Noch einmal deine Lippen spüren

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"Und den Zuschlag erhält … der Gentleman in der hinteren Reihe!" Lacey schützt ihre Augen mit der Hand, um in der gleißenden Sonne erkennen zu können, wer ihre besten Pferde gekauft hat. Das ist doch …? Ja, tatsächlich, dort sitzt Jeff und erwidert ihren Blick! Wütend wendet sie sich ab. Vor zehn Jahren ließ er sie nach einer romantischen Nacht einsam, verwirrt und schwanger zurück. Endlich war sie dabei, ihn zu vergessen, da prescht er wieder in ihr Leben und will ihre Farm vor dem Ruin retten. Und wie sie Jeff kennt, kann das nicht alles sein. Was hat er wirklich vor?


  • Erscheinungstag 07.07.2012
  • Bandnummer 1844
  • ISBN / Artikelnummer 9783864946172
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

In den letzten neun Monaten war Jeff Gentry regelrecht durch die Hölle gegangen, aber jetzt hatte er endlich den Weg zurück nach Hause gefunden.

In diesem Moment stand er auf der Veranda der Vorarbeiter-Hütte der Rocking R Ranch. Die Sonne war zwar gerade erst aufgegangen, trotzdem war es jetzt schon so heiß wie in einem typisch texanischen Sommer. Genussvoll atmete Jeff die ihm so vertraute Landluft ein, die nach Erde, Rindern und Pferden roch. Auf dieser Ranch hatte er endlich erfahren, was es hieß, zu einer Familie zu gehören. Als kleiner Junge hatte er sich hier zum ersten Mal sicher gefühlt, die Ranch war für ihn ein richtiges Zuhause geworden. Ob das jetzt wohl wieder möglich wäre?

Schließlich hatte er in den letzten zehn Jahren ein anderes Zuhause gehabt: die US Army nämlich. Dabei war er in der ganzen Welt herumgekommen und hatte viel Gewalt miterlebt, hatte Menschen sterben sehen. Diese Jahre hatten ihn so stark verändert, dass er nichts mehr mit dem jungen Mann gemeinsam hatte, der damals im Alter von zwanzig Jahren die Ranch verlassen hatte. Diese erlebten Albträume verfolgten ihn noch immer, und er musste sie dringend hinter sich lassen. Vor allem den einen. Er rieb sich das schmerzende Bein. Der Arzt hatte ihm gesagt, dass er großes Glück gehabt hatte, aber so kam es ihm überhaupt nicht vor.

Sein letzter Einsatz hatte sein ganzes bisheriges Leben zerstört … und seine Zukunft noch dazu. Jetzt hatte man ihn nach Hause, nach San Angelo, geschickt. Ob es ihm wohl gelingen würde, den Platz bei den Randells, seiner Familie, wieder einzunehmen?

„Guten Morgen, Jeff.“

Jeff wandte sich um. Sein Stiefvater, Wyatt Gentry-Randell kam gerade auf die Veranda zu. Jeff lächelte. „Hallo, Dad.“

Der Fünfundfünfzigjährige war immer noch eine beeindruckende Erscheinung: groß, mit aufrechtem Gang und durchtrainiert von den vielen Jahren, die er schon mit Pferden für den Rodeo-Betrieb arbeitete. Gleichzeitig war er ein fröhlicher, warmherziger Mensch – besonders, wenn es um seine Frau und seine Kinder ging.

Als Jeff und seine Schwester Kelly noch klein gewesen waren, hatte Wyatt ihre Mutter Maura Wells geheiratet und die beiden Kinder adoptiert. Das war der bisher schönste Tag in Jeffs bisherigem Leben gewesen: Damals hatte Wyatt die beiden Geschwister und ihre Mutter viele schmerzhafte Erinnerungen an ihre Vergangenheit vergessen lassen. Später hatten er und Maura noch zwei weitere Kinder bekommen, Andrew und Rachel.

Ja, Jeff liebte seinen Stiefvater von ganzem Herzen.

