Prinzen, Millionäre und Playboys feiern das Fest der Liebe

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SINNLICHES WINTERMÄRCHEN MIT EINEM PRINZEN von CARA COLTER
Eingeschneit mit einem Prinzen? Die erfahrene Hotelmanagerin Imogen kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Doch das Flair von Macht und die samtig-tiefe Stimme von Prinz Luca erwecken in ihr Gefühle so unberechenbar wie der Schneesturm, der sie beide von der Außenwelt abschneidet. Und die vorweihnachtlichen Stunden, die sie am knisternden Kaminfeuer miteinander verbringen, sind erst der Anfang ihres sinnlichen Wintermärchens. Doch als der Sturm sich legt, ist Imogen verzweifelt, denn Luca hat ihr etwas Unglaubliches verheimlicht...

DAS SCHÖNSTE GESCHENK IST DEINE LIEBE von JENNIE LUCAS
In den Armen des glutäugigen Stavros über die Tanzfläche zu schweben, ist genau das, was Holly braucht, um ihr gebrochenes Herz für eine Weile zu vergessen. Dieser sinnliche Tanz auf dem Winterball ist allerdings nur das Vorspiel für eine leidenschaftliche Nacht mit dem griechischen Milliardär. Als Holly am Morgen in seinem luxuriösen Penthouse erwacht, ahnt sie nicht, warum Stavros wirklich ihre Nähe gesucht hat.

VERZAUBERT VOM FEST DER LIEBE von JACKIE BRAUN
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FEST DER LIEBE MIT DEM ARGENTINISCHEN PLAYBOY von ABBY GREEN
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  • Erscheinungstag 18.11.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512305
  • Seitenanzahl 640
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Cara Colter, Jennie Lucas, Jackie Braun, Abby Green

Prinzen, Millionäre und Playboys feiern das Fest der Liebe

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2019 by Harlequin Books S. A.
Originaltitel: „Cinderella’s Prince Under the Mistletoe“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 222020 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe

Abbildungen: Stockbyte / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733714512

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Erneut und ganz und gar überflüssigerweise strich Imogen Albright mit der Hand über das perfekt gemachte Bett. Das glatte Laken aus ägyptischer Baumwolle fühlte sich seidenweich unter ihren Fingerspitzen an, während ihr ein klarer, sauberer Duft in die Nase stieg.

Sie seufzte unterdrückt, steckte sich eine honigblonde Strähne ihres schulterlangen Haares hinters Ohr und sah prüfend um sich. Wie alle Zimmer der Crystal Lake Lodge, einem Boutique-Hotel in den kanadischen Rocky Mountains, war auch dieses mit einem Kamin und wunderschönen handgefertigten Holzmöbeln ausgestattet – subtil luxuriös und eine Spur rustikal.

Nur … war es auch gut genug für einen Prinzen?

Als Tochter der Hotelmanager hatte Imogen seit frühester Kindheit das Motto des Hotels verinnerlicht, das seither elitäre Gäste aus der ganzen Welt anzog: das Versprechen von Luxus im Herzen einer ursprünglichen Natur. Und wie ihre beiden Schwestern war sie daran gewöhnt, von berühmten Schauspielern, Sportlern und Staatsoberhäuptern wahrgenommen und sogar verwöhnt zu werden. Einige Gäste kamen jedes Jahr wieder und wurden sogar zu Freunden der Familie. Als Teenager hatten sämtliche Klassenkameraden der drei Mädel sie um ihre Sammlung signierter Promi-Fotos beneidet.

Aber soweit Imogen wusste, hatte noch keine royale Persönlichkeit hier genächtigt.

Es war eine Sache, sich mit The Bold and The Beautiful auf einer Ebene zu bewegen, doch Imogen wusste sehr wohl, dass auch die Reichen und Schönen nur Menschen waren. Mit wenigen Ausnahmen ließen sie an einem Ort wie diesem gern lästige Barrieren fallen und wollten normal behandelt und als Privatperson akzeptiert werden.

Prinz Antonio Valenti könnte jedoch die berühmte Ausnahme sein, wenn man das dicke Protokollbuch, das erst gestern geliefert worden war, als Hinweis nahm. Die umfangreiche Mappe wirkte so einschüchternd, dass Imogen es bisher vermieden hatte, sie zu öffnen. Konnte es sein, dass sie deshalb so nervös war?

Normalerweise sah sie der Ankunft neuer Gäste absolut entspannt entgegen, nur dieser Gast erschien ihr irgendwie mysteriös.

Zum einen reiste der Prinz ohne große Entourage an, nur in Begleitung eines Bodyguards. Außerdem war die Buchung ohne Vorankündigung erfolgt … und dann auch noch in der Nebensaison!

Imogen trat ans Fenster. Obwohl sie hier aufgewachsen war, verschlug ihr die Aussicht jedes Mal aufs Neue den Atem. Die Lodge lag hoch oben in den Bergen. Von hier aus wirkte die Stadt in dem engen Tal unter ihr wie eines dieser weihnachtlichen Miniaturdörfer, die Touristen häufig aus Nostalgiegründen kauften und sammelten.

Der Ort war an den Ufern vom Crystal Lake erbaut worden, dessen ruhige Wasseroberfläche die Farben des Herbstes reflektierte. Smaragdgrüne Wälder bedeckten den unteren Teil des Berges, ehe sie in schroffe Felswände übergingen, die bis an den Himmel zu reichen schienen, wo sie von strahlend weißen Schneehügeln gekrönt wurden.

Es war ein später Nachmittag im Oktober, und Imogen wusste, dass der Geruch des Herbstes sie umhüllen würde, wenn sie das Fenster öffnete: sauber und erdig mit den leisesten Anklängen von Holzrauch …

Trotzdem: Was wollte der Prinz ausgerechnet um diese Jahreszeit hier? Die Sommersaison mit einem türkisfarben schillernden See voller Kajaks und Kanus und lautem Kindergeschrei von denen, die mutig genug waren, ins eisige Bergwasser zu tauchen, war vorbei. Und bis zur Skisaison dauerte es mindestens noch einen Monat.

Die Bergrouten waren ebenso berühmt wie beliebt und ein Magnet für Wanderer und Freizeitbergsteiger aus der ganzen Welt. Und exakt solche Touristen waren um diese Jahreszeit auch die Hauptkundschaft der Lodge: Outdoor-Enthusiasten.

Doch als die Anfrage des Prinzen eingegangen war und sie den Grund für den Besuch erfragt hatte, war sie abgewiesen worden, als hätte sie bereits mit der Frage ein Tabu gebrochen. Noch spezieller wurde die Buchung, als der Beauftragte des Prinzen darauf bestand, sie auf das gesamte Hotel auszudehnen, obwohl nur der Prinz und sein Bodyguard angekündigt wurden.

Dem Himmel sei Dank für die Nebensaison, sonst hätte Imogen dieser ungewöhnlichen Bitte nicht nachkommen können!

„Gabi …“, murmelte sie, als sie nach einem letzten Rundumblick den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss. „Wo bist du, wenn ich dich brauche?“

„Hast du gerufen?“ Rachel, eine junge Einheimische, die das benachbarte Zimmer für den Bodyguard gerichtet hatte, steckte ihren Kopf durch die Tür. Sie war frisch verheiratet, und ihr Schwangerschaftsbauch rundete sich geradezu dramatisch von Tag zu Tag.

Wie es schien, war in Chrystal Lake ein Babyboom ausgebrochen!

Wohin Imogen auch schaute, sah sie Säuglinge oder Schwangere. Und jedes Mal spürte sie diesen Schmerz von Verlust und Bedauern.

„Nein, ich spreche nur mit mir selbst“, erklärte sie Rachel.

„Und was ist mit Gabi?“

„Ich habe mich nur gefragt, wo sie ist. Das ist alles.“

„Das fragt sich wohl jeder hier. Sag Bescheid, wenn du etwas hörst.“

Imogen nickte und lächelte unverbindlich. Das war das Schöne oder manchmal auch Nervtötende an kleinen Gemeinden: Niemand konnte wirklich ein Geheimnis haben.

Ob auch Gabi möglicherweise eines hütete?

„Rachel, pass auf dich auf. Nicht so schwer heben“, mahnte Imogen, um vom Thema abzulenken.

„Ha! Meine Mutter hat noch Holz gehackt, bis die Wehen anfingen.“

Dazu sagte Imogen nichts, weil sie wusste, dass Rachels Schwangerschaft trotz des flapsigen Einwands nicht komplikationsfrei verlief. Sie war bereits in der Stadt bei einem Spezialisten gewesen und sollte später auch in der dortigen Klinik entbinden.

Wiederholt hatte sie die junge Frau eindringlich gebeten, sich eine Auszeit zu nehmen, doch Rachel berief sich darauf, einem robusten Stamm anzugehören. Imogen vermutete jedoch, dass es in erster Linie um das Geld ging, das die junge Familie gut brauchen konnte. Aber zumindest hatte sie dafür gesorgt, dass Rachel nur leichte Dienste verrichtete und für die Reinigung keine schädlichen Chemikalien verwendete.

Mit einem unterdrückten Seufzer kehrten ihre Gedanken zurück zu Gabi. Gabriella Ross betrieb die Buchhandlung in Crystal Lake. Sie waren Freundinnen von Kindesbeinen an und immer füreinander da gewesen. Ihr Verhältnis wurde noch enger, nachdem Imogens Schwestern Jobs im Ausland angenommen hatten und seit ihre Eltern ein wärmeres Klima vorzogen.

Gabi und sie kannten die größten Geheimnisse und Träume der anderen … zumindest war das bis vor Kurzem so gewesen. In letzter Zeit wirkte ihre Freundin ziemlich gestresst und enorm beschäftigt. Sonst hätte sie ihr sicher voller Begeisterung dabei geholfen, sich auf die Ankunft des geheimnisvollen Prinzen vorzubereiten.

Imogen runzelte die Stirn, während sie die breite, geschwungene Treppe hinunter und weiter in die Küche ging.

Als Bücherwurm hätte Gabi normalerweise voller Begeisterung recherchiert, was es über das Inselkönigreich Casavalle zu wissen gab. Für den dicken Protokollschmöker hätte sie nicht mehr als eine Stunde gebraucht und ihr anschließend eine ebenso kurze wie prägnante Zusammenfassung des Inhalts präsentiert.

„Einschließlich der Leib- und Magenspeisen Eurer Hoheit!“, stöhnte Imogen und öffnete die Tür zu dem riesigen Industriekühlschrank aus Edelstahl.

Doch anstatt sie zu unterstützen, war Gabi nach ein paar mehr als vagen Andeutungen wie vom Erdboden verschwunden … Keine Frage, sie hatte ein Geheimnis!

Und Geheimnisse zwischen besten Freundinnen fühlten sich nicht gut an.

Gabi war es auch gewesen, die ihr über ihre geplatzte Verlobung mit Kevin hinweggeholfen hatte. Sie wusste, wie schwer Imogen das strahlende Lächeln fiel, wenn der Name ihres Exverlobten fiel, und dass sie es bis heute nicht fertiggebracht hatte, das Verlobungsfoto als Bildschirmschoner von ihrem Handydisplay zu tilgen.

Imogen spürte, wie sich ihr Herz beim Gedanken an Kevin zusammenkrampfte. Er hatte sich so sehnlichst Kinder gewünscht. Doch in den Jahren nach ihrem schweren Skiunfall erhärtete sich der bedrückende Verdacht, dass es diesbezüglich Probleme geben könnte.

Als Kevin sie nach drei wundervollen Jahren eines Abends zu ihrem Lieblingschinesen einlud und sie nach dem Essen ihren Glückskeks aufbrach, fand sie darin einen schlichten Diamantring und eine Botschaft: Ich will, dass du meine Frau wirst, und ich möchte Babys mit dir haben.

Natürlich hatte sie Ja gesagt. Das Foto von ihrem Handydisplay hatte eine Kellnerin gemacht … Sekunden, nachdem Imogen ihren Verlobungsring angesteckt hatte.

Kevins ausdrücklicher Kinderwunsch hatte sie veranlasst, sich weiteren Untersuchungen auszusetzen. An sein entsetztes Gesicht, als sie ihm das Ergebnis mitgeteilt hatte, erinnerte sie sich noch genau. Er hatte zwar behauptet, es würde ihm nichts ausmachen, doch Imogen war weder naiv noch dumm, und sie hatte recht behalten.

Nachdem sie ihn freigegeben hatte, verlor Kevin keine Zeit, sich eine neue Liebe zu suchen, die ihn zum Vater machen konnte. Inzwischen war er längst verheiratet und seine Frau schwanger …

„Hör endlich auf, dich selbst zu quälen!“, rief sie sich zur Ordnung.

Mechanisch sortierte sie den Kühlschrankinhalt, der sich deutlich von der normalen Bevorratung unterschied: Er beherbergte kornische Wildhühner neben seltsamen Würsten, undefinierbares Gemüse, tropische Früchte und in den Regalen darüber exotische Gewürze in Mengen.

Zum Glück musste sie sich nicht damit auseinandersetzen, was wozu passte und wie das Ganze zubereitet werden sollte. Alles war auf Geheiß eines pensionierten Sternekochs von Weltklasse besorgt worden, der morgen noch vor Prinz Antonio und seinem Leibwächter eintreffen würde.

Imogen schloss die Kühlschranktür und hielt überrascht inne. In Crystal Lake waren Helikoptergeräusche nicht ungewöhnlich, da diese Touristen von A nach B transportierten, eventuelle Brände aufspürten oder verwegene Paraglider auf den Berg flogen. Allerdings nicht unbedingt um diese ruhige Jahreszeit.

Sie öffnete die rückwärtige Küchentür und reckte den Kopf gen Himmel. Trotz des strahlenden Sonnenscheins war die Luft überraschend kalt. Imogen warf einen Blick in Richtung Mount Crystal und sah die drohende dunkle Wolke. Dank ihrer langjährigen Erfahrung mit dem wechselhaften Bergklima wusste sie, was das bedeutete: Schnee …

In der nächsten Sekunde tauchte ein kleiner Helikopter oberhalb der Baumgrenze auf und schwebte einen Moment anmutig in der Luft, bevor er über das Dach der Lodge flog und, angesichts des zunehmenden Lärms, offenbar auf der anderen Hausseite zur Landung ansetzte.

