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"Du hast versprochen, auf mich zu warten!" Rory ist tief enttäuscht von Kate: Als er damals die Stadt verließ, schwor sie ihm ewige Liebe. Und machte kurze Zeit später Schluss! Warum hat sie ihn hintergangen? Rory muss wissen, ob Kate ihn wirklich nicht mehr will …


  • Erscheinungstag 29.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506847
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Erleichtert stieg Rory McIver aus dem Flugzeug des Royal Flying Doctor Service, das ihn nach Jabiru mitgenommen hatte. Es war ein nicht gerade ruhiger Flug gewesen. Vielleicht hätte er von Perth aus lieber mit dem Auto fahren sollen, aber nach all der Hektik der letzten zwei Wochen hatte er keine große Lust gehabt, dreitausend Kilometer weit zu fahren.

Er bückte sich, um etwas von der roten Erde aufzuheben, über die er stundenlang hinweggeflogen war. Er ließ sie durch die Finger rieseln, und den Rest blies der Wind von seiner Hand. Rory blickte sich um. Nie hätte er gedacht, dass er noch einmal hierher zurückkommen würde.

Obwohl es noch früh am Morgen war, spürte er die trockene Hitze auf der Haut, die es nur in der westaustralischen Kimberley-Region gab. Diese Hitze hatte er seit zehn Jahren nicht mehr erlebt und genoss sie jetzt richtig.

Rory fasste an seine Hemdtasche mit der dicken Brieftasche. Eine Gewohnheit, die ihn begleitete, seit er damals diesen verdammten Brief erhalten hatte.

Während das Flugzeug auf der holprigen Landepiste wieder beschleunigte, bellte ein Hütehund, dessen hagerer Besitzer zum Gruß an seinen Hut tippte. „Tag, Rory. Lange nicht gesehen.“

Der Mann hatte sich nicht im Geringsten verändert. „Smiley.“ Rory nickte dem Cowboy zu, der an seinem zerbeulten Truck lehnte. „Nett, dass du mich abholst.“

Sie schüttelten sich die Hand, ehe Rory seinen Rucksack auf die Ladefläche warf, wo er sofort von einer dünnen roten Staubschicht bedeckt wurde. Lächelnd öffnete er die Beifahrertür. Als er einstieg, fegte ein heftiger Windstoß in den Wagen. Rory überlegte flüchtig, was dieser starke Wind wohl zu bedeuten hatte.

Smiley setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an. „Hab mich schon gefragt, wie lange es dauert, bis du kommst, nachdem Kate hier aufgetaucht ist“, meinte er in dem für ihn so typischen gedehnten Tonfall.

Rory verzog das Gesicht. Offenbar nicht besonders lang. „Ich habe in der Zeitung gelesen, dass ihr Vater krank ist. Heißt das, sie war auch lange weg?“

„Mmm. Ist im selben Jahr weggegangen wie du. Zur Schule in Perth.“ Ächzend löste Smiley die Handbremse. „Sie ist zurückgekommen, um bei ihm zu sein. Aber mehrere Tage die Woche fliegt sie in die Stadt, um Sophie zu unterstützen.“

Smiley warf einen Blick auf einen kleinen Jeep in dem Schuppen neben der Weide, woraus Rory schloss, dass das Fahrzeug Kate gehörte.

„Sie arbeitet in der Klinik, bringt die Babys der Frauen aus den Camps zur Welt und übernimmt auch Notfälle.“ Kopfschüttelnd setzte Smiley hinzu: „Soviel ich gehört habe, ist ihr alter Herr nicht sonderlich erfreut darüber, dass sie überhaupt hier mitarbeitet.“

Lyle Onslow hatte sich also anscheinend nicht geändert. Ein boshafter alter Mann.

„Ihr Vater war nie besonders erfreut über irgendwas“, gab Rory zurück.

„Er stirbt.“ Smiley sah ihn an.

Beide dachten darüber nach. Lyle war ein harter Mann und oft ungerecht, aber darum würde sich vermutlich bald der Heilige Petrus kümmern.