„Was treibt dich denn hierher?“, erkundigte sich Jeff. „Kann ich dir bei irgendetwas behilflich sein?“

Wyatt reichte ihm eine Tasse heißen Kaffee. „Nein, ich wollte mich einfach ein bisschen mit meinem Sohn unterhalten. Schön, dass du wieder zu Hause bist.“

Jeff trank einen Schluck. „Ich freue mich auch, wieder hier zu sein.“ So richtig gelogen war das nicht. Immerhin war er froh, seine Eltern wiederzusehen.

Er lehnte sich gegen das Verandageländer und sah zu der riesigen Ranch hinüber. Alle Gebäude waren frisch mit glänzend weißer Farbe gestrichen worden. Seit über zwanzig Jahren arbeiteten die Zwillingsbrüder Wyatt und Dylan hier sehr erfolgreich mit Rodeo-Pferden.

Obwohl Jeff und seine Schwester Kelly keine Blutsverwandten der Randells waren, hatte die Familie die beiden immer wie echte Angehörige behandelt. Und zweifellos würden die Randells jetzt einem alten, ausgedienten Soldaten wie ihm einen Platz im Familienunternehmen anbieten. Trotzdem – wenn er eines nicht gebrauchen konnte, dann war es Mitleid.

Die Stimme seines Vaters durchbrach seine Gedanken. „Uns ist bewusst, dass die letzten Monate sehr schwer für dich waren. Also lass dir ruhig Zeit damit, dich hier wieder einzuleben.“

Seine Worte berührten Jeff, aber er war noch nicht bereit, über seine Erlebnisse an der Front zu sprechen. Vielleicht würde es sogar dazu kommen. „Vielen Dank. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, mir geht es gut. Und ich helfe auch gern bei der Rancharbeit mit.“

Sein Vater grinste. „Dafür haben wir hier genug Angestellte. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du nicht Lust hast, heute mit Hank und mir einen kleinen Ausritt zu machen.“

Jeff versteifte sich. Er war noch nicht so weit, sich mit der ganzen Familie Randell auseinanderzusetzen. „Wo soll es denn hingehen?“

„Zu einer Versteigerung auf einer anderen Ranch.“ Wyatt seufzte. „Bei den Guthries, genauer gesagt.“

Jeff erschrak. „Hatte Trevor denn finanzielle Schwierigkeiten?“ Jeffs alter Schulfreund Trevor war vor zehn Monaten gestorben, da lag es nahe, dass seine Witwe Lacey die Ranch nicht allein weiterführen konnte.

Lacey Haynes-Guthrie. Jeff brauchte nur ihren Namen zu hören, schon wurde ihm am ganzen Körper heiß. Warum hatte sie bloß immer noch so eine große Wirkung auf ihn? Bereits zu Schulzeiten waren alle in sie verliebt gewesen, aber sie hatte sich nur für einen einzigen Jungen interessiert: für Trevor Guthrie, seinen besten Freund. Jeff selbst war für sie nie infrage gekommen … bis auf diesen einen Tag im Sommer vor zehn Jahren …

„Warum habt ihr mir nicht längst erzählt, was auf der Guthrie-Ranch los ist?“

„Na ja, uns ging es erst mal darum, dass du dich wieder gut erholst. Und zweitens wussten wir selbst nicht, dass die Ranch in solchen Schwierigkeiten steckt – bis wir heute Morgen von der Versteigerung gehört haben. Wahrscheinlich hat Trevors Krankheit hohe Kosten verursacht.“ Wyatt musterte seinen Sohn bedächtig. „Vielleicht kannst du heute ja mal mit Lacey darüber sprechen.“

Jahrelang hatte Jeff versucht, sie zu vergessen. Zu Schulzeiten waren er, Trevor und Lacey zusammen durch dick und dünn gegangen, aber inzwischen kam ihm das unendlich lange her vor. Und jetzt war Trevor tot. „Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.“ Er atmete lang gezogen aus. „Wie soll ich ihr erklären, warum ich nicht für sie und Trevor da war?“