Imogen schloss die Hintertür und kam über einen steinernen Pfad, der sich um die Lodge schlängelte, gerade rechtzeitig auf der Frontseite an, um das elegante, silberne Flugobjekt mit der getönten Frontscheibe aufsetzen zu sehen. Es war wie in einem James-Bond-Film. Das Dröhnen verstummte, sobald die erwarteten Gäste gelandet waren. Allerdings hatte sie sie erst morgen erwartet … und schon gar nicht im Hubschrauber!

Gerade hatte sie sich mit dem umfangreichen Protokollschinken zurückziehen wollen, um ihn bei einem Gläschen Wein durchzuarbeiten. Was jetzt?

Während Imogen nach Atem rang, stieg der Pilot aus. Obwohl er keine Uniform trug, gehörte er hundertprozentig dem Militär an, wofür sowohl die straffe Haltung als auch der markante Kurzhaarschnitt sprachen. Nachdem er sie eindringlich von Kopf bis Fuß gescannt hatte, ließ er seinen scharfen Blick über das gesamte Gebäude, über Fenster und Türen wandern, bevor sich die breiten Schultern sichtbar entspannten.

Dann trat er zur Seite, und noch jemand stieg aus dem Helikopter. Sein wachsamer Begleiter verbeugte sich leicht und sagte etwas zu ihm, das Imogen nicht genau mitbekam – außer, dass er den anderen Mann Luca nannte.

Seltsam … schließlich erwartete sie einen Prinzen namens Antonio.

Doch schon in der nächsten Sekunde spürte sie ihr Herz oben im Hals pochen. Dichtes, kaffeebraunes Haar, das bis über die ebenfalls dunklen Brauen reichte, ein goldbronzener Teint, ein herber Mund und eine Kerbe im markanten Kinn. Zwei Meter imposante Körpergröße, breite Schultern unter einer perfekt geschnittenen Anzugjacke und lange Beine in einer eleganten Hose mit messerscharfer Bügelfalte. Den Neuankömmling umgab ein Flair von Macht, Selbstbeherrschung und einer undefinierbaren Lässigkeit, wie sie Imogen in dieser Kombination noch nie zuvor begegnet war.

Außer, dass sie das unbestimmte Gefühl beschlich, ihn schon irgendwo gesehen zu haben. Wahrscheinlich auf der Titelseite eines Klatschmagazins, da heutzutage alle Mitglieder verschiedenster Königshäuser auf die eine oder andere Art als Berühmtheiten galten. Was wohl hauptsächlich das weibliche Geschlecht dazu animierte, diese Hochglanzillustrierten zu kaufen.

Was jetzt?

Die Versuchung, auf der Stelle kehrtzumachen und in die Lodge zu flüchten, war groß, aber keine Option. Auch ohne das Protokollbuch gelesen zu haben, wusste Imogen, dass jetzt eine Art Hofknicks von ihr erwartet wurde. Sie hatte vorgehabt, ihn zu üben, und sich sogar bildhaft vorgestellt, wie Gabriella und sie albern kichernd voreinander knicksen und königlich lächeln würden, bis sie sich nicht mehr halten konnten.

Sie riss sich zusammen, fuhr sich rasch mit einer Hand durchs Haar, hob das Kinn an und trat einen Schritt vor. Egal, was das königliche Protokoll vorsah, sie würde auf keinen Fall in Arbeitsjeans und kariertem Flanellhemd versuchen, vor einem Prinzen zu knicksen!

Als sie sich den Männern näherte, wirbelten beide herum und starrten sie an. Nicht gerade die übliche Reaktion von Urlaubern, die freiwillig in diese unberührte Schönheit der Berge kamen.

„Prinz Luca?“ Imogen lächelte nervös. „Tut mir leid, aber ich erwartete Prinz Antonio.“

Beide schienen ihr mit Blicken sagen zu wollen, dass es ihr nicht zustand, eine derart vorlaute Feststellung zu treffen.

„Willkommen in der Crystal Lake Lodge“, haspelte sie nervös herunter und widerstand dem albernen Impuls, zu salutieren oder sich womöglich noch zu verbeugen!

Stattdessen streckte sie die Hand aus.

Der militärisch wirkende Typ reagierte bestürzt, doch der Prinz ergriff nach kaum merklichem Zögern ihre Finger. Die Berührung war warm, subtil und unbestreitbar sinnlich. Ihre Blicke trafen sich, und wieder schoss Imogen durch den Kopf, dass sie ihn irgendwoher kannte. Aber das war unmöglich.

Und für jemanden, der es sein Leben lang gewohnt war, mit jeder Art von Prominenz Umgang zu pflegen, war ihre nächste Reaktion durchaus verblüffend. Denn plötzlich fühlte sie sich wie ein alberner Teenager, der unerwartet seinem verehrten Rockidol gegenüberstand.

Mit aller Anmut, die sie unter diesen Umständen aufbringen konnte, entzog sie ihre Finger seinem festen Griff und erinnerte sich streng daran, dass jede Art von Verzauberung für sie passé war.

Als würde ein Prinz jemals auch nur ein Auge in ihre Richtung riskieren! Das echte Leben war kein Märchen, denn die endeten grundsätzlich in einem Happy End.

Das würde es für sie ohnehin nie geben mit dem ständigen Damoklesschwert eines unausgesprochenen Kinderwunsches über ihrem Kopf. Besonders für Königshäuser waren Nachkommen als Fortsetzung der royalen Linie doch geradezu Pflicht.

„Prinz Luca? Oder Prinz Antonio?“, brachte sie mühsam heraus. Da keiner der beiden Männer darauf reagierte, stellte Imogen sich selbst vor, um auf diesem Weg hoffentlich die gewohnte Selbstsicherheit zurückzugewinnen. „Ich bin Imogen Albright, die Lodge-Managerin.“

„Es ist mir ein Vergnügen, Miss Albright … Miss ist doch korrekt?“, fragte der Prinz mit der Gelassenheit eines Mannes, der es gewohnt war, jede Situation zu beherrschen.

Es bestand absolut kein Grund, seine schwach akzentuierte Stimme wie eine körperliche Liebkosung im Nacken wahrzunehmen.

„Ja, das ist … korrekt“, bestätigte Imogen errötend, wandte sich rasch dem anderen Mann zu und bot ihm ebenfalls die ausgestreckte Hand.

„Cristiano“, sagte er knapp, nahm ihre Hand und verbeugte sich leicht.

Diesmal blieb der gefühlte Stromstoß aus. Für einen lastenden Moment herrschte eine Stille, die Imogen sich beeilte zu füllen. „Offenkundig sind Sie nicht den ganzen Weg von Casavalle mit dem Helikopter hergeflogen. Wie ist es Ihnen nur gelungen, ihn in so kurzer Zeit mit Ihren königlichen Insignien zu versehen?“

Der Prinz hob die breiten Schultern und überließ es Cristiano zu antworten.

„Wir haben nur um eine Verschiebung des Liefertermins gebeten und den Auslieferungsort gewechselt.“

Was mal wieder bewies, dass Macht und Reichtum enorme Antriebsfedern waren, die nahezu alles möglich machten. Und das wiederum machte Imogen ihren Aufzug und ihr Auftreten noch bewusster als zuvor. Zu verwaschenen Jeans trug sie ein übergroßes Holzfällershirt und Turnschuhe mit pinkfarbenen Schnürsenkeln. Auf Make-up hatte sie verzichtet, und zumindest ein Teil ihres kinnlangen Haares wurde immer noch auf Kopfmitte mit einer Spange zusammengehalten.

Dabei hatte sie ihr Empfangsoutfit für die Königliche Hoheit lange sorgfältig geplant und zusammengestellt: ein blassblauer Hosenanzug mit maßgeschneiderter Jacke zur bleistiftdünnen Hose und weißen Seidenbluse. Für Haare und Make-up hätten Fachleute zur Verfügung gestanden.

„Ein großartiger Ort“, stellte Prinz Luca mit Blick auf die Lodge fest.

Das ausladende zweistöckige Gebäude war ein Fachwerkbau mit einer wunderschönen extravaganten Dachlinie, die sich perfekt der Berglandschaft anpasste.

Imogen freute sich über das unerwartete Kompliment von jemandem, der doch mit den attraktivsten Unterkünften rund um den Globus vertraut sein musste. Doch als sich der Prinz von der Lodge abwandte und sich ihre Blicke trafen, stockte ihr der Atem.

Ganz abgesehen von der Anspannung, die sie schon die ganze Zeit über in ihm wahrnahm, lag noch etwas anderes in seinem Blick … Not? Kummer?

Was erneut die Frage aufwarf, was den Prinzen hierhergeführt hatte? Gab es vielleicht eine unsichtbare Wunde, die in der Ruhe der Berge heilen sollte? Wie gern hätte sie eine Hand auf seinen Arm gelegt und ihm versichert, dass alles wieder gut werden würde.

Fast hätte Imogen bitter aufgelacht. Und das ausgerechnet von ihr, die doch besser als andere wusste, dass nicht immer wieder alles in Ordnung kam!

„Es tut mir leid, Eure Hoheit“, sagte sie gepresst und vermied es bewusst, seinen Namen zu nennen. „Aber wir haben Sie heute noch nicht erwartet.“

„Soweit ich informiert bin, wurde eine Nachricht an Ihre Handynummer geschickt“, bemerkte Cristiano kühl.

„Sowohl unser Satellitenempfang als auch der Handyservice sind ziemlich unzuverlässig“, klärte Imogen ihn auf. „Das liegt an den umliegenden Wäldern und Bergen, was wir den Gästen grundsätzlich vorher mitteilen.“ Als sie bemerkte, dass es sich anhörte, als wolle sie sich rechtfertigen, lächelte sie strahlend und zuckte mit den Schultern. „Ich betrachte es als Teil unseres besonderen Charmes.“

Der Prinz legte den Kopf schief, als müsse er darüber nachdenken. „Ist unsere frühe Ankunft ein Problem für Sie?“

„Nein, natürlich nicht.“ Und ob es ein Problem ist!

Es war fast Mittag, und die gesamte Essensplanung oblag dem extra georderten Koch, nicht ihr! Was sollte sie den beiden Neuankömmlingen nur anbieten? Etwa ein Erdnussbuttersandwich?

„Es ist nur so … der Koch kommt erst morgen, und das Reinigungspersonal ist auch noch nicht ganz fertig.“

„Ich vertraue darauf, dass Sie diese Schwierigkeiten überwinden.“

Seine Stimme klang so samtig und sexy, als hätte er ihr ein Kompliment gemacht, anstatt etwas so Banales von sich zu geben … obwohl banal?

Imogen schluckte unauffällig, um den Knoten in ihrem Hals loszuwerden. Natürlich würde sie diese Schwierigkeiten überwinden. Obwohl sie sich kaum als Meisterköchin bezeichnen würde, war die Lodge gut ausgestattet. Doch bevor ihr eine zündende Idee kommen konnte, ertönte ein Schrei aus dem Haus, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Während sie noch wie gelähmt dastand, stürzten die Männer in Richtung des Haupteingangs davon. Imogen versuchte, ihnen auf dem Fuß zu folgen. Doch obwohl sie ihr Bestes gab, holte sie die beiden erst im Obergeschoss ein, wo sie in einem der Bäder neben Rachel auf dem Fliesenboden knieten.

„Cristiano?“ Fragend schaute der Prinz seinen Begleiter an.

Der sah nur kurz auf. „Sie wird ihr Baby bekommen … in Kürze.“

„Aber der errechnete Geburtstermin ist erst in ein paar Wochen!“, stammelte Imogen.

„Wo ist das nächste Krankenhaus?“, wollte Prinz Luca wissen.

„Es gibt eine Tagesklinik in Crystal Lake, aber die behandeln nur kleine Notfälle. Rachel ist bei einem Spezialisten angemeldet.“

„Ich … das Baby muss im Saint Mary’s Hospital zur Welt kommen“, keuchte die Schwangere mit letzter Kraft. „Da ist man darauf eingestellt und …“ Sie schaffte es nicht, den Satz zu beenden.

„Wie weit ist es bis zu diesem Hospital?“, hakte der Prinz nach.

„Mindestens zwei Fahrtstunden, bei guter Straße.“ Sie dachte an die dunkle Wolke über Crystal Mountain.

„Bring sie im Helikopter hin“, wandte sich Prinz Luca an Cristiano. „Jetzt gleich.“

Sein Leibwächter zögerte, und Imogen verstand sein Zaudern. Seine oberste Pflicht war es, den Prinzen zu beschützen.

„Beeil dich.“

„Ja, Sir.“ Cristiano hob Rachel auf seine muskulösen Arme, als wäre sie eine Puppe. Mit dem Prinzen und Imogen auf den Fersen rannte er nach draußen, wo Imogen sofort registrierte, dass der Wind zugenommen hatte und bedrohlich graue Wolken über den Himmel zogen.

„Ich sollte in einer Stunde zurück sein“, erklärte Cristiano dem Prinzen, nachdem er Rachel überraschend sanft und fürsorglich im Helikopter untergebracht hatte.

„Miss Albright und ich werden versuchen, alle Gefahren tapfer abzuwehren, bis du zurück bist“, versprach der Prinz trocken.

Cristiano nahm den Pilotensitz ein. Der Motor startete, die Rotoren begannen sich zu bewegen, zuerst langsam, dann so schnell, dass sie vor den Augen verschwammen. Kurz darauf hob der Helikopter vom Boden ab und verschwand vor ihren Augen. Imogen blinzelte, als eine einzelne Schneeflocke sie auf der Stirn traf. Sie kannte die Berge und das Wetter hier und war sich einer Sache ganz sicher: Wenn Cristiano nicht bereit war, durch einen ausgewachsenen Schneesturm zu fliegen, konnte er unmöglich in einer Stunde zurück sein.

