Neues Glück für Hebamme Ellie?

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Ein neuer Mann? Nichts für Hebamme Ellie! Nach ihrer schmerzlichen Scheidung hat sie der Liebe abgeschworen und widmet sich mit ganzem Herzen ihrem Job auf der Entbindungsstation. Bis der attraktive Vertretungsarzt Sam Southwell unwiderstehliches Verlangen in ihr weckt …


  • Erscheinungstag 21.10.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719739
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Der weiße Sand bildete einen halbmondförmigen Kontrast zum blauen Meer. Ellie Swift stieg zum Strand von Lighthouse Bay hinab und ging Richtung Klippen. Als ihre Füße den Strand berührten, fühlte sie den kühlen Sand zwischen ihren Zehen und atmete tief ein. Sie spürte die salzige Luft des Ozeans auf ihren Lippen und musste unwillkürlich lächeln. Sie wollte an der Bucht entlang bis zur Landzunge und wieder zurückwandern, bevor sie sich für die Arbeit umziehen musste.

„Ellie!“

Aufgeschreckt drehte sie sich um, während die sanften Wellen ihre Füße umspielten, und sah einen Mann auf sich zu humpeln. Er winkte ihr zu. Jeff vom Surfclub. Sie kannte Jeff, er war der Kapitän des Garnelenkutters und auch Chef der Rettungsschwimmer. Sie hatte seinen Sohn auf die Welt geholt. Jeff war dabei ohnmächtig geworden, und Ellie bemühte sich sehr, ihn nicht jedes Mal, wenn sie sich trafen, daran zu erinnern. Sie winkte zurück, doch ihr war plötzlich klar, dass er nicht zum Vergnügen auf sie zulief. Daher eilte sie ihm entgegen.

„Unter dem Leuchtturm ist ein älterer Typ gestrandet, ein Surfer. Er sagt, er wäre Arzt in deiner Klinik. Wir vermuten, dass sein Arm gebrochen ist und möglicherweise auch ein Bein.“

Ellie schaute dorthin, von wo Jeff gekommen war. Jeff winkte in Richtung der Menschentraube in der Ferne.

„Er lässt niemanden an sich heran, bis du kommst. Der Krankenwagen ist schon unterwegs, aber ich fürchte, dass wir den Hubschrauber anfordern müssen.“

Ellie war in der Klinik auf allen Stationen unterwegs, daher war es nicht ungewöhnlich, dass die Leute nach ihr fragten. Ein älterer Typ und Surfer. Das konnte nur Dr. Southwell sein. Sie seufzte.

Zehn Minuten später kniete sie neben dem Arzt und behielt seinen Hals im Auge, der von eine Schiene gestützt wurde, während zwei Rettungsassistenten und zwei kräftige Rettungsschwimmer ihn auf die Trage hievten. Geschafft! Er biss die Zähne zusammen, doch ein kleines Stöhnen entrang sich ihm. Er schloss seine Augen, und der Schmerz schien nachzulassen. Ellie blickte auf den blauen Ozean, der zu sagen schien „Ich bin nicht daran schuld“. Sie war sicher, dass Dr. Southwell schnell wieder genesen, zu seiner alten Form wiederfinden und so bald wie möglich wieder surfen können würde. Die Flut zog sich bereits zurück, und die Wellen erreichten nicht mehr das abfallende Plateau am Fuße der Klippen, wo die Retter den Verletzten gesichert hatten. Der Ort war bei unerschrockenen Surfern beliebt, sie sprangen von hier aus auf ihre Bretter und paddelten hinaus in die warmen Wellen.

„Danke fürs Kommen, Ellie.“ Dr. Southwell sah schon viel besser aus und wirkte ein bisschen benommen.

„Und entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie jetzt auf der Station allein lasse.“ Er war immer sehr nett zu ihr gewesen.

„Machen Sie sich um uns keine Sorgen, und kümmern Sie sich darum, dass Sie wieder gesund werden. Sobald Sie in der Klinik sind, werden wir Sie wieder zusammensetzen. Gute Besserung!“ Der ältere Mann schloss kurz seine Augen. Dann zwinkerte er Ellie zu. „Ich werde wiederkommen. So bald wie möglich.“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte. Er surfte jeden Morgen, bevor er in die Klinik fuhr. Seine Sportlichkeit stand im Kontrast zu seinem weißen Haar und dem wettergegerbten Gesicht. Er war ein großer schlanker Mann, der vor vierzig Jahren ein echter Hingucker gewesen sein musste.

