordertür zugeschlagen wurde. „Das wird er sein.“ Sie lächelte Jason aufmunternd zu, der plötzlich ziemlich nervös wirkte.

„Ich dachte, du wärst noch am Strand, Sarah“, rief ihr Vater. Er war so klein wie sie, das schwarze Haar war an den Schläfen von silbernen Strähnen durchzogen, und seine Augen leuchteten in einem warmen Blau. „Ich bin auf dem Rückweg unten vorbeigegangen, um dich …“ Er blieb an der Tür stehen, als er bemerkte, dass Sarah nicht allein war. Ein ungläubiger Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er den Besucher erblickte. „Brian?“

Brian war langsam aufgestanden, als sein Großvater hereinkam, und nun wischte er sich die Hände an den Jeans ab. „Grandad.“ Er schluckte trocken.

Sarah hatte vor Rührung einen Kloß im Hals. Ihr Vater strahlte beim Anblick seines einzigen Enkelkindes. Seit er vor einem Jahr pensioniert worden war, hatte er viel Zeit, über die Vergangenheit nachzudenken. Er sprach oft von Brian, und sie wusste, wie sehr er darunter gelitten hatte, seinen Enkel nicht aufwachsen zu sehen und mit ihm all die Dinge zu unternehmen, die Großväter normalerweise taten. Wenn sie doch nur eigene Kinder gehabt hätte! Vielleicht wäre dann Brians Verlust nicht so schmerzlich für ihn gewesen … Nein, sie durfte nicht wie ihr Vater über verpasste Chancen nachgrübeln, sondern wollte sich einfach über die Tatsache freuen, dass Brian jetzt bei ihnen war.

„Werden in Amerika Grandads nicht umarmt?“, erkundigte ihr Vater sich schmunzelnd bei Brian, der wartend dastand.

Zögernd ging der Junge auf ihn zu und ließ sich von ihm in die Arme schließen. Mit seinen fünfzehn Jahren war er um einiges größer als der ältere Mann. Eines Tages würde er so hoch gewachsen sein wie sein Vater … Sarahs Wiedersehensfreude schwand merklich, als sie daran dachte, dass sie Garrett Kingham über den Aufenthaltsort seines Sohnes informieren musste. Und sobald sie das getan hatte, würde er kommen und ihnen Brian wieder wegnehmen.

„… und daher dachte ich, du hättest es dir anders überlegt“, hörte sie hinter sich den Vater sagen.

Misstrauisch betrachtete Sarah die beiden, die nun einträchtig nebeneinander standen. „Was soll er sich anders überlegt haben?“

„Nun … Wie wäre es mit einer Tasse Tee, Liebes?“, schlug der Vater ausweichend vor.

„Dad!“ Sie sah ihn eindringlich an. Inzwischen war sie überzeugt, dass die beiden irgendetwas ausheckten, von dem sie keine Ahnung hatte.

„Lass uns nicht vor Brian streiten. Nach all den Jahren ist er endlich …“

„Dad, du …“

„Es ist so, Tante Sarah“, unterbrach Brian sie mit einer selbstbewussten Stimme, die viel zu alt für seine knapp sechzehn Jahre klang. „Ich habe Grandad gestern angerufen und ihn gefragt, ob ich euch besuchen könne.“

Im Nachhinein fiel Sarah ein, dass ihr Vater tatsächlich aufgekratzter als sonst gewirkt hatte, seit sie gestern Nachmittag vom Einkaufen zurückgekehrt war. Sie hatte es jedoch der Tatsache zugeschrieben, dass Mrs. Potter während ihrer Abwesenheit für ein paar Stunden vorbeigekommen war. Ihr Vater und Glynis Potter, die im Ort wohnte, hatten einander in den letzten paar Monaten häufiger gesehen, und da Sarah wusste, wie peinlich es ihm war, in seinem Alter eine „Freundin“ zu haben, hatte sie die Sache nie erwähnt. Offenbar hatte ihr Vater noch weitaus schwerwiegendere Dinge als seine Beziehung zu Glynis vor ihr geheim gehalten!

„Warum hast du mir nichts davon erzählt?“ Sie seufzte vorwurfsvoll.