„Es tut mir furchtbar leid, dass Ihre Ankunft so stressig verläuft“, entschuldigte Imogen sich bei dem Prinzen und überlegte, ob sie jedes Mal seinen Titel hinzufügen müsste, wenn sie ihn ansprach. „Ich kann Ihnen nicht genug dafür danken, dass Sie Ihren Helikopter für den Transport ins Krankenhaus angeboten haben.“

„Es war mir ein Vergnügen, behilflich sein zu können.“

Imogen lächelte schwach. „Glauben Sie, dass die Geburt normal verlaufen wird?“

„Ich fürchte, dazu kann ich gar nichts sagen.“

Sie stutzte kurz und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie konnte sie einen Prinzen mit einer derart unsinnigen Frage belästigen?

„Sie machen sich große Sorgen um die Schwangere, nicht wahr?“, fragte er verständnisvoll.

Imogen nickte. „Ich habe tatsächlich große Angst.“ Durfte man so etwas auch nicht sagen? Sie seufzte. „Sie müssen sicher eine gewisse Distanz zu Ihren Mitarbeitern wahren, aber das ist hier anders“, setzte sie zu einer Erklärung an. „Wir sind ein kleines Hotel, und Crystal Lake ist ein isolierter Ort. In gewisser Weise sind wir alle eine Familie.“

Sein Blick ruhte für einen Moment überraschend eindringlich auf ihr. „Kennen Sie alle, die in Crystal Lake wohnen?“

„Einwohner ja, Besucher nein.“

Darüber dachte er offenbar einen Moment nach, schien weitere Fragen stellen zu wollen, entschied sich dann aber offenkundig anders. Stattdessen vergrub der Prinz seine Hände in den Hosentaschen. Wahrscheinlich, weil er fror. Sein maßgeschneiderter Anzug war schick, aber viel zu leicht für dieses Wetter. Auch das Hemd aus Rohseide hielt die aufziehende Kälte nicht ab.

„Entschuldigen Sie bitte, Prinz Luca“, bat Imogen. „Ich habe mich ablenken lassen. Ich werde Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen, damit Sie sich dort in Ruhe einrichten können.“

Erst verspätet realisierte sie, dass das so gut wie unmöglich sein würde, da sein Gepäck gerade mit dem Helikopter entschwebt war.

Natürlich führte sie ihn trotzdem zu seiner Suite und unterrichtete ihn über die wechselhafte Geschichte der Lodge, während sie die geschwungene Treppe hinaufstiegen und den breiten Flur hinuntergingen. Sie hatte das über die Jahre hinweg schon so oft getan, dass es ihr leicht über die Zunge ging, dennoch war Imogen froh, als sie endlich in der Suite ankamen, die sie persönlich für ihn vorbereitet hatte. „Ich hoffe, Sie finden Ihre Unterkunft ausreichend komfortabel …“

Der Prinz schaute sich nur flüchtig um und trat dann ans Fenster. Als er sich ihr wieder zuwandte, runzelte er die Stirn. „Es schneit.“

Sie konnte es über seine Schulter hinweg selbst sehen. Was Imogen allerdings beunruhigte, war, wie schnell sich der Schnee vor dem Fenster verdichtete. Sie tat ihr Bestes, sich ihre Besorgnis nicht anmerken zu lassen.

Was, wenn der Helikopter nicht zurückfliegen konnte? Was war mit dem Koch? Und einem Ersatz für Rachel? Und wo war Gabi?

Sollte sie den königlichen Überfall ganz allein bewältigen?

Energisch sagte Imogen sich, dass es viel zu früh für Alarm war. Manchmal waren diese Herbststürme vorüber, bevor sie richtig begannen.

„Das Wetter in den Bergen kann sehr wechselhaft und unvorhersehbar sein“, sagte sie mit einer Ruhe, die sie keineswegs empfand. „Wir haben hier ein Sprichwort: Wenn dir das Wetter nicht gefällt, warte eine Minute.“

„Ich komme selbst aus den Bergen. Casavalle liegt in einem geschützten Tal hinter einer beeindruckenden Bergkette, die als Grenze zum benachbarten Königreich Aguilarez fungiert. Crystal Lake erinnert mich tatsächlich an mein Zuhause. Und ich kenne mich gut mit unvorhersehbarem Wetter aus.“

Wenn er aus einer ähnlichen Gebirgsregion stammte, warum kam er dann überhaupt her? Warum wählte er nicht bewusst ein Kontrastprogramm für den Urlaub?

„In ungefähr einer Stunde ist das Abendessen fertig, Prinz Luca. Ziehen Sie es vor, hier oben zu speisen, oder wollen Sie lieber herunterkommen?“

„Ich komme nach unten, danke, Miss Albright.“

Ihr neuer Hausgast wirkte sehr erschöpft. Noch bevor sie die Tür geschlossen hatte, warf er sich aufs Bett und riss sich förmlich die Krawatte vom Hals. Anschließend starrte er sorgenvoll an die Decke.

Imogen drückte lautlos die Tür ins Schloss, eilte die Treppe hinunter und versuchte vom Büro aus übers Festnetz Rachels Ehemann Tom zu erreichen. Da er den Anruf nicht annahm, hinterließ sie ihm eine Nachricht, damit er sie so schnell wie möglich kontaktieren konnte. Dann versuchte sie es bei Gabriella und lauschte derselben fröhlichen Ansage wie bereits in den letzten drei Tagen: Hi, ich bin in den Bergen unterwegs, aber du kennst die Übung ja … sag, was du zu sagen hast, allerdings erst nach dem Piepton.

„Ich hoffe zuversichtlich, du bist im Moment nicht auf irgendwelchen Bergpfaden unterwegs, Gabriella Ross!“, knirschte Imogen nach besagtem Piepton. „Wie es aussieht, droht ein heftiger Schneesturm. Sobald du kannst, lass mich wissen, dass es dir gut geht.“

Natürlich ging es ihr gut, Gabi war wie sie in den Bergen aufgewachsen und wusste in jeder Situation, was zu tun war. Trotzdem … sie war inmitten eines drohenden Blizzards allein mit einem Prinzen in der Lodge eingesperrt und brauchte ihre Freundin hier.

Frustriert ging Imogen in die Küche und sichtete erneut den Kühlschrankinhalt. Angesichts der vielen unbekannten Lebensmittel seufzte sie und griff schließlich nach einem Karton Champignons, etwas Käse und ein paar anderen Zutaten. Trotz Angst um Rachel und Sorge um Gabi hatte sie einen Job zu erledigen, und genau um den würde sie sich jetzt gewissenhaft kümmern.

2. KAPITEL

Als Prinz Luca Valenti erwachte, war es stockdunkel. Fast wünschte er sich diese gnädige Desorientierung, die mit dem Aufwachen in einem fremden Bett und dann auch noch in einer anderen Zeitzone einherging!

Aber sie war ihm nicht vergönnt. Er wusste nur zu genau, wo er sich aufhielt und was für ein Tag heute war. Er hatte gerade erst in der Crystal Lake Lodge in den Rocky Mountains von Kanada eingecheckt, und es war der schlimmste Tag seines Lebens.

Trotzdem galten seine ersten Gedanken nicht dem drohenden Ansturm von Problemen, sondern Imogen Albright.

Und das lag weder an dem windzerzausten blonden Haar, dem karierten Holzfällerhemd und ihren ausgeblichenen Jeans, die sie als Lodge-Managerin ebenso unkonventionell wie unprofessionell aussehen ließen, noch an der fehlerhaften Anrede oder ihrer spontan ausgestreckten Hand zur Begrüßung. Nicht einmal ihre sichtbare Bestürzung und Sorge, als sie die hochschwangere Angestellte auf dem Badezimmerboden liegend gefunden hatten, war dafür verantwortlich. Und auch nicht, dass sie wie der frische, belebende Duft in diesem Raum war, der ihn in den Schlaf begleitet hatte und den er beim Aufwachen als Erstes wahrgenommen hatte.

Nein, es war der Moment gewesen, als sich ihre Blicke begegnet waren, nachdem er ihr ein Kompliment zu der wunderbaren Lage des Hotels gemacht hatte. In ihren außergewöhnlichen dunkelsaphirblauen Augen hatte er einen Ausdruck wahrgenommen, als könnte sie bis in die Tiefe seiner Seele schauen und ihn verstehen …

Natürlich war das absurd, trotzdem vermittelte es ihm das Gefühl, als wisse sie von seiner Bedrängnis. Nicht, was den Umfang und die drohenden Folgen betraf, aber etwas über seinen Seelenzustand. Einen Herzschlag lang hatte er sogar befürchtet – oder besser erwartet –, sie würde auf ihn zukommen und ihn berühren … und nicht nur seine Hand.

Das Gefühl war so real und intensiv gewesen, dass er instinktiv zurückgewichen war – nicht sichtbar, aber innerlich.

Zum Glück war es nur seine überbordende Fantasie, die ihm vorgaukelte, Imogen Albright hätte Kenntnis von etwas, das absolut geheim bleiben musste. Dass sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund fähig wäre, Ruhe in das aufgewühlte Meer seines Lebens zu bringen. Und tatsächlich hatte er in diesem kurzen Moment geglaubt, in dem endlos blauen Himmel ihrer Augen etwas entdeckt zu haben: einen Rastplatz für seine Seele.

In einem Moment, wo sein von der Geburt bis zum Tod strategisch geplantes Leben aus allen Fugen zu geraten drohte …

Exakt in dieser Sekunde sollte er eigentlich ein frisch verheirateter Mann sein und nicht allein in einem Bett in einem winzigen Bergdorf in Kanada liegen, sondern in der prächtigen Flitterwochen-Suite, die im Casavalle-Palast für ihn und seine Braut Prinzessin Meribel vorbereitet worden war.

Meribel war die Tochter des benachbarten Königspaares in Aguilarez. Ihre Heirat sollte die jahrelangen Spannungen zwischen den beiden Reichen ausräumen und beenden. Stattdessen fanden sie sich unerwartet im absoluten Chaos wieder. Um die unabsehbaren Folgen so gering wie möglich zu halten, hatte er heute Morgen eine Erklärung abgegeben: unüberbrückbare Differenzen.

Das entsprach nicht der Wahrheit, denn diese hätte beide Königreiche in einen schrecklichen Skandal gestürzt, was Luca unbedingt vermeiden wollte.

Wie es aussah, war aus der ersten Ehe seines Vaters – die mit einem Skandal geendet hatte, wie Luca ihn gerade unter allen Umständen zu vermeiden versuchte – möglicherweise ein Kind hervorgegangen, das dann sein älteres Geschwisterkind wäre.

Was bedeuten würde, dass die Rolle, auf die Luca sein Leben lang vorbereitet worden war, Gefahr lief, ihm entrissen zu werden.

Der älteste Nachkomme des verstorbenen Königs Vincenzo würde die Monarchie von Casavalle weiterführen. Was, wenn nicht ich das bin?

Man hatte Luca dazu erzogen, seine persönlichen Interessen zugunsten seiner Position im Königreich zurückzustellen. Er war es gewohnt, ebenso pflichtbewusst wie kontrolliert zu agieren. Doch dieses verfluchte letzte Jahr voller Erschütterungen und Fallstricke drohte, ihn langsam in den Wahnsinn zu treiben.

Möglicherweise war heute gar nicht der schlimmste Tag, vielleicht lag dieser bereits vier Monate zurück, als sein Vater König Vincenzo gestorben war und so viele unausgesprochene Dinge mit ins Grab genommen hatte, die Luca jetzt das Leben zur Hölle machten. Vor allem anderen betraf das die Akzeptanz und Anerkennung, nach der er sein Leben lang gehungert hatte und die ihm durch den Tod des Vaters versagt blieben.

Und nun brachte auch noch die Annullierung seiner Hochzeit mit Prinzessin Meribel die Festigung der Beziehung zwischen Casavalle und Aguilarez erneut in Gefahr.

Laut Gesetz bestand die Möglichkeit, dass der Thron an jemanden fiel, der nicht darauf vorbereitet war, diese ebenso verantwortungsvolle wie diffizile Aufgabe zu bewältigen. Jemand, der nicht in der Lage war, sich auf das vorzubereiten, was unweigerlich kommen würde: die Zügel zum Wohl einer ganzen Nation in die Hand zu nehmen und dieser Aufgabe alles andere unterzuordnen.

Wieder wanderten Lucas Gedanken zu Imogen.

Eigentlich sollte sein Bruder Antonio heute hier in der Crystal Lake Lodge sein. Doch angesichts der Dringlichkeit und Brisanz hatte Luca spontan beschlossen, sich selbst um die Krise zu kümmern, zumal sie mehr Auswirkungen auf sein Leben als auf das der anderen Mitglieder des Königshauses haben würde.

Die Tatsache, dass seine Hochzeit, auf die sich die Einwohner zweier Königreiche gefreut hatten, nun doch nicht stattfinden würde, hatte seinen Entschluss nur noch bekräftigt. In seinem leichten Gepäck, zu dem er sich entschieden hatte, führte er allerdings auch ein echtes Schwergewicht mit sich: einen Namen, nach dem er Imogen fast gefragt hätte, ob er ihr vertraut sei …

Sie kenne alle Dorfbewohner, hatte sie gesagt.

Aus dem Dorf, in das Sophia – die erste Frau seines Vaters – geflohen war, um sich dort nach dem katastrophalen Ende ihrer königlichen Ehe vor der Welt zu verstecken.

Im letzten Moment hatte er sich die Frage verkniffen. Er brauchte mehr Zeit, um sie, wie alle weiteren Fragen, die ihm auf der Seele brannten, sorgfältig zu formulieren.

Apropos Zeit … Luca schaute auf die Uhr und runzelte die Stirn.

Das Dinner, das Imogen vorbereiten wollte, hatte er auf jeden Fall verpasst. Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass es drei Uhr morgens war.

Jetlag!

In Casavalle war es Frühstückszeit. Plötzlich wurde sich Luca seines nagenden Hungers und der tiefen Stille um ihn herum sehr bewusst. Warum hatte ihn das Geräusch des zurückkehrenden Helikopters nicht geweckt? Das war mehr als ungewöhnlich.

Auch Cristiano hatte sich gar nicht bei ihm gemeldet. Was gab es für Neuigkeiten von der hochschwangeren Frau? Was war mit dem Baby?

