Mitten hinein ins Herz

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Herzklopfen und heißes Begehren: Sergeant Shane Harrison weckt längst vergessene Gefühle in der hübschen AJ. Doch nach dem Tod ihres Ex' hat sie sich geschworen: Nie mehr verliebt sie sich in jemanden, der täglich sein Leben riskiert! Was nun? Ist eine Affäre etwa die Lösung?


  • Erscheinungstag 08.11.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733738709
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als der hochgewachsene Mann Mayas Schokoladengeschäft betrat – begleitet von einem warmen Wind, der die zarten Glöckchen über der Tür zum Klingen und die Schleifchen der Geschenkkörbe zum Flattern brachte –, kam es Maya so vor, als habe er etwas mitgebracht.

Einen Vorboten? Auf jeden Fall die Ahnung von etwas Größerem, auch wenn Maya zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu sagen vermochte, was es genau war.

Sie spitzte die Ohren und lauschte dem leisen Klingeln.

Hmm. Die Tür fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss. Daraufhin sank die Stille auf den Laden wie ein leichtes Federkleid. Nur die Schritte der Stiefel waren noch zu hören, als sich der Fremde ihr behutsam näherte.

Was auch immer seine Ankunft bedeuten mochte – für Maya klang es nach dem Wind der Liebe.

Kein Zweifel, irgendetwas würde geschehen, und zwar bald.

Maya war nicht nur bekannt dafür, eine Chocolatiere zu sein – und das bereits in dritter Generation –, sondern auch für ihre speziellen Fähigkeiten, was die Liebe anging. Wenn sich irgendwo große Gefühle anbahnten, konnte sie das stets spüren. Mit anderen Worten: Sie war eine sehr geschickte Kupplerin.

In den Augen ihrer Freunde und Bekannten war das allerdings nicht nur eine harmlose Nebenbeschäftigung, sondern nahezu eine Obsession.

Aber was konnte sie denn dafür, wenn sie jede zarte zwischenmenschliche Schwingung sofort wie ein Schwamm aufsog? Das konnte sie doch nicht einfach ignorieren. Und wenn der Wind der Liebe so deutlich zu spüren war wie jetzt gerade, würde sie nicht eher Ruhe geben, bis die „Auserwählten“ zusammengeführt waren.

„Bonjour!“ Maya begrüßte den gut aussehenden Mann mit warmer Herzlichkeit, die er großzügig erwiderte. Er schenkte ihr mit seinen strahlend weißen Zähnen ein Grinsen. Durch seine breitschultrige Statur, das sandfarbene Haar und das offene Lächeln wirkte er wie ein Amerikaner. Vielleicht war er auch Skandinavier, doch Maya vermutete Ersteres.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie nun freundlich.

„Ich sehe mich nur um, danke.“

Oui. Américain.

Und ein überaus attraktiver Bursche noch dazu. Leider war er nicht wegen Maya gekommen, aber ihre Intuition verriet ihr, dass er auch nicht ohne Grund in ihren Laden gelangt war.

Es war nichts als eine Ahnung. Ein subtiles Gefühl, das sich wie eine unsichtbare Hand in ihren Nacken legte und dort die feinen Härchen aufrichtete. Aber eines hatte Maya aus der Vergangenheit gelernt: Dieses Gefühl kündigte stets eine Veränderung an. Und zwar im Leben dieses schmucken Amerikaners.

Ihr Blick folgte seinen Bewegungen, als er sich im Laden umsah. Er hatte die Haltung eines Soldaten, obwohl er keine Uniform trug. Seine breiten Schultern, die straffe Pose und die sonnengebräunte Haut verrieten ihr, dass er regelmäßig ein hartes Training absolvierte und viel Zeit im Freien verbrachte. Und dazu noch eine gewisse Härte, die man sich nur im Kampf aneignen konnte.