Achselzuckend steckte Smiley sich ein Streichholz zwischen die Zähne, um darauf herumzukauen. Obwohl sein Mund sich kaum bewegte, tanzte das Streichholz zwischen seinen Lippen. Eine Kunst, die er von seinem Vater erlernt hatte. Der Anblick brachte Rory die guten Erinnerungen an die Vergangenheit zurück, von denen es auch viele gegeben hatte.

„Du hast ihr also gesagt, dass du kommst?“, fragte Smiley.

Nein, dachte Rory und schloss die Augen. Er hatte eine schlaflose Nacht hinter sich, in der hin und her überlegt hatte, wie er es ihr sagen sollte. „Halte dich mit der Nachricht zurück, bis ich eine Chance dazu habe, Kumpel.“

Smiley schnaubte belustigt. „Eine Nachricht zurückhalten? Hier?“ Er nahm das Streichholz aus dem Mund und zeigte damit auf Rory. „Die Gerüchteküche brodelt schon seit deinem Abflug aus Perth.“

Im Grunde hatte Rory es gewusst und nur verdrängt. Wenn er Kate sah, musste er eben dazu stehen, dass er sein Versprechen gebrochen hatte.

Er wusste nicht recht, was es für ihn bedeutete, die Frau wiederzusehen, die mit ihm Schluss gemacht hatte, obwohl sie versprochen hatte, auf ihn zu warten. Nie hatte sie auf seine Briefe geantwortet. Und seinen Eltern, die ihr nach dem Tod ihrer Mutter immer nur mit Güte und Freundlichkeit begegnet waren, hatte sie großes Leid zugefügt. Aber jetzt, da Rory fast am Ziel seiner beruflichen Wünsche war, hatte er gemerkt, dass er nicht weiterkommen würde, bis er endgültig mit seiner Vergangenheit abschließen konnte.

„Wie geht es Sophie?“, erkundigte er sich.

Smileys Schwester war das genaue Gegenteil ihres Bruders. Quirlig und kontaktfreudig, scheuchte sie Smiley gnadenlos herum, doch ihr schweigsamer Bruder zuckte bloß mit den Schultern. Früher einmal, auf der riesigen Rinderfarm von Jabiru, hatten sie alles zu viert unternommen. Auch das hatte Kates Vater gar nicht gefallen, dass seine Tochter sich mit den Arbeiterkindern abgab.

„Nervt, wie immer“, antwortete Smiley. Doch es lag Stolz in seiner Stimme. „Jetzt arbeitet sie in der Klinik mit …“ Er brach ab.

Mit Kate, ergänzte Rory in Gedanken.

„Jedenfalls, durch die Unterstützung kann Sophie sich auch mal freinehmen“, fuhr Smiley fort. „Insofern geht’s ihr gut. Sie kriegt ein paar Tipps über Geburtshilfe und überlegt, selbst eine Zusatzausbildung als Hebamme zu machen.“ Er schaute wieder auf die Straße. „Wann fährst du wieder zurück?“

Kate als Lehrerin für Sophie? Nun ja, natürlich hatte sie sich verändert. Was hatte Rory erwartet? Dass sie noch immer glaubte, er wüsste alle Antworten?

„Ich habe eine Woche Urlaub und werde im Hilton unterkommen, bis der RFDS mich in ein paar Tagen wieder abholt.“

Hilton war der Scherzname für die einzige, ziemlich heruntergekommene Pension des kleinen Städtchens, die von einer toughen ehemaligen Army-Krankenschwester namens Betty Shultz geführt wurde. Shultzie hatte geschworen, Jabiru nie wieder zu verlassen. Und sie fluchte, laut und oft.

Ihr Hilton hatte nichts mit der exklusiven Hotelkette gemeinsam. Ihre Pension genügte gerade mal den Mindestanforderungen und bestand lediglich aus einigen zusammengenagelten Holzbrettern.

„Wie war Charlies Ruhestandsparty?“

„Gutes Essen“, erwiderte Smiley. „Du bist nicht zufällig an seinem Job interessiert?“

Nachdem Rory sich immer weiter angetrieben hatte, die Karriereleiter hinaufzusteigen, bis zu seiner Ernennung im letzten Monat? Freiwilliger Sanitäter im Busch anstatt Verwaltungsdirektor beim staatlichen Rettungsdienst? Tatsächlich hatte der Gedanke was. Wieder auf der Straße zu arbeiten, ohne sich mit Finanzmeetings und Problemanalysen herumzuschlagen.