„Reg dich nicht auf, Sarah“, beschwichtigte er sie. „Ich war ja nicht sicher, ob Brian wirklich herkommen würde, und ich … ich wollte dir die Enttäuschung ersparen, falls er es nicht geschafft hätte.“

Sie vermutete eher, dass er derjenige gewesen wäre, der die Enttäuschung nicht verwunden hätte, wenn sie Vorbereitungen für Brians Ankunft getroffen hätten und von dem Jungen versetzt worden wären. An seinen leuchtenden Augen, mit denen er Brian nun betrachtete, erkannte sie, dass er außer Stande gewesen war, mit ihr über Brians möglicherweise bevorstehenden Besuch zu sprechen. Bis zu dem Moment, als er seinen Enkel in der Küche hatte sitzen sehen, musste ihrem Vater alles wie ein Traum erschienen sein.

„Okay, ihr beiden Verschwörer. Was habt ihr ausgeheckt?“, erkundigte sie sich scherzhaft.

„Siehst du“, ihr Vater nickte Brian lächelnd zu, „ich habe dir gleich gesagt, dass sie ein guter Kumpel ist.“

Sie fühlte sich keineswegs wie „ein guter Kumpel“, zumal sie wusste, wie wütend Garrett Kingham reagieren würde, wenn er herausfand, dass sie seit dem vorigen Nachmittag über Brians Pläne informiert waren und es nicht für nötig erachtet hatten, ihn, Garrett, zu benachrichtigen. Genau genommen war sie nicht informiert gewesen, aber sie wusste auch, dass Garrett Kingham ihr das niemals glauben würde.

„Ich mache Tee“, erbot ihr Vater sich fröhlich, da nun alle Gefahr gebannt schien. „Ihr beide geht nach nebenan und setzt euch.“

Das angrenzende Wohnzimmer erfüllte gleich mehrere Funktionen. Hier entwarf und baute ihr Vater Modelle von alten Segelschiffen, während sie den Raum gelegentlich als Atelier nutzte. Nichtsdestotrotz war das Zimmer sauber und behaglich, und Sarah musste lediglich ein paar Bücher beiseite räumen, damit genügend Sitzgelegenheiten frei waren.

Brian wirkte inzwischen wesentlich entspannter. „Er ist genauso, wie ich ihn mir vorgestellt habe“, erklärte er.

Hatte Garrett Kingham jemals so jungenhaft ausgesehen wie Brian? Sarah bezweifelte das. Als jüngster Sohn von Senator Kingham – der ältere Sohn Jonathan war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und war seit einiger Zeit ebenfalls Senator – war Garrett mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund geboren worden. Er hatte die besten Schulen besucht und anschließend die weltberühmte Havard-Universität absolviert, bevor er sich für eine Karriere als Filmregisseur entschieden hatte. Trotz des Widerstandes seiner Familie und der Vorurteile, die ihm in der Branche entgegengebracht wurden, war er zu einem der erfolgreichsten Regisseure Hollywoods avanciert. Und das hatte er weder seiner Freundlichkeit noch seinem jungenhaften Lächeln zu verdanken!

Garrett Kingham war dreiundzwanzig gewesen, als Amanda ihn ihren Eltern als Ehemann präsentiert hatte. Der damals zehnjährigen Sarah war er ziemlich alt erschienen. Er hatte bereits die ersten Stufen der Karriereleiter erklommen gehabt, und der kalte Ausdruck in seinen Augen bewies, dass er fest entschlossen war, es bis ganz nach oben zu schaffen – egal, wer oder was sich ihm in den Weg stellte. Die Ehe mit Amanda war eines dieser Hindernisse gewesen.

Gegen den Wunsch ihrer Eltern war Amanda mit achtzehn nach Hollywood gegangen, um „Karriere und ihr Glück“ zu machen. Sechs Monate später war sie als Garrett Kinghams Braut zurückgekehrt und erwartete sein Baby!

