Mirraccino Royals - Eine königliche Hochzeit liegt in der Luft (2 Miniserien)

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EIN PRINZ ZUM FEST DER LIEBE

"Du bist ein Prinz?" Reese muss laut lachen. Sie glaubt Alex kein Wort! Aber am nächsten Tag entdeckt sie ihn geschockt in den Schlagzeilen: Sie hat den kalten Winterabend in New York wirklich mit einem Prinzen verbracht - der sie jetzt bittet, seine Freundin zu spielen!

DAS WUNDER DIESER STILLEN NACHT

"Das Fest der Liebe", flüstert Zoe beim Tannenbaumschmücken verzaubert. Gerade hat Demetrius ihr eröffnet, dass er ihrer Ehe noch eine Chance geben will. Und das, obwohl es heftig zwischen ihnen kriselt! Wird ein Weihnachtswunder wahr? Immerhin hütet Zoe ein trauriges Geheimnis …

DIESE SEHNSUCHT NACH DEINEN KÜSSEN

Um dem Leben im goldenen Käfig zu entkommen, kehrt Lady Annabelle dem Königreich Halencia den Rücken. Doch erstmals ohne Bodyguards unterwegs, wird ihr prompt die Handtasche entrissen. Zum Glück eilt ihr ein faszinierender Fremder zur Hilfe, der Unternehmer Grayson Landers. Vom ersten Moment an prickelt es unwiderstehlich zwischen ihnen, sehnsüchtig verzehrt sie sich bald insgeheim nach seinen Küssen. Aber mehr noch fürchtet sie, mit einer Romanze genau das zu riskieren, was sie sich gerade erst zurückerobert hat: die Freiheit ihres Herzens!

ES BEGANN IN DER STADT DER LIEBE?

Luca DiSalvo und Elena sind beste Freunde seit Kindertagen - nicht mehr und nicht weniger! Bis das schöne Supermodel den Earl von Halencia jetzt bei einer Modenschau in Paris wiedertrifft. Liegt es am Champagner, dass es plötzlich so sinnlich zwischen ihnen prickelt? Wie im Rausch gibt Elena sich ihm hin, genießt eine zärtliche Liebesnacht in seinen Armen. Ein Fehler, der nicht nur ihre Freundschaft aufs Spiel setzt? Traurig sehnt Elena sich insgeheim nach mehr. Dabei weiß sie doch, dass Luca nicht an romantische Liebe und immerwährendes Glück glaubt. Oder?


  • Erscheinungstag 19.12.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729127
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Jennifer Faye

Mirraccino Royals - Eine königliche Hochzeit liegt in der Luft (2 Miniserien)

IMPRESSUM

Ein Prinz zum Fest der Liebe erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2014 by Jennifer F. Stroka
Originaltitel: „A Princess by Christmas“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 406 - 2015 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Elisabeth Hartmann

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733729226

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Endlich hatte er sie abgehängt.

Prinz Alexandro Castanavo von den Mirraccino-Inseln blickte aus dem Heckfenster des Taxis. Er war noch nie in New York City Taxi gefahren, und seine Unruhe wuchs, als das Fahrzeug in Richtung Straßenböschung schlingerte. Während der restliche Verkehr zum Stillstand gekommen war, konnte er seinen Weg fortsetzen.

Als das Taxi urplötzlich nach links ruckte, prallte Alexandro mit der Schulter gegen die Tür. Er krallte die Finger in die Armlehne. Womit hatte er das verdient? Warum musste er an einen Taxifahrer geraten, der sich für einen Rennfahrer hielt?

Alex wurde nach vorn geschleudert, als das Taxi vor einer roten Ampel stoppte. Immerhin beachtete der Kerl die eine oder andere Verkehrsregel. Ein weiterer Blick aus dem Heckfenster entlockte Alex einen Seufzer der Erleichterung. Niemand folgte ihm. Aber wie auch? Vermutlich fuhren nicht viele Leute so unberechenbar wie dieser Chauffeur.

„Können Sie mich hier aussteigen lassen?“

„Nein. Ich bringe Sie rasch ans Ziel.“

Alex lehnte sich still in den Sitz zurück, während der Taxifahrer durch die Straßen von Manhattan raste. Es hatte angefangen, in feinen Flocken zu schneien. Girlanden und festliche Kränze schmückten die Häuserfronten, die Schaufenster waren dekoriert mit Christbäumen und Glitzerkram. Weihnachten lag in der Luft, obwohl es bis dahin noch ein paar Wochen dauerte.

Bald wurden die Geschäfte weniger, der Verkehr dünnte aus, und Wohnhäuser säumten zu beiden Seiten die Straße. Ein letzter Blick aus dem Heckfenster zeigte weit und breit keinen Verfolger. Endlich ließen die Verspannungen in Alex’ Nacken nach.

Die Wohnhäuser in Willow Heights standen in einiger Entfernung von der Straße, ältere Villen, gut gepflegt und immer noch atemberaubend schön. Man fühlte sich wie in frühere Zeiten zurückversetzt. Ein schmiedeeiserner Wegweiser tauchte auf. Er stand vor einer Steinmauer, und die Aufschrift lautete: The Willows.

Alex blickte an der Villa mit ihrem altertümlichen Charme hinauf. Er wusste nicht recht, was er erwarten sollte. Als sich im Palast das Problem auftat, war ihm keine Zeit zur detaillierten Planung geblieben. Er war direkt zur Tat geschritten. Seine Mission bestand darin, sein Katz-und-Maus-Spiel mit der Presse auszuweiten – ohne zu wissen, wie viel Zeit benötigt wurde, um das jüngste Fiasko seines Bruders aus der Welt zu schaffen.

Der Taxifahrer bog in die Zufahrt ein. „Was für ein piekfeines Haus. Sind Sie irgendein stinkreiches hohes Tier?“

Alex wusste nicht recht, was er unter einem hohen Tier verstehen sollte, doch es hörte sich nicht gut an. „Nein.“

„Bleiben Sie lange?“

Wenn er das wüsste. „Ich weiß es noch nicht.“

„Wenn Sie ein Taxi brauchen, rufen Sie mich. Freddy fährt Sie überall hin.“

Nein, das würde Alex ganz sicher nicht tun.

Die gepflasterte Zufahrt führte zu einem weitläufigen zweistöckigen Herrenhaus. Es musste vor ein-, zweihundert Jahren erbaut worden sein.

Das Taxi hielt, und der Fahrer bedachte Alex mit einem breiten Grinsen. Alex bezahlte ihn in bar; es war angeraten, seine wahre Identität zunächst einmal zu verbergen.

Kaum stand Alex mitsamt seinem Gepäck auf dem Gehsteig, raste das Taxi von dannen. Alex unterdrückte ein Gähnen. Nie war er so froh gewesen, festen Boden unter den Füßen zu spüren. Jetzt wollte er nur noch sein Zimmer aufsuchen und eine Mütze voll Schlaf nehmen, bevor er vor Erschöpfung umfiel.

„Willkommen“, rief eine liebliche Stimme.

Er drehte sich um und sah eine junge Frau um die Hausecke biegen. Sie schleppte einen großen Pappkarton. Ihr rotbrauner Pferdeschwanz schwang von einer Seite zur anderen, als sie auf ihn zukam. Ihre Schönheit faszinierte ihn, von ihren rosigen Wangen bis zu den vollen roséfarbenen Lippen.

Ihr Atem bilde weiße Wölkchen in der eisigen Luft. Sie furchte vor Anstrengung die Stirn; der Pappkarton war viel zu groß für sie.

Alex wurde sofort aktiv. „Ich nehme Ihnen das ab.“

Sie zögerte zunächst, gab dann aber nach. „Der Karton soll auf die Eingangsveranda.“

„Ihr Wunsch ist mir Befehl.“

Seite an Seite schritten sie den Weg entlang. Sie warf einen neugierigen Blick in seine Richtung. „Geht’s Ihnen gut? Sie wirkten ein bisschen wacklig auf den Beinen, als Sie aus dem Taxi stiegen.“

„Sie können sich die Fahrt hierher auch kaum vorstellen.“ Am Fuß der Treppe blieb er stehen. „Ich glaube, der Taxifahrer fuhr öfter neben als auf der Straße.“

„Das Abenteuer hat Ihnen anscheinend nicht zugesagt?“

„Ganz und gar nicht. Ich bin heilfroh, dass ich unversehrt hier angekommen bin. Erinnern Sie mich daran, dass ich es mir gut überlege, ob ich diese Taxigesellschaft noch einmal in Anspruch nehmen will.“

Die junge Dame lächelte, und er lächelte zurück. Das war nicht gut. Er durfte Frauen nicht ermutigen. Alles wurde nur noch komplizierter, wenn sie dann mehr wollten, als er zu geben bereit war.

Er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und ging zur Veranda. Dort ließ er den Karton mit lautem Rumpeln einfach fallen. Er drehte sich um, und die junge Frau stand direkt hinter ihm.

Bewundernd betrachtete er sie in ihrer weißen Winterjacke mit dem „The Willows“-Logo in Blau auf der Brust, registrierte ihre engen Jeans und die weizengelben Stiefel an ihren Füßen. Er löste den Blick von ihren schönen Rundungen, die sich unter dem Outfit abzeichneten. Schließlich sah er in ihre Augen – in ihre großen braunen Augen. Ob sie wohl wusste, wie schön sie war? Die Kerle mussten verrückt nach ihr sein.

„Danke für die Hilfe.“ Ihr Blick wanderte zu seinem Gepäck und dann zurück zu ihm. „Kann ich Ihnen helfen? Gehören Sie zu der Hochzeitsgesellschaft?“

„Nein.“ Seine Stimme klang tiefer als gewöhnlich. „Ich möchte einchecken.“

„Sie hätten vorher ein Zimmer reservieren lassen müssen.“

Diese junge Frau musste sich irren. „Ich habe reserviert. Und jetzt würde ich gern den Geschäftsführer sprechen.“

Die junge Frau zog den rechten Handschuh aus und streckte Alex die Hand entgegen. „Sie sprechen mit der Geschäftsführerin. Ich bin Reese Harding. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“

Er trat näher heran und nahm ihre warme Hand in seine kalte. Ihre Haut war glatt und weich. Er wehrte sich gegen den Drang, mit dem Daumen ihren Handrücken zu streicheln. Als er ihren Blick einfing, bemerkte er goldene Pünktchen in ihren Augen.

„Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Ich bin P-“ Er fing sich noch rechtzeitig, bevor er mit seinem offiziellen Titel herausplatzte. Einen Moment lang musste er überlegen, welches Alias er bei der Anmeldung benutzt hatte. Er hatte sich den Mädchennamen seiner Mutter ausgeborgt. „Alex DeLuca.“

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er ihre Hand länger als notwendig hielt, und er ließ sie los. Er hatte sich noch nie in diesem Ausmaß von einer Frau beeindrucken lassen. Vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf zeigten jetzt eindeutig ihre Wirkung. Während eines Flugs schlafen zu können, hätte er durchaus als hilfreich empfunden.

„Ihnen gehört dieses Hotel?“, fragte er, um sich zu vergewissern, dass er sie richtig verstanden hatte.

„Ja.“

Er zog die Brauen zusammen und musterte Reese. Sie erschien ihm wirklich noch sehr jung für eine Person mit eigenem Unternehmen. „Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“

„Ich kann Ihnen versichern, dass ich älter bin, als ich aussehe.“

Tja, nun war seine Neugier erst recht geweckt. „Und zwar …“

„Fünfundzwanzig.“ Sie hob das Kinn mit dem Grübchen darin. „Wollen Sie etwa auch noch meinen Ausweis sehen?“

„Hm … nein.“ Er wandte den Blick ab. Er ließ sich ablenken. Es musste wohl am Jetlag liegen, denn er war nicht hier, um mit Frauen anzubändeln – nicht einmal mit einer so bezaubernden wie die, die vor ihm stand. „Was das Zimmer betrifft …“

„Bis Montag sind wir ausgebucht.“

„Bis Montag?“ Das war unmöglich. Seine Nacken- und Schultermuskeln verkrampften sich. „Ich habe ab heute reserviert.“

„Falls Sie für einen anderen Zeitraum reservieren möchten, sehe ich gern im Terminkalender nach.“ Sie drehte sich um und trat ins Haus.

Er folgte ihr und schloss die Tür hinter sich. „Ich versichere Ihnen, ich habe reserviert.“

Sie seufzte unüberhörbar, blieb im Foyer stehen und drehte sich um. „Hören Sie. Ich habe keine Reservierung von Ihnen. Ich habe noch nie mit Ihnen gesprochen. Diesen Akzent hätte ich nicht vergessen.“

Er hätte ihre süße Stimme ebenso wenig vergessen. Sie war genauso attraktiv wie frustrierend. „Dann muss jemand anderer meine Reservierung aufgenommen haben. Sie sind doch sicher nicht die Einzige, die hier arbeitet.“ Andererseits aber war das Hotel kleiner, als er erwartet hatte. „Oder?“

Sie runzelte die Stirn. „Nein. Doch jeder andere, mit dem Sie gesprochen haben könnten, hätte im Online-System nachgesehen und festgestellt, dass wir restlos ausgebucht sind.“

Er war nicht bereit aufzugeben und rief sich die telefonische Reservierung in Erinnerung. „Ich habe mit einer Frau gesprochen. Der Stimme nach war sie ein wenig älter als Sie. Sie hat meine Angaben aufgenommen.“

Reese runzelte die Stirn. „Vielleicht haben Sie doch eine Reservierung. Möglicherweise wurde sie nicht im Computer erfasst.“ Sie senkte den Kopf. „Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ich kein Zimmer mehr frei habe. Wir haben an diesem Wochenende eine Hochzeitsgesellschaft.“

Er hatte an diesem Tag drei verschiedene Flugzeuge bestiegen, um die Paparazzi abzuschütteln. Und am Flughafen von Atlanta hatte er einen langen Aufenthalt über sich ergehen lassen müssen. Jetzt wollte er nur noch eine warme Mahlzeit und ein Bett. Er unterdrückte ein Gähnen. Vielleicht doch lieber zuerst ein weiches Bett und dann die warme Mahlzeit. Alles andere war inakzeptabel.