„Eher nicht.“

Sie schwiegen, bis sie an den riesigen Viehkoppeln am Ortsrand vorbeifuhren und schließlich gegenüber dem schäbigen Hotel in der Hauptstraße von Jabiru anhielten. Die Bevölkerung des Ortes lag in der Woche bei etwa hundertfünfzig Einwohnern, und am Wochenende bei dreihundert. Die meisten davon Viehtreiber und Cowboys, die in das Städtchen strömten.

Rory schaute sich um. Was für ein Unterschied zu Perth!

Wieder traf ihn eine Windbö, als er seinen Rucksack von der Pritsche nahm, und er suchte den hellen Himmel nach den ersten Wolken ab. Noch waren keine zu sehen.

Mit der flachen Hand schlug er auf das Dach der Fahrerkabine, woraufhin Smiley die Hand hob und losfuhr. Rory blickte dem Truck nach, bis er in einer Staubwolke verschwand. Dabei fragte er sich flüchtig, ob er es sich nicht lieber wieder anders überlegen und zur Landepiste zurückfahren sollte.

Doch er war noch nie vor einer Herausforderung davongelaufen.

Tja, nun war er hier. Und mach jetzt keine so große Sache aus einem Besuch in deiner alten Heimat, sagte er sich. Immerhin hatte er nicht einmal mehr Familie hier. Rasch unterdrückte er die aufkommende Bitterkeit. Der Rest würde sich schon finden.

Er betrachtete die Geschäfte in der verlassenen Straße, die fast alle verbarrikadiert waren. Das hier sah zwar nicht so aus wie die große Farm von Kates Vater, auf der Rory aufgewachsen war. Dennoch hatte sich in den letzten zehn Jahren in Jabiru nicht viel verändert.

Abgesehen von dem schweren Schaden, den er seiner Familie durch die Liebesaffäre mit Kate zugefügt hatte.

Zum Glück war Kate Onslow die geborene Pilotin. Daher konnte sie die Strecke, die sie zurücklegen musste, leicht und mühelos bewältigen.

Die zweistündige Fahrt von der Jabiru-Farm bis zum Städtchen Jabiru war eine einzige Staubtour, und mit dem Flugzeug dauerte es nur zwanzig Minuten. Ihr Urgroßvater hatte die Farm vor hundert Jahren gegründet, und als der Ort immer größer wurde, hatte ihr Großvater schließlich in einiger Entfernung eine neue Farm aufgebaut.

Das neue Haus der Familie, ein weitläufiges Gebäude mit zahlreichen Giebeln, lag am Fuß ockerfarbener Berge, die an die Timorsee grenzten. Von den Gipfeln strömte reichlich Wasser, das sich in herrlichen Wasserlöchern sammelte und einen kleinen üppigen Regenwald hervorbrachte. Und all das nicht weit weg von der kargen Landschaft rings um das Farmgebäude.

In dem alten Farmhaus in der Stadt, das Kate aus der Luft sehen konnte, waren jetzt die Klinik, die Apotheke, eine kleine Leihbücherei mit gespendeten Büchern sowie die Garage für den einzigen Krankenwagen von Jabiru mit Allradantrieb untergebracht.

Beim Landeanflug erkannte Kate das Flugzeug der Royal Flying Doctors, das gerade startete. Ihr Herzschlag setzte plötzlich aus, als wäre sie durch ein Luftloch geflogen, und ihr wurde leicht übel.

Sie hatte bereits drei Funksprüche von Leuten bekommen, die ihr mitteilten, dass Rory McIver nach Jabiru kommen würde, um sich mit ihr zu treffen.

Es war ihr schon schwer genug gefallen, im vergangenen Monat zu ihrem kranken, streitsüchtigen Vater zurückzukehren. Aber das schien nichts im Vergleich zu Rorys unerwartetem Besuch.