Hmm … Maya kniff die Augen zusammen. Aber womöglich war der Kampf, den dieser Mann ausfocht, eher emotionaler Natur. Als ob er mit seinen inneren Dämonen zu kämpfen hatte …

Ein Grund mehr, warum sie ihm einen Schubs geben und ihn in die richtige Richtung lenken musste.

„Ich habe gerade frische Trüffel hergestellt“, erklärte sie ihm mit einem strahlenden Lächeln. „Möchten Sie welche probieren?“

Sergeant Shane Harrison betrachtete noch einmal die Fotografie in seiner Hand. Sie zeigte eine blonde Frau mit einem sympathischen Lächeln.

Sein Blick glitt von dem Foto durch die Windschutzscheibe seines Wagens zu der gegenüberliegenden Ladenfront. Auf dem Schaufenster befanden sich weiße Lettern mit dem Namen des Geschäfts: Celebrations Inc., Catering Service.

Demnach war dies also die richtige Adresse.

Er blickte noch einmal auf das Foto. Das Lächeln der Frau war wirklich verlockend, und sie hatte ein ziemlich hübsches Gesicht. Er hatte schon immer eine Schwäche für hübsche Gesichter gehabt. Auch wenn ihn das Schicksal eher unfreiwillig in die kleine Stadt Celebration geführt hatte, hielt es für ihn nun wenigstens eine angenehme erste Begegnung bereit.

Das Foto war letzten Endes auch der Auslöser gewesen, warum er sich dazu hatte breitschlagen lassen, für eine Zivilperson den Dienstboten zu spielen. Pralinen und Erinnerungsfotos an eine Unbekannte zustellen? Eine echte Premiere in seinem Leben.

Trotzdem hatte er zugesagt. Warum auch nicht? Er war gerade aus dem Mittleren Osten zurückgekehrt, und auf dem Rückweg nach Amerika war er durch den kleinen Ort St. Michel gekommen. Maya, die Besitzerin des Schokoladengeschäfts, hatte sich vor Aufregung beinahe überschlagen, als sie gehört hatte, dass sein nächstes Ziel Celebration war.

Dort lebte nämlich eine gute Freundin von ihr, die gerade erst einen Catering-Service eröffnet hatte. Maya bestand deshalb darauf, dieser Freundin einen süßen Überraschungsgruß zukommen zu lassen. Und das obendrein auch noch von einem süßen Boten. So oder so ähnlich hatten ihre Worte gelautet, und Shane wären sie äußerst peinlich gewesen, wenn er in seinem Leben nicht schon sehr viel Schlimmeres erlebt hätte.

Maya hatte ihn daraufhin zahllose Köstlichkeiten probieren lassen und schließlich mit einer gut gefüllten Pralinenschachtel für den kleinen Gefallen entschädigt.

Der Name ihrer Freundin war A J Sherwood-Antonelli – für seinen Geschmack ein ziemlich klangvoller Name, den er sich aus diesem Grund auch sofort hatte einprägen können.

Auf dem Foto blickte die Frau direkt in die Kamera. In ihrem Blick lag etwas Anziehendes – etwas, das ihn wünschen ließ, sie näher kennenzulernen oder sie zumindest einmal persönlich zu treffen. Schließlich war er gerade nicht auf der Suche nach einer festen Bindung. Er suchte überhaupt keine Bindung. Basta.

Für die kommenden sechs Wochen war er in Fort Hood stationiert. Man hatte ihn hierher abkommandiert, um die Gegend ins Auge zu fassen und ein geeignetes Gelände zu finden, auf dem später ein militärisches Trainingsareal errichtet werden könnte.

Es war eine lästige, allgemein unbeliebte Aufgabe, die er sich gerne erspart hätte. Immerhin war er kein Makler, sondern ein Anti-Terror-Spezialist. In den nächsten sechs Wochen würde so viel Schreibtischarbeit auf ihn zukommen, dass ihn schon alleine der Gedanke daran in Unruhe versetzte. Er war schon immer ein Mann der Tat gewesen, und er konnte nicht lange an einen Schreibtischstuhl gefesselt bleiben.

