Romana Gold Band 42

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VIVA ESPAÑA von JORDAN, PENNY
Komm zurück nach Andalusien! Jahre nach der Trennung wird Davina an die Seite ihres verletzten Exmannes Ruy gerufen, zurück in das Land ihrer süßesten Erinnerungen - und der bittersten. Das Wiedersehen mit Ruy reißt alte Wunden wieder auf. Kann die Liebe sie heilen?

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VERLOBUNG AUF SPANISCH von ROSS, KATHRYN
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  • Erscheinungstag 08.12.2017
  • Bandnummer 42
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744670
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Jordan, Lee Stafford, Kathryn Ross

ROMANA GOLD BAND 42

1. KAPITEL

Davina fuhr sich mit der schmalen Hand durch das lange silberblonde Haar. In ihren blauen Augen leuchtete es liebevoll auf, als sie Jamie, ihren dreijährigen Sohn, betrachtete. Sie war vierundzwanzig, wirkte aber mit ihrer schlanken und zierlichen Gestalt viel jünger, sodass man ihr kaum zutraute, schon ein Kind zu haben. Obwohl sie immer noch ihren Ehering trug, glaubte ihr so manch einer nicht, dass sie verheiratet war.

Während sie ein Papiertaschentuch in ihrer Umhängetasche suchte, entdeckte sie zufällig den Brief, den sie vor zwei Wochen erhalten hatte. Er war kühl und sachlich geschrieben. Sie hatte auch nicht erwartet, dass Jamies Vater noch irgendetwas für sie empfand. Ihre gemeinsame Zeit war längst vorbei und vergessen.

Aber weshalb saß sie dann jetzt im Flugzeug nach Sevilla, um mit ihrem Sohn zu seinem Vater zu fliegen, den er nicht kannte?

Man sah Jamie, der in ihren Armen eingeschlafen war, die soeben überstandene Krankheit noch an. Er hatte eine langwierige Darmentzündung gehabt. Doch glücklicherweise war jetzt alles überstanden, obwohl sein Immunsystem noch geschwächt war. In dem warmen Spanien, wo er geboren war, würde er sich erholen können, seine Haut wäre schon bald gebräunt und sein gelocktes Haar, das sie an Ruy, seinen Vater, erinnerte, würde im Sonnenschein blauschwarz glänzen. Sie strich es ihm aus der Stirn.

Glücklicherweise konnte Davina zu Hause arbeiten. Doch mit Kinderbuch- und Kartenillustrationen verdiente sie nicht so viel, dass es für ein Leben im Luxus reichte. Auch hätte sie es sich nie erlauben können, mit Jamie in den Süden zu fliegen, wie der Arzt es empfohlen hatte.

Als er alt genug gewesen war, hatte Davina ihrem Sohn erklärt, sein Daddy lebe in einem anderen Land. Er war etwas neugierig geworden, war jedoch mit ihren kurzen Erklärungen zufrieden gewesen. Im Kindergarten hatte er andere Kinder kennengelernt, deren Mütter allein erziehend waren, deshalb war es für ihn nichts Außergewöhnliches. Natürlich wäre es mir lieber, mein Kind könnte in einem intakten Elternhaus aufwachsen, gestand sie sich ein.

Ich darf nicht sentimental werden, mahnte sie sich sogleich und dachte wieder über den Brief nach. Warum wollte Ruy seinen Sohn unbedingt sehen?

Nach der Trennung war sie überzeugt gewesen, er würde die kurze Ehe mit ihr rasch vergessen. Auf seinen Wunsch hatten sie sich katholisch trauen lassen. Aber er kam aus einer angesehenen, einflussreichen Familie, und man hätte sicher Mittel und Wege finden können, die Ehe annullieren zu lassen. Seine Mutter war von Anfang an gegen die Heirat gewesen. Die Condesa de Silvadores hatte Davina verachtet und ihr das Leben schwer gemacht.

Als der Flieger in Sevilla gelandet war, kümmerte die Stewardess sich um Jamie. „Was für ein schönes Kind“, sagte sie, während Davina ihre Sachen zusammenpackte. „Er hat wenig Ähnlichkeit mit Ihnen, oder?“

„Stimmt, er kommt auf seinen Vater“, erwiderte Davina kurz angebunden.

Die Stewardess konnte nicht wissen, wie viel Überwindung Davina diese Bemerkung kostete. Nur ungern gab sie zu, wie sehr Jamie seinem Vater ähnelte, einem Vater, der ihn nicht hatte haben wollen, der ihn nie gesehen und ihm weder zum Geburtstag noch zu Weihnachten etwas geschenkt hatte. Sogar den Brief hatte er nicht selbst geschrieben. Stattdessen hatte seine Mutter Davina aufgefordert, in den Palacio de los Naranjos, den Familiensitz der Silvadores, zurückzukommen. Der Palast lag inmitten von Orangenplantagen, deren angenehmer, süßlicher Duft schon frühmorgens die Luft erfüllte.

Bei der Erinnerung daran erbebte Davina. Die Stewardess glaubte offenbar, ihr sei kalt, und führte sie rasch zum Flughafenterminal.

Es war schon dunkel. Davina ging mit Jamie auf dem Arm durch die Passkontrolle hinaus in die so weich und sanft wirkende Nacht. Spanien! Schon allein der ganz spezielle Duft weckte unendlich viele Erinnerungen. Während der Flitterwochen war sie Hand in Hand mit Ruy durch die Orangenplantagen gewandert. Bei Vollmond hatten sie sich unter den Bäumen im Park zum ersten Mal geliebt. Sie war damals unvorstellbar glücklich gewesen und hatte geglaubt, Ruy liebe sie. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, Ruy hätte sie nur deshalb verführt und geheiratet, um die Frau, die er wirklich liebte, zu bestrafen oder ihr etwas zu beweisen.

Davina war überzeugt gewesen, so etwas wie das Paradies gefunden zu haben. Doch in jedem Paradies gab es eine Schlange, und diese Schlange war Ruys Mutter gewesen. Die Frau hatte Davina so sehr gehasst, dass sie ihr eines Tages die ganze Wahrheit brutal und schonungslos an den Kopf geworfen hatte.

Und jetzt wollte Ruy seinen Sohn sehen, den einzigen, den er jemals haben würde, wie in dem Brief gestanden hatte. Jamie sei der Erbe des riesigen Vermögens, sein Platz sei bei seinem Vater, damit er früh genug lerne, mit der großen Verantwortung umzugehen, hatte es geheißen. Davina war klar, dass Ruy Recht hatte. Sie konnte sich jedoch nicht erklären, warum er die Ehe nicht hatte annullieren lassen. Dann hätte er die Frau heiraten können, die er schon immer geliebt hatte und die die Mutter seines Sohns hätte sein sollen.

Man hatte ihr mitgeteilt, sie würde am Flughafen abgeholt. Davina bezahlte den Gepäckträger, der ihre Koffer neben ihr abstellte und sie bewundernd betrachtete. Ihre Gesichtszüge waren perfekt und wirkten aristokratisch, ihre Lippen waren schön geschwungen, und ihre Haut war so fein wie edles Porzellan. Die großen amethystfarbenen Augen wurden von dichten, langen Wimpern umrahmt.

Ruy hatte behauptet, sie sei die schönste Frau, die er jemals kennengelernt habe. Aber er hatte es nicht ernst gemeint.

„Davina?“

Aus dem großen Mercedes, der vor ihr angehalten hatte, stieg ein junger Mann.

„Sebastián?“ Sie blickte ihren Schwager verblüfft an.

„Lass mich den Jungen tragen, er ist sicher zu schwer für dich.“ So geschickt, wie sie es ihm nicht zugetraut hätte, nahm er Jamie auf den Arm und setzte ihn ins Auto. Vor vier Jahren war Sebastián neunzehn gewesen und hatte Weinbau studiert, um eines Tages die Weingüter der Familie zu leiten. Jetzt, mit dreiundzwanzig, sah er viel reifer und erwachsener aus. Obwohl er seinem Bruder sehr ähnelte, fehlten ihm Ruys Charme und seine geschmeidigen Bewegungen. Ruy war schlank und muskulös, während sich bei Sebastián erste Anzeichen dafür bemerkbar machten, dass er zum Dickwerden neigte.

Sebastián war auch nicht so groß wie Ruy. Dennoch war er ein attraktiver junger Mann, besonders wenn er seinen Neffen anlächelte. Doch als er sich an Davina wandte, lächelte er nicht mehr. So kühl, steif und höflich, als wäre sie eine Fremde, half er ihr auf den Rücksitz neben Jamie. Dann stieg er ein und fuhr los.

Davina äußerte ihre Überraschung, dass Ruy sie nicht selbst abholte. Im Rückspiegel blickte Sebastián sie kurz an, und sie erinnerte sich daran, wie sehr er seinen zwölf Jahre älteren Bruder verehrt hatte.

„Er konnte nicht kommen“, antwortete Sebastián nur.

Sie war froh, dass sie in Jamie keine zu großen Erwartungen geweckt und nicht damit gerechnet hatte, dass ein Mitglied der Familie sie abholen würde. Sie hatte gedacht, man würde den Chauffeur schicken.

Vor ihrer Heirat mit dem Conde de Silvadores, Ruys Vater, hatte seine Mutter in Südamerika gelebt. Sie war die einzige Tochter eines Großindustriellen und sehr streng erzogen worden. Einen Führerschein hatte sie nicht, deshalb stand ihr immer ein Fahrer zur Verfügung. Davina war es jedoch schwer gefallen, damit zurechtzukommen, sich als Frau eines Adligen nicht frei bewegen zu können. Man hatte ihr nicht erlaubt, ohne Begleitung aus dem Haus zu gehen. Sie hatte sich immer gegen die Einschränkungen gewehrt, die Ruys Mutter ihr hatte auferlegen wollen.

Als sie seufzte, betrachtete Sebastián sie unauffällig. Sie ist sehr schön, diese Frau mit dem silberblonden Haar, die mein Bruder geheiratet hat, dachte er. Sie war sogar noch schöner als damals, denn sie wirkte reifer. Dann warf er einen Blick auf den Jungen. Meine Mutter wird sich freuen, der Kleine ist ein echter Silvadores, schoss es ihm durch den Kopf.

Davina merkte nichts von den prüfenden Blicken ihres Schwagers. Sie sah hinaus in die Dunkelheit. Die Strecke kannte sie gut. Der Palacio lag zwischen Sevilla und Córdoba. Plötzlich stürzten die Erinnerungen an all das Schöne, das sie hier erlebt hatte, auf sie ein. Um sich von den quälenden Gedanken abzulenken, fing sie ein Gespräch mit Sebastián an.

Er hatte sein Studium beendet und leitete jetzt die Weingüter der Familie, wie er ihr höflich erklärte. Davina fiel das junge Mädchen ein, das seine Mutter schon damals für ihn ausgesucht hatte. Sie erwähnte die junge Frau und erfuhr, dass er mit ihr seit zwei Jahren verheiratet war.

„Aber leider haben wir keine Kinder“, fügte er traurig hinzu. „Rosita kann wahrscheinlich keine bekommen. Bei der Blinddarmoperation hat es Komplikationen gegeben …“ Er zuckte die Schultern. Davina hatte Mitleid mit seiner Frau, denn sie wusste, wie viel Wert die Familie ihres Mannes auf Kinder legte.

