Perle der Karibik

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Faith hat auf St. Kitts einen ungewöhnlichen Job übernommen: Sie soll Lady Sunny vor Männern schützen, die es auf ihr Vermögen abgesehen haben. Schwer wird Faiths Aufgabe, als sie sich in Harry verliebt, der offensichtlich nur eins will: Geld von der alten Dame, um ein Hotel zu bauen!


  • Erscheinungstag 25.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756697
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Es ist vor allem der seltsame Name, der mich interessiert und neugierig macht.“ Faith Latimore musterte Eli Whitmores schmales Gesicht. „Lady Sunny, nicht wahr?“

„Eigentlich Lady Griselda“, erklärte der alte Rechtsanwalt. „Als sie zwischen den beiden Weltkriegen offiziell in die Gesellschaft eingeführt wurde, nannte man sie wegen ihres sonnigen Gemüts Lady Sunny, und dieser Name blieb an ihr hängen.“

„Was genau wäre mein Job?“

„Zunächst einmal zu ihr in die Villa auf Saint Kitts, der karibischen Insel, zu fahren.“

„Und weiter?“

„Nun, meine Liebe, Lady Sunny hält sich noch immer für jung. Sie ist mit tausend Dingen beschäftigt und braucht jemanden, eine Gesellschafterin oder so, die ihr gewissermaßen als Laufbursche oder Mädchen für alles dient.“

„Gibt es denn niemanden auf Saint Kitts, der …“

„Ich muss wohl ein wenig deutlicher werden, Miss Latimore. In den vergangenen sechs Jahren haben wir insgesamt fünf Gesellschafterinnen hingeschickt, und alle sind bald vor dem Traualtar gelandet. Aber Sie deuteten in Ihrem Bewerbungsschreiben an, dass Ihnen an einer Ehe absolut nichts liegt. So ist es doch, nicht wahr?“

Faith atmete tief durch. Noch jetzt schauderte es sie, wenn sie an früher dachte. Zum Beispiel an Elison Fane damals in Massachusetts. Der hatte sich vor allem für ihre Stellung in der Firma Latimore interessiert, dem drittgrößten Bauunternehmen der Vereinigten Staaten. Er hatte es geschafft, dieses Interesse bis drei Tage vor der geplanten Hochzeit mit ihr zu verbergen. Faith hatte sich seinetwegen nach England geflüchtet. Dort lernte sie Harry Watson kennen, ein entzückend rauer, aber herzlicher Yorkshireman, der eine Frau suchte, um die Nachfolge und damit das Erbe zu sichern. Er hatte Faith umworben, bis sie herausfand, dass er Alkoholiker war.

Was Männer betrifft, so habe ich keine gute Menschenkenntnis, dachte sie und sagte energisch zu Eli Whitmore: „Nein, an einer Ehe bin ich wirklich nicht interessiert.“

„Das hilft uns ein gutes Stück weiter“, bemerkte der Rechtsanwalt. „Also, jetzt erkläre ich Ihnen, was Sie tun müssen.“

Bald danach saß Faith in einem gecharterten Jet, zusammen mit einigen wenigen Kleidungsstücken, dem Zeugnis über ihr juristisches Abschlussexamen und über ihren Doktor der Philosophie. Tausend Fragen schwirrten ihr noch immer im Kopf herum, Fragen, die ihr bisher niemand beantwortet hatte. Aber sie fand im Flugzeug eine Mappe mit allen möglichen Informationen vor, die sie eifrig studierte. Als sie schließlich auf dem Golden-Rock-Airport gelandet war und bald darauf die luxuriöse, riesige Villa erreichte, in der sie ihre neue Stellung antreten sollte, glaubte sie, einiges zu wissen. Aber vielleicht entsprach nicht alles der Wahrheit, was darin gestanden hatte.

Die sehr moderne Villa lag wie ein reichlich verunglückter Architektenentwurf auf dem Old Stone Fort Hill da. Sie wurde „Rose Cottage“ genannt – ein genauso absurder Name für dieses Monstrum wie die „Cottages“ mit ihren fünfzig Zimmern in Newport auf Rhode Island, die Faith kannte.

Zu ihrem Erstaunen wurde Faith nicht von Lady Griselda, sondern nur von dem Butler Napoleon begrüßt. Er wies sie auch in ihre Pflichten als Hausdame ein, worüber sie sich wunderte. Sie machte eine Bemerkung über das Missverhältnis zwischen dem Namen der Villa und ihrer Größe.

