Nur eine Nacht mit Dr. MacBride?

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Feuer in einer Grundschule! Bis zum Rand ihrer Kräfte versorgt die hübsche Sanitäterin Victoria mit Dr. Dominic MacBride die Kinder. Doch für sie selbst kommt jede Rettung zu spät. Denn zwischen ihr und dem sexy Arzt ist etwas geschehen, das ihr Leben für immer ändern wird …


  • Erscheinungstag 31.01.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739102
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Hallo, meine Hübsche!“

Victoria lächelte freundlich, als sie mit ihrem Kollegen Glen das Wohnzimmer betrat. Dort lag die sechsjährige Penny Craig auf dem Sofa. Im Flur hatte Victoria bereits mit ihrer Mutter Julia gesprochen. Normalerweise würden zwei Sanitäter in ihren grünen Uniformen eine Sechsjährige wohl erschrecken, aber Penny war leider daran gewöhnt.

„Victoria!“

Obwohl es Penny nicht gut ging, richtete sie sich ein Stück auf, und ihre großen grauen Augen leuchteten. Sie freute sich ganz offensichtlich, dass ihre Lieblingssanitäterin gekommen war, um sie in das Paddington Children’s Hospital zu fahren.

„Sie hat gehofft, dass Sie heute Dienst haben.“

Victoria lächelte Julia zu und setzte sich auf die Sofakante zu ihrer Patientin. „Gestern habe ich noch gedacht, dass ich dich lange nicht mehr gesehen habe.“

„Ihr ging es in letzter Zeit wirklich gut“, sagte Julia.

Penny Craig war mit einer seltenen angeborenen Herzkrankheit zur Welt gekommen und hatte bereits einen Großteil ihres Lebens im Paddington verbracht. Ihr dunkles Haar war zu Zöpfen geflochten, und sie steckte in einem Pyjama. Darüber hatte sie sich das kleine rosa Tanzröckchen gezogen, das sie Tag und Nacht trug. Penny wollte Balletttänzerin werden. Das erzählte sie jedem.

„Aber deine Mum sagt, dass es dir heute nicht gut geht?“, fragte Victoria und fühlte Pennys Puls.

„Mir ist übel, und ich bin febril.“

Die meisten Kinder würden wohl sagen, dass ihnen schlecht sei und sie Fieber hätten, aber Penny hatte so viel Zeit mit Ärzten verbracht, dass sie sich an ihre Sprache angepasst hatte – und das mit sechs Jahren. Sie hatte tatsächlich Fieber. Als Victoria ihre Vitalwerte überprüfte, schlug das kleine Herz viel zu schnell.

„Ich habe schon mit dem Krankenhaus gesprochen. Sie kommt direkt auf die Herzstation“, sagte Julia, während Victoria ihre Tochter gründlich untersuchte. Es war kein Notfall, aber bei Pennys Geschichte war es so besser.

„Allerdings“, fügte Julia hinzu, „wollen sie ihr zuerst in der Notaufnahme die Brust röntgen.“

Was schwierig werden könnte. In der Notaufnahme mochten sie es wirklich nicht, als Durchgangsstation für das ganze Krankenhaus betrachtet zu werden. Damit musste Victoria sich öfter herumschlagen. Erst vor drei Tagen hatte sie eine hitzige Diskussion mit Dominic MacBride darüber gehabt, einem pädiatrischen Unfallchirurgen. Victoria hoffte, dass er heute Abend nicht wieder Dienst haben würde, denn sie bekamen sich oft in die Haare, wenn sie ihre Patienten auf die Station brachte.

Ganz allgemein war es im Paddington allerdings immer noch besser als in den meisten Krankenhäusern. Die Mitarbeiter waren freundlich, und die Stationen tauschten sich untereinander aus.

Außerdem war Penny ein kleiner Star.

Sie würden es einfach auf sich zukommen lassen müssen.

„Du hast hübsche Ohrringe“, sagte Penny, als Victoria ihr den Blutdruck maß.

„Danke.“

Eigentlich trug Victoria bei der Arbeit keinen Schmuck. Das war zu unpraktisch, denn sie wusste schließlich nie, was sie erwartete. Ihre langen dunkelbraunen Haare hatte sie wie immer in einem unordentlichen Knoten zusammengefasst, und natürlich trug sie bei der Arbeit auch kein Make-up.