Die Sanitäter schnallten seinen Arm an den Körper und machten dasselbe mit seinem Bein, obwohl sie nicht glaubten, dass es gebrochen war. Nach Absprache mit der Notärztin hatte er ein Schmerzmittel bekommen. In der Ferne konnte man die Rotoren des Hubschraubers näher kommen hören. Ellie wusste, dass das Helikopterteam absolut zuverlässig war. Dr. Southwell würde schon bald in guten Händen sein. Sie schaute auf die weite Bucht, den weißen Sand, lauschte dem Rauschen der Wellen – und konnte verstehen, warum er zurückkommen wollte. Dieser Ort hatte auch sie zur Ruhe kommen lassen. Sie reckte das Kinn. In Lighthouse Bay würde sich ihre Zukunft abspielen, und sie hatte Pläne für die Klinik. Sie blickte auf den Mann herab, der mit seinem sanften Wesen so gut zu dem ruhigen Tempo der Bucht passte.

„Wir erwarten Sie zurück, sobald es Ihnen wieder besser geht.“ Sie schaute auf das große Malibu-Surfbrett, das die Rettungsschwimmer gegen die Felswand gestützt hatten. „Ich werde einen der Jungs bitten, das Brett zu meinem Haus zu bringen, da wartet es dann auf Sie.“ Ellie versuchte, jetzt bloß nicht an die kommenden Tage zu denken. Verdammt! Gerade jetzt, wo sie keinen Stationsarzt mehr hatten, mussten sie alle Schwangeren ins Haupthaus verlegen, bis ein Vertretungsarzt gefunden war. Sie musste ihre Pläne für eine eigene Hebammenpraxis schnell vorantreiben.

1. KAPITEL

Vier Tage später quakte ein Frosch vor dem Fenster von Ellies Büro auf der Entbindungsstation der „Lighthouse-Bay-Klinik“. Er schien direkt unter dem Fenster zu hocken. Ihr schauderte, während sie das Willkommenspaket für den Vertretungsarzt schnürte. Mit gesenktem Kopf konzentrierte sie sich auf ihre Aufgabe und ignorierte das Zittern ihrer Finger, während sie die Unterlagen zusammenstellte. Sie lauschte angestrengt und hoffte, dass dieses Gequake aufgehört hatte. Dann hielt sie angespannt inne, aber Gott sei Dank schien Ruhe eingekehrt zu sein.

„Konzentrier dich auf deine Aufgabe“, murmelte sie. Sie fügte noch eine Straßenkarte hinzu, die man aber nach dem ersten Tag nicht mehr benötigen würde. Die Stadt war sehr klein, doch auf der Karte waren alle Restaurants und Bistros verzeichnet. Außerdem gab es noch eine Liste der erforderlichen Stunden, um die kleine Klinik zu besetzen – nur zwei Stunden pro Tag –, die sie dem nächsten Arzt geben würde, der damit drohte zu gehen, wenn er keinen Urlaub bekam. Sie konnte ihnen keinen Vorwurf machen, sie hatten ein eigenes Leben verdient. Die Arbeit war ja auch mehr geworden. Dr. Rodgers, ein älterer Junggeselle, hatte zumindest die Hausbesuche übernommen, bis er krank geworden war. Sie summte laut, um die innere Stimme zu übertönen, die ihr zuflüsterte, dass sie auch ein Leben haben sollte – und natürlich, um den Frosch zu übertönen. Ellie konzentrierte sich darauf, die Honorarliste auszudrucken. Die Tatsache, dass alle risikoarmen Patientinnen in die Hauptklinik, eine Stunde von ihren Familien entfernt, verlegt werden müssten, war einfach nicht hinnehmbar. Vor allem nicht, wenn Ellie sie zuvor monatelang bei den Geburtsvorbereitungen begleitet hatte. Daher war ein Vertretungsarzt ein wirklich notwendiges Übel. Es war ja auch keine übermäßige Arbeitsbelastung für sie, denn die Hebammen waren für die Belange der Schwangeren zuständig. In der Hauptklinik gab es hingegen eine Entbindungsstation mit ausgebildeten Schwestern, daher waren die Vertretungsärzte nur für die Notfälle und die Risikopatientinnen zuständig.