Luca seufzte.

Gute Babynachrichten wären zumindest erfrischend, dachte er nicht ohne eine Spur von Verbitterung und wollte das Licht auf dem Nachttisch anknipsen. Nichts. Er stand auf, suchte die Wand nach dem Lichtschalter ab, drehte daran. Wieder nichts. Auch sein Koffer, den Cristiano in jedem Fall ins Zimmer gestellt hätte, war nirgends zu finden beziehungsweise zu ertasten.

Luca ging zum Fenster – in der Hoffnung, trotz der Dunkelheit wenigstens die Umrisse des Helikopters auf dem Rasen sehen zu können.

Stattdessen bot sich ihm eine fremde Welt in Weiß und Schwarz. Aus dem pechschwarzen Himmel fielen unaufhörlich dicke Schneeflocken herab, auf eine geschlossene weiße Decke. Noch nie zuvor hatte er so viel Schnee in so kurzer Zeit fallen sehen.

Den Helikopter hatte er nicht gehört, weil er nicht zurückgekommen war.

Erneut griff Luca nach seinem Handy. Keine Nachricht, was nicht überraschend war, da er kein Signal hatte. Hatte Miss Albright ihn nicht diesbezüglich gewarnt? Ob sich das auch aufs Festnetz bezog?

Luca erinnerte sich, beim Betreten des Raumes ein altmodisches Telefon gesehen zu haben. Es stand auf dem Schreibtisch neben dem Kamin. Er tastete sich durch die Dunkelheit und nahm den Hörer ab. Nichts.

Grundgütiger! Abrupt legte er den Hörer wieder auf. Hat sich denn alles und jeder gegen mich verschworen? Von Amor bis zum Wettergott?

Sein Handy funktionierte nicht, sein Tablet war samt Leibwächter im Helikopter, irgendwo im Nirgendwo. Und dank eines unerwarteten Wintereinbruchs war er hier gefangen, am schlimmsten Tag seines Lebens …

So gesehen müsste er am Boden zerstört sein. Und doch machte sich unerwartet ein neues, ebenso unbekanntes wie aufregendes Gefühl in ihm breit, das er kaum zu benennen wagte.

Freiheit.

Energisch schüttelte er einen verwegenen Anflug von Euphorie ab, den sein Vater niemals gebilligt hätte. Die herrschenden Umstände erforderten höchstens noch mehr Verantwortung und Einsatz von seiner Seite, statt ihn zu entlasten.

Doch, ob er wollte oder nicht, es sah so aus, als könnte er seinen Pflichten und Verantwortungen wenigstens für eine kleine Weile entfliehen … ganz ohne sein Zutun!

Wie lange die Gnadenfrist dauern würde, stand allerdings in den Sternen.

Luca ertappte sich dabei, wie er lächelte. Er überlegte, was er mit der gewonnenen Zeit anstellen könnte, wobei Punkt eins auf der Liste nicht zu verkennen war: Sein Magen knurrte hörbar und forderte etwas Nahrhaftes.

Er öffnete seine Schlafzimmertür, starrte in die Dunkelheit und schauderte unwillkürlich. Offenbar war auch die Heizungsanlage auf Strom angewiesen. Im Schein seiner Handylampe merkte er sich markante Punkte, ehe er sie wieder ausschaltete. Am Fuß der Treppe war ihm eine Rundbogentür aufgefallen, die eventuell in den Speisesaal führte.

Dort angekommen, wartete er einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Kein Esszimmer, sondern eine Kombination aus Büro und Wohnraum, lautete sein Urteil. Es gab einen großen Schreibtisch am Fenster, eine Couch und einen Kamin, den man vielleicht nutzen konnte.

Hier könnte ich es mir mit Miss Albright bequem machen …

Ein spontaner Gedanke, geboren aus dem rein ritterlichen Bedürfnis, sie vor dem Schneesturm zu beschützen.

Luca schüttelte über sich selbst den Kopf und ging zum Kamin hinüber. Da normalerweise nicht er derartige Wärmequellen entzünden und befeuern musste, war es wohl angeraten, sich zunächst mit der Handhabung vertraut zu machen. Dass er es Miss Albright überließ, für ihren Komfort zu sorgen, kam nicht infrage.

Als er sich umdrehte, stieß er gegen das Sofa, strauchelte leicht und kickte mit dem Fuß gegen ein am Boden liegendes Handy, dessen Display durch den Stoß aufleuchtete. In dem schwachen Lichtschein sah er Imogen Albright auf der niedrigen Couch liegen. Sie schlief tief und fest. Das Handy musste aus ihrer erschlafften Hand gerutscht sein.

Luca hob es auf und starrte auf das Foto, das den gesamten Bildschirm ausfüllte. Es zeigte Miss Albright, die den Mann anhimmelte, an dessen Brust sie sich schmiegte. Ihre linke Hand ruhte auf seinem Oberarm, und an ihrem Ringfinger funkelte offensichtlich ein Verlobungsdiamant.

Es war ein schlichter Ring, absolut nicht mit dem prachtvollen Erbstück zu vergleichen, das er Prinzessin Meribel anlässlich ihrer formellen Verlobung an den Finger gesteckt hatte. Ein Ring, den er sorgfältig und mit Bedacht aus der berühmten königlichen Sammlung des Königshauses Valenti ausgewählt hatte, um nicht nur seiner Braut, sondern auch ihrer Familie und dem gesamten Königreich zu zeigen, wie hoch er das neue Bündnis ansiedelte, das sie eingehen würden.

Der Ring eines berühmten casavallianischen Juweliers wurde auf fünfzehn Millionen Dollar geschätzt.

Im Nachhinein überlegte Luca, ob Meribels Gesichtsausdruck bei diesem Anlass nicht eher mit eiserner Entschlossenheit als hingebungsvoller Liebe beschrieben werden konnte. Zumindest hatte sie nichts von dem an sich gehabt, was Miss Albright auf dem Foto ihrem Verlobten zeigte.

Behutsam legte Luca das Handy auf den Couchtisch und versuchte, den bitteren Geschmack in seinem Mund loszuwerden.

Liebe … Love, Amore …

Das war es, was der strahlende Ausdruck auf Miss Albrights Gesicht signalisierte.

Und was er sich versagt hatte, da Liebe eine gefährliche Emotion war, die das Königshaus Valenti fast zum Einsturz gebracht hätte. Die erste Ehe seines Vaters, eine romantische Liebesheirat, endete in einem Skandal, einer Katastrophe.

Sein Vater hatte ihm eingebläut, dass die Liebe nicht mehr als eine launische Spielerei sei, der man nicht vertrauen dürfe, da sie nur Unheil anrichte. Und Meribels unerwartetes Geständnis, dass sie einen anderen Mann liebe und ein Kind von ihm erwarte, war der Beweis für die Richtigkeit der These seines Vaters.

Trotzdem weckte dieser weiche, hingebungsvolle Blick, den Miss Albright ihrem Verlobten auf dem Foto schenkte, ein leises Gefühl von Sehnsucht in Lucas Brust. Und da war noch etwas anderes, was an ihm nagte, was er aber nicht auf Anhieb identifizieren konnte.

Dann dämmerte es ihm plötzlich: Er war eifersüchtig auf das, was Miss Albright und ihr Verlobter ganz offensichtlich miteinander teilten.

Eifersucht …

Ein Gefühl, von dem er bis heute vollmundig behauptet hätte, es nicht zu kennen. Woher auch? Jeder war davon überzeugt, dass er alles hatte, was man sich nur wünschen konnte. Er verfügte über Macht und Reichtum und würde bald König sein. Das ging weit über alles hinaus, was man sich erträumen konnte.

Und dennoch … zu welchem Preis? Ein Leben ohne Liebe?

Wie mochte es sich anfühlen, so tief zu lieben, wie Meribel es offenbar tat – so ausschließlich, dass sie bereit war, dafür das Wohl einer ganzen Nation zu opfern. Was trieb Menschen zu so einem großen Gefühl an? Wie mochte es sein, vollkommen die Kontrolle zu verlieren? Sich ohne Vorbehalte einer großen Leidenschaft hinzugeben?

Die Geschichte seiner Familie musste ihm als Antwort reichen: Es war eine Einladung zum Untergang. So einschneidend und nachhaltig, dass die Liebeskatastrophe seines Vaters von vor mehr als dreißig Jahren noch heute in der Lage war, ein unübersehbares Chaos anzurichten.

War tatsächlich ein Kind aus der kurzen ersten Ehe des Königs hervorgegangen? War die Behauptung real oder nur ein raffinierter Erpressungsversuch?

Sinnend betrachtete Luca Miss Albrights entspanntes Antlitz und schluckte trocken angesichts der Süße und Verletzlichkeit, die im Schlaf zutage traten. Erneut meldeten sich wilde Beschützerinstinkte in ihm, zumal die spürbare Kälte um ihn herum zunahm. Trotzdem wollte er nicht riskieren, sie durch das Anzünden des Kamins zu wecken. Stattdessen schlich er sich zu einem Ohrensessel, auf dem eine Decke lag, nahm sie mit zum Sofa und breitete sie behutsam über die Schlafende.

Eine Woge von Zärtlichkeit erfasste ihn und verschlug ihm fast den Atem. Doch dann erinnerte er sich streng daran, dass diese Sleeping Beauty einem anderen gehörte. Unwillkürlich wanderte sein Blick zu ihrer linken Hand.

Der Ring vom Foto fehlte.

Nicht, dass das etwas bedeuten musste. Vielleicht legte sie ihn nur während der Arbeit ab.

Luca zwang sich, den Blick abzuwenden, und nahm die Suche nach etwas Essbarem wieder auf. Schließlich fand er einen gemütlichen Speisesaal mit getäfelten Wänden und massiven Holztischen. Auf dem einzigen gedeckten Tisch stand ein Tablett mit einem Suppentopf. Als er den Deckel anhob, konnte er im Schein seiner Handylampe Pilze und Kräuter in einer cremigen Suppe ausmachen. Daneben stand ein Käseteller, dekoriert mit Erdbeeren und Trauben.

Alles war liebevoll hergerichtet. Luca fragte sich, ob Imogen enttäuscht gewesen war, als er nicht zum Abendessen erschienen war. Er probierte eine Scheibe Käse, die leider so trocken war, wie sie aussah. Kein Wunder, nachdem sie stundenlang auf dem Teller gelegen hatte. Trotzdem heizte der herbwürzige Geschmack seinen Appetit nur noch an. Die Suppe schmeckte warm sicher besser.

Luca vergaß, dass er dafür Strom brauchte, füllte einen bereitstehenden tiefen Teller voll und machte sich auf die Suche nach der Küche.

3. KAPITEL

Imogen erwachte mit klopfendem Herzen und musste einen Moment überlegen, wo sie war. Dann erinnerte sie sich. Sie hatte ein improvisiertes Mahl für den Prinzen gezaubert und war, als er nicht heruntergekommen war, eher erleichtert als frustriert gewesen. Ihr Dinner hätte man kaum fürstlich nennen können!

Anschließend hatte sie von ihrem Büro aus versucht, Nachrichten über Rachels Zustand und das Baby zu bekommen. Doch der zunehmende Schneesturm hatte die Verbindung zunächst gestört und dann ganz abreißen lassen. Und zu allem Überfluss fiel kurz darauf auch noch der Strom aus.

Für sie gehörte das zum Leben in den Bergen, doch mitunter war die Demonstration an die Ohnmacht des Menschen gegenüber einer gewaltigen Natur auch unglaublich frustrierend.

Irgendwann musste sie auf der Couch eingeschlafen sein, doch sie erinnerte sich nicht daran, sich unter die Decke gekuschelt zu haben, die sie jetzt fröstelnd enger um sich zog, bis nur noch ihre Nasenspitze hervorlugte. Die Lodge kühlte zunehmend aus. Bald würde sie sich aufraffen und Feuer machen müssen. Aber bis dahin …

Ein lautes Krachen und das unverkennbare Geräusch von splitterndem Glas aus Richtung der Küche ließen Imogen auffahren.

Auch das gehörte zu den unerfreulichen Realitäten des Gebirgslebens – seltsame Kreaturen, die unter extremen Bedingungen beschlossen, die Lodge zu entern. Mehrfach war das Waschbären gelungen. Und einmal, ein Bild an der Küchenwand zeugte von dem denkwürdigen Ereignis, war ein kleiner Schwarzbär durch eines der Fenster gekracht und hatte den Koch ganze zwanzig Minuten lang terrorisiert, bevor sie es geschafft hatten, ihn aus der Tür hinaus ins Freie zu treiben.

Mit einem Ruck warf Imogen die wärmende Decke ab und bewaffnete sich mit einer schweren antiken Messinglampe, die auf einem Beistelltisch neben dem Sofa stand. Inzwischen hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Auf Zehenspitzen schlich sie den kurzen Flur entlang, vorbei am Esszimmer, in Richtung Küche. Vor der Tür holte sie tief Luft und brachte den Lampensockel in Angriffsstellung.

Beim Eintreten sah sie einen zusammengekauerten Schatten vor dem Kühlschrank hocken. Sie kniff die Augen zusammen, ihr Herz klopfte wie verrückt. Zu groß für einen Waschbären, lautete ihr Urteil. Ein Vielfraß? Ein junger Bär, der sich vor dem Sturm hierher geflüchtet hatte?

„Raus mit dir!“, fauchte sie und sprang vor.

Die dunkle Gestalt richtete sich auf … kein Bär, sondern ein Mann!

„Oh!“ In letzter Sekunde gelang es ihr, den Schwung der Lampe umzulenken, sodass sie seitlich zu Boden krachte. Imogen schrie auf, da der Lampensockel ihren Zeh traf, und die Glühbirne war dem Geräusch nach auch zu Bruch gegangen.

Im nächsten Moment spürte sie starke Hände auf ihren Schultern. „Miss Albright?“

Ein Märchenzauber! schoss es ihr unsinnigerweise durch den Kopf. Aus einem Bären wurde wie durch ein Wunder ein Prinz …

Ein Wunder, das sie den hämmernden Schmerz in ihrem Zeh vergessen ließ. Zu ihrer Bestürzung hätte Imogen vor Schock und Aufregung beinahe mädchenhaft losgekichert.

