Romana Gold Band 54

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MEIN PRINZ, MEIN SCHEICH, MEIN GELIEBTER von LYNNE GRAHAM
Scheich Raschid Ibn Saudal Azarin rettet Pollys Eltern vor dem Ruin - im Gegenzug willigt die Engländerin ein, seine Frau zu werden. Doch in Nächten voller Zärtlichkeit verliert Raschid sein Herz an seine Braut. Allerdings scheint er einen Rivalen im Kampf um Pollys Zuneigung zu haben …

GUTEN MORGEN, PRINZESSIN von CAROL GRACE
Auf dem Hochzeitsfest ihrer Freundin genießt die sonst so zurückhaltende Anne den heißen Flirt mit dem attraktiven Scheich Rafik, der sie keine Sekunde aus den Augen lässt. Doch am nächsten Morgen erwacht sie in seinem Bett und hat keine Ahnung, was in dieser Nacht passiert ist …

CINDERELLA UND DER SCHEICH von LIZ FIELDING
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  • Erscheinungstag 06.12.2019
  • Bandnummer 54
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745165
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Carol Grace, Liz Fielding

ROMANA GOLD BAND 54

1. KAPITEL

Pollys Kehle war wie zugeschnürt, als sie die elegante Limousine durch die Toreinfahrt ihres Elternhauses gleiten sah. Ihre Hände wurden feucht, und sie verschränkte nervös die Finger ineinander. Prinz Raschid Ibn Saudal Azarin war angekommen. Benommen wandte sie sich ab.

„Warum hast du dich da drüben hingestellt?“, fragte ihre fünfzehnjährige Schwester Maggie. „Von dort kannst du ihn doch gar nicht sehen.“

„Auf das Vergnügen verzichte ich gern noch eine Weile“, erwiderte Polly.

Ihre zwölfjährige Schwester Joan und die vier Jahre alte Elaine eilten herbei. Auf der Fensterbank wurde es für die drei jüngeren Schwestern nun etwas eng, die sich die Hälse verrenkten, um besser sehen zu können.

Polly atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Was ihre Geschwister so faszinierend fanden, war für sie eine Katastrophe. Ist das Ganze vielleicht nur ein Albtraum, aus dem ich jeden Moment aufwachen werde? fragte sie sich beklommen. Sie befanden sich schließlich im England des zwanzigsten Jahrhunderts, im Zeitalter der Emanzipation der Frau. Wie war es da möglich, dass sie, Polly, eine Vernunftehe mit einem Mann eingehen sollte, den sie überhaupt nicht kannte?

„Der Wagen hält … er hat eine Flagge auf der Kühlerhaube. Das sind sicher die Farben der Königsfamilie von Dharein“, hielt Maggie ihre älteste Schwester aufgeregt auf dem Laufenden. „Der Chauffeur steigt aus … oh, er hat schwarzes Haar … er sieht wirklich wie ein Araber aus … jetzt öffnet er die hintere Wagentür …“

„Um Himmels willen, hör endlich auf!“ Polly entfuhr ein Schluchzer, der ihre Schwester erschrocken verstummen ließ. Schuldbewusst biss sich Maggie auf die Unterlippe und sah zu, wie Polly sich in einen abgewetzten Kinderzimmersessel sinken ließ und die Hände vors Gesicht schlug.

„Er trägt gar kein wallendes Gewand“, bemängelte Joan.

„Sei still!“ Maggie knuffte sie mit dem Ellenbogen in die Seite. „Polly fühlt sich nicht gut.“

Joan betrachtete ihre älteste Schwester mit unverhülltem Entsetzen. „Du kannst doch nicht ausgerechnet jetzt krank werden! Daddy wäre ruiniert, und Mummy hat vor Stolz schon total abgehoben!“

„Polly!“, rief Maggie unvermittelt. „Raschid sieht super aus! Wirklich!“

„Prinz Raschid“, berichtigte Joan sie herablassend. „Von einem Mann wie ihm darf man nicht gleich so plumpvertraulich sprechen.“

Maggie strafte ihre Schwester mit einem vernichtenden Seitenblick. „Du meine Güte, er wird doch schließlich unser Schwager!“ Polly zuckte zusammen. Ihre Schläfen pochten, und trotz der Tabletten, die sie genommen hatte, wurden ihre Kopfschmerzen noch schlimmer. Der Vormittag hatte kein Ende nehmen wollen. Beim Mittagessen waren alle ungewohnt schweigsam gewesen, und Polly hatte keinen Bissen hinuntergebracht. Ihr Vater auch nicht. Er hatte den hilflos anklagenden Ausdruck in Pollys Augen offenbar nicht mehr länger ertragen können, denn er war noch vor dem Nachtisch in sein Arbeitszimmer verschwunden.

Tröstend legte Maggie Polly die Hand auf die Schulter. „Er sieht wirklich toll aus. Ehrenwort.“

„Warum kann er sich dann nicht bei sich zu Hause eine Frau kaufen?“ Polly schnäuzte sich die Nase. Erneut drohten die Nerven mit ihr durchzugehen.

„Zischt ab!“, forderte Maggie Joan und Elaine streng auf. „Und sagt Mutter ja nicht, dass Polly heult.“

Die praktisch veranlagte Joan runzelte die Stirn. „Warum weint sie denn überhaupt? Sie wird doch Prinzessin. Da würde ich bestimmt nicht flennen, sondern vor Freude Luftsprünge machen.“

„Dein Pech, dass du nicht die Älteste bist.“ Maggie hielt ihren Schwestern unmissverständlich die Tür auf.

Die beiden Jüngsten räumten murrend das Feld.

Polly schämte sich ihres Gefühlsausbruchs. Fahrig strich sie sich das blonde Haar aus dem Gesicht und wischte sich die Augen. „Weißt du, Maggie, irgendwie kann ich immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich dazu kommt“, gestand sie. „Ich hatte die ganze Zeit über gehofft, dass er letztlich doch nicht auftaucht.“

„Dad sagt, so etwas könne ein Prinz sich nicht leisten. Ein Versprechen zu halten, sei Ehrensache.“ Maggies Stimme klang jetzt gar nicht mehr so sicher. „Ist es nicht komisch, dass wir immer gelacht haben, wenn Dad mal wieder zum Besten gab, wie er König Reija das Leben gerettet hat, indem er eine Kugel abfing? Ich glaube, die Geschichte haben wir hundert Mal, ach was, tausend Mal gehört“, übertrieb sie schamlos, „und ich habe dich immer aufgezogen, dass du Raschids Zweitfrau wirst.“

Nun, inzwischen ist es kein Witz mehr, dachte Polly verzweifelt. Vor fünfunddreißig Jahren hatte Ernest Barrington als junger Diplomat an der englischen Botschaft in einem der Golfstaaten gearbeitet. Während dieser Jahre in Nahost hatte er seinen Urlaub dazu genutzt, Reisen in die Nachbarländer zu unternehmen.

Auf einer dieser Erkundungstouren war er in den südarabischen Wüstenstaat Dharein gelangt. Der kleine Staat wurde damals immer noch von Stammesfehden heimgesucht, und es ging dort fast noch unzivilisierter zu wie ein Jahrhundert zuvor. Auf dieser Reise war Pollys Vater erkrankt und hatte medizinische Hilfe in einem Nomadenlager gesucht, dessen Oberhaupt Prinz Achmed, der Bruder des Feudalherrschers König Reija, war.

Da Achmed dem jungen Engländer nicht helfen konnte, hatte der Prinz den Kranken in den Königspalast außerhalb von Jumani gebracht, wo Ernest Barrington gesund gepflegt wurde. Nachdem er wieder zu Kräften gekommen war, hatte er kurz vor seiner Abreise als besondere Ehre eine Einladung zur Teilnahme an einer königlichen Jagd erhalten.

In der Wüste war auf den König ein Mordanschlag verübt worden, dessen Einzelheiten Pollys Vater im Laufe der Jahre immer weiter ausgeschmückt hatte. Grundlegend war damals offenbar Folgendes geschehen: Ernest Barrington hatte in der Sonne einen Gewehrlauf aufblitzen sehen, sich reaktionsschnell auf den König geworfen und ihn mit sich zu Boden gerissen. Dabei hatte er sich eine geringfügige Kopfverletzung zugezogen. Von Dankbarkeit überwältigt, hatte König Reija daraufhin erklärt, sein erstgeborener Sohn werde Ernest Barringtons erstgeborene Tochter heiraten.

„Glaubt mir, ich war völlig verblüfft“, pflegte Ernest Barrington an dieser Stelle der Geschichte vergnügt zu versichern. „Damals war ich ja noch nicht mal verheiratet. Aber die Geste symbolisierte offensichtlich die höchste Ehre, die der König jemandem zuteilwerden lassen konnte. Sie war besonders hoch zu bewerten, weil er Ausländern aus dem Westen gewöhnlich Misstrauen entgegenbrachte.“

Seitdem hatte Pollys Vater König Reija nicht wieder gesehen. Ernest Barrington war aus dem diplomatischen Dienst ausgeschieden, nachdem sein unverheirateter Onkel gestorben war und ihm einige Kilometer außerhalb von Worcester ein Gut hinterlassen hatte. Er hatte frohlockt, als er vor zwölf Jahren von einem älteren Diplomaten erfuhr, dass Raschid Prinz Achmeds Tochter Berah geheiratet habe.

Dennoch hatte die Familie Polly oft mit Raschid aufgezogen und sie daran erinnert, dass der Koran einem Moslem gestatte, vier Frauen zu haben. Doch bisher hatten alle die Vorstellung, Polly könnte einen arabischen Prinzen heiraten, höchstens komisch gefunden.

Erst als ihr Vater vor einem Monat in ernste finanzielle Schwierigkeiten geriet, kam er auf die Idee, die alte Bekanntschaft mit König Reija wiederaufleben zu lassen. Als dieser sich anlässlich eines diplomatischen Besuchs in London aufhielt, hatte Ernest Barrington ihn um eine Audienz gebeten.

„Ich werde ihn um ein Darlehen bitten“, hatte Pollys Vater hoffnungsvoll angekündigt. „Sicher wird er mir aus der Patsche helfen. Warum habe ich daran bloß nicht schon eher gedacht?“

Voller Zuversicht war Ernest Barrington zum vereinbarten Termin in die Dhareinische Botschaft gefahren. Nach all den Jahren fehlender Übung war es um Ernests Arabischkenntnisse schlecht bestellt, aber König Reija hatte in weiser Voraussicht einen Dolmetscher kommen lassen.

Natürlich waren die beiden Männer gleich am Anfang auf ihre Familien zu sprechen gekommen. Ernest hatte dem Monarchen stolz ein Foto seiner vier Töchter und des kleinen Sohnes gezeigt. Daraufhin hatte der König Ernest eröffnet, sein Sohn Raschid sei seit vier Jahren Witwer. Berah war im blühenden Alter von nur sechsundzwanzig Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen, nachdem sie gestolpert und eine steile Treppe hinuntergestürzt war.