Ellie träumte von dem Tag, an dem ihre Entbindungsstation vollkommen unabhängig sein würde. Sie spielte immer noch mit dem verlockenden Gedanken, sich als Hebamme selbständig zu machen und sich aus den Zwängen einer Klinik befreien zu können. Dann würde sie Mitarbeiterinnen einstellen können, wie ihre Freundin und Nachbarin Trina, die in einem der Häuser auf den Klippen wohnte. Die junge Witwe würde die Nachtdienste bestimmt gern übernehmen, um die Nächte nicht einsam und allein in ihrem Bett verbringen zu müssen, nachdem sie ihren wundervollen Ehemann verloren hatte. Und dann gab es da ja auch noch Faith, die die Abende übernehmen würde. Die junge Mutter lebte mit ihrem dreijährigen Sohn bei ihrer Tante und war die ewige Optimistin. Bis jetzt hatte sie noch nicht den Mann gefunden, der ihr das Herz brechen würde. Bis jetzt konnte sie nur einen unglücklichen One-Night-Stand mit einem charismatischen Lebenskünstler vorweisen. Ellie seufzte. Drei unterschiedliche Frauen und ein gemeinsamer Traum.

Aber zurück zur Realität! Jetzt hatte sie das Problem, irgendwie einen Arzt bekommen zu müssen. Sie fuhr mit der Arbeit fort, die sie zuvor bereits sechsmal erledigt hatte, seit der alte Dr. Rodgers seinen Schlaganfall erlitten hatte. Die letzten beiden Ärzte waren jung und gelangweilt und waren vermutlich nur zum Surfen hergekommen. Sie hatten Ellie Avancen gemacht, als wäre sie ein Teil des Willkommenspakets. Sie hatte keine Probleme damit, die beiden in ihre Schranken zu weisen, und die Agentur hatte das Anforderungsprofil für die Mediziner um das Attribut „reif“ erweitert. Dann kamen Ärzte kurz vorm Rentenalter, die ihre Vorteile mitbrachten, aber auch die Nachteile mit im Gepäck hatten. Der nächste Arzt hingegen war entsetzt darüber, dass Frauen Kinder auf die Welt brachten und er dafür zuständig sein sollte, obwohl er das letzte Baby vor zwanzig Jahren auf die Welt geholt hatte. Ellie konnte ihm nicht versprechen, dass das nicht noch einmal passieren würde, und so hatte er sich geweigert, zurückzukommen.

Lighthouse Bay war ein Ort für Gebärende mit geringem Risiko, deshalb verstand sie auch nicht, wo das Problem war. Die nächsten drei Kandidaten waren entweder schwer zu erreichen oder saßen den ganzen Tag nur herum und quatschten, weshalb sie sie nicht noch einmal anforderte. Erst der letzte Vertretungsarzt hatte sich als Volltreffer entpuppt: Dr. Southwell. Der ältere Witwer war mit seiner Qualifikation und seiner Erfahrung als Geburtshelfer ein echter Segen für die Klinik. Die Patientinnen haben ihn geliebt, genau wie alle unverheirateten Frauen über vierzig. Besonders Ellies Nachbarin Myra, die ehrenamtlich jeden Tag zwei Stunden vormittags im Klinik-Bistro arbeitete. Man hatte sie und Dr. Southwell öfters zusammen lachen sehen. Ellie hatte schon gedacht, sie hätten den Jackpot gewonnen, als er wegen einer Urlaubsvertretung einen Monat länger blieb. Sie genoss es, sich in dieser Zeit nicht auf die Vorlieben und Abneigungen der verschiedenen Ärzte einstellen zu müssen. Bei Dr. Southwell musste sie nicht auf irgendwelche Schwächen Rücksicht nehmen. Außer dem Surfen. Sie seufzte.

