Romana Extra Band 150

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VERFÜHRERISCHE KÜSSE IN VALENCIA von ROMY RICHARDSON

Eine prächtige Sommervilla vor den Toren Valencias! Doch Peppers Freude über ihr Erbe währt nur kurz, denn der sexy Millionär Carlos DeSantos beansprucht die Casa de la Luz ebenfalls für sich. Und obwohl er als berüchtigter Playboy gilt, begehrt Pepper ihn insgeheim …


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BRASILIANISCHE NÄCHTE MIT DIR von LUANA DAROSA

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  • Erscheinungstag 31.08.2024
  • Bandnummer 150
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523905
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Romy Richardson, Kate Hardy, Luana DaRosa

ROMANA EXTRA BAND 150

1. KAPITEL

Zwei Wochen, länger nicht! Pepper stieg aus dem roten Mini Cooper, den sie sich am Flughafen von Valencia gemietet hatte, und zog mit einem Ruck ihre große Reisetasche vom Rücksitz. Sie hatte es für eine absurde Idee gehalten, nach Spanien zu reisen, um in dem Haus, das ihr Bruder Jack ihr hinterlassen hatte, Urlaub zu machen. Urlaub! Mitten in der größten Krise, die das zurzeit noch von ihr geleitete, familiengeführte Traditionsunternehmen Powell’s Delicious erlebte. Denn familiengeführt würde die exklusive Feinkostfirma bald nicht mehr sein …

Natürlich hatte ihre Freundin Jamie es nur gut gemeint. Pepper war wirklich am Ende ihrer Kräfte. Die letzten Monate waren für sie ein einziger Albtraum gewesen. Und als ihre beste Freundin ihr die Reise als „Arbeitsurlaub“ verpackt hatte, war Pepper schließlich eingeknickt. Außerdem musste sie sich die Immobilie wenigstens ansehen, bevor sie sie verkaufte. Denn was sollte sie schon mit einem Haus in Spanien?

Pepper blinzelte gegen das helle Licht an. Über London hatten bei ihrem Abflug dunkelgraue Wolken gehangen, und bei 14 Grad und Nieselregen hatte sie einfach nicht an ihre Sonnenbrille gedacht. Ungeduldig schob sie sich ihre roten Locken aus der Stirn, legte ihre Hand über die Augenbrauen und blickte auf den weißen Steintorbogen, der von hohen, dicht an dicht gedrängten Zypressen umgeben war. Hier stand die richtige Hausnummer, aber wo war das Haus?

Anscheinend versteckten sich alle Häuser an diesem Privatweg hinter meterhohen Büschen oder Mauern. Denn Pepper hörte zwar Stimmen und das Platschen von Wasser, aber das war auch der einzige Hinweis darauf, dass dieser abgelegene Ort vor den Toren Valencias bewohnt wurde.

Pepper fühlte, wie die Anspannung in ihr wuchs. Warum hatte Jack ihr nur nie von diesem Haus erzählt? Dann wüsste sie jetzt vielleicht, was sie hier erwartete. Natürlich konnte sie ihre innere Unruhe auch auf die Müdigkeit schieben – sie hatte letzte Nacht kaum ein Auge zugemacht. Aber letztendlich wusste Pepper, dass es ihre Sorgen waren, die sie so unter Strom setzten.

Sie holte tief Luft. Wie sagte Jamie immer? Pepper solle sich mit positiven Gedanken ablenken und im Moment leben. Doch Jamie hatte gut reden; sie hatte einen liebevollen Mann an ihrer Seite und leitete ein Yoga-Studio, klar war sie tiefenentspannt. Pepper wollte an ihre letzte Beziehung nicht mal denken. Edward war besitzergreifend und eifersüchtig gewesen – keine gute Kombination.

Entschlossen hob Pepper den Kopf, schulterte ihre Tasche und ging auf den Torbogen zu, der von einem schmiedeeisernen Tor versperrt wurde. Vielleicht würde sie hier endlich eine Antwort finden, warum Jack so ein Geheimnis um dieses Haus gemacht hatte. Da die verwitterte Pforte klemmte, drückte Pepper energisch mit der Hand gegen das Gitter, bis es aufsprang. Gleich dahinter führten steil abfallende Stufen den Hang hinunter. Pepper wusste gar nicht, wo sie zuerst hinsehen sollte: in die Weite über eine riesige Plantage von Orangenbäumen bis zum tiefblauen Meer oder zum Fuße der Steinfliesen, wo ein Anwesen mit einem Palmengarten, Pool und einer weitläufigen Terrasse lag. Der Blick, der sich ihr eröffnet hatte, war fantastisch.

In der Nase den Duft von Rosmarinbüschen und Thymian, die durch die sonnige Hanglage zu großen Büschen gewachsen waren, nahm Pepper vorsichtig Stufe für Stufe. Unten angekommen erblickte sie das Haus in seiner ganzen Größe. Doch der Begriff Haus wurde dem Gebäude nicht gerecht. Von Ananaspalmen und weißen Oleanderbüschen umgeben, übertraf das Erbe, das Jack ihr hinterlassen hatte und von dem er ihr nie etwas erzählt hatte, all ihre Vorstellungen. Sie stand hier nicht vor einem schlichten Ferienhäuschen – ihr Bruder hatte ihr eine prächtige Sommervilla vermacht.

Ein Stich bohrte sich in ihre Magengegend, und ein Gefühl, das sie in den letzten Wochen so häufig überfiel, flammte wieder in ihr auf: Eigentlich war es Jacks Haus, er hatte es erworben, er schien eine Verbindung zu diesem Ort zu haben, und jetzt war sie hier. Sie stand im wärmenden Licht der Juli-Sonne und atmete die salzige Sommerluft des Südens ein – und nicht er. Das fühlte sich einfach nicht richtig an.

Natürlich traf sie keine Schuld an Jacks tragischem Unfall, warum plagte sie trotzdem ein schlechtes Gewissen? Irgendwie überkam sie immer wieder das Bedürfnis, alles wiedergutzumachen. Jack war nach dem viel zu frühen Tod ihrer Eltern, ihr einziger Verwandter gewesen. Wie konnte sie den Verlust jemals verwinden? Sie seufzte. Immerhin konnte sie jetzt vielleicht herausfinden, was ihren Bruder dazu veranlasst hatte, sich hier ein Haus zu kaufen. Wobei dieser Anblick einiges erklärte. Die Villa war einfach wunderschön.

Üppig wuchernde Bougainvilleen in Pink rankten sich am Mauerwerk, an dem der Putz etwas abblätterte, empor. Halbmondförmig angeordnete Metallbuchstaben über der großen Eichentür verrieten den Namen der Villa: Casa de la Luz. Haus des Lichts. Wilder Klatschmohn spähte aus brüchigen Steinecken. So wie sich das mehrstöckige Anwesen mit einem Turm und zwei Erkern an den Berghang schmiegte, hatte es etwas … Verwunschenes. Ein eigenartiges Gefühl überfiel sie, und zunächst konnte Pepper sich nicht erklären, was sie so irritierte. Nachdenklich stellte sie ihr Reisegepäck ab und suchte in ihrer Handtasche nach dem Briefumschlag, in dem sich der Schlüssel befand.

Als sie ihn wenige Sekunden später in der Hand hielt, musste sie an den Nachmittag zurückdenken, an dem sie endlich die Kraft gefunden hatte, sich an Jacks Schreibtisch zu setzen und all die Papiere und Ordner durchzugehen, die durchgearbeitet werden mussten. Wie lange hatte sie dagesessen? Immer noch das Klingeln der Haustür im Ohr und die Stimme einer Polizistin, die ihr mitteilte, dass ihr Bruder einen Motorradunfall auf der Landstraße zwischen Brighton und London nicht überlebt hatte. Ihr immer so vorsichtiger Bruder, war bei dem einzigen Hobby ums Leben gekommen, das er sich neben seiner Siebzig-Stunden-Arbeitswoche gegönnt hatte. Honey, ich fahre vorsichtig, du weißt doch, ich bin kein Draufgänger. Das stimmte, das war er wirklich nicht. Doch jetzt war er tot.

Langsam war sie Papier für Papier durchgegangen, hatte alles auf seinem stets akkurat aufgeräumten Schreibtisch nach Themen gestapelt, bis ihr eine Klarsichtmappe in die Hände gefallen war: eine Eigentumsurkunde und ein Briefumschlag mit Schlüssel. Bis tief in die Nacht hatte Pepper in seinem modern eingerichteten Büro gesessen und gegrübelt, wie es sein konnte, dass er ihr nichts von einem Hauskauf erzählt hatte. In Spanien!