„Sag ihr einfach die Wahrheit. Du warst an der Front, dann hast du lange im Krankenhaus gelegen und musstest dir mehrfach das Bein operieren lassen. Du hast eine schlimme Zeit hinter dir, dafür brauchst du dich nicht zu schämen.“

Jeff schloss die Augen und versuchte die schmerzhaften Erinnerungen an das zurückliegende Jahr zu verdrängen. „Ich will Lacey aber nicht auch noch mit meinen Problemen belasten“, erwiderte er. „Sie hat schon genug durchgemacht, und außerdem will ich noch nicht darüber sprechen.“

Wyatt nickte. „Gut, das respektieren wir. Ich finde aber trotzdem, dass es dir nicht schaden kann, heute ein bisschen rauszukommen.“ In diesem Moment hielt ein Transporter neben dem Haus. „Komm doch erst mal rüber zu uns ins Haupthaus, dein Großvater ist auch gerade angekommen. Deine Mutter hat mal wieder für eine ganze Kleinstadt Pfannkuchen zum Frühstück gemacht. Und wenn du nicht dabei bist, muss ich schon wieder für dich mitessen.“ Er rieb sich den flachen Bauch. „Dabei musste ich meinen Gürtel schon ein Loch weiter stellen.“

Weil Jeff nicht wollte, dass sich seine Eltern Sorgen um ihn machten, ließ er sich auf das Angebot ein. „Okay, dann muss ich dich wohl retten kommen.“ Er lächelte.

Langsam gingen die beiden zum Haupthaus hinüber. Das bevorstehende Frühstück mit seinen Eltern und Hank machte Jeff nicht weiter zu schaffen – ganz anders als das Zusammentreffen mit Lacey danach. Er wusste nicht, was er sagen oder tun konnte, um sie zu trösten … oder ihr zu erklären, warum er nicht für sie und Trevor da gewesen war, als sie ihn so sehr gebraucht hätten.

Das würde Jeff sich niemals verzeihen.

Lacey Guthrie wandte sich ab, als ihre beiden besten Zuchtpferde aus dem Stall geführt wurden: der rabenschwarze Hengst Rebel Run und die hübsche junge kastanienbraune Stute Fancy Girl. Gleich sollten beide versteigert werden, und das würde das Ende ihrer Ranch bedeuten. Aber es ließ sich nun mal nicht vermeiden, sie kämpfte gerade ums nackte Überleben.

„Als Nächstes geht es um die Nummern 107 und 108 auf der Liste“, verkündete der Auktionator. „Denjenigen, die hier aus der Gegend kommen, brauche ich ja nicht erst zu erklären, was die Tiere für einen Stammbaum haben. Ich nehme jetzt die Gebote für den Hengst entgegen, Rebel Run …“

Lacey ging ins Haus. Sie kämpfte mit den Tränen. Sie schloss die Küchentür hinter sich und lehnte die Stirn gegen die Glasscheibe. Die beiden Pferde standen für ihre letzten gemeinsamen Träume mit Trevor. Sie wollte den Verkauf einfach nicht mit ansehen. Zehn Jahre lang hatten sie daran gearbeitet, ihre Ranch aufzubauen, und jetzt ging alles den Bach hinunter. Was sollte bloß aus ihren Kindern werden, Colin und Emily?

„Ach, Trevor“, schluchzte sie. „Warum bist du jetzt nicht da?“

„Mom!“

Schnell wischte sich Lacey die Tränen von der Wange und zwang sich zu einem Lächeln. Dann drehte sie sich um. Vor ihr stand ihr achtjähriger Sohn.

„Was gibt es denn, Colin?“

„Du darfst Rebel und Fancy nicht verkaufen!“, empörte er sich. „Das sind Dads beste Pferde!“

„Darüber haben wir uns doch schon unterhalten, es geht leider nicht anders.“ Sie wollte ihm das blonde Haar aus der Stirn streichen, aber er zuckte zurück.