Kate war nur deshalb imstande gewesen, nach Hause zurückzukommen, weil sie wusste, dass sie sich nie wieder von ihrem Vater beeinflussen lassen würde. Aber Rory? Früher hatte er ihr alles bedeutet.

Irgendwie muss ich die Sache überstehen, dachte sie. Ihre Unabhängigkeit würde ihr dabei helfen. Unvermutet stiegen ihr plötzlich Tränen in die Augen, die sie jedoch entschlossen ignorierte. Tränen führten zu nichts. Seit den Ereignissen damals vor zehn Jahren hatte sie nie mehr geweint. Aber gegen den emotionalen Aufruhr konnte sie nichts tun, dabei hatte sie Rory noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Sie war jetzt eine erwachsene Frau, kein bedürftiges junges Mädchen mehr, das für den Sohn des Farmverwalters schwärmte.

Kate holte tief Luft und straffte die Schultern. Viele Jahre lang hatte sie sich immer wieder gesagt, dass sie auf eigenen Füßen stehen, sich auf sich selbst verlassen musste. Diesen Entschluss würde sie nicht von einem Mann untergraben lassen, der schon so lange aus ihrem Leben verschwunden war. Wieso wollte er sie überhaupt sehen?

Sie verbannte diesen Gedanken und konzentrierte sich auf die bevorstehende Landung. Genau das war ihre große Stärke: sich auf das zu konzentrieren, was gerade getan werden musste. Sobald das Flugzeug den Boden berührte, tauchten die Fragen jedoch wieder auf und blieben hartnäckig hängen, so wie das Fahrwerk des Flugzeugs in den ausgefahrenen Spurrillen der Landepiste.

Nachdem sie das Flugzeug gesichert hatte, fuhr Kate in die Stadt, wobei sie sich die ganze Zeit unbehaglich fühlte. Und anfangs auch noch bei der Arbeit, bis die sechzehnjährige Lucy Bolton zu ihr kam und über die schlimmsten Verdauungsstörungen klagte, die sie je gehabt hatte.

Die Jabiru Clinic war zuständig für die medizinische Versorgung des kleinen Ortes, der in dieser ausgedörrten Gegend am Rande der südlichen Berghänge der Rinderfarm lag. In den Bergen gab es noch weitere kleinere Siedlungen, ebenso wie entlegene Aborigine-Gemeinschaften und Außencamps der Farm. Für schwierige Fälle flog einmal pro Woche ein Arzt nach Jabiru. Dummerweise war er gerade erst gestern da gewesen.

Kate warf nur einen Blick auf Lucy und nahm sie dann sofort auf die Station der kleinen Klinik auf. „Ab ins Bett, junge Dame. Keine Widerrede. Wo ist deine Mutter?“

Lucy war ein großes, tüchtiges Mädchen, deren Mutter einen der vier Pubs in der Stadt von Kates Vater pachtete. Im Allgemeinen immer fröhlich und gut gelaunt, klagte Lucy so gut wie nie. Hier draußen lebte ein zäher Menschenschlag. Den Leuten blieb gar nichts anderes übrig. Und der Weg zu moderner medizinischer Versorgung war weit.

„Mum ist müde.“ Behutsam setzte Lucy sich auf den Bettrand und stieß die Schuhe von sich. „Gestern Abend gab es eine große Party in der Stadt, und ich wollte sie nicht wecken.“ Seufzend legte sie sich in die Kissen und schloss die Augen. „Das Komische ist, ich habe überhaupt nichts gegessen, weil mir so schlecht ist. Also wie kann ich dann solche Verdauungsstörungen haben?“

„Das klingt nicht gut.“ Kate schaute auf das junge Mädchen herunter. „Du Ärmste.“ Sie streichelte Lucy übers Haar. Dabei bemerkte sie deren leicht geschwollene Augenlider, ihre Erschöpfung, die Hand, die sie schützend auf den Bauch legte. Leise fragte Kate: „Könnte es sein, dass du schwanger bist, Luce?“

Das Mädchen riss die Augen auf, und die plötzliche Angst in seinem Blick bestätigte die Vermutung. Kate seufzte bei der Vorstellung, dass Lucy bald ihre unbeschwerte Jugend verlieren würde. Zugleich empfand sie jedoch auch ein kleines bisschen Neid. Sie wünschte, sie wäre damals vernünftig genug gewesen, so wie Lucy Hilfe zu suchen.