Pepper pustete sich eine rote Locke aus der Stirn, trat einen Schritt zurück und betrachtete erneut den verspielten maurischen Stil der Villa. Plötzlich wurde ihr klar, was sie an der Casa de la Luz so verwirrte: Sie passte nicht zu Jack. Ihr Bruder bevorzugte moderne Architektur. Er stand auf diese rechteckigen Designhäuser, nicht auf nostalgische Traumschlösser. Jack war für klare Linien. Und das betraf nicht nur seinen Geschmack, er hatte auch stets eine sehr geradlinige Vorstellung davon, wie die Dinge zu sein hatten. Dazu zählte auch, dass die Marmeladen, Toffees und Waffeln von Powell’s Delicious nur in exklusiven Fachgeschäften verkauft werden durften und nicht, Gott bewahre, über das Internet … Für Jack war der Online-Handel die Pest des 21. Jahrhunderts. Als Königliche Hoflieferanten hatten sie schließlich einen Ruf zu verlieren. Und den würde Pepper, komme, was da wolle, nicht aufs Spiel setzen. Das war sie ihrem Bruder schuldig.

Noch immer hielt Pepper den Schlüssel fest umklammert und merkte gar nicht, dass ihre Fingerknöchel schon weiß wurden.

Dann gab sie sich einen Ruck, schob den Schlüssel in das Schloss der Eichentür und drehte ihn mehrmals herum. Das Türschloss wirkte so, als ob es seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden war. Endlich sprang die breite Holztür auf, und ein Duft nach süßem Lavendel und vergangenen Sommern schlug ihr entgegen. Sie stellte ihre Reisetasche am Fuße einer breiten weiß gemauerten Treppe ab, die in die oberen Stockwerke führte. Dann betrat sie den Wohnraum mit der offenen Küche.

Die Räume waren lichtdurchflutet und im spanischen Landhausstil eingerichtet. Ein Panoramafenster führte auf die Loggia. Als sie die Rundbögen sah, durch die man einen atemberaubenden Blick auf das Meer hatte, musste Pepper erneut mit den Tränen kämpfen. Hier an dem langen Holztisch und in den großen Korbstühlen hätte sie mit ihrem Bruder gemeinsame Stunden im Schatten verbringen können, sie hätten Karten gespielt, und Jack hätte sie gewinnen lassen … wie so oft.

Tränen stiegen in ihr auf. Ihr Bruder hatte alles für sie getan. Er war gerade mal zwanzig gewesen, als er nach dem Tod ihrer Eltern versucht hatte, ihr die fehlende Familie zu ersetzen und das Traditionsunternehmen am Laufen zu halten. Er hatte ihr jeden Wunsch erfüllt, er war großzügig und verständnisvoll. Und als klar war, dass für Pepper Themen wie Wirtschaft oder Buchhaltung böhmische Dörfer waren und aufgrund ihrer Dyskalkulie auch bleiben würden, sie dafür ein ausgeprägtes Gefühl für Farben und Formen besaß, hatte Jack es ihr ermöglicht, auf eine Designschule zu gehen. Für Pepper hatte es sich wie ein neues Leben angefühlt, ein Leben ohne Mathe und Zahlen. Du darfst dein Talent nicht vergeuden, Honey. Du lebst für deine Kunst. Um alles andere kümmere ich mich. Das waren seine Worte gewesen. Und jetzt saß sie in der Patsche.

Pepper schloss für einen Moment die Augen, dann straffte sie entschlossen die Schultern und setzte ihren Rundgang fort. Sie musste sich zusammenreißen, sie hatte eine Aufgabe, die sie bewältigen musste, außerdem hatte sie in den letzten Monaten genug geweint.

Als Pepper den Pool sah, der wohl seit Langem nicht mehr mit Wasser befüllt worden war, schüttelte sie den Kopf. Warum hatte man das Anwesen nur so verkommen lassen? Hatte Jack davon gewusst? Das alles war ganz untypisch für ihren verantwortungsvollen Bruder. Pepper seufzte erneut. Wahrscheinlich wäre es einem potenziellen Käufer egal, ob hier alles verschmutzt war oder nicht – aber ihr nicht. Das hieß, neben ihrer Erstellung eines Verkaufskonzepts, würde sie auch mit der Villa alle Hände voll zu tun haben.

Nachdem Pepper ihre Reisetasche in einem der vielen hellen Zimmer verstaut hatte, Jeans und T-Shirt gegen ein luftiges, buntbesticktes Sommerkleid im Boho-Stil eingetauscht hatte, ging sie in die Küche und bereitete sich einen Eistee zu. Sie goss die Teebeutel, die sie mitgebracht hatte, mit heißem Wasser auf und presste sich eine Zitrone aus, die sie sich von dem Zitronenbaum gepflückt hatte, der vor dem Küchenfenster stand. So hatte ihre Mutter Eistee aufgebrüht, als sie noch Kinder waren. Er hatte nach Sommerferien geschmeckt. Vorsichtig schüttete sie den frisch gepressten Saft in eine große Karaffe, als eine Männerstimme sie aus ihren Gedanken riss.

„Ist das eine Zitrone aus unserem Garten?“

Mit einem Ruck drehte Pepper sich um und ließ vor Schreck die Zitronenpresse fallen. Ihr Herz raste von einer Sekunde auf die andere gefühlt im dreifachen Tempo.

„Wer sind Sie? Was machen Sie hier?“, fragte Pepper, unter Schock stehend.

„Ich? Was ich hier mache? Die Frage lautet doch wohl eher, was machen Sie hier?“

Sprachlos sah Pepper den gefährlich attraktiven Spanier an, der am Rahmen der Küchentür lehnte. Sie hatte ewig kein Spanisch mehr gesprochen – eigentlich seit der Schulzeit –, aber da Jack damals eine spanische Austauschschülerin bei ihnen aufgenommen hatte, damit Pepper sich nicht so einsam fühlte, war ihr die Sprache immer noch sehr vertraut. Doch sie hatte nicht geahnt, wie aufregend Spanisch aus dem Mund eines so umwerfenden Mannes klang.

Während er sprach, bewegte er sich auf sie zu. Seine dunklen Augen blitzten wie polierter Onyx. Seine Schritte waren so elegant wie die eines Panthers auf Beutejagd, und sein muskulöser Oberkörper war durch das perfekt sitzende weiße Hemd zu erkennen. Eigentlich hätte der vorwurfsvolle Blick des Fremden furchteinflößend auf sie wirken müssen, aber da war etwas in seinem Gesicht, das ihr einen kribbelnden Stich versetzte. Außerdem schien er von ihrer Anwesenheit in diesem Haus mindestens so überrascht zu sein wie sie von seinem plötzlichen Auftauchen. Herrje, ihr Herz schlug immer noch viel zu schnell. Warum sah er sie so durchdringend an? Und warum wurde ihr trotz des kurzen Trägerkleidchens aus Seide plötzlich so heiß?

„Also, ich wohne hier, und ich glaube, Sie haben sich in der Tür geirrt“, stellte Pepper mit fester Stimme klar. Wie ein Einbrecher sieht er nicht aus, dachte sie bei sich. Vielleicht ein neugieriger Nachbar?

Um Zeit zu gewinnen, beugte sie sich hinunter, um die Saftpresse aufzuheben. Kein guter Plan, denn er hatte augenscheinlich die gleiche Idee.

Für einen Sekundenbruchteil tasteten sie am Boden beide nach der Zitronenpresse, nur dass er ein kleines bisschen schneller war. Trotzdem berührte ihre Hand noch seine Finger, die sich kräftig um das Küchengerät schlossen. Ein Kribbeln schoss von Peppers Fingerspitzen hinauf in ihren Arm. Hastig zog sie ihre Hand zurück, erhob sich und ging sofort einen Meter auf Abstand.

Wo kam dieser teuflisch gute Duft her? Ingwer, Sandelholz und irgendetwas anderes Sanftes, Sinnliches … Pepper schüttelte innerlich über sich selbst den Kopf – war die spanische Sonne ihr schon zu Kopf gestiegen? Statt sich weiter Gedanken über das Aftershave des Fremden zu machen, versuchte sie, ihn so strafend anzusehen, dass er es nicht wagen würde, ihr noch einmal zu nahe zu kommen.

Doch ihr Blick schien den sexy Spanier nicht im Geringsten aus dem Konzept zu bringen. Er stellte die Presse auf die Anrichte und räusperte sich.

„Also, ich finde Sie sind ganz schön frech, dafür, dass Sie sich Zutritt zu einem fremden Grundstück verschafft haben. Und wenn sich hier jemand irrt, dann Sie. Die Casa de la Luz ist keine Jugendherberge.“

Dieser Kerl war nicht nur dreist, sondern unverschämt. Pepper atmete tief durch die Nase ein, wie sie es von Jamie gelernt hatte. Na warte, amigo.