„Doch, das geht anders!“, rief der Junge. „Komm sofort mit und sag den Leuten, dass sie damit aufhören sollen. Dad will nicht, dass du so was machst.“

„Dad ist jetzt aber nicht da, mein Schatz. Und wenn ich die Pferde nicht verkaufe, verlieren wir unsere Ranch.“

Die Augen des Jungen funkelten. Sie waren genauso dunkelblau wie die seines Vaters. „Dann hast du ihn nicht richtig geliebt. Sonst würdest du das nämlich nicht tun.“ Er fuhr herum und lief aus der Küche. Die Tür knallte gegen die Wand und fiel anschließend lautstark ins Schloss.

Lacey stürzte ihm hinterher. Auf der Veranda hörte sie, wie der Auktionator mit dem Hämmerchen auf den Tisch schlug. „Und verkauft! Den Zuschlag erhält der Herr in der letzten Reihe.“

Sie blinzelte gegen die blendende Sonne an und ließ den Blick über die Menschenmenge schweifen, bis sie den Mann erblickte, der gerade sein nummeriertes Schild hochhielt. Sein Cowboyhut bedeckte fast sein ganzes Gesicht, nur sein kantiges Kinn war deutlich zu erkennen. Trotzdem wusste Lacey sofort, um wen es sich dabei handelte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Während der Mann sich seinen Weg durch die Menschenmenge nach vorn bahnte, verfolgte sie ihn mit ihrem Blick. Sie betrachtete seinen muskulösen Oberkörper und seine breiten Schultern.

Seine Haltung hatte etwas Militärisches an sich, gleichzeitig wirkte er wie ein typischer texanischer Cowboy. Er sah zum Haus herüber, und einen kurzen Moment lang begegneten sich ihre Blicke. Ein seltsames, aber nicht unvertrautes Gefühl ergriff Lacey: eine Mischung aus Sehnsucht, Traurigkeit und auch etwas Wut. Bevor sie ihm signalisieren konnte, dass sie ihn bemerkt hatte, wandte er sich schon wieder ab und ging weiter.

Aha, dachte sie. Master Sergeant Jeff Gentry ist wieder nach Hause gekommen.

Unglaublich dachte Jeff. Ich habe keine Ahnung, was aus mir werden soll, und jetzt habe ich mir auch noch zwei Pferde ersteigert.

Und dabei hatte er bloß ein bisschen mitbieten wollen, damit Lacey einen besseren Preis für die Tiere erzielen konnte … Schließlich wusste er, wie hart Trevor dafür gearbeitet hatte, seine Ranch aufzubauen – für sich und seine Familie.

„Hey!“ Jeffs Vater legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Darf ich fragen, was du mit den beiden Pferden vorhast?“

Er zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, ich habe mir keinerlei Gedanken darüber gemacht, wo ich sie unterbringen könnte.“

Wyatt lächelte. „Von mir aus kannst du sie gern bei mir auf der Ranch lassen. Oder bei deinem Onkel Chance, der kann sich um solche Pferde noch besser kümmern.“

Jeffs Großvater Hank stellte sich zu ihnen und lächelte. Trotz seiner fünfundachtzig Jahre war er immer noch topfit und füllte seine Rolle als Familienoberhaupt voll aus. „Na, da hast du aber ein gutes Geschäft gemacht“, sagte er.

Erneut schaute Jeff zur Ranch hinüber. Lacey Guthrie stand immer noch auf der Veranda. In ihren verwaschenen Jeans sah sie einfach umwerfend aus. Sie war groß und schlank, aber nicht mehr so schmal wie damals zu Schulzeiten. Seitdem hatte sie genau an den richtigen Stellen zugenommen. Ihr volles, goldblondes Haar umschmiegte seidig glänzend ihre Schultern. Früher hatte sie immer ein Lächeln auf den Lippen gehabt, aber heute war das anders.

„Möchtest du gar nicht mit ihr sprechen?“, erkundigte sich sein Vater.