Allerdings hätte Mrs Shultz wohl nicht so freundlich reagiert wie Kate oder Sophie. Selbst wenn Kate den langen Weg von der Farm bis hierher allein geschafft hätte.

Beruhigend tätschelte sie Lucys Schulter. „Es wird schon alles gut werden. Ich messe jetzt erst mal deinen Blutdruck, Süße. Du siehst nämlich nicht besonders fit aus.“

Als sie ihre ausführliche Untersuchung beendet hatte, schlugen die Fensterläden draußen an die Wände, und man konnte das Heulen des Windes hören. Doch Kate registrierte es kaum, da ihre Sorge um Lucy sich weiter verstärkte.

Der Flying Doctor musste zurückkommen und das Mädchen holen, denn Kate konnte sie unter keinen Umständen hier betreuen. Das wollte sie auch gar nicht, weil sie genau wusste, welchen Preis Lucy möglicherweise dafür zahlen musste.

Der Schwangerschaftstest fiel positiv aus, obwohl Kate diesen im Grunde nicht gebraucht hätte. Der Herzschlag von Lucys kleinem Gast war klar und deutlich. Doch der gefährlich hohe Proteingehalt in ihrer Urinprobe bereitete Kate große Sorgen.

Die Lage der Gebärmutter zeigte, dass Lucy ihr Geheimnis seit etwa sieben Monaten verbarg. Also noch acht Wochen bis zur Geburt.

Flüchtig schloss Kate die Augen, um die Erinnerungen auszublenden, die in ihr aufstiegen. Wie damals, vor so vielen Jahren, als das Unglück sie getroffen hatte. Schnell schüttelte sie diese unerwünschten Gedanken ab.

Wenn Kate sich nicht irrte, würde Lucys hoher Blutdruck dafür sorgen, dass ohnehin bald die Wehen einsetzten. Und sie wusste, wie zerbrechlich Frühchen waren. Jedenfalls wäre es keine Standardgeburt hier draußen, dreitausend Kilometer von Perth entfernt.

Falls Lucy nicht bereits in den Wehen lag, ohne es zu wissen. „Du hast keine Bauchschmerzen, oder, Luce?“

„Nein“, erwiderte das Mädchen. „Bloß Kopfschmerzen und diese schreckliche Verdauungsstörung.“

Das ist keine Verdauungsstörung, dachte Kate. Sondern dein Körper zeigt dir damit, dass irgendwas absolut nicht stimmt. Aber wenigstens hatte Lucy auf ihren Körper gehört. Kate gab ihr ein Mittel, um den Magen zu beruhigen. „Trink das in kleinen Schlucken. Ich muss über Funk mit dem Arzt sprechen.“

Fünf Minuten später nahm Kate die Kopfhörer erschrocken ab. Das konnte doch nicht wahr sein! Dann setzte sie die Kopfhörer wieder auf. „Ich bitte um Wiederholung.“

„Medikation und Transport. An deiner Stelle würde ich heute noch losfahren. Es ist ein schwerer Sturm angesagt. Die einzige Möglichkeit für einen Transport ist über Land. Falls du dich dazu entschließt, musst du deine Patientin rausbringen, bevor der Regen wieder anfängt. Dann werden wir sie von Derby ausfliegen. Oder du bleibst die nächsten vierundzwanzig Stunden bei ihr sitzen und betest.“

„Das sind sechshundert Kilometer ausgefahrener Sandpiste“, protestierte Kate. „Was ist, wenn sich ihr Zustand unterwegs verschlechtert? Oder vielleicht sogar die Wehen einsetzen?“

„Dann kannst du nur hoffen, dass die Geburt noch eine Weile auf sich warten lässt.“ Mac Dawson war Oberarzt auf der Entbindungsstation im Perth General gewesen, wo Kate als frischgebackene Hebamme angefangen hatte. Inzwischen hatte er sich als Geburtsmediziner niedergelassen. Mac respektierte sie, und Kate wusste, dass ihn ihr Dilemma nicht kaltließ. Doch er konnte nichts weiter für sie tun. „Du hättest eben bei mir in Perth bleiben sollen.“

Kate verdrehte die Augen. Sie waren ein paar Mal miteinander ausgegangen, und Mac hätte die Beziehung gerne vertieft, aber sie wollte nicht. Sein Interesse war der Grund dafür, dass sie sich bald danach eine Stelle in einem der kleineren Krankenhäuser in den Vororten von Perth gesucht hatte.