Er straffte sich und stemmte die Hände in die Hüften, schluckte seinen Frust herunter und bemühte sich um einen professionellen Tonfall. „Was ist mit meiner Anzahlung?“

Sie öffnete halb die vollen Lippen und wurde blass. „Sie haben eine Anzahlung geleistet?“

„Ja. Sehen Sie in Ihrem Computer nach.“

Sie riss die Augen auf. „Mr DeLuca, natürlich wird Ihnen die Anzahlung in voller Höhe erstattet. Ich bitte um Verzeihung für diese Unannehmlichkeiten.“

Er schaute sich in dem historischen Herrenhaus um, erfasste die geschwungene Treppe und die Bleiglasfenster auf dem Treppenabsatz. Irgendwo hier musste doch noch ein Zimmer zu haben sein!

Ohne ein weiteres Wort schritt die hitzköpfige Schöne die hübsch gerundeten Hüften schwingend davon. Alex blickte ihr nach, bis sie in einem Flur verschwand.

Reese Harding marschierte in den rückwärtigen Teil des Hauses. Sie wollte nicht zulassen, dass der Fremde ihr unter die Haut ging. Die ganze Zeit über ignorierte sie das Prickeln in ihrem Nacken. Sollte er sie doch anstarren. Sie würde sich nicht erweichen lassen, nur weil er so verdammt gut aussah und seine bloße Berührung ein Kribbeln in ihren Fingern hervorrief.

Reese stapfte in das Büro direkt neben der Küche. Sie vermutete, dass ihre Mutter die Reservierung angenommen hatte. Wenn das der Fall war, stand Reese womöglich vor einem echten Problem.

„Hey, Schatz.“ Ihre Mutter spähte aus der Küche zu ihr herein. „Was machst du da? Du hast gerade eine Schneespur auf meinen sauberen Böden hinterlassen.“

„Tut mir leid.“ Reese kramte weiter in den Stapeln von Rechnungen und Korrespondenz auf dem großen Eichenschreibtisch. „Ich suche etwas.“

„Kann ich helfen?“ Die Miene ihrer Mutter hellte sich auf.

„Im Foyer wartet ein Mann, der behauptet, für heute Nacht ein Zimmer reserviert zu haben. Erinnerst du dich an den Anruf von einem Alex soundso mit einem fremdländischen Akzent?“

Ms Harding legte die Stirn in Falten. „Wann soll er angerufen haben?“

„Letzte Woche.“ Reese nahm sich den nächsten Stapel vor und suchte nach irgendetwas, was die Worte des Mannes bestätigen konnte.

„Doch, ich erinnere mich an jemanden mit einem fremdländischen Akzent. Ich weiß es noch, weil die Verbindung ziemlich schlecht war.“

„Tatsächlich? Du erinnerst dich?“

„Wenn ich die Reservierung angenommen habe, ist die Anzahlung im Computer verzeichnet.“

Ihre Mutter hatte recht. In diesen Mengen von Papieren zu suchen, war reine Zeitverschwendung. Sie fuhr den Computer hoch.

Reese rief das Finanzkonto des Hotels auf. Da fand sich tatsächlich eine Anzahlung – eine gewaltige Anzahlung. Reeses Herzschlag beschleunigte sich vor Aufregung. Mit dem vorhandenen Geld hätte man die gesamte Villa für einen Monat mieten können. Dann schaute sie unter den Online-Reservierungen nach. Mr DeLucas Name tauchte dort nicht auf. Wie war das möglich?

Doch dieser Geldzustrom war genau das, was sie brauchten, um den bevorstehenden Steuerforderungen nachzukommen, ganz zu schweigen von ihrem Bankkredit. Ganz ruhig. Keine vorschnellen Überlegungen.

Sie konnte sein Geld ja nicht annehmen. Sie hatte kein Zimmer für ihn. Sie konnte dem Herrn mit dem sexy Akzent lediglich die volle Erstattung seiner Anzahlung anbieten und hoffen, dass er dann ohne großes Geschrei verschwand.

Aber der Mann machte keineswegs den Eindruck, als würde er ohne Weiteres auf das, was er wollte, verzichten.

Bewaffnet mit dem Scheck kehrte sie ins Foyer zurück. Als sie ihre Mutter und Mr DeLuca in gedämpfter Unterhaltung vorfand, blieb sie bei der Treppe stehen. Beide schienen sie nicht bemerkt zu haben. Was um alles in der Welt erzählte ihre Mutter ihm, das ihn so fesselte? Der Mann wiegte sich auf den Absätzen und lachte. Es war ein tiefes, voll tönendes Lachen.

Als ihre Mutter und Mr DeLuca Schritte auf dem Holzfußboden hörten, wandten sie sich zu ihr um. Reese hielt den großzügigen Scheck noch fester in der Hand. Am besten brachte sie die Sache rasch hinter sich.

„Ah, da kommt meine Tochter.“ Ihre Mutter neigte sich Mr DeLuca zu, als wären sie alte Freunde. „Sie hat sicher alles für Sie geregelt. Es war nett, Sie kennenzulernen. Ich würde mich gern noch einmal mit Ihnen unterhalten.“ Die Augen ihrer Mutter blitzten, und ein schelmisches Lächeln umspielte ihre Lippen.

Als sie allein waren, straffte Reese die Schultern. „Mr DeLuca, ich habe Ihre Reservierung überprüft und muss Sie um Verzeihung für die Unannehmlichkeiten bitten, die Ihnen durch uns entstanden sind. Meiner Mutter ist bei der Aufnahme Ihrer Reservierung ein Fehler unterlaufen. Sie hat übersehen, dass wir bereits Verbindlichkeiten eingegangen waren.“

Der Mann schwieg, zeigte nicht das geringste Interesse, ihr aus der peinlichen Situation herauszuhelfen. Sie streckte ihm den gesalzenen Scheck entgegen, doch er machte keinerlei Anstalten, ihn entgegenzunehmen.

„Es ist Ihre komplette Anzahlungssumme. Ich habe es überprüft.“ Als er sich immer noch nicht rührte, fügte sie hinzu: „Wir erstatten Ihnen die Vorauszahlung bis auf den letzten Cent.“

„Das will ich nicht.“

„Aber …“

„Kein ‚Aber‘ mehr. Ich bleibe.“ Er gab ihr den Scheck zurück. „Und erzählen Sie mir nicht noch einmal, Sie hätten kein Zimmer frei. Ihre Mutter sieht das anders.“

„Wie bitte?“

Er bedachte sie mit einem wissenden Lächeln. „Sie sagt, es steht noch ein Zimmer zur Verfügung. Es befindet sich in einem privaten Apartment, und ich könne es nutzen, bis eines der Gastzimmer frei wird.“

Was um alles in der Welt war in ihre Mutter gefahren? Sicher, vor der Katastrophe mit Reeses Vater war sie sehr spontan gewesen, doch seitdem hatte sie so reserviert, so still gewirkt. Jetzt wurde sie wieder in der Gastronomie aktiv, was erfreulich war, aber warum zum Kuckuck überließ sie diesem völlig Fremden das Schlafzimmer ihrer Tochter?

Reese schüttelte den Kopf in dem Versuch, die Vorstellung von diesem großen, dunklen, glattzüngigen Fremden in ihrem Bett zu vertreiben. „Das hätte sie nicht tun dürfen, nicht, ohne mich vorher zu fragen.“

Seine Stimme wurde sanfter. „Sie war anscheinend sicher, dass Sie nichts dagegen einzuwenden hätten. Schließlich ist es ja nur eine Übergangslösung bis zur Abreise der anderen Gäste.“

„Aber bis dahin vergehen noch Tage. Sie reisen erst am Montag ab.“ Und die Wohnung war so klein, dass sie sich ständig über den Weg laufen würden, Tag und … Nacht.

Sie schluckte krampfhaft. „Ich muss Sie warnen: Das Zimmer ist nichts Besonderes. Es ist eigentlich ziemlich schlicht.“

„Ist es sauber?“

Sie nickte. Erst am Morgen war die Bettwäsche gewechselt worden. „Aber es entspricht ganz bestimmt nicht Ihren gewohnten Ansprüchen, ja, nicht einmal dem üblichen Standard von The Willows. Und … und …“

„Und was?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts Wichtiges.“

Sie brachte das Eingeständnis, dass es sie störte, ihn in ihrer Wohnung zu haben, nicht über die Lippen. Denn so sehr sie sich auch sagte, dass es eine rein geschäftliche Angelegenheit war, empfand sie es doch als sehr persönlich, dass er zwischen ihre Laken schlüpfen und den Kopf auf ihr Kissen betten würde.

Er blickte sie neugierig an. „Wenn Sie sonst noch etwas bedrückt, sagen Sie es lieber gleich.“

„Tja, Mr DeLuca, dann haben Sie jetzt offenbar die ganze Villa für sich allein gebucht.“

Das gebräunte Gesicht des Mannes entspannte sich, und der Hauch eines Lächelns umspielte seine vollen Lippen. „Da wir jetzt Hausgenossen sind, darfst du mich Alex nennen.“

Sie war nicht so sicher, ob diese persönliche Nähe gut für ihre ausufernden Gedanken war, wollte seine Freundlichkeit jedoch nicht abweisen. „Und du kannst Reese zu mir sagen.“

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen erwachte Alex in seiner Straßenkleidung. Er hatte doch nur ein kurzes Nickerchen machen wollen. Sein Magen knurrte. Das Abendbrot hatte er verpasst. Jetzt kamen ihm die Ereignisse des Vorabends wieder in den Sinn.

Nach einer heißen Dusche und einer dringend notwendigen Rasur packte er seinen Koffer aus. Er ging zur Kommode und öffnete eine Schublade. Er zuckte zurück, als er einen BH aus hellrosa Seide entdeckte. Was zum Kuckuck …?

Rechts daneben fand er dazu passende Slips, nicht mehr als Stofffetzen mit ein paar rosa Bändchen. Auf der Stelle erschien Reese vor seinem inneren Auge. Dieses Zimmer gehörte offenbar ihr. Und diese Wäsche ebenfalls. Er schloss die Schublade, aber es war zu spät. Seine Fantasie ging mit ihm durch.

Er war am Vorabend nicht nur unfreundlich zu ihr gewesen, er hatte sie auch noch ihres Bettes beraubt. Er stöhnte auf. Eine Entschuldigung würde vermutlich nicht ausreichen, um wieder Gnade vor ihren Augen zu finden.

Er entnahm seinem Koffer eine Jeans und einen Pullover – die Kleidungsstücke, die er sich von seinem Bruder geborgt hatte. Sie waren lässiger als seine gewohnte Garderobe, doch diese Reise verlangte nun mal ein sehr zwangloses Auftreten von ihm. Er und sein Zwilling, der Kronprinz Demetrius Castanavo, trugen nach wie vor die gleiche Größe. Das Fehlen der Kleidungsstücke würde Demetrius nicht einmal auffallen, und es wäre ihm ohnehin gleichgültig. Im Augenblick hatte er entschieden Wichtigeres im Kopf.

Als Nächstes frisierte Alex sein vorübergehend dunkel gefärbtes Haar. Man sollte ihn nicht zu bald erkennen. Sollten die Paparazzi ihre Jagd doch fortsetzen. Der eigentliche Spaß bestand ja im Aufspüren. Und sie würden eine ganze Weile brauchen, um ihn in diesem abgelegenen Hotel zu finden.

Während er das Styling Gel ins Haar knetete, dachte er über die Situation seines Bruders nach. Er hatte Verständnis für Demetrius. Die Vorstellung, die Verantwortung nicht nur für die königliche Familie, sondern für eine gesamte Nation zu tragen, war, gelinde gesagt, schon ein wenig erdrückend. Er konnte nur hoffen, dass Demetrius sich mit seiner ererbten Stellung abfand und keine weiteren Zwischenfälle verursachte – wie den potenziellen Skandal, den zu vertuschen sich alle so sehr bemühten.

Als Nächstes gab Alex Tropfen in seine Augen, um die Farbe der Kontaktlinsen aufzufrischen. Er blinzelte ein paar Mal, dann überprüfte er sein Gesicht im Spiegel. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Heute war er nicht mehr Prinz Alexandro. Er war schlicht und einfach Alex. Doch zunächst hatte er noch ein paar königliche Dinge zu erledigen.

Er ging ins Wohnzimmer und hörte ein Klopfen an der Tür. Ein Mann reichte ihm ein gut bestücktes Tablett, und Alex lief das Wasser im Mund zusammen. So hungrig war er schon lange nicht mehr gewesen. Er bedankte sich, ließ sich auf dem Sofa nieder und langte kräftig zu.

Er arbeitete bis in den Nachmittag hinein. Nachdem er die letzte Mail abgeschickt hatte, begab er sich nach unten. Er hatte gerade den Weg in die Küche gefunden, als Reese ihm mit einem Tritthocker entgegenkam. Eingemummelt in ihren Mantel, mit Ohrschützern aus Plüsch, blieb sie vor ihm stehen.

„Guten Tag.“ Ihre Stimme klang kühl; ihr Mund zeigte nicht die Spur eines Lächelns.

Alles wäre so viel einfacher gewesen, wenn er nicht auf ihre feinen Dessous gestoßen wäre. In diesem Moment überlegte er bereits, ob sie wohl eine entsprechende Garnitur in Blau anhatte. Ober vielleicht gefiel ihr Violett besser. Oder Gepunktet.

„Würdest du bitte zur Seite treten? Ich bin auf dem Weg nach draußen.“

Als sie zur Eingangstür ging, überkam ihn ein Gefühl des Unbehagens. Der Tritthocker hatte anscheinend schon bessere Tage gesehen. Das in Verbindung mit Glatteis und Schnee konnte problematisch werden. Vielleicht ergab sich hier eine Möglichkeit, bei Reese zu punkten. Aber mehr noch als das; irgendetwas verriet ihm, dass Reese Hilfe brauchen konnte, auch wenn sie zu starrsinnig war, es zuzugeben.

In Gedanken versunken öffnete Alex die Haustür. Daneben entdeckte er Reese. Die Tür stieß gegen den Tritthocker, auf dem sie stand, und dieser schwankte zur Seite. Reese konnte gerade noch rechtzeitig abspringen.

„Alles in Ordnung?“ Alex hastete zu ihr.

„Nichts passiert.“ Doch anscheinend freute sie sich nicht, ihn zu sehen, was er ihr nicht einmal verübeln konnte.

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand direkt vor der Tür steht.“

„Meine eigene Schuld, ich hätte ein bisschen weiter zur Seite rücken müssen, aber ich hatte Probleme mit der Lichterkette über der Tür.“

Er warf einen Blick auf die Kette. „Das sieht doch gut aus.“

„Schau es dir von hier aus an.“ Sie ging voran in den Garten, ohne sich am hohen Schnee zu stören.