Jetzt verstand sie auch, warum Jamie sich früher oder später mit dem Gedanken vertraut machen sollte, der Erbe des riesigen Vermögens zu sein. Davina hatte vermutet, Ruy würde nach der Trennung die Ehe annullieren lassen, um Carmelita zu heiraten, und Jamie enterben. Aber sie kannte sich natürlich mit dem spanischen Erbrecht nicht aus. Sie hatte Ruy geschworen, ihn niemals um Unterhalt für seinen Sohn zu bitten. Daran hatte sie sich strikt gehalten. Wenn irgendjemand andeutete, sie sei wegen eines eventuellen finanziellen Vorteils nach Spanien gekommen, würde sie sogleich zurückfliegen. Die Reise war nicht ihre Idee gewesen. Ihr ging es vor allem um die Gesundheit ihres Sohnes. Ihrem Mann und seiner Familie gegenüber wollte sie zu nichts verpflichtet sein.

Der Rechtsanwalt, von dem sie sich hatte beraten lassen, hatte erklärt, nach spanischem Recht könne Ruy das alleinige Sorgerecht für seinen Sohn übertragen werden, weil Jamie sein einziger Erbe sei. Deshalb hatte Davina die Bedingungen akzeptiert, die man ihr in dem Brief gestellt hatte. So konnte sie wenigstens mit ihrem Kind zusammen sein.

Die Straße wurde etwas steiler, während sie in die Sierra de los Santos fuhren.

„Wir sind bald da“, sagte Sebastián über die Schulter. „Es ist schon alles vorbereitet. Meine Mutter hat eine Suite für dich herrichten lassen und ein Kindermädchen für den Kleinen eingestellt. Die Frau wird ihm Spanisch beibringen, obwohl er für einen richtigen Unterricht noch zu jung ist. Aber er muss natürlich dieselbe Sprache sprechen wie sein Vater.“

Du liebe Zeit, was diese arroganten Menschen alles für selbstverständlich halten, dachte sie betroffen. Ihre Schwiegermutter wollte offenbar Jamie an sich reißen. Davina war jedoch nicht mehr das scheue, gehemmte junge Mädchen von damals, sie ließ sich nicht mehr einschüchtern.

Als sie eine Stunde später auf dem Vorplatz des beeindruckenden Gebäudes im maurischen Stil, das sich seit Jahrhunderten im Familienbesitz befand, anhielten, hob Sebastián den schlafenden Jungen aus dem Auto. Auf dem kurzen Weg zum Haus wurde Jamie wach. Sogleich war sie neben ihm, und er streckte lächelnd die Ärmchen nach ihr aus. Sebastián reichte ihr das Kind.

Plötzlich geriet sie in Panik. Ist es falsch, dass ich hergekommen bin?, überlegte sie besorgt. Sie konnte die Erinnerungen nicht mehr verdrängen. Sie hörte das Plätschern der Springbrunnen im Innenhof, und ehe die breiten Türen aus massivem Holz geöffnet wurden, sah sie schon im Geist die wunderschöne Eingangshalle mit dem Mosaikfußboden vor sich.

Alles war noch genauso wie damals, und trotzdem war jetzt alles anders. Damals war sie mit ihrem Mann, von dessen Liebe sie überzeugt gewesen war, hier angekommen, dieses Mal mit ihrem Sohn, dem Kind aus der kurzen Liebesbeziehung.

Dann gingen die Türen auf. Im Schein der Kronleuchter stand Davinas Schwiegermutter da, um sie und Jamie zu empfangen. Sie wirkte würdevoll und sehr weiblich in dem eleganten, langen Kleid. Sie trug immer nur Schwarz. Davina fiel ein, wie eingeschüchtert sie bei der ersten Begegnung gewesen war. Über solche Regungen war sie längst hinaus.

Mit hoch erhobenem Kopf ging sie hinter Sebastián her ins Haus. Ihre Schwiegermutter begrüßte sie kurz, ehe sie sich Jamie zuwandte.

„Das ist also Ruys Kind.“

Davina ignorierte die Bemerkung und sah sich um. Wo ist Ruy?, fragte sie sich und zwang sich, sich die Enttäuschung, die sie empfand, nicht anmerken zu lassen.

Schließlich forderte die ältere Dame Davina auf, ihr voraus in den Salon zu gehen.

Der Fußboden war mit wertvollen Orientteppichen bedeckt, und die antiken Möbel waren auf Hochglanz poliert. Davina sank der Mut bei dem Gedanken, Jamie in einer Umgebung heranwachsen zu lassen, wo er mit seinen kleinen Händchen nichts anfassen durfte.

Eine zierliche und sehr schlanke junge Frau stand auf, als sie hereinkamen. Davina war klar, dass es nur Rosita sein konnte. Sebastián stellte sie ihr dann auch als seine Frau vor. Bei Jamies Anblick flüsterte Rosita ihrem Mann auf Spanisch etwas zu.

„Sie hat gesagt, der Junge sähe so aus wie Ruy“, übersetzte Sebastián.

Hay comprendido“, antwortete Davina.

Alle waren überrascht. Damals hatte sie kein Spanisch gesprochen. Doch weil sie eine Zeit lang gehofft hatte, alles sei ein Missverständnis gewesen, Ruy würde sie doch lieben und sie zurückholen, hatte sie nach ihrer Rückkehr nach England Spanisch gelernt.

„Man hat mir mitgeteilt, Ruy wolle unbedingt seinen Sohn sehen. Wo ist er? Ist er etwa mit Carmelita ausgegangen?“, fragte Davina kühl und hob stolz den Kopf. Es sollten ruhig alle wissen, dass sie nicht mehr bereit war, so zu tun, als hätte ihr Mann keine Geliebte.

Rosita wurde blass, und Sebastián presste die Lippen zusammen. Nur die Condesa blieb ruhig und gefasst.

Ehe jemand antworten konnte, hörte Davina ein seltsames Geräusch in der Eingangshalle. Es klang wie ein Kinderwagen, der geschoben wurde. Doch das war lächerlich, in diesen makellosen Räumen würde man keinen Kinderwagen dulden.

Sebastián ging auf Davina zu und berührte sie am Arm. Sie hatte das Gefühl, er wolle ihr etwas sagen. Doch in dem Moment begriff sie, warum ihr Mann sie nicht selbst am Flughafen abgeholt hatte, sondern seinen Bruder geschickt hatte: Ruy kam im Rollstuhl herein.

2. KAPITEL

„Ruy!“, rief Davina entsetzt aus.

Zuerst sah er sie nur ungläubig und erstaunt an, dann wurde seine Miene zornig.

„Ist das etwa eine Verschwörung?“, fragte er seine Mutter ärgerlich. „Was will sie hier?“, fügte er hinzu und machte eine Kopfbewegung in Davinas Richtung.

„Ich habe sie gebeten zu kommen“, antwortete Ruys Mutter kühl.

„Du hast sie gebeten? Wer hat dir das erlaubt?“ Seine Stimme klang gefährlich sanft. „Ich bin immer noch der Herr in diesem Haus, Madre. Ich entscheide selbst, wen ich einladen will und wen nicht.“

Während er seinen Zorn und Ärger an seiner Mutter ausließ, betrachtete Davina ihn genauer. Die Aura von Macht und Stärke, die ihn damals umgeben hatte, hatte sie genauso aufregend und faszinierend gefunden wie seine geschmeidigen Bewegungen und seine arrogante Haltung. Jetzt wirkte er nur noch hart und verbittert.

Ruy blickte Davina so abweisend und verächtlich an, dass sie am liebsten geflüchtet wäre. Dann drehte er sich mit dem Rollstuhl unvermittelt um und kehrte ihr den Rücken zu.

„Schick sie wieder weg“, forderte er seine Mutter ruhig auf. „Ich will sie nie wieder hier sehen.“

„Und was ist mit deinem Sohn?“, fragte seine Mutter leise.

Er drehte sich wieder zu Davina um und betrachtete das Kind, das sie wie schützend an sich drückte.

„Meinst du meinen Sohn oder deinen Enkel, Madre?“ Seine Stimme klang ironisch. „Sag mir eins: Hättest du das alles auch dann inszeniert, wenn ich noch andere Kinder zeugen könnte? Oder wenn Sebastián dir Enkelkinder schenken könnte?“

Bei seiner verächtlichen Bemerkung überkam Davina kalte Wut. Sie ging auf den Rollstuhl zu. Sie war sich nicht bewusst, wie beeindruckend sie mit der stolzen Haltung und dem blassen Gesicht wirkte.

„Hier geht es um deinen Sohn“, erklärte sie zornig. „Um genau den Sohn, den du gleich nach der Geburt abgelehnt hast. Aber er ist trotzdem dein Sohn, Ruy, und er wird hier leben, weil er das Recht dazu hat.“

„Ah ja, offenbar hast du deine Meinung geändert“, fuhr er sie verbittert an. „Kurz nach unserer Hochzeit hast du noch behauptet, du wünschtest dir, ich hätte nicht so viel Geld. Angeblich wäre es dir lieber gewesen, wir hätten ein ganz normales Leben führen können. Was ist passiert, Davina? Oder ist dir mittlerweile klar geworden, dass du nicht immer jung bleiben wirst und dass die Männer eines Tages das Interesse an dir verlieren? Deine zahlreichen Affären nützen dir dann auch nichts mehr. Wie kann ich denn sicher sein, dass der Junge wirklich mein Sohn ist?“

Ohne nachzudenken, versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige. Und dann blickte sie fassungslos den Abdruck ihrer Hand auf Ruys gebräunter Haut an. Wie komme ich dazu, so etwas Unerhörtes zu tun?, überlegte Davina entsetzt. In dem Moment sah Jamie seinen Vater aufmerksam an. Man erkennt doch auf den ersten Blick die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn, warum will Ruy es nicht wahrhaben?, fragte sie sich leicht verzweifelt.

„Entschuldige bitte, dass ich dich geschlagen habe“, sagte sie unsicher. „Aber du hast mich provoziert. Glaubst du etwa, ich wäre gekommen, wenn Jamie nicht dein Sohn wäre?“

„Ich weiß nur, dass du aus meinem Leben verschwunden bist und jetzt, auf Befehl meiner Mutter, wieder auftauchst. Ich bin nicht dumm, Davina. Du hast wohl der Versuchung nicht widerstehen können. Mit einem Ehemann, der ein nutzloser Krüppel ist und dich nicht belästigen wird, kannst du dich offenbar abfinden, wenn du dafür den Rest deines Lebens im Luxus verbringen kannst.“

„Hör auf, es reicht, Ruy“, forderte seine Mutter ihn auf. „Ich habe Davina gegenüber so getan, als wäre es dein Wunsch, Jamie zu sehen.“ Sie zuckte die Schultern, als er sie stirnrunzelnd ansah. „Jetzt vergiss mal deinen Stolz. Jamie ist dein Sohn, noch einen wirst du wahrscheinlich nicht bekommen. Vermutlich wird er auch mein einziger Enkel bleiben. Deshalb sollte er dort aufwachsen, wohin er gehört und wo er später sowieso einmal leben wird.“

In dem Moment beschloss Jamie offenbar, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Er zappelte mit Händen und Füßen, bis Davina ihn auf den Boden stellte. Dann lief er zu dem Rollstuhl hin. Vor Ruy, der ihn hochmütig ansah, blieb er stehen.