Deswegen fielen ihre Diamantstecker auch sofort ins Auge. Sie waren ein Geschenk ihres Vaters gewesen, und Victoria trug sie nur zu besonderen Anlässen. Gestern Abend war sie auf einer Veranstaltung gewesen und hatte vergessen, sie abzunehmen.

Penny war für die Fahrt ins Krankenhaus bereit. Um sie nicht unnötig zu beunruhigen, trugen Victoria oder Glen sie meist in das Ambulanzfahrzeug, doch seit Victoria die Krankentrage einmal als Thron bezeichnet hatte, hatte Penny, die sich für Märchen begeisterte, keine Angst mehr davor. Nun wollte sie sogar selbst draufklettern. Julia überprüfte, ob sie alles dabeihatte. Ein kurzer Ausflug ins Paddington, der sich zu einem längeren Aufenthalt entwickelte, war für sie nichts Neues mehr.

„Bereit zum Abflug?“, fragte Victoria, und Penny streckte beide Daumen in die Luft. Der Frühling ließ noch immer auf sich warten, sodass draußen Dunkelheit herrschte, obwohl erst früher Abend war.

„Hat Ihre Schicht gerade erst angefangen, oder sind Sie nach uns fertig?“, fragte Julia, als Victoria sich hinten im Krankenwagen zu ihnen setzte.

„Ich bin gleich fertig“, antwortete Victoria.

„Haben Sie heute Abend etwas Schönes vor?“

„Nicht wirklich“, erwiderte Victoria und drehte sich zu Penny.

Das stimmte nicht. Denn Victoria hatte ein Date.

Ein zweites Date. Und sie fragte sich, warum sie sich darauf eingelassen hatte, obwohl das erste Date nicht besonders gut gewesen war. Ach richtig, weil sie mit Glen gesprochen und er gemeint hatte, dass man von einem ersten Date nicht zu viel erwarten sollte.

Das würde sie Julia natürlich nicht verraten. Victoria erzählte nicht vielen Menschen etwas, insbesondere nicht den Patienten. Sie war zurückhaltend, aber nicht unzugänglich, freundlich, aber nicht zu freundlich. Ihre Patienten schätzten sie für ihr professionelles Verhalten.

Im Privatleben hatte sie Freunde, aber auch die ließ sie lieber reden, statt von sich selbst etwas preiszugeben. Victoria war von niemandem abhängig.

Sie und Glen arbeiteten seit zwei Jahren zusammen, und so lange hatte Victoria auch gebraucht, um ihm überhaupt etwas Persönliches zu erzählen. Glen war ein Familienmann mit einem Mondgesicht. Er ließ sich von Victorias Verhalten nicht einschüchtern, sondern lächelte über ihren manchmal recht schroffen Umgangston. Er war glücklich mit seiner Frau Hayley verheiratet, und sie hatten vierhundert Kinder.

Na gut, vier Kinder. Glen quasselte gern über seine Familie und all die Kleinigkeiten, die seinen Alltag ausmachten. Victoria schwieg. Nicht einmal ihm gegenüber würde sie sich groß über ihr Liebesleben auslassen.

Ihr nicht vorhandenes Liebesleben.

Wie so häufig, begann Julia nun, Penny eine Geschichte zu erzählen, während sich der Krankenwagen durch den freitäglichen Berufsverkehr schob. Blaulicht und Sirene blieben ausgeschaltet. Es war nicht nötig, und Penny war an diese Fahrten schon so gewöhnt, dass sie keine Freude mehr an dem Drama hatte.

„Ich finde, es sieht aus wie ein Zauberschloss“, sagte Penny, als sie das Paddington Children’s Hospital erblickte.

Das viktorianische Gebäude aus roten Ziegelsteinen hatte mehrere Türmchen, und Victoria musste über Pennys Bemerkung lächeln. Als sie ein Kind war, hatte sie das Gleiche gedacht. Sie wusste noch, wie sie immer auf dem Rücksitz gesessen hatte, während ihr Vater auf das Krankenhaus zuraste, wo mal wieder ein wichtiger Fall auf ihn wartete.