Ihre Eltern hatten sich nach besten Kräften bemüht, den weltgewandten, zynischen jungen Mann in der Familie willkommen zu heißen, und Amanda hatte den Eindruck erweckt, als wäre sie sehr zufrieden damit, wie die Dinge sich für sie entwickelt hatten, aber Sarah hatte ihre Antipathie für ihren Schwager nicht verbergen können. Ihrer Meinung nach hatte er sie alle mit unerträglicher Herablassung behandelt und sogar darauf bestanden, mit Amanda im örtlichen Hotel zu wohnen, obwohl Amandas ehemaliges Schlafzimmer seit Jahren nicht genutzt wurde. Garrett hatte sich indes von der unverhohlenen Abneigung einer Zehnjährigen nicht beeindrucken lassen – er hatte Sarah schlichtweg ignoriert.

Nein, obwohl Garrett bei der ersten Begegnung mit Sarah nur acht Jahre älter gewesen war als Brian jetzt, wusste sie, dass er niemals jungenhaft, geschweige denn jung gewesen war!

„Wir haben oft an dich gedacht“, sagte sie zu Brian.

„Ihr habt nie einen Geburtstag vergessen“, räumte er mürrisch ein, „oder ein Weihnachtsfest.“

Obwohl Garrett Kingham ihr Interesse an Brian nie gefördert hatte, nachdem er ihn fortgeholt hatte, waren sie der Ansicht gewesen, er würde gegen die kleinen Geschenke, die sie dem Jungen zum Geburtstag oder zu Weihnachten schickten, nichts einzuwenden haben. Die Päckchen waren auch nie zurückgekommen, und nach einigen Wochen waren auch immer Dankesbriefe von Brian eingetroffen. In all den Jahren war dies der einzige Kontakt mit ihm gewesen.

„So, da bin ich wieder.“ Ihr Vater kam mit dem Teetablett herein. „Für dich habe ich eine frische Cola mitgebracht, Brian.“ Er setzte sich dem Jungen gegenüber und betrachtete ihn liebevoll, während Sarah den Tee einschenkte. „Ich wusste, dass du wie dein Vater aussehen würdest“, fuhr er wehmütig fort. „Schon als Baby hattest du keinerlei Ähnlichkeit mit uns Harveys.“

Brians Miene wurde verschlossen, so als witterte er irgendeine Form von Kritik.

„Ich finde es gut, dass er Garretts Größe geerbt hat“, warf Sarah ein, um Brian zu zeigen, dass die Bemerkung ihres Vaters bedeutungslos war. „Wir Harveys sind nicht gerade für unseren Riesenwuchs berühmt“, fügte sie selbstironisch hinzu. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung grinste der Junge fröhlich. „Du hast mir noch gar nicht erzählt, was dich hierher geführt hat.“

Brian zuckte die Schultern. „Dad ist in England, um einen Film zu drehen, und ich dachte, es wäre nett, euch einmal zu besuchen.“

Garrett Kingham war tatsächlich in England! Sarah erschrak. Vor zehn Jahren war sie kein Kind mehr gewesen, und trotzdem hatte sie sich wie eine Furie auf Garrett Kingham gestürzt. Seit diesem Tag hatte sie ihn nicht wieder gesehen. Und auch jetzt wollte sie ihn nicht wieder sehen, obgleich das aufgrund Brians Anwesenheit ziemlich unvermeidlich war.

„Er hat dich mitgenommen, damit du hier deine Ferien verbringst?“, erkundigte sie sich beiläufig.

„Ihm blieb gar nichts anderes übrig“, entgegnete Brian grimmig. „Zu seinem großen Pech konnte er mich nämlich nicht wie sonst bei Onkel Jonathan und Tante Shelley abliefern, weil die beiden momentan selbst verreist sind.“ Unverhohlene Bitterkeit schwang in seinen Worten mit.

Sarah fragte sich, wie oft Brian wohl im Lauf der Jahre bei seinem Onkel und seiner Tante „abgeliefert“ worden sein mochte. Dem Tonfall nach zu urteilen, viel zu oft.

Vor zehn Jahren hatte Garrett ihnen unmissverständlich klargemacht, dass er jeden Versuch ihrerseits, seinen Sohn zu sehen, vereiteln würde. Weil sie es für unfair hielten, ein Kind mit Familienstreitigkeiten zu belasten, hatten sie Garretts Wunsch Brian zuliebe respektiert, obwohl es ihnen sehr wehgetan hatte. Nun jedoch war Brian alt genug, um für sich selbst zu entscheiden, und wie es schien, dachte er über seine Angehörigen in England anders als sein Vater. Sarah freute sich darüber, allerdings wusste sie auch, dass Garrett weniger begeistert sein würde.