Mac fuhr fort: „Es ist ihr erstes Baby. Ich bin sicher, dir wäre eine frühe Geburt lieber als eine Eklampsie da draußen, während du darauf wartest, dass der Sturm vorbeizieht. Die Schlechtwetterfront kann Tage dauern und eure Landepiste unbrauchbar machen. Falls deine Patientin so instabil ist, wie du vermutest, und die Straßen gesperrt sind, könnte es schwierig werden.“

Er hatte recht. Gut, dann also über Land. „Danke, Mac. Ich melde mich wieder bei dir, sobald ich mit ihrer Mutter gesprochen habe.“

„Okay, bis später. Und vergiss nicht, mich anzurufen, wenn ihr angekommen seid, damit ich weiß, dass ihr es geschafft habt.“

Langsam setzte Kate die Kopfhörer ab, ehe sie zu Lucy zurückging. Auf dem Weg holte sie die Medikamente aus dem Arzneimittelschrank, die sie benötigte, ebenso wie das Tablett mit den Venenkathetern. Beides stellte sie auf den Tisch neben dem Bett.

Lucy war in einen unruhigen Schlaf gefallen. Kate überprüfte erneut ihren Blutdruck und war wegen der astronomisch hohen Werte sehr besorgt.

„Lucy.“ Als Kate ihren Puls fühlte, öffnete das Mädchen die Augen. „Ich muss dir einen Tropf am Arm legen und einige Medikamente geben, um deinen Blutdruck zu senken. Danach rufe ich deine Mum an. Der Doktor sagt, du musst auf jeden Fall nach Derby, wahrscheinlich sogar nach Perth.“

Lucys Augen wurden groß und ängstlich. Kate drückte ihr die Hand. Sie hatte damals auch Angst gehabt.

„Es ist schon in Ordnung. Ich werde den größten Teil der Strecke mitkommen. Aber bis zur Geburt des Babys musst du dort bleiben.“

„Mum weiß nicht, dass ich ein Kind kriege.“

Beide schauten auf Lucys Bauch, dem kaum etwas anzusehen war.

Kate kam dies alles sehr bekannt vor, nur dass sie keine Mutter gehabt hatte. Bloß einen wutschnaubenden Vater, der sie zu Fremden geschickt hatte, bevor irgendjemand etwas herausfinden konnte.

„Wir müssen es ihr sagen, aber sonst braucht es noch keiner zu wissen. Die Sache ist ernst, Luce. Du könntest schwer krank werden, und dein Baby auch. Ich mache mir große Sorgen um dich. Darum haben wir keine andere Wahl.“

Lucy ließ sich wieder zurücksinken. Zwei dicke Tränen liefen ihr über die Wangen. „Verstehe. Kannst du es Mum sagen?“

Liebevoll strich Kate ihr das strähnige Haar aus der Stirn. „Natürlich.“

Eine halbe Stunde später staunte Kate darüber, wie viel Glück manche Menschen doch hatten. Lucys Mutter war verblüfft über die Neuigkeit, erholte sich jedoch rasch. Entschlossen richtete sie sich auf. „Mein armes Mädchen. Da wollte sie mich nicht beunruhigen, dabei habe ich mir schon solche Sorgen um sie gemacht. Ich habe mir alle möglichen schrecklichen Dinge vorgestellt, aber jetzt weiß ich, warum sie in letzter Zeit so still war. Und du sagst, sie ist krank?“ Mary Bolton blickte Kate eindringlich an. „Wie krank?“