„Natürlich habe ich dem König mein Beileid ausgesprochen. Nicht mal im Traum hätte ich für möglich gehalten, dass der alte Junge bereit war, sein Versprechen selbst nach fünfunddreißig Jahren einzulösen. Und irgendwie habe ich es in dieser Situation dann einfach nicht fertiggebracht, ihn um ein Darlehen zu bitten“, hatte Ernest der Familie gestanden. „Ich dachte, mich trifft der Schlag, als der König erklärte, er hätte schon lange ein schlechtes Gewissen, weil er sein Versprechen bisher nicht gehalten hätte. Natürlich habe ich ihm sofort versichert, dass ich das auch gar nicht erwartet hätte, aber das schien ihm nicht zu gefallen, und da war ich lieber still. Selbst als er mir danach Fragen über Polly stellte, hatte ich noch keinen blassen Schimmer, was er vorhatte.“

Polly hatte ebenso entsetzt wie ihre Mutter zugehört, während Ernest vorsichtig auf den Knackpunkt zusteuerte. „Der König beteuerte, es sei sein größter Wunsch, Raschid wieder verheiratet zu sehen. Daraufhin schüttelte er mir die Hand, und der Dolmetscher sagte: ‚Es ist also abgemacht‘. Und ich fragte, wie er das meine.

‚Mein Sohn wird Ihre Tochter heiraten‘, antwortete der König. Da war ich sprachlos und brachte keinen Ton heraus!“, hatte Pollys Vater gestanden und sich die schweißnasse Stirn gewischt. „Und gleich darauf fing er an, über den Brautpreis zu reden. Es ging alles so schnell, dass ich einfach nichts dagegen tun konnte. Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, was der Mann von dieser Abmachung hat.“

Polly riss sich von ihren Erinnerungen los und lachte bitter auf. „Dad hat mich verkauft! Dabei dachte ich, in den westlichen Ländern sei der Frauenhandel längst abgeschafft! Warum hat Dad mich nicht gleich in Gold aufwiegen lassen?“

Vorwurfsvoll sah Maggie ihre Schwester an. „Das klingt schrecklich, Polly!“

Es ist schrecklich, dachte sie niedergeschlagen. Weshalb hatte der König ihrem Vater kein Darlehen anbieten können? Aber eigentlich erübrigte sich die Frage. Ihr Vater wäre gar nicht in der Lage gewesen, das Geld zurückzuzahlen.

„Dad behauptet, niemand habe dich unter Druck gesetzt, Polly. Die Entscheidung hätte ganz bei dir gelegen. Und das stimmt, denn ich habe an der Tür gelauscht“, gab Maggie widerstrebend zu. „Er hat dich nicht gezwungen, Raschid zu heiraten.“

Polly schwieg bedrückt. Die bloße Tatsache, dass ihr Vater die verrückte Idee überhaupt in Erwägung gezogen hatte, bewies, wie katastrophal seine finanzielle Lage war. Maggie war noch in einem Alter, in dem man Eltern für unfehlbar hielt. Die Wirklichkeit sah anders aus. Ernest Barrington schätzte die angenehmen Dinge des Lebens und hatte von je her über seine Verhältnisse gelebt.

Ladybright war ein kleines, aber einträgliches Gut gewesen, als er es erbte. Doch das Einkommen, das er daraus bezog, hatte für die Ansprüche einer großen Familie und eines flotten gesellschaftlichen Lebensstils nie gereicht. Als die Bank mit Pfändung und Zwangsversteigerung des Anwesens drohte, weil Ernest Barrington mit den Hypothekenzahlungen im Rückstand war und sein Konto hoffnungslos überzogen hatte, erhielt er die Rechnung für das jahrelange Leben auf zu großem Fuß.

König Reija hatte Pollys verzweifeltem Vater als Morgengabe eine hohe Geldsumme geboten, mit der er nicht nur seine Schulden bezahlen konnte, sondern mit seiner Familie obendrein ausgesorgt hatte. Ein Ertrinkender, dem ein Rettungsreifen zugeworfen wird, zögert nicht.

Polly war sicher, dass ihr Vater bei der Erwähnung des Geldgeschenkes geblendet und mit allem einverstanden gewesen war. Wie durch ein Wunder wurden mit dieser Regelung seine ganzen Probleme gelöst. Bei der Heimkehr war er in seinem Überschwang nicht mehr zu bremsen gewesen.

„Es überrascht mich nicht, dass meine Nachricht dir die Sprache verschlagen hat, Polly“, hatte er gesagt. „Du heiratest einen Prinzen … und dazu noch einen, der eines Tages König sein wird.“

Ihre Mutter hatte bei jener Eröffnung ihres Mannes einen verträumten Gesichtsausdruck bekommen. Kurz darauf hatte sie ehrfürchtig geflüstert: „Meine Tochter, eine Prinzessin!“

Seitdem befand sich Anthea Barrington in einem Zustand von Selbstvergessenheit. Pollys Eltern besaßen beide die bemerkenswerte Gabe, unerfreuliche Dinge einfach nicht wahrzunehmen. Langsam, aber sicher hatte sich die Schlinge um Polly zugezogen. Wie konnte sie ihre Familie zu einem Leben in Armut verdammen?

Anthea wäre ebenso unfähig gewesen, sich damit abzufinden, wie ihr Vater. Und was würde dann aus ihren Schwestern und dem kleinen Timothy werden, der in diesem Moment zu Pollys Füßen mit Bauklötzen spielte? Durfte sie ihnen die Sicherheit und Geborgenheit nehmen, die sie selbst bis jetzt im Schoß der Familie genossen hatte?

Polly seufzte. Nein, sie musste den Menschen helfen, die ihr alles bedeuteten. Wusste sie denn, ob sie überhaupt je eine Liebesheirat eingehen würde? Warum sollte sie Raschid also nicht ehelichen und ihre Familie glücklich machen? Der Mann, dem ihr Herz gehörte, erwiderte ihre Gefühle nicht, jedenfalls nicht so, wie sie es sich wünschte. Chris Jeffries mochte sie zwar sehr, behandelte sie aber eher wie eine Schwester.

Seine Eltern waren Nachbarn und mit ihrer Familie eng befreundet. Polly kannte Chris seit der Kindheit. Und genau hier lag der Hase im Pfeffer, wie sie sich traurig eingestehen musste. Chris’ Gefühle für sie waren nur die eines großen Bruders …

Die Teenagerjahre waren für Polly nicht einfach gewesen. Oft hatte sie Trost bei Chris gesucht, wenn sie sich zu Hause unverstanden fühlte. Sie war ein Spätentwickler und in den Augen ihrer schönen Mutter ein hässliches Entlein gewesen. Hinzu kam, dass Polly schüchtern und in sich gekehrt gewesen war, während es den anderen in ihrer Familie an Selbstbewusstsein nie gemangelt hatte.

Anthea hatte nie ganz verbergen können, dass die stille, nachdenkliche Polly für sie eine Enttäuschung war. Ihrer Mutter wäre eine Tochter, die überwiegend Jungen, Kleider und Partys im Kopf gehabt hätte, lieber gewesen. Es hatte Anthea befremdet, dass Polly schon früh den Wunsch geäußert hatte, auf die Universität zu gehen und Bibliothekarin zu werden. Der zwei Jahre ältere Chris, der damals schon Medizin studierte, war der Einzige gewesen, der Pollys Wunsch, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, verstanden und unterstützt hatte.

Polly hatte Chris einfach lieben müssen. Wann immer sie ein Problem hatte, war er für sie da gewesen. Seit der Teenagerzeit hatte Polly es immer irgendwie als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie Chris eines Tages heiraten würde.

Nachdem ihr Babyspeck verschwunden war, war sie zu einer schlanken Schönheit mit seidigem hellblondem Haar und ebenmäßigen Zügen erblüht und hatte scheu darauf gewartet, dass Chris sich für sie als Frau interessierte. Aber das war nie der Fall gewesen, wie Polly schmerzlich erkannt hatte.

In den Semesterferien hatte sie sich an ihrem neunzehnten Geburtstag endgültig damit abfinden müssen, dass ihr Traum nicht in Erfüllung ging. Chris hatte sie seiner derzeitigen Freundin scherzend als „Polly, meine jüngere Ersatzschwester“ vorgestellt, und seine herzlich liebevolle Art hatte ihr bestätigt, dass seine Gefühle für sie rein brüderlicher Art waren. An jenem Tag hatte sie aufgehört, sich Träumen hinzugeben.

Wieder an der Universität hatte Polly sich Verabredungen nicht mehr entzogen, wie sie es während der ersten beiden Semester getan hatte. Doch die Rendezvous, auf die sie sich eingelassen hatte, hatten mit den verächtlichen Vorwürfen geendet, Polly sei frigide oder keine richtige Frau. Vergebens hatte sie versucht, sich Chris aus dem Kopf zu schlagen. Sie liebte ihn immer noch und war sicher, dass sich daran nie etwas ändern würde.

Und da sie nicht Chris’ Frau werden konnte, war es eigentlich gleichgültig, an wen sie sich band. Mit dieser nüchternen Überlegung hatte Polly sich schließlich einverstanden erklärt, Raschid zu heiraten und ihrer Familie aus der Klemme zu helfen. Und nachdem dies feststand, hatten alle „vergessen“, dass König Reija sie praktisch gekauft hatte, und taten so, als werde ihr eine große Ehre zuteil.

Doch nachdem Raschids Wagen jetzt vorgefahren war, fiel es Polly angesichts der brutalen Wirklichkeit schwer, zu diesem Entschluss zu stehen. Sie dachte daran, dass unten ein Fremder auf sie wartete, der ihr Ehemann werden sollte. Aber sie hatte ihr Wort gegeben und konnte nun keinen Rückzieher mehr machen. Polly erkannte, dass sie zum ersten Mal etwas tat, was ihre ehrgeizige Mutter stolz auf sie machte …

„Du hast dich ja noch gar nicht umgezogen!“, unterbrach Anthea entsetzt Pollys Grübeleien. „So kannst du dich Raschid doch unmöglich zeigen.“

Polly zuckte die Schultern. „So wie ich normalerweise ausschaue?“, entgegnete sie trocken. „Also ich finde, er soll ruhig sehen, was er bekommt. Ich bin nun mal kein Modepüppchen.“

„Mach jetzt bitte keine Schwierigkeiten, Liebling“, flehte Anthea, die in ihrem Seidenkostüm und dem Perlenschmuck zeitlos elegant wirkte. „Geh dich sofort umziehen!“

„Wo ist Raschid denn?“

„Im Arbeitszimmer bei deinem Vater. Wir haben die Einzelheiten der Hochzeit durchgesprochen. Natürlich findet die Trauung in der St.-Augustins-Kirche statt, aber hinterher soll in Dharein eine zweite Zeremonie folgen. Wir hatten eine sehr interessante Unterhaltung“, verriet Anthea. „Stell dir vor, Raschid hat das Gesicht seiner ersten Frau erst nach der Hochzeit zu sehen bekommen. Das ist in seiner Heimat so Sitte.“

Polly schauderte. Obwohl sie Raschid noch nicht einmal kennengelernt hatte, war der Trauungstermin offenbar schon beschlossene Sache! Und ihre Mutter tat so, als sei diese verrückte Situation etwas absolut Alltägliches. „Das ist ja barbarisch!“, rief Polly entsetzt.