„Nein, sie hat gerade zu tun“, gab Jeff zurück und zwang sich, den Blick wieder abzuwenden. „Ich bezahle jetzt erst mal die Pferde und kümmere mich um den Transport.“ Bevor sein Vater und Großvater noch irgendetwas dazu sagen konnten, wandte Jeff sich ab. Das Gehen tat ihm immer noch weh, und es gelang ihm nicht, sein Hinken zu verbergen. Er biss die Zähne zusammen und zog sein Scheckheft aus der Tasche. Die beiden Pferde kosteten ihn zwar eine Menge Geld, aber er schuldete seinem Freund noch viel mehr.

Später lenkte Jeff den Transporter seines Vaters den Kiesweg entlang, der zur Lichtung führte. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als die ihm so vertraute kleine Blockhütte in Sichtweite kam. Er hielt den Wagen an, stieg aus und blieb erst mal stehen, um sich umzusehen. Dann ließ er den Blick über die Bäume schweifen und über den Bach, der sich durch das Wäldchen schlängelte.

Hier, auf dem Anwesen der Guthries, hatte er als Junge mit seinem besten Freund viele glückliche Sommertage verbracht. Trevor und er waren oft hierher geritten, durch den Bach gewatet und hatten dabei manchmal so getan, als würden sie die meistgesuchten Bösewichter des Wilden Westens verfolgen. Oder sie waren in den weiten Feldern um die Wette gerannt.

Diese Wettläufe hatte Jeff immer gewonnen. Er war schon immer der sportlichere von beiden gewesen, während Trevor alle mit seinem Charme um den Finger wickelte, Tiere wie Menschen. Auch bei den Mädchen hatte er Jeff einiges vorausgehabt, deswegen hatte er schließlich Laceys Herz erobert.

Jeff betrachtete die alte Blockhütte, die sie damals zu ihrem heimlichen Treffpunkt gemacht hatten. Damals war das Häuschen ziemlich baufällig gewesen, inzwischen hatte Trevor es offenbar grundlegend renoviert – genau, wie er es Jeff geschrieben hatte.

Jeff ging die Stufen zur Veranda hoch und drückte versuchsweise die Klinke der Eingangstür herunter. Sie war nicht abgeschlossen. Drinnen war es düster. Durch die Fenster fiel nur wenig Licht in das einzige Zimmer des Häuschens.

„Du hast es wirklich wahr gemacht, Trevor“, raunte Jeff. „Die Hütte sieht aus wie neu.“

Die Gefühle, die ihn jetzt überwältigten, waren so stark, dass er ihnen kaum standhalten konnte. Er zwang sich, tief ein- und ganz langsam wieder auszuatmen – genau, wie einer seiner Ärzte es ihm empfohlen hatte. Als er sich wieder beruhigt hatte, sah er sich etwas gründlicher um.

An einer Wand standen ein kleiner Tisch und zwei Stühle, auf der anderen Seite zwei Feldbetten, und in einer Ecke befand sich ein dickbauchiger Ofen aus Gusseisen. Jeff ging zur Küchenzeile hinüber und legte die Hand auf die alte Arbeitsplatte, die Trevor offenbar nicht ersetzt hatte. Er strich über die Namen, die sie damals in das Holz geritzt hatten: Trevor Guthrie und Jeff Gentry. Später hatten sie noch eine weitere Person in ihr Geheimversteck gelassen: Lacey Haynes.

Später, auf der Highschool, war ein ganz neuer Schriftzug hinzugekommen: „Trevor liebt Lacey“. Mit der Fingerkuppe zog Jeff das Herz nach, das die beiden Namen umgab. Aus dem Dreiergespann war ein reines Zweiergespann geworden. Dabei hatten Trevor und Lacey ihn nie bewusst ausgeschlossen, trotzdem hatte er deutlich gespürt, dass er nicht mehr richtig dazugehörte. Außerdem war es ihm immer schwerer gefallen, Zeit mit dem glücklichen Paar zu verbringen. Auch als er selbst eine feste Freundin hatte, hatte sich nichts an seinen Gefühlen für Lacey geändert. Aber sie hatte immer nur Trevor geliebt.

Immer wieder hatte Jeff versucht, das hinzunehmen. Bis ihm schließlich bewusst wurde, dass es für ihn nur eine Möglichkeit gab, darüber hinwegzukommen: Er musste den Ort verlassen. Also schrieb er sich bei der Armee ein. In wenigen Monaten sollte es losgehen, bis dahin musste Jeff noch warten und ausharren.