„Es ist ja auch ein Zauberschloss“, sagte sie, und Penny grinste.

„Und Pennys zweites Zuhause“, ergänzte Julia.

So wie es auch Victorias zweites Zuhause war. Sie kannte jeden Korridor, jeden Winkel und jede Ecke. Das Türmchen, das Penny sich gerade ansah, war über eine Tür hinter den Patientenakten am Empfang zugänglich.

Lange Zeit war es Victorias Lieblingsort gewesen. Sie hatte sich hineingeschlichen, wenn niemand hinsah, und war die Spiraltreppe hinaufgeklettert. Dort oben hatte sie getanzt, geträumt oder sich Geschichten ausgedacht.

Das machte sie noch immer. Na gut, Geschichten dachte sie sich nicht mehr aus, aber ab und zu schlich sie sich noch immer davon und genoss den Ausblick über London, der ihr ganz allein gehörte.

„Wie schade, dass es geschlossen wird“, seufzte Julia.

„Das steht ja noch gar nicht fest“, erwiderte Victoria, auch wenn sie nicht überzeugt war. Der Plan, das Paddington mit dem Riverside, einem großen, modernen Krankenhaus am Stadtrand, zusammenzulegen, schien tatsächlich konkrete Formen anzunehmen.

Deswegen demonstrierten seit einigen Tagen immer wieder einige Menschen vor dem Gebäude. Still hielten sie ihre Plakate hoch, um das Krankenhaus zu retten.

Victorias Vater arbeitete mittlerweile ebenfalls im Riverside. Wenn sie sich unterhielten, ging es bei ihnen um die Arbeit. Auch die Veranstaltung gestern Abend war für ihn gewesen: Er hatte eine Auszeichnung erhalten, und in ihrem Gespräch nach der Zeremonie hatte es sich angehört, als ob der Zusammenschluss beschlossene Sache war.

Natürlich war das Grundstück, auf dem das wunderschöne alte Gebäude stand, viel wert. Letztendlich ging es doch immer ums Geld.

„Ich will nicht, dass es geschlossen wird“, sagte Penny, während sie auf die hell erleuchtete Einfahrt vor der Notaufnahme einbogen. „Hier fühle ich mich immer so sicher.“

Bei Pennys Worten spürte Victoria, wie sich in ihrem Inneren ein Knoten bildete. Auch wenn ihr Vater damals immer nur kurz bei der Arbeit vorbeischauen wollte, blieb er meist mehrere Stunden, und Victoria musste ganz allein im Paddington auf ihn warten. Doch auch sie hatte sich immer sicher gefühlt.

„Ich weiß.“ Victoria nickte Penny zu. „Aber Riverside ist ein ganz tolles Krankenhaus, und die Mitarbeiter dort sind auch sehr nett.“

„Aber es ist nicht das Gleiche.“ Penny schüttelte den Kopf, Tränen in den grauen Augen.

„Darüber musst du dir aber jetzt keine Gedanken machen.“ Victoria versuchte, sie zu beruhigen. „Und vielleicht passiert es ja auch gar nicht.“

Nur sich selbst konnte sie leider nicht beruhigen.

„Penny!“ Karen, eine Stationsschwester, erkannte das Mädchen sofort. „Du bist doch hoffentlich nicht den weiten Weg gefahren, nur um mich zu besuchen?“

„Nein.“ Penny lachte kurz auf, aber als Victoria gerade die Übergabe beginnen wollte, erhielt Karen eine Nachricht auf dem Pager. „Schon gut.“ Victoria nickte ihr zu. „Wir können warten.“

Sie standen im Flur und passten auf Penny auf. Glen sprach mit ihrer Mutter, während Victoria die erforderlichen Formulare ausfüllte.

Er war hier.

Das wusste sie.

Und obwohl sie letztes Mal so ein unangenehmes Gespräch gehabt hatten, obwohl Victoria sich gesagt hatte, dass sie hoffte, er würde nicht da sein …

Sie hatte gelogen.

Sie wollte ihn sehen.

Dominic MacBride arbeitete seit einigen Monaten im Paddington. Er kam aus Edinburgh, und dieser niederschottische Akzent ließ ihr regelmäßig einen heißen Schauer über den Rücken fahren. Oder waren es seine blauen Augen und das wirre, schwarze Haar?