„Ach was, Liebling!“, widersprach Anthea. „Immerhin hat Raschid mit der Tradition gebrochen und ist extra herübergeflogen, um dich vor der Hochzeit kennenzulernen. Was uns merkwürdig vorkommt, ist für ihn ganz normal.“

„Findest du es für einen zweiunddreißigjährigen Mann normal, dass sein Vater ihm im Ausland eine Braut sucht, die er noch nicht mal gesehen hat?“, hielt Polly hilflos dagegen. „Im Übrigen wüsste ich nicht, wieso er mir mit dem Besuch bei uns einen Gefallen tut.“

„Er ist ein Prinz, Polly.“

„Das ist mir egal.“

„Eltern wissen meist am besten, was für ihre Kinder gut ist.“ Antheas Stimme klang jetzt etwas schrill. „Vergiss nicht, was dein Vater gesagt hat … dass die Scheidungsrate bei Vernunftehen sehr niedrig liegt.“

Nach dieser energischen Erklärung brachte Anthea ihre Tochter in ihr Zimmer hinunter, wo das verhasste Kleid, ein zartrosa Georgettemodell, an der Schranktür hing. Anthea, einen Meter siebenundsiebzig groß und mit einer Mannequinfigur, mochte es stehen, doch Polly, die nur einen Meter fünfundfünfzig groß war, kam sich darin vor wie im Rüschenkleid auf einem Kindergeburtstag. Panik überfiel sie. „Ich kann das nicht durchstehen … Ich schaffe es einfach nicht!“, brachte sie verzweifelt hervor.

„Du hast Lampenfieber, Liebling“, redete Anthea beruhigend auf ihre Tochter ein. „Das ist doch ganz natürlich. Raschid bleibt einige Tage hier, sodass du Zeit hast, dich an die neue Situation zu gewöhnen. Du scheinst nicht zu wissen, wie glücklich du dich schätzen musst.“

„Glücklich?“, hauchte Polly.

„Jedes andere Mädchen gäbe viel darum, an deiner Stelle zu sein“, behauptete Anthea. „Ich habe mit achtzehn geheiratet und war mit neunzehn Mutter. Glaub mir, ich war sehr viel erfüllter und glücklicher als du mit deinem Studium. Wenn du dein erstes Baby in den Armen hältst, wirst du verstehen, was ich meine.“

Beim Gedanken, möglicherweise bald Mutter zu werden, wurde Polly kreidebleich. „Ein Baby?“

„Du bist doch sehr kinderlieb, und Raschid hat noch keine Kinder. Vielleicht war die arme Berah nicht in der Lage, ihm welche zu schenken.“ Anthea schien sich für das Thema zu erwärmen. „Raschids Vater wird schon ungeduldig auf einen männlichen Enkel warten, der die Thronfolge sichert. Bedenke doch, welches Ansehen du dann genießen wirst!“

Polly war unfähig, den Gedankengängen ihrer Mutter zu folgen. Kinder … dazu gehörte, dass sie mit Raschid schlief … Polly fühlte sich schrecklich elend. Die Vorstellung, in Dharein als Gebärmaschine betrachtet zu werden, war entsetzlich. Kein Wunder, dass König Reija sie, Polly, ausgesucht hatte. Immerhin stammte sie aus einer kinderreichen Familie und hatte vier Geschwister …

„Für sein Alter ist Raschid unglaublich welterfahren und charmant. Und er sieht einfach fabelhaft aus“, hörte sie ihre Mutter schwärmen. „Man braucht ihn nur anzuschauen, um zu erkennen, dass er ein Prinz ist. Er hat ausgezeichnete Manieren. Ich war ehrlich beeindruckt. Und wenn man bedenkt, dass er im Gegensatz zu seinem Bruder Asif nicht hier erzogen wurde, ist sein Englisch erstaunlich gut.“

Polly hatte das Gefühl, unter den Begeisterungsergüssen ihrer Mutter ersticken zu müssen.

„Ich stecke dir das Haar hoch, dann wirkst du größer, Liebling.“ Anthea machte sich daran, Pollys wallende Mähne mit Haarnadeln zu bändigen. „Stell dir vor, er hat faszinierend blaue Augen“, plauderte ihre Mutter weiter. „Am liebsten hätte ich ihn gefragt, von wem er die hat, aber das fand ich dann doch indiskret.“

Was interessierten Polly Raschids blaue Augen? Ihre Mutter war geblendet vom gesellschaftlichen Rang des zukünftigen Schwiegersohns. An ihm konnte es gar nichts auszusetzen geben. Selbst wenn er ein hässlicher Zwerg gewesen wäre, hätte Anthea etwas Nettes über ihn zu sagen gewusst. Schließlich war er ein Prinz!

„Ich bin überglücklich und unglaublich stolz auf dich, Polly.“ Antheas Augen schimmerten feucht. „Das Ganze ist so romantisch!“

Hilflos sah Polly zu, wie ihre Mutter sich mit einem Spitzentaschentuch über die Augen tupfte.

„Polly!“, ertönte die Stimme ihres Vaters von unten. „Wo bleibst du denn?“

Beim Verlassen ihres Zimmers kam Polly sich wie ein Opferlamm vor, das zur Schlachtbank geführt wird. Auf dem Treppenabsatz angekommen, entdeckte sie unten ihren Vater, der sie ungeduldig erwartete. Offenbar hatte er es eilig, sie mit ihrem Bräutigam bekannt zu machen. Sobald Ernest das hinter sich hatte, konnte er sich entspannen und so tun, als handelte es sich hier um eine ganz normale Brautwerbung.

Ernest Barrington nahm Pollys Hand und öffnete die Tür zum Arbeitszimmer weit. Als der weltgewandte, umgängliche Hausherr verkündete er: „Meine Tochter Polly.“

Seltsamerweise waren es die Augen des großen, schwarzhaarigen Mannes, die ihr als Erstes auffielen. Sie waren von einem ungewöhnlich hellen Blau … so klar wie Gletschereis. Er stand reglos am Kamin und sah Polly auf eine Weise an, die sie erschauern ließ. Ernest trat hüstelnd den Rückzug an, dabei schob er seine Tochter sanft, aber bestimmt über die Schwelle, sodass er die Tür schließen konnte.

Pollys Beine versagten ihr den Dienst, und sie blieb wie angewurzelt stehen. Stumm wartete sie, dass der Mann, den sie heiraten sollte, lächelte oder etwas Charmantes sagte. Als sie seine Musterung nicht mehr ertragen konnte, blickte sie auf die Blumenvase, die links neben ihm stand.

„So schüchtern kannst du doch gar nicht sein.“ Er sprach mit einem leichten Akzent, und seine samtige Stimme hatte einen ironischen Unterton. „Komm her.“

Steif ging Polly um ein Sofa herum. Raschid kam ihr nicht entgegen. Doch mit jedem Schritt, den sie auf ihn zu tat, erschien er ihr bedrohlicher. Er musste gut einen Meter achtzig groß sein.

„Und jetzt lass dein Haar herunter.“

Hilflos blickte Polly ihn an. „M…ein Haar?“

„Wenn du meine Frau werden willst, musst du lernen, meine Anordnungen zu befolgen“, erklärte Raschid. „Ich befehle, und meine Frau gehorcht.“

Wie versteinert stand Polly da. Er sagte das so selbstverständlich, als würde er über das Wetter sprechen. Einen so arroganten Mann hatte sie noch nie kennengelernt. Sie zuckte zusammen, als Raschid unvermittelt auf sie zu trat und die Finger in ihr Haar schob.

Verwirrt schloss sie die Augen. Der Mann war verrückt, und Verrückten widersetzte man sich besser nicht. Er war ihr so nah – viel zu nah für ihren Seelenfrieden –, dass ihr sein herbes Rasierwasser in die Nase stieg. Raschid zog ihr die Haarnadeln heraus und ließ sie achtlos fallen.

„Du bist erstaunlich gehorsam“, stellte er fest, während er ihr seidiges blondes Haar betrachtete.

Widerstrebend blickte sie auf und musterte ihn ängstlich, aber auch neugierig. Er war athletisch gebaut und sah umwerfend gut aus. Selbst Polly hätte ihm einen zweiten Blick gegönnt, wenn er ihr auf der Straße begegnet wäre. Hohe Wangenknochen unterstrichen seine aristokratischen Züge, seine Haut hatte einen leichten Bronzeton, und über den leuchtend blauen Augen wölbten sich dunkle Brauen.

Raschids Ausstrahlung war so stark, dass es Polly den Atem verschlug. Doch trotz seiner ernsten Miene und des weltmännischen Auftretens spürte Polly, dass dieser Mann etwas Raubtierhaftes, Gefährliches an sich hatte, und wich instinktiv einen Schritt zurück.

Raschids Augen zeigten keine Regung, als er die sinnlichen Lippen zu einem kühlen Lächeln verzog. „Deine Scheu erscheint mir übertrieben. Ehrlichkeit ist mir wichtiger als alles andere. Es wäre also besser, du benimmst dich natürlich.“

Polly schwieg.

„Du bist noch sehr jung“, fuhr Raschid fort. „Hast du wirklich eine Vorstellung von dem Leben, das du als meine Frau führen wirst?“

Jedes Mädchen mit auch nur einem Funken Verstand würde diese Gelegenheit nutzen, sich noch in letzter Minute aus der Affäre zu ziehen, schoss es Polly durch den Kopf. Warum tat sie es nicht? Weil sie sich freiwillig zu dieser Heirat bereit erklärt hatte, wie Maggie mit Recht zu bedenken gegeben hatte.

„Natürlich habe ich mir darüber Gedanken gemacht.“

„Du weißt vermutlich, dass ich die Investmentfonds meines Landes verwalte und häufig im Ausland zu tun habe, während du als meine Frau in Dharein bleibst. Auf diesen Reisen wirst du mich nicht begleiten“, betonte Raschid. „Und du wirst in meinem Land auch nur mit Frauen zusammen sein. Du darfst selbst nicht Auto fahren und den Palast nicht allein oder unverschleiert verlassen.“

Raschid schwieg kurz, ehe er weiterredete: „Von dem Augenblick an, in dem du meine Frau bist, darf dich ohne meine Zustimmung kein anderer Mann anschauen. Selbst bei uns zu Hause werden wir getrennt essen. Vielleicht hast du gehört, dass gewisse Mitglieder meiner Familie diese traditionellen Regeln nicht mehr ganz so streng befolgen. Ich gehöre nicht dazu. Darauf möchte ich dich ausdrücklich hinweisen.“

Polly nickte nur.