„Ich weiß nicht, wer Sie sind, und ich will es auch gar nicht wissen, ich möchte einfach nur, dass Sie mein Grundstück verlassen. Und zwar augenblicklich.“

„Ihr Grundstück?“, schnaubte der Fremde zurück und lachte. Er taxierte sie von Kopf bis Fuß, und Pepper fühlte sich plötzlich völlig underdressed in ihrem Hippiekleidchen. „Das wird ja immer besser. Das Anwesen gehört meiner Familie. Und ich nehme an, Sie sind eine dieser Stromerinnen aus der Hausbesetzerszene, die ihre Urlaube auf Kosten anderer machen und sich in leeren Ferienhäusern einnisten“, erklärte er arrogant und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab, das an der Spüle hing. Die abschätzige Art, mit der er sie dabei von oben bis unten musterte, brachte Pepper zu Weißglut. Zu all den Sorgen, die auf ihren Schultern lasteten, hatte sie es jetzt auch noch mit einem selbstgefälligen Macho zu tun. Kein Wunder, dass ihr der Kragen platzte.

„Wie können Sie nur so eine Unverschämtheit behaupten? Was ist das überhaupt für eine Art, in ein Haus einzudringen, die Bewohner zu beleidigen und sich dann noch nicht mal zu entschuldigen?“ Pepper stemmte ihre Hände zu Fäusten geballt auf die Hüfte und sah ihn mit funkelndem Blick an. Hatte er eben gesagt, die Villa gehörte seiner Familie? Wie meinte er das nur? Hatte Jack es der Familie dieses Aufschneiders abgekauft?

Carlos konnte nicht anders, als die aufgebrachte Engländerin interessiert zu betrachten. Ihr britischer Akzent war einfach bezaubernd. Ihre rote Lockenmähne spektakulär, ebenso wie ihre blauen Augen und ihr apartes, allerdings etwas zu blasses Gesicht. Und natürlich hielt er ihrem Blick stand – auch wenn es schien, als ob ihre blauen Augen versuchten, ihn mit eisigen Blitzen zu töten. Solo bueno, nur gut, dass so etwas nicht funktionierte.

Seit mindestens einem Jahr hatte er die Villa nicht mehr betreten. Zu schmerzlich waren die Erinnerungen, die er mit diesem Ort verband. Erinnerungen an Juan, an seinen jüngeren Bruder, der in dieser Villa gelebt hatte … Dass Carlos jetzt wieder einen Fuß in das Haus setzte, lag einzig und allein an dem roten Mini, den er auf dem kleinen hauseigenen Parkplatz entdeckt hatte. Er war auf dem Weg zu seinem Vater gewesen und hatte die Abkürzung über den Privatweg genommen. Wäre er auf der Hauptstraße geblieben, hätte er überhaupt nicht bemerkt, dass sich in der Casa de la Luz illegaler, wenn auch bezaubernder Besuch einquartiert hatte. Die Frage war nur: Wie wurde er den schönen rothaarigen Zornteufel wieder los? Konnte sich die kratzbürstige Engländerin keine Ferienunterkunft leisten?

„Ich denke, es wäre angebrachter, wenn Sie sich bei mir entschuldigen“, drehte er den Spieß um und versuchte es mit einem künstlichen Lächeln, während er sich ein Glas aus der Vitrine nahm und mit Leitungswasser füllte. Er wollte keinen Ärger, hier, wo jeder Winkel traurige Erinnerungen in ihm hervorrief. Er war schockiert, in welchem Zustand die Villa sich befand. Das war allein seine Schuld. Morgen würde er sofort ein paar Handwerker herschicken.

„Haben Sie mir überhaupt zugehört?“, giftete die Fremde ihn erneut an. „Dieses Haus gehört mir. Und wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das auch beweisen.“ Mit diesen Worten verließ sie die Küche.

Carlos konnte nur den Kopf schütteln. Er trank sein Glas in einem Zug leer, füllte es nach und ging durch das Wohnzimmer auf die Terrasse, über die er die Villa auch betreten hatte. Sein Blick schweifte über den Poolbereich, wo sein Bruder Ende des letzten Jahres noch zu einer rauschenden Silvesterparty eingeladen hatte. Er selbst war nur kurz auf dem schillernden Fest erschienen. An den wilden Nächten der Schönen und Reichen war er nicht interessiert. Er arbeitete an Neujahr, wie an jedem Tag im Jahr, und dafür brauchte er einen klaren Kopf. Damals befand sich die Kaufhauskette DeSantos mitten in der Umstrukturierung. Er hatte alle Immobilien verkauft und war komplett auf den Online-Handel umgestiegen. Eine Herkules-Aufgabe, aber er hatte sie bewältigt.

„Also, Señor …“, zog die schöne Rothaarige ihn zurück in die Gegenwart.

„DeSantos“, half er ihr weiter und beugte sich über den Tisch, auf den sie eine Klarsichtmappe gelegt hatte, die sie nun aufklappte.

„Gut, Señor DeSantos, hier ist mein Beweisstück, die Eigentumsurkunde meines Bruders. Er hat die Villa gekauft, und jetzt …“, sagte sie und setzte sich in einen der Korbstühle.

Doch Carlos hörte nicht mehr weiter auf das, was sie sagte. Stirnrunzelnd blickte er auf das Papier. Es ging in diesem Dokument tatsächlich um die Casa de la Luz. Adresse, Größe, Lage, alles stimmte. Auch der Stempel eines spanischen Notars wirkte echt. Carlos erstarrte, als er den Namen las. Sebastiano Lorenzo. Sebastiano? Er war ihr hauseigener Familiennotar – die Sebastianos gehörten zu den ältesten Freunden der DeSantos’! Carlos fuhr sich mit den Fingern durch seine dunklen kurzen Haare und las immer wieder die formalen Zeilen und den entscheidenden Abschnitt. Eigentümer: Jack Powell. Das konnte nicht wahr sein!

„Das Papier ist eine Fälschung“, schleuderte er der Engländerin schließlich entgegen und wedelte mit dem Dokument herum, als wäre es ein Putzlappen. „Ich weiß nicht, wo Sie diesen Wisch herhaben, aber das Geld dafür hätten Sie besser in eine Ferienunterkunft gesteckt, die man ganz legal mieten kann.“ Er versuchte möglichst unaufgeregt zu klingen – nachher dachte sie noch, er würde ihr dieses Theater abnehmen.

„Sie wissen genau, dass es keine Fälschung ist“, bemerkte sie sachlich, aber sichtlich um Fassung bemüht. Er war überrascht. Ihre Augen schienen plötzlich noch größer zu werden. War sie auch noch blasser geworden? Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an.

Señorita, Sie wissen gar nicht, was heutzutage alles gefälscht wird, und ich muss zugeben, diese Idee, gleich ein ganzes Haus auf diesem Weg in seinen Besitz zu bringen, ist … raffiniert, aber geschmacklos.“

„Sie aufgeblasener Mistkerl“, beschimpfte sie ihn empört. „Hier steht der Name meines Bruders, Jack Powell, und ich bin seine Schwester.“

Carlos spürte, wie ihm allmählich die Situation entglitt. Er wollte das Unglaubliche nicht wahrhaben. Sein Bruder hatte doch nicht hinter seinem Rücken die Casa de la Luz verkauft, oder?

„Sie reden wirr, bonita. Erst gehörte die Villa Ihnen, jetzt Ihrem Bruder. Also, ich will wirklich nicht länger meine Zeit mit Ihnen verschwenden …“

„Jack ist … Jack war mein Bruder“, begann sie zögerlich, und Carlos sah, wie sie den etwas verrutschten grünen Spaghetti-Träger ihres Kleides wieder auf ihre nackte Schulter zog. „Ich bin seine nächste und einzige Verwandte, seine Schwester – nach seinem Tod ist alles, was ihm gehörte, an mich übergegangen.“

Ihre Stimme klang plötzlich so entmutigt, dass sich in Carlos alles zusammenzog. „Das tut mir leid“, brummte er. Er überlegte, wie sie wohl aussah, wenn sie lächelte. Aber das wollte er gar nicht sehen, er wollte, dass sie die Casa de la Luz verließ, und zwar schnell.

„Mein Bruder muss es einem Mitglied Ihrer Familie abgekauft haben“, versuchte sie ihm die Sachlage weiter zu erklären, was ihn noch unleidlicher machte. Konnte es wirklich sein, dass sein kleiner Bruder über seinen Kopf hinweg das Haus ihrer Großeltern verkauft hatte – auch wenn diese schon lange tot waren und es de facto ihm gehört hatte?