„Ich bin sicher, er hat dich nicht einfach ‚abgeliefert‘, Brian“, tadelte sie vorsichtig. „Er muss schließlich arbeiten. Bestimmt sind deine Tante und dein Onkel sehr nett.“

„Sie sind ganz in Ordnung“, bestätigte er widerstrebend. „Aber Dad ‚muss‘ nicht arbeiten – er hat Geld genug.“

„Meinst du nicht, dass neununddreißig ein bisschen früh für den Ruhestand ist?“

Zorn flammte in den leuchtend grünen Augen auf. Offenbar hatte Brian absolut nicht damit gerechnet, dass sie seinen Vater in diesem Punkt verteidigen würde. Dabei ergriff sie für niemanden Partei, sondern wollte Brian lediglich zeigen, dass jede Medaille zwei Seiten hatte. Insgeheim fand sie es gar nicht schlecht, dass Garrett diesmal gezwungen gewesen war, seinen Sohn mitzunehmen, und zwar nicht nur, weil sie dadurch Gelegenheit hatten, Brian wieder zu sehen. Sie hatte den Eindruck, dass Vater und Sohn, selbst wenn Garrett zu Hause war, viel zu wenig Zeit miteinander verbrachten.

„Er …“

„Entschuldige, dass ich nicht rechtzeitig an der Haltestelle war, um dich abzuholen, Brian“, warf sein Großvater mit einem warnenden Blick in Sarahs Richtung ein. „Normalerweise hat der Bus immer Verspätung, und ich dachte, ich wäre früh genug losgegangen, aber als ich dann im Ort war, musste ich feststellen, dass der Bus ausgerechnet heute einmal pünktlich war.“

Deshalb also hatte ihr Vater beschlossen, mitten in der Woche seinen Tabak zu holen, sonst unternahm er diesen Spaziergang immer samstags! „Demnach habt ihr beide euch verpasst“, meinte Sarah trocken.

„Nun ja …“ Ihr Vater verzog das Gesicht. „Als ich im Ort eintraf, war der Bus längst fort, und Mrs. Hall vom Laden konnte mir nicht sagen, ob ein Junge ausgestiegen war oder nicht. Ich dachte, Brian hätte es sich vielleicht anders überlegt und wäre nicht gekommen.“

Gerührt beobachtete sie, wie ihr Vater seinen Enkel betrachtete. Ihr Vater war ein wunderbarer, liebevoller Mensch, er hatte für sie und Amanda stets Zeit erübrigt und hätte inzwischen eigentlich ein halbes Dutzend Enkelkinder haben müssen, die er nach Herzenslust verwöhnen könnte. Aber Amanda hatte nur Brian gehabt, und sie selbst … Sarahs Schüler waren ihre Kinder.

„Ich habe mich auf der Tankstelle nach dem Cottage erkundigt“, berichtete Brian. „Dort sagte man mir, am einfachsten sei es zu finden, wenn ich der Küste folge. Also bin ich den Strand entlanggegangen.“

„Das ist der kürzeste Weg.“ Sein Großvater nickte. „Allerdings schmerzen meine alten Beine bei einem Marsch über den weichen Sand.“

„Achte nicht auf ihn, Brian“, riet Sarah. „Seit zwanzig Jahren erzählt er mir, wie alt er ist.“

„Und nie hat sie Mitleid mit mir“, beschwerte er sich. „Glaub mir, nach all den Jahren in einem Haushalt voller Frauen ist es eine Wohltat, mal für eine Weile ein männliches Wesen um sich zu haben.“

Sie traute ihren Ohren kaum. „Brian hat vor, bei uns zu bleiben?“ Ein Tagesbesuch war eine Sache, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass Garrett Kingham mehr erlauben würde.

„Nur wenn es dir recht ist“, meinte Brian unbehaglich.

„Selbstverständlich. Ich …“

„Das Gästezimmer ist immer bereit“, versicherte sein Großvater strahlend. „Hast du Gepäck mitgebracht?“

Brian nickte zögernd. „Mein Rucksack steht vor der Tür“, erwiderte er nach einem besorgten Seitenblick auf Sarah.