Raschid atmete hörbar aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dir bisher viele Einschränkungen auferlegt hat. Soweit ich weiß, laden deine Eltern oft Gäste ein.“

„An den Festen habe ich selten teilgenommen.“ Polly dachte daran, wie verärgert ihre Mutter gewesen war, als sie sich als Elfjährige in einem Schrank versteckt hatte, weil sie vor Freunden der Familie keine Gedichte aufsagen wollte.

Raschid zog missbilligend die Brauen hoch. „Wenn ich Empfänge gebe, wird dir nichts anderes übrig bleiben.“

Verständnislos sah Polly ihn an. „Aber du hast doch gerade gesagt, ich bekäme nie wieder einen anderen Mann zu Gesicht. Da darf ich doch gar nicht als Gastgeberin auftreten.“

Um Raschids Mundwinkel zuckte es leicht, aber er lächelte nicht. „Ich gebe zu, dass ich in diesem Punkt vielleicht etwas übertrieben habe“, verriet er. „Aber ich war überrascht, dass eine junge Frau, die in der westlichen Welt aufgewachsen ist, sich zu einer Vernunftehe mit einem Mann bereit erklärt, den sie noch nie gesehen hat. Da befürchtete ich, du könntest der irrigen Annahme sein, als meine Frau ein aufregendes Glitzerleben führen zu können.“

„Im Gegenteil. Ich rechne damit, dass es langweilig sein wird“, gestand Polly. Sie sah Raschids ungläubige Miene und setzte hinzu: „Also, ich meine nicht direkt langweilig, aber … eine arabische Ehefrau, die Bedienstete hat und nicht ausgeht …“ Polly stockte. „Nun ja, sie kann doch nicht viel zu tun haben …“

„Eine arabische Ehefrau ist damit beschäftigt, sich um das Wohlbefinden ihres Mannes zu kümmern“, bemerkte Raschid kalt.

„Aber du hast doch gesagt, du wirst nicht oft zu Hause sein“, wandte Polly ein.

Raschid lächelte spöttisch und ließ dabei blendend weiße Zähne sehen. „Damit wollte ich dich von vornherein darauf vorbereiten, dass ich dich nicht hofieren werde.“

Aber ich soll dich hofieren! dachte sie. Raschid war ein Chauvi der schlimmsten Sorte. Starr blickte Polly auf den Teppich. „Ja.“

„Unsere Ehe wird eine reine Zweckverbindung sein“, warnte Raschid hart. „Ich bin keine romantische Natur und kann dich nur darauf hinweisen …“

„Das ist mir klar“, unterbrach Polly ihn ruhig. „Du wärst nicht hier, wenn du romantisch veranlagt wärst. Meine Mutter hat anscheinend etwas gesagt, was dich befürchten lässt, ich könnte es sein. Aber das ist nicht der Fall.“

Merkwürdigerweise schien Raschid diese Versicherung nicht zu gefallen, denn er machte ein grimmiges Gesicht. „Das hätten wir auch geklärt. Wir sind uns einig, Polly. Beklage dich also nicht über Vernachlässigung, wenn ich laufend geschäftlich beansprucht werde.“

Das hörte sich ja so an, als würde sie Raschid höchstens einmal die Woche zu Gesicht bekommen! Polly lächelte. „Nein, ich werde mich nicht beklagen.“

„In ganz Dharein hätte ich offenbar keine anpassungsfähigere, unterwürfigere Braut finden können“, bemerkte Raschid. „Aber ich warne dich jetzt schon … falls sich herausstellt, dass wir nicht zusammenpassen, lasse ich mich scheiden.“

Das war mehr, als Polly zu hoffen gewagt hätte. Gab es überhaupt etwas, was sie und Raschid gemeinsam hatten? Er machte ihr Angst. In fast jeder seiner Erklärungen und Forderungen schwang eine Drohung mit.

„Dagegen hast du also auch nichts einzuwenden?“, vergewisserte sich Raschid. „Es stört dich nicht, so zu leben, und du wärst damit zufrieden?“

„Bist du es denn?“ Polly blickte unvermittelt auf und begegnete Raschids Blick. Der Ausdruck in seinen Augen jagte ihr einen Schauer über den Rücken und verwirrte sie.

Raschid lächelte kühl. „Wie könnte ich von deiner Schönheit unbeeindruckt bleiben?“

Polly schwieg. Das war vermutlich eine Kostprobe des Charmes, von dem ihre Mutter gesprochen hatte, und hatte nichts weiter zu bedeuten.

„Dennoch muss ich dir sagen, dass ich von Eheschließungen zwischen Menschen aus Ost und West nichts halte“, fuhr Raschid fort. „Ich werde dich rücksichtsvoll behandeln, meinen Lebensstil jedoch in keiner Weise ändern. Das heißt, dass du dich umstellen und meinen Bedürfnissen anpassen musst. Fühlst du dich dieser Bedingung gewachsen?“

Plötzlich kam Polly ein seltsamer Verdacht. Legte Raschid es etwa darauf an, sie von dieser Heirat abzubringen? Aber dann hätte er doch wohl kaum diese weite Reise gemacht. Außerdem musste eine Zurückweisung für einen Mann seines Standes untragbar sein. Nein, diese Möglichkeit schied wohl aus. Pollys Ängste kehrten zurück. Sie schauderte bei dem Gedanken an ein Leben in einem fremden Land, wo sie gezwungen sein würde, sich anderen Sitten und Gebräuchen anzupassen – völlig der Gnade eines Mannes ausgeliefert, der alles forderte und selbst nichts zu geben bereit war.

„Ich werde mein Bestes versuchen“, erwiderte Polly leise. Sie hasste Raschid in diesem Moment mit jeder Faser ihres Herzens, weil er sie in ihrer Furcht vor dem Unbekannten nur noch bestärkt hatte. Polly graute vor dem Dasein, das er ihr geschildert hatte.

Obwohl sie den Kopf gesenkt hatte, spürte sie, dass Raschid sie beobachtete. „Mehr kann ich von dir nicht verlangen“, erklärte er sachlich. „Hoffen wir, dass die Opfer, die du bringen musst, die hohe Stellung aufwiegen, die du als meine Frau genießen wirst. Da ich mich ausreichend vergewissert habe, dass du dir über die Art unserer zukünftigen Beziehung im Klaren bist, halte ich ein nochmaliges Zusammentreffen für überflüssig.“

Polly hob überrascht den Kopf. „Aber du wirst doch … noch eine Weile bleiben?“

„Das ist leider nicht möglich. Heute Abend fliege ich nach New York weiter“, ließ Raschid sie wissen. „Und mein Terminkalender erlaubt mir auch nicht, vor der Hochzeit zurückzukehren.“

Benommen sah Polly zu, wie Raschid ihr Handgelenk umfasste und ihr ein elegantes Armband überstreifte.

„Dein Verlobungsgeschenk“, erklärte er.

Der mit Edelsteinen besetzte Goldreif war mit altertümlich anmutenden Hieroglyphen verziert und erinnerte Polly an ein Sklaveneisen. Tapfer versuchte sie, sich zu bedanken.

Raschid hob ihr Kinn, sodass sie gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand glitt er sanft über die Konturen ihres Kinns und betrachtete ihr Gesicht. Unfähig, sich zu rühren, spürte sie, wie ihr unter seinem Blick heiß und kalt wurde.

Unvermittelt ließ Raschid seine Hände sinken und lächelte zufrieden. „Ich glaube, du wirst eine sehr sinnliche Geliebte sein, Polly. Ich warte ungeduldig auf den Moment, in dem ich dich in meinem Bett haben werde.“

Hätten Pollys Eltern in diesem Moment den Raum nicht betreten, wäre sie auf der Stelle geflohen. Eine tiefe Röte überzog Pollys Wangen, und hastig wich sie zurück.

Freundlich wandte Raschid sich ihren Eltern zu. „Sie haben wirklich nicht zu viel versprochen. Ihre Tochter ist eine kostbare, unbezahlbare Perle. Ich muss mich sehr glücklich schätzen, eine so vollkommene Braut mein Eigen nennen zu dürfen.“

2. KAPITEL

Die Orgel spielte Purcell, während Polly blass durch den Mittelgang des Kirchenschiffs schritt. Sie vermied es, den großen elegant gekleideten Mann anzusehen, der sie vor dem Altar erwartete. Die hektischen Hochzeitsvorbereitungen der letzten beiden Wochen hatte Polly in einem seltsam distanzierten Zustand erlebt, in dem nichts wirklich an sie herangekommen war.

Sie dachte an die Enttäuschung ihrer Eltern, als sie erfuhren, dass Raschid nicht als Gast in ihrem Haus bleiben, sondern umgehend nach New York weiterfliegen würde. Dennoch hatten sie seine Entscheidung respektiert und würden nicht einmal an der zweiten Zeremonie in Dharein teilnehmen. Polly schauderte. Sobald sie die Kirche verlassen hatte, würde sie völlig auf sich selbst gestellt sein.

Asif, Raschids jüngerer Bruder zu seiner Rechten, lächelte Polly am Altar aufmunternd zu. Scheu senkte sie den Blick. Sie hörte die Worte des Pfarrers, aber ihre Bedeutung drang nicht zu Polly durch. Neben ihr stand ein Mann, für den sie nur eine sexuelle Ware war, die er gekauft hatte. Ein eisiger Schauer überlief Polly.

Raschid hatte ihr brutal klargemacht, dass außerhalb des Schlafzimmers in seinem Leben kein Platz für sie sei. Alles in ihr war wie tot gewesen, als er sie auf diese begehrlich abschätzende Weise gemustert hatte …

Sie hatten die Kirche verlassen und die Treppe erreicht, da entdeckte Polly Chris. Sein Winken riss sie aus ihrer seelischen Erstarrung. Drei Monate waren vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Verbitterung stieg in Polly auf. Chris hätte in diesem Augenblick an ihre Seite gehört. Die Trauung mit diesem Fremden, der sie jetzt als seine Ehefrau betrachtete, war eine Farce …

Ohne sich um den Fotografen zu kümmern, der mit schussbereiter Kamera bereitstand, eilte Polly spontan die Stufen hinunter auf den schlanken blonden Mann zu, der ihr zulächelte. „Tante Janice hat gesagt, du könntest wahrscheinlich nicht kommen“, erklärte sie atemlos.

Chris lachte. „Nicht mal zehn Pferde hätten mich davon abhalten können, zu deiner Hochzeit zu erscheinen. Du siehst bezaubernd aus.“ Chris ergriff ihre Hände und betrachtete Polly bewundernd von Kopf bis Fuß. „Was ist aus deinen ehrgeizigen Karriereplänen geworden?“

„Das weiß ich auch nicht.“ Sie lächelte verkrampft, obwohl sie den Tränen nahe war.