Nicht nur er machte in diesem Sommer eine schwere Zeit durch, auch Trevor und Lacey machten gerade eine schwere Phase miteinander durch. In seiner Verzweiflung bat Trevor seinen besten Freund darum, bei Lacey ein gutes Wort für ihn einzulegen. Jeff gefiel die Idee überhaupt nicht, aber schließlich ließ er sich doch überreden und verabredete sich mit Lacey in der Blockhütte im Wald – um mit ihr über alles zu sprechen.

Gesprochen hatten sie während dieses Treffens allerdings nicht besonders viel.

Zitternd holte Jeff Luft. Ihm wurde noch immer ganz schwindelig, wenn er an diesen einen Nachmittag mit Lacey dachte. Daran, wie wunderschön es gewesen war und wie sehr es ihn gleichzeitig innerlich zerrissen hatte.

An diesem Nachmittag hatte er etwas Unverzeihliches getan. Er hatte seinen besten Freund hintergangen. Also war ihm nur noch eines übrig geblieben: sofort seine Sachen zusammenzupacken und wegzuziehen. Wenige Wochen später hatte er von Trevors und Laceys Hochzeit gehört.

Seitdem waren zehn ereignisreiche Jahre vergangen. Gedankenverloren rieb Jeff sich über den Oberschenkel.

„Was machen Sie da?“

Jeff fuhr herum und verlor dabei beinahe das Gleichgewicht. In der Eingangstür stand ein kleiner Junge und funkelte ihn wütend an, das erkannte Jeff trotz des Hutes, den sich der Kleine tief ins Gesicht gezogen hatte. Keine Frage: Vor Jeff stand Trevors Sohn.

„Hallo, ich heiße Jeff Gentry. Als ich noch ein Junge war, bin ich ziemlich oft hierhergekommen.“

„Die Hütte gehört aber mir und meinem Dad. Sie dürfen hier nicht sein.“

„Ich weiß. Ich war mit deinem Dad befreundet“, erwiderte Jeff. „Du bist bestimmt Colin, oder?“

Darauf ging der Junge gar nicht erst ein. „Mein Vater ist tot.“

„Ich weiß, und das tut mir schrecklich leid. Ich bin schon lange nicht mehr hier gewesen.“

Colin kniff die Augen zusammen. „Mein Dad hat mir erzählt, dass Sie in der Armee waren, in einer Spezialeinheit. Er hat gesagt, dass Sie ein richtiger Held sind.“

Jeff versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn diese Bezeichnung erschütterte. „Na ja, ich habe da nur meine Arbeit erledigt.“

Der Junge musterte ihn kritisch. „Na toll. Wenn Sie so gut mit meinem Vater befreundet waren, warum haben Sie ihn dann nie besucht?“

„Weil ich ziemlich weit weg war, auf einem ganz anderen Erdteil. Ich wäre wirklich gern hergekommen, aber ich musste meine Aufgabe erfüllen.“

Colin schwieg.

„Wir haben uns aber oft geschrieben“, fuhr Jeff betreten fort und fand selbst, dass sich seine Erklärung wie eine faule Ausrede anhörte. „Und ich wusste nicht, wie krank er wirklich war – das habe ich erst später erfahren. Aber jetzt bin ich da, und ich würde euch gern helfen …“

Der Junge wich zurück. „Helfen? Jetzt ist es zu spät.“ Er drehte sich um und stürzte aus der Hütte.

„Hey, Colin! Warte doch mal!“ Jeff rannte ihm hinterher, blieb aber abrupt stehen, als er den zerbeulten Jeep erblickte, der gerade neben seinem Transporter hielt. Lacey Guthrie sprang aus dem Wagen und ging auf ihren Sohn zu. Sie wirkte verärgert.

Der Junge lief zu seinem Pferd, schwang sich mühelos in den Sattel und gab ihm die Sporen.