„Sicherlich hat die Villa doch mehr als vierzig Zimmer“, sagte sie lächelnd.

„Genaugenommen sind es sechsundfünfzig Zimmer“, berichtigte sie der Butler.

Fünf Tage vergingen, und noch immer hatte Faith die Hausherrin nicht kennen gelernt. Da es sie beunruhigte und sie auch Entscheidungen zu treffen hatte, was die Organisation des Haushalts betraf, wandte sie sich schließlich an Napoleon. Wie sie von ihm erfahren hatte, stammte er von Montserrat, einer Insel der kleinen Antillen, und sprach den dortigen weichen Akzent.

„Hören Sie, ich muss unbedingt Lady Sunny sprechen“, erklärte sie entschieden. „Das können Sie sicherlich begreifen, denn es stehen einige Entscheidungen an.“

„Aber Sie sind ja erst fünf Tage hier“, erwiderte Napoleon würdevoll. „Nach der hiesigen Zeitrechnung also kaum eine Minute. Lady Sunny würde Ihr Ansinnen für zu hastig und überstürzt halten.“

„Nun, überstürzt oder nicht, ich bestehe darauf, von Lady Sunny empfangen zu werden, und zwar unverzüglich. Wo ist sie?“

Mit einer vagen Handbewegung deutete der Butler auf die breite Veranda, die die ganze Villa umgab. „Dort auf der Veranda, Domina. Aber an Ihrer Stelle würde ich es nicht versuchen“, warnte er.

Da kannte er Faith Latimore schlecht! Sie würde es tun. „Da ist übrigens noch etwas, Napoleon“, sagte sie energisch. „Domina. Ich bin keine königliche Herrscherin und möchte Schlicht und einfach Faith genannt werden.“

Ein wenig erstaunt schaute der Butler sie an. „Aber Sie sind doch für die meisten Angelegenheiten dieses Hauses zuständig und herrschen hier sozusagen. Doch wir könnten uns auf einen Kompromiss einigen. Alle übrigen Dienstboten werden Sie Miss Faith nennen, ja?“

„Nur Faith“, verbesserte sie ihn.

„Miss Faith“, beharrte er und fügte hinzu: „Selbstverständlich bleibe ich bei der Anrede Domina, wenn Sie gestatten.“

Faith gab es auf, ihn umzustimmen, und machte sich auf die Suche nach Lady Sunny. Sie durchquerte eine ganze Anzahl von Räumen, bis sie schließlich wieder auf der anderen Seite des ausgedehnten Hauses ins Freie trat und von einer wohl tuenden tropischen Brise begrüßt wurde.

Die riesige Veranda aus hellem Holz, die weit über den Rand der Klippe hinaushing, war fast leer. In einer Ecke stand ein lächelndes Hausmädchen, und in der Mitte spielten sechs übermütige Kätzchen um ein großes rundes Polsterkissen. Auf dem Rundpolster saß eine winzige, rundliche weißhaarige Dame, die Faith an ein Gemälde von Königin Victoria im späten Alter erinnerte. Das Gesicht der weißhaarigen kleinen Frau, die mit den Kätzchen spielte, zeigte ein heiteres, vergnügtes Lächeln. Als Faith näher kam und sich räusperte, blickte die alte Dame auf.

„Ach ja, ich habe Sie erwartet. Natürlich nicht unbedingt schon heute, Domina“, sagte sie und lachte leise auf.

Das also ist Lady Sunny, dachte Faith.

Einladend klopfte die zierliche Frau, die ein bodenlanges schwarzes Kleid und eine kostbare Perlenkette trug, neben sich auf das Rundpolster. „Meine Güte, was sind Sie groß“, bemerkte sie.