„Ist er mein Daddy?“, durchdrang die kindliche Stimme die Stille.

Davina räusperte sich. „Ja“, erwiderte sie dann.

„Warum spricht er nicht mit mir?“, wollte Jamie wissen und drehte sich zu Davina um. „Hat er mich nicht lieb?“

Es schnürte Davina die Kehle zu, und Tränen schimmerten in ihren Augen. Vor diesem Augenblick hatte sie sich gefürchtet. Es kam ihr vor wie ein Albtraum, ihrem Sohn erklären zu müssen, warum sein Vater ihn ablehnte. Doch dass sie es in Ruys Gegenwart tun musste, machte alles noch viel schlimmer.

Zum Glück rettete die Condesa die Situation. Sie legte Jamie die Hand auf die Schulter und lächelte ihn freundlich an.

„Natürlich hat er dich lieb, mein Kleiner. Das stimmt doch, Ruy, oder?“

„Welcher Mann kann schon sein eigen Fleisch und Blut verleugnen?“, antwortete Ruy ironisch.

Wieso tun plötzlich alle so, als wäre alles in Ordnung?, überlegte Davina. Ruy hatte sie beleidigt, doch ihrem Kind zuliebe war sie bereit, es hinzunehmen. Nie hätte sie sich vorstellen können, auf Jamies und ihrem Recht zu bestehen, falls Ruy sie wegzuschicken versuchte. Reichtum und Titel bedeuteten ihr nichts, für sie waren Liebe und Glück viel wichtiger. Doch Ruy hatte mit seiner Gefühllosigkeit und seinen haltlosen Beschuldigungen ihren Kampfgeist geweckt. Jamie hatte das Recht, hier im Palacio zu leben, und das musste sie seinem Vater klarmachen.

„Jamie ist dein Sohn, Ruy“, erklärte sie ruhig. „Ich weiß, warum du es abstreiten möchtest. Es überrascht mich sehr, dass du unsere Ehe nicht schon längst hast annullieren lassen. Dann hättest du Carmelita heiraten, mit ihr Kinder haben und dir das, was jetzt geschieht, ersparen können.“

Er lachte hart auf. „So einfach ist das alles nicht. Jamie wäre immer noch erbberechtigt, weil er meinen Namen trägt. Außerdem ist es egal, ob er mein Sohn ist oder nicht.“

„Wollte Carmelita dich deshalb nicht heiraten?“ Davina wusste selbst nicht, warum sie ihn ärgerte und verletzte. Vielleicht wollte sie sich rächen für den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte. Zu sehr hatte sie gelitten, als sie herausgefunden hatte, dass Ruy sie nicht liebte. Er hatte sie nur benutzt, um der Frau, die er liebte, etwas zu beweisen.

„Carmelita hatte kein Interesse an einer rein platonischen Beziehung“, erwiderte er verbittert. „Und da ich ihr das, was sie braucht, nicht mehr geben kann, hat sie sich einen anderen gesucht.“

„Sie hat vor kurzem geheiratet und ist mit ihrem Mann nach Argentinien gegangen“, mischte Sebastián sich ein. Plötzlich wurde Davina alles klar. Ruys Mutter hatte sich immer gewünscht, er würde Carmelita heiraten. Doch da sich offenbar ihre Pläne in Luft aufgelöst hatten, hatte sie sich entschlossen, sich auf das zu besinnen, was noch übrig war: auf Jamie.

Niemals werde ich zulassen, dass mein Sohn so kalt und gefühllos wird wie sein Vater, nahm sie sich fest vor. Er würde nicht mit der Überzeugung aufwachsen, alles und jeden beherrschen zu können und auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen.

„Es war ein langer Tag, und Jamie ist müde“, sagte sie zu ihrer Schwiegermutter. „Könnte uns jemand auf die Zimmer begleiten?“

„Du bist richtig kühl und mutig geworden“, spottete Ruy. „Liegt es daran, dass du jetzt Mutter bist? Es wäre interessant, zu erfahren, was hinter dieser kühlen Fassade steckt.“

„Genug, um meinen Sohn zu beschützen“, erwiderte Davina betont ruhig. Wie lange würde sie seine herablassende und arrogante Art noch ertragen? Doch dann wurde ihr bewusst, dass sie ihn wahrscheinlich nicht oft sehen würde. Er würde ihr bestimmt aus dem Weg gehen.

„Dann willst du also wirklich hier bleiben?“ Seine Miene wirkte undurchdringlich.

Nein, noch einmal lasse ich mich von ihm nicht einschüchtern und ergreife die Flucht, sagte sie sich und hob entschlossen den Kopf. Stolz blickte sie Ruy an. „Jamie zuliebe – ja. Ich persönlich würde von dir keinen Pfennig annehmen, aber Jamie ist dein Sohn …“

„Und du hast keine Hemmungen, von dem Geld, das ihm einmal gehören wird, zu leben?“, fragte Ruy spöttisch.

Sie ballte ärgerlich die Hände zu Fäusten. So hatte sie es nicht gemeint. Sie hatte ihm erklären wollen, Jamie sei krank gewesen und brauche Erholung. Ihr war klar, dass sie hier unerwünscht war, aber es ging um ihr Kind.

„Welche Zimmer …“, wandte sie sich an seine Mutter und ignorierte ihn einfach.

Mit zorniger Miene drehte er sich zu der älteren Dame um. „Ja, Madre, welche Zimmer hast du für meine entzückende Frau und das Kind vorgesehen? Vielleicht die Hochzeitssuite, damit sie sich an unsere gemeinsame Zeit erinnert?“ Er schüttelte den Kopf und lächelte spöttisch. „Das werde ich nicht zulassen. Mit dem Rollstuhl kann ich keine Treppen steigen, und einen Lift haben wir noch nicht einbauen lassen.“

Nicht nur Davina war entsetzt, sondern auch die Condesa wurde blass.

„Was soll der Unsinn, Ruy? Jamie und Davina bekommen eine eigene Suite“, erklärte sie ärgerlich.

„Nein, sie werden in meiner untergebracht“, widersprach er ihr sanft. „Das Personal soll nicht über mich und meine Frau reden, die mich verlassen hat und erst jetzt, nachdem ich kein richtiger Ehemann mehr sein kann, zurückgekommen ist. Nun?“ Er drehte sich wieder zu Davina um. „Hast du dazu nichts zu sagen? Willst du nicht lieber sogleich nach England zurückfliegen, statt mit einem Behinderten die Suite und … das Bett zu teilen?“

Ihr wurde klar, dass er sie zwingen wollte, wieder abzureisen. Beinah hätte er es auch erreicht. Schon der Gedanke, mit ihm auf so engem Raum zusammenzuleben, behagte ihr nicht. Vielleicht konnte er wirklich kein richtiger Ehemann mehr sein, wie er es ausgedrückt hatte, aber er war immer noch der Mann, den sie geliebt hatte. Obwohl ihre Liebe vergangen war, ließen sich die Erinnerungen nicht auslöschen.

„Du schaffst es nicht, mich in die Flucht zu schlagen, Ruy“, entgegnete sie ruhig. „Egal, was du tust, ich bleibe Jamie zuliebe hier.“

Dann wurde eine der Hausangestellten beauftragt, ein Zimmer für Jamie herzurichten. Davina spürte, wie die junge Frau sie beobachtete, während Ruy mit ihr sprach. Rosita warf Davina einen mitleidigen Blick zu, ehe sie und Sebastián sich zurückzogen.

„Meine arme, ängstliche Schwägerin“, spottete Ruy. Rositas Blick war ihm nicht entgangen. „Sie hat Mitleid mit dir. Doch du hast nichts zu befürchten – es sei denn, du hast Angst vor der scharfen Zunge eines Mannes, der die bittere Erfahrung gemacht hat, dass der Honig, den er einst gekostet hat, auf seinen Lippen zu Säure wurde. Ich hoffe, du verstehst, was ich damit sagen will.“

„Dann vergiss nicht, dass Säure ätzt und zerstört“, antwortete sie kühl. Das Herz schlug ihr vor Angst jedoch bis zum Hals.

„Ich habe auch einen Wagen zum Schieben“, erzählte Jamie in dem Moment seinem Vater. „Mummy schiebt mich, wenn ich müde bin. Wer schiebt dich?“

„Das mache ich selbst“, erwiderte Ruy kurz angebunden. Dann zeigte er zu Davinas Überraschung seinem Sohn, wie sich der Rollstuhl lenken ließ. Sie sah ihre Schwiegermutter an, die sich mit Tränen in den Augen abwandte.

Was würde ich empfinden, wenn mein Kind auf den Rollstuhl angewiesen wäre?, überlegte sie. Das Herz verkrampfte sich ihr bei dem Gedanken, und zum ersten Mal hatte sie Mitleid mit der älteren Dame. Davina blickte wieder ihren Mann an. Er hatte Jamie auf den Schoß genommen, und der Kleine probierte mit ernster Miene aus, wie der Rollstuhl funktionierte.

„Er ist das Ebenbild seines Vaters“, stellte die Condesa ruhig fest. Sie sah plötzlich sehr alt aus, und Davina musste sich geradezu zwingen, nicht zu vergessen, wie kühl Ruys Mutter sie begrüßt hatte, als er sie als seine Braut vorgestellt hatte. Damals hatte sie mit so viel Feindseligkeit, auf die sie gar nicht gefasst gewesen war, nicht umgehen können. Auch mit ihrer Liebe zu Ruy hatte sie nicht umgehen können. Es war alles viel zu schnell gegangen. Sie hatte sich in Ruy verliebt, ohne ihn gut genug zu kennen. Und er hatte sie geheiratet, weil … Ja, warum? Aus Rache? Um jemanden damit zu bestrafen? Davina erbebte. Wie hart und grausam musste ein Mann sein, der die Frau, die er liebte, wegen einer dummen Kleinigkeit sitzen ließ und eine andere heiratete? Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte sie geglaubt, er sei der liebste, netteste Mensch – und der attraktivste Mann.

Das war in Córdoba gewesen. Mit Freundinnen hatte Davina dort ihren Urlaub verbracht. Die anderen jungen Frauen wollten nur in der Sonne liegen und mit den dunkelhaarigen Spaniern flirten. Die jungen Männer wiederum waren von den hübschen Frauen mit dem hellen Haar und der hellen Haut begeistert. Davina jedoch hatte sich für die Kultur und die Geschichte des Landes interessiert.

Von einem Mann wie Ruy hatte sie schon immer geträumt. Er war ihr vorgekommen wie ein Held, als er aus dem Nichts auftauchte, um sie vor einer Gruppe Jugendlicher zu retten. Die Jungen hatten sie verfolgt, nachdem sie aus einer Moschee herausgekommen war. Ruy griff ein, und sie liefen in alle Richtungen davon. Sie war ihm sehr dankbar und nahm seine Einladung zu einem Kaffee gern an. Er war wegen des jährlich stattfindenden Stierkampfs in Córdoba. Sie erfuhr, dass seine Familie eine Hacienda besaß und Stiere züchtete.