Er spannte seinen Körper an. Sechs Wochen, versuchte er sich zu beruhigen. Irgendwie würde er diese Zeit schon herumkriegen. Und danach wartete schließlich ein erstklassiger Einsatz in Europa auf ihn, auf den er bereits seit achtzehn Jahren hingearbeitet hatte.

Sechs Wochen Schreibtischarbeit fielen da doch kaum ins Gewicht.

Sechs Wochen, in denen er die langweilige Kleinstadtidylle ertragen musste. Celebration. Warum um Himmels willen hatte man diesen Ort nur so genannt? Ihm war jedenfalls ganz und gar nicht nach Feiern zumute.

Seufzend nahm er die Pralinenschachtel und die Fotos und stieg aus dem Wagen. Vielleicht würde eine Frauenbekanntschaft seine Stimmung ja heben. Und vielleicht würde sie die Zeit auch schneller verfliegen lassen.

Die Glocke über der Eingangstür kündigte Besuch an und riss A J abrupt aus ihren Gedanken. Sie befand sich gerade im rückwärtigen Teil des Geschäfts in der Küche, wo sie Probe-Appetithäppchen für das kommende Straßenfest vorbereitete.

Das Fest wurde von der Handelskammer gesponsert und war immer ein großes Ereignis in Celebration. Daher war es für A J besonders wichtig, mit ihrem Catering-Service dort zu glänzen.

Diesen betrieb sie zwar schon seit anderthalb Jahren im kleinen Rahmen, doch das Celebration-Food-Festival war das erste große öffentliche Fest, bei dem sie ihr Können präsentieren konnte.

Es war September – also noch Monate hin bis zu den Ferien und allen wichtigen Feiertagen –, doch für Werbung war es keinesfalls zu früh. Immerhin sahen sich potenzielle Kunden schon sehr zeitig nach guten Caterern um, die sie für Thanksgiving, Weihnachten oder Silvester buchen könnten.

Und genau diese Festlichkeiten waren es, die A J nutzen musste. Außerdem würde es ihr bestimmt großen Spaß machen, spezielle Weihnachts-Dinners auszutüfteln, Gewürze und Soßen auszuprobieren und ihre Kunden mit raffinierten Rezepten zu überraschen.

Im Geiste schwebten ihr schon Gerichte mit Zimt und Kardamom vor, Soßen mit Cranberrys und Lebkuchen und dazu die entsprechenden Desserts.

Doch noch war es nicht so weit.

Zuerst einmal arbeitete sie an dem perfekten Burger, und bei dem Food-Festival durfte A J erstmals in der Öffentlichkeit zeigen, was wirklich in ihr steckte. Hoffentlich würde sie damit viele neue Aufträge gewinnen.

Sie wischte sich die Hände an ihrer Küchenschürze ab und ging in den Empfangsbereich. Wenn sie wie jetzt alleine im Laden war, hielt sie die Eingangstür immer verschlossen. Aber nicht, weil sie Angst hatte; in einer reizenden Stadt wie Celebration wurde bestimmt kein Geschäft überfallen.

Aber die Vergangenheit hatte sie gelehrt, stets vorsichtig zu sein. Davon einmal abgesehen, ließ sie sich nicht gerne von unangekündigtem Besuch bei der Arbeit überraschen.

Erstaunt war sie aber dennoch, als sie plötzlich den großen, gut aussehenden Fremden vor der Tür erblickte. Überrascht … und ein bisschen argwöhnisch.

Für eine Frau war sie nicht besonders klein, doch zu dem Mann musste sie buchstäblich aufblicken. Er trug das sandfarbene Haar kurz geschnitten, und sein Körper wirkte durchtrainiert und kraftvoll. Eigentlich ein ganz hübscher Anblick.