Lacey schloss die Augen und wünschte sich dabei innere Stärke. Dann wandte sie sich zu dem Mann um, der einfach so in ihre Hütte eingedrungen war.

Offenbar hatten die Erinnerungen an damals Jeff hierher getrieben. Schade auch, dass er diesem Drang nicht schon früher mal gefolgt war. An den letzten Tagen seines Lebens war es Trevors sehnlichster Wunsch gewesen, seinen alten Freund noch ein einziges Mal zu sehen. Ihr selbst war es anders gegangen: Von ihr aus hätte Jeff sich nie mehr auf der Ranch blicken lassen brauchen. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie blinzelte. Warum musste er ausgerechnet jetzt hier auftauchen?

Sie zwang sich, tief durchzuatmen, dann nahm sie ihren Mut zusammen und sprach ihn an: „Also bist du schließlich doch noch nach Hause gekommen, Jeff Gentry.“

Langsam ging er die Verandastufen hinunter und kam auf Lacey zu, mit seltsam unsicheren Schritten. „Ich bin so schnell hergekommen, wie ich konnte.“

Sie nickte. Auf gar keinen Fall wollte sie jetzt irgendwelche Beileidsbekundungen von ihm hören. „Deine Eltern haben mir schon erklärt, dass du auf einem Auslandseinsatz warst.“

Er legte den Kopf schief und erwiderte ihren forschenden Blick. Sein kantiges Kinn verlieh seinem Gesicht einen etwas störrischen Ausdruck, aber seine warmen braunen Augen ließen erahnen, wie warmherzig und sensibel er auch sein konnte.

Und dazu noch unheimlich sexy, das hatte Lacey schon immer so empfunden. Heute ging es ihr nicht anders.

„Lacey …“, begann er. „Ich hätte alles dafür getan, um für Trevor da zu sein.“

Bloß nicht weinen, sagte sie sich. „Das glaube ich dir, trotzdem fand ich dieses Spielchen heute Morgen nicht gerade toll.“

„Was für ein Spielchen denn?“

„Na ja, du hättest mir wenigstens Bescheid sagen können, dass du wieder da bist.“

„Stimmt, das wäre wohl besser gewesen. Ich war seitdem die meiste Zeit zu Hause.“

Jeff hatte sich früher schon immer sehr bedeckt gehalten, das war heute offenbar nicht anders. „Na ja, ich brauche deine Hilfe jedenfalls nicht“, sagte sie. „Du brauchst mich nicht zu retten.“

„Wer sagt, dass ich dich retten will?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Erklär mir doch mal bitte, wozu du zwei Pferde brauchst, Mr Master Sergeant.“

„Meine Zeit in der Armee ist vorbei.“

Lacey war fassungslos. „Das glaube ich einfach nicht.“

Er wich ihrem Blick aus, trotzdem entging ihr sein trauriger Gesichtsausdruck nicht. Offenbar hatte der Krieg ihm schlimm mitgespielt. „Doch, dieser Abschnitt liegt hinter mir. Jetzt kommt etwas Neues.“

„Trevor hätte sich so gefreut, dich noch einmal wiederzusehen.“

„Ich mich auch, Lace.“

Dass er sie jetzt auch noch mit ihrem Spitznamen ansprach, gefiel ihr gar nicht. „Aha.“

„Trevor wusste, dass ich im Einsatz war und da nicht rauskonnte.“

Sie wandte sich ab und ging zu ihrem Wagen. Was sie gerade durchmachte, tat so unendlich weh. Jetzt musste sie nicht nur mit dem Tod ihres Mannes zurechtkommen, sondern auch damit, dass Jeff Gentry wieder in ihr Leben getreten war.

2. KAPITEL

„Mom, ich habe alle Pferde gefüttert“, rief Colin seiner Mutter zu. „Darf ich jetzt reingehen?“

Lacey sah sich in dem fast leeren Stall um. Seit der Versteigerung am selben Morgen hatten sie nur noch fünf Tiere, und zwei davon würden bald abgeholt werden.