Alex folgte ihr. Als er sich umdrehte, erkannte er, dass Reese die Eingangsveranda in eine wunderschöne Winterlandschaft verwandelt hatte. Kleine künstliche Tannenbäumchen, mit Lichtern geschmückt, standen wie Wachtposten zu beiden Seiten der Eingangstür. Eine Girlande mit blinkenden Lichtern fasste die gesamte Veranda ein und ließ sie sanft erstrahlen.

Reese legte die Stirn in Falten. „Stimmt etwas nicht?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Gut. Ich dachte nur, wenn du hier draußen in der Kälte herumstehst, statt es dir im warmen Zimmer gemütlich zu machen, dann müsstest du schon ein dringendes Anliegen haben.“

Das war sein Stichwort. Er hatte kaum Übung im Bitten um Entschuldigung, und aus irgendeinem Grunde wollte er es unbedingt richtig machen.

„Ja, ich muss dir etwas sagen.“ Als er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, fuhr er fort: „Ich bitte um Entschuldigung wegen unseres gestrigen Zusammentreffens. Ich habe mich schlecht benommen.“

Irgendetwas flackerte in ihren Augen auf, war aber gleich wieder verschwunden. „Entschuldigung angenommen. Aber es war nicht allein deine Schuld. Du hast ein reserviertes Zimmer erwartet. Niemand kann dir verübeln, dass du verärgert warst.“

„Aber dich aus deinem eigenen Bett zu werfen …“

„Keine Sorge. Ich schlafe sowieso nicht viel.“

Bevor er nachhaken konnte, ging sie zurück auf die Veranda und zupfte die Lichterkette am Geländer zurecht. „Was meinst du?“ Reese trat wieder an seine Seite.

Er sah eigentlich keinen Unterschied. „Sieht schon viel besser aus.“

„Ich weiß nicht.“ Sie verschränkte die Arme und betrachtete die Lichter, die sich von einem Ende der Veranda bis zum anderen zogen. „Perfekt ist es nicht, aber es muss wohl reichen.“

„Bringst du immer so kunstvolle Dekorationen an?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich würde mir die Mühe gern sparen, aber zu Weihnachten erwartet man von jedem Haus am Cobblestone Way Festbeleuchtung.“

Reese stieg auf den wackligen Tritthocker. Als sie leicht ins Schwanken geriet, stürzte Alex an ihre Seite.

„Lass mich das machen.“ Er streckte die Hand nach der Lichterkette aus.

„Danke, aber ich habe alles im Griff. Ich weiß genau, wie ich sie aufhängen muss.“

Er legte spontan die Hand an ihre Hüfte, um Reese im Gleichgewicht zu halten, und mit der anderen Hand hielt er den Hocker. Ihre Körperwärme drang durch die Jeans und rief ein merkwürdiges Kribbeln in seinem Arm hervor.

Reese sah zu ihm herunter, und ihre Blicke hielten einander etwas länger als notwendig fest. Dann wandte sie sich ab und versuchte, die Lichterkette über drei kleine Haken oberhalb der Tür zu ziehen.

„So. Das dürfte reichen.“ Mit Alex’ Hilfe stieg sie vom Hocker. „Würdest du sie wohl an den Strom anschließen?“ Sie wies auf die Steckdose auf der anderen Seite der Veranda.

Er half ihr gern, und sei es nur mit kleinen Handreichungen. Und dass diese selbstständige Frau ihn überhaupt helfen ließ, bedeutete wohl, dass er Fortschritte bei ihr machte. Das gefiel ihm – was nicht hieß, dass er ihre Bekanntschaft zu weit gehen lassen würde. Doch es wäre sicher schön, jemanden für freundschaftliche Gespräche zur Verfügung zu haben. Rasch hatte er das Ende des Verlängerungskabels gefunden und schloss die zusätzliche Lichterkette ans Stromnetz an.

Er drehte sich um und sah Reese auf dem Rasen stehen und ihre Arbeit begutachten. Er folgte ihrem Beispiel, blickte zum Haus auf und fand, dass es genauso aussah wie vorher. „Das hast du gut gemacht.“

„Es ist keine große Sache. Aber es ist schön zu wissen, dass jemand meine Mühe zu schätzen weiß.“

„Brauchst du sonst noch Hilfe?“

„Ja, tatsächlich.“

Ihre Antwort überraschte ihn. „Sag’s mir.“

„Nach dem Essen muss ich einen Weihnachtsbaum besorgen.“

Sie wollte einen Baum fällen? An Entschlusskraft mochte es ihr nicht mangeln, doch er bezweifelte, dass sie über die notwendige Körperkraft verfügte.

Er folgte Reese zurück auf die Veranda und half ihr, das Werkzeug einzusammeln. „Ich muss zugeben, dass es eine Premiere für mich sein wird“, gab er zu.

„Woher genau kommst du?“

Er wollte sie nicht anlügen, durfte aber auch nicht restlos ehrlich sein. Auf Grund seines Akzents würde er keinesfalls als Amerikaner durchgehen. Irgendwie musste er sich aus diesem heiklen Thema herauswinden.

Er beschloss, den Spieß umzudrehen. „Was meinst du denn?“

„Ich weiß nicht.“ Sie neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn. „Lass mich überlegen.“

Das Zusammensein mit Reese konnte verzwickter sein, als er es sich vorgestellt hatte. Er wollte sie nicht belügen, konnte ihr jedoch auf keinen Fall sein Herkunftsland verraten. Vielleicht hätte er lieber in der Wohnung bleiben und ihr aus dem Weg gehen sollen. Innerlich stöhnte er auf. Als ob das möglich wäre. Schließlich waren sie Wohnungsgenossen.

Außerdem hatte er bereits eine Verabredung mit ihr. Nein, falsch. Er hatte Pläne mit ihr.

Mannomann, er steckte bis über beide Ohren in der Klemme, und es war erst sein zweiter Tag in New York.

Das war wohl doch keine gute Idee.

Was hatte sie sich dabei gedacht, den Mann um seine Begleitung beim Weihnachtsbaumkauf zu bitten? Eigentlich brauchte sie dabei keine Hilfe. Seit dem Tod ihres Vaters hatte sie alles allein geschafft. Warum sollte sich das jetzt ändern?

Sie öffnete das Tor und startete den Pickup. In Nullkommanichts saß Alex neben ihr. „Reese, danke, dass ich mitfahren darf.“

Göttlich, wie er die Rs rollte. Sie konnte gar nicht genug davon bekommen. Reese wurde bewusst, dass ihre Gedanken abschweiften, und sie rief sich ins Gedächtnis, dass er ihr Gast war – und nichts weiter.

„Ja, klar doch. Kein Problem.“ Um zu verhindern, dass ihre Gedanken auf Irrwege gerieten, schaltete sie das Radio ein und suchte einen Sender mit Weihnachtsmusik. Nachträglich fragte sie: „Ein bisschen Musik stört dich doch hoffentlich nicht?“

„Überhaupt nicht. Bei meiner Mutter war der … das Haus immer von Musik erfüllt.“

Ihr fiel auf, dass er in der Vergangenheit sprach, und dann war da dieses kleine Zögern. Sie fragte sich, ob auch er frühzeitig einen Elternteil verloren hatte. Das wünschte sie niemandem – ganz gleich, wie die Umstände waren.

Alex räusperte sich. „Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind? Wir fahren ja in die Stadt.“

Zwar hatte die Unterhaltung sie abgelenkt, aber sie glaubte nicht, dass sie sich verfahren hatte. Nur um sicherzugehen, sah sie sich nach Orientierungspunkten um. „Wir sind hier richtig.“

„Aber ich dachte, wir wollen einen Weihnachtsbaum fällen.“

„Ich habe gesagt, wir müssen einen Weihnachtsbaum besorgen; von Fällen war nie die Rede.“ Sie warf ihm einen Blick zu. Er war tief in den Sitz gerutscht und rückte seine Basecap zurecht. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche. Aber so geht es eben schneller und einfacher.“

„Ist es noch weit?“

„Überhaupt nicht. Wir sind sogar schon am Ziel.“

Sie blickte aus dem Fenster auf den vertrauten eingezäunten Platz. Tannenbäume in allen Größen standen zum Verkauf. Leute jeder Altersgruppe schlenderten umher, zeigten hier und da auf einen Baum.

Reese wollte es schnell hinter sich bringen und sagte: „Ich suche rasch einen passenden Baum fürs Foyer aus. Du kannst dich gern ein bisschen umschauen.“

„Was ist mit einem Baum für dich selbst?“ Als sie ihn verwundert anblickte, fügte er hinzu: „Für die Wohnung?“

„Ich will keinen. Nach allem, was passiert ist … Ach, schon gut. Ich habe einfach keine Zeit dafür.“

Sie stieß die Fahrzeugtür auf und sprang heraus. Sie befand sich bereits auf dem Gehsteig, als Alex’ Tür sich öffnete. Ihr fiel auf, dass er den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen und sich die Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte. Ihm war offenbar kalt. Wenn er lange genug in New York blieb, würde er sich an die Kälte gewöhnen.

Was hatte er sich dabei gedacht, Reese an diesen sehr öffentlichen Ort zu begleiten?

Alex sah sich um, ob irgendwer ihn bemerkt hatte. Es wäre viel zu früh für seine Pläne, wenn jetzt schon seine wahre Identität ans Licht käme. Oder schlimmer, wenn jemand ihn fotografierte und das Bild ins Internet stellte. Er zog sich die Basecap noch tiefer ins Gesicht.

Er gab sich ganz lässig und vermied jeglichen Blickkontakt. Zum Glück schien ihn niemand zu beachten.

Ein junger Mann mit Weihnachtsmannmütze und roter Schürze kam auf ihn zu. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich möchte den kleinen Baum dort in der Ecke.“

Der Mann nannte den Preis, und Alex gab ihm das Geld.

Er verstaute den Baum auf der Ladefläche des Pick-ups und machte sich dann auf die Suche nach seiner schönen Gastgeberin, die einem älteren Mann, der mit seinem weißen Bart aussah wie der Weihnachtsmann persönlich, eine hohe, schlanke Tanne zeigte.

Der Mann sah Alex an, bevor er sich wieder an Reese wandte. „Das ist wohl Ihre bessere Hälfte. Ein schönes Paar. Ist es Ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest?“

„Wir gehören nicht zusammen.“ Reeses Wangen röteten sich. „Das heißt, wir sind kein Paar. Wir sind … hm …“

„Freunde“, half Alex ihr aus.

Allerdings hatte die Bemerkung des Mannes etwas für sich.

Reese wäre die ideale Pseudo-Freundin für ihn.

Schließlich hielt er sich doch angeblich in Liebesdingen in den USA auf. Und da er seinen Plan so schnell umsetzen musste, war ihm keine Zeit geblieben, eine Frau für die Rolle der Freundin zu suchen. Wenn jedoch Bedarf entstand, wäre Reese dann wohl bereit, diesen Part zu übernehmen?

Alex neigte sich zu Reese hinüber. „Du hast einen Baum gefunden?“

„Ja. Ich glaube, er ist perfekt.“ Sie zeigte auf den Baum, den der Mann jetzt in eine lärmende Maschine schob. Alex sah zu, wie die Zweige in Richtung Stamm gedrückt und der gesamte Baum handlich verschnürt wurde.

„Das wird ein toller Weihnachtsbaum. Du hast einen guten Geschmack.“

Reese wandte sich ihm zu und lächelte. Eine so schlichte Geste, und doch stockte ihm der Atem, und er konnte den Blick nicht von ihr lösen. Große, flaumige Schneeflocken wirbelten um sie herum. Und die blinkenden Lichter spiegelten sich in Reeses Augen und ließ sie glitzern wie Edelsteine.

„Sobald der Baum verschnürt ist, können wir heimfahren.“ Sie ging, um den Baum zu holen, und brach damit den Zauber des Augenblicks.

Alex kam endlich wieder zu sich und trat vor. „Ich hole ihn.“

Sie runzelte die Stirn, als wollte sie widersprechen, überraschte ihn dann jedoch, indem sie sagte: „Okay.“

Als der Baum auf der Ladefläche gesichert war, stieg Alex in die warme Fahrerkabine und rieb sich die Hände. „Für diesen Ausflug habe ich an alles gedacht, nur nicht an Handschuhe.“

Reese machte ein besorgtes Gesicht. „Warum hast du nichts gesagt? Warte, ich drehe die Heizung auf.“

„Nicht nötig. Die Piekser von der Tanne sind schlimmer als die Kälte.“

„Sag Bescheid, falls du etwas brauchst, wenn wir zu Hause sind. Vielleicht eine antiseptische Salbe?“

„Mach ich.“ Jetzt hatte er Gelegenheit, das Thema anzusprechen, das ihm am Herzen lag. „Was hast du gedacht, als der Weihnachtsmann auf dem Markt uns für ein Paar gehalten hat?“

„Dass er eine neue Brille braucht.“

„Meine Freundin zu sein, das wäre doch wohl nicht so schlimm, oder?“

Reese musste vor einer roten Ampel halten und blickte Alex lange an.

Er wurde unsicher. „Was ist?“

„Ich suche nach einem Hinweis darauf, dass du dir womöglich den Kopf gestoßen hast, als du mit diesem Baum hantiert hast.“

„Sehr witzig.“ Als sie lächelte, breitete sich ein seltsames Gefühl in seiner Brust aus. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Würde ich mich zum Freund eignen?“

Sie blickte nach vorn, als die Ampel auf Grün umsprang. „Das kann nicht dein Ernst sein. Wir … Wir kennen uns doch gar nicht. Und ich bin nicht auf der Suche nach einer Beziehung. Nicht mit dir. Mit niemandem.“

Reese trat vor einer weiteren roten Ampel ein wenig zu stark auf die Bremse, sodass Alex den Sicherheitsgurt zu spüren bekam. „Du wirst bestimmt einmal der perfekte Freund für irgendeine glückliche Frau sein.“

Er lächelte. „Danke für die Ermutigung. Was könnte dich verlocken, die Rolle zu übernehmen?“

„Welche Rolle? Die deiner Freundin?“

Wer A sagt, muss auch B sagen. „Ja.“

Sie lachte. „Schön. Wenn du es unbedingt wissen willst: Falls ich zufällig auf der Suche wäre – und das bin ich nicht, aber wenn es denn so wäre –, dann hättest du eine Chance. Aber ich habe allen Ernstes nicht die Zeit … wenn ich überhaupt interessiert wäre.“

„Autsch.“

„Deine Hände?“

„Nein. Mein Ego. Es hat gerade einen gemeinen Schlag versetzt bekommen.“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Du wirst es überleben.“

3. KAPITEL

„Reese?“ Alex’ tiefe Stimme hallte durch den Flur.