„Fast einen Meter achtundsiebzig“, erwiderte Faith. „Mein Vater ist ein sehr großer Mann. Allerdings ist meine Mutter recht klein.“

„Meine auch“, erwidert Lady Sunny mit einem Lächeln. „Aber wir Kinder sind alle winzig gewesen. Wir waren sieben Mädchen, wissen Sie.“ Sie nickte, als wäre es eine allseits bekannte Tatsache. „Sieben Töchter, was meinen Vater ein bisschen enttäuschte. Nach seinem Tod konnte nämlich nur ein männlicher Nachkomme seinen Titel erben, müssen Sie wissen. Mit seinem Tod ging dieser Titel unserer engeren Familie leider verloren. Irgendein entfernter kanadischer Verwandter hat ihn dann geerbt, wenn ich mich recht erinnere. Doch Vater hat uns trotz seiner Enttäuschung immer voller Liebe behandelt und sich darum bemüht, uns gut zu verheiraten. Ja, er war wirklich ein großartiger Vater. Und Ihrer?“

„Er ist ein feiner Mann. Aber um ehrlich zu sein, es ist Mutter, die in unserer Familie das Zepter schwingt.“

„Wie ungewöhnlich“, murmelte die alte Dame nachdenklich vor sich hin. „In unserer Familie war es Vater, der den Ton angab, so war es in unseren Kreisen damals üblich. Und dann Dicky … mein Mann …“

„Dicky?“ Faith hockte sich vor der alten Dame auf den Fußboden. „Stammte Ihr Gatte auch aus dem Adel?“

Lady Sunny kicherte. „Oh nein, viel, viel besser. Dicky machte Schuhe. Er baute Schuhfabriken überall in der Welt. Schauen Sie mal her.“ Sie zeigte auf ihre hellblauen, mit Strass besetzten Slipper. „Die sind aus einer Fabrik in Singapur… oder Hongkong oder Luanda, ich weiß es nicht so genau.“ Sie zuckte mit den Schultern, und dabei erzitterte ihr ganzer rundlicher Körper. „Es ist nicht wichtig. Meine Lieblingsfarbe. Sie haben wunderschönes Haar“, wechselte sie dann abrupt das Thema.

„Ich …“ Etwas durcheinander wegen des plötzlichen Themenwechsels, griff Faith nach ihrem Notizbuch. „Ich möchte gern einige wichtige Dinge mit Ihnen …“ fing sie an. Doch die alte Dame hob abwehrend die Hand.

„Für ein Mädchen gibt es nichts Wichtigeres, als zu heiraten“, hob sie hervor. „Das sagte Dicky auch immer, und er hatte jedes Mal recht.“ Sie musterte Faith kritisch von oben bis unten. „Sie sollten übrigens keine Hosen, sondern Kleider tragen. Hosen sind ja ganz nett, aber… nun, irgendwie verführerisch.“

Ach, du meine Güte, heiraten und Kinder kriegen! dachte Faith grimmig und ging ihrerseits zum Angriff über. „Da ist etwas, das mir nicht gefällt, Mylady. Dieses Domina. Ich ziehe es vor, Faith genannt zu werden.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Lady Sunny kicherte. „Aber bei uns hier wird kaum etwas geändert. Allerdings, wenn Sie wünschen, dass die einfacheren Dienstboten Sie mit Miss Faith anreden … Was für herrliches Haar. Dicky wäre begeistert gewesen. Ach ja, der liebe Dicky. Wie sehr er mir fehlt! Ändere hier nichts, bat er mich auf seinem Sterbebett, Und ich habe mich stets danach gerichtet und nie etwas geändert.“

„Ja, verstehe.“ Faith atmete tief durch und warf einen Blick auf ihr Notizbuch. „Es gibt da noch einige Probleme, über die ich gern mit Ihnen sprechen würde“, begann sie.

„Das glaube ich gern.“ Wieder hob Lady Sunny abwehrend die Hand. „Ich bin aber überzeugt, dass Sie alle anstehenden Probleme bestens lösen werden. Im Leben hat jeder Mensch seine Aufgaben. Ihre ist es, Probleme zu lösen. Mögen Sie blonde Männer?“

In diesem Moment verkündete das Hausmädchen: „Zeit für Ihre Pillen, Mylady.“ Gehorsam glitt Lady Sunny vom Rundpolster und war verschwunden, bevor Faith Latimore auch nur ein weiteres Wort herausbringen konnte.

Mach den Mund zu, sonst wirst du gleich ein paar Fliegen verschlucken, dachte Faith bei sich. Ein Mann näherte sich, um die Kätzchen einzusammeln. Neugierig betrachtete er Faith, die hinüber ans Geländer der Veranda trat, ehe er wieder mit den Kätzchen auf dem Arm verschwand. Tief unten in der Ebene lag die Stadt Basseterre. Ein Dienstmädchen rannte heran und rief: „Miss Faith! Am Schiff ist ein Mann!“

„Ach ja?“

Das Mädchen nickte heftig, wirbelte herum und rannte zurück.