Sie wusste nicht genau, warum sie Dominic so mochte. Er war unfreundlich zu den Sanitätern, und Victoria und er bekamen sich immer wieder in die Wolle.

Ständig!

Und nun kam er zu ihr herüber.

„Jetzt geht’s wieder los“, murmelte Glen. Er erinnerte sich wohl auch nur zu gut an das letzte Wortgefecht.

Victoria war sehr selbstbewusst in allem, was sie tat, und das schien Dominic ordentlich gegen den Strich zu gehen. „Werdet ihr versorgt?“, fragte er.

„Ja, danke“, antwortete Victoria. „Karen kümmert sich um uns. Sie ist gleich zurück.“

Victoria wendete sich wieder ihrem Formular zu, als Julia zu Dominic sagte: „Penny wird direkt in der Herzstation aufgenommen, aber ihre Brust soll geröntgt werden, bevor wir hochgehen.“

„Verstehe.“ Dominic nickte und stellte sich neben Victoria. Sie spürte seine Nähe und wusste, dass er ihre Aufmerksamkeit erlangen wollte, aber sie schrieb einfach weiter und ignorierte ihn.

Er hatte einen ganz unaufdringlichen Duft, Seife, Moschus und Mann, dazu Spuren der üblichen Krankenhausgerüche.

„Kann ich dich kurz sprechen?“, fragte er.

Nun sah sie auf – weit hinauf, denn er war ziemlich groß.

Er trug die dunkelblaue Krankenhauskleidung und einen Dreitagebart. Er sah aus, als hätte er sich gerade aus dem Bett gehievt oder als ob er sich unbedingt hinlegen sollte. Aber diesen Gedanken versuchte sie nicht weiterzuverfolgen.

„Klar“, sagte Victoria. Sie wollte schon patzig „Einen Moment noch“ hinzufügen, um ihren Bericht fertigzuschreiben, aber dann folgte sie ihm doch in ein kleines Nebenzimmer.

Er lehnte sich gegen ein Waschbecken, und sie stellte sich vor ihn. Nicht gerade fluchtbereit, aber doch war es so möglich, jederzeit wieder zu gehen.

„Siehst du nicht, wie viel hier los ist?“, fragte Dominic. „Wir haben keine Zeit, auch noch die Arbeit der Stationen zu übernehmen.“

„Sind nicht meine Regeln.“

„Aber du kennst die Regeln. Wenn deine Patientin direkt aufgenommen wird, kann sie auch gleich auf die Station und dort in einem gemütlichen Bett warten.“

Victoria antwortete nicht. Sie wussten beide, dass Penny ganz inoffiziell in der Reihe derjenigen, die auf das Röntgen warteten, nach vorne geschoben werden würde, damit sie so schnell wie möglich auf die Station käme.

Dieses Zimmerchen war sehr klein.

Im Gegensatz zu Dominic.

Victoria musste seinen intensiven Blick erwidern. Sie stellte sich der Herausforderung.

Er sah sie wütend an. „Ich musste gerade einem Vater erklären, dass sein Sohn drei Stunden aufs Röntgen warten muss. Deine Patientin macht das nicht besser.“

„Was soll ich deiner Meinung nach tun?“, fragte Victoria.

Sie schob ihm die Verantwortung für das Problem zu, denn auch wenn Penny auf der Herzstation ein gemütliches Bett haben würde, würde sie dort noch viel länger auf das Röntgen warten müssen. Vielleicht würde sie erst gegen Mitternacht in die Radiologie gebracht werden.

„Es reicht nicht, einfach einen Antrag auszufüllen“, sagte Dominic. „Sie sollte vorher untersucht werden. Wenn ihr etwas passiert, ohne dass vorher jemand …“

Victoria unterbrach ihn mit ruhiger Stimme. „Was soll ich also tun?“

Sie hasste Small Talk. Sie weigerte sich, Zeit zu vergeuden oder sich zu streiten.

„Da bist du ja.“ Karen kam ins Zimmer. „Die Nummer vier ist jetzt frei. Bringst du Penny hin?“

Victoria und Dominic starrten sich an.

Er musste entscheiden.

„Na gut“, sagte er schließlich. Karen nickte und ging zu Penny.