„Lieber Himmel! Eure Hoheit … Prinz Luca …“, stammelte sie. „Es tut mir schrecklich leid. Fast hätte ich einen internationalen Zwischenfall, einen Eklat verursacht!“

Mit seinem Humor schien es nicht weit her zu sein. Im Schein seiner Handylampe glich sein markantes Gesicht einer grimmigen Maske. Die Augen blitzten gefährlich.

Seltsam, diese Augen erinnerten sie an jemanden, der genauso aussah, wenn er wütend war … aber wer?

„Was um alles in der Welt …“, fluchte er grimmig und riss sich dann sichtlich zusammen. „Sie wollten mich angreifen, weil Sie mich für einen Eindringling hielten? Wer würde denn in einem derartigen Sturm versuchen, Ihre Küche zu entern?“

„Ich hatte keinen Menschen im Sinn, sondern dachte eher an einen Bären“, verteidigte sich Imogen. „Es wäre schließlich nicht das erste Mal gewesen.“

„Im Ernst?“

„Ist nicht so ungewöhnlich. Oder andere Tiere wie Waschbären oder Vielfraße.“

Er kniff die Augen zusammen, was seinem funkelnden Blick noch mehr Ausdruck und Tiefe verlieh. „Wollten Sie ernsthaft einen Bären angreifen mit diesem …“ Luca bückte sich und hob ihre Waffe auf. „Was ist das?“

„Ein antiker Lampensockel.“

„Und ganz schön schwer.“

Imogen schnitt eine Grimasse. „Was mein lädierter Fuß bestätigen kann.“

„Das war nicht nur dumm, sondern sehr leichtsinnig“, rügte Prinz Luca, erntete dafür aber nur ein Schulterzucken.

„Ich bin hier aufgewachsen und habe früh gelernt, mich auf unvorhersehbare Situationen einzustellen und schnell zu reagieren. Sie haben offensichtlich keine Ahnung, was ein Bär in wenigen Minuten mit einer Küche anstellen kann.“

„Nein, in der Tat. Dafür aber sehr wohl, was ein Bär mit einer zierlichen Person anstellen kann, die nur mit einer Lampe bewaffnet ist.“

Versucht er etwa, sich als mein Beschützer aufzuspielen? Tapfer verdrängte Imogen jeglichen Anflug weiblicher Schwäche und reckte ihr Kinn. „Einigen wir uns doch, dass ich darauf verzichte, Ihnen vorzuschreiben, wie Sie Ihren Job zu erledigen haben, und Sie sagen mir nicht, was ich tun oder lassen soll.“

Luca brauchte einen Moment, um sich von seiner Verblüffung zu erholen. Oder sollte man es eher Schock nennen? Normalerweise hielt man sich dezent zurück, wenn er sprach. Und wer Befremden oder Verärgerung von seiner Seite spürte, tat für gewöhnlich alles, um sein Wohlwollen zurückzugewinnen.

Nicht so Miss Albright, die ihr Kinn nur noch eine Spur höher hob.

Prinz Luca vergrub die Hände in den Hosentaschen und wiegte sich gereizt auf den Fersen. „Geht es Ihnen gut? Ich meine, Ihrem Fuß?“, fragte er grimmig.

„Alles bestens.“ Imogen trat einen Schritt zurück und stieß einen kurzen Schmerzensschrei aus, als sie dabei in die Scherben der Glühbirne trat.

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hob der Prinz sie hoch. Trotz des Schocks entging ihr weder die Härte seiner Brustmuskeln noch der kräftige Herzschlag an ihrer Wange. Und der maskuline Duft, der sie einhüllte, war berauschender als Wein.

Verdammt! Da war sie wieder, diese vertraute Schwäche … stärker denn je.

„Da liegen noch mehr Scherben“, erklärte er fast brüsk. „Möglicherweise ist es auch rutschig. Ich habe die Suppenschüssel fallen lassen.“

„Das war also das Geräusch, das ich dem Bären zugeschrieben habe!“

„Hm, wahrscheinlich. Lassen Sie mich erst einmal einen sicheren Platz für Sie finden.“

Als gäbe es einen besseren Platz als den an seiner starken Brust … wobei der nicht sicher, sondern ausgesprochen gefährlich war.

Nach einer kurzen Orientierung zog Luca einen Küchenstuhl mit dem Fuß hervor, setzte Imogen ab und kniete sich vor sie hin, die Handylampe gen Boden gerichtet.

„Sie sollten die Lampe lieber für Wichtigeres schonen“, schlug sie heiser vor.

„Welcher Fuß?“

„Links.“

Sanft hob er ihn an, schob die Socke zurück und legte die Ferse frei. „Hier ist ein wenig Blut … und ein Glassplitter. Haben sie einen Erste-Hilfe-Kasten? Ich brauche eine Pinzette und Verbandszeug.“

„Da drüben … in der großen Schublade.“ Ihre Stimme klang sogar in den eigenen Ohren atemlos und viel zu hoch.

Der Prinz setzte ihren Fuß vorsichtig ab, stand auf und durchquerte den Raum. Imogen nutzte die kurze Pause, um sich energisch zu sagen, dass Herzklopfen und Kurzatmigkeit allein auf den Schreck zurückzuführen waren und nicht auf seine maskuline Präsenz.

Als er ihren Fuß erneut anhob, entfuhr ihr ein nervöses kleines Kichern.

„Kitzelig?“ Die dunkle samtige Stimme mit dem leicht exotischen Akzent war so unbewusst sinnlich wie seine Berührung. Und dann dieses Lächeln, während er auf ihre Antwort wartete.

„Nein, eher nervös. Es liegt wohl an der absurden Situation: ein Prinz zu meinen Füßen! Als ich heute Morgen aufgestanden bin …“

„Gestern“, korrigierte er sie.

Er hatte recht. Es war in der Tat ein neuer Tag … voller Potenzial und Überraschungen. Wann hatte sie sich das letzte Mal von etwas Unerwartetem begeistern lassen? Das war lange her. Seit ihrer Trennung von Kevin versuchte Imogen verzweifelt, ihre private Welt unter Kontrolle zu halten.

„Und nicht immer kann man vorhersehen, was er einem bringt“, setzte Luca hinzu.

„Sie sagen das so, als hätten Sie unlängst eine unangenehme Erfahrung in dieser Hinsicht gemacht“, entfuhr es ihr spontan. „Eure Hoheit …“, fügte sie hastig hinzu, als könnte sie ihre vorlaute Bemerkung damit ungeschehen machen.

Der Prinz hockte sich auf die Fersen und suchte ihren Blick. „Wollen wir nicht für eine Weile einfach nur Luca und Imogen sein?“, schlug er vor.

Dieses Ansinnen ließ ihr Herz ganz oben im Hals klopfen. „Luca …“, murmelte Imogen probehalber und dann, viel lauter: „Autsch!“

„Es dauert nur eine Sekunde. Desinfektionsmittel brennt nun mal ein bisschen.“

Hatte er das vielleicht mit Absicht getan? Um sie von der Frage nach etwaigen unangenehmen Überraschungen abzulenken?

„Danke, das war sehr … nett“, brachte sie mühsam hervor, nachdem er ihren Fuß behutsam bandagiert hatte.

„Nicht aufstehen“, befahl er. „Hier liegen noch überall Scherben. Ich habe Schuhe an und werde erst mal den Boden säubern.“

„Nein, ich kann doch nicht …“

„Tust du eigentlich jemals, was man dir sagt?“, fragte er brüsk und hob mokant eine dunkle Braue, als ihr ein Kichern entschlüpfte.

Sorry, aber es ist nicht zu übersehen, dass Sie es gewohnt sind, andere …“

„Du.“

„Ich?“

„Nicht Sie und nicht Eure Hoheit. Mag sein, dass etliche Monarchen noch einem versunkenen Jahrhundert anhängen, aber ich bin nicht so verwöhnt, wie es die Märchenbücher vielleicht glauben machen.“

„Trotzdem finde ich es nicht richtig, dass Sie … dass du auf dem Boden herumkriechst, während ich hier sitze und zuschaue“, platzte Imogen heraus.

„Da wir nun einmal unerwartet in diesem Schneesturm zusammengesperrt sind, sollten wir uns wie zwei ganz normale Menschen verhalten“, erwiderte Luca. „Solange es dauert.“

Imogen biss sich auf die Unterlippe. Was er vorschlug, erschien ihr ebenso gefährlich wie schräg. Andererseits war es etwas, was sie auch von anderen Prominenten kannte: das Bedürfnis, die gewohnte Rolle für eine kurze Zeit hinter sich zu lassen und einfach nur man selbst zu sein.

„Also gut“, lenkte sie ein. „Der Besenschrank ist gleich hinter der Tür.“

Seine Bemühungen, im Schein einer Handylampe für Ordnung zu sorgen, waren nicht sehr überzeugend, dafür aber ungeheuer rührend und verdammt liebenswert!

Lieber Himmel! Sie war in echten Schwierigkeiten.

Konnte es sein, dass Prinz Luca als gewöhnlicher Mann noch mehr überzeugte als in seiner königlichen Rolle?

„Was hat dich überhaupt in die Küche geführt?“, wollte Imogen wissen, nachdem Luca die verschüttete Suppe aufgewischt hatte und nun mit der Handylampe den Boden nach Glasresten absuchte.

„Ich war ausgehungert wie …“

„Ein Bär?“, ergänzte sie lachend, und er stimmte bereitwillig ein.

Lautstark und mit zurückgelegtem Kopf. Es war ein ansteckendes Lachen, das sie regelrecht mitriss. Fast fühlte es sich so an, als hätte sie nie zuvor wirklich gelacht. Oder zumindest sehr, sehr lange nicht.

„Ich hatte mit dem Jetlag zu kämpfen, und als ich mitten in der Nacht wach wurde, knurrte mein Magen tatsächlich wie der eines hungrigen Bären. Darum wollte ich die Suppe aufwärmen, die du mir gekocht hast. Dass ich den Stromausfall verdrängt habe, schreibe ich auch dem Jetlag zu“, bekannte er mit schiefem Lächeln.

„Soll heißen, du bist immer noch hungrig?“

„Nahezu verhungert!“

„Tja, wir könnten den Kühlschrank nach etwas durchforsten, was nicht gekocht werden muss“, schlug Imogen vor. „Oder wir brutzeln uns etwas am Kamin im Arbeitszimmer.“

„Na, wenn sich das nicht nach Abenteuer anhört! Würde mir gefallen.“

„Wenn das so ist, beginnen wir am besten mit den Basics. Hast du schon mal ein Hotdog gegessen?“

„Einen was? Ich wusste gar nicht, dass Kanadier Hunde essen.“

„Tun wir nicht! Aber …“ Erst verspätet merkte Imogen, dass sie aufgezogen wurde. Natürlich wusste auch ein Prinz, was ein Hotdog war. Wieder lachten sie beide.

„Auf jeden Fall ist es schnell gemacht“, führte sie an. „Und viele finden es sogar richtig lecker, besonders wenn man das Würstchen über offenem Feuer grillt.“ Sie humpelte zum Kühlschrank, holte Wurst und Brötchen, suchte das restliche Equipment zusammen und verstaute alles in einem Korb, den Luca ihr galant abnahm. Seinen zweiten Arm bot er ihr als Stütze.

Im Büro angekommen, bestand er darauf, dass sie sich aufs Sofa setzte, während er sich ums Kaminfeuer kümmerte.

„Wir haben hier auch einen Generator, ein Notstromaggregat“, vertraute sie ihm an. „Aber das möchte ich nicht länger als ein, zwei Stunden am Tag anstellen, um zu verhindern, dass die Lebensmittel im Kühlschrank verderben. Die Kamine reichen als Wärmequelle aus. Auch zum Kochen und für warmes Wasser, allerdings kann es sein, dass wir Holz hacken müssen.“

„Hört sich an, als würdest du dich auf eine lange Durststrecke einstellen …“

In den Bergen eingeschneit mit einem Prinzen … welche Frau aus Fleisch und Blut würde nicht davon träumen?

„Ich will nur auf alles vorbereitet sein“, erwiderte Imogen betont nüchtern.

„Wie könnte das schlimmstenfalls aussehen?“

„Als Kind war ich einmal über eine Woche hier eingeschneit.“

„Eine Woche?“, echote Luca entsetzt.

Imogen hob die Brauen. „Das war über Weihnachten, und ich fand es herrlich. Wir hatten Gäste und wurden schnell zu einer Familie. Wir machten uns gegenseitig Geschenke, haben über offenem Feuer gekocht, Puffmais gemacht …“ Sie lächelte verträumt.

„Und weiter?“

„Weiter?“ Sein Blick besagte, dass er aufrichtig interessiert war. „Na ja, wir vertrieben uns die Zeit mit Brettspielen, tollten im Schnee herum und haben viel gesungen. Weihnachten ist hier oben in den Bergen eigentlich immer wunderbar, aber das ist meine Lieblingserinnerung. Es war so unkompliziert, irgendwie echt.“

„Du liebst Weihnachten sehr, oder?“

„Natürlich. Tut das nicht jeder?“

Luca senkte den Blick und schwieg.

„Weiter …“, ermunterte sie ihn sanft, wie er es eben auch getan hatte. Dann hielt sie den Atem an. Sicher würde er ihr keine Einzelheiten seines Privatlebens mitteilen.

Aber dann begann er zu ihrer Überraschung zu erzählen, leise und voller Bedacht. „Weihnachten ist ein riesiges Fest in Casavalle. Während wir hier sitzen, dürften die ersten Vorbereitungen schon begonnen haben.“

„Es ist erst Oktober“, erinnerte sie ihn.