„Hier bin ich.“ Sie kniete auf dem Fußboden und entwirrte eine Lichterkette.

Alex trat ins Zimmer. „Was machst du da?“

„Ich versuche, diese Lichter instandzusetzen. Ich muss die Glühbirnchen ersetzen – eine nach der anderen. Irgendwann kaufe ich neue Lichterketten, aber nicht in diesem Jahr.“ Sie würde die alten zum Leuchten bringen, und wenn sie die ganze Nacht hindurch Birnchen austauschen musste. „Brauchst du etwas?“

„Ich habe meine Arbeit erledigt und wüsste gern, ob ich dir helfen kann.“

„Du verbringst ziemlich viel Zeit vor deinem Computer, wie?“

„Er ist mein transportables Büro. Damit kann ich überall arbeiten.“

Sie zupfte die nächste Birne aus der Fassung und ersetzte sie durch eine funktionstüchtige. Die Kette leuchtete trotzdem nicht. „Du machst also gar nicht richtig Urlaub?“

„Ich bin lieber beschäftigt. Ich kann nicht gut untätig herumsitzen.“ Er kniete sich neben sie. „Lass es mich mal versuchen.“

Er rückte näher. Mit seinen warmen Fingern streifte er ihre Hand. Seine Berührung durchzuckte ihren Arm kribbelnd wie ein Stromstoß. Diese Reaktion verwirrte sie. Sie sah ihm in die Augen, ihr Herz pochte wild. Er wandte den Blick als Erster ab. Etwas wie Enttäuschung machte sich in ihr breit.

Alex schob ein Glühbirnchen in die Fassung. Nichts leuchtete auf. „Ich rieche überhaupt keinen Duft von Essen. Das gab’s noch nie. Dieses Haus ist sonst immer von den köstlichsten Aromen durchzogen.“

„Ich habe dem Personal freigegeben. Jetzt weiß ich wirklich nicht, was ich zum Abendessen anbieten soll, denn in der Küche bin ich eine Niete.“

„Es muss ja nichts Aufwändiges sein. Etwas ganz Einfaches reicht vollkommen.“

Wider besseres Wissen fing sie an, den Burschen zu mögen. „Wie einfach dachtest du denn? Ich kann die Mikrowelle bedienen, und damit hat sich’s auch schon.“

Er zog die Brauen hoch, und in seinen Augen blitzte die Belustigung. „Oder wollen wir Pizza bestellen?“ Er löste eine Birne aus der Kette. „Es gibt hier doch einen Lieferservice, oder?“

Sie nickte. „Ich frage meine Mutter, ob sie mit uns essen will, und bringe dann gleich die Speisekarten mit.“

Sie lief aus dem Zimmer und die Treppe zu der kleinen Wohnung hinauf, die sie seit dem Tod ihres Vaters zwei Jahre zuvor mit ihrer Mutter teilte.

„Hey, Mom“, rief Reese und stieß die Wohnungstür auf. „Was meinst du zu …“

Die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie ihre Mutter vor einem kleinen Weihnachtsbäumchen, das auf dem Couchtisch stand, vorfand. Die Lichter brannten, er war sogar ein wenig geschmückt. Was zum Kuckuck …? Woher kam der denn?

Gedankenverloren blickte ihre Mutter auf den Baum. Dachte sie an vergangene Zeiten?

„Mom?“ Es war fast ein Krächzen. Sie schluckte verkrampft und trat näher. „Ist alles in Ordnung?“

Ihre Mutter blinzelte und sah zu Reese auf. „Mir geht’s gut. Aber schön, dass du da bist. Ich habe gerade einen Anruf erhalten: deiner Tante geht es nicht gut.“

Reese hoffte, dass ihre Mutter nicht wieder in dem elenden schwarzen Loch versank, wo sie ihr unerreichbar war, und fragte zaghaft: „Was fehlt Tante Min denn?“

„Sie findet sich schwer zurecht, seit Onkel Roger gestorben ist. Ihre Nachbarin hat angerufen und sich bereit erklärt, mich abzuholen. Ich weiß, gerade jetzt zu Weihnachten und in Anbetracht der Hochzeit am Wochenende sollte ich dich nicht allein lassen, aber niemand kennt deine Tante so gut wie ich.“

Reese wusste nicht recht, ob es gut war, ihre Mutter gehen zu lassen, um eine Trauernde zu trösten. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass es keine leichte Aufgabe war. Doch Ms Harding schien fest entschlossen zu sein, und Reese würde sie kaum umstimmen können.

„Kann ich irgendetwas für dich tun?“, fragte Reese.

„Nein, nichts. Du hast hier schon alle Hände voll zu tun.“ Ihre Mutter nahm sie in die Arme. „Ich muss packen.“

Ms Harding war schon auf dem Weg in ihr Schlafzimmer, als Reese ihr nachrief: „Mom, woher stammt dieser Baum?“

„Von Alex. Er dachte, du würdest dich freuen.“

Ms Harding verschwand in ihrem Schlafzimmer, und Reese drehte sich um. Der längst vergessene handgefertigte Christbaumschmuck an dem Bäumchen stach ihr ins Auge.

Tja, wenn Alex so gern einen Weihnachtsbaum haben wollte, dann sollte er ihn in seinem – hm, in ihrem – Zimmer aufstellen. Sie zog den Stecker der Lichterkette ab und trug den Baum in ihr Schlafzimmer.

Er hatte es lange genug aufgeschoben.

Alex zückte sein Smartphone. Es war Zeit, den König wissen zu lassen, dass er in Sicherheit war. Im Gegenzug erhielt er hoffentlich ebenfalls gute Nachrichten. Vielleicht hatte sich das Dilemma seines Bruders, des Kronprinzen, in aller Stille ausräumen lassen. Dann konnte Alex seine Sachen packen und den ersten Flug nach Hause buchen – und seine schöne Gastgeberin verlassen, die ihm den Kopf vernebelte und die Konzentration auf das Wesentliche raubte.

Er wählte die Privatnummer des Königs. Schon beim ersten Klingeln wurde abgehoben, als hätte sein Papa dagesessen und nur auf seinen Anruf gewartet.

„Papa, ich bin’s, Alexandro.“

„Endlich kommst du auf die Idee, mich anzurufen.“

„Ich musste mich unauffällig bewegen, um den Paparazzi aus dem Weg zu gehen.“

„Sag mir, wo du dich aufhältst, damit ich dir deine Leibwächter schicken kann.“

„Nein.“ Alex verspannte sich, als er sich den düsteren Schatten vorstellte, der sich über die scharfen Züge seines Vaters legte. „Ich muss die Sache durchziehen. Nur so kann ich die Familie schützen. Wenn deine Feinde von Demetrius’ kopflosen Aktionen erfahren, provozieren sie einen öffentlichen Skandal und stellen ihn als unfähigen Regenten dar. Dadurch gewinnen sie noch mehr Unterstützung für ihre geplante Machtübernahme.“

„Das lass mal die Sorge der Regierung sein.“

Er hätte den tröstlichen Worten seines Vaters gern Glauben geschenkt, doch Alex hatte seine eigenen Quellen, und alle hatten ihn wissen lassen, dass die Staatsfeinde Ernst machten. Ganz gleich, wie alt er war, sein Vater würde doch stets versuchen, ihn vor der grausamen Wirklichkeit zu schützen. In diesem Jahr war es bereits zu einem Aufstand gekommen. Einen weiteren konnten sie nicht riskieren.

„Ich verstehe, Papa. Aber glaub mir, ich muss es durchziehen. Es ist am besten so. Solange die Presse sich für meinen Verbleib interessiert, konzentriert sie sich auf mich und spioniert nicht im Palast nach saftigem Tratsch.“

Der König stieß einen langen Seufzer der Erschöpfung aus. „Ich gebe zu, dass dein Verschwinden hilfreich war. Bisher sind im Palast nur die nötigsten Stellen eingeweiht. Der Regierungsrat ist der Meinung, dass alles sich bald regeln ließe … wenn dein Bruder nur zu Verstand käme.“

„Du bist nach wie vor gegen diese Heirat?“

„In diesen unsicheren Zeiten brauchen wir starke Verbündete.“ Eine bedeutungsvolle Pause entstand. „Wenn dieses Mädchen wenigstens ein paar wichtige Beziehungen hätte.“

Sein Vater hörte sich älter an denn je. Alex hatte ein flaues Gefühl im Bauch. Wann würde sein Bruder endlich lernen, dass er der Krone, dem Land und ihrem Vater verpflichtet war? Ihr Vater würde ohnehin erst dann abdanken, wenn er sicher sein konnte, dass sein Nachfolger willens und fähig war, die Interessen des Landes zu wahren. Nach dem Tod der Königin war er nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Und jetzt ließ sein Gesundheitszustand zu wünschen übrig.

Alex dachte daran, wie er sich zu seiner Mutter vorgedrängt hatte, als sie ihre letzten Atemzüge tat. Der Schmerz drang wie ein Pfeil durch seine Brust. Sie hatte ihn gebeten, gut auf seinen Papa achtzugeben. Er hatte es versprochen. Und seitdem war er bestrebt, dieses Versprechen zu halten. Was nicht hieß, dass er durch irgendwelche Taten seinen Anteil am Tod seiner Mutter wiedergutmachen konnte.

„Keine Sorge, Papa. Ich weiß, was ich tue. Alles kommt wieder in Ordnung. Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, lasse ich auch meine Leibwächter kommen.“

Wieder entstand eine Pause. Alex hätte gern gewusst, ob der König erwog, ihm eine Änderung seiner Pläne und die sofortige Rückkehr zu befehlen.

„Alex?“ Reeses Stimme hallte durch den Flur.

„Papa, ich muss Schluss machen. Ich melde mich bald wieder.“ Und damit brach er das Gespräch ab und schaltete sein Smartphone aus. „Ich komme.“ Im Schrank neben dem Waschbecken suchte er nach einem Glas.

„Ach, hier steckst du. Ich dachte schon, du hättest es dir anders überlegt und wolltest doch etwas kochen.“

„Ich kann leider auch nicht kochen. Aber ich habe Durst.“ Und das war nach dem Telefonat mit seinem Vater und nach seinen eigenen Beschwichtigungsversuchen nicht einmal gelogen.

Nachdem er ein Glas Wasser geleert und es wieder beiseite gestellt hatte, wandte er sich zu Reese um. „Brauchst du etwas?“

„Ich habe das hier geholt.“ Sie hielt eine Auswahl von Speisekarten in die Höhe.

Also war sie in der Wohnung gewesen und musste den kleinen Weihnachtsbaum gesehen haben, der mit dem Christbaumschmuck, den ihre Mutter ihm zur Verfügung gestellt hatte, dekoriert war. Warum äußerte Reese sich nicht dazu?

„Hier.“ Mit ausgestreckter Hand kam sie näher. „Such dir etwas aus.“

Er winkte ab. „Mach du das. Ich nehme das Gleiche wie du.“

Sie sah ihn nicht an. „Bist du sicher?“

Er nickte. An diesem Abend hatte er genügend Entscheidungen getroffen. Er wollte nicht mehr, nicht einmal, wenn es nur um Pizza ging.

„Während du die Bestellung aufgibst, kann ich ja den Baum im Foyer aufstellen.“

„Ich dachte, du hättest für heute vielleicht genug vom Dekorieren.“

Also hatte sie das Bäumchen bemerkt. Und offenbar freute sie sich nicht darüber.

„Weihnachten gehört zu meinen Lieblingsfesten.“ Ob sie sich jetzt vielleicht ein bisschen aufgeschlossener zeigen würde?

„Wie schön.“ Ihr eisiger Ton ging ihm durch und durch. „Ich habe die Schachteln mit dem Christbaumschmuck bereitgestellt.“

„Du wirst mir Anweisungen geben müssen. Ich weiß ja nicht, wie du den Baum geschmückt haben willst.“

„Ach, das ist ganz einfach. Ich fange immer mit den weißen Blinklichtern an. Dann folgen die goldenen Schleifen und die roten Glaskugeln.“

„Schmückst du den Baum immer selbst?“

„Ja. Das finde ich einfacher. Ich weiß, wie er aussehen soll. Eigentlich kannst du dir die Mühe sparen. Ich gebe rasch die Bestellung auf und komme gleich zurück.“

Reese stapfte aus dem Raum wie eine Frau mit einem festen Ziel vor Augen. Sie kam ihm sehr einsam vor. Nun, dieses Weihnachtsfest sollte anders für sie sein. Er ging zu dem Baum und rückte ihn an eine Stelle neben der Treppe.

Dieses Weihnachtsfest würde für sie ein ganz Besonderes werden, das schwor er sich.

Warum hatte er nicht auf sie gehört?

Reese runzelte die Stirn, als sie ins Foyer zurückkam. Alex war damit beschäftigt, die Lichterkette anzubringen. Und der Baum stand nicht an der richtigen Stelle. Normalerweise rückte sie ihn ein bisschen näher an die Treppe heran, damit er nicht im Weg stand. Sie wusste, dass sie sich kleinlich verhielt. Aber alles musste am rechten Platz sein, sonst trieb es sie an den Rand des Wahnsinns.

Alex wandte sich ihr zu. „Ich habe schon mal angefangen.“

Sie nickte und versuchte, sich nicht daran zu stören, dass der Baum nicht an seinem üblichen Platz stand.

„Es gefällt dir nicht?“

Sie stieß den angehaltenen Atem aus. „Der Baum darf nicht im Wege stehen.“

„Ich weiß. Aber es ist einfacher, ihn hier, wo er jetzt steht, zu schmücken.“

„Und die Lichterkette darf nicht so eng geschlungen werden, sonst reicht sie nicht bis an die Spitze.“

Alex zog eine Braue hoch. „Gib dir keine Mühe. Ich lass mich nicht entmutigen. Ich werde dir helfen, diesen Baum zu schmücken.“

„Du bist starrsinnig.“

„Und du bist pingelig.“

„Irgendetwas sagt mir, das haben wir gemeinsam.“ Sie konnte genauso gut austeilen wie einstecken.