„Aber nächstes Mal …“, sagte Dominic warnend. Victoria zuckte nur mit den Schultern und drehte ihm den Rücken zu.

„Victoria!“

Sie hielt inne.

Seine Stimme klang wütend, aber nicht deswegen war sie stehen geblieben. Sie war überrascht, dass er überhaupt ihren Namen kannte.

„Zuck nicht einfach mit den Schultern, wenn wir eine Unterhaltung führen.“

„Eine sinnlose Unterhaltung“, sagte Victoria und drehte sich wieder zu ihm. „Die gleiche Unterhaltung haben wir doch schon vor drei Tagen geführt.“

Damals war er genauso übel gelaunt gewesen wie jetzt. Sie sah die Wut in seinen Augen.

„Wie ich vor drei Tagen bereits sagte“, fuhr sie fort, „mache ich das, was mir aufgetragen wird. Und mit den Konsequenzen muss ich zurechtkommen. Ich bekomme deine Wut ab, wenn ich die Patienten hierherbringe, und ich bekomme die Wut der Stationsmitarbeiter ab, wenn die Patienten ohne Röntgenbilder dort ankommen.“

Sie wollte sich gerade wieder umdrehen, aber entschied sich noch einmal anders. „Manchmal ist es nicht so schlimm, weil die Leute verstehen, dass ich nur meine Arbeit mache. Im Paddington ist das üblicherweise der Fall, aber das hängt wohl auch davon ab, wer gerade Dienst hat. Dann muss ich eben wieder andere Anweisungen befolgen …“ Und dann übertrat sie eine Grenze. Sie wurde persönlich. „Dein Elend ist echt ansteckend.“

Dominic sah ihr nach. Als sie das Zimmer verließ, seufzte er tief.

Sie hatten beide recht. Es gab zu viel zu tun. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin kämpfte für die Patienten, die man ihnen anvertraut hatte. Aber sie hatte ihn erwischt. Nicht nur mit ihrem letzten Kommentar, sondern auch mit dem Hinweis, dass sie die gleiche Unterhaltung erst kürzlich geführt hatten. Es war eine schwierige Zeit für Dominic, und er wusste, dass er auch vor drei Tagen nicht besonders fröhlich gewirkt haben konnte.

Natürlich wusste er, woran das lag.

Dominic war immer ernst und auch ein bisschen reserviert, aber er fand es selbst schrecklich, dass er sich in letzter Zeit richtiggehend elend fühlte. Victoria hatte recht.

Allerdings achtete er darauf, dass seine Patienten davon nichts mitbekamen. Wenn er mit ihnen zu tun hatte, schob er seinen eigenen Kummer immer so weit weg wie möglich.

Von draußen hörte er ein Lachen.

Victorias Lachen.

Er trat in den Flur und sah, wie sie mit ihrem Kollegen die Trage zusammenklappte.

„Victoria.“

Sie drehte sich zu ihm. „Ja?“

„Auf ein Wort?“

Sie verdrehte die Augen, aber kam zu ihm. „Willst du das wirklich noch einmal durchkauen?“

„Nein, ich möchte mich entschuldigen.“

„Schon gut.“

Sie brauchte keine Entschuldigung. In Victorias Beruf war ein kleines Wortgefecht mit einem Arzt keinen weiteren Gedanken wert, und das sollte auch so bleiben. Aber er meinte es offensichtlich ernst und bot ihr sogar eine Erklärung. „Heute ist ein schlimmer Tag.“

Mehr kam nicht, aber sie wusste, dass er die Wahrheit sagte.

„Hoffentlich wird er noch besser“, entgegnete sie.

„Wohl kaum.“

Sie lächelte ihn an. Und einfach so war der schlimme Tag doch noch ein kleines bisschen besser geworden.

Victoria war faszinierend.

Sie trug eine grüne Uniform und schwere, schwarze Stiefel. Niemand sollte in solchen Klamotten gut aussehen, aber sie tat es. Sie trug ihre Haare zusammengebunden. Nur einige Locken fielen ihr ins Gesicht. Sie sah ihn mit haselnussbraunen Augen an.

Ja, sie war faszinierend.

Das ärgerte ihn. Dominic wollte sich nicht faszinieren lassen.