„Ja, ich weiß“, entgegnete er ruhig. „Sechs Dutzend sehr alte, sehr große norwegische Fichten säumen die Auffahrt zum Palast. Sie alle werden bis in die Spitze mit Lichtern geschmückt. Ich glaube, ich habe einmal gehört, es seien über eine Million. Wenn sie angeschaltet sind, ist keine andere Beleuchtung nötig. Im Hauptbrunnen lagern tonnenschwere Eisblöcke, die auf ihren Einsatz für den Eisskulpturen-Wettbewerb warten. Da wir nicht grundsätzlich mit Frost rechnen können, hat der Brunnenboden ein kompliziertes Kühlsystem, um das Schmelzen des Eises zu verhindern.“

Er lächelte schwach, als er sah, dass Imogen das alles erst einmal verdauen musste.

„Und während sich die Kinder am liebsten im festlich dekorierten Heckenlabyrinth vergnügen, sucht der Oberförster im Wald nach dem perfekten Baum für die große Eingangshalle des Schlosses. Er ist über dreißig Meter hoch, und der Engel darauf berührt fast die Decke des Foyers, das so groß ist, dass sich dort die ganze Adventszeit über verschiedene Chöre einfinden, um vor dem Baum zu singen.“

Imogens Augen wurden immer runder.

„Hast du schon mal von dem Juwelier Buschetta gehört?“

„Ich glaube nicht.“

„Er gilt als einer der berühmtesten Söhne unseres Königreiches. Seine Inspiration war Fabergé. Ende des 19. Jahrhunderts begann er damit, Schmuckstücke für den Weihnachtsbaum im Schloss anzufertigen, und seine Familie setzte die Tradition fort. Es sind außergewöhnliche, wundersame Kreationen. Sie scheinen massiv und aus einem Stück gefertigt zu sein, aber ebenso wie die berühmten Fabergé-Eier bergen sie ein Geheimnis. Ein verstecktes Fach könnte zum Beispiel eine Krippenszene enthalten. Oder die Miniatur einer ganzen Stadt, eine Nachbildung des Schlosses oder an ein besonderes königliches Ereignis erinnern wie eine Geburt, eine Hochzeit oder eine Krönung.“

Imogen hielt den Atem an. Was ließ seine Stimme plötzlich so rau klingen und beben, als er von besonderen königlichen Ereignissen sprach? Während sie darüber nachdachte, war es bereits vorbei, und Luca hörte sich wieder an wie ein Museumsführer.

„Jedes Jahr wird ein neues Ornament kreiert und sein Geheimnis in einer besonderen Zeremonie gelüftet. Im darauffolgenden Jahr wird das Schmuckstück zu den anderen in den Baum gehängt. Aus der ganzen Welt reisen Menschen an, um die Buschetta-Kreationen zu sehen. Die Kollektion gilt als unbezahlbar, was nur einer der Gründe ist, warum wir uns in Casavalle so früh auf Weihnachten vorbereiten. Anders würde man dem ungeheuren Ansturm unmöglich gerecht werden können, der für unser Land natürlich ein wahrer Segen ist.“

Für Imogen klang das alles sehr nobel und imposant. Doch was sie in seiner Stimme vermisste, war Wärme, wenigstens ein Funken.

„Erzähl mir mehr davon“, bat sie.

„Der Palast muss pünktlich für die Enthüllung des Baumes bereit sein, daher werden Teams vom gesamten Hauspersonal beauftragt, die weihnachtlichen Dekorationen – einige von ihnen sind jahrhundertealt – von Dachböden, aus Gewölben und Kellern zusammenzutragen. In der Palastküche wird Tag und Nacht gebacken, in der Kathedrale die Weihnachtsmesse gefeiert, und am Tag nach Weihnachten sind die Türen des Palastes für alle Bürger von Casavalle geöffnet. Riesige Buffets mit Glühwein und heißer Schokolade stehen bereit. Es ist wirklich großartig.“

Klingen tat es jedenfalls danach, zumindest im ersten Moment.

„Aber?“, fragte Imogen leise.

Luca zögerte. „Es hat nichts mit dem zu tun, wovon du erzählt hast. Es ist nicht warm, lustig und gemütlich, sondern großartig, königlich und sehr förmlich. Am Tag nach Weihnachten stehen mein Bruder Antonio und ich stundenlang an den Palasttoren und begrüßen fremde Leute. Als Kind hatte ich einen absoluten Horror davor. Ich wusste, dass meine Füße höllisch schmerzen werden, während ich mich zu Tode langweile und trotzdem gute Miene zum bösen Spiel machen und dauernd reden und lächeln muss.“

„Ohne Spickzettel?“, fragte Imogen beklommen.

„Die Begrüßung war formell und stereotyp, und auf die unvermeidliche Frage, was ich zu Weihnachten bekommen hätte, gab es nur eine Antwort: Alles, was ich mir gewünscht habe.“

„Und das war eine Lüge?“, fragte sie angesichts seiner angespannten Miene und des gepressten Tonfalls zaghaft.

Er warf ihr einen kurzen gequälten Blick zu und ging zum Kamin. „Natürlich stimmte es“, antwortete er, ohne sich umzudrehen. „Ich habe immer großartige Geschenke bekommen, zum Teil aus anderen Königshäusern, aus der ganzen Welt. Manchmal von Kindern, die ich noch nie gesehen hatte.“

Sie ertrug es nicht, nur seinen Rücken zu sehen, wenn seine Stimme ihn derart verriet. Also humpelte Imogen zum Kamin hinüber, ließ sich dort auf dem Boden nieder und stellte ganz nebenbei fest, dass ihr Prinz tatsächlich absolut keine Ahnung vom Feuermachen hatte.

Von wegen mein Prinz! rief sie sich zur Ordnung.

„Die Bedeutung von Weihnachten definiert sich nicht über Geschenke, die man bekommt“, sagte sie leise und drängte ihn sanft vom Kamin zurück, um selbst das Feuer anzuzünden.

„Ich weiß“, gab er steif zurück.

„Es geht darum, wie man sich fühlt.“

„Soll heißen …“

„Geliebt, umgeben von Freude und voller Hoffnung auf das neue Jahr … im Vertrauen darauf, dass alles gut wird, egal, was passiert.“

Luca schnaubte höhnisch. „Klingt wie aus einem dieser kitschigen Weihnachtsfilme, an die ich als kleiner Junge noch geglaubt habe. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus, und nur wenige können nachvollziehen, was es heißt, von royaler Geburt zu sein. Du musst die ganze Zeit über eine Rolle spielen, aus der du unter keinen Umständen ausbrechen darfst. Du bist rund um die Uhr im Visier von Zuschauern und Kritikern, die nur darauf warten, dass du einen Fehler machst und strauchelst.“

„Aber …“

„Gefühle zu zeigen wird Führungspersönlichkeiten nicht zugestanden“, fuhr er fort. „In Casavalle ist Weihnachten allein ein Fest fürs Volk. Jedes Jahr geht es darum, unseren Untertanen ein unvergessliches Christfest zu bescheren.“

„Und das wurde schon von dir erwartet, als du noch ein kleiner Junge warst?“

Er seufzte. „Da besonders. Schließlich musste ich lernen, welche Pflichten und Verantwortungen ich zukünftig übernehmen werden muss. Das Streben nach persönlichem Glück war eine gefährliche Falle, die es strikt zu umgehen galt.“

„Aber du hast bestimmt auch einige glückliche Weihnachtserinnerungen, oder?“

Er dachte viel zu lange darüber nach. „Willst du wirklich hören, was meine eindrücklichste Kindheitserinnerung an Weihnachten ist?“

Imogen nickte etwas verunsichert.

„Da meine Eltern in einem Jahr ohne vorherige Ankündigung über Weihnachten offiziellen Verpflichtungen im Ausland nachkommen mussten, verbrachten Antonio und ich das Fest mit dem Personal. Wir nahmen das Weihnachtsessen zu zweit am riesigen Esstisch ein und packten unsere Geschenke aus. Ich meine mich daran zu erinnern, dass wir dabei über die Existenz von Babbo Natale debattierten, den wir ebenso wenig zu Gesicht bekamen wie unsere Eltern. Aber zumindest servierte man uns einen Extra-Pudding.“

„Und was haben deine Eltern dazu gesagt?“

Luca krauste die Stirn. „Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, dieses Thema ihnen gegenüber auch nur angeschnitten zu haben.“

Darauf fiel Imogen keine Erwiderung ein. Bedrückt dachte sie, wie traurig es war, dass er sich an den zusätzlichen Pudding erinnerte, aber nicht daran, ob seine Eltern eine Entschuldigung oder Erklärung ausgesprochen hatten.

„Schau mich bitte nicht so an.“

Imogen blinzelte verwirrt. „Wie … was?“

„Als ob du Mitleid mit mir hättest.“

Rasch senkte sie den Blick und konzentrierte sich darauf, das zusammengerollte Zeitungspapier unter dem aufgeschichteten Holz anzuzünden. Es dauerte einen Moment, doch als die ersten Flammen aufloderten, schnalzte sie mit der Zunge und richtete sich zufrieden auf. Ihn anzusehen wagte Imogen noch nicht, weil sie wusste, dass ihr die Wahrheit ins Gesicht geschrieben stand: Sie hatte tatsächlich Mitleid mit Luca.

Und gleichzeitig formierte sich hinter ihrer Stirn ein verwegener Plan.

Aus der Art und Weise, wie sich der Schnee vor dem Fenster auftürmte, schloss sie aus Erfahrung, dass sie für eine Weile hier eingesperrt sein würden. Vielleicht keine ganze Woche, aber lange genug, um einem Prinzen, der alles zu haben schien, was das Herz begehrte, etwas zu vermitteln, was ihm offensichtlich fehlte: der wahre Geist von Weihnachten.

Und der lag nicht darin, zu protzen und Reichtümer zu verschenken, sondern von Herzen zu geben, egal, was es sei. Genau das wollte sie tun.

Unversehens klopfte ihr Herz ganz oben im Hals, und in einem Moment seltsamer Klarheit erkannte Imogen, dass sie damit ein unkalkulierbares Risiko einging, erneut verletzt zu werden. Doch nach einem Augenblick des Innehaltens dämmerte ihr im warmen Schein des Kaminfeuers, dass das auch ihre eigene Heilung bedeuten könnte.

Denn die lag offensichtlich nicht darin, vernünftig zu sein. Wäre es so, müsste sie längst geheilt sein, oder nicht?

Nein, der Schlüssel, ihr verlorenes Glück zu finden – dieses Gefühl, an das sie sich so deutlich erinnerte, als sie über das schneeverwehte Weihnachtsfest ihrer Kindheit gesprochen hatte –, lag in der Selbsthingabe, zu der sie sich endlich wieder fähig fühlte. Ohne darüber nachzudenken und ohne etwas dafür zu erwarten.

Wie gefährlich konnte das schon werden? Prinz Luca würde nur für kurze Zeit hier sein und dann für immer verschwinden.

An einem Gestell neben dem Kamin hingen neben Schürhaken mehrere geschmiedete lange Metallgabeln mit Holzgriffen. „Luca, darf ich dich im Grillen eines ordinären Hotdogs unterweisen?“, fragte sie bewusst geziert, fischte ein Würstchen aus der Packung, spießte es auf und reichte ihm zwinkernd die lange Gabel. „Nicht zu nah an die Flamme!“, warnte sie noch.

Sein Lachen über ihren neckenden Tonfall wärmte sie weit mehr als das flackernde Kaminfeuer. Trotzdem fühlte sich Imogen plötzlich verunsichert. Weihnachten lag noch in weiter Ferne, andererseits war man laut Luca in seinem Königreich schon mitten in den opulenten Vorbereitungen …

Eine Stunde später fühlten sie sich absolut gesättigt und entspannt, nicht nur dank der Hotdogs, sondern auch wegen des haltlosen Gelächters, mit dem sie sich immer wieder gegenseitig angesteckt hatten.

Erschöpft saßen sie auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt, die Füße weit von sich gestreckt. Imogens Schulter berührte seine. Luca hatte die exquisite Anzugjacke ausgezogen, sodass sie durch die dünne Seide des Hemdes seine Körperhitze auf ihrer Haut spürte.

„Ich bin nicht sicher, ob ich jemals etwas so Gutes genossen habe“, stöhnte er und hielt sich den Bauch.

Imogen wandte den Kopf, um zu sehen, ob er das ernst meinte. Es sah tatsächlich danach aus.

„Du hast da noch einen Rest Senf …“ Sie streckte ihre Hand aus und berührte seine Lippe mit der Fingerspitze. Im Bruchteil einer Sekunde verwandelte sich die Unbefangenheit zwischen ihnen in ein Spannungsfeld, das ihr den Atem stocken ließ. Hastig zog sie ihre Hand zurück und leckte fatalerweise selbstvergessen den Senf von ihrem Finger, was Luca mit einem sengenden Blick aus dunklen Augen honorierte.

„Ich bin vollkommen erschöpft …“, stammelte Imogen, kam unsicher auf die Füße, ging ein paar Schritte, ließ sich auf die Couch fallen und zog die Decke bis zur Nasenspitze hoch. Da sie wusste, dass er sie beobachtete, kniff sie die Augen fest zu.

Nach diesem aufregenden Tag war sie tatsächlich todmüde, doch mit dem Prinzen im selben Raum, war sie überzeugt, keine Sekunde Schlaf finden zu können.

„Luca …“, murmelte sie schon halb im Traum.

„Hmm?“

„Hast du jemals einen Schneemann gebaut?“

4. KAPITEL

Bis auf das Knistern des Feuers war es mucksmäuschenstill im Raum.

Versonnen betrachtete Luca seine Gastgeberin, die zusammengerollt unter einer Decke auf der Couch lag. Sie atmete tief und gleichmäßig. Mit der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit eines Kindes war sie eingeschlafen, ohne auf seine Antwort zu warten.

Der warme Feuerschein zauberte goldene Reflexe auf ihre makellose cremefarbene Haut. Unglaublich lange dichte Wimpern verbargen die lebhaften Augen. Und ihre Haarfarbe erinnerte ihn an einen Sonnenstrahl, der durch ein Honigglas schien.

Luca runzelte die Stirn und beugte sich leicht vor.

Wenn er sich nicht täuschte, war das in ihrem Mundwinkel ein winziger Rest Senf, wie zuvor bei ihm. Ihre Lippen waren voll und wunderschön geschwungen. Er schluckte trocken. Seit er Imogens zarten Finger auf seiner Haut gespürt hatte, bevor sie ihn selbstvergessen ableckte, war er sich ihrer auf eine ganz andere Weise bewusst als zuvor.