Aber was hatte er mit dem Kästchen vor, das er da bei sich trug?

Es sah aus wie eine Pralinenschachtel.

Jetzt zog er ein Foto hervor, das er in Augenhöhe vor die Glasscheibe hielt, damit sie es sehen konnte.

A J betrachtete es genauer. Es war ein Foto von … ihr. Von ihr und ihrer Freundin Maya LeBlanc.

Das Bild war letzten Herbst gemacht worden, als sie nach St. Michel gereist war. Sie und Maya hatten Margeaux Broussard besucht, eine alte Freundin aus Internatszeiten, die sich mit ihrem todkranken Vater hatte aussöhnen wollen und um die Unterstützung ihrer Freundinnen gebeten hatte.

Rasch wischte A J sich noch einmal die Hände an der Schürze ab. In der Hoffnung, dass ihr kein Mehl mehr im Gesicht klebte, öffnete sie die Tür einen Spaltbreit. „Kann ich Ihnen helfen?“

„A J Sherwood-Antonelli?“

„Ja? Ich bin A J …“

„Eine Speziallieferung für Sie. Kommt direkt aus St. Michel.“ Er schob das Foto durch den Türspalt.

A J nahm es entgegen. „Von wem haben Sie das?“

„Von Maya. Und die hier sind auch für Sie.“ Mit diesen Worten reichte er ihr das Kästchen. Es war mit schwarzen und pinkfarbenen Schleifchen dekoriert – Mayas Markenzeichen.

Allein der Gedanke an die Köstlichkeiten, die sich darin befinden mussten, machte A J sofort Appetit.

„Ich soll Ihnen herzliche Glückwünsche wegen Ihres neuen Geschäfts ausrichten“, erklärte der Fremde mit angenehmer Stimme.

Endlich ließ A J die Tür vollständig aufschwingen. „Möchten Sie nicht hereinkommen?“

Er trat ein und ließ den Blick durch das Empfangszimmer gleiten. Die Renovierungsarbeiten waren noch lange nicht abgeschlossen – ein Umstand, der A J jetzt plötzlich wieder siedend heiß bewusst wurde.

Die Wände bestanden lediglich aus rohem Verputz, und A J war noch immer nicht dazu gekommen, Sitzgelegenheiten zu organisieren. Es gab nicht einmal einen Schreibtisch. Keine Dekorationen, keine Blumen – und nur eine einzige Deckenlampe, die schon bessere Tage gesehen hatte. A J hatte bisher nicht einmal daran gedacht, Visitenkarten auszulegen.

Vor drei Monaten hatte sie ihr Geschäft von der heimischen Küche in dieses Gebäude verlegt. Im Prinzip war Celebrations Inc. eine Ein-Mann-Show – oder besser gesagt eine Eine-Frau – Show. Die Firma gründete auf nichts als A Js Arbeit, ihren Ersparnissen und der unermüdlichen Hilfe ihrer Freundinnen Caroline, Pepper und Sydney. Die drei waren unverzichtbare Helfer in der Küche, beim Marketing und auch beim Einkauf.

A J selbst war in den vergangenen Wochen so sehr damit beschäftigt gewesen, neue Rezepte auszuprobieren, dass sie Peppers Ermahnungen über den Empfangsbereich vollkommen übergangen hatte.

Ein schwerer Fehler, wie sie sich jetzt eingestehen musste, denn der beklagenswerte Zustand des Raumes war A J mehr als peinlich. Vor allem vor …

„Und Ihr Name ist?“, hakte sie nun nach.

„Shane Harrison.“ Er streckte ihr die Hand entgegen.