„Du meine Güte, noch nie habe ich flinkere Hausangestellte erlebt als hier“, murmelte Faith vor sich hin. Sie beschleunigte ebenfalls ihre Schritte und fand gleich darauf die Rampe, die hinunter ans Meer führte.

In der ganzen Villa gab es keine Treppen oder Stufen, sondern überall nur Rampen, wie man sie für Rollstühle brauchte. Faith schüttelte verwundert den Kopf. Rampen! Sechsundfünfzig Zimmer! Und sämtliche Bediensteten sprachen mit irischem Akzent. Hier ging es wirklich seltsam zu. Aber das Dienstmädchen hatte recht. Da war tatsächlich ein Mann. Ein großer, muskulöser Mann, der nur graue, mitgenommen aussehende Shorts trug. „Männer!“ So lautete die Überschrift des ersten Teils des Heftes, das Faith an Bord des Flugzeugs erhalten hatte. Offensichtlich hatte Lady Sunny Probleme mit Männern.

Er hatte sonnengebleichtes blondes Haar, blitzendweiße Zähne und war glatt rasiert. Mit einem breiten Lächeln verbeugte er sich übertrieben vor Faith, als sie ihn erreichte und stehen blieb.

„Sie können wohl kaum Lady Sunny sein – oder irre ich mich?“, fragte er mit tiefer, samtiger Stimme.

„Nein, Sie irren sich in keinster Weise“, gab Faith kühl zurück. „Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

„Nun, ich bin … ein Amerikaner.“ Er kam näher und baute sich mit gespreizten Beinen vor ihr auf, die Hände in die Hüften gestemmt. Grüne Augen, stellte sie fest. Grüne Augen, die merkwürdig glitzerten.

„Hatten Sie etwas mit dem Boot vor?“, wollte sie vorsichtig wissen?

Es war das erste Mal, dass Faith hier unten bei den Schiffsanlegern war. Er deutete vage hinter sich. „Ein Schiff“, sagte er. „Kein Boot. Dieses verdammte Ding ist ein Patrouillenschiff aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich wusste nicht, dass die Lady ihre eigene Kriegsmarine hat.“

Faith schaute sich das beeindruckende Schiff genauer an. Es ragte drohend vor ihr auf und erschien ihr riesengroß. Es kam ihr wie ein graues, unförmiges Gespenst vor, und sie schluckte, bevor sie energisch fragte: „Und was haben Sie denn damit zu tun?“

„Ich glaube, das bespreche ich am besten mit Lady Sunny persönlich“, erwiderte der Mann ebenso energisch.

Seine grünen Augen funkelten sie herausfordernd an. Dachte er vielleicht: Ich habe ein wichtiges Problem, über das ich keinesfalls mit einem Dienstboten reden werde? Okay, jetzt sollte er etwas von ihr zu hören bekommen!

„Darauf werden Sie lange warten müssen“, gab sie scharf zurück. „Mylady empfängt keine Unbekannten, die zufällig hier auftauchen. Wenn Sie schriftlich darlegen, worum es sich handelt, wird jemand Ihr Anliegen überprüfen, Mr. …“

„Holson“, stellte er sich vor. „Harry Holson. Und wer wird mein Anliegen überprüfen, Miss …“

„Latimore“, sagte sie und übersah geflissentlich seine ausgestreckte Hand. „Faith Latimore.“

„Latimore? Ein berühmter Name im Baugewerbe.“

„Aber durchaus nicht ungewöhnlich. Wir Latimores sind eine große Familie in den USA.“

„Sie brauchen Ihre Schutztruppe wirklich nicht herzuholen“, schnappte er, drehte sich auf dem Absatz um und ging davon. Und zwar in Richtung des Wegs, der um das Haus herumführte.

Faith drehte sich überrascht um, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Vor ihr stand stumm, aber sehr wachsam einer der kräftigen Männer, die das Hafengelände bewachten, wie sie wusste.

„O’Malley“, nannte der Mann ihr seinen Namen und zeigte auf Harry Holson, der sich bereits auf dem Weg zur Küstenstraße, die am Südrand der Insel verlief, befand. „Das ist der Mann, der das neue Hotel baut, Domina. Ein sehr wichtiger Mann in der Stadt. Komisch, gelegentlich kommt ein älterer Mann, der genauso heißt, zu Lady Sunny auf Besuch. Meinen Sie, dass die beiden Männer miteinander verwandt sind?“

Faith zuckte die Schultern und dachte: Woher soll ich das wissen. Also gibt es noch ein Rätsel zu lösen. Vielleicht war es nicht sehr klug von ihr gewesen, Holson einfach weggehen zu lassen.