Davina hörte ihm fasziniert zu und geriet schon bald in den Bann dieses charismatischen Mannes. Er sprach perfekt Englisch, aber es klang bei ihm ähnlich weich wie seine eigene Sprache.

Ohne zu zögern, willigte sie ein, als er vorschlug, ihn zu einer original Flamenco-Show zu begleiten. Während des fulminanten, ungemein erotisch wirkenden Finales bekam Davina Herzklopfen vor Erregung. Ihr war nicht bewusst, dass sich ihre Gefühle in ihrem Gesicht spiegelten. Ruy spürte natürlich, was los war. Mit seinen neunundzwanzig Jahren hatte er genug Erfahrung mit Frauen, er begriff sogleich, dass Davina noch völlig unschuldig war.

Als Ruy ihr nach einer Woche einen Heiratsantrag machte, war sie sprachlos. Ihr wurde ganz schwindlig, und sie war unendlich glücklich, dass er ihre Liebe offenbar erwiderte. Damals hatte sie nicht geahnt, dass er sie nur benutzte, um die Frau, die er wirklich liebte – eine schöne Spanierin, die viel besser zu ihm gepasst hätte –, zu verletzen.

Erst bei der Trauung war Davina bewusst geworden, dass ihr Mann einen Titel hatte und sie auch einen führen würde. Von Anfang an war ihr aufgefallen, was für eine irgendwie selbstverständliche Arroganz er an sich hatte. Deshalb hätte sie sich denken können, dass er kein gewöhnlicher Sterblicher war. Sie äußerte mehrere Male ihre Besorgnis, vielleicht seinen Erwartungen nicht entsprechen zu können, denn sie war nicht auf die Rolle einer Gräfin oder überhaupt auf die Rolle der Ehefrau eines spanischen Adligen vorbereitet. Ruy war zunächst leicht belustigt gewesen, später hatte er gelangweilt und ungeduldig reagiert, bis Davina anfing, sich vor ihrem Mann zu fürchten. Doch seine leidenschaftlichen Küsse lösten alle Ängste rasch wieder auf.

Er hatte nicht versucht, sie vor der Hochzeit zu verführen. In ihrer Unerfahrenheit hatte sie angenommen, er respektiere sie viel zu sehr. Nach der Trennung hatte sie sich jedoch oft gefragt, was passiert wäre, wenn sie ihn nicht in der ersten Nacht nach ihrer Ankunft im Palast ermutigt hätte. Wahrscheinlich hatte er beabsichtigt, die Ehe annullieren zu lassen, sobald Carmelita zur Vernunft gekommen wäre.

Aber Ruy war ein Ehrenmann. Nachdem er Davina in jeder Hinsicht zu seiner Frau gemacht hatte, gab es für ihn und auch für sie kein Zurück mehr. Das änderte sich erst, als sie schwanger war und erfuhr, warum er sie geheiratet hatte. Und wie hätte sie danach noch bei ihm bleiben können? Sie hätte sich von Anfang an denken können, dass etwas nicht stimmte, doch sie hatte es nicht wahrhaben wollen. Als man ihr schließlich die Wahrheit ins Gesicht gesagt hatte, war sie mit ihrem Baby nach London geflogen. Ihrer Schwiegermutter hatte sie es überlassen, Ruy die gute Nachricht zu überbringen, er sei wieder frei.

Davina blickte den Mann im Rollstuhl an und empfand sekundenlang Mitleid mit ihm. Ruy würde nie wieder frei sein. Ruy, der ihr mit seinem herrlichen Körper beigebracht hatte, was es hieß, sich ganz als Frau zu fühlen, würde nie wieder reiten, tanzen oder mit einer Frau schlafen können.

„Ah ja, du weinst!“, rief er plötzlich aus. „Gefällt es dir nicht, dass du mit mir in einem Bett schlafen musst und vielleicht von Erinnerungen an unsere schöne Zeit gequält wirst? Oder haben andere Männer dich das alles vergessen lassen?“

„Ruy!“ Die Stimme seiner Mutter klang warnend.

Er verzog verbittert die Lippen. „Was hast du, Madre?“, fragte er zornig. „Darf ich nicht einmal mehr über die Liebe und meine Erfahrungen reden? Stört es dich, dass ein Mann in meinem Zustand solche Gedanken hat? Dabei warst du doch diejenige, die mir gesagt hat, die Frau, die ich geliebt habe, hätte mich verlassen.“

Demnach hatte die Condesa ihm Carmelitas Entschluss mitgeteilt. Davina unterdrückte ein Schaudern. Sie konnte die junge Frau nicht verstehen. Wenn Ruy mich geliebt hätte, hätte ich ihn nie und unter keinen Umständen verlassen, überlegte sie. Er war immer noch derselbe Mann, auch wenn er körperlich behindert war. Und was für ein Mann er war! Aber was sollte das? Sie war doch längst über ihre Liebe zu Ruy hinweg. Sie hatte Jamie, und das genügte ihr. Wie um es zu bekräftigen, nahm sie Ruy den Kleinen vom Schoß. Dabei streifte ihr Haar das Kinn ihres Mannes.

Sogleich fuhr er zurück, und Davina stellte entsetzt fest, dass sie zitterte. Seine Zurückweisung verletzte sie. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass er ihr immer noch so sehr unter die Haut ging?

Sie sah ihn nicht an, um seinem verächtlichen Blick nicht zu begegnen. Stattdessen beschäftigte sie sich mit Jamie, der unbekümmert drauflosplapperte.

Dann erschien ein Mann mit ernster Miene und stellte sich schweigend hinter Ruys Rollstuhl.

„Davina, das ist Rodriguez, mein Assistent“, erklärte Ruy ironisch. „Er ist der Dritte im Bunde. Du musst dich an ihn gewöhnen, denn er macht alles für mich, wozu ich selbst nicht mehr in der Lage bin. Oder möchtest du das alles für mich tun? Immerhin habe ich dir mit meinem Körper, als er noch perfekt funktionierte, viel Freude bereitet. Deshalb wäre es nur gerecht, dass du jetzt auch mit der Behinderung zurechtkommst.“

„Ruy, lass das!“, forderte seine Mutter ihn auf. „Der Arzt hat doch erklärt, dein Zustand könne sich bessern. Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten …“

„Ja, ich weiß, ich kann vielleicht eines Tages wie ein Tier auf allen Vieren laufen“, unterbrach er seine Mutter ungeduldig und verzog verächtlich die Lippen. „Danke, Madre, es reicht. Du hast dich oft genug in mein Leben eingemischt.“ Er warf einen Blick auf Davina und das Kind. „Rodriguez, fahren Sie mich auf mein Zimmer. Davina, komm mit.“

Zögernd ging Davina hinter den beiden her durch die Eingangshalle und über den langen Flur zu der Suite, die Ruy damals als die Junggesellensuite bezeichnet hatte. Es war früher üblich gewesen, dass junge Männer ab einem bestimmten Alter getrennt von ihren Schwestern und der Mutter wohnten, wie er ihr erklärt hatte.

Sie erinnerte sich, dass es eine große Suite war mit einem eigenen Patio. Als Rodriguez die getäfelte Doppeltür öffnete, hörte Davina schon das Plätschern des Springbrunnens. Im Gegensatz zu den anderen Räumen im Haus war das Wohnzimmer eher spärlich eingerichtet. Geschickt hatte man antike Möbel mit modernen kombiniert. Der Boden mit den dunkelblauen Fliesen war mit wertvollen Orientteppichen in Blau und einem tiefen Rot bedeckt. Auf dem Couchtisch aus Marmor, der vor dem Ruhesofa stand, lagen verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Wieder verkrampfte sich Davina das Herz vor lauter Mitleid, dass Ruy sich jetzt mit solchen Beschäftigungen begnügen musste.

„Du erinnerst dich an diesen Teil des Hauses, oder?“, fragte er.

Sie sah ihn nicht an. Nach der schrecklichen Szene mit seiner Mutter hatte er sie damals in dieses Wohnzimmer gebracht. Die ältere Dame hatte sie beschuldigt, Ruy hereingelegt zu haben, damit er sie heiraten musste. Hier in diesem Raum hatte er sie getröstet und dann in den Patio geführt, wo sie sich ihm verzweifelt in die Arme geworfen hatte. Danach waren sie durch die Orangenplantagen gewandert und …

„Ich habe Hunger!“, meldete sich in dem Moment Jamie ärgerlich. „Mummy, ich will was essen!“

„Haben Sie es gehört, Rodriguez?“, fragte Ruy den Mann und zog die Augenbrauen hoch. „Mein Sohn hat Hunger.“

Über das ernste Gesicht des Mannes huschte ein Lächeln.

„María macht dir eine Paella, und du bekommst frisch gepflückte Orangen“, versprach Ruy dem Kind. „Aber du musst noch ein bisschen Geduld haben.“

Davina war überrascht über Jamies vernünftige Reaktion auf die autoritäre Stimme seines Vaters. Vielleicht brauchten Jungen wirklich einen Vater, der strenger mit ihnen umging als die Mutter.

Alle Türen waren geöffnet, im Innenhof war es dunkel, und die Nachtluft strömte herein. Der herrliche Duft nach Orangenblüten, der in der Luft lag, erinnerte Davina an die Nacht, als sie mit Jamie schwanger geworden war.

Hinter dem Patio befand sich ein Swimmingpool, in dem sie ein einziges Mal mit Ruy zusammen geschwommen war. Rasch verdrängte sie den Gedanken. Sie wollte sich nicht daran erinnern, wie wunderbar sich Ruys Arme an ihrem Körper angefühlt hatten, als er sie in dem weichen Wasser umarmt und erst losgelassen hatte, nachdem er sie sinnlich und leidenschaftlich geküsst hatte. Damals hatte sie geglaubt, er liebe sie. Von Carmelita hatte sie noch nichts gewusst.

Das Wohnzimmer war mit einem kleineren Raum verbunden, den man zu einer Küche umgebaut hatte. Wahrscheinlich deshalb, damit Ruy sich hier nach Belieben etwas kochen konnte, ohne jemanden um etwas bitten zu müssen. Davina konnte sich gut vorstellen, dass sein Stolz es nicht zuließ, immer wieder die mitleidigen Blicke seiner Familie zu ertragen. Ihm war es bestimmt lieber, er konnte sich zurückziehen und versuchen, ganz allein mit sich und seiner Situation klarzukommen. Dennoch hatte er darauf bestanden, dass seine Frau und sein Sohn mit ihm in einer Suite wohnten und an seinem Schmerz teilnahmen. Was für ein seltsamer Entschluss!

An die Küche grenzte das Schlafzimmer, das aufwendig möbliert war. Sekundenlang betrachtete Davina das breite Bett. Sie ließ sich die Angst, die in ihr aufstieg, nicht anmerken.

„Wo schlafe ich?“, ertönte plötzlich Jamies Stimme in das Schweigen hinein. „Und wo meine Mummy?“

„Deine Mummy schläft hier“, antwortete Ruy und sagte leise etwas zu Rodriguez, der dann durch die Tür am anderen Ende des Raums verschwand.

„Da drüben ist das Badezimmer.“ Ruy wies auf eine andere Tür. „Und dahinter der Ankleideraum. Fürs Erste kann Jamie dort schlafen.“

„Und ich auch“, erklärte Davina mutig. In ihrem kleinen Apartment in London teilte sie sich das Schlafzimmer mit Jamie. Er hätte sicher Angst so allein in einem fremden Raum.