A J drückte sie kurz. „Freut mich, Shane. Ich darf doch Du sagen, oder? Da wir ja eine gemeinsame Freundin haben … Woher kennst du Maya überhaupt?“

„Gerne.“ Er schenkte ihr daraufhin ein Lächeln, das ihr augenblicklich die Hitze in die Wangen trieb. „Aber ich kenne Maya eigentlich gar nicht. Ich kam nur zufällig vergangene Woche in ihren Laden, und als sie hörte, dass ich anschließend nach Celebration reisen wollte, hat sie mich mit Pralinen bestochen, damit ich dieses Carepaket überbringe.“

Seine Worte riefen A J ins Gedächtnis, dass Maya auch noch für etwas anderes als Schokolade schwärmte. Sie hielt sich nämlich zufälligerweise auch für eine ausgezeichnete Kupplerin.

Aber das hat bestimmt nichts mit der Speziallieferung zu tun, sagte sie sich.

Sie musterte Shane von den Schuhspitzen bis zu seinen kurz geschnittenen Haaren, bevor sie ihren Blick an die harmlose Pralinenschachtel heftete.

Er sah wirklich gut aus. Groß, gebräunt und extrem breitschultrig.

Eigentlich überhaupt nicht mein Typ. Trotzdem ließ der Gedanke sie erröten. Die Hitze breitete sich nun auch auf ihrem Dekolleté aus, flammte über den Hals und rötete schließlich ihre Wangen.

Das war doch lächerlich.

Nein, noch nicht einmal lächerlich, das war geradezu absurd. Wann um alles in der Welt war sie zum letzten Mal wegen ein paar breiten Schultern errötet? In der Highschool?

Jedenfalls war es verdammt lange her.

Und sie hasste das Gefühl, keine Kontrolle über sich zu haben.

Mit betont gleichgültiger Miene studierte sie die Fotos von sich und Maya und sah nicht eher auf, bis sie die Hitze langsam aus ihren Wangen verschwinden spürte. „Nun, Shane …“, begann sie, doch die passenden Worte wollten ihr einfach nicht einfallen.

„Eigentlich bin ich Sergeant“, half er ihr weiter. „Ich bin für die kommenden sechs Wochen drüben in Fort Hood stationiert. Aber für die Dauer des Aufenthaltes habe ich mir eine Bleibe in der Stadt gesucht.“

Er ist beim Militär.

Das hätte sie sich denken können. Selbst ohne Uniform strahlte der Mann Haltung und Stärke aus. Und sie konnte nicht leugnen, wie attraktiv ihn diese Stärke machte. Aber dann rief sie sich sofort zur Ordnung. Haltung und Stärke bedeuteten auch etwas anderes. Sie bedeuteten, dass dieser Mann ohne zu zögern sein Leben geben würde, um es einer vermeintlich größeren Sache zu opfern.

Das hatte sie schon einmal erlebt.

Einst hatte sie einen Mann geliebt, der sich ihrem Land verschrieben und geschworen hatte, die Menschen darin zu beschützen. Und jetzt war er tot!

Die Erinnerung daran war so schmerzhaft, dass sie sämtliche Traumblasen sofort zum Platzen brachte.

Selbst Mayas süßer Gruß wirkte jetzt nicht mehr ganz so süß.

„Vielen Dank für den Besuch, Sergeant Harrison“, sagte sie förmlich. „Leider muss ich jetzt wieder weiterarbeiten. Ich muss dringend nach dem Essen im Ofen sehen.“

Für den Bruchteil einer Sekunde zog sie in Erwägung, ihn zu einem Testessen einzuladen, doch dann entschied sie sich dagegen. Sie streckte den Arm aus und schüttelte flüchtig seine Hand. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in Celebration“, sagte sie höflich und hielt ihm anschließend die Tür auf. „Es ist eine wirklich reizende Stadt.“

Er schenkte ihr daraufhin ein knappes Nicken und verließ den Laden.

Mit klopfendem Herzen blickte sie ihm hinterher. Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihm schon bald wieder begegnen würde.

Und ganz gegen ihren Willen gefiel ihr dieser Gedanke.