„Will er etwa den ganzen Weg nach Basseterre zu Fuß zurückgehen?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn. „Mr. Holson!“, rief sie ihm dann hinterher.

Er blieb stehen und drehte sich um. Sie winkte ihm zu. „Ja? Sie haben gerufen?“

„Sie wollen doch wohl nicht zu Fuß zurück in die Stadt, oder?“

„Ach, das sind ja nicht allzu viele Kilometer. Außerdem, was bliebe mir denn sonst übrig?“

„Sie könnten…“ Faith hielt einen Moment inne und überlegte rasch. Schließlich war nicht sie die Hausherrin. Doch dann fügte sie hinzu: „Sie könnten bei uns essen, und anschließend würde Sie der Chauffeur zurückfahren.“

„Das ist das beste Angebot der ganzen Woche.“ Holson lächelte wieder dieses etwas schiefe Lächeln. Wie ein Betrüger oder Hochstapler, fand Faith, aber sie störte sich nicht daran. Womöglich würde er ihr, wenn sie ihn nett behandelte, einige ihrer Fragen beantworten, die ihr auf der Seele brannten. Faith wartete, bis Holson wieder bei ihnen war. „Kommen Sie bitte hier die Rampe herauf“, bat sie ihn dann höflich. Der wachsame Aufpasser folgte den beiden in einiger Entfernung.

„Ist das wirklich ein Kriegsschiff?“, erkundigte sich Faith unterwegs und sah Holson von der Seite her neugierig an.

„Das ist es eindeutig. Und es besitzt immer noch einiges an Bewaffnung“, erwiderte Holson. „Aber warum fragen Sie nicht Ihren Leibwächter?“

Sie schaute nach hinten. „Wieso liegt ausgerechnet ein Kriegsschiff hier, O’Malley?“

Der Mann grinste mit blitzenden Zähnen. „Mr. Dicky hatte sich immer gewünscht, Admiral oder so etwas zu werden. Doch er bestand den Sehtest nicht. Darum kaufte er später, nach dem großen Krieg, der Navy dieses Schiff ab und heuerte die Besatzung an.“ O’Malley machte eine Pause und schien zu überlegen, ob er das Geheimnis verraten dürfe. „Aber sowohl er wie auch Lady Sunny wurden bereits auf der ersten Fahrt seekrank, wissen Sie. Also bauten sie diesen Anlegeplatz, vertäuten das Schiff und benutzten es für Partys und so etwas. Und dann bekam der Kapitän Heimweh und ging fort. Der Obermaat hat geheiratet, und allmählich verließen alle, bis auf mich, das Schiff. So bin ich jetzt der einzige Seemann an Bord.“

„Sie können natürlich ein Schiff steuern, nicht wahr?“

„Ich – Verzeihung, Domina, aber ich bin nur der Putzer. Ich habe jeden Tag die Maschinen gereinigt und die Geländer poliert. Mr. Dicky, der vor einigen Jahren starb, sagte zu Lady Sunny, dass nichts geändert werden solle. Also putze ich auch weiterhin die Maschinen und poliere die Geländer. Jeden Tag, außer Samstag und Sonntag natürlich.“

„Aha. Ich verstehe“, erwiderte Faith, die absolut nichts verstand. Weil ihr plötzlich ein wenig schwindlig wurde, hielt sie sich an Holsons Arm fest und stieg weiter nach oben.

Auf halbem Weg fragte Holson: „Gibt es denn hier keinen Fahrstuhl?“

„Nein.“ Sie seufzte. „Lady Sunny geht nirgendwohin, und ihr verstorbener Mann sagte …“

„Ich weiß. Ändere nie etwas.“ Seine Stimme klang spöttisch.