„Bring doch bitte noch das Zaumzeug in die Sattelkammer, dann kannst du wieder ins Haus gehen. Aber nur, wenn du mir versprichst, deine Schwester nicht zu ärgern!“

Ihr Sohn griff nach dem Pferdegeschirr und lief den Mittelgang hinunter. „Immer bin ich an allem schuld!“

„Ja, weil du Emily aber auch nicht in Ruhe lassen kannst. Außerdem bist du heute früh einfach weggeritten, ohne mir Bescheid zu sagen!“

„Schön, dann gehe ich jetzt eben in mein Zimmer.“ Er verschwand in der Sattelkammer und kam so schnell wieder zum Vorschein, dass er das Zaumzeug gar nicht richtig weggehängt haben konnte.

Egal, dachte Lacey. Dann kümmere ich mich eben selbst darum.

Sie hatte einen langen Tag hinter sich und war müde. Die Versteigerung hatte an ihren Kräften gezehrt. Wenigstens hatte sie dadurch genug eingenommen, um Trevors Arztrechnungen zu bezahlen und die Ranch noch ein weiteres Jahr am Laufen zu halten. Was sie danach unternehmen sollte, wusste sie noch nicht. Jetzt, wo sie Rebel verkauft und damit keinen geeigneten Hengst mehr im Stall hatte, musste sie die Pferdezucht wohl einstellen.

Sie blickte zur Stalltür hinüber. Dort stand ihr Sohn und unterhielt sich gerade mit jemandem. Einem Mann. Lacey sah genauer hin und erkannte … Jeff Gentry. Na toll! Eigentlich hatte sie für heute genug von ihm, aber so wie es aussah, wollte er sie einfach nicht in Ruhe lassen.

Langsam kam er den Gang hinunter auf sie zu, ein großer, muskulöser Mann, den die vielen Jahre bei der Armee in vielerlei Hinsicht geprägt hatten. Bei genauerem Hinsehen fiel ihr allerdings auf, dass er sich sehr schwerfällig bewegte und dabei sogar ein bisschen hinkte. Hatte er etwa eine Kriegsverletzung? Davon hatte sie noch gar nichts gehört.

Vor der Box des Hengstes Rebel blieb Jeff stehen, um sich mit dem Pferd vertraut zu machen, das jetzt ihm gehörte. Wie Trevor konnte er gut mit Tieren umgehen – vielleicht sogar besser als mit Menschen. Er tätschelte Rebel die Schnauze, dann kam er auf Lacey zu.

Sie erschauerte und musste ihn die ganze Zeit anschauen, sie konnte nicht anders. Genau wie Trevor war er ein umwerfend gut aussehender Mann, obwohl die beiden Freunde unterschiedlicher nicht hätten sein können: Trevor mit seinen blonden Haaren und den blauen Augen und Jeff mit seinem dunkelbraunen Haar und dem ebenso dunklen Blick.

Wenn Lacey jetzt noch einmal über ihr Gespräch von vorhin nachdachte, taten ihr ihre Worte schon wieder leid. Sie war verletzt gewesen und hatte sich seit Trevors Tod schrecklich einsam gefühlt – aber das gab ihr noch lange nicht das Recht, Jeff deswegen Vorwürfe zu machen. Schließlich hatte er keine Schuld an dem Virus, der das Herz ihres Ehemannes angegriffen hatte. Trotzdem konnte sie sich für ihr Verhalten einfach nicht entschuldigen. Dafür war zu viel zwischen ihnen vorgefallen.

Damals hatte Jeff nicht nur Trevor den Rücken zugekehrt, sondern auch ihr. Ohne ein einziges Mal zurückzuschauen. Er ahnte ja nicht, wie sehr er sie damals verletzt hatte! Schließlich war Trevor derjenige gewesen, der für sie da gewesen war und sie getröstet hatte.

Lacey atmete tief durch. Das alles ist inzwischen zehn Jahre her, sagte sie sich. Jetzt ist es an der Zeit, loszulassen. „Du bist wahrscheinlich hier, um deine Pferde abzuholen.“

Autor

Patricia Thayer
<p>Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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