„Wissen Sie was, Señora Powell?“ Er blickte auf seine Uhr. Allmählich wurde ihm das alles zu bunt. Er war schon über eine halbe Stunde zu spät, er wollte seinen Vater nicht noch länger mit dem Abendessen warten lassen. „Dieses Gespräch führt zu nichts. Sie können diese Nacht hier verbringen.“ Er sah an ihr hinunter. „Sie sehen ja einigermaßen gepflegt aus. Morgen treffen wir uns dann in Valencia, bei meinem Notar. Plaça de la Reina 7. Um zwölf. Dann wird sich herausstellen, ob Ihr Dokument Gültigkeit hat oder ob Sie sich einen üblen Scherz mit mir erlauben.“

„Wie gnädig von Ihnen!“, fauchte die junge Engländerin empört. „Wozu die ganzen Umstände? Wenn die Villa in Ihrem Familienbesitz ist, fragen Sie doch einfach diejenigen, die es hätten verkaufen können. Dann haben wir unsere Bestätigung“, ließ sie nicht locker.

Carlos stutzte, sie schien auch nicht zu wissen, wem ihr Bruder die Casa de la Luz abgekauft hatte – wenn es denn überhaupt so war.

„Es gibt nur eine Person“, erklärte Carlos mit belegter Stimme und rieb sich mit der flachen Hand die Stirn. Diesen Satz hatte er auf keinen Fall sagen wollen. Diese Frau brachte ihn völlig durcheinander.

„Umso besser. Dann rufen Sie die Person an. Am besten jetzt“, forderte sie.

„Das geht nicht.“

„Warum nicht? Ist das Handy-Netz in Spanien etwa so schlecht wie in England?“

„Mein Bruder ist vor einem Jahr gestorben. Ich kann ihn nicht mehr anrufen.“ Für einen Moment herrschte Schweigen.

„Oh, das tut mir sehr leid. Entschuldigen Sie bitte. Das war sehr dumm von mir. Ich weiß, wie …“

Carlos schüttelte kurz mit dem Kopf.

„Dann haben sich unsere Brüder gekannt?“, bemerkte sie.

„Was weiß ich? Juan hatte einen sehr großen Freundeskreis. Er war sehr beliebt, reiste viel, wenn er nicht … hier war.“ Er breitete die Hände aus. „Ich habe nicht alle seine Freunde und Freundinnen kennengelernt.“ Wenn Carlos ehrlich war, hatte er sich auch nie die Zeit genommen, Juans Freundeskreis überhaupt näher kennenzulernen.

„Vielleicht waren sie ein Paar?“, überlegte die Engländerin laut.

„Ein Paar?“ Carlos verstand nicht.

„Mein Bruder war schwul.“

„Glauben Sie nicht, dass ich das wüsste, wenn es so gewesen wäre?“, fragte er gereizt.

„Natürlich. Sie sind ja sein Bruder. Wobei, Jack hat mir auch nicht immer erzählt, mit wem er zusammen war, obwohl wir ein sehr enges Verhältnis hatten.“ Pepper stockte. Warum erzählte sie ihm das, einem Fremden? Dass ihr Bruder zwar alles für sie getan hatte, aber ihr auch Dinge nicht mitgeteilt hatte, wie zum Beispiel diesen Hauskauf in Spanien unter diesen eigenartigen Umständen. „Vielleicht waren sie auch nur gute Freunde“, winkte sie schnell ab. Sich die Blöße vor diesem eingebildeten Kerl zu geben, dass sie auch nicht wusste, in welchem Verhältnis Jack zu dem ehemaligen Villenbesitzer stand, gefiel ihr nicht.

Pepper sah auf dem Gesicht des attraktiven Spaniers, wie es in ihm arbeitete. Hatte seine selbstgefällige Fassade etwa einen Riss bekommen?

Er wandte sich zum Gehen. „Also, wir sehen uns morgen, um zwölf, Señorita … Powell?“

„Pepper Powell“, erklärte sie schlicht.

„Pepper. Ein sehr besonderer Name.“ Er sah sie aus tiefdunklen Augen an, und als er mit diesem rauen spanischen Akzent ihren Namen aussprach, konnte sie für einen Moment sogar über seine anmaßende Art hinwegsehen.

„Carlos, Carlos DeSantos.“ Er reichte ihr die Hand. Ihr hatte die Berührung in der Küche eigentlich gereicht. Aber sie konnte die Geste schlecht ignorieren. Also ergriff sie seine Hand, nur damit sie im nächsten Augenblick das gleiche heiße pulsierende Kribbeln überwältigte wie vor wenigen Minuten. Für einen Sekundenbruchteil trafen sich ihre Blicke, ein Stromschlag hätte nicht mehr Spannung erzeugen können. Dann war der magische Spuk vorbei. Pepper ließ seine Hand los und schob sie hastig in die Taschen ihres bunten Seidenkleids.

„Bis morgen, Señor DeSantos. Ich hoffe, Sie finden sich mit der Wahrheit ab.“

„Das Gleiche hoffe ich für Sie, Señorita Powell.“ Er nickte knapp, dann verließ er das Anwesen über die Steinstufen, von denen er jeweils zwei auf einmal nahm.

Pepper blickte ihm hinterher. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit ungeklärten Eigentumsverhältnissen oder einem unwiderstehlich attraktiven Spanier, der sich heute Nacht hoffentlich nicht in ihre Träume schlich.

2. KAPITEL

„Warten wir doch bitte in Ruhe ab, bis Miss Powell auch anwesend ist, Carlos“, erklärte Sebastiano Lorenzo geduldig.

Doch Carlos war alles andere als ruhig und geduldig schon mal gar nicht. Warum konnte sein Freund und langjähriger Notar ihm nicht vorab ein paar Hinweise geben? Was sollten diese Förmlichkeiten? Ich bin Notar und unterliege der Schweigepflicht, wie sollten meine Klienten mir sonst vertrauen? hatte Sebastiano ihn beschwichtigt. Und ich? Ich bin auch dein Klient, seit Jahren, hatte Carlos geschimpft. Schließlich hatte er auf einem der Freischwinger Platz genommen und sich darauf besonnen, Haltung zu bewahren. Er hatte wirklich anderes zu tun, als hier untätig herumzusitzen.

Die Tür öffnete sich, doch es war nur Janina, Sebastianos Assistentin, die das großzügige Büro mit Blick auf die belebte Plaça de la Reina betrat und Orangensaft, Kaffee und einen großen Teller mit Ensaimadas auf den Besprechungstisch stellte.

Carlos sah zu Sebastiano hinüber, der sich einige Akten durchsah. Er schien wirklich die Ruhe selbst zu sein.

„Wie geht es eigentlich Marlisa?“, fragte Carlos schließlich, um die Wartezeit zu überbrücken. Irgendwann würde diese Pepper Powell ja wohl auftauchen. Vielleicht war sie auch längst über alle Berge, dann säße er ganz umsonst hier. Aber dann hätte Sebastiano auch keine Akte zu diesem Thema aus seinem Schrank geholt.

Sebastiano schaute auf und antwortete auf die Frage zunächst mit einem Seufzer. „Noch hat sie keine feste Anstellung gefunden. Aber sie hat einige Bewerbungen losgeschickt. Außerdem hat sie seit einiger Zeit einen festen Freund.“

„Das freut mich, Sebastiano. Sie wird ihren Weg machen. Marlisa weiß, was sie will.“ Carlos war tatschlich überrascht gewesen, dass aus der kleinen trotzigen Marlisa eine selbstbewusste junge Frau geworden war. Gerne hatte er der Tochter seines Freundes die Möglichkeit gegeben, eine Ausbildung zu machen. Warum sie nicht weiter bei DeSantos arbeiten wollte, wusste er nicht. Er wollte Sebastiano gerade danach fragen, als die Tür aufsprang.

„Es tut mir leid. Ich habe einfach keinen Parkplatz gefunden, die nächste Tiefgarage war voll … Aber jetzt bin ich ja hier.“

Carlos musste die aparte Schönheit, die in das Büro hereingewirbelt war wie ein Tornado, erst einmal mit der aufgebrachten Furie von gestern in Einklang bringen. Wo waren ihre wilden roten Locken und ihr sommerliches Hippiekleid geblieben?

Sie wirkte völlig verändert in dem cremefarbenen Bleistiftrock, einem schmalen türkisen Blazer und den hohen Pumps. Auch ihre modische, geometrisch gemusterte Umhängetasche aus Lackleder war ein Hingucker. Carlos musste kurz seine Augen schließen; das war ein visueller Cocktail, den er erst einmal verdauen musste. Und warum hatte sie nur ihre Haare so streng zurückgebunden? Wahrscheinlich wollte sie mit diesem ausgefallenen Business-Outfit nur Eindruck schinden, sagte er sich.