Faith hielt an und funkelte ihn finster an. „Unterlassen Sie Ihre spöttischen Bemerkungen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie weder über Lady Sunny noch ihren Lebensstil lachen würden.“

„Sie sehen direkt gefährlich aus, wenn Sie so finster dreinschauen.“ Er legte ihr den Finger unters Kinn und drückte es sanft hoch, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. „Geht Lady Sunny tatsächlich nie aus?“

„Das ist eine der tausend Fragen, auf die ich keine Antwort weiß“, sagte Faith und seufzte. „Irgendwie komme ich mir hier so … so unzulänglich vor.“

„Stellen Sie mir einfach eine Frage. Vielleicht kann ich sie Ihnen beantworten.“

Und warum nicht? dachte sie. Er ist ein Fremder, und sicherlich werde ich ihm nicht mit einer einzigen Frage verraten, wie dumm ich mich hier fühle. Sie überlegte nur ganz kurz. „Also gut“, fing sie an. „Warum sprechen alle Bediensteten mit einem irischen Akzent?“

„Das ist eine leichte Frage. Das gesamte Personal stammt von der Insel Montserrat. Mitte des siebzehnten Jahrhunderts befahl der englische Staatsmann Cromwell, in Nordirland schottische Presbyterianer anzusiedeln. Die aufsässigsten der einheimischen Iren verbannte er auf Inseln wie Montserrat. Dort spricht man noch heute mit dem breiten Akzent, und die irische Harfe ist sogar in die Fahne der Insel eingefügt.“

Faith suchte nach den richtigen Worten, fand jedoch keine passenden. Darum sagte sie nur: „Du meine Güte!“

Inzwischen waren sie an der Veranda angelangt, und Holson wandte sich an das Hausmädchen, das wartend an der Rampe stand: „Einen Brunch, bitte.“ Dann wandte er sich wieder Faith zu.

Faith vernahm Geräusche hinter sich, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass O’Malley sofort herbeieilte und dem Hausmädchen half, einen kleinen runden Tisch vor dem Geländer aufzustellen.

„Sie scheinen die Angestellten recht gut zu kennen“, bemerkte Faith erstaunt. „Waren Sie früher schon hier?“

„Ein-, zweimal“, antwortete Holson und rückte ihr höflich den Stuhl zurecht. „Als wir mit unserem Bauprojekt in Frigate Bay begannen, führte mich der Besitzer unserer Firma bei den hiesigen Größen der Gesellschaft ein. Es ist für den örtlichen Manager immer recht nützlich, die richtigen Leute zu kennen.“

„Was Sie nicht sagen …“, brummelte Faith misstrauisch vor sich hin. „Heißt der Besitzer Ihrer Firma zufällig ebenfalls Holson?“

„Genau.“

„Ein kräftiger, hoch gewachsener Mann?“

„Sind Sie etwa mit meinem Vater bekannt?“, fragte Harry Holson neugierig.

„In gewisser Weise“, gab sie zu. „Wir Latimores leben über die halbe Welt verbreitet. Aber eines verstehe ich nicht. Obwohl Sie Lady Sunny gut kennen, wissen Sie nicht…“

Er unterbrach Faith. „Nein, so ist es nicht. Wir sind etwa zwei Mal hier gewesen. Aber Lady Sunny war zu der Zeit stark erkältet, und darum empfing uns Miss Pearl, die … Wie nannte man sie eigentlich?“

„Bestimmt Domina, denn es war wohl die Hausdame. Was ist aus ihr geworden?“

„Sie hat, wie alle anderen, geheiratet. Ich glaube, in den letzten Jahren gab es drei oder vier Hausdamen. Lady Sunny hält sehr viel von der Ehe. Wussten Sie das denn nicht?“

Ehe! Faith wurde misstrauisch! Heirat! Warum war sie wohl von daheim fortgegangen? Um ihren Schwestern und deren Drängen, endlich zu heiraten, zu entkommen! Übrigens auch ihrer Mutter. Die zwar nicht drängte, jedoch ab und zu betont ein Wort über das Heiraten fallen ließ. Und wer hatte sie auf den Londoner Rechtsanwalt aufmerksam gemacht? Das war ihr Vater gewesen, der große, liebenswerte Bruce Latimore. Ach ja, der liebe alte Dad! Jetzt wurde ihr einiges klar.

„Verdammt“, murmelte sie vor sich hin.

Das Dienstmädchen, das gerade servierte, trat erschrocken einen Schritt vom Tisch zurück und fragte besorgt: „Möchten Sie heute keinen Toast, keine Eier?“

Faith riss sich zusammen. „Oh ja, sehr gern möchte ich welche. Und was ist mit Ihnen, Mr. Holson?“, wandte sie sich an den Gast.