Sein Privatleben war ein einziges Chaos, und außerdem war Victoria gar nicht sein Typ.

Sie war sehr direkt, und er mochte es eher subtil. Er mochte Frauen, die … nun ja, die ein wenig im Hintergrund blieben und nicht so viel Platz benötigten.

Victoria hatte in letzter Zeit zu viele seiner Gedanken beansprucht.

„Mir tut’s auch leid“, sagte sie. „Dass ich gesagt hab, du siehst elend aus. Ich meinte …“ Sie konnte es sich nicht verkneifen, einen Scherz mit ihm zu treiben. „Ich meinte, du siehst griesgrämig aus.“

Er lächelte über ihren Witz. Es war nicht das Lächeln, das seine Patienten zu sehen bekamen, denn die liefen nicht plötzlich rot an. Dieses Lächeln schien speziell für sie gemacht, und er beobachtete sie weiter, als sie ihre ehrliche Entschuldigung zu Ende brachte. „Ich bin zu weit gegangen.“

„Schon in Ordnung.“

Und plötzlich hätte es ihm nicht weit genug gehen können.

Doch er würde garantiert nichts unternehmen. Er hatte noch viel zu viel zu erledigen, bevor er an so etwas überhaupt denken konnte. Allerdings …

„Ich würde ja vorschlagen, dass ich mich mit einem Drink richtig bei dir entschuldige, aber mit meiner derzeitigen Laune möchte ich mich wirklich niemandem aufzwingen.“

Sie musste lächeln. Sein Akzent war ganz leicht, aber sehr ansprechend. Außerdem würde er sich wirklich nicht aufzwingen müssen. Er war sexy, männlich und umwerfend. Sie fühlte sich wahnsinnig von ihm angezogen, obwohl er so anders war als die Männer, die ihr üblicherweise gefielen. Nicht dass ihr viele Männer gefielen …

Victoria schätzte, dass er Ende dreißig war. Sie war neunundzwanzig, aber wenn sie neben ihm stand, fühlte sie sich wie ein Teenager. Immer noch hatte sie das Gefühl, erröten zu müssen, aber sie weigerte sich. Das würde nicht geschehen.

Sie blickten sich in die Augen.

„Schon gut“, wiederholte sie. Das Funkgerät an ihrer Schulter fing an zu krächzen. „Victoria!“, rief Glen, doch er hielt inne. Er musste wohl die Spannung im Raum spüren. Dass es sexuelle Spannung war, schien er zum Glück nicht zu merken. „Alles in Ordnung?“, fragte er.

„Alles gut“, erwiderte Dominic und verschwand.

Und nun war auch alles wieder gut – sobald er sie nicht mehr in seinem Blickfeld hatte. Fast hatte Dominic sie gefragt, ob sie mit ihm ausgehen würde. Jetzt wollte er einfach nur noch wegrennen.

So einfach war das.

Er wollte keine Nähe.

Aber das bedeutete nicht, dass er kein Verlangen nach ihr hatte.

2. KAPITEL

Dominic nahm sich die Akte, um seine neue Patientin kennenzulernen, bevor er sie zum Röntgen schickte. Er war Unfallchirurg und deshalb häufig in der Notaufnahme, auch um Kollegen zu vertreten.

„Hallo, Penelope“, sagte er, als er die Kabine betrat, in der das kleine Mädchen lag. „Ich bin Dominic.“

„Penny“, korrigierte sie ihn selbstbewusst. „Bist du neu?“

„Ich bin schon seit fast sechs Monaten hier.“

„Penny war schon seit Ewigkeiten nicht mehr in der Notaufnahme“, sagte Julia. „In letzter Zeit ging es ihr gut.“

„Das freut mich zu hören.“

Die Patientenakte war so dick, dass er bis Mitternacht darin lesen könnte, aber er hatte sich die aktuellen Vitalwerte angesehen, und Julia brachte ihn auf den neuesten Stand, was die Krankheit ihrer Tochter anging.