Er lächelte. „Mag sein. Aber ich weiß, was mir gefällt.“

Sein Blick ruhte auf ihr; er rückte näher an sie heran. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, sodass sie kaum noch atmen konnte. Alex senkte den Blick auf ihren Mund, bevor er ihr wieder in die Augen sah.

„Du bist sehr schön.“ Mit den Fingerrücken strich er über ihre Wange.

Sie wollte ausweichen, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Vor Erregung überzog eine Gänsehaut ihren Nacken und ihre Arme. Sie blickte in seine hypnotischen blauen Augen, ertrank in ihren Tiefen. Es war so lange her, dass ein Mann Interesse an ihr gezeigt hatte. Und bis jetzt war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie einsam sie war. Nach Josh …

Die Erinnerung an ihren Exfreund brachte sie wieder zur Vernunft. Sie wich zurück. Es durfte nicht sein. Reese hatte sich geschworen, Männer auf sicheren Abstand zu halten.

Alex ließ die Hand sinken. Hätte Reese es nicht besser gewusst, hätte sie geglaubt, ein bedauerndes Flackern in seinen Augen gesehen zu haben. Was sollte sie zu ihm sagen? Er war schließlich nicht Josh.

Reese ging zum Baum und begann, die Lichterkette neu anzuordnen.

„Könntest du mir auf der anderen Seite des Baums helfen?“ Sie tat so, als hätte der intime Augenblick sie kalt gelassen.

„Sag mir einfach, was ich tun soll.“

Sie rechnete es Alex hoch an, dass er den peinlichen Moment ohne Fragen überging. Als sie den geschmückten Baum schließlich an den richtigen Ort gerückt hatten, musste Reese sich eingestehen, dass sie den Abend genossen hatte. Alex war ein guter Unterhalter. Wer hätte das gedacht?

Erst nachdem die Hochzeitsgäste von ihrem Ausflug zurück waren, konnte sie die Eingangstür abschließen. Voller Vorfreude auf den Feierabend stieg sie die Treppe zu ihrer winzigen Wohnung hinauf. Schon wollte sie die Tür hinter sich schließen, als sie eilige Schritte auf der Treppe hörte. Sie musste nicht lange überlegen, wer da kam. Es war der Mann, der ihr so sehr unter die Haut ging.

Sie überlegte, sich schnell ins Schlafzimmer ihrer Mutter zurückzuziehen, verspürte aber das Bedürfnis, sich bei Alex zu bedanken, weil er eine Tätigkeit, die sonst immer schmerzliche Erinnerungen heraufbeschwor, in ein schönes Erlebnis verwandelt hatte.

Sie wandte sich ihm zu. Ihr Blick verweilte auf seinen Lippen. Die Erinnerung an ihren Beinahe-Kuss ließ ihren Puls hochschnellen. „Ich … Ich gehe jetzt zu Bett. Ich wollte mich nur noch für deine Hilfe bedanken. Ohne dich wäre ich noch lange nicht fertig.“

„Gern geschehen. Und der Baum ist hübsch geworden, wenn auch nicht genau so, wie du ihn normalerweise herrichtest.“ Mit gerunzelter Stirn sah er sich im Zimmer um. „Was ist aus dem kleinen Christbäumchen geworden?“

„Ich habe es in dein Zimmer gestellt. Ich dachte, dort hättest du mehr davon.“

„Aber ich habe ihn für dich geschmückt.“

„Und ich habe dir gesagt, dass ich keinen Baum haben möchte.“

„Aber der Christbaum im Foyer …“

„Ist der Tribut ans Geschäft. Gäste erwarten Weihnachtsschmuck in einem Hotel, und diese Erwartungen zu erfüllen, ist meine Aufgabe. Das heißt aber nicht, dass ich auch meine Privaträume dekorieren muss.“

„Ich wollte dir nur helfen.“

„Diese Art von Hilfe brauche ich nicht.“ Die Worte waren hervorgesprudelt, bevor Reese sich bremsen konnte. Erschöpfung und Sorge waren schuld. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht so anfahren.“

Er schüttelte den Kopf. „Du hast recht. Ich dachte … Ach, was ich gedacht habe, tut nichts zur Sache.“

Angesichts seines gekränkten Gesichtsausdrucks suchte sie fieberhaft nach einer Erklärung. „Es ist nun mal so, dass Weihnachten bei mir und meiner Mutter traurige Erinnerungen weckt. Und ich habe Angst um ihren Seelenfrieden. Ich würde alles tun, damit sie nicht wieder in dieses einsame dunkle Loch fällt, in das sie sich nach dem Tod meines Vaters zurückgezogen hatte.“

Er sah sie an, als würde er ihre geheimsten Gedanken kennen. „Deine Mutter wirkt auf mich wie eine sehr starke Frau. Vielleicht ist sie stärker, als du denkst.“

Reese stemmte die Hände in die Hüften. „Du kennst sie nicht so wie ich.“

„Stimmt. Aber manchmal sieht ein Außenstehender mehr als ein direkt Betroffener.“

Sie reckte das Kinn vor. „Und was genau ist mir entgangen?“

„Wusstest du, dass deine Mutter mir höchstpersönlich das Dekorationsmaterial für das kleine Bäumchen ausgehändigt hat?“

„Du wirst sie unter Druck gesetzt haben. Freiwillig hätte sie den Baumschmuck nicht herausgerückt. Es war … Es war die Weihnachtsdekoration unserer Familie, die wir im Lauf von Jahren gesammelt hatten.“

„Es war aber ihre Idee. Sie bestand darauf, dass ich den Baum für dich schmücke. Sie dachte, du würdest dich freuen.“

Nein, das war nicht möglich. Oder? Reese trat einen Schritt zurück. Als sie das Sofa an den Kniekehlen spürte, ließ sie sich darauf nieder. Was hatte das zu bedeuten? War ihr auf Grund ihrer Überarbeitung entgangen, dass ihre Mutter wieder sie selbst war?

„Ich habe ja nicht geahnt, dass es dich dermaßen ärgern würde.“

„Es liegt einfach daran, dass … dass mein Vater immer eine regelrechte Staatsaffäre aus dem Weihnachtsfest gemacht hat. Es ist schwer, Weihnachten nicht mit ihm in Verbindung zu bringen.“ Doch das Schmerzlichste an der Sache gab sie nicht preis. Sie konnte nicht zugeben, dass ihr Vater sie und ihre Mutter an Heiligabend wegen einer anderen Frau verlassen hatte. Und dass er ihr gesamtes Geld für diese Frau verschleudert hatte … dass er ihr ein Haus gekauft und Reese und ihrer Mutter nur Schulden hinterlassen hatte.

Alex setzte sich neben sie. „Das wusste ich nicht.“

„Meine Mutter hat nichts davon erwähnt?“

„Sie hat nur gesagt, es wäre schon eine Weile her, dass ihr zwei Weihnachten gefeiert habt, und sie war der Meinung, es sei an der Zeit, dass ihr mal wieder ein schönes Fest erlebt.“

Unverhoffte Freude strömte in Reeses Herz. „Das hat sie tatsächlich gesagt?“

Er nickte. „Sonst hätte ich den Baum nicht ohne deine Zustimmung geschmückt.“

Wenn ihre Mutter damit einverstanden war, konnte sie sich wohl kaum über diese nette Geste beschweren, oder?

Reese wandte sich Alex zu. „Entschuldige, dass ich solch ein Grinch war.“

„Ein Grinch?“

„Ja. Kennst du nicht die Geschichte Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat?“

„Nein, die kenne ich nicht.“

„Ich dachte, die Geschichte wäre allgemein bekannt. Keine Angst. Wir finden bestimmt irgendwo noch ein Exemplar, damit du deinen Horizont erweitern kannst.“

„Mein Horizont ist ziemlich weit“, wehrte er sich. „Stört es dich, wenn ich den Christbaum wieder hierherhole?“

„Ganz, wie du willst.“ Sie war ganz eindeutig nicht die Einzige, die es gewohnt war, ihren Willen durchzusetzen.

Als er gegangen war, fragte sie sich, warum erst ein völlig Fremder aus einem fernen Land hatte kommen müssen, damit ihr die Augen für einen klareren Blick aufs Leben geöffnet wurden. Ihr war, als hätte sie in den vergangenen Jahren mit einem Tunnelblick gelebt, stets nur darauf bedacht, ihre Mutter vor weiterem Schmerz zu bewahren und ihnen das Zuhause zu erhalten.

Und auch wenn Alex ganz sicher eine nette Abwechslung bot, durfte sie jetzt nicht die Konzentration aufs Wesentliche verlieren. The Willows war noch lange nicht schuldenfrei. Trotz Alex’ üppiger Anzahlung würde sie sich vielleicht doch von Sandy trennen müssen, die Zimmermädchen und alleinerziehende Mutter war. Die Vorstellung drückte ihr das Herz ab.

„Bitte schön.“ Alex kam wieder ins Zimmer.

Ihr wurde bewusst, wie seine Präsenz alle Aufmerksamkeit auf sich zog, sobald er einen Raum betrat. Wodurch dieser Eindruck entstand, hätte sie nicht sagen können. Vielleicht durch sein gutes Aussehen oder durch seine imposante Körpergröße. Aber nein. Es steckte mehr dahinter. Es war etwas viel Bedeutsameres, doch sie konnte es einfach nicht benennen.

Alex hielt inne. „Hast du es dir anders überlegt?“

„Aber nein. Ich glaube nur, ich bin viel erschöpfter, als ich eigentlich gedacht hatte.“

„Wenn ich die Lichterkette angeschlossen habe, könnten wir dann das Deckenlicht ausschalten? Es gibt nichts Schöneres als einen leuchtenden Weihnachtsbaum.“

Sie erhob sich und ging zum Lichtschalter.

Als die bunten Glühbirnchen den kleinen Baum erstrahlen ließen, schaltete sie die übrige Beleuchtung aus. Doch nicht der Baum war es, der ihre Aufmerksamkeit erregte und fesselte. Es war Alex’ Gesichtsausdruck. Sekundenlang ähnelte er einem kleinen Jungen, der zum ersten Mal über einen Weihnachtsbaum staunt.

„Sind Weihnachtsbäume bei euch anders?“ Sie war wirklich neugierig.

Er schüttelte den Kopf. „Unser Christbaum ist ziemlich groß und irgendwie förmlicher, ähnlich dem Baum unten im Foyer.“

„Das heißt, es gibt kein Zuckerwerk und keine gläsernen Glöckchen und Pinguine?“

Wieder schüttelte er den Kopf. „Nein. Alles muss aussehen wie aus dem Bilderbuch. Wie meine Mutter es sich gewünscht hätte.“

Eine leise innere Stimme riet ihr, auf diese Bemerkung nicht näher einzugehen, doch sie konnte es nicht lassen. Sie wollte mehr über Alex wissen. Wenn sie sein Geheimnis lüftete, dann ginge er ihr vielleicht nicht mehr ständig im Kopf herum.

„Deine Mutter … Du hast sie verloren?“

Die Worte hingen lastend in der Luft.

Schließlich nickte Alex. „Sie starb, als ich ein Teenager war. Weihnachten war ihr Lieblingsfest. Papa lässt den … das Haus sogar immer noch so dekorieren, wie sie es gern hatte. An Heiligabend ist es für einen Moment immer so, als wäre sie noch bei uns und würde jeden Moment ins Wohnzimmer treten.“

„Wie schön, dass du dir so glückliche Erinnerungen bewahrt hast.“

„Genug von mir. Du hast bestimmt auch ganz besondere Weihnachtserinnerungen.“

Sie winkte ab. „Sie sind nicht der Rede wert.“

Weihnachten machte ihr ja keine Freude mehr, weil das Fest unwillkommene Erinnerungen heraufbeschwor. Wie gern hätte sie, wie Alex, nur schöne Erinnerungen gehabt. Sie beneidete ihn.

„Ich gehe jetzt schlafen.“ Was nicht hieß, dass sie ihre Augen schon sehr bald würde schließen können. „Denkst du daran, die Lichter zu löschen, bevor du zu Bett gehst?“

„Kein Problem.“ Er lächelte sie an, und Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch. „Aber bevor du gehst: da ist noch etwas.“

Mit dem Schimmer des kleinen Baums als einziger Beleuchtung im Raum war die Stimmung entschieden zu romantisch. Reese heftete den Blick auf Alex’ Lippen. Samtig weich sahen sie aus. Sie stellte sich vor, wie es wäre, ihm unter dem Mistelzweig zu begegnen.

Alex räusperte sich. Als ihr Blick dem seinen begegnete, blitzten seine Augen vor Belustigung. Er hatte doch hoffentlich nicht ihre Gedanken gelesen?

„Was hast du gesagt?“ Sie gab sich größte Mühe, normal zu wirken und sich nicht anmerken zu lassen, wie ihr Herz raste.

„Ich will dich nicht in Verlegenheit bringen, aber weißt du, dass euer Dach leck ist?“

Sie nickte. „Ich habe es letzte Woche reparieren lassen. Aber den Wasserschaden an der Decke konnte ich noch nicht beseitigen lassen.“

„Ich könnte ihn mir mal ansehen. Wenn du nichts dagegen hast.“

Reese schüttelte den Kopf. „Du bist hier zahlender Gast und nicht Handwerker.“

„Aber ich melde mich freiwillig.“

Warum musste er sie immer so bedrängen? Tja, dieses Mal sollte er seinen Willen nicht bekommen. „Ich benötige deine Hilfe nicht.“

Er blickte sie lange und eindringlich an, als wollte er sie dadurch umstimmen. „Kapiert. Wir sehen uns morgen.“

Endlich hatte sie ihre Position klargemacht. „Gute Nacht.“

Die Zeit verging rasend schnell. Die Hochzeit war vorüber, und ruckzuck war Alex in die Gästesuite auf der anderen Flurseite gezogen. Er staunte darüber, wie hart Reese Tag für Tag arbeitete, vom Aufstehen vor Sonnenaufgang bis zu dem Zeitpunkt, wenn sie abends ins Bett fiel. Bald schon langweilte ihn das Internet, obwohl die Mail, die er den Paparazzi zugeschustert hatte, die gewünschte Wirkung zeigte. Jetzt waren die Klatschspalten voll von allen möglichen haarsträubenden Geschichten über ihn und sein geheimnisvolles Verschwinden, doch das Wichtigste dabei war, dass sie nach ihm suchten und dadurch von seinem Bruder abgelenkt waren. Er musste seine Tarnung nur noch ein wenig länger aufrechterhalten.