Die Furche zwischen seinen Brauen vertiefte sich, als er sich das Worst-Case-Szenario vorstellte … sie beide, für eine Woche hier eingeschneit. Schon seit seinem unglücklichen Vorschlag, sie sollten sich in der Lodge wie ganz normale Menschen benehmen, hatte er gespürt, dass seine gewohnte Wachsamkeit ins Wanken geriet.

Ein leichtsinniger Fehler führte schnell zum nächsten, sodass er sich ihr heute stärker geöffnet hatte als beabsichtigt.

Und was war passiert, als er sie viel zu ausführlich in die Weihnachtsrituale von Casavalle und seine unglücklichen Kindheitserinnerungen eingeweiht hatte? Ihre wundervollen Augen verdunkelten sich, und er musste feststellen, dass Imogen Albright, ihres Zeichens Lodge-Managerin, Mitleid mit ihm, Prinz Luca aus dem Königshaus Valenti, hatte.

Und als Krönung des Ganzen wollte sie dann auch noch mit rauer, schlaftrunkener Stimme wissen, ob er je in seinem Leben einen Schneemann gebaut hätte …

„Was ist das denn für eine Frage?“, hatte er mit einer Schärfe in der Stimme erwidert, die sie an seinen Stand erinnern und von weitergehenden Vertraulichkeiten hätte abhalten sollen.

Stattdessen kam nur noch ein undeutliches: „Dieser erste schwere, nasse Schnee eignet sich perfekt dafür …“

Luca gab sich allein die Schuld an dieser absurden Situation. Und natürlich dem verflixten Jetlag! Normalerweise ließ ihn seine Wachsamkeit nicht derart im Stich. Jetzt schien Imogen Albright tatsächlich zu glauben, sie wären quasi Freunde.

Ein Irrtum, den er mit Leichtigkeit hätte aufklären können, wäre da nicht dieses warme Gefühl gewesen, als er ihren verletzten nackten Fuß mit seiner Hand umfasst und dann auch noch vor dem Kamin ihre Fingerspitze auf seinem Mund gespürt hatte …

Außerdem irritierte ihn, dass er, der Fremden gegenüber so misstrauisch und zurückhaltend war, dieser Frau seine intimsten Gedanken anvertraut hatte. Und zu allem Überfluss verspürte er dazu noch den unsinnigen Wunsch, tatsächlich zusammen mit ihr einen Schneemann zu bauen.

Frustriert wegen seines ungewohnten Gemütszustandes und verärgert über das Mitleid in ihren Augen, das Imogen dazu verführt hatte, ihm einen Vorschlag zu machen, der eines Prinzen unwürdig war, überlegte er angestrengt, wie sein nächster Schritt aussehen musste.

Auf keinen Fall werde ich einen Schneemann bauen, als wäre das der Schlüssel zu meinem Glück!

Außerdem bezweifelte er ernsthaft, dass er mit der friedlich schlummernden Lodge-Managerin tatsächlich eine Woche lang eingesperrt sein würde, selbst wenn es weiter schneien sollte. Cristiano war zweifellos schon jetzt außer sich und bereitete längst eine Rettungsaktion vor. Und bis dahin würde er hier die Regie übernehmen.

Kein Schneemann, keine Hotdogs vor dem knisternden Kaminfeuer! Ein Glück, dass Imogen Albright verlobt war!

Das musste er sich stets vor Augen halten. Sobald der Morgen dämmerte, würde er neue Regeln aufstellen. Vielleicht sollte er sie an seinen Stand erinnern und auf dem ihm zustehenden Titel bestehen. Eigentlich albern, aber so könnte er ihr deutlich machen, dass jede Form von Vertraulichkeit unerwünscht war und sie damit eine Grenze überschritt.

Die Sache mit dem Schneemann war ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit, da er gar keine adäquate Winterkleidung dabeihatte. Außerdem gab es Wichtigeres, um das er sich kümmern musste.

Schließlich lebte er in einem jahrhundertealten Palast und kannte sich mit desolater Elektrizität aus. Obwohl es nicht ihm oblag, sich um derart triviale Probleme zu kümmern, wusste Luca, dass es vor allem galt, eingefrorene Wasserleitungen zu vermeiden.

Dazu sollte der Vorrat an Brennholz aufgestockt werden sowie eine Bestandsaufnahme der Lebensmittelvorräte erfolgen. Und einen Notfallplan, wie man von hier wegkam, brauchten sie auch, sollten die Holz- und Lebensmittelvorräte ausgehen.

Als Erstes machte er sich am besten mit dem Generator vertraut. Im Palast gab es mehrere davon, für unterschiedliche Bedürfnisse und Aufgaben. Noch hatte er keine Ahnung, wie das alles zu bewerkstelligen war, aber es war ein beruhigendes Gefühl, wenigstens einen konkreten Plan zu haben.

Luca gähnte, herzhaft und ausgiebig, und wurde sich plötzlich seiner bodenlosen Erschöpfung bewusst. Dies hier war der einzige warme Raum in der Lodge, das Sofa die einzige Liegemöglichkeit, und offenbar gab es auch nur eine Decke – beides war okkupiert von The Sleeping Beauty.

Frustriert tastete er sich durch die dunkle Lodge zurück in sein Zimmer, schnappte sich Bettdecke und Kissen, tappte erneut die Stufen hinunter zum Kaminzimmer und machte es sich auf dem Boden vor dem offenen Feuer so bequem wie möglich.

Er hatte geglaubt, auf der Stelle einschlafen zu können, so zerschlagen, wie er war, doch stattdessen lag er mit weit offenen Augen da und lauschte auf Imogens Atem, der so leise und zufrieden ging wie das Schnurren eines kleinen Kätzchens.

Imogen erwachte mit einem steifen Nacken und pochenden Fuß. Im Raum war es kalt, das Licht war fahl. Noch bevor sie zum Fenster hinüberschaute, wusste sie bereits, dass es immer noch schneite.

Seufzend richtete sie sich auf und setzte die Füße auf den kalten Boden. Vor dem kaum noch glimmenden Kamin lag ein Haufen Decken. Sie brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass darunter der Prinz lag.

Das war garantiert eine Situation, die im königlichen Protokollbuch nicht berücksichtigt war. Trotzdem war Imogen sich ziemlich sicher, dass nicht sie auf der Couch liegen sollte, während Seine Königliche Hoheit auf dem Boden schlief.

Doch angesichts seiner Ritterlichkeit, als er sich um ihren verletzten Fuß gekümmert hatte, bezweifelte sie, ob Prinz Luca das überhaupt zugelassen hätte. Er hatte etwas an sich, das statt von Standesdünkel vielmehr von einem tief verwurzelten Ehrgefühl sprach.

Sinnend neigte Imogen den Kopf. Wäre Luca ihr Verlobter gewesen, hätte er sie dann ebenfalls verlassen, nachdem sie ihm gestanden hätte, dass sie unfruchtbar war?

Überhaupt über so etwas nachzusinnen war ebenso erschreckend wie schockierend. Darum schüttelte Imogen die Frage auch gleich wieder energisch ab, bevor sie sich eine Antwort erlaubte.

Es war ohnehin ein lächerlicher Gedanke! Prinzen verlobten sich mit Prinzessinnen …

Sie seufzte lautlos und schlich auf Zehenspitzen zum Kamin, um Holz nachzulegen. Sanft blies sie in die nahezu erloschene Glut, bis das Feuer wieder zum Leben erwachte. Dann wandte sie sich um und betrachtete den schlafenden Prinzen.

Sein perfekt gestyltes dunkles Haar war inzwischen leicht zerzaust, und ein dunkler Bartschatten ließ seine klassischen Gesichtszüge noch markanter erscheinen als gestern. Jetzt hätte man ihn eher für einen Piraten statt für einen Prinzen halten können. Leider war er immer noch mindestens so sexy wie vorher.

Doch dann fiel Imogen auf, dass er selbst im Schlaf nicht entspannt aussah. Tatsächlich wirkte er so verkrampft, als laste ein gewaltiges Gewicht auf ihm.

Hatte sie das nicht schon gestern so empfunden? War ihr darum die spontane Idee mit dem Schneemann gekommen? Im hellen Tageslicht erschien es ihr ziemlich naiv und albern, um nicht zu sagen skurril und geradezu lächerlich.

Und gleich einmal noch viel lächerlicher und peinlicher, als der Prinz die Augen öffnete. In der ersten Sekunde des Erkennens schaute er sie an, als würde er so etwas wie Zuneigung für sie empfinden, doch dann verdunkelte sich sein Blick und verschloss sich vor ihr. Jetzt hätte er ebenso gut Pirat oder Prinz sein können, aber ganz sicher nicht ihr gleichgestellt, wie er es gestern noch vorgeschlagen hatte.

Abrupt warf er die Decken zurück und sprang förmlich auf die Beine. Trotz der zerknitterten Kleidung bot er immer noch das Bild eines Mannes mit dem angeborenen Selbstvertrauen, zum Herrschen bestimmt zu sein.

„Hast du gut geschlafen?“, fragte er sie höflich.

„Ja, danke. Und du?“

Er warf einen Blick auf den Deckenhaufen und zuckte mit den Schultern. „Ich habe es überlebt. Wie geht es deinem Fuß?“

„Fühlt sich etwas steif an, aber auch ich habe überlebt“, versuchte sie einen Scherz.

„Gut. Es gibt heute Morgen eine Menge zu erledigen.“ Luca spulte seine imaginäre To-do-Liste runter. „Da du ein Handicap hast, bekommst du nur leichte Aufgaben“, entschied er. „Traust du dir zu, Frühstück zu machen?“

Imogen nickte stumm, weil dies offensichtlich eine rhetorische Frage war.

„Anschließend erwarte ich eine Bestandsaufnahme der vorrätigen Lebensmittel“, fuhr er sachlich fort. „Ich kümmere mich darum, in allen Kaminen Feuer zu machen und für das nötige Brennholz zu sorgen. Höchste Priorität ist es zu verhindern, dass die Wasserleitungen einfrieren.“

Er hatte in allem, was er sagte, recht. Aber dieser Ton! Als wäre er der Weltherrscher und sie seine Untertanin … bedauerlicherweise die einzige.

„Okay, ich kümmere mich um das Frühstück“, gab Imogen kühl zurück. „Aber ich bin weder Invalide noch Dienstbote und es absolut nicht gewohnt, so behandelt zu werden. Sobald ich fertig bin, helfe ich dir bei dem Holz für die Kamine, und die Inventarliste liegt bereits vor.“

Luca musterte sie erstaunt und mit dem Unverständnis eines Despoten, dessen Entscheidungen normalerweise offenbar weder angezweifelt noch kommentiert wurden. „Wie du willst“, erwiderte er steif und schien froh zu sein, von ihr wegzukommen.

„Dito, Königliche Hoheit …“, murmelte Imogen vor sich hin und humpelte den Flur entlang in Richtung des nächsten Bades. Sie hatte einen schlechten Geschmack im Mund, ihr zerzaustes Haar glich einem Rattennest, und ihrer Kleidung sah man deutlich an, dass sie darin geschlafen hatte.

Das Wasser, das sie sich kurz darauf ins Gesicht spritzte, war eiskalt und genau das, was sie brauchte, um sich auch innerlich wieder abzukühlen. Okay, Lucas Ton gefiel ihr nicht, aber er versuchte nur, hilfreich zu sein, und stellte sich Aufgaben, die ihm offenkundig völlig fremd waren.

Warum brachte er sie dann derart auf die Palme?

Das weißt du doch genau. Gestern, als er deinen Fuß hielt, war er unglaublich zärtlich. Und das warme, vertraute Gefühl während der improvisierten Mahlzeit vor dem Kamin hast du dir auch nicht eingebildet, ebenso wenig wie das Vertrauen, das er dir entgegengebracht hat, als er von seinem Leben erzählt hat.

Erst daraufhin hatte sie beschlossen, ihm ein besonderes Geschenk zu machen. Wie gut, dass ihre überwältigende Müdigkeit sie daran gehindert hatte!

Dass Luca quasi über Nacht die gesellschaftliche Barriere zwischen ihnen wiederaufgerichtet hatte, zeigte ihr unmissverständlich, dass er auf noch mehr unangebrachte Vertraulichkeit keinen Wert legte. Und das war nur gut so, bevor sie sich noch lächerlicher machte als ohnehin schon.

Umso mehr, weil sie sich sogar insgeheim gefragt hatte, ob er sie auch hätte fallen lassen wie ihr Exverlobter, nur weil sie keine Kinder bekommen konnte!

Hätte er nicht, flüsterte eine perfide kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, was Imogen verriet, wie weit weg von der Realität sich ihre Gedanken bereits entfernt hatten. Luca war ein Prinz und zukünftiger König. Für ihn waren Nachkommen viel wichtiger als für einen normalen Mann wie Kevin.

Noch einmal spritzte Imogen sich eisiges Wasser ins Gesicht, um derartig unsinnige und absurde Gedanken zu stoppen und in den Hinterkopf zu verbannen. Allein ihren Exverlobten mit einem Prinzen zu vergleichen!

Luca hatte recht. Sie mussten sich jetzt vorrangig um praktische Angelegenheiten kümmern. Hier ging es ums schlichte Überleben, nicht um Schneemänner oder lauschige Nächte vor dem flackernden Kamin …

Was für ein Frühstück konnte man zum Beispiel über einem offenen Feuer machen? Spontan entschied sich Imogen für eine Art Kamin-Omelett aus einer schweren gusseisernen Pfanne. Daneben erhitzte sie einen Topf mit Kakao und einen Kessel voll Wasser, um später abwaschen zu können.

„Luca!“, rief sie in die Halle. „Frühstück!“

Während sie auf ihn wartete, zog sie ihr Handy hervor. Unter dem Vorwand, nach einem möglichen Netz zu schauen, betrachtete sie das Displayfoto von sich und Kevin und wartete auf das vertraute Verlustgefühl, das sie sonst dabei empfand.

Nichts.