Quaak … Da war es wieder. Ein langgezogener, kehliger Laut, der nach einem ganzen Eimer Schleim klang. Sie atmete tief durch die Nase ein und zwang sich, ganz langsam wieder auszuatmen. Quaak … das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie sah auf die Uhr und schätzte, dass ihr bis zur Ankunft des neuen Arztes noch eine Stunde blieb. Sie schaltete den CD-Player an, damit ihr Lieblings-Countrysänger den Frosch mit einer Ballade übertönen konnte. So hatten die Nachbarn auch etwas davon. Es kam nicht oft vor, dass die Frösche ihr nach einem ausgiebigen Regen das Leben derart schwer machten. Sie hatten eine stürmische Woche hinter sich. Anscheinend hatte der Regen die Salzwasserlösung, die sie von außen um das Fenster gesprüht hatte, weggespült, also würde sie den Vorgang am Nachmittag wiederholen müssen. Dieses Problem hatte Ellie in ihrem kleinen Haus auf der Klippe nicht, dort hielt die salzige Gischt die Amphibien fern. Ihr war klar, dass es lächerlich war, aber sie hatte seit ihrer Kindheit eine Froschphobie.

Kurz nach dem Tod ihrer Mutter hatte es angefangen. Sie wusste sehr gut, dass es völlig irrational war. Sie hatte es mit Therapien und Hypnose versucht, aber am Ende war es nur schlimmer geworden. Denn jetzt hatte sie wieder die Albträume, die sie seit ihrer Kindheit hatte und die sie seit Jahren nicht mehr geplagt hatten. Aber schleimige Frösche mit Schwimmhäuten an den Füßen und ballonartig aufgeblähte Kehlen, die quakende Geräusche von sich gaben, lösten bei ihr schweißnasse Handflächen und Herzrasen aus. Und leider war die Lage der Klinik auf dem feuchten Gelände mit den vielen Sträuchern bei Fröschen sehr beliebt. Vielleicht wären Schlangen ja die Lösung. Eine Menge Schlangen vor dem Eingang, die Lust auf eine grüne Vorspeise hatten. Das könnte klappen. Eine Schlangen-Phobie hatte Ellie nämlich nicht. Aber diese Frösche, die heimlich ins Waschbecken der Damentoilette hüpften – das ging gar nicht! Oder dieser Laubfrosch, der sie am Morgen am Eingang anspringen wollte, als sie einen Moment lang nicht aufgepasst hatte. Glücklicherweise hatte er sein Ziel verfehlt. Sie hatte sich von diesem traumatischen Erlebnis trotzdem noch nicht erholt. Und jetzt hockten sie auch noch vor ihrem Fenster. Doch Ellie beschloss, ihrem Countrysänger zuzuhören und nicht mehr daran zu denken. Für die Frösche hatte sie im Moment einfach keine Zeit.

Samuel Southwell parkte seinen staubigen Lexus vor der Klinik. Sein makelloses silberfarbenes Gefährt hatte den Asphalt bis jetzt nie verlassen, und er stöhnte, als er den Staub von der Windschutzscheibe wischte. Es kam ihm unwirklich vor, als er das Schild sah, auf dem „Für den Arzt reserviert“ stand, und er zögerte, den Motor abzustellen. Arzt. Keine Mehrzahl. Nur ein Parkplatz für den einen Arzt. Was, wenn er sich einen entzündeten Zehenagel ansehen musste oder eine Herzattacke? Er war Gynäkologe und Wissenschaftler, verdammt! Bei diesem Gedanken verzog er den Mund. Wahrscheinlich war sein praktisches Wissen über Allgemeinmedizin auf wundersame Weise nur verschüttet – unter zahllosen Gebärmüttern begraben. Er hoffte, dass er es wieder ausgraben konnte, oder er würde Internet-Fachjournale für Medizin bemühen müssen. Vielleicht hatte sein Vater ja recht und es würde ihm guttun.

Wie dem auch sei, er hatte zugesagt, weil sein alter Herr ihn bislang nie um etwas gebeten hatte. Außerdem war er in dieser Sache ungewohnt beharrlich geblieben. Dabei gab es in dieser Klinik noch nicht einmal sechs risikolose Geburten pro Jahr. Und er sollte ja nur vier Wochen bleiben. Das würde er schon schaffen. Doch es würde sicher ein erheblicher Unterschied zur „Mutter-und-Kind-Klinik“ in Brisbane sein, wo Tausende von Frauen ein und aus gingen, um ihr Baby auf die Welt zu bringen. Und es würde auch einmal etwas anderes sein als seine Forschungsarbeit, die ihn viele Nächte und Wochenenden kostete. Bestimmt würde er mehr Schlaf bekommen. Er verehrte seinen Vater, aber im Moment war er nicht sehr glücklich über diese Vereinbarung.