Buenos días, Señorita Powell. Ich heiße Sie herzlich in Valencia willkommen.“ Sebastiano war aufgestanden und begrüßte Pepper mit einer Umarmung.

Warum ist mein Notar so überschwänglich? fragte sich Carlos und blieb ungerührt sitzen. Eigentlich hatte er gehofft, Sebastiano würde ihnen gleich mitteilen, dass Pepper Powell sich die Eigentumsurkunde auf illegalem Weg beschafft hatte. Aber diese Hoffnung schwand von Minute zu Minute.

„Señor DeSantos“, grüßte sie ihn knapp lächelnd, um sich im nächsten Moment ebenfalls zu setzen.

„Guten Morgen, Miss Powell. Ich hoffe, Sie haben gut in der Casa de la Luz geschlafen“, sagte Carlos, seine Stimme troff vor Sarkasmus.

„Ausgezeichnet. Vielen Dank.“ Pepper spürte die Spannung über den Konferenztisch hinweg, obwohl mindesten zwei Meter Abstand zwischen ihnen lagen. Sie hatte ihn nur kurz angesehen, doch ein Blick hatte gereicht, und in der Magengegend fing es an wie wild zu prickeln. Carlos hatte die Ärmel seines schwarzen Hemds hochgerollt, und sie sah seine muskulösen sonnengebräunten Unterarme, mit denen er sich auf dem Tisch abstützte. Seine ganze Haltung vermittelte Pepper den Eindruck, dass er all seine Konzentration darauf verwendete, ruhig am Tisch sitzen zu bleiben. Sie konnte nur hoffen, dass Señor Lorenzo gleich die erlösenden Worte sprach.

„Ich hätte Sie im Laufe der nächsten beiden Wochen natürlich sowieso aufgesucht …“, wandte sie sich freundlich an den Notar, „… aber durch die Zweifel von Señor DeSantos haben sich die Dinge etwas … beschleunigt.“ Sie warf Carlos einen unterkühlten Blick zu und zog ihre Klarsichtmappe aus ihrer Tasche.

„Gut, dass Sie es noch pünktlich geschafft haben, Miss Powell“, bemerkte Sebastiano.

„Also, ich verstehe etwas anderes unter Pünktlichkeit“, murmelte Carlos vor sich hin.

„Ich meine, vor Ablauf der sechs Monate. Aber erst einmal, Miss Powell, möchte ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid zum Tod ihres Bruders aussprechen. Es muss eine besonders schwierige Situation für Sie sein. Allein an der Spitze der Firma Powell’s Delicious.“

Pepper nickte ernst. „Vielen Dank, Señor Lorenzo. Als Lieferant des Königlichen Hofs trägt meine Firma tatsächlich eine große Verantwortung.“

Carlos stutzte. Powell’s Delicious? War das nicht diese englische Feinkostfirma? Der Name war ihm gestern schon irgendwie bekannt vorgekommen. Seine rothaarige Stromerin, die er für eine Hausbesetzerin gehalten hatte, führte eine Traditionsfirma? Interessant.

„Jedenfalls fallen zu diesem Zeitpunkt keine Säumnisgebühren an. Aber ich gehe davon aus, dass Sie das wussten?“, fuhr Sebastiano in väterlichem Ton fort. „Saft? Von unseren besten hiesigen Orangen.“

„Gerne“, nickte sie. „Es war mir klar, dass ich in Spanien Erbschaftssteuern zahlen muss, aber nicht in welchem Zeitraum, da ich …“, begann sie, während Sebastiano ihr ein Glas mit frisch gepresstem Orangensaft eingoss.

„Stopp. Es reicht. Könntest du, Sebastiano, bitte aufhören so zu tun, als ob ich nicht anwesend wäre? Und Sie, Señorita Pepper – Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie nach Valencia gekommen sind, um irgendwelche Rechnungen zu bezahlen.“ Er war aufgestanden und hatte sich mit den Händen auf den Tisch gestützt.

„Carlos, beruhige dich. Möchtest du auch von dem Saft?“

„Danke, nein“, wehrte er ab.

„Ich muss dich am Telefon falsch verstanden haben, Carlos. Ich dachte, Miss Powell hätte dich gestern schon in groben Zügen über den Sachverhalt aufgeklärt.“

„Vielleicht hat sie mich über ihre Sicht der Dinge aufgeklärt, aber ich habe definitiv eine andere.“ Damit sandte er einen dunklen Blick in Peppers Richtung.

„Carlos, ich komme sofort zu dem Teil, der dich betrifft“, versuchte Sebastiano ihn zu besänftigen. „Also, wir können zunächst festhalten, dass Sie, Miss Powell, die Fristen eingehalten haben. Das bedeutet, es steht der Überschreibung auf Ihren Namen nichts mehr im Wege.“ Er reichte ihr einen Stift und legte ihr ein Dokument zur Unterschrift vor.

Gracias, Señor Lorenzo“, sagte Pepper und nahm den Stift in ihre schöne schlanke Hand.

Carlos sank zurück auf den Stuhl, der leicht nachwippte. Sie unterschrieb nicht zum ersten Mal ein Dokument, das sah er sofort an ihrer eleganten Schreibbewegung. „Dann stimmt es also, die Casa de la Luz ist nicht mehr im Besitz der Familie DeSantos“, kommentierte Carlos das Geschehen tonlos. Er schob seine Finger ineinander und sah Sebastiano eindringlich an.

„Ja, Carlos. Als Erbin ihres Bruders geht die Villa in den Besitz von Miss Powell über.“

„Ohne dass ich je davon in Kenntnis gesetzt wurde“, stellte er trocken fest.

„Warum ist das für Sie so ein Drama?“, warf Pepper ein. „Die Villa ist offensichtlich schon lange nicht mehr bewohnt. Sie scheinen doch überhaupt kein Interesse an dem Anwesen zu haben.“

Carlos presste die Lippen aufeinander und sah zu, wie die streitsüchtige Engländerin sich in aller Seelenruhe eine Ensaimada vom Teller nahm, ein Stück von dem lockeren Hefeteig abpflückte und sich in den Mund schob.

„Seit wann muss man darüber Rechenschaft ablegen, wie man seine Immobilie nutzt?“, erklärte Carlos herablassend, während er sah, wie der weiße Puderzucker sich auf ihren Lippen verteilte, die heute in einem hellen Pink geschminkt waren. Die natürliche Farbe von gestern hatte ihm besser gefallen …

„Nun gut, dass muss natürlich niemand, da hast du recht. Also kommen wir nun zu dem Teil, der dich betrifft, Carlos“, mischte sich der Anwalt nun ein. „Ich habe bei all diesen Belangen nur im Auftrag von Juan gehandelt. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass ich erst mit dir darüber rede, wenn der Begünstigte hier in Valencia erscheint. Da dieser nun mal leider verstorben ist, sprechen wir von einer Begünstigte, nämlich Miss Pepper Powell.“

„Aber warum in aller Welt hat mir Juan nicht erzählt, dass er die Casa de la Luz verkaufen wollte?“, empörte er sich. „Unsere Großeltern haben bis zu ihrem Tod dort gelebt, wir haben als Kinder dort gespielt …“ Er fuhr sich angestrengt über die Stirn.

„Juan hat die Villa nicht verkauft. Er hat sie verschenkt.“

„Er hat was?“, fragte Carlos, außer sich.

Auch Pepper schien überrascht und hüstelte.

„Ich habe einen Brief von Juan – für dich. Vielleicht fällt es dir leichter zu akzeptieren, dass die Villa nicht mehr in dem Besitz der DeSantos ist, wenn du hörst, was er geschrieben hat.“ Lorenzo zog einen Briefbogen aus einem Umschlag und faltete ihn auseinander.

Carlos erstarrte. Konnte es noch schlimmer kommen? „Muss das sein?“, fragte er mit Blick auf die neue Besitzerin der Casa de la Luz. Eine Woge der Wut überflutete ihn. Er hasste es, wenn er über die Dinge die Kontrolle verlor.

„Es war Juans ausdrücklicher Wunsch, dass der, beziehungsweise im jetzigen Fall die Begünstigte anwesend sein soll, während ich das Schreiben vorlese.“

Carlos gab sich geschlagen und nickte knapp. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sein Bruder geschrieben haben konnte. Und warum musste der neue Besitzer dabei sein? Er verstand es einfach nicht. Aber wenn er ehrlich war, gab es viele Dinge, die er im Leben Juans nicht verstanden hatte – sie waren einfach sehr unterschiedlich gewesen.