„Immer noch kein Netz?“

Sie hatte Luca nicht kommen hören und schüttelte nur stumm den Kopf.

Mit einem enttäuschten Zungenschnalzen wollte Luca sein eigenes Handy gleich wieder einstecken. „Dein Freund muss sehr besorgt um dich sein.“

„Ich habe keinen Freund.“

„Aber …“ Er blieb stehen und runzelte die Stirn.

„Aber was?“

„Dein Handy ist letzte Nacht auf den Boden gefallen, dabei wurde der Bildschirmschoner aktiviert. Ich nahm an …“ Er brach ab.

War er etwa deshalb heute Morgen so distanziert gewesen. Neugierig musterte Imogen seine markanten Züge. Nein, entschied sie. Er war eben ein Prinz und sie nur ein einfaches Mädchen. Basta!

„Irgendwann heute Nacht müssen wir aber doch ein Netz gehabt haben“, stellte Luca überrascht fest. „Hier ist eine Nachricht von Cristiano …“

Als er sie öffnete, konnte sie zusehen, wie seine Barrieren schmolzen wie der sprichwörtliche Schnee in der Sonne. In seinen Augen strahlte ein Licht, das Imogen sich nach etwas sehnen ließ, wozu sie kein Recht hatte.

„Schau“, sagte er leise und hielt ihr sein Handy hin.

Sie blickte auf das Bild und fing prompt an zu weinen.

Lucas Entschluss, eiserne Stärke und königliche Gelassenheit zu demonstrieren, löste sich in Luft auf, als er Imogen weinen sah.

„Was ist mit dir?“, fragte er alarmiert, drehte das Handy um und starrte auf das Bild. „Es ist doch eine sehr gute Nachricht. Das Baby hat offensichtlich mit seiner Ankunft gewartet, bis sie sicher im Krankenhaus waren. Warum dann die Tränen?“

„Es … es ist nichts“, flüsterte Imogen mit schwankender Stimme und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ich bin nur so glücklich und erleichtert. Das Baby ist wunderschön. Bitte, zeig es mir noch einmal.“

Luca reichte ihr sein Handy und beobachtete stumm und hilflos Imogens lebhaftes Mienenspiel. Er wäre bestimmt der Erste, der bereitwillig zugeben würde, dass es ihm beim Thema Frauen an der notwendigen Sensibilität mangelte.

Als Meribel ihn mit dem Geständnis überrascht hatte, einen anderen Mann zu lieben, mit dem sie auch in absehbarer Zeit ein Baby haben würde, war er aus allen Wolken gefallen. Für ihn hatte nichts darauf hingedeutet, dass eine so emotionale Bombe in sein strukturiertes Leben hineinplatzen könnte.

Bei Imogen war das offenkundig anders. Wäre ihm sonst aufgefallen, dass sie trotz gegenteiliger Behauptung nicht wirklich glücklich aussah, während sie das Neugeborene ihrer Angestellten betrachtete? Ihr brennender Blick wirkte eher wie eine beunruhigende Mischung aus Trauer und Freude.

„Es ist ein Junge“, sagte sie leise, und ihre raue, bebende Stimme bestätigte Luca noch in seiner irritierenden Wahrnehmung. Irgendetwas lastete auf ihrer Seele, und trotzdem hatte sie ihm – einem völlig Fremden – gestern auf eine Weise Trost spenden wollen, die ihm viel näherging, als er sich eingestehen wollte.

„Lass uns frühstücken“, schlug er vor. „Und so gestärkt könnten wir uns anschließend vielleicht doch ins Freie wagen und sehen, ob der Schnee tatsächlich dazu taugt, einen Schneemann zu bauen. Was hältst du davon?“

Was er selbst davon hielt, dass er, ohne nachzudenken, über seinen Schatten gesprungen war und sich damit womöglich auf ein Minenfeld unvertrauter Emotionen begab, wollte Luca in dieser Sekunde lieber nicht ausloten.

Doch als er ihre blauen Augen voller Vorfreude unter Tränen funkeln sah, dämmerte ihm, dass seine spontane Idee katastrophale Folgen haben könnte. Für sie beide …

„Dummerweise habe ich dafür nicht die richtige Kleidung“, versuchte er hastig zurückzurudern. „Und meine einzigen Sachen nass zu machen und damit womöglich eine Erkältung oder Schlimmeres zu riskieren …“

„Wir haben jede Menge warmer Klamotten in der Lodge“, schnitt Imogen ihm munter das Wort ab. „In jeder Größe.“

„Was? Warum das?“, fragte er irritiert.

„Egal, wer hierherkommt, glaubt für jedes Wetter in den Bergen perfekt gerüstet zu sein, und fast alle irren sich. Darum haben wir dafür gesorgt, dass unsere Gäste einen ebenso angenehmen wie aktiven Urlaub hier erleben können, selbst wenn sie schlecht vorbereitet sind.“

„Oh … dann bauen wir also einen Schneemann.“ Ihr zu gestehen, dass er sich darauf freute, verbot sich Luca vorsichtshalber.

Nachdem sie ein ebenso bescheidenes wie köstliches Frühstück genossen hatten, führte Imogen ihn den Flur entlang zu einem großen Abstellraum. Erleichtert bemerkte er, dass sie kaum noch hinkte. Sie hielt die Tür auf und zeigte ihm eine Art Garderobe, deren Wände ringsum mit Haken und Kleiderstangen bestückt waren. Neben Winterjacken, Mänteln, Skianzügen und Schneehosen gab es ein Regal voller Schals, Mützen und dicken Handschuhen. Unter einer Bank, auf der man sich zum Umziehen niederlassen konnte, waren Schneeschuhe und – stiefel in allen möglichen Größen aufgereiht.

„Damit kann man ja eine ganze Kompanie ausstatten!“, staunte Luca.

Imogen lächelte. „Auf jeden Fall könnten wir eine ganze Woche lang im Schnee herumtoben, ohne eine Erkältung zu riskieren“, ging sie auf seinen Ton ein.

Er schluckte trocken. Ihr leichter, frischer Duft reizte seine Nase, und es schien ihm viel zu gefährlich, sich noch länger mit Imogen in diesem engen Garderobenraum aufzuhalten. Darum suchte er sich ohne langes Nachdenken eine Ausrüstung zusammen und verschwand in Richtung des nächsten Waschraums.

Imogen blickte ihm stumm und gedankenverloren hinterher. Schon verrückt, dass sich ein Prinz augenscheinlich von einem schlichten Bergmädchen, das ein Hotel im Nirgendwo betrieb, verunsichern ließ. Nicht, dass es ihr anders ging. Es herrschte eine seltsame Spannung zwischen ihnen, die sie weder zu benennen noch zu analysieren wagte.

Aber einer von ihnen sollte vielleicht besser die Notbremse ziehen.

Allerdings hatte Imogen nicht die leiseste Lust dazu. Sie wollte endlich wieder Spaß haben, spontan sein dürfen und sich lebendig fühlen. Wobei ihr sehr bewusst war, dass Luca den Spieß instinktiv umgedreht und Mitgefühl mit ihr empfunden hatte, als er ihre Reaktion auf das neugeborene Baby bemerkt hatte. Oder besser, ihre Überreaktion!

Dabei war es nicht allein ihr eigener Schmerz gewesen, der sie unerwartet zum Weinen gebracht hatte, sondern der Ausdruck großer Zärtlichkeit auf Lucas Gesicht, als er sich das Foto angeschaut hatte. Vielleicht war er sich dessen gar nicht bewusst, aber er war eindeutig ein Mann, der sich eigene Kinder wünschte. Ein Wunsch, den sie ihm nie erfüllen könnte, selbst wenn es ihr biologisch möglich gewesen wäre – er war ein Prinz!

Warum ihm dann nicht alles geben, was sie hatte, um seinen unausgesprochenen Schmerz zu lindern und sich selbst eine unvergessliche Erinnerung zu schenken? So würden sie beide gewinnen.

Imogen suchte auch für sich passende Kleidung zusammen, schloss die Tür des Garderobenraums, zog sich um und betrachtete sich kritisch im Ganzkörperspiegel auf dem inneren Türrahmen.

Ihr royales Date in dicker Winterkleidung mit einem Hauch von Glamour beeindrucken zu wollen konnte sie getrost abhaken. Der blassrosa Daunenmantel zur gefütterten blauen Skihose ließ sie selbst wie einen aufgeblähten Schneemann – oder besser eine Schneefrau – aussehen. Ihr immer noch schlafwirres Haar versteckte sie unter einer Wollmütze, auf deren Krempe Rentiere im Kreis tanzten und die zu allem Überfluss auch noch mit einem dicken Bommel verziert war.

Egal! Ihr blieb keine Zeit, sich ein anderes Outfit zusammenzusuchen.

Was sie allerdings innehalten ließ, waren ihre strahlenden Augen und die geröteten Wangen. So sah ein Kind kurz vor Weihnachten aus oder jemand, der sich nach einer langen Dürre über ein unerwartetes Date freute.

Seit dem Tag, an dem sie Kevin eröffnet hatte, dass sie ihm kein Baby schenken konnte, war dieses Funkeln in ihren Augen erloschen. Sie hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dass es je wiederkehren könnte. Und jetzt?

„Hör auf zu grübeln und dich verrückt zu machen, Imogen Albright!“, ermahnte sie ihr skurriles Spiegelbild. „Du musst nicht dein Leben und das Universum an einem einzigen Tag begreifen. Hab doch einfach Spaß!“

Als sie kurze Zeit später nach draußen ins Freie trat, wartete Luca bereits auf sie.

„Wehe du lachst!“, warnte er sie, obwohl eher ihm angesichts ihrer Maskerade ein Heiterkeitsausbruch zugestanden hätte.

„Warum sollte ich lachen?“

„Ich sehe … absurd aus.“

Imogen nahm sich Zeit, sein Outfit zu beurteilen. Ihm war eine perfekte Transformation gelungen: vom Prinzen zum kanadischen Holzfäller. Abgesehen davon, dass ihm nichts wirklich passte. Die Beine der Skihose waren zu kurz, genau wie die Ärmel der bunten Karojacke. Seine Wollmütze zierte ein noch größerer Bommel als ihre, und unförmige Fäustlinge verbargen seine gepflegten Hände. Er sah aus wie ein Teenager, der zu schnell gewachsen war.

„Ich finde dich niedlich“, entschied Imogen.

„Niedlich?“ Das Entsetzen in seiner Stimme war echt. „Wie einen Welpen?“

„Eher wie einen Schrottwichtel, der sich für Weihnachten schick gemacht hat.“

„Wie ein? Was ist ein Schrottwichtel?“

Imogen wiegte den Kopf und rollte mit den Augen.

„Schon gut …“, wehrte Luca hastig ab. „Erklär es mir lieber nicht.“

Ihr Kichern schien ihn nur noch mehr zu verunsichern.

„Ich habe dich gewarnt, nicht zu lachen!“

„Ist eine besondere Strafe vorgesehen, wenn man über einen Prinzen lacht?“

„Absolut!“

„Und wie sieht die aus?“

„Exekution durch Schneeballschlacht“, kam es todernst zurück.

Noch während er sprach, langte Luca in den Schnee, formte eine Kugel und wog sie abschätzend in seinem Fausthandschuh.

Es war nicht zu übersehen, dass seine Erfahrung mit Schlachten dieser Art begrenzt war. Der Schneeball war zu groß und viel zu locker, um gute Flugeigenschaften zu haben.

„Gnade, Eure Hoheit“, flehte Imogen. „Vergessen Sie nicht, dass ich schwer verletzt bin.“ In der nächsten Sekunde schlug sie ihm den Schneeball aus der Hand, und bevor sich der Prinz von seiner Überraschung erholen konnte, pflügte sie mit einer Hand durch eine Schneewehe, formte rasch ein Geschoss und feuerte es ab.

Der Schneeball traf Luca mitten ins Gesicht, und Imogen gluckste vor Freude über seine Verblüffung. Bedächtig hob er die Hand und wischte den Schnee weg. Ihr Lachen erstarb. Seine finstere Miene war zum Fürchten. Keine Frage, er sann auf Rache.

Sie versuchte zu rennen, doch ihr Fuß schmerzte, und ihre Beine waren viel kürzer als seine, was sich im tiefen Schnee als zusätzliche Behinderung erwies. Luca fing sie mit Leichtigkeit ein und riss sie herum, sodass sie plötzlich an seiner breiten Brust lag.

„Grundgütiger!“, entfuhr es ihr atemlos.

„Was würde ein kanadischer Holzfäller in so einer Situation tun?“, knurrte der Prinz grimmig.

Mich küssen … Zum Glück hatte sie das nur gedacht, doch sie hielt seinem sengenden Blick tapfer stand.

„Was ist? Gibst du auf?“

„Niemals!“ Mit einem Ruck machte Imogen sich frei, und Sekunden später lieferten sie sich eine wilde Schneeballschlacht. Vor lauter Lachen trafen sie zwar nur selten, trotzdem machte es beiden Heidenspaß. Irgendwann verließen Imogen die Kräfte. Ihr verletzter Fuß streikte, und als sie rücklings im weichen Schnee landete, war Luca, plötzlich über ihr.

„Was ist los?“

„Ich … ich passe!“, keuchte sie. „Du hast gewonnen.“

Sofort gab er sie frei und ließ sich neben ihr in den Schnee fallen. Eine friedliche Stille umgab sie, während weiche Schneeflocken lautlos auf ihren himmelwärts gerichteten Gesichtern landeten und auf Imogens brennenden Wangen schmolzen.

Irgendwann zwang Luca sich aufzustehen und streckte ihr seine Hand entgegen. „Wenn wir hier liegen bleiben, erkälten wir uns noch“, mahnte er und zog sie auf die Füße. „Ich denke, es wird Zeit, endlich den Schneemann zu bauen.“

„Ehe wir noch an Unterkühlung sterben …“

Sekundenlang versanken ihre Blicke ineinander, und wieder stand die Frage zwischen ihnen: Was würde ein ganz gewöhnlicher Mann in so einer Situation tun? Und was könnte ein Kuss verändern? Würde er sie verzaubern oder zerstören?

Autor

Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

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