Sie wollte kein Spielverderber sein, andererseits … „Weiß dein Vater, wo du bist?“, fragte sie energisch, und diesmal wollte sie eine Antwort hören.

Brian errötete. „Er ist mit dem Inhaber des Filmstudios für ein paar Tage nach Schottland gefahren. Ich hatte es satt, im Hotelzimmer herumzusitzen, also habe ich Grandad angerufen.“

„Trotzdem …“

„Brian, warum holst du nicht deine Sachen und bringst sie nach oben?“, schlug sein Großvater rasch vor. „Es ist das erste Zimmer rechts von der Treppe.“

Der Junge wollte zunächst protestieren, aber dann nickte er wortlos. Die Lippen trotzig zusammengepresst, ging er hinaus.

„Mir ist klar, dass du verärgert bist“, sagte ihr Vater beschwichtigend, bevor sie etwas äußern konnte. „Aber als der Junge mich gestern angerufen hat, war er ziemlich durcheinander. Was hätte ich sonst tun sollen, außer ihn hierher einzuladen?“

„Du weißt, es macht mir absolut nichts aus, dass er hier ist. Ich freue mich genauso sehr wie du, ihn zu sehen. Ich finde nur, du hättest ein wenig verantwortungsbewusster gehandelt und …“

„Wie hätte ich denn mit Garrett reden sollen, wenn er gar nicht im Hotel war?“, erwiderte er.

„Du hättest ihm eine Nachricht hinterlassen können“, wandte sie ein.

„Na schön.“ Ihr Vater zuckte gereizt die Schultern. „Zugegeben, bei dem Gedanken, Brian nach all den Jahren wieder zu sehen, war ich so aufgeregt, dass ich vielleicht ein bisschen selbstsüchtig reagiert habe. Aber noch ist es nicht zu spät, um im Hotel eine Nachricht für Garrett zu hinterlassen. Brian sagte, sein Vater würde frühestens in ein paar Tagen zurückkommen. Ich habe einfach nicht eingesehen, warum der Junge im Hotel herumsitzen und sich langweilen soll, wenn er stattdessen bei uns sein könnte“, fügte er treuherzig hinzu.

Ihr Vater war noch schlimmer als Brian. Trotz seiner sechsundsechzig Jahre schien er keinen Deut vernünftiger oder reifer zu sein, so sehr freute er sich über die Aussicht, Brian um sich zu haben – und sei es auch nur für ein paar Tage. Wenn Brian tatsächlich nur in Hotelzimmern herumsaß und sich langweilte, würde sein Vater ihn vermutlich das nächste Mal nicht wieder mitnehmen, sondern ihn wie üblich bei seiner Tante und seinem Onkel „abliefern“. Sarah bezweifelte jedoch, dass ihr Vater oder Brian auf sie hören würden, wenn sie sie darauf hinwies. Natürlich war sie nicht der Meinung, dass Garrett recht hatte – nein, sie würde nie denken, dass dieser Mann in irgendeinem Punkt jemals recht haben könnte. Aber er war Brians Vater, und er würde sich um ihn sorgen, sobald er von seinem Verschwinden erfuhr.

Sie stand auf, als Brian wieder ins Zimmer kam und sie beide misstrauisch anschaute. „Keine Sorge, Brian“, beruhigte sie ihn. „Wir haben lediglich beschlossen, im Hotel eine Nachricht für deinen Vater zu hinterlassen und ihm mitzuteilen, wo du bist.“

Sarah enthielt sich jeglichen Kommentars, als er eines der renommiertesten Hotels von London nannte – wo sonst würde Garrett Kingham, der weltberühmte Filmregisseur, Sohn und Bruder von Washingtoner Senatoren absteigen!

Kaum hatte Sarah die freundliche Hoteltelefonistin gebeten, Mr. Kingham etwas auszurichten, vernahm sie ein sonderbares Knacken in der Leitung, und ein kurzes Freizeichen ertönte. Gleich darauf wurde der Hörer abgenommen. „Hallo, ich …“

Autor

Carole Mortimer
Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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