„Es ist für eine gute Sache“, hatte Dr. Reginald Southwell mit einem Funkeln in den Augen doziert. Dieses Funkeln hatte sein Sohn von ihm geerbt, und sein Vater meinte, er hätte es leider verloren.

„Sieh über den Tellerrand! Brich einmal aus deiner Arbeitswelt aus! Immer nur arbeiten, arbeiten, arbeiten. Nutze die vier Wochen, um endlich einmal etwas anderes zu machen! Ich habe der Hausmutter versprochen, zurückzukommen, und möchte sie nicht hängen lassen.“

Sam musste grinsen. Armer alter Dad! Hausmutter zu sagen, war so altmodisch, die Schwestern waren heutzutage alle Managerinnen. Und jetzt lag sein Vater da mit einem gebrochenen Arm und einem verdrehten Knie. Es war nur eine Frage der Zeit, dass dieser Unfall passieren musste, wenn ein Mann seines Alters an solchen Orten surfen ging. Aber Sam verstand genau, warum er das tat.

Er seufzte und schaltete den Motor aus. Zu spät, sich aus dem Staub zu machen, nun war er hier. Er stieg aus, streckte sich und renkte seine Schultern wieder ein. Das weite Blau des Ozeans machte ihm klar, wie weit er tatsächlich von Zuhause weg war. Er sah den einsamen weißen Leuchtturm, der sich auf dem Hügel hinter der Klinik vom tiefblauen Himmel abzeichnete. Er versuchte, Verkehrslärm zu hören, aber alles, was er vernahm, waren die Wellen, die sich an den Klippen brachen, und die leisen Beats eines Liedes. „Edge of nowhere“. Es überraschte ihn nicht, dass hier jemand Countrymusic hörte. Seinen Kollegen hatte er gesagt, dass er den Arm und das Knie seines Vaters versorgen müsste. Und alle glaubten, er würde sich bei der Gelegenheit ein wenig erholen. Das war einfacher zu erzählen als die Wahrheit. Dass er nämlich nach Lighthouse Bay fahren würde, in ein kleines Dorf an der Nordküste von New South Wales am Ende einer rumpeligen Straße. Um den Mädchen-für-alles-Vertretungsarzt abzugeben. Welch ein Jammer!

Ellie erschrak, als jemand am Türrahmen klopfte. Sie streckte sich, um ihren Lieblingssong auszustellen, und die plötzliche Ruhe schien zu brummen, als sie sich umdrehte und in das Gesicht eines Fremden schaute.

„Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Die tiefe Stimme schien zu den breiten Schultern in dem tadellosen Jackett zu passen, aber nicht zu der kleinen Küsten-Klinik, in die er nun kam. Pharmavertreter verirrten sich eigentlich nie nach hier draußen. Dieses tiefe männliche Timbre in seiner Stimme ließ Ellie vibrieren, wie sie es bislang noch nicht gekannt hatte. Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde und wie ihre Hand unsicher am oberen Knopf ihrer Bluse nestelte. Puuh! Dann kam ihre Selbstsicherheit zurück.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Sie stand auf und dachte, dass ihr irgendetwas bekannt vorkam. Aber nachdem sie ihn eingehend gemustert hatte, konnte sie nichts wiedererkennen. Sie hatte diesen Mann noch nie gesehen, und sie war sicher, dass sie sich an ihn erinnern würde. Er machte einen Schritt durch die Tür, aber kam nicht weit. In ihr Büro passten nicht mehr als zwei Stühle und zwei Menschen. Es war ja eh schon klein, doch innerhalb weniger Sekunden schien es auf eine irrwitzig kleine Größe zusammengeschrumpft zu sein. Er sah sie mit seinen eisblauen Augen eindringlich an. Ellie, die immer dachte, dass sie für eine Frau ziemlich groß war, fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes von ihm übermannt, und ihre Nackenhaare richteten sich auf. Aber nicht vor Schreck, was ja auch lächerlich gewesen wäre.

„Sind Sie die Hausmutter?“ Er verdrehte die Augen und korrigierte sich selbst. „Oberschwester?“ Ein Befehlston, der in zarte Seide gewickelt war.

„Ganz recht. Ellie Swift.“

Der hochgewachsene Mann zog eine Augenbraue hoch.