Er überlegte, wie Reese wohl reagieren mochte, wenn sie erfuhr, dass er ein Prinz war. Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass sie ihn dann anders behandeln würde. Oder wollte er es nur nicht? Er freute sich über ihre Freundschaft – sehr sogar.

Es war noch früh am Morgen, als er an die Tür zu Reeses Wohnung klopfte. Keine Antwort. Nachdem er in den vergangenen paar Tagen die Wohnung mit ihr geteilt hatte, fand er nichts dabei, die Klinke zu drücken. Die Tür öffnete sich, und er trat ein.

„Reese, bist du da?“

Wieder keine Antwort.

Er schaute sich um, sah erfreut, dass das Bäumchen, umgeben von Glitzersteinen auf einem weißen Baumwolldeckchen, noch auf dem Couchtisch stand. Vielleicht kam Reese nun doch endlich in Weihnachtsstimmung.

Die Wohnung war sauber, wies aber Alterserscheinungen auf. Sie unterschied sich stark von seiner gepflegten, auf Hochglanz polierten Suite. Alex drehte sich einmal um die eigene Achse und registrierte die Einzelheiten. Die vergilbenden Wände brauchten einen neuen Anstrich. Und die Decke bröckelte, wo der Wasserschaden entstanden war.

Eine Idee nahm Gestalt an. Zwar war er von königlichem Blut, doch das bedeutete nicht, dass er sich nie die Hände schmutzig machte. Dass er eine Menge gelernt hatte, verdankte er einem überaus geduldigen Handwerker, der Wartungsarbeiten im Palast erledigte und sich um ihn kümmern musste, wenn er als Jugendlicher in Schwierigkeiten geraten war. Und erst jetzt wurde ihm bewusst, welch ein Geschenk es war, praktische Fähigkeiten zu besitzen.

4. KAPITEL

„Was machst du da?“

Reese blickte böse zu Alex auf, der in einer Ecke des Wohnzimmers auf einer Leiter stand. Den Meißel in der einen, den Hammer in der anderen Hand drehte er sich zu ihr um. Sah sie da etwa so was wie ein schlechtes Gewissen in seinen blauen Augen?

„Ich habe mich gelangweilt.“ Er legte die Werkzeuge auf die Ablagefläche der Leiter.

Reese verschränkte die Arme. „Und deshalb richtest du in meiner Wohnung ein Chaos an?“

Sie ließ den Blick durchs Zimmer schweifen und registrierte die Abdeckplane, die alles verhüllte. Eimer und Werkzeuge standen an einer Wand aufgereiht. Und dann fasste sie wieder den armen Sünder ins Auge. Alex lächelte zerknirscht wie ein beim Naschen ertappter Bengel. Doch sie ließ sich von seinem guten Aussehen und dem unschuldigen Grinsen nicht beeindrucken.

„Alex, ich verlange eine Erklärung. Was zum Kuckuck machst du da?“

„Ich repariere die Zimmerdecke.“

Sie sah ihn finster an. Was dachte sich dieser Mensch? Offenbar hatte er überhaupt nichts gedacht, als er ein Loch in ihre Decke geklopft hatte. Das zu reparieren würde ein kleines Vermögen kosten – Geld, das sie nicht besaß. Bei den Banken hatte sie bereits die Runde gemacht. Keine war bereit, sie bei der Finanzierung von The Willows zu unterstützen. Man hatte ihr ganz offiziell den Geldhahn zugedreht.

„Alex, ist dir bewusst, was für ein Chaos du veranstaltet hast? Wie soll ich jetzt jemanden finden, der das wieder in Ordnung bringt?“

„Dazu brauchst du niemanden. Ich habe alles unter Kontrolle.“

Ihr Nacken schmerzte bereits, weil sie ständig zu ihm aufblicken musste. „Würdest du bitte von der Leiter steigen? Ich will mir schließlich nicht den Hals verrenken, wenn ich mit dir rede.“

Er gehorchte und kam auf sie zu. Er war so groß. So muskulös. Als sie den Blick über seinen Oberkörper und die breiten Schultern wandern ließ, erkannte sie, dass es ein Fehler war, ihn von der Leiter zu holen.

Sein dunkelblaues T-Shirt spannte über seiner breiten Brust. Ihr blieb die Spucke weg. Warum musste er auch so gut aussehen? Er war bestäubt mit Gipsflöckchen, von seinem dunklen Haar bis zu den Jeans, die tief auf seinen Hüften saßen. Sie widerstand dem Wunsch, ihn abzuklopfen – um zu fühlen, ob diese Muskeln wirklich so fest waren, wie sie aussahen.

„Gib mir nur eine Chance, dann wirst du schon sehen, was ich leisten kann.“

Sie zweifelte keineswegs an seiner Leistungsfähigkeit, doch dabei dachte sie längst nicht mehr an Reparaturen. Ihre Gedanken hatten sich auf bedeutend gefährlicheres Terrain verirrt.

Ihr Blick blieb an seinem Mund hängen. War er ein guter Küsser? So sexy, wie er aussah, war er mit Sicherheit nicht nur im Küssen geübt. Die Zimmertemperatur schien schlagartig zu steigen. Als Reese bemerkte, dass Alex sie ansah und auf eine Antwort wartete, hatte sie Mühe, ihre in Aufruhr geratenen Hormone zu bezwingen.

„Du musst sofort damit aufhören. Das hier – das ist keine gute Idee.“ Sie wusste nicht, ob sie diese Worte an ihn oder an sich selbst gerichtet hatte.

„Ehrlich, ich kann das. Früher habe ich geholfen, wenn …“ Er senkte den Blick auf den Teppich. „Als Kind habe ich dem Mann geholfen, der unser Haus instand gesetzt hat. Dabei habe ich eine Menge gelernt.“

Reese stöhnte auf. „Als Kind? Ist das dein Ernst?“

„Vertrau mir.“

Sie wehrte sich gegen den Drang, die Augen zu verdrehen, und hob stattdessen den Blick zu dem Loch in der Decke. Ein kalter Zugwind streifte sie. Die Anspannung legte sich wie ein enger Reif um ihre Stirn. In diesem Zustand konnte sie die Zimmerdecke nicht belassen; den Raum zu heizen, würde sie ruinieren.

„Angesichts der Tatsache, dass du dieses Projekt ohne meine Zustimmung in Angriff genommen hast, wirst du wohl kaum erwarten, dass ich dich für die Reparaturarbeiten bezahle.“

Seine blauen Augen leuchteten auf. „Aber nein. Und ganz ehrlich: Ich wollte dich fragen, bevor ich mit der Arbeit begann, aber du warst den ganzen Tag außer Haus, und da wollte ich dich überraschen.“

„Hm … Das ist dir nun wirklich gelungen.“ Sie musterte ihn. „Eigentlich sollte ich dich in die Wüste schicken. Das könnte mir niemand verdenken. Sag mal, ist das eine Angewohnheit, dass du anderer Leute Häuser zerstörst?“

Er zog die dunklen Brauen zusammen. „Das tu ich doch gar nicht. Und so etwas habe ich noch nie für irgendwen getan.“

„Warum dann ausgerechnet für mich?“ Sie forschte nach einem Hinweis auf Mitleid in seinen Augen. Und falls sie einen fand, sollten ihr die Kosten egal sein. Sie würde ihn rauswerfen. Sie nahm keine Almosen.

Sein Blick blieb fest. „Im Grunde hilfst du mir.“

„Ich helfe dir?“ Mit einer solchen Antwort hatte sie nicht gerechnet. Bevor sie noch etwas sagen konnte, klingelte das Telefon. „Bleib, wo du bist. Ich bin gleich zurück.“

Sie ging, konnte aber immer noch nicht begreifen, was in ihn gefahren sein mochte. Sie wäre jede Wette eingegangen, dass er keine Ahnung von derartigen Reparaturen hatte. Sie sollte ihm wirklich einen Tritt in den knackigen Hintern geben … Aber sie brauchte das Geld, das er für seine Unterbringung bezahlte.

Als sie den Hörer abnahm, hatte sie natürlich einen Gläubiger an der Strippe, den sie vertrösten musste. Zurück in der Wohnung, sah sie Alex bereits wieder auf der Leiter stehen. Das Loch in der Decke wurde immer größer. Innerlich stöhnte Reese auf.

„Du lässt dir wohl überhaupt nichts sagen?“ Sie gab sich keine Mühe, ihren Ärger zu verbergen.

Er schenkte ihr ein verlegenes Lächeln. „Ich möchte heute möglichst viel schaffen.“

„Und wenn ich dir sage, dass du aufhören sollst?“

Er forschte in ihrem Blick. „Willst du das wirklich?“

„Was ich will, tut nichts zur Sache. Ich habe kein Geld für einen Bauarbeiter. Die Gläubiger laufen mir die Türen ein und wollen wissen, warum ich nicht zahle.“ Sie presste die Lippen aufeinander, als ihr bewusst wurde, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte.

„Steht es wirklich so schlimm?“

Sie zuckte die Achseln und wich seinem Blick aus. „Ich werde das Ruder schon noch herumreißen. So oder so.“

„Ganz sicher.“ Er warf einen Blick auf seine Arbeit. „Inzwischen mache ich mich lieber wieder ans Werk, denn ich will das Abendessen nicht versäumen.“

Sie blickte zögernd zu dem Loch in der Decke auf, bevor sie sich wieder Alex zuwandte. „Kannst du versprechen, dass du weißt, was du da tust?“

Er lächelte und legte die Hand auf die Brust. „Ehrenwort.“

Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, sein Lächeln zu erwidern. Er sollte wissen, dass sie es ernst meinte. Lag es an seinem sexy Lächeln, dass sie sein Versprechen so bereitwillig annahm? Oder war es mehr?

„Okay. Ich habe vor dem Abendessen noch einiges zu erledigen.“

Mit einem verzweifelten Seufzer kehrte sie Alex und dem riesigen Krater in der Decke den Rücken zu. Sie hatte wichtigere Probleme zu lösen.

Das war die Lösung für all ihre Probleme.

Es musste die Lösung sein.

Reese stand im Büro des Hotels und betrachtete die Bilder, die sie gemalt hatte, bevor sie das Studium abbrach. Namhafte Kunstkritiker hatten sie in Augenschein genommen, die Gemälde hatten üppige Angebote erzielt. Sie in ihrer unendlichen Naivität hatte natürlich warten wollen und die Angebote abgelehnt. Ihr Traum war, eines Tages eine eigene Vernissage zu haben. Sie träumte davon, dass Leute ihre Werke kauften, weil Reese sich inzwischen in der Kunstwelt einen Namen gemacht hatte. Doch all diese Träume waren in einer verschneiten Nacht in sich zusammengestürzt.

Jetzt hing ihre Hoffnung auf das einzige Leben, das sie je kennengelernt hatte, vom Verkauf dieser Bilder ab. Und wenn sie sie nicht verkaufen konnte, würde sie Sandy ein paar Tage vor Weihnachten kündigen müssen. Die Vorstellung drehte ihr den Magen um.

Wer hatte behauptet, es wäre toll, Chefin zu sein?

Manchmal war es geradezu schrecklich.

Und im Moment ist es eindeutig mehr als schrecklich.

„Warum guckst du so böse?“

Alex stand lässig an den Türpfosten gelehnt vor ihr. Ein schwarzes T-Shirt spannte sich über seiner breiten Brust. Als er die Arme verschränkte, drohten seine Bizepse die kurzen Ärmel zu sprengen. Kein Mensch hatte ein Recht, so gut auszusehen.

Sie hob den Blick zu seinem Mund, und er lächelte. Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch.

Sie schluckte und hoffte, dass ihr Tonfall gleichgültig klang. „Ich habe nachgedacht.“

„Anscheinend über etwas Ernstes.“

„Ich – ich habe gerade die Lösung für ein Problem gefunden.“ Sie entfernte sich von den Bildern und hoffte, dass Alex nicht zu neugierig geworden war.

„Das ist prima.“

„Brauchst du irgendetwas?“ Sie ordnete Papiere auf ihrem Schreibtisch, um Alex nicht ansehen zu müssen. „Sag bitte nicht, dass es Probleme in der Wohnung gibt.“

„Keine Sorge. Ich bin fast fertig.“

„Tatsächlich?“ Diese gute Nachricht war Musik in ihren Ohren.

„Ja. Aber ich möchte mit dir reden.“

„Hat das nicht Zeit?“ Sie sah ihn bittend an. „Ich bin auf dem Weg nach draußen.“

Nach einigem Zögern antwortete er: „Natürlich hat es Zeit bis später.“

„Ich muss jetzt los. Ich muss den Pick-up beladen.“ Erst als die Worte schon heraus waren, wurde ihr klar, dass sie zu viel gesagt hatte.

Alex warf einen Blick auf die Gemälde. „Sollen die verladen werden?“

„Ja. Aber das schaffe ich schon.“

Er ging hinüber zu den Bildern. „Was hast du damit vor?“

Wie viel sollte sie ihm verraten? Im Grunde hätte sie gern seine Meinung zu ihrem Plan gehört.

Alex trat zu den Stücken, die sie für ihre besten Werke hielt. „Darf ich sie mal anschauen?“

Es war ihr nicht recht, sie hörte sich aber trotzdem sagen: „Nur zu. Sei aber vorsichtig. Sie dürfen nicht beschädigt werden.“

Sie musste zugeben, dass sie wirklich neugierig auf seine Reaktion war. Würden die Bilder ihm gefallen? Vor Erwartung war ihr ganz flau im Magen.

Alex nahm sich viel Zeit und nahm jedes einzelne Bild gründlich in Augenschein. Seine scharfsinnigen Bemerkungen beeindruckten Reese. Hätte sie es nicht besser gewusst, dann hätte sie ihn für einen Kunststudenten gehalten.

„Das sind sehr eindrucksvolle Bilder.“

„Im Ernst?“

„Natürlich.“ Er sah sie ernst an. „Du bist ziemlich begabt.“

Sicher, auch Experten hatten ihre Arbeiten gelobt. Die Meinung eines Fremden hätte ihr vielleicht egal sein können, doch Alex’ Eindruck von ihrer Kunst machte sie froh. Flüchtig überlegte sie, seit wann seine Meinung ihr so wichtig war.