„Nein, du schläfst in meinem Bett, Davina, sonst werde ich Jamie in einem anderen Flügel des Palacios unterbringen“, entgegnete Ruy hart.

„Aber warum?“

Er blickte sie hart und unversöhnlich an. „Weil du meine Frau bist, darum.“ Seine Stimme klang gefährlich sanft. „Ich will nicht den mitleidigen Blicken meiner Familie und des Personals ausgesetzt sein. Es würde sich rasch herumsprechen, dass meine Frau nur zurückgekehrt ist, weil sie nicht mehr neben mir im Bett liegen muss. Damals hast du es eine Erniedrigung genannt, stimmt’s? Du wirst dich daran gewöhnen, mit mir in einem Raum zu schlafen. Und du wirst begreifen, wie demütigend die Behinderung für mich ist. Ich bin sogar der Meinung“, er ließ den Blick über ihr blasses Gesicht gleiten, „du könntest Rodriguez ersetzen.“

Davina war die Kehle wie zugeschnürt. Sie schluckte, während tiefes Mitleid sich in ihr ausbreitete. Wie sehr musste dieser Mann leiden, der nie an seiner Kraft und Stärke gezweifelt hatte! Das war der schwerste Schlag, der ihn hatte treffen können. Obwohl er sie zutiefst verletzt und gedemütigt hatte, hätte sie am liebsten die Hand ausgestreckt und ihm das schwarze Haar aus der Stirn gestrichen. Und sie hätte ihn gern umarmt und getröstet. Diese Regung verblüffte sie. Was war mit ihr los? Sie verstand sich selbst nicht mehr.

Plötzlich ging die Tür auf, und Rodriguez kam mit dem Gepäck herein. Davina folgte ihm durch das Badezimmer mit der in den Boden eingelassenen grünen Malachitbadewanne und den Armaturen aus demselben Material.

In dem Ankleideraum standen ein Bett und mehrere Kommoden. Als sie wieder allein waren, zog sie Jamie aus und wusch ihn im Badezimmer. Dabei plapperte er unaufhörlich, und sie beantwortete seine Fragen beinah automatisch. Ihre Gedanken schweiften jedoch immer wieder zu seinem Vater.

Der Kleine war gerade fertig, als eine Frau eine köstlich duftende Paella auf einem Tablett hereinbrachte.

Jamie machte sich sogleich mit so viel Appetit über das Essen her, dass Davina lächeln musste. Der Junge hatte offenbar kein Problem damit, mit all dem Neuen, das auf ihn einstürzte, zurechtzukommen. Sie hatte es sich schwieriger vorgestellt.

Nachdem er eingeschlafen war, ging sie wieder ins Wohnzimmer. Zu ihrer Erleichterung war Ruy nicht allein. Sein Bruder leistete ihm Gesellschaft.

„Ruy, willst du es dir nicht noch einmal überlegen?“, hörte sie Sebastián fragen. „Du willst doch Davina bestimmt ersparen …“

„Du meinst, ich solle ihr den Anblick der Narbe ersparen?“, unterbrach Ruy ihn hart. „Warum? Ist mir etwas erspart geblieben? Nein, Sebastián, meine Frau kann von mir keine Rücksicht erwarten“, fügte er unbarmherzig hinzu. „Oder hast du Schuldgefühle, kleiner Bruder, weil du Madre keinen Enkel geschenkt hast? Dann hätte Davina nicht herkommen müssen.“

Davina stöhnte auf. Sogleich drehten sich die beiden Männer zu ihr um.

„Ah, da bist du ja“, sagte Ruy betont liebevoll. „Du kannst mir helfen, mich zum Essen umzuziehen.“

„Ich möchte nichts essen“, erklärte Davina.

In dem Moment mischte Sebastián sich ein. „Das kannst du nicht machen, Ruy! So etwas kannst du deiner Frau nicht zumuten. Bist du völlig gefühllos? Was macht Jamie?“, wandte er sich an Davina. „Hat er sich schon an die neue Umgebung gewöhnt?“

„Ja, schneller, als ich erwartet habe“, erwiderte sie. Sie bemerkte Sebastiáns schuldbewussten und irgendwie verlegenen Blick. Ihr war natürlich jetzt klar, warum er sich am Flughafen und während der Fahrt so seltsam verhalten hatte. Seine Mutter hatte ihn wahrscheinlich aufgefordert, Ruys Zustand nicht zu erwähnen.

„Ich bin gerührt, wie sehr mein Bruder um dich besorgt ist“, sagte Ruy ironisch, als Sebastián weg war. „Du hast doch hoffentlich noch ein anderes Outfit mitgebracht“, fügte er hinzu und musterte sie geringschätzig. „Du hast sicher nicht vergessen, dass wir uns zum Essen umziehen, oder?“

Sie hatte es nicht vergessen. Seit Jamies Geburt und ihrer Rückkehr nach England hatte sie kein Geld gehabt für irgendwelchen Luxus und elegante Abendkleider. Doch die Outfits, die Ruy ihr nach der Hochzeit gekauft hatte, besaß sie noch. Sie verzog verbittert die Lippen, als sie sich daran erinnerte, wie sehr er sich bemüht hatte, das Beste aus dieser nicht standesgemäßen Ehe zu machen.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass er ihr selbst eine Waffe in die Hand gegeben hatte, sich für alles zu rächen, was er ihr angetan hatte. Sie musste sie nur benutzen. Er verlangte von ihr, die Rolle seines Assistenten zu übernehmen. Na gut, wenn sie es tat, könnte sie mit all den kleinen, intimen Handgriffen, die zu dieser Aufgabe gehörten, Ruy so sehr quälen und demütigen, wie er sie damals gequält hatte.

„Zieh dich um“, forderte er sie kurz angebunden auf.

„Soll ich dir nicht erst helfen?“, fragte sie.

Ihre sanft klingende Stimme machte ihn offenbar misstrauisch. Er runzelte die Stirn und fuhr im Rollstuhl an ihr vorbei. „Heute Abend nicht“, antwortete er unwirsch. „Ich bin hungrig und will nicht stundenlang warten, bis du es geschafft hast. Rodriguez erledigt es in einer halben Stunde.“ Er sah auf die Uhr und schob den Ärmel seines Hemdes hoch. Beim Anblick seines muskulösen Arms mit den dunklen Härchen, die sich um das Armband seiner Uhr kräuselten, verkrampfte sich ihr der Magen. Allzu gut erinnerte Davina sich daran, wie herrlich sich seine starken Hände auf ihrer Haut angefühlt hatten, als er sie zum ersten Mal geliebt hatte.

3. KAPITEL

Davina hatte damals viele offizielle Essen im Palacio überstanden, aber noch nie war ihr eins so endlos lang vorgekommen wie an diesem Abend. Den Sherry, der in der Bodega der Silvadores in Cadiz heranreifte, rührte sie kaum an.

Davina wusste, dass das feine Porzellan und die Silberbestecke, die an diesem Abend benutzt wurden, noch längst nicht das Beste waren, was die Silvadores zu bieten hatten. Der Reichtum der Familie stammte aus dem Sherry-Geschäft sowie aus den über ganz Spanien verteilten Ländereien und der Stierzucht. Außerdem war Ruy an mehreren exklusiven Hotel- und Clubanlagen beteiligt. Doch hier in diesem ehemaligen maurischen Palast hatten die Silvadores ihre Wurzeln, und Ruy war der alleinige Herrscher über das gesamte Vermögen.

Wie war der Unfall passiert? Was hatte dazu geführt, dass Ruy jetzt behindert war? Davina betrachtete ihn. Wie er so dasaß in dem Dinnerjackett, unter dem man die kräftigen Muskeln seiner Brust erkennen konnte, wäre man nie auf die Idee gekommen, sein Körper sei nicht mehr so perfekt wie früher.

Davina erinnerte sich während des Essens an die Zeit mit ihm, wie gern er im Swimmingpool herumgeschwommen war, wie er über die Estancia, wo die Stiere gezüchtet wurden, geritten war, wie er mit ihr getanzt und wie er sie geliebt hatte. Plötzlich erbebte sie und zwang sich, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Ruy hatte sie nur benutzt und sie zutiefst verletzt, und jetzt hatte die Frau, die er liebte, ihn verlassen. Vielleicht gab es doch so etwas wie Gerechtigkeit.

Warum hatte Carmelita sich gegen ihn entschieden? Davina und Ruy waren erst wenige Wochen verheiratet gewesen, als die schöne Spanierin sie hier im Haus besucht und ihr erklärt hatte, Ruy liebe nur sie, Carmelita. Schon vor vielen Jahren hätten sie beschlossen, eines Tages zu heiraten. Kurz vor der Bekanntgabe der Verlobung hätten Ruy und sie sich gestritten. Weil sie nicht nach seiner Pfeife hätte tanzen wollen, hätte er Davina geheiratet, die er gerade erst kennengelernt hatte. Carmelita hatte hinzugefügt, sie würde um ihn kämpfen und ihn zurückbekommen. So eine blasse, unscheinbare Frau wie Davina könne einen heißblütigen und leidenschaftlichen Mann wie Ruy nicht halten. Er brauche eine Partnerin, die auf seine sexuellen Bedürfnisse in jeder Hinsicht eingehen könne und ihn in seiner Vielschichtigkeit verstehe.

Hatte Carmelita ihn verlassen, weil er nicht mehr der Mann war, der er einst gewesen war? Er konnte nicht mehr reiten und keine Frau mehr bis zur Morgendämmerung lieben. War es das, was Carmelita gestört hatte? Oder hatte sie es nicht ertragen, dass der Sohn seiner englischen Frau in der Erbfolge an erster Stelle stand?

Schließlich war das Essen beendet. Davina war jedoch keineswegs erleichtert. Im Gegenteil, ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als sie Ruys entschlossene Miene bemerkte.

Während des Essens hatte sie die Fragen ihrer Schwiegermutter über Jamie höflich beantwortet. Sie ließ sich von der älteren Dame nicht mehr einschüchtern. Niemals würde sie zulassen, dass man ihrem Sohn seine Rechte streitig machte, und das machte sie der Condesa unmissverständlich klar.

Als sie festgestellt hatte, dass sie schwanger war, war ihr alles egal gewesen. Zu der Zeit hatte sie sich wie betäubt gefühlt, denn sie hatte schon gewusst, weshalb Ruy sie geheiratet hatte und warum er so viele Nächte irgendwo anders verbrachte als neben ihr im Bett. Dass sie ein Baby von ihm erwartete, hatte sie nicht getröstet. Doch nach Jamies Geburt war ihr Herz übergeströmt vor Liebe zu ihrem Kind, und der Schmerz hatte etwas nachgelassen. Sie hatte sich geschworen, ihr Kind solle nicht da aufwachsen, wo man seine Mutter verachtete.

Die Condesa hatte zu Davinas Flucht den letzten Anstoß gegeben. Sie hatte ihr die Fotos von Ruy und Carmelita gezeigt, wie sie sich auf der Estancia vergnügten, während sie, Davina, sein Kind zur Welt brachte. An einem kühlen, grauen Winternachmittag verließ sie das Krankenhaus, ließ sich zum Flughafen fahren und flog nach London. Wie ihr Leben weitergehen sollte, hatte sie noch nicht gewusst. Aber sie hatte Ruy und Spanien verlassen müssen.