„He, eine glückliche Braut weint doch nicht.“ Chris sprach in neckendem Ton, aber er blickte sie ernst an. „Blitzhochzeit oder nicht, ich hoffe, er ist der Richtige. Du hast nur das Allerbeste verdient.“

Pollys Brust zog sich schmerzlich zusammen. Chris wäre entsetzt gewesen, wenn er die Wahrheit über diese Heirat gewusst hätte. Doch aus Stolz schwieg Polly. Brauchte sie noch mehr Beweise, dass sie Chris als Frau gleichgültig war? Er würde unbeschwert auf ihrer Hochzeit tanzen und nie erfahren, was sie für ihn empfand. „Mit weniger hätte ich mich auch nicht zufriedengegeben.“ Polly lächelte Asif zu, der sich zu ihnen gesellte.

„Tut mir leid, aber ich muss die Braut entführen“, kündigte er an. „Der Fotograf wird ungeduldig.“ Polly machte ein schuldbewusstes Gesicht. „Du meine Güte, den habe ich völlig vergessen!“

Während Asif Polly zurückbegleitete, bemerkte er locker: „Vergessen Sie auch andere? Zum Beispiel Ihren frischgebackenen Ehemann? Entschuldigen Sie, dass ich mich einmische, aber es ist nicht sehr taktvoll, sich mit ehemaligen Freunden abzugeben, wenn Raschid dabei ist. Damit handeln Sie sich nur Ärger ein. Eins muss ich Ihnen jedoch lassen: Sie haben meinen Bruder verblüfft. Das passiert ihm nicht alle Tage.“

Widerstrebend sah Polly Raschid an. „Tut mir leid“, log sie. Seine Miene war grimmig. „Du scheinst nicht zu wissen, wie du dich in der Öffentlichkeit zu benehmen hast“, warf er ihr eisig vor. „Aber das wirst du noch lernen.“

Polly fühlte sich bevormundet und reagierte scharf. „Was bildest du dir eigentlich ein …“

„Respektlosigkeit dulde ich nicht!“, unterbrach er sie. Wütend drehte sie sich um und wollte ihn einfach stehen lassen, doch Raschid packte ihre Hand und hielt Polly zurück.

Energisch befreite sie sich aus seinem Griff und zischte zornig: „Was tust du eigentlich, wenn du nicht gerade Frauen drangsalierst, die dir kaum bis zur Schulter reichen?“

Das Glitzern in Raschids Augen erschreckte Polly. Wenn sie nicht von Leuten umgeben gewesen wären, hätte sie sich vor ihm gefürchtet. Schuldbewusst musste sie sich eingestehen, dass sie ihn hasste, weil er nicht Chris war. Hastig zog sie sich zurück.

„Himmel, wie ist es denn dazu gekommen?“, flüsterte Maggie, die die Szene aus einigen Metern Abstand beobachtet hatte.

„Mein Frischangetrauter scheint ziemlich schnell aus der Haut zu fahren.“ Polly blickte über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Raschid ihr nicht gefolgt war. Sie hatte das bedrückende Gefühl, nun endgültig in der Falle zu sitzen.

Auf der Rückfahrt zum Empfang in Ladybright hätte Polly sich bei Raschid entschuldigen können, aber sie tat es nicht. Angespannt und schweigend saß sie neben ihm und haderte mit dem Schicksal. Das Wiedersehen mit Chris und die Erkenntnis, ihn endgültig verloren zu haben, hatten Polly völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.

Beim Hochzeitsbankett nahm sie kaum Notiz von Raschid. Die Spannung zwischen ihnen wurde unerträglich. Polly brachte kaum einen Bissen hinunter, dafür sprach sie dem Champagner tüchtig zu. Ihr wurde nicht einmal bewusst, wie viel sie trank.

Als die Tischordnung aufgelöst wurde und die Gäste sich in Gruppen zusammenfanden, gesellte sich Polly, die sich nach dem Essen früher gleich zurückgezogen hatte, zu einigen Leuten und unterhielt sich angeregt mit ihnen. Erstaunt stellte sie fest, dass sie jetzt nicht mehr in Grabesstimmung war, sondern über einen von Chris’ Medizinerwitzen sogar schallend lachen konnte.

Schließlich nahm ihre Schwester sie beiseite. „Du musst dich jetzt umziehen gehen, Polly“, flüsterte Maggie und lotste sie aus dem Raum. „Was ist nur in dich gefahren? Du bist ja beschwipst! Mutter hat es zum Glück noch nicht gemerkt. Sie geht herum und erzählt jedem, der es hören will, wie unglaublich die Ehe das Selbstbewusstsein einer Frau stärkt.“

Polly hielt sich am Geländer fest und widersprach würdevoll: „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie zu viel Alkohol getrunken.“

„Deshalb ist er dir auch prompt zu Kopf gestiegen. Wie konntest du nur?“, jammerte Maggie und bugsierte Polly in ihr Zimmer.

„Sogar ich habe mitbekommen, dass Raschid sauer ist. Ist dir gar nicht aufgefallen, dass er im Gegensatz zu seinem Bruder keinen Tropfen Alkohol angerührt hat? Es passt einfach nicht zu dir, wie du dich aufführst.“

„Schließlich bin ich jetzt eine selbstbewusste verheiratete Frau.“ Polly wirbelte so temperamentvoll herum, dass sie um ein Haar über ihre Schleppe gestolpert wäre. Benommen hielt sie still, bis Maggie den zarten Schleierstoff entwirrt hatte. „Ich kann bestens auf mich selbst aufpassen und lasse mich nicht gängeln!“, brüstete Polly sich.

„Du bist unmöglich!“ Maggie versuchte, den Reißverschluss des Brautkleides hinunterzuziehen. „Manchmal merkst du einfach nicht, was du anrichtest, Polly. Als Raschid dich in der Kirche sah, konnte er den Blick nicht von dir abwenden. Und das ist kein Wunder, denn du hast wirklich super ausgesehen! Aber vorhin hat Raschid ein Gesicht gemacht … also, ich an deiner Stelle würde mich bei ihm entschuldigen.“

„Unsinn“, winkte Polly ab. „Damit fange ich gar nicht erst an.“ Maggie ließ sich nicht beirren.

„Und was Chris betrifft, der ständig um dich herumscharwenzelt ist …“

„Na und?“ Polly wandte sich ab. Wann würde sie Chris wiedersehen? War es nicht verständlich, dass sie die letzte Gelegenheit nutzte, mit ihm zusammen zu sein?

Besorgt runzelte Maggie die Stirn. „Er hat dich angeschaut … So habe ich ihn noch nie erlebt, wenn er mit dir zusammen war.“ Polly hatte davon nichts bemerkt. Wäre es nicht verrückt, wenn Chris ausgerechnet an dem Tag, an dem ich einen anderen heirate, erkennt, dass ich eine begehrenswerte Frau bin? schoss es ihr durch den Kopf.

Nachdem Polly in einem eleganten Reisekostüm zurückgekehrt war, musste sie von der Eingangstreppe des Hauses nach alter Sitte den Brautstrauß unter die versammelten Gäste werfen. Die Gesichter verschwammen etwas vor Pollys Augen, und sie schwankte leicht, als sie das Gebinde schleuderte. Die Stufen zu bewältigen, kam ihr vor, als ginge sie eine Rolltreppe in der falschen Richtung hinunter. Auf der untersten Stufe stolperte sie, aber starke Arme fingen sie auf.

„Ups!“ Polly kicherte und begegnete Raschids eisigem Blick. „Komm ja schon“, versprach sie mit schleppender Stimme. „Nur keine Sorge.“

Der Schluckauf begann auf der Fahrt zum Flughafen. Entsetzt hielt Polly sich die Hand vor den Mund, und ihre Hochstimmung begann abzuflauen. Erst jetzt wurde Polly bewusst, dass Raschid die ganze Zeit über nicht gesprochen hatte. Als sie in die luxuriöse Salonkabine des Privatjets geführt wurde, sah sie Raschid bittend an, aber er bedachte sie nur mit einem vernichtenden Blick. Ihr war zum Weinen zumute. Hilflos suchte sie nach Worten der Entschuldigung. Nachdem die Maschine abgehoben hatte, brachte Polly sie stockend hervor.

Raschid stand auf und zog sie auf die Füße. „Du bist betrunken!“, stellte er verächtlich fest.

„Beschwipst“, berichtigte sie ihn matt, und plötzlich kamen ihr die Tränen.

Als Raschid sie ebenso unvermittelt wieder freigab, sank Polly auf ihren Sitz zurück. Beschämt wurde ihr bewusst, dass Raschid recht hatte, und sie versuchte erneut, sich zu entschuldigen. Unter dem Einfluss des Champagners hatte sie ihre Furcht vor Raschid verloren, doch jetzt kehrte sie zurück.

„Sei still!“, unterbrach er sie schroff. „Es war schon traurig genug, dass ich mich mit einer Braut abfinden muss, die sich für Geld verkauft. Aber dass du es wagst, dich als meine Frau so unmöglich aufzuführen, ist der Gipfel!“

„Es tut mir leid“, brachte Polly schluchzend hervor.

„Ich sagte, du sollst still sein!“, wies Raschid sie eisig zurecht. „Du hast mich getäuscht, dafür wirst du büßen. Nach deinem beschämenden Auftritt verbiete ich dir, den Palast zu verlassen!“

„Das hatte ich sowieso nicht vor!“ Pollys Tränen flossen noch heftiger.

„Ich erkenne dich solange nicht öffentlich als meine Frau an, bis du gelernt hast, dich wie eine Dame zu benehmen“, fuhr Raschid unbarmherzig fort. „Ein so schauderhaftes Verhalten, wie du es heute an den Tag gelegt hast, habe ich in meinem ganzen bisherigen Leben an keinem anderen Menschen beobachtet!“

Die Abkanzelung gab Polly den Rest. Die aufgestauten Gefühle, Ängste und Spannungen der letzten Tage brauchten ein Ventil. „Ich … hasse dich!“, rief sie außer sich. „Wie kannst du es wagen, mich zu beleidigen? Ich habe mein Bestes gegeben! Ich habe sogar versucht, dich nicht merken zu lassen, dass du der Letzte wärst, den ich geheiratet hätte … Aber wegen des Geldes blieb mir ja nichts anderes übrig! Und wenn du mich auch nicht willst, umso besser! Du bist ein herrischer, gefühlloser Tyrann! Ich werde deinen Vater auf Knien anflehen, mich des Landes zu verweisen. Kein Wunder, dass du dir in England eine Frau suchen musstest!“

Raschid stand wie vom Donner gerührt da und sagte kein Wort. Polly drückte sich tiefer in die Polsterung und blinzelte aus tränennassen Augen zu ihm auf. „Keine Frau, die auch nur halbwegs bei Trost ist, würde dich heiraten, um den Rest ihres Lebens in Ketten zu verbringen. Und dabei dürfte sie sich noch nicht mal anmerken lassen, wie glücklich sie ist, wenn du möglichst weit fort bist …“

„Ich finde, es wird Zeit, dich auszunüchtern.“ Raschid beugte sich über Polly, aber sie war schneller.