„Malst du immer noch?“

Sie schüttelte den Kopf. „Dafür habe ich jetzt keine Zeit mehr.“

„Das Hotel hält dich wohl gehörig auf Trab.“ Er warf noch einen Blick auf die Bilder. „Willst du sie verkaufen?“

„Ich will mit ein paar Galeristen über eine Ausstellung sprechen. Ich hoffe, dass sie einen guten Preis erzielen. Vor ein paar Jahren haben sich Leute für sie interessiert. Doch damals hatte ich größere Pläne. Ich wollte sie behalten und eine Vernissage veranstalten. Aber bevor es dazu kommen konnte – wenn es denn überhaupt je dazu gekommen wäre –, nahm mein Leben eine drastische Wendung.“

„Es wäre dir bestimmt gelungen.“

Wieso brauchte sie so lange?

Alex schritt im Wohnzimmer auf und ab. Reese war schon den ganzen Tag außer Haus. Wie lange dauerten denn die Besprechungen mit ein paar Galeristen? Inzwischen hätten die Verkaufsbedingungen doch geklärt sein müssen. Immerhin hatte er ihr Auftrieb gegeben. Sie war wirklich begabt.

Er holte seinen Laptop hervor, ließ sich damit in einem Sessel nieder und versuchte, sich abzulenken.

Türenschlagen ließ ihn aufhorchen. Rasch klappte er den Laptop zu und stand auf. „Reese, bist du das?“

Sie trat ins Wohnzimmer. „Ja.“

Ihr Ton war ausdruckslos, und ihr Blick ging irgendwie an ihm vorbei. Er konnte nicht anders – er musste es wissen.

„Wie ist es gelaufen?“

Ihre Augen waren gerötet, sie war sehr blass. „Ist doch egal. Ich habe noch Papierkram zu erledigen. Kann ich irgendetwas für dich tun?“

„Oh ja.“ Jeder Gedanke an das Gespräch über seine Herkunft verflüchtigte sich. Jetzt war sein Hauptanliegen, sie zu trösten. Er wollte zu ihr durchdringen, sie an sich ziehen, doch da traf ihn ihr eiskalter Blick. Er ließ die Arme sinken. „Du kannst mit mir reden. Erzähl mir, was passiert ist.“

Ihre Augen blitzten vor Zorn. „Warum musst du mich immer so bedrängen? Gib doch bitte mal Ruhe. Zuerst war’s der Weihnachtsbaum. Dann meine Wohnung. Du kannst nicht alles reparieren.“

Ihr Ausbruch traf ihn so unerwartet, dass er einen Schritt zurückwich. „Ich mache mir Sorgen. Ich möchte gern helfen, wenn ich kann.“

„Du kannst aber nicht. Es ist ausschließlich mein Problem. Ich werde allein damit fertig.“

So sehr sie auch wünschte, dass er ging, er konnte es nicht. Der Schmerz in ihren braunen Augen zehrte an ihm. Reese war der Fels in der Brandung in dieser Villa. Es war höchste Zeit, dass sie jemanden fand, der ihr Unterstützung bot.

„Du musst nicht allein damit fertig werden.“

„Warum willst du dich einmischen?“

„Ich möchte gern glauben, dass wir Freunde sind und dass du mit deinen Problemen zu mir kommen kannst.“

„Du bist mein Gast, und ich bin die Geschäftsführerin dieses Hotels. Mehr sind wir nicht füreinander.“ Sie strahlte eine Eiseskälte aus.

Er senkte die Stimme. „Das glaubst du doch selbst nicht.“

„Ich ertrage das jetzt nicht.“ Sie wandte sich ab.

Gegen besseres Wissen packte er sie am Unterarm. „Stoß mich nicht weg. Rede mit mir. Vielleicht kann ich dir irgendwie helfen.“

Sie drehte sich zu ihm um und senkte den Blick auf seine Hand. Sofort ließ er ihren Arm los.

Reese seufzte und reckte das Kinn. „Ich weiß, du willst nur nett sein, aber verstehst du denn nicht? Du kannst mir nicht helfen. Das kann niemand.“

„Ein bisschen vielleicht doch.“ Er bedeutete ihr, ihm zum Sofa zu folgen. „Setz dich und sag mir, was passiert ist. Vielleicht fühlst du dich wenigstens etwas besser, wenn es ausgesprochen ist und du es nicht mehr in dich hineinfrisst.“

Sie schaute sich um, als müsste sie sich vergewissern, dass niemand sie belauschte. „Wo ist der Koch?“

„Keine Sorge, Bob ist auf den Markt gegangen. Und Sandy hat früher Feierabend gemacht, weil ihre Kleine krank ist und abgeholt werden musste.“

„Oh nein! Es ist doch nichts Ernstes?“

„Soweit ich weiß, nicht. Sandy hat gesagt, dem Mädchen wäre es schon am Morgen nicht gut gegangen, aber sie hatte gehofft, es würde besser werden. Anscheinend war das nicht der Fall.“

„Dann sind wir allein?“

Er nickte. „Abgesehen vom Hausmeister. Aber den sehe ich nur selten in der Villa. Ich habe ihn nur bei meiner Ankunft einmal im Haus angetroffen, als er deiner Mutter einen Kranz aus Tannenzapfen schenken wollte.“

„Ja, Mr Winston ist sehr lieb zu Mom.“

Es war gut zu wissen, dass es in diesem Hotel jemanden gab, der auf Reese und ihre Mutter achtgab. Doch das hieß nicht, dass Alex nicht auch seinen Teil beitragen konnte.

„Mr Winston hat offenbar mehr als nur einen Anlass, das Grundstück so gut zu pflegen.“

Reese runzelte drohend die Stirn, ihre Augen wurden ganz dunkel. Was zum Kuckuck hatte Alex jetzt wieder falsch gemacht?

5. KAPITEL

„Das ist unmöglich.“

Reese lehnte sich zurück. Die Vorstellung, dass ihre Mutter Howard Winston mochte, verschlug ihr die Sprache. Ihre Mutter litt noch immer unter dem Gefühlschaos, das der Tod ihres Mannes hinterlassen hatte. Sie würde keinen Mann in ihrem Leben ertragen, nicht nach dem schrecklichen Betrug. Es war ausgeschlossen. Männern durfte man nicht trauen.

„Bist du dir da so sicher?“, hakte Alex nach. „Gut, ich habe die zwei nur ein paar Mal zusammen gesehen, aber sie stehen sich zweifellos sehr nahe.“

„Sie sind nur Freunde“, beteuerte Reese, nicht willens, seiner Beobachtung Glauben zu schenken. „Mom würde sich niemals mit einem Mann einlassen. Nicht nach … nach ihren Erfahrungen mit meinem Vater.“

Alex stand auf. „Ich wollte dich nicht beunruhigen. Ich dachte, es würde dich freuen, wenn deine Mutter einen Mann in ihrem Leben hätte.“

„Es … Es ist mir nicht aufgefallen.“ Sie erstickte fast an dem Kloß in ihrem Hals. „Ich war immer mit so vielen anderen Dingen beschäftigt. Dieses Hotel fordert sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit.“

„Dann musst du vielleicht einfach mal raus.“

Sie riss die Augen auf. „Du meinst, ich soll fort?“

Er lächelte, in der Hoffnung, das Entsetzen aus ihrem Blick zu vertreiben. „Ich meine doch nicht für immer. Ich dachte eher an ein verfrühtes Abendessen.“

„Ach so.“ Ihr stieg die Röte ins Gesicht. Sie wusste nicht, warum sie falsche Schlüsse gezogen hatte. Na ja, vielleicht doch.

Auf der Heimfahrt hatte sie sich Tagträumen von Kofferpacken und Reisen hingegeben. Was nicht hieß, dass sie es jemals in die Tat umsetzen würde. Doch manchmal wurde der Druck einfach zu groß. Morgen zum Beispiel musste sie Sandy kündigen. Natürlich würde sie Sandy sofort wieder einstellen – sobald es dem Hotel finanziell wieder besser ging.

Alex verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. „Wenn du magst, hinterlassen wir Bob eine Nachricht, dass er den Abend freinehmen kann.“

Reese schüttelte den Kopf. „Ich kann es mir nicht leisten, mit Geld um mich zu werfen.“

„Vielleicht hast du mich falsch verstanden. Ich lade dich ein. Ich glaube, ich müsste mal raus hier und mir New York ansehen. Und wer wäre besser geeignet als du, mir die Haute Cuisine nahezubringen?“

Sie zog eine Braue hoch. „Ist das dein Ernst?“

Er nickte.

Er hatte vermutlich recht. Sie musste wirklich mal raus hier. Ein bisschen Abstand und eine Gelegenheit zum Durchatmen, dann würde sie auch wieder klar denken können. Ach, wem wollte sie etwas vormachen? Durchatmen war völlig ausgeschlossen, solange sie wusste, dass sie eine geschätzte Angestellte entlassen musste, die eher eine Freundin als eine Mitarbeiterin war.

Nach dem Verrat ihres Vaters hatte Reese sich in sich zurückgezogen und nur die engsten Vertrauten an sich herangelassen. Und die drei Menschen, die für sie arbeiteten, hatten ihr Vertrauen und ihre Freundschaft gewonnen. Sie waren wie eine Familie.

Alex blickte sie bittend an. „Mit mir essen zu gehen, das kann doch nicht so furchtbar sein.“

Reese nagte an ihrer Unterlippe. Im Grunde hatte sie keine Lust auszugehen, doch er war schließlich ein zahlender Gast – ein Gast, der viel Zeit in Reparaturen in ihrer Privatwohnung investiert hatte. Ihm kurz das Rockefeller Center zu zeigen und mit ihm essen zu gehen, das war das Mindeste, was sie tun konnte.

„Tja, Bob hat geäußert, dass er unbedingt noch ein Weihnachtsgeschenk für seine Freundin besorgen muss. Er freut sich bestimmt, wenn er frühzeitig Feierabend machen kann. Ich rufe ihn an.“

„Und ich tausche meine Arbeitsklamotten gegen etwas Vorzeigbares.“

Als er ging, registrierte sie, wie gut seine Jeans seinen perfekten Körper betonten. Der Mann war unverschämt gut gebaut. Reese schluckte. Eine Frau, die seine Einladung ausschlug, konnte nicht recht bei Sinnen sein.

Sie bemühte sich um einen normalen Tonfall. „Gut. Wir treffen uns in zehn Minuten wieder hier.“

Er nickte und ging zur Treppe.

Wie würde er sie zum Lächeln bringen können?

Alex warf verstohlen einen Blick auf Reeses müdes blasses Gesicht. Die Lichter des riesigen Weihnachtsbaums vor dem Rockefeller Center spiegelten sich in ihren Augen, doch die Begeisterung, die sie beim Schmücken im Hotel gezeigt hatte, fehlte. Er musste irgendetwas tun, damit es ihr besser ging. Aber was?

Sie hatte sich ihm immer noch nicht geöffnet. Er nahm an, dass der geplante Verkauf ihrer Bilder ein Schlag ins Wasser gewesen war, doch was Reese bedrückte, ging tiefer als nur Enttäuschung. Alex hatte gehofft, dass sie lockerer würde und ihre Probleme vorübergehend vergaß, wenn er sie in die Stadt ausführte.

„Vielleicht war es keine gute Idee hierherzukommen.“ Alex fuhr mit den Fingern durch sein kurzes Haar.

„Aber nein.“ Sie griff nach seiner Hand, drückte sie und lächelte ihn an, doch das Lächeln erreichte nicht ganz ihre Augen. „Jedes Jahr zu Weihnachten habe ich mit meinem Vater das Rockefeller-Center besucht. Da kam mir der Baum gewaltig vor.“

„Tut mir leid, dass der Anblick dich jetzt traurig macht.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Aber damals war das Leben noch nicht so chaotisch. Zumindest möchte ich gern glauben, dass dieser Teil meines Lebens echt und nicht voller Lügen war.“

„Was für Lügen?“ War ihm etwas entgangen? Unmöglich. Er hing doch ständig an ihren Lippen.

Sie schüttelte den Kopf und betrachtete wieder den Baum. „Ach, nichts. Nur bedeutungsloses Geschwafel.“

Er baute sich vor ihr auf. „In meinen Ohren klang das aber keineswegs bedeutungslos. Und ich möchte gern, dass du es mir erzählst und ich dich verstehe.“

„Warum interessiert es dich? Ich bin nur deine Wirtin.“

„Und meine Freundin“, ergänzte er rasch, nahm sich dann aber zurück, bevor er zu viel sagen konnte – Dinge, die zu sagen er, der Prinz aus einem fernen Land, kein Recht hatte. Seine Gefühle waren nebensächlich. Er war der Krone von Mirraccino verpflichtet. Das hielt er sich schon seit Jahren vor Augen.

Sie lächelte zu ihm auf. „Du bist sehr lieb. Es erstaunt mich, dass dich noch niemand geangelt hat.“

Er legte eine Hand auf die Brust. „Bin ich etwa ein Fisch?“

Sie lachte. „Dein Englisch ist sehr gut, aber ich sehe schon, einige Redensarten sind dir nicht bekannt. Ich wollte damit sagen, mich wundert, dass du noch nicht in einer festen Beziehung bist.“

Seine Gedanken schweiften flüchtig zum König ab, der darauf bestand, dass Alex seine Verlobung mit Catherine, der Erbin eines Handelsimperiums, offiziell bekannt gab. Diese Verbindung hatte rein politische Gründe. Dass er und Catherine nichts für einander empfanden, zählte nicht. Von ihm wurde eine vorteilhafte Heirat erwartet – seine Wünsche waren unwichtig.

So ergeben Alex der Krone auch war, konnte er sich doch keine Zukunft mit Catherine vorstellen. Nach Weihnachten wollten sie sich zusammensetzen und ihre Möglichkeiten diskutieren. Sein Instinkt riet ihm, den Spekulationen ein Ende zu machen, damit sie ihr eigenes Leben leben konnte. Er wollte nicht, dass sie auf ihn wartete in der Hoffnung, dass er Gefühle für sie entwickelte. Und sie aus reinem Pflichtgefühl zu heiraten, erschien ihm unmöglich. Doch seine Familie wünschte es, ja, erwartete es sogar von ihm.

Er wollte jetzt allerdings nicht an seine eigenen Sorgen denken. Reese war ihm viel wichtiger. „Wer ist schuld an der Traurigkeit in deinen Augen?“

Sie wischte sich die Augen. „Niemand. Ich … Höchstens meine finanziellen Probleme. Ich brauche einfach schnellstens einen warmen Geldregen.“

„Wie kann ich dir helfen?“ Er würde alles tun, was in seiner Macht stand – allerdings nichts, was die Sicherheit seines Landes gefährdete.