Ich habe Glück gehabt, gestand sie sich ein, denn sie hatte innerhalb kurzer Zeit die Aufträge zum Illustrieren von Kinderbüchern erhalten. Sie konnte damit keine Reichtümer erwerben, verdiente jedoch so viel, dass sie sich eine Eigentumswohnung in Pembrokeshire hatte kaufen können. Ihr Einkommen reichte für sie und Jamie, sie hatten alles, was sie brauchten. Doch einen längeren Erholungsurlaub in einem wärmeren Klima hätte sie sich nicht erlauben können.

Nach dem Essen wurde im Wohnzimmer Kaffee serviert, und Sebastián setzte sich neben sie.

„Du musst versuchen, Ruy zu verzeihen“, sagte er leise, während Ruy mit Rodriguez sprach. „Seit dem Unfall hat er sich verändert. Aber das ist verständlich, besonders bei Ruy, der immer so …“

„Ungemein männlich war?“, half Davina ihm auf die Sprünge. „Ja, ich kann mir vorstellen, wie sehr er jetzt leidet, Sebastián. Aber ich kann nicht verstehen, dass deine Mutter es gewagt hat, mir ohne sein Wissen zu schreiben.“

Sebastián zuckte die Schultern. „Du hast doch selbst gesehen, wie Ruy reagiert hat. Sie hat es heimlich getan, weil Ruy nie zugelassen hätte, dass sie Kontakt mit dir aufnimmt. Er hat seinen Stolz …“

„Und die Frau, die er liebt, hat ihn verlassen“, warf Davina ein.

Er schien sich plötzlich unbehaglich zu fühlen und wirkte seltsam überrascht. „Das stimmt. Mein Bruder würde jedoch niemals versuchen, eine Frau, die ihn nicht mehr will, zu irgendetwas zu überreden. Insofern brauchst du keine Bedenken zu haben, Davina.“

„Das habe ich auch nicht“, erwiderte sie. „Mir ist völlig klar, dass man mich hier nur wegen Jamie toleriert, obwohl Ruy seinen Sohn nie akzeptiert hat und auch jetzt noch so tut, als wäre er vielleicht nicht sein Kind.“

In dem Moment läutete das Telefon. Sogleich entschuldigte sich Sebastián und ließ sie allein. Davina unterdrückte ein Gähnen und schloss die Augen. Sie wollte sich nur einige Minuten ausruhen.

Plötzlich schreckte sie auf. Offenbar hatte sie länger geschlafen, denn im Wohnzimmer war es ziemlich dunkel. Nur eine Stehlampe war noch an.

„So, du bist endlich wach geworden. Ich kann mich noch erinnern, dass du schon damals Mühe hattest, dich an unsere Lebensweise zu gewöhnen.“

„Du hättest mich wecken können.“ Sie sah auf die Uhr. Es war beinah zwei. Außer Ruy und ihr war niemand mehr auf. Sie fühlte sich seltsam verletzlich, als ihr bewusst wurde, dass er sie im Schlaf beobachtet hatte, und erbebte.

Ruy lächelte spöttisch. „Warum zitterst du, Liebes?“, fragte er samtweich. „Hast du vielleicht Angst vor mir, weil ich mich nicht mehr ohne meinen Rollstuhl fortbewegen kann? Oder fürchtest du dich vor dem Tiger im Käfig? Als ich noch frei herumlaufen konnte, hattest du jedenfalls keine Angst vor mir.“

Es lag ihr auf der Zunge zu sagen, Tiger in Käfigen seien unberechenbar und grausam, weil sie mit dem Eingesperrtsein nicht zurechtkämen. Aber sie beherrschte sich. Ruy hatte ein großes Problem damit, dass er seine Kraft und Energie nicht mehr ausleben konnte. Sein Leben hatte für ihn den Reiz verloren, und er reagierte anderen gegenüber hart und ungerecht.

„Wovor fürchtest du dich am meisten, meine Liebe?“ Er blieb mit dem Rollstuhl so dicht vor ihr stehen, dass sie seinen Atem, der nach Sherry roch, wahrnehmen konnte. Ihr verkrampfte sich der Magen, als sie sich daran erinnerte, wie sich seine Lippen auf ihren angefühlt hatten. „Befürchtest du, ich würde mich dafür rächen, dass du mich verlassen und mir meinen Sohn vorenthalten hast?“

„Du hättest hinter uns herkommen können“, entgegnete sie ruhig. „Wenn du uns wirklich gewollt hättest …“

Er stieß verächtlich die Luft aus, während es in seinen Augen ärgerlich aufblitzte. „Hast du das von mir erwartet, Davina? Wolltest du einen Mann haben, der dich immer wieder von Neuem erobert? Was war denn mit dem Mann, wegen dem du mich verlassen hast? Mit diesem Engländer, der dir mehr bedeutet hat als dein Ehegelübde? Was ist aus ihm geworden? Hat er sich nicht mehr für dich interessiert, nachdem du nicht mehr die Condesa de Silvadores sein wolltest?“

Davina hatte sich nie mit dem Titel anfreunden können. Doch das war jetzt nicht wichtig. Sie war bestürzt über Ruys Bemerkungen und zornig über die Unterstellung, sie sei mit einem anderen Mann zusammen gewesen.

„Es hat nie einen anderen gegeben!“, wehrte sie sich ärgerlich. Ruy glaubte ihr nicht, das sah sie ihm an.

„Nein?“, stieß er hervor. „Du lügst, Liebes. Man hat dich mit ihm in Sevilla gesehen. Außerdem weiß jeder, dass du mit ihm und meinem Kind Spanien verlassen hast.“

Auf einmal wurde ihr klar, was er meinte. Sie hatte zufällig einen Landsmann in Sevilla getroffen. Er war Künstler, und sie waren ins Gespräch gekommen. Ihre Schwiegermutter hatte sie in dem kleinen Straßencafé entdeckt. Unschuldig, wie sie gewesen war, hatte Davina angenommen, ihre Schwiegermutter sei entsetzt darüber, dass sie in so einem schäbigen Café saß. Doch offenbar hatte die Condesa gedacht, Davina hätte eine Affäre mit dem Mann. Jetzt begriff sie auch, warum Ruy bezweifelte, dass Jamie sein Sohn war. Monatelang hatte sie ihm ihre Schwangerschaft verschwiegen. Sie war verbittert gewesen, weil Ruy sie nicht liebte, und hatte die Tatsache, dass sie schwanger war, lieber für sich behalten.

„Wenigstens gibst du endlich zu, dass Jamie dein Sohn ist“, antwortete sie nur. Egal, was sonst noch unausgesprochen zwischen ihnen lag, was Jamie anging, durfte es keine Zweifel geben.

„Jedenfalls behaupten es alle“, erklärte Ruy. „Es muss während unserer Flitterwochen geschehen sein, ehe …“

„Ehe ich herausfand, weshalb du mich wirklich geheiratet hast?“, unterbrach Davina ihn und hob stolz den Kopf. Nachdem sie erfahren hatte, dass er Carmelita liebte, hatte sie sich geweigert, mit ihm zu schlafen, obwohl es ihr schwer gefallen war. Jede Nacht hatte sie stundenlang wach gelegen und sich daran erinnert, wie herrlich es gewesen war, neben Ruy einzuschlafen. Sie hatte sich unendlich sicher gefühlt in seinen Armen, doch diese Sicherheit war nur eine Illusion gewesen. Ruy hatte mit ihr geschlafen, weil sie ihm gezeigt hatte, wie leidenschaftlich sie ihn begehrte. Vielleicht hatte er sogar Mitleid mit ihr gehabt.

Immer noch verursachten ihr die Erinnerungen an ihre Flitterwochen Kopfschmerzen. Erst nach der Trauung hatte sie Ruys Familie und den Palacio kennengelernt. Er hatte erklärt, er würde sie mit nach Hause nehmen, in das Haus inmitten der Sierras. Davina war ganz aufgeregt und nervös gewesen. Dieser attraktive, weltgewandte Mann hatte sie geheiratet, und sie verließ ihre eigene Welt, um ihm in seine zu folgen. Mit Männern hatte sie, abgesehen von einigen harmlosen Küssen, die sie mit Jugendfreunden ausgetauscht hatte, keine Erfahrung. Ihre Eltern lebten nicht mehr, und sie war bei ihrer Großmutter aufgewachsen, die sie sehr streng erzogen hatte. Ruy lachte, als sie ihm zu erklären versuchte, wie unerfahren sie in der Liebe sei.

„Meinst du, ich hätte nicht gemerkt, dass du noch völlig unschuldig bist?“, fragte er liebevoll. Davina war damit zufrieden gewesen. Später, als sie die Wahrheit erfahren hatte, war ihr bewusst geworden, was für eine Ironie es gewesen war. Die Frau, die er eigentlich hatte heiraten wollen, kam aus denselben gesellschaftlichen Kreisen wie er und wusste genau, was einem Mann gefiel und was nicht, während sie …

Sie verzog das Gesicht. Hatte sie sich überhaupt verändert? Sie hatte ein Kind zur Welt gebracht, aber mit Männern hatte sie genauso wenig Erfahrung wie damals, als sie Ruy verlassen hatte. Er war ein geduldiger Liebhaber gewesen, behutsam und sanft hatte er ihre Sinnlichkeit geweckt.

Dass er den Raum durchquert hatte, fiel ihr erst auf, als er die Türen zum Patio öffnete. Er drehte ihr den Rücken zu und blickte hinaus in die Dunkelheit.

Bei dem Duft nach Orangenblüten, der hereinströmte, wurden ganz andere Erinnerungen wach. Sie dachte an ihre Ankunft im Palacio de los Naranjos, an das erste schreckliche Essen, bei dem die Condesa ihre Enttäuschung und ihren Zorn über die überraschende Heirat ihres Sohns an ihr ausgelassen hatte. Später fand Ruy sie herzzerreißend schluchzend in ihrem Zimmer, das weit weg war von seinem. Sie war viel zu sehr mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt, um wahrzunehmen, was unterschwellig um sie her vorging. Deshalb dachte sie nicht darüber nach, warum Carmelita, deren überwältigende Schönheit sie abgestoßen hatte und ihr beinah schon dekadent vorgekommen war, sie so hasserfüllt angesehen hatte.

Ruy trocknete Davina die Tränen und versuchte sie zu trösten. Sie bat ihn, sie nicht allein zu lassen. Zu ihrer Erleichterung schlug er vor, durch den Park zu schlendern, damit sie sich beruhigte.

Es war eine milde Nacht, die Sterne funkelten am Himmel, und der Duft nach Orangen lag in der Luft. Ruy hatte ihren Arm genommen – mehr aus Höflichkeit als aus dem Wunsch heraus, sie zu berühren, wie ihr jetzt klar war. Plötzlich stolperte sie, und als Ruy sie festhalten wollte, verloren sie beide das Gleichgewicht und fielen hin. Davina sah ihn an und versuchte gar nicht, ihre Gefühle zu verbergen. Sie wünschte sich, er würde sie endlich ganz zu seiner Frau machen.