„Señor DeSantos, wenn Sie meine Anwesenheit nicht ertragen können, kann ich das Büro auch verlassen …“, erklärte Pepper. Sie hatte genug von seiner grimmigen Art und hätte nichts lieber getan, als das Weite zu suchen.

„Nein, lassen Sie nur“, winkte Carlos ungeduldig ab. „Sie hören ja, Sie müssen dabei sein.“ Er schenkte sich Wasser nach und straffte die Schultern. „Also, bringen wir es hinter uns …“

„Ihr Lieben!“, begann Sebastiano den Brief vorzulesen. „Sicher werdet Ihr Euch wundern, warum ich Jack die Casa de la Luz vermache. Aber es ist nun mal so, dass die Tage mit Dir, lieber Jack, in dem Luftschloss – wie Du die Villa meiner Großeltern immer nanntest – die glücklichsten meines Lebens waren. Ich hoffe, dass es noch viele Gelegenheiten für Dich gibt, hier nochmals so glücklich zu sein – vielleicht nicht genauso, aber ganz nah dran. Für immer Dein, Juan.“

Sebastiano nahm einen Schluck Wasser, Carlos starrte auf sein Glas. Wie konnte es sein, dass er nicht wusste, mit wem sein Bruder angeblich die glücklichste Zeit seines Lebens verbracht hatte? Und er war schwul gewesen? Bei dem Gedanken, wie fremd ihm sein kleiner Bruder über die Jahre geworden war, zog sich ihm der Magen zusammen.

„Und nun zu Dir, lieber Bruder, ich kann mir denken, wie überrascht Du bist. Auch wenn Dir selbst nie etwas an der Casa de la Luz lag, wirst Du mit meiner Entscheidung nicht einverstanden sein. Weil ich sie ohne Dich getroffen habe. Aber so fühlt es sich nun mal an, wenn man nicht einbezogen wird. Das wollte ich Dich, ganz ohne Groll, nur einmal spüren lassen. Ich weiß, dass Du mir das verzeihst. In Liebe, Juan.“

Pepper war sicher, dass sie zwischendurch aufgehört hatte zu atmen. Zunächst hatte sie versucht, den Kloß in ihrem Hals zu ignorieren, doch schließlich schwammen ihre Augen in Tränen. Carlos’ Bruder hatte Jack geliebt und ihm vor seinem Tod die Casa de la Luz geschenkt – als Erinnerung und mit einem Wunsch für seine Zukunft. Pepper war zutiefst gerührt. Sie blickte zu Carlos und erschrak, als sie seine eisige Mine sah. Schnell wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sah er denn nicht, was die beiden verbunden haben musste? Hatte er keine Gefühle?

Ohne einen Kommentar hatte Sebastiano den Brief zu Carlos geschoben – ihr gab er eine Abschrift.

„Hat jemand noch Fragen?“, durchbrach der Notar das Schweigen.

Pepper schüttelte den Kopf, und auch Carlos sagte kein Wort.

„Dann schließe ich damit die Verkündung. Ich hoffe, Sie wissen, was Sie mit der Casa de la Luz anfangen wollen, Miss Powell. Es ist ein besonderes Haus.“

Was sollte sie dazu sagen? Eigentlich war sie mit dem Vorsatz nach Spanien gekommen, ein wenig zur Ruhe zu kommen, sich in die Firmenangelegenheiten einzuarbeiten und anschließend das Haus in die Hände eines Maklers zu geben, um es zu verkaufen. Wer hätte denn ahnen können, dass …

„Kann ich jetzt gehen?“, fragte Carlos in die Runde spöttisch. „Oder muss ich auch noch etwas unterschreiben? Vielleicht, dass ich gegen den Willen meines Bruders keinen Einspruch erhebe?“

„Carlos, ich finde, Miss Powell hat recht. Es hat dir nicht viel an der Casa de la Luz gelegen. Es war Juans Villa. Soweit ich mich erinnere, hast du von deinen Großeltern ihr Chalet in der Schweiz bekommen.“

„Darum geht es doch gar nicht.“ Carlos warf seinem Notar einen bösen Blick zu, und Pepper wusste nicht, ob sie Mitleid oder Wut für diesen Gefühlsklotz empfinden sollte. Als er geräuschvoll mit den Stuhl nach hinten schrappte und aufstand, erhob auch Pepper sich. Anscheinend war alles gesagt. Ihre Wege würden sich hier trennen, und das war auch gut so. Sie bedauerte nur, seinen jüngeren Bruder nicht kennengelernt zu haben. Ihn hätte sie gemocht, da war sie sich sicher. Aber es war Jacks Entscheidung gewesen, sie einander nicht vorzustellen. Leider.

„Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich jederzeit an mich, Miss Powell“, erklärte Señor Lorenzo hilfsbereit und nahm sie kurz in den Arm.

„Vielen Dank, ich weiß Ihre Unterstützung zu schätzen. Ich werde mich sicher in den nächsten zwei Wochen meines Aufenthalts hier in Valencia bei Ihnen melden.“

„Sie bleiben nur zwei Wochen? Das ist eine kurze Zeit, um sich in ein Haus zu verlieben.“ Er zwinkerte Pepper zu, und sie musste schmunzeln.

„Vielleich habe ich das ja bereits getan“, erklärte sie offenherzig. „Aber ein längerer Aufenthalt ist nicht möglich, Powell’s Delicious führt sich nicht von selbst.“

„Ich verstehe. Sie tragen eine große Verantwortung.“

„Und genau, das ist das Problem. Ich eigne mich nicht als Geschäftsfrau“, gab sie ehrlich zu, zuckte mit den Schultern und ging an der Seite des Notars zum Ausgangsbereich, an dem Carlos bereits stand und von einer elegant gekleideten brünetten Schönheit, die gerade die Kanzlei betreten hatte, begrüßt wurde.

„Carlos, mi querido. Was für eine Überraschung. Ich wollte Sebastiano zum Lunch abholen, möchtest du uns begleiten?“

„Carlotta, schön, dich zu sehen. Aber ich habe keine Zeit“, erklärte Carlos kurz angebunden.

Er ist also nicht nur zu ihr unfreundlich, dachte Pepper bei sich.

„Kein Problem, mi querido, wir sehen uns ja heute Abend auf meinem Fest“, erklärte die aparte Fünfzigerin gut gelaunt.

Carlos schien nicht begeistert. Ein Partymuffel war er also auch noch. Woran hat dieser Mann eigentlich überhaupt Spaß? fragte sich Pepper.

„Und wen haben wir da, ist das deine Begleitung für heute Abend?“, hakte die Notarsgemahlin nach, stellte sich Pepper vor und reichte ihr die Hand: „Carlotta Lorenzo.“

„Pepper Powell, schön Sie kennenzlernen“, erwiderte Pepper freundlich und schüttelte der Spanierin die mit vielen goldenen Ringen geschmückte Hand.

„Pepper Powell? Die Designerin Pepper Powell?“, fragte Señora Lorenzo überrascht.

Pepper blieb nichts anderes übrig, als bescheiden zu nicken. Diese mondäne Frau kannte ihre Arbeit?

„Ich habe kürzlich einen Artikel in dem spanischen Kunstmagazin über Sie gelesen. Ich liebe Ihr Label. Wie heißt es noch gleich?“

„Pep-Art-Studio“, erwiderte Pepper. Seit sie vor einem Jahr alles, was sie designte unter einem Label zusammenfasste, hatte sie sich vor Interview-Anfragen von Living-Zeitschriften und Aufträgen von Einrichtungsläden nicht retten können. Die Leute liebten ihre selbst entworfenen Kissen, Vasen und Decken, aber auch die Tapeten. Sie bemalte auch Wände und entwarf dazu die passenden Teppiche. Ihren Job mit ihren plötzlichen Pflichten, sich um Powell’s Delicious zu kümmern, unter einen Hut zu bringen, war allerdings ein Balance-Akt, der sie an den Rand ihrer Kräfte gebracht hatte.

„Mit Ihren Design-Objekten und Ihren Wandmalereien verwandeln Sie jeden Raum in ein Kunstwerk. Ich würde zu gerne etwas von Ihnen bei uns im Haus haben. Sie müssen uns besuchen kommen, wir haben eine Villa direkt am Meer.“ Dabei glänzten ihre Augen regelrecht vor Bewunderung. Pepper wurde ganz verlegen vor so viel Anerkennung.

„Carlotta, ich glaube, Miss Powell hat wenig Zeit“, warf Señor Lorenzo vorsichtig ein.

„Nein, lassen Sie nur, Señor Lorenzo, ich werde schauen, was ich machen kann. Ich würde mich freuen, mir Ihre Strandvilla anzusehen“, sagte Pepper. Sie hatte allen Kunden in England mitgeteilt, dass sie verreist war. Aufträge, die jetzt eintrudelten, mussten warten, bis sie zurück war. Aber für Carlotta würde sie natürlich eine Ausnahme machen, so stolz war sie, dass man sie hier kannte.