Ein zaghaftes Lächeln erhellte ihre Miene. Sie schüttelte den Kopf. „Du hast schon genug getan.“

„Aber wie denn?“, fragte er verwirrt. „Meinst du meine Zimmerreservierung?“

„Nein, dadurch, dass du ein so treusorgender Freund bist.“

Bevor er diese Worte verarbeiten konnte, stellte Reese sich auf die Zehenspitzen und presste ihre warmen Lippen auf seinen Mund. Es verschlug ihm den Atem. Sicher, das hatte er sich vorgestellt – zum Kuckuck, davon hatte er geträumt –, doch er hatte nicht geahnt, dass es so umwerfend sein würde.

Schon wollte sie wieder von ihm abrücken, da legte er rasch die Arme um ihre Taille und zog Reese an sich. Die Probleme von Mirraccino und die Erwartungen, die die Krone an ihn stellte, rückten in den Hintergrund, als Alex den Kuss vertiefte. Dabei hatte er nur einen einzigen Gedanken: dass er der glücklichste Mann auf der Welt war. Nichts hatte sich jemals so richtig angefühlt.

Reese strich über seine Schultern und schob die Finger in sein Haar. Ein tiefer Seufzer stieg in seiner Kehle auf. Reese schmiegte sich fester an ihn, doch dank der dicken Winterkleidung konnte er ihre üppigen Rundungen leider nicht an seinem Körper spüren.

Alex knabberte an ihrer vollen Unterlippe, freute sich an ihren hastiger werdenden Atemzügen. Sie begehrte ihn genauso wie er sie. Doch leider standen sie am Rockefeller Center, noch dazu vor dem Weihnachtsbaum. Das war nicht der richtige Ort, um sich hinreißen zu lassen.

Ein grelles Licht ließ ihn aufschrecken. Er öffnete die Augen und rückte, wenn auch höchst ungern, von Reese ab. Sofort erfasste ihn die Kälte, doch sein Blut war so erhitzt, dass es ihn nicht störte.

„Was ist los?“, fragte Reese.

„Ich … Ich dachte, ich hätte etwas gesehen. Aber da war wohl gar nichts.“

Er hielt Ausschau nach einer Person mit einer Kamera. Hatten die Paparazzi ihn aufgespürt? Hatten sie ihn mit Reese im Arm fotografiert?

Er musterte die Pärchen und Familien mit Kindern um ihn herum. Jeder von ihnen konnte es sein. Er maß der Situation zu viel Bedeutung zu. Wenn die Paparazzi ihm auf der Spur waren, würden sie sich nicht die Mühe machen, sich vor ihm zu verstecken. Ohne seine Bodyguards fühlte er sich allerdings unsicher.

Er konzentrierte sich wieder auf Reese, die zu ihm aufsah. Ihre Wangen waren rosig verfärbt, ob auf Grund der Kälte oder aus Verlegenheit, konnte er nicht sagen. Und als jetzt weiße, flaumige Flocken vom Himmel rieselten, nahm sein Verstand seine Tätigkeit wieder auf. Er musste Reese um Entschuldigung bitten.

Er drückte ihr die Hand. „Bitte, verzeih mir. Ich hätte den Moment nicht ausnutzen dürfen.“

„Das hast du nicht getan.“ Sie senkte den Blick. „Ich bin diejenige, die um Entschuldigung bitten müsste. Ich habe ja angefangen.“

Das stimmte zwar, aber er war dann zu weit gegangen. Reese setzte sich in Bewegung, und er ging an ihrer Seite, Hand in Hand mit ihr, als wären sie schon jahrelang zusammen.

Sie warf ihm einen Blick zu. „Hast du noch Lust, essen zu gehen?“

„Möchtest du?“

Sie nickte.

Er hatte Hunger, zweifellos. Doch was er begehrte, war keine Mahlzeit. Er schluckte, versuchte, sich auf seinen Vorsatz für diesen Abend zu konzentrieren, nämlich Reese gegenüber ehrlich zu sein, ohne sie dadurch zu vertreiben.

Reese war überrascht, wie sehr sie den Abend genoss. Ein paar von ihren Gästen hatten das In-Restaurant mal erwähnt, und jetzt verstand sie, warum. Es war gemütlich, schummrig beleuchtet und sparsam weihnachtlich geschmückt. Und die Tapas waren absolut göttlich.

Und dank des schlechten Wetters bot das Restaurant die nötige Ruhe, um sich unterhalten zu können. Alles war bestens, bis Alex das Gespräch wieder auf Reese brachte. Als der Ober Kaffee und Schokoladentorte serviert hatte, musterte Alex sie über den Rand seiner Tasse hinweg.

Er trank ein Schlückchen von seinem Kaffee und stellte die Tasse wieder ab. „Erzählst du mir von ihm?“

Reeses Herz krampfte sich zusammen. „Von wem?“

Alex beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte. „Ich wüsste gern Näheres über deinen Exfreund. Den Mann, der dir das Herz gebrochen hat.“

Sie atmete erleichtert aus. Über Josh konnte sie reden. Sie hatte Zeit gebraucht, um den Schmerz zu überwinden, den er ihr zugefügt hatte, doch letztendlich erkannte sie, dass es seine Lügen waren, die ihr zusetzten – nicht die Tatsache, dass er aus ihrem Leben verschwunden war.

„Ich habe Josh auf dem College kennengelernt. Er war immer elegant gekleidet und hatte einen erlesenen Geschmack. Ich war überrascht, als er mir eines Nachts nach einer Party anbot, mich nach Hause zu bringen. Als er mich absetzte, war er schwer beeindruckt von der Villa meiner Familie. Tja, wenn er damals schon gewusst hätte, was ich jetzt weiß. Wie auch immer, er wollte unbedingt meine Telefonnummer haben.“

Alex’ blaue Augen verrieten Mitgefühl. „Er hatte es auf dein Geld abgesehen?“

„Ja. Aber damals war ich zu naiv, um das zu erkennen. Ich hatte mir so sehr eingeredet, bis über beide Ohren in ihn verliebt zu sein, dass ich es ihm durchgehen ließ, wenn immer alles nach seinem Willen gehen musste. Und wenn er meine Kleidung kritisierte, gab ich mir selbst die Schuld, weil ich so wenig modebewusst war.“

„Was für ein Mistkerl.“ Alex biss die Zähne zusammen.

„Als mein Vater starb, änderte sich alles. Josh verwandelte sich in den perfekten Gentleman. Er sagte lauter nette Dinge und sprach sogar von Heirat. Er gab mir ein Gefühl der Sicherheit.“

Alex ergriff über den Tisch hinweg ihre Hand und drückte sie. Seine Berührung verlieh ihr eine Kraft, die sie nicht in sich vermutet hätte.

Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. „Alles war prima, bis er erfuhr, dass ich keine reiche Erbin war. Im Gegenteil, ich hatte Schulden, war ärmer als eine Kirchenmaus. Ich weiß nicht, ob ich aus den Schulden herauskomme, bevor ich eine verhutzelte alte Dame bin.“

„Ohne ihn bist du viel besser dran. Er ist deine Tränen nicht wert.“

Sie fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Wangen und stellte fest, dass sie feucht waren. „Als Josh erkannte, dass ich ihm kein bequemes Leben bieten konnte, besuchte er mich nicht mehr und reagierte auch nicht auf meine Anrufe. Doch mittlerweile war ich längst damit beschäftigt, mich um meine Mutter zu kümmern und zu verhindern, dass die Bank uns das Haus wegnahm. Josh habe ich komplett verdrängt.“

„Es tut mir leid, dass er dir so wehgetan hat …“

„Nicht nötig. Es ist vorbei. Ich will nicht mehr über ihn reden.“ Sie ertrug es nicht, über jene Zeit in ihrem Leben nachzudenken. Es war wahrhaftig ihr dunkelstes Kapitel.

„Man sagt, es wäre heilsam, über seinen Kummer zu reden.“

„Ich neige eher zu der Überzeugung, dass Schokolade ein Allheilmittel ist.“ Sie aß den letzten Bissen ihrer Schokoladentorte und seufzte genussvoll. „Jetzt bist du an der Reihe. Erzähl mir mehr von dir.“

„Von mir?“ Er riss die Augen auf. „Ich bin langweilig. Du möchtest bestimmt über interessantere Dinge reden.“

Sie schüttelte den Kopf. „Gerecht ist gerecht. Ich habe dir über meinen nichtsnutzigen Exfreund erzählt. Jetzt bist du dran und musst mir etwas über dich erzählen, was ich noch nicht weiß.“

„Und wenn ich nun sage, dass ich ein Prinz bin?“

Sie seufzte enttäuscht. „Dann würde ich sagen, dass du anscheinend an Größenwahn leidest. Ich dachte, wir führen ein ernsthaftes Gespräch.“

Er beugte sich vor, als wollte er ihr noch mehr anvertrauen, da klingelte ihr Handy. Sie hob den Zeigefinger und kramte das Gerät aus ihrer Handtasche. „Meine Mutter. Ich muss das Gespräch annehmen.“

Sie stand auf, nahm ihren Mantel und lief zum Ausgang, wo sie ohne die Hintergrundmusik besser hören konnte. Sie trat hinaus in die kalte Abendluft, als das Handy verstummte. Verflixt. Und wenn es nun etwas Wichtiges war? Am besten rief sie zurück.

Es schneite immer noch; kaum jemand wagte sich hinaus in das Winterwetter. Nur ein Mann ließ sich alle Zeit der Welt und blickte in die Fenster der Restaurants und Geschäfte.

Der Wind frischte auf. Reese hatte gerade die Nummer ihrer Tante aufgerufen, als jemand sie ansprach. Sie drehte sich um.

„Hey!“ Der Mann, der in die Fenster gespäht hatte, blickte jetzt Reese an. „Ja, du!“

Im kalten Licht der Straßenlaternen entdeckte Reese die Kamera in den Händen des Mannes. Im nächsten Moment hob er das Gerät vors Gesicht, und ein greller Blitz blendete Reese. Sie blinzelte.

Der Mann kam näher. „Wie heißt du?“

Sie wich zurück. „Wie bitte?“

„Komm schon“, schmeichelte der Mann. „Zeig mir dein hübsches Lächeln.“

Reese hob die Hände, um den Fotografen abzuwehren. „Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!“

„Wie alt bist du, Schätzchen? Zwanzig? Zweiundzwanzig?“

Sie wollte zurück ins Restaurant laufen, rutschte aber auf einer zugefrorenen Pfütze aus. Sie ruderte mit den Armen, umklammerte das Handy, als wäre es ihr Rettungsanker, und stürzte.

Alex ging lächelnd zum Ausgang.

Der Abend war besser gelaufen, als er erwartet hatte. Mit der Zungenspitze fuhr er über seine Unterlippe und dachte an Reeses süßen Kuss. Ein Kuss von ihr war tatsächlich ein Erlebnis. Er konnte nur hoffen, dass sie Verständnis für ihn aufbrachte, wenn er ihr die Wahrheit gesagt hatte, denn er war nicht bereit, sie gehen zu lassen. Noch nicht.

Er stieß die Glastür auf und sah Reese, wie sie schwankte und hinfiel. Er stürzte nach draußen, und da erhellte ein Blitzlicht die Nacht – Paparazzi! Doch im Moment galt seine Sorge Reese.

Alex kniete sich neben sie. Ihm wurde eng in der Brust, während er darauf wartete, dass sie etwas sagte. „Reese, ist alles in Ordnung?“

„Ich … Ich weiß nicht. Ich bekomme keine Luft.“ Sie setzte sich auf. „Mein Arm tut weh, und mein Knie auch.“

„Es tut mir so leid.“ Als sie versuchte aufzustehen, legte er ihr die Hand auf die Schulter. „Bleib noch ein bisschen sitzen und atme tief durch.“

Alex blickte um sich und entdeckte einen Mann mit einer Kamera ein Stück weiter auf dem Gehsteig. Im ersten Impuls wollte er die Verfolgung aufnehmen, doch er konnte Reese nicht allein lassen. Sie brauchte ihn.

Der Fotograf nahm sich Zeit für ein weiteres Foto, bevor er in der Dunkelheit verschwand. Alex war überzeugt, dass das Bild noch in derselben Nacht in den Klatschkolumnen erschien, doch seine einzige Sorge galt Reese.

Und er allein war schuld an diesem Vorfall. Er war völlig im Hier und Jetzt gefangen gewesen – hatte nichts anderes im Sinn gehabt, als Reese zu trösten, bei ihr zu sein. Er hatte sich nicht an die Sicherheitsvorschriften gehalten, die ihm schon als Kind in Fleisch und Blut übergegangen waren. Wieder einmal hatte er durch sein unbedachtes Verhalten einem Menschen, der ihm wichtig war, Schaden zugefügt.

Der Gedanke erschreckte ihn.

Reese war ihm wichtig. Das stimmte. Doch im Moment hatte er nicht die Zeit zu überlegen, was das für ihn bedeutete. Er musste sich beeilen, um mit ihr von der Straße zu kommen.

„Komm.“ Er streckte ihr die Arme entgegen. „Nimm meine Hände.“

Sie versuchte es und schnappte nach Luft.

„Was ist los?“

„Mein rechter Arm. Ich hatte mein Handy in der Hand und bin mit dem Ellenbogen aufgeprallt.“

„Und der linke Arm? Ist der in Ordnung?“

„Ich glaube schon.“

Er ergriff sie bei ihrem gesunden Arm, während sie den verletzten an die Brust drückte. Alex hätte sie am liebsten hochgehoben, an sich gedrückt und ihr versprochen, dass alles wieder gut werde würde, doch er wusste, dass das nicht stimmte. Er hatte zu lange gewartet. Zu viel war passiert. Alles war außer Kontrolle geraten.

Wenn Reese jetzt die Wahrheit erfuhr – die ganze Wahrheit –, dann würde sie ihm zu Recht Vorwürfe machen. Ihre Verletzung verdankte sie ihm. Er konnte ihr nicht verübeln, wenn sie böse war. Dies alles wäre nicht passiert, wenn er im Hotel geblieben wäre. Er hatte einen Plan gehabt. Einen guten Plan. Und von diesem war er abgewichen.

Er bemerkte, wie sie die Zähne zusammenbiss und den verletzten Arm festhielt, und er fühlte sich scheußlich. „Ich bringe dich ins Krankenhaus.“

Autor

Jennifer Faye
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