Ruy wollte sich zurückziehen. Doch da sie überzeugt war, er würde sie genauso lieben wie sie ihn, legte sie ihm die Arme um den Nacken und fing an, seinen Hals zu küssen. In dem Moment hielt Ruy sich nicht mehr zurück, auch wenn sie nicht die Frau war, die er liebte. Aber sie lag in seinen Armen, und er konnte sie haben. Er hatte sie sanft und rücksichtsvoll behandelt. Erst später war ihr bewusst geworden, dass er sich bestimmt nicht so sehr zurückgehalten hätte, wenn er sie wirklich geliebt hätte.

Obwohl er sie sehr behutsam und einfühlsam geliebt hatte, hatte sie aufgeschrien, als er in sie eingedrungen war. Sogleich brachte er sie mit seinen Lippen zum Schweigen. Und als sie sich später noch einmal liebten, war es herrlich gewesen. Seit jener Nacht gehörten Ruys Duft und der Duft nach Orangen und Orangenblüten in Davinas Erinnerung für immer zusammen.

Danach hatten sie in zwei miteinander verbundenen Zimmern geschlafen. Jede Nacht war Davina zu ihm gegangen, sie hatte sich von ihm in die Arme nehmen und sich versichern lassen, dass er sie noch liebe. Wie dumm und naiv war sie gewesen! Er hatte sie nie geliebt, sondern nur Mitleid mit ihr gehabt, das war alles.

Die Wahrheit hatte sie erfahren, als er in der Bodega in Cadiz war. Davina wollte ihn begleiten, er erklärte jedoch, er würde nicht lange wegbleiben. Er kam auch rasch wieder zurück, doch in der kurzen Zeit seiner Abwesenheit brach eine Welt für sie zusammen. Zuerst öffnete ihre Schwiegermutter ihr die Augen, dann Carmelita. Bei Ruys Rückkehr hatte Davina schon alle ihre Sachen in ein anderes Schlafzimmer geschafft. Nie fragte er nach den Gründen, und sie sprach auch nie mit ihm darüber. Die ersten Nächte hatte sie wach gelegen und vergebens auf seine Schritte gelauscht. Aber warum hätte er auch zu ihr kommen sollen? Carmelita, die stolze, leidenschaftliche Spanierin, passte viel besser zu ihm.

Genau in der Woche hatte sie Bob Wilson in Sevilla kennengelernt. Und sie hatte angefangen zu vermuten, dass sie Ruys Kind bekommen würde.

„Willst du die ganze Nacht da sitzen bleiben? Ist dir der Gedanke, mit mir in einem Zimmer zu schlafen, so unangenehm, dass du lieber hier im Sessel schläfst? Du hast dich offenbar sehr verändert!“, stellte er spöttisch fest. „Es gab eine Zeit, da konntest du es kaum erwarten, neben mir im Bett zu liegen.“ Er lachte freudlos auf und betrachtete ihr blasses Gesicht. „Sieh mich nicht so ängstlich an, meine Liebe. Ich kann nicht mehr mit dir durch die Orangenplantagen wandern und dir Gefühle zeigen …“

Davina sprang auf. Die Bilder, die vor ihr aufstiegen, quälten sie viel zu sehr. „Ich bin überrascht, dass du dich überhaupt daran erinnerst“, sagte sie. „Es ist immerhin schon lange her, und es war nicht wichtig.“

„Meinst du?“ Seine Miene wurde hart, und er betrachtete sie schmerzerfüllt und verbittert zugleich. Nein, ich habe mich getäuscht in dem gedämpften Licht, es gibt für ihn keinen Grund, schmerzerfüllt an unsere Ehe zu denken, überlegte sie. „Du glaubst wohl, ein Mann könne das Ehegelübde so leicht vergessen. Ich bin nicht wie du, Davina. Ich kann nicht einfach so tun, als hätte es unsere Ehe nie gegeben.“

Sie wusste, wie ernst man die Ehe in Spanien nahm. Aber das war Ruy auch schon vor der Trauung bewusst gewesen. Deshalb vermutete sie, dass er die Ehe mit ihr nicht hatte vollziehen wollen. Plötzlich fühlte sie sich schuldig. Wenn sie nicht in ihrer Naivität davon überzeugt gewesen wäre, Ruy liebe sie, hätte er Carmelita heiraten und mit ihr Kinder haben können, statt …

„Ruy, mir ist klar, dass unsere Situation schwierig ist. Aber müssen wir deshalb Gegner sein? Jamie zuliebe können wir doch versuchen, unsere Differenzen eine Zeit lang zu vergessen …“, begann sie und stellte sich neben ihn. Im Mondschein wirkte ihr Haar silbern, ihre Augen geheimnisvoll und ihre Miene irgendwie bittend.

Auf einmal fluchte er so zornig vor sich hin, dass sie wie erstarrt dastand. Dann blitzte es in seinen Augen ärgerlich auf. „Du machst es dir leicht“, fuhr er sie an. „Das kommt dir gerade recht, stimmt’s? Du bist meine Frau, ohne es wirklich sein zu müssen, und deine Position hier ist gesichert. Bist du deshalb zurückgekommen? Weil du begriffen hast, dass du nicht mehr mit mir zu schlafen brauchst?“

„Ich hatte keine Ahnung von deinem Unfall.“ Sie war schockiert, dass er ihr so viel Berechnung und Habgier zutraute.

„Was willst du mir denn anbieten? Dein Mitleid? Darauf kann ich verzichten. Du bist hier nur geduldet, sonst nichts, Davina. Komm, es wird Zeit, dass wir uns zurückziehen.“

Sie wollte den Rollstuhl schieben, doch Ruy forderte sie mit einer Handbewegung auf, ihm in seine Suite vorauszugehen. Sie tat es und wünschte, ihr Herz würde nicht so heftig pochen. Und sie ärgerte sich, dass sie Mitgefühl für ihn gezeigt hatte. Er war verbittert und verletzte sie absichtlich. Aber der Schmerz, den sie damals empfunden hatte, als ihr klar geworden war, dass er sie nicht liebte, war schlimmer gewesen als alles, was er ihr jetzt noch antun konnte.

Irgendwie hatte sie damit gerechnet, Rodriguez in der Suite vorzufinden. Er war jedoch nicht da. Als sie den Raum durchqueren und nach Jamie sehen wollte, hielt Ruy sie am Handgelenk fest.

„Oh nein, so leicht kommst du mir nicht davon“, erklärte er spöttisch. „Da du freiwillig zurückgekommen bist, meine Liebe, musst damit anfangen, dich an die Pflichten zu gewöhnen, die du als meine Frau zu erfüllen hast.“

Davina betrachtete den Bademantel, der auf der einen Seite des Betts lag, und ihr seidenes Nachthemd, das auf der anderen Seite lag.

Ruy bemerkte ihren Blick. „Soll ich etwa aus lauter Mitleid mit dir, weil du dazu verdammt bist, neben einem Mann zu schlafen, der kein Mann mehr ist, im Bademantel schlafen?“, fragte er.

„Hör auf!“ Davina hielt sich die Ohren zu, um Ruys verbittertes Lachen nicht zu hören. Er packte sie jedoch an den Handgelenken und zog ihre Hände weg. „Wie oft habe ich mir gewünscht, das alles ungeschehen machen zu können. Vielleicht habe ich keine Albträume mehr, wenn du neben mir im Bett liegst. Hilf mir beim Ausziehen“, forderte er sie dann unvermittelt auf. „Es war ein ungewöhnlich langer Abend.“

Davina warf einen Blick zur Tür und befeuchtete die trockenen Lippen mit der Zunge. „Bestimmt kann Rodriguez …“, begann sie unsicher.

„Rodriguez schläft schon“, unterbrach er sie ungeduldig. „Soll ich ihn etwa wecken, nur weil du es nicht ertragen kannst, meinen Körper zu sehen? Wovor hast du eigentlich Angst? Vor meinen nutzlosen Beinen?“

Seine Stimme klang kühl, doch Davina spürte seinen Schmerz. Sie befürchtete, er würde die Beherrschung verlieren, wenn die Belastung, der er sich und sie aussetzte, zu groß wurde. Indem er sie quälte, quälte er sich zugleich selbst und riss alte Wunden auf.

Schließlich fing Davina an, die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Das war etwas, was sie schon tausend Mal für Jamie gemacht hatte, und es war eigentlich etwas ganz Normales. Doch Ruy war ihr Mann und nicht ihr Kind. Sie spürte sein Herz klopfen, und die dunklen Härchen auf seiner Brust erinnerten sie daran, wie warm und muskulös sich sein Körper angefühlt hatte. Sie erbebte.

„Mach weiter“, forderte er sie sogleich mit sanftem Spott auf. „Ich weiß noch genau, wie ungeduldig du damals warst. Es konnte dir nicht schnell genug gehen, und deine Finger haben genauso gezittert wie jetzt. In deinen Augen hat es immer voller Verlangen aufgeleuchtet, aber jetzt wirkt dein Blick eher ängstlich.“

Nachdem sie ihm das Hemd aufgeknöpft hatte, betrachtete sie seine Brust, die sich beim Atmen hob und senkte. Auf Ruys Stirn standen Schweißperlen, und seine Haut fühlte sich unter ihren Händen warm und feucht an. Davina zwang sich, nicht daran zu denken, wie sie mit den Lippen seinen Körper erforscht und mit der Zunge seine Haut bis hinauf zu den Schultern gestreichelt hatte. Mit allen Sinnen hatte sie ihn gespürt und geschmeckt, und alles um sie her war bedeutungslos gewesen.

Sie bückte sich, um seine Schuhe zu öffnen. In dem Moment ertönte ein Schrei aus dem anderen Raum. Jamie!, schoss es ihr durch den Kopf. Sie sah zur Tür.

„Das Kind, das du von mir bekommen hast, muss für dich etwas ganz Besonderes sein, sonst würdest du dir nicht solche Sorgen machen. Was ist an Jamie so außergewöhnlich?“, fragte Ruy.

„Er war lange krank“, erwiderte sie. „Ich muss mich um ihn kümmern.“ Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung richtete sie sich auf und eilte in Jamies Zimmer.

Der Junge drückte seinen abgenutzten Teddy an sich und blickte seine Mutter mit großen Augen ängstlich an.

„Mummy, ich hatte Angst, und du warst nicht da“, sagte er leise.

„Wovor hattest du Angst, mein Kleiner?“ Davina kniete sich neben sein Bett und strich ihm das dichte dunkle Haar aus dem Gesicht. „Hier bist du doch in Sicherheit. Dein Teddy ist bei dir, und ich schlafe im Zimmer nebenan.“

„Nein, es soll so sein wie zu Hause“, protestierte Jamie. „Du sollst bei mir schlafen.“

Sie unterdrückte ein Seufzen und erklärte ihrem Sohn, dass es nicht möglich sei. Sein Zimmer sei zu klein, man könne dort kein zweites Bett aufstellen.

Doch Jamie meinte, er könne in ihrem Bett schlafen. Ihren Einwand, es sei für drei nicht breit genug, ließ er nicht gelten, sondern schlug vor, sein Daddy könne ja sein Bett nehmen.