„Das ist wunderbar. Und sollten Sie heute Abend noch nichts vorhaben, müssen Sie mir versprechen, auf meine Sommernachtsparty im Hotel Tropical zu kommen. Es wäre mir eine Ehre, die kreativste Designerin Englands zu empfangen.“

Pepper wollte auf jeden Fall ablehnen, sie musste noch arbeiten. Außerdem kannte sie dort niemanden – außer Carlos DeSantos, und der würde sie wahrscheinlich in den Pool werfen, wenn sie sich dort über den Weg liefen. Nein, danke. Doch als sie ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen in der Tür stehen sah, regte sich ein Funken Trotz in ihr. Warum sah er sie so böse an? Konnte sie etwas dafür, dass er ein gestörtes Verhältnis zu seinem Bruder gehabt hatte, oder wollte er ihr die Party madig machen?

Pepper reckte ihr Kinn. „Ich komme sehr gerne heute Abend zu Ihrer Party, Mrs. Lorenzo“, erklärte Pepper mit fester Stimme. Vielleicht schadete es nicht, ein wenig unter Leute zu kommen. Allein in der Villa Trübsal zu blasen, wäre bestimmt wenig inspirierend. Und Inspiration brauchte sie, nicht nur für ihr Verkaufskonzept, was Powell’s Delicious betraf, denn jetzt musste sie auch als offizielle Besitzerin der Casa de la Luz überlegen, ob sie das „Luftschloss“, wie ihr Bruder das Haus genannt hatte, wirklich verkaufen sollte … Irgendwie kam sie sich schon jetzt als Verräterin vor, wenn sie an einem Verkauf der Villa festhielt.

„Carlos könnte Sie bestimmt abholen“, meinte Carlotta, doch der war bereits im Treppenhaus verschwunden.

3. KAPITEL

„Miss Powell, haben Sie noch einen Moment Zeit?“

Carlos war vor dem Notariatsbüro stehengeblieben, da er einen dringenden Anruf seines Produktionsleiters erhalten hatte. Die Zahlen des letzten Halbjahrs entsprachen nicht den Erwartungen, und Guido empfahl ihm, dringend einige Schritte zu unternehmen, die das Portfolio der Firma erweiterten. Eine exklusive Firma wie Powell’s Delicious würde in seinem Online-Auftritt glänzen. Während Carlos der Duft nach Lilien und Grapefruit umwehte, kam ihm eine Idee.

„Ich dachte, wir hätten uns oben schon voneinander verabschiedet“, gab sie patzig zurück und versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben.

„Es tut mir leid, aber ich habe es in der Kanzlei einfach nicht mehr ausgehalten.“

Die rothaarige Engländerin antwortete nicht. Was er ihr nicht verübeln konnte; er hatte sich wie ein Idiot benommen. „Ich dachte, wir sollten einen Kaffee zusammen trinken gehen – vielleicht im Mercado Central?“ Er zeigte auf eine von Platanen umsäumte Einkaufsstraße. „Dort hinten liegt Valencias kulinarisches Juwel mit den köstlichsten Delikatessen, die Spanien zu bieten hat.“

„Wir sollten einen Kaffee zusammen trinken? Aber warum?“, fragte sie überrascht, und ihr Gesichtsausdruck wirkte dabei so, als ob er sie aufgefordert hätte, mit ihr zu Fuß ans Ende der Welt zu gehen.

„Einfach, weil das vorhin kein guter Abschied war.“

„Hat der böse Wolf etwa Kreide gefressen?“, fragte sie ihn herausfordernd, und in seinen Adern begann es zu brodeln. Diese aufmüpfige Art weckte in ihm höchst sonderbare Vorstellungen. Wollte er ihr wirklich das Haarband aus den gebändigten Locken pflücken, sie in seine Arme ziehen und sie küssen? Nein, natürlich nicht! ermahnte er sich.

„Ich kann Sie verstehen, Señorita Powell. Ich war nicht besonders freundlich zu Ihnen“, sagte er in bemüht sachlichem Ton. Er machte sich schon darauf gefasst, dass sie ihn eiskalt stehenließ, doch mal wieder überraschte sie ihn.

Einen Kaffee“, sagte sie bestimmt und hob den Daumen ihrer rechten Hand.

„Ich habe von der Markthalle in Valencia gehört – aber so schön habe ich sie mir nicht vorgestellt“, bewunderte sie das ausgefallene Gebäude, als sie wenige Minuten später an der Plaza de Mercado standen.

„Warten Sie ab, bis Sie sie von innen sehen. Die Architekten haben ihr Bestes gegeben, um spanischen Oliven, Früchten und Weinen ein Dach über dem Kopf zu geben.“

„Sie sind ja richtig poetisch“, stellte Pepper amüsiert fest.

Carlos lächelte schmal. „Ich denke, die Bedingungen unseres Kennenlernens waren nicht die günstigsten.“

„Und ich denke, das kann man so sagen“, erwiderte Pepper, lächelte knapp zurück, und während sie die Markthalle betraten, dachte sie über seinen Stimmungswandel nach. Sie wurde aus dem Mann nicht schlau.

„Sie scheinen den Brief Ihres Bruders ja erstaunlich schnell verarbeitet zu haben. Oder spielen Sie nur den Unberührbaren?“, fragte Pepper skeptisch, nachdem er sie an einen Bistro-Stand geführt hatte und sie sich auf zwei freie Barhocker gesetzt hatten.

„Miss Powell, ich werde Ihre direkte Art vermissen, wenn Sie Valencia wieder verlassen. Aber Sie haben natürlich recht. Ich muss mich noch an den Gedanken gewöhnen, dass mein Bruder die Casa de la Luz verschenkt hat.“

Pepper nickte – das konnte sie nachvollziehen.

„Elvira, un bocadillo con jamón, por favor“, bestellte er bei der hübschen Verkäuferin, die gerade einige Scheiben Schinken von einer Keule schnitt.

„Sie wollten nur einen Kaffee, , Miss Powell?“

„Sí.“ Obwohl die Köstlichkeiten, die an all den Ständen angeboten wurden, sehr verlockend aussahen, hatte Pepper keinen Appetit. Natürlich war es eine besondere Situation. Und während sie die ganze Zeit an Juans Brief denken musste, schien Carlos nicht darüber reden zu wollen.

Unbekümmert biss er in sein Schinkenbrötchen, und während sie selbst an ihrem Kaffee nippte, ließ sie den Blick durch die Halle schweifen. Über die riesige weiße Stahl- und Holzkonstruktion, die sich über Hunderte von Marktständen spannte. Über die blauen und roten Keramikkacheln, die die Glaskuppel dieses Jugendstil-Juwels verzierten. Pepper saugte die Farben in sich auf.

„Also, was fangen Sie jetzt an als stolze Besitzerin einer spanischen Villa?“, riss Carlos sie aus ihren Betrachtungen.

„Ehrlich gesagt weiß ich es noch nicht“, erklärte Pepper gedankenverloren. „Als ich gestern hier ankam, wollte ich sie noch verkaufen. Aber jetzt … ich finde, dass unsere Brüder diese besondere Verbindung hatten, ändert alles. Wahrscheinlich kümmere ich mich erst einmal nur um meine Firma.“

Powell’s Delicious?“

„Ja, es ist nicht einfach. Aber warum reden wir die ganze Zeit über mich? In welcher Branche arbeiten Sie eigentlich?“

Carlos räusperte sich und tupfte sich die letzten Krumen von seinen Lippen. Wenn er diesen grimmigen Ausdruck ablegte und sich etwas entspannte, wirkte er richtig sympathisch, überlegte Pepper.

„Sie kennen unsere Familie wirklich nicht?“, fragte Carlos aufrichtig überrascht.

„Müsste ich sie kennen?“ Sie kannte sich in der Welt der Farben und Formen aus, und das außerordentlich gut – für anderes hatte sie sich wenig Zeit genommen. Und ihr Bruder hatte sie stets darin bestärkt, für ihr Talent zu leben.

„Mein Vater hat sich in den Sechzigerjahren mit Kaufhäusern ein kleines Imperium aufgebaut. DeSantos&Cruz, nach dem Namen seines Vaters und dem Mädchennamen seiner Mutter“, berichtete Carlos.