2. KAPITEL

Jedes Mal, wenn Shane an einen anderen Einsatzort beordert wurde, nutzte er den ersten freien Tag dort, um sich mit der neuen Gegend vertraut zu machen. Selbst wenn es sich dabei nur um ein verschlafenes kleines Städtchen wie Celebration handelte.

Nicht, dass er auf Kleinstadtidylle Lust gehabt hätte, denn diese rief nur schmerzhafte Erinnerungen an die Vergangenheit in ihm wach.

Aber wenn sich ihm die Gelegenheit bot, die lokale Küche bei einem Straßenfest kennenzulernen, sagte er nicht Nein.

Bereits am ersten Tag hatte er die Poster gesehen, die für das Food-Festival warben. Der Erlös würde dem örtlichen Kinderkrankenhaus zugutekommen. Und was sprach schon gegen einen selbst gemachten Burger und ein Bier?

Und wenn er dabei zufälligerweise noch A J Sherwood-Antonelli über den Weg lief, umso besser.

Shane parkte den Wagen etwa eine Viertelmeile vom Zentrum entfernt in einer stillen Nebenstraße. Der glänzend schwarze Truck war ein Ford F-150 und sein ganzer Stolz. Da seine täglichen Ausgaben recht überschaubar waren und er sein Leben ohnehin komplett der U.S. Army verschrieben hatte, war das Auto der einzige, lieb gewonnene Luxus, den er sich erlaubte. Während seines Aufenthaltes im Mittleren Osten hatte die Army den Wagen für ihn verwahrt. Es fühlte sich großartig an, jetzt wieder hinter dem Steuer zu sitzen.

Nachdem er seine beachtlichen ein Meter fünfundneunzig aus dem Auto gehievt hatte, zerriss auf einmal ein schriller Pfiff die Stille. „Hey, coole Karre.“

Shane drehte sich um. Die Worte hatten weniger nach einem Kompliment als vielmehr nach einer spöttischen Herausforderung geklungen.

Vier junge Männer lungerten an der gegenüberliegenden Straßenecke und starrten ihn herausfordernd an. Beim genaueren Hinsehen stellte Shane fest, dass es sich um Teenager handelte. „Danke“, rief er knapp.

Etwas an der Art, wie sie sich bewegten und einander Blicke zuwarfen, ließ Shane allerdings zögern. Er stellte noch einmal sicher, dass er keine Wertgegenstände im Auto vergessen hatte, und schloss die Tür ab.

Dann sah er die Gang noch einmal eindringlich an. Falls sie irgendetwas im Schilde führten, sollten sie zumindest wissen, dass Shane sich ihr Aussehen gründlich eingeprägt hatte.

Die Jungs waren etwa sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Weiß, von durchschnittlicher Größe und Statur, nur einer der vier war etwas größer und breitschultriger als die anderen.

Dieser hatte schulterlanges, dunkles Haar und trug eine so tief sitzende Jeans, dass seine Boxershorts zu sehen waren. Die Hose eines der anderen Jungen war unterhalb der Knie abgeschnitten, sodass das Tattoo an seiner Wade sichtbar war: eine Art Schlange, die sich sein Bein hinaufwand, oder vielleicht auch ein Drache.

Auch wenn sie nicht in das typische Kleinstadtbild passten, waren sie vermutlich harmlos. Immerhin war das hier Celebration.

Punks, dachte Shane. Vielleicht waren sie ja bloß wegen des Food-Festivals in die Stadt gekommen.

So oder so wollte er den Jungs nichts unterstellen, nur weil sie seinen Wagen angestarrt hatten. Er wandte sich ab und ging jetzt in Richtung Zentrum.

Im Geiste ließ er die Woche noch einmal Revue passieren. Er hatte bereits einiges in die Wege geleitet, sich mit Bauleitern und Ingenieuren getroffen und Pläne für das Trainingsgelände geschmiedet.