„Steaks und Eier“, bestellte er. „Und nennen Sie mich bitte Harry. Das tun all meine Freunde.“ Er griff nach seiner Gabel.

„Wie schön für Sie, Mr. Holson“, gab sie betont zurück.

Er warf ihr einen kurzen Blick zu, aber als sie nichts weiter sagte, zuckte er nur mit den Achseln und begann zu essen.

Faith beobachtete ihn verstohlen, wobei sie sich daran erinnerte, was ihre Mutter einst gesagt hatte: Du erfährst mehr über einen Mann, wenn du ihn beim Essen beobachtest, als wenn du dich stundenlang mit ihm unterhältst. Vielleicht hatte ihre Mutter ja recht. Sie war nämlich eine kluge Frau, die liebe Mary Kate.

„Sind Sie schon länger auf Saint Kitts, Mr. Holson?“

Er seufzte und legte seine Gabel beiseite. Fehler Nummer eins, dachte Faith. Er ist ein Mann, der gern zuerst isst und dann redet. Falls er überhaupt Lust zum Reden hat.

„Etwa ein Jahr“, erwiderte er zwischen zwei Bissen.

„Und davor?“

„Texas“, lautete die knappe Antwort. Der Blick, mit dem er sie ansah, drückte deutlich aus, dass sie den Mund halten sollte. Anscheinend redete er wirklich nicht gern beim Essen. Sie musterte ihn unauffällig. Glatte Haut, gut rasiert, das Haar ordentlich geschnitten. Muskeln, zu ausgeprägt für jemanden, der seine Zeit nur im Büro verbringt. Aber dann unterbrach er ihre Musterung.

„Normalerweise komme ich zum Essen nicht in diesem Aufzug. Es ist nur so, dass ich heute meinen freien Tag habe …“ Er steckte den letzten Bissen in den Mund und trank seinen Kaffee aus.

Faith knüpfte an seine Antwort an. Ihre Neugier war erwacht, und sie wollte mehr über ihn wissen.

„Texas? Ich habe eine Schwester, die in Texas lebt“, erklärte sie ihm. „Genauer gesagt, im Panhandle in Texas, auf der Brian-Quinn-Ranch. Kennen Sie sie vielleicht?“

„Ob ich sie kenne? Mein Gott, das ist dort weit und breit die größte Ranch. Ich habe mir mit einem Teilzeitjob auf dieser Ranch Geld fürs Studium verdient, wenn die Herden zum Verkauf zusammengetrieben wurden.“

„Wie interessant. Dann wissen Sie sicherlich alles, was man über Pferde wissen muss, nicht wahr?“

„Pferde?“ Er verstand sie offensichtlich nicht.

„Ja. Texas. Herden zusammentreiben. Pferde.“

„Ach, das haben Sie gemeint. Nun, Sie sind nicht ganz auf dem Laufenden, kleine Dame. Heutzutage treibt man die Viecher mit Hubschraubern zusammen.“ Plötzlich rümpfte er die Nase. „Was ist das für ein Geruch?“

Auch Faith sog ebenfalls die Luft ein, um sich zu vergewissern. „Lady Sunny fürchtet sich vor Erkältungen, Fieber und … Moskitos. Darum sprühen wir zwei Mal täglich das ganze Haus mit einem Insektenspray aus, das nach Rosen duftet.“ Sie kehrte zum alten Thema zurück. „Und Sie fliegen Hubschrauber?“

„Jede Marke, jede Größe, jede Farbe“, bestätigte er, und dann nieste er gewaltig. „Aber ich bin leider gegen viele Dinge allergisch und befürchte, dieses Insektenspray gehört dazu.“ Er griff in die Tasche und holte ein großes rot-weiß kariertes Taschentuch heraus. „Ich muss gehen!“ Holson stand auf und schob dabei geräuschvoll seinen Stuhl zurück. Doch sofort stand O’Malley hinter ihm und zog den Stuhl fort. Faith erhob sich ebenfalls und rückte ihren Stuhl möglichst behutsam nach hinten.

„Das ist auch eine Regel in diesem Haus“, erklärte Faith Harry Holson lächelnd. „Jeder Stuhl muss sanft behandelt werden und darf nicht über den Boden kratzen. Lady Sunnys Mann war der Meinung, dass auch diese leichten Bambusstühle mindestens fünfzig Jahre überleben können, wenn man ein wenig Rücksicht nimmt und sie nicht grob herumstößt.“

Holsons Augen tränten, und er nieste wieder. „Es gibt wohl für alles eine Regel, oder?“, erkundigte er sich mit heiserer Stimme.