„Tut mir leid, nie gehört. Aber klingt interessant“, behauptete Pepper und streute sich etwas Zucker in den starken Kaffee. „Gibt es in Valencia auch eins von ihren Kaufhäusern? Dann könnte ich dort gleich ein paar Besorgungen machen.“

„Nein, gibt es nicht. Ich habe die meisten Immobilien letztes Jahr verkauft.“

„Verkauft? Wollen Sie sich schon zur Ruhe setzten?“ Pepper runzelte die Stirn. Für einen Privatier, der nur noch Golf und Tennis spielt, hätte sie ihn nun gar nicht gehalten.

Carlos hatte wieder diesen abschätzigen Ausdruck auf dem Gesicht. Konnte man mit diesem Mann nicht normal reden, ohne dass man das Gefühl bekam, dass er einen abkanzelte?

„Nein, natürlich nicht.“ Er lächelte schief. „Ich sehe die Zukunft des Handels nicht mehr auf den analogen Verkaufsflächen. Wer will sich schon noch in endlosen Kaufhausetagen die Füße plattlaufen, wenn man sich mit dem iPad auf dem Schoß und auf dem Sofa sitzend alle Produkte der Welt bestellen kann?“

„Sie meinen Internet-Handel?“ Na, das passte ja. Sie hätte es sich gleich denken können.

„Online-Handel, genau – ich baue seit Monaten eine Plattform auf, wie es sie im Süden Europas noch nicht gibt. Die Kaufhäuser, die ich noch besitze, dienen als Lager für unsere Produkte, damit die Waren möglichst schnell bei unseren Kunden sind. Vom Porzellanservice bis zur Languste. Mit einem Klick.“ Er schnipste mit den Fingern wie ein Zauberer, nur dass die ganzen Produkte eben nicht herbeigezaubert wurden …

Pepper schüttelte innerlich den Kopf. Ein Online-Tycoon. Kurz hatte sie überlegt, vielleicht doch ein Brötchen zu essen, aber jetzt war ihr der Appetit endgültig vergangen.

„Wem’s gefällt. Ich sehe die Dinge etwas anders“, sagte Pepper und blickte ihn dabei herausfordernd an. „Die Menschen begegnen sich nicht mehr, sie vereinsamen, der Online-Handel ist ein Messerstich in das Herz unserer Zivilisation.“

„Sie übertreiben, Señorita Powell. Der Online-Handel bietet ganz neue Möglichkeiten. Menschen, die sonst nie an gewisse Produkte gekommen wären, können durch das Internet die ganze Vielfalt unserer Warenwelt erleben, endlich herrscht Gleichberechtigung, und denken Sie erst an die älteren Menschen …“

„Viele von ihnen verschulden sich, gerade weil es so einfach ist. Das bringt sie in Not. Aber wahrscheinlich könnten wir uns noch stundenlang Argumente für oder gegen das Bestellen im Internet vor die Füße werfen. Nur werde ich bei meiner Meinung bleiben. Ich bin der Überzeugung, dass die Menschen Dinge kaufen, die sie gar nicht brauchen, nur weil sie sie schnell und jederzeit ordern können. Sie sind mit der schwindelerregenden Anzahl von Angeboten überfordert.“

„So wie Sie mit der Leitung von Powell’s Delicious überfordert sind?“ Carlos sah ihr direkt in die Augen, doch sie wich seinem Blick nicht aus.

„Eins zu null für Sie. Wahrscheinlich“, gestand sie. Er dachte bestimmt, es würde an ihrem Ehrgefühl kratzen, es zuzugeben, dabei war genau das Gegenteil der Fall. Sie kannte Firmen, die von den Erben in den Bankrott getrieben worden waren – das würde bei Powell’s Delicious nicht passieren. Sie würde das Traditionsunternehmen verkaufen – allerdings nur in die allerbesten Hände.

„Wenn Sie die Firma verkaufen wollen, nennen Sie mir einen Preis, und wir kommen sofort ins Geschäft“, sagte er wie nebenbei und zückte seine Visitenkarte. Er dachte an das Gespräch mit seinem Produktionsleiter. Er musste neue Firmen für sein Portal gewinnen. Und natürlich wäre Powell’s Delicious das Sahnestück für sein Portfolio, das er dringend brauchte, um wieder bessere Zahlen zu schreiben. Außerdem lagen die Vorteile auf der Hand, für sie ebenso wie für ihn.

Pepper traute ihren Ohren nicht. Daher wehte der Wind also, deshalb war Carlos DeSantos plötzlich so freundlich zu ihr. Nicht, weil er wehmütig an seinen Bruder zurückdachte. Nein, er dachte ans Geschäft. Eiskalt. Sie begann zu frösteln.

„Señor DeSantos, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“ Pepper legte ein paar Euro auf den Tresen und schob ihm seine Visitenkarte wieder zurück. „Selbst wenn Sie mir die Sterne vom Himmel holen, werde ich Powell’s Delicious nicht an Sie verkaufen“, erklärte sie mit zuckersüßer Stimme.

„Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“

„Es gibt eine Bedingung, an die der Verkauf geknüpft ist. Wollen Sie raten?“

Carlos zuckte mit den Schultern.

„Kein Online-Handel mit Produkten von Powell’s Delicious. Ich denke, damit fallen Sie als Bewerber eindeutig weg“, erklärte sie ihm klipp und klar.

Carlos runzelte die Stirn. Was war das denn für eine veraltete Einstellung? fragte er sich. In welchem Jahrhundert lebte Pepper Powell? Aber war es nicht schon immer so gewesen, dass ihn Dinge, die er nicht haben konnte, besonders reizten? Sein Jagdinstinkt war jedenfalls geweckt.

„Ich könnte die Überschreibung der Villa auf Ihren Namen anfechten“, bluffte er. So einfach ließ er sich nicht abfertigen.

„Das ist jetzt nicht Ihr Ernst.“ Pepper sah ihn ungläubig an. Wollte er ihr etwa drohen?

„Hören Sie, wir machen einen Deal, Sie verkaufen Ihre Firma an mich, und ich werde nicht gegen die Überschreibung klagen.“

„Sie sind ja völlig übergeschnappt.“ Hielt er sie wirklich für so naiv? „Die Villa gehört mir doch schon. Und ich werde Powell’s Delicious nicht an Sie verkaufen, das verspreche ich Ihnen.“

Pepper drehte sich auf dem Absatz um und verließ geraden Schrittes die Markthalle. Kaum war sie außer Sichtweite, holte sie tief Luft und öffnete instinktiv ihr Haarband, wie um sich zu befreien. Carlos DeSantos war nicht im Geringsten an ihr persönlich interessiert. Nicht dass sie sich das in irgendeiner Form gewünscht hätte. Auf einen Mann, der nur Geld und Profit im Kopf hatte, konnte sie verzichten. Sie war nur froh, dass ihr Bruder ihn nicht hatte kennenlernen müssen. Eher fror wahrscheinlich im Sommer das Mittelmeer zu, als dass Carlos DeSantos echte Gefühl zeigte, geschweige denn überhaupt welche hatte.

Trotzdem. Dass der aufregend attraktive Spanier sich bloß so charmant gegeben hatte, um ihr Powell’s Delicious abzuluchsen, traf Pepper tiefer, als sie sich eingestehen wollte.

4. KAPITEL

Der Himmel über Valencia kündigte den Abend an. Die Sonne malte hellrote Bänder an den Horizont, und trotzdem lagen die Temperaturen noch bei über dreißig Grad.

Pepper betrat den luxuriösen Eingang des Strandhotels Tropical und genoss die Wärme auf ihren nackten Armen. Sie hatte sich für eines ihrer Lieblingskleider entschieden, ein raffiniertes, ärmelloses hellblaues Kleid, das vorne hochgeschlossen war und nur durch seinen tiefen Rückenausschnitt auffiel. Es war schlicht und perfekt für eine Sommernachtsparty.

Den Nachmittag hatte Pepper damit verbracht, einige Besorgungen zu machen. Nach dem turbulenten Notarbesuch und dem ärgerlichen Gespräch mit Carlos DeSantos wollte sie sich etwas Gutes tun und hatte in der Nachbarschaft nach einem Hausmeister gefragt, der sich auch um Schwimmbäder kümmerte. Man hatte ihr hilfsbereit eine Telefonnummer gegeben, und so würde am Montag der Pool gereinigt und mit Wasser befüllt. Angesichts der Hitze ein wundervoller Gedanke, sich nach dem Aufstehen direkt in das kühle Nass gleiten zu lassen.

In der Hotellobby angekommen, entdeckte Pepper den gläsernen Fahrstuhl von dem Carlotta geschrieben hatte, als sie ihr die Einladung auf ihr Handy geschickt hatte. Während sie auf den Lift wartete, der an drei Seiten freistehend aus der modernen Lobby hinauf in die mit Pflanzen umrankten übrigen Etagen führte, dachte sie an das n...

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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Luana Da Rosa
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