Penny hatte das hypoplastische Linksherz-Syndrom oder HLHS, eine seltene, angeborene Krankheit. Schon als Baby war sie operiert worden, und ihr restliches Leben war sie entweder ambulant oder stationär immer wieder ins Paddington zurückgekehrt. Einige Male hatte sie Infektionen gehabt, und das war auch jetzt die Befürchtung. Es fiel ihr schwer, sich vorzubeugen, und die geringe Anstrengung raubte ihr bereits den Atem. Außerdem waren ihre Lippen bläulich.

Natürlich war, wie Victoria gewusst haben musste, nicht nur ein Röntgenbild des Brustraums notwendig. Dominic nahm Penny Blut ab, um später Vergleichswerte zu haben. Wenn Penny in die Radiologie musste, würde sie von einer Krankenschwester begleitet werden müssen, aber es ging Dominic nicht darum, Personal zu sparen, als er sich für eines der mobilen Röntgengeräte entschied. Penny sah wirklich nicht gut aus.

Also piepte er den diensthabenden Kardiologen an, damit er sich Penny hier unten anschauen würde. Er sprach mit einem Vertretungsarzt.

Schon wieder.

Seitdem die Gerüchte umgingen, dass das Paddington geschlossen werden würde, hatten sich viele der regulären Mitarbeiter nach einem anderen Job umgesehen, und es war schwierig, neue Leute zu finden, wenn niemand wusste, ob es das Krankenhaus nächstes Jahr überhaupt noch geben wurde.

Dominic ging zurück zu Penny, um die Patientin und ihre Mutter über seinen neuen Plan zu informieren.

„Sehen Sie mal, was Penny gerade gefunden hat“, sagte Julia. Penny hielt einen Ohrring hoch.

Dominic wusste genau, wem er gehörte. Ihm war sofort aufgefallen, dass Victoria ganz anders als sonst Ohrringe getragen hatte.

Ihm war schon viel zu viel an Victoria aufgefallen.

Selbst ihre Ohrringe gefielen ihm. Es waren große Diamanten, und während ihrer Unterhaltung hatte er sich davon abhalten müssen, sich Victoria in Abendgarderobe vorzustellen.

„Das ist Victorias Ohrring“, sagte Penny zu Karen, als sie zu ihnen trat.

„Da ist er ja.“ Sie lächelte. „Victoria hat gerade angerufen. Da hast du mir ja Arbeit erspart, Penny. Gut gemacht. Ich lege ihn gleich in den Safe. Ach, Dominic, ein Anruf für dich.“

„Sie sollen eine Nachricht hinterlassen.“

„Es ist dein Vater“, erwiderte Karen. „Und er sagt, es ist wichtig.“

„Danke.“

Dominic ließ sein Handy mit Absicht zu Dienstbeginn im Spind zurück. Er wollte Privat- und Berufsleben keinesfalls vermischen. Aber das musste nun wohl sein. Diesen Anruf hatte er schon vor drei Tagen erwartet. Er war der Grund dafür, dass er so schlechte Laune hatte.

Der Telefonhörer lag auf dem Tisch, und Dominic zögerte. Er atmete aus, um sich zu beruhigen. Er hatte Monate gehabt, um sich auf diesen Moment vorzubereiten, und versucht, die Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Doch nun, da er den Hörer anhob, wusste er immer noch nicht, was er sagen würde.

„Hallo?“ Er klang so kurz angebunden, wie er es auch Victoria gegenüber versucht hatte.

„Dominic …“ William MacBride räusperte sich. „Ich rufe an, um dir zu sagen, dass du vor einer Stunde Onkel geworden bist.“

Und obwohl das Baby sogar drei Tage zu spät gekommen war, wusste Dominic keine Antwort.

„Dominic?“

„Geht es ihnen gut?“

„Ja, es geht beiden gut.“

Nun sollte Dominic wohl fragen, ob Lorna und Jamie ein Mädchen oder einen Jungen bekommen hatten – und er eine Nichte oder einen Neffen.

Er sah sich um. In der geschäftigen Notaufnahme des Kinderkrankenhauses war er von Kindern umgeben. Da war Penny, die gerade zu dem mobilen Röntgengerät gerollt wurde, und im Hintergrund hörte er ein Baby weinen. Jeden Tag versuchte Dominic, das Leben all dieser kleinen Menschen zu retten, sodass er selbstverständlich erleichtert sein sollte, dass es Mutter und Kind gut ging.

Autor

Carol Marinelli
<p>Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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