„Nicht für alles. Außerdem sind es eigentlich keine direkten Regeln, sondern eher Gewohnheiten. Das Spray zum Beispiel, hat Lady Sunnys Mann zusammengebraut, um sie vor Krankheiten und Moskitos zu schützen, und …“

„Ich weiß“, sagte Holson seufzend. „Und die alte Dame ändert nichts. Wo ist sie eigentlich?“

„Bevor man hier überall zu sprühen beginnt, zieht sich Mylady immer in ihr Schuhzimmer zurück. Leider reagiert auch sie allergisch auf das Spray.“ Faith blickte auf ihre Armbanduhr. „Nanu, die sprühen heute fünf Minuten zu früh!“

„Ich verstehe.“ Holson trat ans Geländer und hielt das Gesicht in die leichte Seebrise, was ihm etwas Erleichterung verschaffte. „Also ihr Mann ließ seine Chemiker ein Spray herstellen, um sie unter anderem vor Insekten zu schützen. Aber sie reagiert allergisch darauf, wird jedoch nie ein anderes verwenden, weil alles so bleiben soll, wie es ist.“

„Und zu Lebzeiten ihres Mannes war.“

„Er hatte immer recht, und darum zieht sie sich in ihr Schuhzimmer zurück, wenn gesprüht wird?“

„Genau. Sie begreifen schnell, Mr. Holson.“

„Schuhzimmer? Das habe ich nicht ganz begriffen.“

„Sie braucht einen Raum für die vielen Schuhe. Ihre Fabriken produzieren sehr fleißig. Sie schicken ihr von jedem neuen Muster, das sie entwerfen, zwei Paar Schuhe. Da es überall in der Welt diese Fabriken gibt, kommen pro Jahr etwa eintausend neue Entwürfe zusammen. Sie können sich vorstellen, dass Mylady inzwischen ein ganzes Schuhmuseum hat. Und sie bringt es einfach nicht über sich, sich auch nur von einem einzigen Paar zu trennen. Alle zwei Jahre kommen die Direktoren sämtlicher Schuhfabriken zusammen hierher, natürlich mit ihren Schuhmustern und …“

Er hob die Hand und erinnerte Faith dabei an Lady Sunny.

„Ja, ich verstehe schon. Mein Gott, das muss ja inzwischen ein riesiges Schuhlager sein!“

„Nicht Lager, Mr. Holson. Sie nennt diesen Raum ihr Museum oder ihre Bibliothek“, verbesserte ihn Faith und wandte sich dann an O’Malley. „Mr. Holson muss wieder an seine Baustelle. Würden Sie bitte das Auto holen?“

„Das … das Auto?“ O’Malley zögerte ein paar Sekunden und zeigte dann mit einem breiten Grinsen seine großen, blitzenden Zähne. „Ach ja, das Auto.“ Schon eilte er über die Veranda und die Rampe hinunter.

„Am besten gehen wir auch gleich zur Garage. So kommen wir vom Spray weg, Mr. Holson, und …“

„Harry“, unterbrach er sie. „Mein Name ist Harry. Ich hätte es gern, wenn Sie mich Harry nennen würden.“

„Also gut, ich nenne Sie Harry“, willigte Faith ein.

„Und nun lassen Sie uns bitte schleunigst von hier verschwinden, bevor mich dieses Sprühzeug noch umbringt.“

Faith nickte, und sie verließen die Veranda. „Warum haben Sie so schnell nachgegeben?“, fragte Harry unterwegs.

„Nachgegeben?“, wiederholte sie erstaunt.

„Ja. Damit hatte ich eigentlich nicht gerechnet. Ich meine, dass sie mich Harry nennen möchten. Aber vielleicht denken Sie, dass wir uns sowieso nicht mehr wieder sehen werden und es darum keine Rolle spielt.“

„Ich wüsste nicht, warum wir uns wieder sehen sollten“, entgegnete Faith, ein wenig ärgerlich, dass er ihre Gedanken so leicht hatte erraten können.

„Aber wir werden uns wieder sehen“, erklärte Harry mit Überzeugung in der Stimme.

„Wieso sind Sie sich da so sicher?“

Autor

Emma Goldrick
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