Mit einem durchdringenden Schrei schoss sie blitzschnell von ihrem Sitz hoch, flüchtete in die äußerste Ecke der Couch und riss sich einen Schuh vom Fuß, um ihn als Waffe zu ihrer Verteidigung zu benutzen.

Die Kabinentür flog auf, und der Steward und die Stewardess stürmten herein. Polly war in einer Verfassung, in der sie nichts mehr in Verlegenheit bringen konnte. Voller Angst kauerte sie sich tränenüberströmt in die Couchecke.

Raschids Gesicht rötete sich. Er sprach zu den beiden auf Arabisch, dann schickte er sie fort. Beherrscht wandte er sich Polly zu, nahm ihr den kampfbereit gepackten Schuh aus der Hand und warf ihn beiseite. „Einer Frau gegenüber würde ich niemals Gewalt anwenden“, erklärte er geringschätzig.

„Ich bin so betäubt, dass ich es sowieso nicht spüren würde“, flüsterte Polly verstört.

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hob Raschid sie von der Couch auf. „Am besten, du schläfst erst mal und beruhigst dich.“ Damit trug er Polly ins Schlafabteil und legte sie unerwartet sanft auf das Bett. Nachdem er ihr den zweiten Schuh abgestreift hatte, drehte er sie gelassen um und zog den Reißverschluss ihres Kleides herunter.

Polly spürte einen kühlen Lufthauch im Rücken und wollte sich entsetzt wegrollen, aber Raschid hielt sie fest. „Glaubst du wirklich, es könnte mich reizen, dich in diesem Zustand zu lieben? Ein hysterisches Kind weckt bei mir keinerlei Verlangen.“

Raschid merkte, dass Polly ihren Widerstand aufgegeben hatte, und setzte sich zu ihr aufs Bett, um ihr das Kleid auszuziehen. Als sie im Unterrock zitternd vor ihm lag, deckte er sie behutsam zu. Polly begann, sich von dem schockierenden Zwischenfall zu erholen, und verspürte Reue. Sie hatte Raschid nicht nur vor dem Personal blamiert, sondern ihm auch unrecht getan.

Beschämt flüsterte sie: „Ich weiß nicht, was plötzlich über mich gekommen ist …“

„Du brauchst mir nichts zu erklären. Ich hätte merken müssen, dass du Angst hast, und darauf Rücksicht nehmen sollen. Aber ich habe auch Gefühle, Polly“, gab er zu bedenken. „Geldgier passt zu einer Geliebten, aber nicht zu einer Ehefrau. Deswegen habe ich dir wenig Grund gegeben, dich über den Handel zu freuen.“

Polly spürte plötzlich, dass sich hinter Raschids kühler Unnahbarkeit eine empfindsame Seele verbarg. Zum ersten Mal hatte sie das Bedürfnis zu erfahren, was in ihm vorging. War er verbittert? Enttäuscht? Sein Zorn war jedenfalls verraucht. Instinktiv fühlte sie, dass Raschid etwas belastete, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, worum es sich handeln könnte.

Raschid verachtete sie, weil sie ihn nur des Geldes wegen geheiratet hatte. Ihre Gründe für diesen Entschluss interessierten ihn nicht. Und die Enthüllung, dass sie einen anderen Mann liebte, würde seine Meinung von ihr nicht bessern. Beschämt sagte Polly: „Ich hatte das vorhin nicht so gemeint.“

Raschid zog die Brauen hoch. „Du brauchst mir nichts vorzumachen. Eins wüsste ich aber gern: Warum hast du mich überhaupt geheiratet, wenn du so denkst?“

Polly brachte es nicht über sich, sich als Märtyrerin hinzustellen und Raschid von dem finanziellen Dilemma ihrer Eltern zu erzählen.

Als sie nicht antwortete, strich Raschid ihr seufzend eine blonde Locke aus dem Gesicht. „Dein Anblick bereitet mir Vergnügen. Und obwohl du das Gegenteil behauptest, könnte ich deine Abneigung gegen mich schnell ins Gegenteil verwandeln, Polly. Wenn du mich ansiehst, merke ich, dass du mich begehrst.“

„Das ist nicht wahr!“, widersprach sie heftig.

Raschid strich mit der Fingerspitze langsam über ihre Unterlippe. „Oh doch, es ist wahr, meine kleine Polly.“

Sie war sich seiner Nähe überstark bewusst. „Du bist nicht mehr wütend?“, flüsterte sie.

„Das verdankst du deiner Schönheit. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, dass die menschliche Natur nicht vollkommen ist, und erst recht nicht die weibliche“, erklärte Raschid ruhig. „Von dir erwarte ich kein falsches Lächeln, das Zärtlichkeit und Verständnis verheißt. Gib dich mir gegenüber so, wie du wirklich bist und denkst. Das werde ich respektieren.“

Raschid stand auf. „Vergessen wir, was heute war. Ich nehme an, du wusstest nicht, was du tatest. Wenn ich das von vornherein erkannt hätte, wäre ich mit dir nicht so grob umgesprungen.“

Raschids Gelassenheit beeindruckte Polly. Sie spürte, dass sich hinter seiner kühlen, distanzierten Art eine starke Persönlichkeit verbarg. Er hatte kein einziges Mal die Beherrschung verloren, während sie sich schrecklich aufgeführt hatte. Er hatte sogar begriffen, warum sie so hysterisch reagiert hatte.

Es klopfte an der Tür. „Vermutlich wird das Essen gebracht, das ich für dich bestellt habe“, erklärte Raschid. „Du hast vorhin kaum etwas angerührt, Polly. Außerdem habe ich dir ein Getränk mixen lassen, das dich wieder auf die Beine bringen wird. Asif hat mir beim Abschied versichert, die Mischung sei ein unfehlbares Mittel gegen den Kater. Trink. Danach versuche zu schlafen.“

Polly verspürte Gewissensbisse. Raschid hatte sie so einfühlsam behandelt, wie es in dieser Situation nur wenige Männer getan hätten. Sie erkannte, dass sie sich kindisch benommen hatte, und schämte sich.

Beim Erwachen fühlte Polly sich wunderbar entspannt und frisch. Erst als sie sich bewegte und dabei an einen harten Schenkel stieß, fiel ihr wieder ein, wo sie sich befand. Verwirrt rollte sie sich zur Seite und blickte sich um.

„Guten Morgen, Polly.“ Raschid stützte sich auf einen Ellenbogen und lachte über ihre erschrockene Miene. Das schwarze Haar stand ihm wild zerzaust vom Kopf weg, und an Wangen und Kinn sprossen Bartstoppeln. Aber er sah umwerfend gut aus, wie Polly sich eingestehen musste.

„Komm wieder zu mir“, forderte er sie lächelnd auf. „Oder muss ich dich holen?“

„Holen?“, wiederholte sie matt.

Raschid legte ihr den Arm um die Taille und wollte sie zu sich herüberziehen.

„Nein!“, wehrte Polly entsetzt ab.

„Ja.“

„Nein … ich meine es ernst!“

Raschid schob die andere Hand in ihre seidigen Strähnen und blickte ihr fest in die Augen. „Ich auch, Polly.“ Er drückte sie an sich. „Du hast nichts zu befürchten, nur viel zu entdecken“, versprach er mit sinnlicher Stimme.

Polly stemmte die Finger gegen seinen nackten Oberkörper, nahm sie jedoch hastig wieder fort. Als Raschid sich über sie beugte, lag in seinen blauen Augen ein Ausdruck, der sie unfähig machte, sich zu wehren. Jetzt streifte Raschid ihre Lippen mit seinen. Polly lag zitternd und steif in seinen Armen, während er ihren Hals mit zarten Küssen bedeckte und ihren Rücken sanft streichelte.

Sie hatte das Gefühl, unter seinen Liebkosungen dahinzuschmelzen, und in ihrem Schoß prickelte es seltsam. Aufreizend packte Raschid ihre Hüften und drückte sie an sich, sodass sie sein Verlangen spüren konnte. Sofort verkrampfte sie sich, doch er liebkoste die empfindsame Stelle an ihrem Ohr mit dem Mund, bis Polly sich lustvoll seufzend zurücklegte und sich den erregenden Empfindungen hingab.

Sie war wie berauscht. Das war es, was sie sich insgeheim zu fühlen gewünscht hatte, aber … Sie konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, weil Raschid jetzt die Rundungen ihrer Brüste sanft zu erkunden begann. Polly stöhnte leise auf und hob sich ihm verlangend entgegen, doch er zog sich unerwartet zurück.

Benommen merkte Polly, dass sie die Finger in Raschids Haar geschoben hatte, als wolle sie ihn daran hindern, sich von ihr zu lösen.

Er zeichnete mit der Fingerspitze die Konturen ihrer Lippen nach. „Ich würde am liebsten die Freuden der Hochzeitsnacht gleich jetzt mit dir genießen, Polly.“ Er richtete sich auf und blickte ihr in die Augen. „Aber das wäre unklug. Jetzt weißt du aber immerhin, dass du heute Nacht keine Angst vor mir zu haben brauchst.“ Damit schlug er die Decke zurück und stieg aus dem Bett.

Heute Nacht. Pollys Wangen begannen zu brennen. Sie hatte dagelegen und Raschid gewähren lassen … ohne ihm den geringsten Widerstand entgegenzusetzen. Aber ein erfahrener Mann wie er hatte natürlich leichtes Spiel mit ihr. Bei ihm war alles so ganz anders als bei den ungeduldigen Kommilitonen, die nur an sich gedacht, sie tollpatschig betastet und vergeblich versucht hatten, die gleiche Leidenschaft in ihr zu wecken. Während dieser peinlichen Begegnungen hatte Polly nie begriffen, was sie eigentlich hätte empfinden sollen.

Doch in Raschids Armen hatte sie es erfahren. Bei Chris hätte sie das nicht überrascht, aber Raschid war nicht Chris und hatte mit ihm nicht das Geringste gemeinsam. Außerdem konnte Polly sich auch nicht daran erinnern, sich je gewünscht zu haben, von Chris so berührt zu werden. Die Erkenntnis erschreckte sie.

Sie hatte sich viele zärtliche Situationen mit ihm ausgemalt, dabei jedoch niemals an sexuelle Intimität gedacht. Bei Chris hatte sie sich sicher und geborgen gefühlt, aber als Liebhaber konnte sie ihn sich irgendwie nicht vorstellen …

Raschid hingegen hatte ihr mit der Geschicklichkeit des erfahrenen Mannes mühelos gezeigt, was körperliches Begehren war – ein übermächtiges, fast schmerzliches Verlangen, über das man keine Kontrolle besaß, das alle Bedenken und Zweifel auslöschte.

Raschid hatte von der Hochzeitsnacht gesprochen, die noch folgen sollte. Erst in diesem Moment begriff Polly die volle Tragweite ihrer Eheschließung, und Panik überfiel sie. Wie konnte sie mit einem Mann schlafen, der im Grunde ein Fremder für sie war …

Polly saß aufrecht im Bett, als Raschid aus dem Duschraum zurückkehrte und sich das Haar trockenfrottierte. Beim Anblick seines nackten Oberkörpers wurde ihr heiß, und hastig schaute sie weg.