Es war zwar keine besonders anspruchsvolle Aufgabe, aber Shane war trotzdem erschöpft. Sein neuer Job glich vielmehr Babysitten als einer ernsthaften Herausforderung.

Die gesamte Woche über hatte er nicht gut schlafen können. Für gewöhnlich blieb er immer in Bewegung und gab sich selbst nie die Gelegenheit, ins Grübeln zu kommen, aber hier war das anders. Die Schreibtischarbeit machte ihn unruhig und rastlos.

Allein die Tatsache, dass er sich neuerdings schon von Teenagern aus der Ruhe bringen ließ, zeugte davon, dass er in Celebration viel zu viel Zeit zum Nachdenken hatte.

Dennoch drehte er sich noch einmal um – doch die Kids waren verschwunden.

Das Leben und das gnadenlose Training eines Anti-Terror-Kämpfers hatten ihn gelehrt, niemals Angst zu haben. Selbst in lebensbedrohlichen Situationen konnte er einen kühlen Kopf bewahren. Doch diese Tatenlosigkeit war Gift für ihn.

Shane atmete tief ein. Die trockene Sommerhitze der vergangenen Wochen war mittlerweile einer angenehmen Temperatur gewichen, die den Herbst ankündigte. Abends zog bereits ein kühler Wind auf.

Er liebte diese Jahreszeit, den knackigen, kühlen Geruch der Herbstluft nach knisterndem Laub und klarem Himmel.

Aber was jetzt in seine Nase drang, war ein ganz anderer Geruch. Der köstliche Duft nach gebratenem Fleisch und exotischen Gewürzen.

Shane beschleunigte seine Schritte. Immerhin lockte eine anständige warme Mahlzeit.

Im Grunde war es ihm egal, ob er sich mit Celebration anfreunden würde, denn die sechs Wochen würden schließlich wie im Flug vergehen.

Und danach wartete endlich der Job auf ihn, auf den er ein gefühltes Leben lang gewartet hatte. Der Job, der ihn zurück nach Europa bringen würde, um die Dämonen seiner Vergangenheit endgültig austreiben zu können.

Sein Blick glitt über die adretten Vorgärten. Einst hatte seine Familie ebenfalls so einen Vorgarten besessen.

Er rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Erinnerungen wie diese waren wie Tretminen. Und tatsächlich, schon kurz darauf tauchte vor seinem geistigen Auge das liebevolle Gesicht seiner Mutter auf. Shane zwang sich, weiterzugehen.

Schon lange hatte ihn die Vergangenheit nicht mehr so schmerzhaft eingeholt wie jetzt.

Vielleicht lag es daran, dass sich der entsetzliche Jahrestag immer mehr näherte.

Zwanzig Jahre! Beinahe zwanzig Jahre was es nun her, und doch waren die Erinnerungen so lebhaft, als sei es erst gestern passiert.

Nachdem seine Familie bei der Explosion getötet worden war, hatte er gelernt, seine Gefühle abzustellen.

Denn wenn man zu sehr liebte, wurde man verletzt. Und wer die Verletzungen zuließ, der wurde letzten Endes zerstört.

Daher wurde er irgendwann Profi darin, Emotionen zu unterdrücken, und das machte ihn letztendlich zum perfekten Soldaten. Am Ende kam es auch nur noch darauf an, denn er hatte nun nichts anderes mehr, für das es sich zu leben lohnte.

Er war achtzehn Jahre alt gewesen, als er seine Familie für immer verloren hatte. Seine Mutter, seinen Vater, Schwester und Bruder. Alle waren einfach weg.

Autor

Nancy Robards Thompson
<p>Nancy Robards Thompson, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, lebt in Florida. Aber ihre Fantasie lässt sie Reisen in alle Welt unternehmen – z. B. nach Frankreich, wo einige ihrer Romane spielen. Bevor sie anfing zu schreiben, hatte sie verschiedene Jobs beim Fernsehen, in der Modebranche und in der...
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