„Ich bin Samuel Southwell.“ Sie konnte den spöttischen Unterton in seiner Stimme hören. „Der Vertretungsarzt für die nächsten vier Wochen.“ Er schaute auf seine Uhr, als könnte er nicht glauben, dass sie seine Ankunft vergessen hatte.

„Bin ich zu früh?“

„Ähm“, Ellie zuckte zusammen. Kein Pharmavertreter. Der Arzt. Ups! „Entschuldigung. Die Zeitverschiebung. Natürlich. Sie sind nur auf Ihrer Seite der Zeitzone früh dran. Ich war gerade dabei, alles für Ihre Ankunft vorzubereiten.“ Sie murmelte es mehr zu sich selbst. „Oder jemandes Ankunft.“ Dann schaute sie auf. „Die Agentur hat mir mitgeteilt, sie würden jemanden aus Queensland schicken. Ich habe die Zeitverschiebung nicht einkalkuliert.“ Dann dämmerte es ihr. „Southwell?“ Eine schöne Überraschung. Sie lächelte warm. „Sind Sie mit Dr. Southwell verwandt, der den Unfall hatte?“ Als der Mann nickte, fragte sie: „Wie geht es ihm?“ Sie hatte sich Sorgen gemacht.

„Meinem Vater?“, fragte er trocken. „Es geht ihm so, wie man es erwarten kann, wenn ein Mann in seinem Alter einen Surfunfall hatte.“ Er sagte es, als sei sein Vater ein widerspenstiges kleines Kind, und Ellie hatte das Gefühl, den abwesenden Achtzigjährigen verteidigen zu müssen. Dann wurde ihr klar, dass sie mit diesem Mann die nächsten vier Wochen arbeiten musste. Und ihr wurde auch klar, dass Dr. Southwell zwei Kinder hatte und sein einziger Sohn beratender Geburtshelfer an der „Mutter-und-Kind-Klinik“ in Brisbane war. Anscheinend ein echter Workaholic. Doch immerhin hatte sie in den kommenden vier Wochen jemanden mit Erfahrung an ihrer Seite. Aber bei ihrem Glück würde in dieser Zeit nicht ein einziges Baby auf die Welt kommen wollen. Ellie seufzte und rang sich ein Lächeln ab. Zuerst der springende Frosch, dann das quakende Exemplar vor ihrem Fenster und jetzt dieser Froschkönig aus der großen Stadt.

„Herzlich willkommen! Vielleicht möchten Sie sich setzen?“ Sie zeigte auf den einzigen Stuhl, der zwischen Schrank und Türrahmen zu klemmen schien. Sie war nicht sicher, ob er tatsächlich auf diesen Stuhl passen würde, selbst wenn er sich zusammenfalten würde. Er wollte offenbar nicht sitzen, und das war auch besser so. Irgendetwas an seinem Auftreten war … eigenartig. Hatte er das Gefühl, dass sie ihn nicht wollten?

„Dr. Southwell, wir alle hier wissen es sehr zu schätzen, dass Sie hier sind.“ Er brauchte ein paar Sekunden, um zu antworten, und Ellie nutzte sie, um ihre Sicherheit zurückzugewinnen. Hier war schließlich ihr Terrain. Sie musste also nicht nervös sein.

„Wir waren sehr erleichtert, dass uns jemand zugesagt hat.“ Doch er wirkte nicht gerade geschmeichelt. Vielleicht, weil sie für ihn das Wort jemand benutzt hatte? Ellie trat einen Schritt vor und unterdrückte ein Seufzen. Die älteren Ärzte waren vielleicht doch gar nicht so schlecht.

„Also. Willkommen in Lighthouse Bay! Ich bin die Hebamme, die Notfallverantwortliche sowie die Mediatorin zwischen Ärzten und Krankenschwestern und Mädchen für alles.“ Sie streckte ihre Hand aus. Er sah sie verständnislos an. Was? Gab es keine Hoffnung auf ein bisschen Humor? Sein Gesichtsaudruck nahm langsam einen höflich-fragenden Ausdruck an.

„Benötigen Sie Mediation?“ Er ergriff ihre Hand nicht, und sie ließ sie langsam wieder sinken. Eigenartig, ein eigenartiger Mann. Ellie unterdrückte noch einen Seufzer. So dermaßen auf dem falschen Pfad zu sein, war kein gutes Omen.