„Wir müssen miteinander reden“, sagte Polly leise. „Ja?“

Nervös holte sie Luft. „Du hast mir vorhin deutlich zu verstehen gegeben, dass ich für dich nicht die Frau bin, die du brauchst. Vielleicht möchtest du das Ganze ja abblasen …“

„Abblasen?“

„Die Annullierung unserer Ehe beantragen.“

Zu Pollys Verblüffung lachte Raschid. „Soll das ein Witz sein?“ Würdevoll hob sie den Kopf. Raschid hatte sich ein wallendes weißes Gewand übergeworfen und wirkte in der Kleidung seines Landes seltsam fremd. „Ich versuche nur, dir entgegenzukommen“, erklärte Polly.

„Fällt dir dieses Entgegenkommen nicht ein bisschen spät ein?“, entgegnete Raschid trocken.

Polly überlegte blitzschnell. Sie hatte den Vorschlag ohne Hintergedanken gemacht. Raschid unterstellte ihr jetzt bestimmt, sie wolle aussteigen, nachdem sie das Geld kassiert hatte. „Aber du hast doch erklärt, dass du mich nicht anerkennen willst“, gab sie zu bedenken.

„Auch ich sage so manches im Zorn, was ich nicht so meine. Ich bin ziemlich sicher, dass du gewöhnlich nicht so viel trinkst. Und selbst wenn es so wäre …“, Raschid lächelte nachsichtig, „… hättest du in Dharein keine Möglichkeit, dieses Laster zu pflegen.“

„Ich begreife dich nicht!“

„Bisher haben wir uns bei unseren Begegnungen beide nicht normal benommen“, erwiderte Raschid gelassen. „Außerdem ist es lächerlich, von Annullierung zu sprechen, nachdem wir gerade erst geheiratet haben.“

Polly ließ nicht locker. „Weshalb? Wenn die Gründe dafür ausreichen.“ Sie beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. „Dir ist es völlig gleichgültig, was ich empfinde, nicht wahr?“

Raschid musterte sie kühl. „Soll ich ganz offen sein? Als ich zu euch nach Hause kam, hatte ich keine Ahnung, was mich dort erwartete. Ich wollte gar nicht heiraten.“

„Wie bitte?“ Polly traute ihren Ohren nicht.

„Du hast richtig gehört. Im Übrigen kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Mitteilung dich überrascht.“

Polly schwieg betroffen. Raschid hatte sie gar nicht heiraten wollen. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Fassungslos musterte Polly ihn. „Warum bist du dann überhaupt gekommen?“

„Ich musste ein Versprechen halten und hoffte, du würdest dich weigern, meine Frau zu werden.“ Raschid lächelte zynisch. „Aber diese Hoffnung schmolz schnell dahin. Ganz gleich, wer und wie ich war, du und deine Familie, ihr hättet meinen Antrag in jedem Fall angenommen. Aber es hat keinen Sinn, sich über etwas den Kopf zu zerbrechen, das sich nicht ändern lässt. Du bist wunderschön. Insh’allah. Es hätte schlimmer kommen können.“

Polly fuhr auf. „Es hätte schlimmer kommen können“, äffte sie Raschid wütend nach. „Mit dieser Einstellung hast du mich geheiratet? Glaube ja nicht, du könntest jetzt noch auf deine ehelichen Rechte pochen.“

„Wir mögen von dieser Heirat beide nicht begeistert gewesen sein, aber das wird sich kaum auf das Ehebett auswirken. Dort benimmst du dich zum Glück völlig natürlich.“

„Komm mir bloß nicht damit! Du hast mich doch einfach überrumpelt. Ich hatte doch keine Ahnung, was für ein Spiel du mit mir spielst!“, hielt Polly ihm scharf vor.

„Jetzt weißt du es.“ Raschid sprach sachlich und beherrscht. „Kleide dich bitte angemessen für die Audienz bei meinem Vater. Wir landen bald.“ Daraufhin verließ Raschid den Schlafraum.

Pollys Zorn war verflogen. Jetzt kämpfte sie gegen die Tränen an. Was Raschid ihr so kaltblütig eröffnet hatte, war einfach unglaublich. Prinz Raschid Ibn Saud al Azarin hatte sie auch nicht heiraten wollen! Warum ist er überhaupt nach Ladybright gekommen? fragte Polly sich aufgebracht.

Hatte er sich aus Ehrgefühl heraus an das Versprechen gebunden gefühlt? Und nachdem er ihr zu spät die Augen geöffnet hatte, tat er jetzt auch noch so, als hätten sie, Polly, und ihre Familie ihn zur Heirat gedrängt. Nun verstand sie, weshalb Raschid sich bei der ersten Begegnung so abweisend verhalten hatte. Der Verdacht, den sie einen Moment lang gehegt hatte, war also doch richtig gewesen. Dieser arrogante Mann hatte tatsächlich versucht, sie von der Heirat abzubringen!

Aber warum hatte Raschid es trotz seiner Abneigung dazu kommen lassen? Offenbar, weil ihr Aussehen ihn für sein „Opfer“ entschädigte. Für ihn war sie nur ein sexuelles Spielzeug, ein Betthäschen …

„Wir werden uns so schnell wie möglich scheiden lassen“, verkündete Polly, als sie die Salonkabine wieder betrat. Sie trug ein bodenlanges zartgrünes Kleid, das ihre schlanke Figur umschmeichelte.

„Bitte sei nicht kindisch, Polly.“ Raschid saß am Schreibtisch und blickte nur flüchtig von den Unterlagen auf, die vor ihm lagen.

Es ärgerte Polly, dass er kaum Notiz von ihr nahm. Kampflustig trat sie näher und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn du nur nach Ladybright gekommen bist, um das verrückte Versprechen deines Vaters einzulösen, ist mein Vorschlag nicht kindisch, sondern die einzig vernünftige Lösung.“

Raschid hob den Kopf und musterte Polly kühl. „Ich gebe zu, dass das Versprechen … ungewöhnlich war. Mein Vater ist jedoch kein Mann, der unbedachten Regungen nachgibt.“

„Aber du stehst genau wie er zu diesen unsinnigen Ehrbegriffen.“

„Davon versteht ihr Frauen nichts. Die Ehre verpflichtet einen Mann häufig, Wege zu gehen, die er sich nicht ausgesucht hat“, betonte Raschid. „Im Übrigen habe ich erst vor drei Wochen von dieser Vereinbarung unserer Väter erfahren.“ Polly war erstaunt. „Erst vor drei Wochen?“

„Es gab keinen Grund, warum mein Vater damit eher an mich hätte herantreten sollen. Als ich mit zwanzig heiratete, warst du noch ein Kind.“ Raschid schwieg einen Augenblick, ehe er beherrscht fortfuhr: „Außerdem glaube ich, dass mein Vater dieses Versprechen anfangs nicht ganz so ernst gemeint hat, wie er heute vorgibt, sonst hätte er mir schon vor Jahren davon erzählt. Inzwischen kenne ich seine Beweggründe. Ich kann offen darüber sprechen, weil diese Sache im Palast kein Geheimnis ist. Mein Vater hat mich schon lange zwingen wollen, wieder zu heiraten.“

3. KAPITEL

Polly war so verblüfft über Raschids Geständnis, dass sie sich in einen Sessel sinken ließ. „Aber wieso ist dein Vater ausgerechnet auf mich verfallen?“, fragte sie fassungslos.

„Mit dem Versprechen von damals konnte er Druck auf mich ausüben.“ Raschid lächelte grimmig. „Er hatte mir aber zumindest versprochen, vor dem Treffen mit deinem Vater eingehende Erkundigungen über dich einzuziehen.“

„Er hat Nachforschungen über mich angestellt?“

„Natürlich. Du bist sehr naiv, Polly. Mein Vater wäre das Risiko niemals eingegangen, mir eine Braut auszusuchen, die Schande über unsere Familie hätte bringen können.“

Rückblickend erschien es Polly nun wirklich töricht, dass sie angenommen hatte, König Reija würde einer Ehe seines Sohnes mit einer Frau zustimmen, von der er nichts wusste. Raschids Enthüllungen warfen ein ganz anderes Licht auf das Londoner Zusammentreffen ihres Vaters mit dem König. Er hatte über sie und ihre Familie genau Bescheid gewusst, ehe Ernest Barrington zu der Audienz erschien. Also musste König Reija auch über die finanzielle Situation ihres Vaters unterrichtet gewesen sein.

Polly brauchte eine Weile, um die neuen Erkenntnisse zu verarbeiten. Schließlich erklärte sie: „Ehrlich gesagt, verstehe ich dich nicht, Raschid. Du scheinst deinem Vater nicht mal wirklich böse zu sein.“

„Weil ich weiß, dass er es im Grunde nur gut mit mir meint. Er ist der Überzeugung, ein Mann brauche eine Ehefrau, um ein zufriedenes, erfülltes Leben zu führen. Für ihn ist nur ein verheirateter Mann seelisch ausgeglichen“, setzte Raschid seufzend hinzu.

„Und warum wolltest du nicht wieder heiraten?“, schnitt Polly die Frage an, die sie am meisten beschäftigte.

„Weil ich lange genug verheiratet war und den Wunsch hatte, frei zu sein“, erwiderte Raschid kurz angebunden.

Polly sprang auf. „Wenn du so auf deine Freiheit erpicht bist, will ich dich nicht davon abhalten!“

„Warum der plötzliche Sinneswandel?“ Raschid sah Polly forschend an. „Was hat sich zwischen uns geändert, außer dass wir einige grundlegende Dinge geklärt haben? Wir verstehen uns jetzt sehr viel besser.“

Polly war wütend. „Trotzdem tust du so, als hätte ich dich in die Falle gelockt!“

„Ich gehe niemandem in die Falle, schon gar nicht einer Frau.“ Raschid sprach jetzt gefährlich leise. „Meine Überlegung lautete einfach so: Wenn ich schon auf Wunsch meines Vaters heiraten muss, warum dann nicht dich?“

Polly holte tief Luft. „Bei diesem Handel fällt mir eins auf: Aus der ganzen Geschichte geht dein Vater als moralisch unantastbar hervor, obwohl er manipuliert und intrigiert hat, während du mir die beleidigendsten Beweggründe unterstellst.“

„Wovon sprichst du?“, fragte Raschid scharf. „Ich hatte geglaubt, du seist still und zurückhaltend, doch kaum dass du die Kirche verlassen hattest, bist du auch schon auf die Barrikaden gegangen!“

Polly musste sich eingestehen, dass sie sich während der letzten vierundzwanzig Stunden selbst kaum wiedererkannte. Aber bei Raschid musste ja selbst das lammfrommste Gemüt aufbegehren. „Darüber solltest du dich bei deinem Vater beschweren, der bei seinen Schnüffeleien offenbar nicht gründlich genug war“, entgegnete sie schnippisch. „Ich finde, dir mangelt es hoffnungslos an Feingefühl!“

„Und ich finde, du bist wie alle anderen Frauen, die mir in den letzten Jahren begegnet sind … anspruchsvoll. Findest du es im Übrigen besonders feinfühlig, einen Mann nur wegen seines Reichtums zu heiraten?“

Polly wurde blass. Raschid hatte einen wunden Punkt getroffen, aber ihr Stolz ließ sie zum Gegenschlag ausholen. „Hast du das bei deiner ersten Frau auch so gesehen?“

Raschid saß einen Moment wie erstarrt da. Dann sah er Polly so eisig an, dass sie schauderte. „Da gibt es keinen Vergleich. Berah wusste von klein auf, dass sie mich heiraten würde. Und sie wusste auch, was für ein Mann ich war, während du mich überhaupt nicht kanntest.“

Betroffen senkte Polly den Blick. Es war töricht von ihr gewesen, Berah ins Spiel zu bringen. Aber dass Raschid sie so heftig in Schutz nehmen würde, hätte Polly nicht erwartet. Er stützte sich mit gespreizten Fingern auf die Schreibtischplatte und schien sehr zornig zu sein.