Davina erinnerte ihn daran, dass Eltern immer zusammen in einem Bett schliefen, genau wie in den Märchen, die sie ihm vorgelesen hatte. Offenbar findet er die Anwesenheit seines Vaters ganz normal, nur das gemeinsame Schlafzimmer scheint ein Problem zu werden, überlegte sie. Der Arzt hatte sie schon während Jamies Krankheit darauf hingewiesen, sie könne Schwierigkeiten mit dem Kind bekommen, wenn sie wieder heiraten wolle.

Erst als Jamie fest schlief, ging Davina zurück zu Ruy. Das Licht war aus, deshalb glaubte sie zunächst, er sei zur Vernunft gekommen und habe beschlossen, sie und Jamie allein zu lassen. Doch als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wurde ihr klar, dass sie sich getäuscht hatte. Er lag im Bett, und der Rollstuhl stand zusammengeklappt davor. Davina runzelte die Stirn. Wie hatte Ruy es allein geschafft? War seine Behinderung vielleicht nicht so schwer, wie sie gedacht hatte?

„Legst du dich endlich hin, oder willst du die ganze Nacht umherwandern wie eine verschüchterte Jungfrau?“

Sie hatte angenommen, er schlief, und zuckte zusammen, als er sich auf die Seite drehte und sie in der Dunkelheit ansah. Sekundenlang überlegte sie, ein anderes Zimmer zu verlangen. Doch dann fiel ihr Blick auf den Rollstuhl. Ihr Mitleid mit Ruy war stärker als alle Bedenken. Außerdem konnte sie wohl kaum eine der Hausangestellten mitten in der Nacht wecken. Und sie musste auch an Jamie denken. Er würde sich aufregen, wenn er noch einmal wach würde und sie wäre nicht sogleich bei ihm.

„Ich komme gleich“, erwiderte sie schließlich. Ihre Stimme klang so ruhig, dass Davina selbst überrascht war. „Erst möchte ich noch baden.“

Es gefiel ihr, das luxuriöse Badezimmer für sich ganz allein zu haben. Die Wanne war breit und tief genug für zwei Personen. Sie war in den Fußboden eingelassen, und Davina ging die Stufen hinunter. Sie gab einige Tropfen des nach Rosen duftenden Badeöls ins Wasser, dann setzte sie sich hin und lehnte sich entspannt zurück.

Zehn Minuten später stieg sie erfrischt aus dem Wasser und griff nach dem Badetuch. In dem Wandspiegel betrachtete sie sich von oben bis unten, ihre schlanke Gestalt und die helle Haut, die schmale Taille, die schlanken Hüften und die vollen Brüste mit den rosigen Spitzen. Durch die Schwangerschaft war ihre Figur etwas üppiger geworden. Irgendwie hatte sie das Gefühl, ihre Brüste würden anschwellen und straffer werden, so als freute sie sich auf die Zärtlichkeiten ihres Geliebten. Rasch hüllte sie sich in das Badetuch ein, rieb sich trocken und schlüpfte in ihr seidenes Nachthemd.

Nachdem sie das Haar gebürstet hatte, das in natürlichen Wellen wie ein silberner Vorhang auf ihre Schultern fiel, ging Davina auf Zehenspitzen zum Bett. Sie wollte Ruy nicht stören, der reglos auf der Seite lag und ihr den Rücken zudrehte. Dann glitt sie behutsam unter die Decke aus weichem Leinen. In den neun Monaten ihrer Ehe hatte Ruy sein Zimmer gehabt und sie ihres. Deshalb fand sie es ziemlich unpassend und unsinnig, jetzt, nachdem sie sich völlig fremd geworden waren, nebeneinander in einem Bett zu schlafen.

Trotz des Abstands von mindestens sechzig Zentimetern zwischen ihnen spürte sie die Wärme seines Körpers und hörte Ruys gleichmäßiges Atmen. Erinnerungen stürzten auf sie ein und quälten sie. Wie weich hatte sich seine gebräunte Haut angefühlt, und wie faszinierend war sein Duft gewesen!

„Schlaf endlich, Davina“, forderte Ruy sie plötzlich auf.

Erschrocken fuhr sie zusammen. Er war ja doch noch wach! Gehorsam schloss sie die Augen. Obwohl er sie so sehr verletzt hatte wie kein anderer Mensch zuvor, hatte sie tiefes Mitleid mit ihm. Am liebsten hätte sie ihn in die Arme genommen, ihn an ihre Brust gedrückt und ihm den ganzen Kummer und Schmerz weggeküsst.

Die Liebe, die sie einst für ihn empfunden hatte, war jedoch vergangen, sie konnte sie nicht zurückholen. Aber nein, das stimmt doch gar nicht, du belügst dich selbst, meldete sich auf einmal eine kleine innere Stimme. Davina ignorierte sie jedoch und ließ den Tränen freien Lauf.

4. KAPITEL

Als Davina wach wurde, schien die Sonne strahlend hell durch die offenen Fenster ins Zimmer. Jamie stand neben dem Bett und tätschelte ihr ungeduldig den Arm.

„Komm, Mummy, du musst sehen, wie Daddy schwimmt. Er ist schneller als Superman!“

Sie blinzelte und vergewisserte sich, dass Ruy nicht mehr neben ihr lag. Bildete Jamie sich da nur etwas ein? Wie konnte Ruy, der an den Rollstuhl gefesselt war, schwimmen?

„Schnell, Mummy“, forderte Jamie sie auf und zog sie am Nachthemd. „Beeil dich!“

Der Kleine hatte saubere Shorts und ein frisches T-Shirt an, sein Haar war ordentlich gebürstet, und er hatte seine Sandalen an. Irgendjemand musste ihn angezogen haben. Sie sah sich in dem Schlafzimmer um. Plötzlich kam Rodriguez herein. Entsetzt zog sie die Decke hoch.

„Rodriguez, schwimmt mein Daddy noch?“, fragte Jamie.

Der Mann lächelte den Jungen liebevoll an und nickte. Davina wusste, dass Spanier kinderlieb waren. Jamie hatte sich offenbar mit Rodriguez schon angefreundet, sonst würde er sich nicht so ungezwungen benehmen.

„Erst hat Rodriguez meinem Daddy beim Waschen und Anziehen geholfen, dann mir“, erklärte Jamie. „Du hast noch geschlafen, Mummy. Ich wollte dich wecken, aber Daddy hat gesagt, ich solle dich in Ruhe lassen. Ich frühstücke mit Daddy draußen im Patio. Wir kriegen frischen Orangensaft von richtigen Orangen. Dann zeigt Rodriguez mir, wo sie wachsen …“

Davina hätte sich eigentlich freuen müssen, dass ihr Sohn in der neuen Umgebung so gut zurechtkam. Doch seine Begeisterung tat ihr weh. Beinah über Nacht hatte er sich von ihrem Baby in einen unabhängigen kleinen Jungen verwandelt, der genauso gern mit seinem Vater zusammen war wie mit ihr.

„Wenn ihr im Patio frühstücken wollt, stehe ich am besten rasch auf und ziehe mich an, sonst komme ich noch zu spät“, erwiderte sie betont munter.

„Ja, beeil dich, Mummy. Komm, du musst sehen, wie wir schwimmen. Ich schwimme auch. Rodriguez hat mir einen Reifen und Schwimmflügel gegeben …“

Sie wusste, dass er gern im Wasser war. Seit einigen Monaten ging sie mit ihm regelmäßig ins Schwimmbad. Der Arzt hatte es empfohlen, damit der Kleine nach der langen Krankheit wieder kräftiger wurde.

Davina blickte Rodriguez an. Und als hätte er ihre Gedanken erraten, sagte er: „Ich passe auf ihn auf, Madame, bis Sie fertig sind. Dann muss ich Ihrem Gatten das Frühstück servieren.“

Davina machte sich rasch fertig und zog ein fliederfarbenes T-Shirt an, das gut zu ihrer Augenfarbe passte, dazu einen bunten Wickelrock, der ihre schmale Taille und die langen Beine betonte. Das schlichte Outfit stand ihr gut, obwohl sie sich dessen nicht bewusst war. Als sie sich an die Modellkleider erinnerte, die ihre Schwiegermutter und Carmelita trugen, verzog sie das Gesicht. Natürlich konnte sie mit den beiden nicht konkurrieren. Aber das wollte sie auch gar nicht, oder?

Mit hoch erhobenem Kopf ging sie zum Swimmingpool. Es war noch relativ früh. Trotzdem war die Luft schon warm. Das klare Wasser reflektierte die Sonnenstrahlen so stark, dass sich Davina vorsichtshalber ihre Sonnenbrille aufsetzte.

Jamie schrie vor Vergnügen. Ruy spielte mit ihm, er warf ihm einen riesigen Wasserball zu, den der Junge, der die Schwimmflügel an beiden Armen trug, zu fangen versuchte. Rodriguez stand am Beckenrand und passte auf das Kind auf.

Vater und Sohn waren so in das Spiel vertieft, dass sie Davina nicht bemerkten. Ihr verkrampfte sich das Herz, während sie den beiden zusah. Mit der gebräunten Haut, an der das Wasser hinunterrann, und dem nassen dunklen Haar, das ihm am Kopf klebte, wirkte Ruy völlig unverändert. Und als er den Wasserball kraftvoll in Jamies Richtung warf, fiel es ihr schwer zu glauben, dass er wirklich teilweise gelähmt war und in den kräftigen gebräunten Beinen kein Gefühl mehr hatte. Im Wasser bewegte er sich jedenfalls sicher und geschickt, schien sich jedoch vor allem mit den muskulösen Armen fortzubewegen.

Plötzlich entdeckte Jamie sie. „Mummy, wir spielen Ball! Guck mal, wie gut mein Daddy schwimmen kann! Ihn holt keiner ein!“

Mein kleiner Liebling, er hat sich rasch an seinen Vater gewöhnt, dachte sie.

Schließlich ging Rodriguez weg. Wahrscheinlich glaubte er, sie würde selbst auf das Kind aufpassen, sodass er sich um das Frühstück kümmern konnte. Als sie merkte, dass Jamie müde wurde, stellte sie sich an den Beckenrand und streckte die Arme nach ihm aus. Er ließ sich von ihr aus dem Wasser ziehen und strahlte vor Freude.

„Bald kann ich so schnell schwimmen wie mein Daddy“, erzählte er ihr stolz, während sie ihn trocken rieb. Sie wusste noch, dass Ruy zum Frühstück immer frische, noch warme Brötchen mit Honig aß. Beim Gedanken an die Brötchen, die jeden Morgen im Palacio gebacken wurden, spürte sie, wie hungrig sie war.

Nachdem sie Jamie die Badehose ausgezogen hatte, konnte sie seine Sachen nirgends entdecken. Sie waren wahrscheinlich im Haus. „Bleib hier“, forderte sie ihn auf. „Ich bin gleich wieder da. Ich hole nur deine Shorts und das T-Shirt.“

Als sie zurückkam, stellte gerade eine junge Frau ein Tablett mit Milch und Cornflakes auf den Tisch. Lächelnd erklärte sie, es sei für Jamie bestimmt.

Autor

Kathryn Ross
Kathryn Ross wurde in Afrika geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England und Irland. Eigentlich ist sie ausgebildete Therapeutin, aber die Liebe zum Schreiben war stärker, und schließlich hängte sie ihren Beruf an den Nagel.
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