„Das war ein Witz, Entschuldigung.“ Sie sagte nicht W-I-T-Z, obwohl sie den Eindruck hatte, dass sie es für ihn buchstabieren müsste. Daher schaltete sie in ihren professionellen Modus um. Ellie mochte es eigentlich, neue Kollegen kennenzulernen. Es passierte in ihrer kleinen Klinik nicht so häufig, bis Dr. Rodgers in den Ruhestand gegangen war.

Sie träumte davon, eines Tages nicht mehr von Ärzten abhängig zu sein. Aber jetzt musste sie mit einem Vertretungsarzt klarkommen, der für medizinische Notfälle zuständig war. Sie schaute den Mann an, der vor ihr stand. Erfahrung auf zwei Beinen, aber nicht sehr kommunikativ. Sie würde wachsam bleiben, denn er hatte etwas, was sie wollte, und vielleicht würde sie es ja bekommen. Vielleicht. Er war führend auf seinem Gebiet. Möglicherweise war er der Erlöser, der dafür sorgte, dass man den Frauen endlich zuhörte, statt sie nur abzufertigen und wieder wegzuschicken. Aber wenn er sich nicht setzen wollte, müsste sie das mit ihm außerhalb der engen Grenzen ihres Büros aushandeln. Sie versuchte, sich an ihm vorbeizuquetschen. „Soll ich Sie herumführen?“

Der Duft nach Zitronenstrauch. Er kannte ihn von der letzten Konferenz, an der er teilgenommen hatte. Die Gattinnen der Kollegen rochen danach, nachdem sie über die Gratiskosmetik des Hotels hergefallen waren. Aber da hatte er nicht dieselbe Wirkung auf ihn gehabt wie jetzt. Sam Southwell atmete ihn ein, und irgendwo klingelte eine Alarmglocke. Sein Gehirn war benebelt. Irgendetwas an ihrer bis zum Hals zugeknöpften Bluse mit den langen Ärmeln löste etwas in ihm aus, das ihn stutzen ließ. Die Art, wie sie ihr Kinn vorreckte, und ihre kühlen grauen Augen, die ihn zu durchleuchten schienen, signalisierten ihm „Hände weg“, bevor er die Idee hatte, überhaupt Hand anzulegen. Das beeindruckte ihn. Offensichtlich eine Frau mit eigenem Kopf. Sie ließ sich von ihm nicht einschüchtern, und das war gut so. Er starrte an die Wand, wo Ellie noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte und brauchte seine gesamte Konzentration, um seine Verwirrung in den Griff zu bekommen. Sie musste denken, er sei ein arroganter Stoffel, aber sein Gehirn kapitulierte vor der Wirkung, die sie auf ihn hatte. Sie hatte recht. Dieser Schuhkarton von einem Büro war kein besonders hilfreicher Ort.

Er drehte sich langsam zu ihr um und versuchte, ihr nicht auf die Füße zu treten. Dann fühlte er sich langsam besser. Ungeduld half hier nicht weiter.

„Ja, eine Führung wäre ausgezeichnet“, sagte er ruhig. Sie musste denken, er sei ein kompletter Idiot. Aber er musste in seinem Kopf erst einmal alles sortieren. Und er konnte schnell sein. Er würde es hinkriegen, er konnte so etwas im Schlaf. Er hatte keine Ahnung, warum er so aufgeregt war. Wegen dieser Frau? Wie er auf sie reagierte? Das stand verdammt noch mal auf einem anderen Blatt. Beunruhigend. Zutiefst beunruhigend.

„Wie viele Betten gibt es hier?“ Ellie Swift tauchte vor seinem geistigen Auge in einem Bett auf. In einem Bett. Ich bin ihr ausgeliefert, dachte er wütend. Wahrscheinlich war er nur überarbeitet. Sein Vater hatte recht, er musste wieder lernen, mal richtig durchzuatmen.

Autor

Fiona McArthur

Fiona MacArthur ist Hebamme und Lehrerin. Sie ist Mutter von fünf Söhnen und ist mit ihrem persönlichen Helden, einem pensionierten Rettungssanitäter, verheiratet. Die australische Schriftstellerin schreibt medizinische Liebesromane, meistens über Geburt und Geburtshilfe.

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