„Ich finde es nicht fair, mir ausgerechnet das vorzuhalten“, versuchte Polly, sich zu rechtfertigen. „Und ich bin auch nicht anspruchsvoll.“

Raschid machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich möchte über diese Dinge nicht debattieren. Das führt zu nichts.“

„Was für Dinge? Ich habe keine Ahnung, worüber wir debattieren.“

Raschid lehnte sich zurück und zog zweifelnd die Brauen hoch. „Nein? Innerhalb einer knappen Stunde kommst du mir mit Annullierung und Scheidung. Möchtest du dich damit interessant machen, dich aufspielen? Du brauchst offenbar Komplimente, Galanterie, Romantik, aber all das lehne ich ab. Scharaden sind nicht meine Sache. Ich war dir gegenüber von Anfang an offen. Wir hatten beide unsere Gründe, diese Ehe einzugehen. Ich wollte Ruhe haben, du Rang und Geld. Beide haben wir bekommen, was wir wollten. Was gibt es da also noch zu diskutieren?“

„Das kann ich dir sagen!“, erwiderte Polly aufgebracht. „Eine Prinzessin zu sein, ist alles andere als ein Vergnügen!“

„Darüber kannst du denken, wie du willst, solange du den Mund hältst und Ruhe gibst.“

Polly zog sich in die äußerste Ecke der Kabine zurück. Es hatte keinen Sinn, sich mit Raschid auseinanderzusetzen.

Verstohlen beobachtete sie ihn. Selbst in diesem Augenblick fühlte sie sich stark zu ihm hingezogen. Wieder musste sie sich eingestehen, dass er ein blendend aussehender Mann war. Da er obendrein mehr als genug Geld besaß, konnte er sich über Mangel an weiblichem Interesse sicher nicht beklagen. Polly misstraute attraktiven Männern, weil sie meist eitel waren. Bei Raschid hatte sie jedoch den Eindruck, dass er nur zum Rasieren in den Spiegel blickte …

Die Stewardess brachte Polly das Essen, kurz darauf landete die Maschine und rollte aus. Durch das Fenster erhaschte Polly flüchtige Blicke auf eine Wüstenlandschaft. Polly stand auf. Als Raschid ihr ein schwarzes Kleiderbündel in die Hände drückte, sah sie ihn befremdet an. Ungeduldig nahm er es ihr wieder ab, schüttelte den Stoff aus und streifte ihn Polly über.

„Ich bekomme keine Luft!“, beschwerte sie sich.

„Sei nicht kindisch!“ Raschid zupfte das Gewand zurecht, sodass Polly wieder sehen konnte. Zu ihrer Verblüffung brach Raschid in Gelächter aus. „Du siehst komisch aus, Polly. In dieser aba versinkst du ja buchstäblich.“

Polly raffte den Stoff und folgte Raschid zum Ausgang. Zögernd trat sie auf die Gangway hinaus und ließ den Anblick der in Reih und Glied dastehenden Soldaten und einer kleinen Militärkapelle auf sich wirken. Plötzlich verfing ihr Fuß sich im Saum der aba.

Raschid hörte Pollys Aufschrei und drehte sich blitzschnell zu ihr um. Ehe sie stürzte, hob er sie hoch und schüttelte resigniert den Kopf. „Du bist das tollpatschigste weibliche Wesen, das mir je begegnet ist.“

„Ein Leichenhemd wollte ich eigentlich erst tragen, wenn ich im Sarg liege“, erwiderte sie prompt.

Raschid wurde blass und sagte kein Wort.

Polly war betroffen. Kam er über Berahs Tod denn nie hinweg? Spukte seine erste Frau ihm immer noch im Kopf herum?

„Setz mich bitte ab“, forderte Polly ihn steif auf.

„Es sind nur wenige Schritte bis zum Wagen.“ Raschid verfrachtete Polly wie ein Paket in die wartende Limousine. Mit gemischten Gefühlen blickte sie zu der mächtigen, sich nur wenige Hundert Meter entfernt erhebenden grauen Festung hinüber, deren hohe Mauern sich endlos hinzuziehen schienen.

„Wo ist denn das Flughafengebäude?“, fragte Polly.

„Der Einfachheit halber wurde hier ein Jetlandeplatz angelegt. Der Flughafen befindet sich auf der anderen Seite von Jumani.“

„Ist das die Hauptstadt?“

„Ich finde es überwältigend, wie gründlich du dich auf deine künftige Heimat vorbereitet hast“, spottete Raschid. „Jumani liegt zehn Kilometer von hier entfernt.“

Beschämt wandte Polly sich ab und ließ den Blick über die Wüste schweifen, deren Sanddünen sich nach allen anderen Seiten einförmig bis zum Horizont erstreckten. Die Einöde und Abgeschiedenheit dieser Landschaft wirkten trostlos auf Polly, die an Felder, Wiesen und Wälder gewöhnt war.

Die Limousine fuhr durch das Tor in einen weitläufigen gepflasterten Hof. Raschids Tür wurde eiligst von einem kleinen Mann geöffnet, der seinen Gebieter nervös gestikulierend mit einem arabischen Wortschwall empfing. Raschid runzelte die Stirn und schritt davon.

Nach wenigen Metern blieb er jedoch stehen, als hätte er etwas vergessen. Er kam zu Polly zurück und half ihr beim Kampf mit der aba, die sich um ihre Beine gewickelt hatte und sie beim Aussteigen behinderte.

„Es gibt elegantere Arten auszusteigen“, bemerkte Raschid trocken.

Er führte Polly durch die Menschenmenge, die ihnen aus einem von einer Kuppel überdachten, verandaähnlichen Vorbau entgegenströmte. Polly wurde neugierig gemustert. Jetzt war sie sogar froh, von Kopf bis Fuß verhüllt zu sein.

„Mein Vater wünscht, uns sofort zu sehen“, erklärte Raschid. „Ich möchte dich bitten zu schweigen, damit du mich nicht in Verlegenheit bringst. In Situationen, mit denen du nicht vertraut bist, entwickelst du möglicherweise nicht das erforderliche Gespür für das, was sich gehört.“

Polly wäre am liebsten aufgebraust, aber sie hielt sich zurück. Raschid trat auf eine große kunstvoll geschnitzte Doppeltür zu, die von furchterregend bewaffneten, rechts und links postierten Wachen aufgestoßen wurde. Raschid ging voran. Polly folgte ihm beklommen und beobachtete, wie er niederkniete und mit der Stirn den Teppich berührte.

Für seine siebzig Jahre sah der graubärtige alte Herr, der am Ende des Raumes auf einem flachen Podium saß, erstaunlich kräftig und gesund aus. Polly kniete sich neben Raschid auf den Teppich und wartete. Der König gab Raschid ein Zeichen aufzustehen, dann schnippte er mit den Fingern und sagte etwas auf Arabisch.

Polly merkte, dass Raschid aufatmete. „Steh auf“, flüsterte er ihr zu.

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er ihr die aba geschickt abgestreift. Unter dem prüfenden Blick des Königs kam Polly sich wie eine zur Begutachtung vorgelegte Ware vor. Dann machte er eine Bemerkung, lachte leise und sprach eine ganze Weile. Polly sah, dass Raschids Gesicht sich rötete, und sie hielt es für angebracht, langsam wieder in die Knie zu gehen.

Was immer sein Vater zu ihm sagte, hatte eine seltsame Wirkung auf ihn. Raschid ballte die Hände zur Faust, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. König Reijas Äußerungen folgte ein langes Schweigen, währenddessen man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Unvermittelt antwortete Raschid in scharfem Ton. Polly war schockiert. Im nächsten Moment gerieten Vater und Sohn so heftig aneinander, dass es keines Dolmetschers bedurfte, um Polly erkennen zu lassen, was die Uhr geschlagen hatte. Zwischen den Ausbrüchen der beiden Männer entstanden immer längere Schweigepausen.

Jetzt lächelte Reija selbstzufrieden oder herausfordernd. Schließlich deutete Raschid eine Verbeugung an und verließ den Raum.

Der König gab Polly ein Zeichen, näher zu treten. „Ich bedaure diese wenig erfreuliche Einführung in unsere Familie“, sagte er in holprigem Englisch. Er bemerkte Pollys Überraschung und setzte vergnügt hinzu: „Ja, ich spreche deine Sprache. Es hat sich für mich jedoch häufig als nützlicher erwiesen zuzuhören, statt zu reden.“

Polly schaffte es, höflich zu lächeln. Gegen diesen schlauen Fuchs hatte ihr Vater keine Chance gehabt.

„Willkommen bei uns“, fuhr Reija fort. „Eine blonde Schönheit, wie du es bist, wird meinen Sohn sicher dazu bringen, häufiger nach Hause zu kommen.“

Polly hielt es nicht für angebracht, den König zu warnen, dass er sich da auf eine Enttäuschung gefasst machen musste. Raschid ließ sich die Flügel ebenso wenig beschneiden, wie ein Raubvogel auf seine Beute verzichtete. Es war jedoch interessant zu erfahren, dass Reija seinen Sohn hier gern öfter gesehen hätte als bisher. Die Unstimmigkeiten zwischen den beiden hatten also nicht zu einem echten Bruch geführt. Polly hätte zu gern gewusst, weshalb Vater und Sohn sich so verbissen gestritten hatten.

Autor

Carol Grace
Carol Grace wurde mit Fernweh im Blut geboren. Sie wuchs in Illinois auf, sehnte sich aber sehr bald danach, die weite Welt zu erkunden. Während des Studiums erfüllte sie sich diesen Traum erstmals mit einem Auslandssemester an der Sorbonne in Paris. Ihren Abschluss machte sie an der Universität von Los...
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