„Früher nannte man es Schwangerschaftsvergiftung. Ihr Blutdruck ist gefährlich hoch für sie und das Baby. Ich fürchte, sie könnte einen Anfall erleiden, falls er sich weiter erhöht. Sie soll nach Perth geflogen werden.“

Mary schaute aus dem Fenster, ehe sie Kate wieder ansah. „Ich hatte diese Eklampsie-Sache. Es hat meinem Mann einen Riesenschreck eingejagt, als er aufwachte, das Bett wackelte und ich ihn wie ein hypnotisiertes Kaninchen anstarrte, weil ich nicht sprechen konnte.“ Sie hob die Schultern. „So hat er’s mir jedenfalls erzählt.“

Kate erschrak. Die Mutter hatte auch an Präeklampsie gelitten und sogar einen Anfall gehabt? Das bedeutete ein noch größeres Risiko für Lucy.

Mary blickte aus dem Fenster. „Aber bei diesem Wetter kann der Arzt nicht fliegen.“

Auch Kate schaute hinaus. Der wolkenverhangene Himmel färbte sich allmählich rötlich. „Ich weiß. Wir müssen sie über Land nach Derby bringen. Es sei denn, das Wetter wird nach Westen hin besser, sodass er auf einer der Rinderfarmen entlang der Strecke landen kann, damit wir uns dort mit ihm treffen.“

Mary sah zuerst zu ihrer Tochter, dann wieder zu Kate. „Du musst dir wohl große Sorgen machen, wenn du nicht noch ein oder zwei Tage warten kannst.“

„Das stimmt.“

„Wie gut, dass wir dich haben“, meinte Mary. „Ich muss jemanden organisieren, der den Pub übernimmt und die anderen Kinder versorgt. Dann komme ich nach. Meine Schwester wohnt in Derby. Wann müsst ihr losfahren?“

„Heute. So bald wie möglich.“ Erst jetzt wurde Kate klar, was das bedeutete. Mit dem Krankenwagen. Charlie, der alte Fahrer, war in Ruhestand gegangen und befand sich gerade auf seiner großen Traumreise. Außer ihr gab es niemanden mit einer medizinischen Ausbildung, der mitkommen konnte. Aber auf dieser Fahrt benötigte sie unbedingt Unterstützung.

Sophie wurde hier gebraucht, und sonst war keiner da, außer dem zweithöchsten Rettungssanitäter des gesamten Bundesstaates. Der Mann aus ihrer Vergangenheit, der vorhin in Jabiru angekommen war.

Rory war der Letzte, mit dem Kate vierundzwanzig Stunden in einem Krankenwagen-Truck verbringen wollte. Sie drehte sich um und schaute in Lucys Zimmer. Andererseits, vielleicht wird es gar nicht so schlimm, dachte sie bei sich. Vielleicht sind meine Gefühle heute anders als damals. Mit sechzehn war sie so verliebt in ihn gewesen, dass sie ihn praktisch dazu verführt hatte, mit ihr zu schlafen.

Inzwischen musste Rory achtundzwanzig sein. Vermutlich hatte er in der Großstadt einiges an Gewicht zugelegt und wirkte wesentlich älter. Also wäre das sicher kein Problem.

Der Anruf kam, als Rory gerade seine Sachen ausgepackt hatte. Betty hämmerte energisch an seine Zimmertür. In Tarnhemd und völlig zerknitterten Hosen stand sie kerzengerade und mit grimmigem Gesichtsausdruck vor ihm. Deshalb hatte er fast das Gefühl, er müsste salutieren.

Er machte die Tür weiter auf. Allerdings vorsichtig, da er befürchtete, er hätte sonst gleich die Klinke in der Hand. „Ja, Ma’am?“

„Kate Onslow ist für dich am Telefon im Eingangsflur. Geh ran, und zwar fix.“

Autor

Fiona McArthur

Fiona MacArthur ist Hebamme und Lehrerin. Sie ist Mutter von fünf Söhnen und ist mit ihrem persönlichen Helden, einem pensionierten Rettungssanitäter, verheiratet. Die australische Schriftstellerin schreibt medizinische Liebesromane, meistens über Geburt und Geburtshilfe.

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